Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum als Lebensform

9. Pessach


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 9. Pessach. -- Fassung vom 26. April 1999. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud509.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 21. Februar 1998

Überarbeitungen: 26. 4. 1999 [Hinzufügung von Buchbestell-Links zu amazon.de]

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Übersicht



Zitate im Folgenden:


1. Zeitpunkt und Dauer von Pessach


Pessach -- Passah -- beginnt am 15. Nissan (Vollmond im März/April) und dauert in Israel sieben, in der Diaspora (Galut) acht Tage. Der Grund für den Unterschied ist, daß man früher, als ein weltweit einheitlicher Kalender schwierig war, sicher gehen wollte, daß alle Juden zur gleichen und zur rechten Zeit Pessach feiern. Da dieser Grund heute hinfällig ist, feiern Reformjuden und manche Konservative auch außerhalb Israels Pessach nur sieben Tage lang.

Pessach ist von allen Festen wohl das Fest, das die meisten Juden einhalten. So ergab eine Umfrage von 1980, daß 99% der Juden Israels den ersten Pessachabend (Seder) feiern und daß 82% an den Festtagen keine verbotenen Speisen essen. Sonst aßen 1980 nur 79% der Juden Israels grundsätzlich koscheres Fleisch und nur 44% hielten sich an die Regeln des koscheren Essens.

Pessach gehört mit Schawuot (dem Wochenfest) und Sukkot (dem Laubhüttenfest) zu den Wallfahrtsfesten, den Festen, die zur Zeit der beiden Tempel mit einer Pilgerfahrt nach Jerusalem und Opfern im Tempel begangen wurden. Pessach war der Anlaß für Jesus von Nazareth, nach Jerusalem zu ziehen, wo er gekreuzigt wurde. So ist Pessach der Ursprung der christlichen Kartage und des Osterfestes.


2. Grundlage in der Thora


Grundlage für das Feiern von Pessach sind folgende Thorastellen:

ER sprach zu Moses und Aaron im Lande Ägypten, sprach: »Diese Mondneuung sei euch Anfang der Mondneuungen, die anfängliche unter den Mondneuungen des Jahres sei sie euch. Redet zu aller Gemeinschaft Jisraels, sprechend. Am zehnten auf diese Neuung nehme sich jedermann ein Lamm, nach den Väterhäusern, ein Lamm auf das Haus. Sind aber im Haus zu wenige für ein Lamm, nehme ers und sein Anwohner, der seinem Hause nah ist, durch Beisteuer nach Seelenzahl, jedermann nach seinem Eßanteil sollt zum Lamm ihr steuern. Ein heiles, männliches, jähriges Lamm seis euch, von den Schafen und von den Ziegen sollt ihrs nehmen. Und in Verwahr seis euch bis zum vierzehnten Tag auf diese Neuung, dann metze es alles Gesamt der Gemeinschaft Jisraels, zwischen den Abendstunden. Und vom Blut sollen sie nehmen und an die beiden Pfosten geben und an den Türsturz, an den Häusern, darin sie es essen werden. Dann sollen sie in derselben Nacht das Fleisch essen, Feuergeröst, dazu Fladen, mit Bitterkräutern sollen sies essen. Eßt nimmer davon roh, noch gesotten im Wassersud, sondern Feuergeröst Kopf neben Beinen nebst Eingeweide. Laßt davon aber nichts verbleiben bis an den Morgen, was davon an den Morgen verbleibt, sollt ihr im Feuer verbrennen. Und also sollt ihrs essen: eure Hüften gegürtet, eure Schuhe an euren Füßen, euren Stecken in eurer Hand, in Hast sollt ihr es essen -- Übersprungsmahl ist es IHM. Durchschreiten will ich das Land Ägypten in dieser Nacht und alljeden Erstling im Land Ägypten schlagen, von Mensch zu Tier, an allen Göttern Ägyptens will ich Gericht tun, ICH bins. Das Blut aber werde zum Zeichen für euch an den Häusern, darin ihr seid: ich sehe das Blut und überspringe euch; nicht euch zum Verderber sei der Stoß, wenn auf das Land Ägypten ich einschlage.

Und der Tag werde euch zum Gedächtnis, als Festreigengang IHM begeht ihn, für eure Geschlechter, als Weltzeit-Satzung, sollt ihr ihn begehn. Ein Tagsiebent sollt ihr Fladen essen, genau zum ersten Tag sollt ihr die Gäre aus euren Häusern verabschieden, denn allwer Gesäuertes ißt -- vom ersten Tag bis zum siebenten Tag --: gerodet werde jenes Wesen aus Jisrael. Ausrufen von Heiligung am ersten Tag und Ausrufen von Heiligung sei euch am siebenten Tag, allerart Arbeit werde an ihnen nicht gemacht, nur was allen Wesen zu essen gehört, das einzig werde von euch zurechtgemacht. Und wahret die Fladen! Denn an eben diesem Tag habe ich eure Scharen aus dem Land Ägypten geführt. Wahret diesen Tag, für eure Geschlechter als Weltzeit-Satzung.

