Geschichte der Auslegung der Apokalypse des Johannes (1893)

von Heinrich Julius Holtzmann


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Holtzmann, Heinrichch Julius <1832 - 1910>: Geschichte der Auslegung der Apokalypse des Johannes. -- 1893. -- Fassung vom 2005-03-23. -- URL: http://www.payer.de/christentum/holtzmann01.htm   

Erstmals publiziert: 2005-03-23

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung "Informationsmarktverzerrung durch Fundamentalismus am Beispiel der USA" von Margarete Payer an der Hochschule der Medien Stuttgart, Sommersemester 2005

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Erstmals erschienen in:

Hand-Commentar zum Neuen Testament / bearbeitet von H. J. Holtzmann, R. A. Lipsius ... -- Freiburg [u.a.] : Mohr. -- Bd. 4: Evangelium, Briefe und Offenbarung des Johannes / bearbeitet von H. J. Holtzmann. -- 2., verbesserte und vermehrte Aufl. -- 1893. -- S. 280 - 289


"HOLTZMANN, Heinrich Julius, ev. Theologe, * 17.5. 1832 in Karlsruhe als Sohn eines Gymnasiallehrers, † 4.8. 1910 in Baden-Lichtenthal. - Holtzmann besuchte die Schule in Karlsruhe und Heidelberg, wo sein Vater seit 1847 als erster Stadtpfarrer an der Heiliggeistkirche wirkte. Im Herbst 1850 bezog er die Universität Heidelberg und setzte im Winter 1851/52 und im Sommer 1852 das Studium in Berlin fort. Bleibende Anregungen erhielt Holtzmann durch Wilhelm Vatke (s.d.); später hat Richard Rothe (s.d.) auf ihn stark eingewirkt. Den beiden letzten Semestern im