Im Anfangsmonat, am vierzehnten Tag auf die Neuung zu Abend sollt ihr Fladen essen bis zum einundzwanzigsten Tag auf die Neuung zu Abend. Ein Tagsiebent werde nicht Gäre in euren Häusern gefunden, denn allwer Säuerndes ißt, gerodet werde jenes Wesen aus der Gemeinschaft Jisraels, seis Gast seis Landessproß. Allerart Säuerndes sollt ihr nicht essen, Fladen sollt ihr essen in all euren Siedlungen. ...«

Exodus 12

Dies sind des Herrn Festzeiten mit heiliger Versammlung, die ihr ausrufen sollt zu ihrer bestimmten Zeit: Im ersten Monat, am 14 Tag des Monats, gegen Abend ist Pessach für den Herrn. Am 15. Tage dieses Monats ist das Fest der ungesäuerten Brote für den Herrn. Da dürft ihr sieben Tage lang nur ungesäuerte Brote essen. Am ersten Tag ist heilige Versammlung für euch; da dürft ihr keinerlei Sklavenarbeit verrichten. Sieben Tage lang bringt dem Herrn ein Feueropfer dar; am siebenten Tage aber finde eine heilige Versammlung statt. Auch da dürft ihr keinerlei Sklavenarbeit verrichten.

Leviticus 23, 4-8

... Iß nicht dazu Gesäuertes, ein Tagsiebent dazu noch sollst du Fladen essen, Notstandsbrot, denn in Hast bist du aus dem Land Ägypten gefahren ...

Deuteronomium 16, 1-8


"Pessach ist das Fest der ungesäuerten Brote der Mazzot, die man im Gedenken an die ungesäuerten Brote unserer Vorfahren ißt: Der Auszug aus Ägypten mußte so rasch vollzogen werden, daß zum Säuern und Gährenlassen der Brote keine Zeit mehr blieb. Nun ißt man die ganzen acht Tage des Pessachfestes kein Brot, nur Mazzot, und darf auch nichts Gesäuertes im Haus behalten, so daß eine Umstellung des ganzen Haushaltes erforderlich ist, das größte Reinemachen erfolgt und fast alles Geschirr ausgewechselt werden muß." [Hirsch]


3. Mazzot -- Matzen


"Mazza [Plural Mazzot -- Matze, ungesäuertes Brot] ist eine ungesäuerte dünne Waffel, die aus Wasser und einer der fünf Getreidearten -- Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Spelt [Dinkel]  -- gebacken ist. Daher muß dieses Getreide und das Mehl, das aus ihm gewonnen wird, sorgfältig beaufsichtigt werden, um jeden verfrühten Kontakt mit Wasser oder einem anderen Säuerungsmittel zu vermeiden. Der ganze Backprozeß, von der Zeit, wo das Mehl mit Wasser zu einem Teig vermischt wird bis zur fertig gebackenen Mazza darf 18 Minuten nicht überschreiten.

Heutzutage werden die meisten Mazzot mit Maschinen gebacken, obgleich es Leute gibt, die weiterhin handgebackene Mazzot vorziehen. Die Entwicklung der modernen Maschinen zum Teigkneten usw. hat es nicht nur ermöglicht, Mazzot von gleichmäßiger Qualität und Standard zu produzieren, sondern hat auch dem Prozeß größere Geschwindigkeit garantiert und dadurch die Gefahr des Säuern sehr verringert.

Es ist unwichtig, ob die Mazzot rund oder quadratisch sind; die Form hat keinerlei Bedeutung.

Wenn die Mazzot einmal fertig gebacken sind, besteht keine Säuerungsgefahr mehr. Daher werden aus fertigen Mazzot verschiedene Produkte hergestellt, wie Mazza-Farfel oder Mazza-Mehl (ein mehlartiges Produkt, das zum Kuchenbacken usw. benutzt werden kann)." [Donin]

Abbildung: Matzen (Mazzot)

"Der Weizen für die Mazzot wird wenigstens vier Wochen vor Pessach gemahlen. Er darf weder ausgewachsen noch je vorher naß gewesen sein, damit jede Art von Gärungsprozeß vermieden bleibt. Die Mühle, worin man den Weizen mahlt, muß nur für diesen Zweck gebraucht oder doch mindestens vorher von allem Mehlstaub auf das peinlichste gereinigt, der Mühlstein sorgfältig überhauen, ein neuer oder mit neuem Leinen ausgeschlagener Mahlkasten und ein neuer Trichter über der Öffnung des Mühlsteins angebracht werden, die selbst immer zugedeckt bleiben soll, und das Mehl soll dann auch durch einen neuen Beutel oder Flor laufen. Schon das Mahlen des Weizens hat unter der Aufsicht frommer und zuverlässiger Sachverständiger zu geschehen. Auch die Säcke, in denen das Mehl aus der Mühle geschafft wird, sind zuvor zu waschen und zu trocknen und fortan vor jeder Nässe zu schützen, und der Boden, auf dem sie aufbewahrt werden, muß trocken sein. Das Wasser, das man zum Mazzotbacken braucht, muß reines Quellwasser sein und von einem Juden am Abend vor der Verwendung, zwischen Sonnenuntergang und Sternaufgang, in einem besonderen Gefäß geseiht werden. ... All diesen Vorschriften entsprechend wird auch in modernen Mazzotbäckereien vorgegangen, die mit Maschinen für jede Teilhandlung des Prozesses ausgestattet sind." [Hirsch]

"Und einige Tage vor dem Fest pflegt der ganze Haushalt mitten in seiner größten Revolution zu sein. Eiserne Geschirre, die man das Jahr über verwendet hat und auch für Pessach nicht entbehren kann (die meisten hat man ja für Pessach allein), müssen 'gekaschert', das heißt für Pessach koscher gemacht werden: in dem Kessel, worin man es tut, muß reines kochendes Wasser sein, das Geschirr, das aber schon vorher reingewaschen, gerieben und geputzt ist, wird hineingetan, bis es ganz von siedendem Wasser bedeckt ist, dann herausgezogen und mit kaltem Wasser übergossen; metallenes Geschirr wird geglüht. ... Kurzum, es ist die klassische Zeit fürs Schrubben und Putzen." [Hirsch]

Während das Chamez-Verbot (s. unten) für die ganze Pessach-Woche gilt, gilt das Gebot, Mazza zu essen, nur für die Sedernacht "und dann erfüllt man das Gebot, indem man ein Stück ißt, das nicht kleiner als eine große Olive ist. Nach der ersten Nacht ist das Essen von Mazza völlig freigestellt. Kein Gebot wird verletzt, wenn man keine Mazza ißt, solange man kein Chamez zu sich nimmt." [Donin]


4. Chamez -- Gesäuertes


Chamez (Gesäuertes)  ist:

Kein Chamez sind:

Aus Chamez darf man während Pessach keinen Nutzen ziehen, deshalb darf man in dieser Zeit auch nicht sein Vieh oder seine Haustiere mit Chamez füttern. "Wenn es unmöglich ist, das Futter der Tiere so zu ändern, daß es kein Chamez enthält, sollte man das Tier einem Nichtjuden verkaufen und es dem Käufer auch übergeben. Man darf aber dem Nichtjuden zu verstehen geben, daß man es nach Jomtow eventuell zurückkaufen würde, sogar zu einem höheren Preis." [Donin]

Exodus 12,19 verbietet Hamez während der sieben Pessachtage 15. - 21. Nissan.

"Chamez ist alles Gesäuerte, besonders Brotreste und ähnliches, und die Furcht davor ist besonders stark: Wenn nur ein Weizenkörnchen in einem Brunnen gefunden wurde, darf man das Wasser ganz Pessach nicht benutzen; am Abend vor Erew Pessach, dem Tag vor dem Fest, untersucht der Hausherr selbst, ein Licht in der Hand, noch einmal alle Ecken und Winkel, ob auch alles Gesäuerte fortgeschafft ist, nachdem er vor der Suche über diese Pflicht noch den Segen gesprochen hat." [Hirsch]

Suche nach Gesäuertem

Abbildung: Suche nach Gesäuertem (Chamez) in der Nacht vor Pessach
Stich von Picart, 1727

Danach spricht der Hausherr:

Aller Sauerteig und alles Gesäuerte, das sich in meinem Bereiche befindet, das ich jedoch nicht gesehen und darum nicht fortgeschafft habe, soll niemand gehörig, vernichtet und dem Staub der Erde gleich gehalten sein.

"Den gleichen Spruch sagt man andern Morgens, am Erew Pessach etwa um zehn Uhr vormittags, wenn man alles Gesäuerte, das man bei der Untersuchung gefunden und zusammengescharrt hat, in einem besonders dazu angelegten Feuer verbrennt. ...

Alles Chamez aber, das man ja über Pessach nicht im Haus behalten darf, aber auch nicht gut verbrennen mag, Lebensmittel, Geschirr, Gefäße und Geräte, trägt man zusammen, packt es in Kisten und Kasten, schließt es in einen eigenen Raum im Keller oder auf dem Boden und verkauft, verschenkt oder vermietet den Raum wie den Inhalt einem Nichtjuden." [Hirsch]

"Hätte es keine Alternative [zur Vernichtung von Chamez] gegeben, so hätten auch solche Verluste keine Schranke für Toratreue bedeutet, um die Gebote zu erfüllen. Aber es gibt eine legale Alternative: m'chirat chamez, der Verkauf des Chamez an einen Nichtjuden, mit einer Pro-Forma-Rechnung, die eine genaue Aufstellung des Chamez, seines Werts usw. enthielt, sowie einer Anzahlung dafür durch den nichtjüdischen Käufer. Obgleich man den Verkäufer beschuldigen kann, daß er nur an einem Verkauf  'auf dem Papier' interessiert ist, ist die Legalität eines Verkaufs niemals von den Gefühlen oder den Absichten des Käufers oder des Verkäufers abhängig. Und da es eine legale Transaktion ist, genügt sie, um sich des Chamez auf legale Weise zu entledigen.

Der nichtjüdische Käufer weiß gewöhnlich, daß er dem Verkäufer nach Pessach die Ware zu einem etwas höheren Preis zurückverkaufen kann und dadurch einen kleinen Profit aus dem Handel macht, den der Verkäufer ihm gern gönnt. Obwohl der Jude dem Nichtjuden versichern darf, daß er das Chamez zurückkaufen wird und ihm einen Gewinn an dem Handel anbieten kann, darf der Kaufvertrag unter keinen Umständen die Bedingung enthalten, daß sich der Nichtjude zum Rückverkauf, oder der Jude sich zum Rückkauf verpflichtet." [Donin]


5. Seder


"Zu Haus beginnt das eigenartigste Fest, der stärkste Eindruck aller jüdischen Kinder, schon fast im Anblick des für den Seder bereiteten Tisches. Seder heißt nur Ordnung, hier ist die Ordnung gemeint, wonach die große häusliche Zeremonie der ersten beiden Festabende sich vollzieht, und so nennt man diese die Sederabende.

So hell wie nur möglich ist das Zimmer erleuchtet, und in den glänzenden, spiegelnden Leuchtern brennen die beiden festlichen Lichter. Der Tisch ist strahlend weiß gedeckt, und der Hausherr zieht den weißen Kittel an, in den er einst von fremden Händen gekleidet werden wird ... , er setzt das weißseidene, mit Gold- oder Silberbrokat bestickte Käppchen auf und bindet den schmalen, weißleinenen Gürtel um, denn gegürtet und wegbereit sollten unsere Vorfahren in Ägypten das Pessachmahl verzehren, ehe sie in die Freiheit gingen. Ehrfürchtig und staunend betrachten die Kinder den Tisch. Eine Haggada ('Die Erzählung', das Buch dieser beiden Abende) liegt auf jedem Platz, ein Becher steht dahinter." [Hirsch]

Family Seder Family Seder

Abb.: Titelblatt und zwei Seiten einer amerikanischen Pessach Haggada von 1987

"Vier Becher Wein soll am Sederabend jeder trinken, Mann und Frau, alt und jung, arm und reich, unter Aufsicht geernteten, vergorenen, verpackten und als solchen bezeichneten Pessachwein oder auch Rosinenwein, den man allein bereiten kann und der den Kindern schmeckt und nicht schadet. Der Becher soll nicht zu klein sein und jedes von den vier obligatorischen Malen wenigstens halb geleert werden. Man trinkt ihn links angelehnt, besonders der Hausherr hält den Seder links angelehnt, wie ein freier Mann, denn dies war einst das Zeichen freier Männer im Morgenland, und am Pessach wurden wir freie Männer.

Wie ein großes Geheimnis steht die Sederschüssel vor dem Platz des Hausherrn. Es ist eine große Platte oder Schüssel mit mancherlei Zierat". [Hirsch]

Sederschüssel

Abb.: Sederschüssel und Sederschälchen; 18./19. Jhdt. Aufschrift: "Und ihr sollt Fladen essen" (Exodus 12,17) (Basel, Jüdisches Museum)

"Auf der Schüssel liegen drei besondere Mazzot, dickere als die üblichen; jede ist von den anderen durch ein Tuch geschieden oder in einem eigenen Deckchenfach, jede ist besonders gekennzeichnet, und jede hat ihren eigenen Namen nach dem kultischen Rang unserer Vorfahren: die oberste Mazza Kohen, Priester, die mittlere Levi, Levite, die unter Jisrael, allgemeiner Israelit. Auf dem Tuch oder der Decke darüber liegen in der Anordnung wie sie gebraucht werden, die anderen Symbole der Feier:

Und schließlich steht noch ein Becher auf dem Tisch, der dem Propheten Elia bestimmt ist, dessen Gegenwart man am Sederabend noch sehnlicher als sonst erwartet. Oben an der Tafel ist der Sessel des Hausherrn fast morgenländisch mit Kissen belegt." [Hirsch]

Sedermahl

Abbildung: Sedermahl jemenitischer Juden in Jerusalem

Seder -- die Ordnung -- umfaßt nach traditioneller Gliederung 15 Teile, die jeweils mit einem aramäisch-hebräischen Begriff bezeichnet werden:

1. Kaddesch

Kaddesch "Der Hausherr erhebt seinen Becher Wein, und mit dem Segen darüber beginnt er den Kiddusch, die heiligende Eröffnung des Seders ... Nun folgt die Beracha, der Segen, den man über alles Neue, zu jeder Einweihung und Eröffnung spricht, der Dank 'daß du uns am Leben und bei Wohlsein erhalten und diese Zeit hast erreichen lassen'. Danach lehnt man sich zurück und trinkt den ersten Becher Wein." [Hirsch]

2. Rechaz (uRechaz)

Rechaz "Der Hausherr läßt sich das Gefäß zum Waschen reichen, überspült und trocknet, doch noch ohne Segen, die Hände." [Hirsch]

3. Karpas

Karpas Der Hausherr "nimmt ein wenig Petersilie oder Kartoffel, taucht dies in das Salzwasser oder den Essig und spricht den Dank für die Erschaffung der Erdfrüchte, ißt davon und teilt auch den andern reihum von der Erdfrucht mit, damit auch sie den Dank sprechen und davon genießen." [Hirsch]

4. Jachaz

Jachaz "Der Hausherr bricht die Hälfte von der mittleren Mazza, dem Levi, und bewahrt sie zum Afikoman [Nachspeise] ... Dann legt der Hausherr Ei und Knochen zur Seite, erhebt, und mit ihm heben die Tischgenossen die Sederschüssel empor und weisen sie gleichsam aller Welt mit dem Ausruf:

»Dies ist das Brot des Elends, das unsere Väter zu Israel aßen! Wer hungrig ist, komme und esse! Wer's entbehrt, komm und halte Pessach mit! Dies Jahr hier -- im kommenden Jahre im Lande Jisrael! Dies Jahr noch in der Fron -- im kommenden Jahre frei!«" [Hirsch]

5. Maggid

Maggid "Die Haggadot, die Büchlein der Pessacherzählung liegen aufgeschlagen vor jedem Platz, doch die Erzählung wird erst beginnen. Einer von den Tischgenossen, die Flasche oder Kanne in der Hand, geht um die Tafel und füllt die Becher wieder. Alle Augen sind auf den Jüngsten des Hauses gerichtet, der den Anlaß zur Haggada, zur Erzählung geben wird und nun zu fragen beginnt:

»Ma nischtana halajla haseh -- Was zeichnet diese Nacht vor allen Nächten aus?

  • Jede Nacht sonst essen wir doch gesäuertes und ungesäuertes Brot -- heute nur Mazzot?
  • Sonst essen wir die verschiedensten Kräuter -- heute nur Bitterkraut?
  • Sonst brauchen wir nichts einzutunken -- heute zweimal?
  • Sonst sitzen wir beim Essen frei oder angelehnt -- heute nur angelehnt?«

Nach diesem vierfachen Warum des Jüngsten fängt die Antwort an, die Erzählung, und alles ist schon mitten in der besonderen Stimmung des Seder, die [Heinrich] Heine im »Rabbi von Bacharach« beschrieb ... Im herkömmlich singenden Ton beginnt man die Antwort auf die Fragen des Jüngsten, die Haggada, die aus Berichten, Gebeten und Erklärungen, Geschichte und Geschichten, biblischem Beispiel und talmudischer Erläuterung in eine große, einzigartige, festliche Auskunft und Verherrlichung zusammengewachsen ist:" [Hirsch]

Haggadah

»Dienstbar waren wir dem Pharao zu Ägypten, aber der Ewige, unser Gott, führte uns heraus mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. Hätte der Heilige, gelobt sei ER, unsere Väter nicht aus Ägypten gerettet, sieh, wir und unsere Kinder und die Kinder unserer Kinder wären noch immer in Pharaos Fron zu Ägypten. Und wären wir auch alle weise, alle voller Vernunft, alle voller Erfahrung, alle Kenner der Lehre, so bliebe es dennoch unsere Pflicht, vom Auszug aus Ägypten zu erzählen, und wer viel davon erzählt, der ist zu loben. So waren einmal am Pessachabend Rabbi Akiba Elieser, Rabbi Jehochna, Rabbi Elasar ben Asarja, Rabbi Akiba und Rabbi Tarfon zu Bne Berak beisammen und besprachen sich über den Auszug aus Ägypten die ganze Nacht hindurch, bis ihre Schüler kamen und ihnen sagten: Unsere Lehrer, es ist ja schon Zeit fürs Morgengebet!

Ich bin fast siebzig, sagte Rabbi Elasar ben Asarja, und konnte doch auf keine Erklärung kommen, warum man denn auch des Nachts von jenem Auszug zu sprechen verpflichtet ist, bis mir es Ben Soma erklärte: Der Bibelvers heißt: ...damit du dich deines Auszugs erinnerst alle Tage deines Lebens. Die Tage des Lebens, damit wären nur die Tage gemeint, aber: alle Tage deines Lebens: da rechnen auch die Nächte mit. Übrigens erweitern unsere Weisen diese Deutung: die Tage deines Lebens hieße: nur auf dieser Welt; alle Tage deine Lebens, das bedeute: auch die messianische Zeit." [Hirsch]

Es folgt u.a. die eigentliche Erzählung, basierend auf Deuteronomium 26.

Bei der Aufzählung der zehn Plagen, die Gott über Ägypten schickt, schüttet man bei jeder Plage einen Tropfen Wein zu Boden. Dann fährt die Haggada fort:

"Rabbi Jossej aus Galiläa erklärte, daß diesen zehn Plagen in Ägypten fünfzig Plagen am Meere folgten, Rabbi Elieser, daß jede Plage aus vier verschiedenen Plagen zusammengesetzt, Rabbi Akiba, daß jede Plage fünffältig war, also daß die Ägypter zuerst fünfzigfach und dann zweihundertfünfzigfach gestraft wurde." [Hirsch]

Dann singt man:

Hätte uns Gott nur aus Ägypten geführt, und kein Gericht an jenen geübt -- es wäre genug für uns.

Hätte ER sie gerichtet, nicht auch ihre Götter -- es wäre genug für uns.

Hätte ER ihre Götter gerichtet, nicht auch ihre Erstgeburt -- es wäre genug für uns.

Hätte ER ihre Erstgeburt genommen und und uns nicht ihren Besitz gegeben -- es wäre genug für uns.

... doch ER hat all dies getan und das Meer gespalten, uns trockenen Fußes hindurchgeführt, unsere Feinde darein versenkt, uns vierzig Jahre durch die Wüste geleitet, uns mit Manna gespeist, uns den Schabbat gegeben, uns zum Sinai gebracht, uns die Thora verliehen, uns ins Heilige Land geführt und uns den Tempel gebaut zur Sühne aller Sünden."

"Wer am Pessach nicht diese drei erwähnt, pflegte Raban Gamaliel zu sagen, der hat seine Schuldigkeit versäumt, nämlich:

  • das Pessachopfer
  • die Mazza
  • und das Bitterkraut.
  • Das Pessachlamm -- die Rechte des Hausherrn weist hin auf den Knochen --, das zur Zeit des Tempels unsere Väter aßen, heißt Überschreitungsopfer, denn »Schlachtmahl des Übergangs ist es IHM, der die Häuser der Söhne Jisraels überging in Ägypten, als er in Ägypten hinstieß und unsere Häuser ausnahm«.
  • Die Mazza hier -- die Rechte des Hausherrn weist hin auf die Mazzot -- bedeutet den Mundvorrat unserer Väter, die keine Zeit mehr hatten, ihr Brot zu säuern, und so mit Ungesäuertem aus dem Lande gingen.
  • Und dies Bitterkraut -- die Hand des Hausherrn weist hin auf das Bitterkraut --, das wir heute essen, bedeutet das bittere Leben und die harte Arbeit mit Lehm und Ziegeln, wozu unsere Väter gezwungen wurden.

In jedem Geschlecht und Alter ist jeder verpflichtet sich so zu betrachten, wie wenn er selbst aus Ägypten gezogen wäre.

"Man bedeckt die Mazzot, hebt seinen Becher und spricht laut:"

Darum sind wir schuldig, zu danken, zu rühmen, zu verherrlichen, zu preisen, zu erheben, zu loben, zu benedeien, hochzuachten und zu verehren IHN, der unseren Ahnen und uns all diese Wunder tat, der aus der Fron zur Freiheit, aus Elend zur Freude, aus Trauer zum guten Tag, aus Finsternis zum großen Licht, aus aller Knechtseligkeit sie erlöst hat: so laßt uns IHM singen das Lied: Halleluja

Man stellt die Becher wieder hin, deckt die Mazzot auf und singt die beiden ersten Hallel-Psalmen (Psalm 113 und 114).

"Man bedeckt von neuem die Mazzot, man nimmt den Becher zur Hand, man spricht den Segen und dankt dem Gott, der unsere Väter aus Ägypten erlöst und uns bis zu dieser Nacht geleitet, Mazza und Maror zu essen." [Hirsch]

So laß uns, Gott, auch fernerhin die Feste in Frieden erreichen, freudvoll durch Wiederaufrichtung deiner Stadt, froh in deinem Dienst ... Dann wollen wir dir ein neues Danklied singen. Gepriesen seist du, Ewiger, Erlöser Jisraels.

"Man spricht den Segen über den Wein und lehnt sich zurück, um den zweiten Becher zu leeren." [Hirsch]

6. Rechazah

Rechazah "Man wäscht sich die Hände wie gewöhnlich vor dem Essen und spricht den Segen." [Hirsch]

7. Mozi und 8. Mazza

Mozi "Der Hausherr erhebt die drei Mazzot und macht Ha-mozi, spricht den Segen über das aus der Erde hervorgebrachte Brot und einen besonderen Segen über die Mazzot. Dann bricht er von der obersten Mazza ein etwa olivengroßes Stück, ein gleiches von der schon angebrochenen mittlere, und ißt beide Stücke." [Hirsch]

9. Maror

Maror "Man spricht den Segen über die uns verliehenen Gebote und das Besondere: Bitterkraut zu essen, und ißt vom Maror, dem Bitterkraut, das man zuvor in Charosset, die süße, den Lehm versinnbildlichende Mischung, getunkt hat." [Hirsch]

10. Korech

Korech "Man nimmt Meerrettich oder jedenfalls ein anderes Bitterkraut als zuvor, etwa ein Salat, bricht ein Stück von der untersten Mazza und ißt es zusammen nach den Worten: Also tat zur Zeit des Tempels Hillel: er verband Mazza und Maror und aß es in einem, um den Schriftvers zu erfüllen: »Mit Ungesäuertem und Bitterkraut sollen sie es essen.«" [Hirsch]

11. Schulchan orech

Schulchan orech "Dann wird, wie es meist in den Haggadot heißt, nach Belieben gespeist. Eine große Abendmahlzeit." [Hirsch]

12. Zafun

Zafun "Nach dem Essen nimmt der Hausherr die halbe Mazza, die er zu Anfang weggelegt hatte, ißt ein Stück als Afikoman und gibt auch allen anderen davon. Man singt den Psalm: »Wenn Gott uns nach Zion heimführt, werden wir sein wie im Traum ...«" [Hirsch]

13. Barech

Barech "Man spricht den Tischdank, nachdem zum drittenmal die Becher gefüllt worden sind, man spricht nach dem Benschen [Segensspruch] den Weinsegen und trinkt angelehnt den dritten Becher Wein." [Hirsch]

"Man öffnet die Tür ins Freie -- dem Propheten Elia, Gottes ewigem Sendboten, für den ein voller Becher Wein bereit auf dem Tische steht, und den Menschen, denen die folgenden Worte gelten -- und ruft diese Worte aus ...:" [Hirsch]

Schütte deine Glut aus über die Stämme, die dich nicht kennen wollen, über die Sippen, die deinen Namen nicht rufen! Denn sie verzehren Jaakob, verzehren ihn, sie verheeren ihn, seine Trift verstarren sie! Schütte deine Glut über sie aus! Dein brennender Grimm treffe sie! Verfolge mit Wut und vertilge sie, daß sie nicht mehr zu finden sind unter Gottes Himmel!

14. Hallel und 15. Nirza

Hallel "Und ... ist die Tür ins Freie geschlossen ... zum viertenmal werden alle Becher gefüllt, und das Hallel, der große Preisgesang, den man vor der festlichen Mahlzeit begonnen, wird nun in immer steigenden, immer liedhafteren Melodien vollendet:" [Hirsch]
  • Psalm 115
  • Psalm 116
  • Psalm 117
  • Psalm 118
  • Psalm 136 (großes Hallel): der Hausherr singt die Aufrufe, alle den Refrain: "denn ewig seine Gnade!"
  • Nischmat: Die Seele allen Lebens rühmt seinen Namen ...

Nun singt man mittelalterliche Lieder.

Dann wünschen sich alle:

Leschana haba'a b'Jeruschalajim! -- Nächstes Jahr in Jerusalem!

Man spricht den Weinsegen, trinkt das letztemal den Becher leer und sagt das Dankgebet. Dann singen alle:

Die Pessachordnung ist vollbracht
nach Form und Bräuchen dieser Nacht,
wie wir's in Worten vorgebracht,
so sei's uns in der Tat gemacht!
Von oben, Herr, gib einen Blick,
richt auf dein Volk, es ist gebückt,
erhalt die Sprossen deines Baums.
Führ froh nach Zion uns zurück!

Es folgen verschiedene Lieder:

Bevor man schlafen geht, spricht man nicht das volle Abendgebet, sondern nur das Kernstück mit dem "Schema -- Höre Jisrael". Besonders Fromme lesen in dieser Nacht noch das ganze Hohelied.

"Für die Festtage gilt natürlich auch ein Arbeitsverbot wie für den Schabbat, jedoch ist es in mancher Hinsicht lockerer. So pflegt man auch am Jom tow kein neues Feuer anzuzünden, aber ein schon brennendes zu benutzen." Während am Schabbat Rauchen verboten ist, darf man am Festtag rauchen, "nur allerdings pflegt man nicht ein Streichholz oder Feuerzeug zu benutzen, sondern die Zigarette an einem anderen, schon brennenden Feuer anzuzünden. Und jede Arbeit für den Tagesbedarf, wie Kochen und Backen, ist erlaubt.

Die zwischen den ersten und letzten beiden Hauptfeiertagen liegenden vier Tage -- Chol hamoed -- sind Halbfeiertage, an denen man nicht arbeiten soll, jedoch ist leichtere und jede nötige Arbeit gestattet." [Hirsch] So darf man an Halbfeiertagen z.B., im Gegensatz zum Schabbat, schreiben, kochen, heizen, einkaufen und dergleichen.


6. Omerzählen


Dann zählt vom Tag nach dem Sabbat [dem ersten Tag des Pessach] ... sieben volle Wochen bis zum Tage nach dem siebenten Sabbat, zählt also 50 Tage ...

Leviticus 23, 18

Beginnend am zweiten Pessachabend und danach jeden Abend ist es religiöse Pflicht, volle sieben Wochen (49 Tage lang) die Tage zu zählen. Der 50. Tag ist Schawuot (diesem Datum entspricht das christliche Pfingsten).

Das Zählen geschieht so: Jeden Abend spricht man folgenden Segensspruch:

Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns durch Seine Gebote geheiligt und uns befohlen hat, das Omer zu zählen.

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Dann sagt man, welcher Tag des Zählens dieser Tag ist, und wieviel Tage und Wochen das sind, z.B.:

"Schon die aus der Kabbala tief ins Volk eingedrungene, bedeutende Auffassung der Sefira, der Omer-Zählung, deren Höhepunkt und Abschluß das Schawuotfest bildet, geht weit über alles im Gottesdienst offiziell geübte hinaus. Die Kabbala kennt zehn Sefirot, Stufen zur schöpferischen Göttlichkeit, wovon nur sieben Sefirot diesseitig auf dieser Welt möglich sind, und ihnen entsprechend hat jede einzelne Stufen wieder sieben Unterstufen. Die siebenmal sieben Sefirot entsprechen der siebenmal siebentägigen Sefira, und mit jedem Sefiratag kommt man dem Offenbarungsfest um eine Unterstufe näher, das Schawuot aber ist die höchste Stufe."  [Hirsch]

In den ersten 33 Tagen des Omerzählens (Sefira) sollen im 2. Jahrhundert n. Chr. viele Tausend von Rabbi Akibas Schülern an einer Plage gestorben sein, deshalb werden diese 33 Tage als teilweise Trauer begangen:

"Da es unter den Weisen Meinungsverschiedenheiten gibt, warum gerade 33 von den 49 Tagen als teilweise Trauerzeit zu beobachten sind, haben verschiedene Gemeinden verschiedene Bräuche in dieser Beziehung entwickelt. Aber in jeder Stadt sollte ein einheitlicher Brauch gehalten werden, der sich auf die Entscheidung der dortigen religiösen Führung gründet." [Donin]


Zum nächsten Abschnitt: 10. Schawuot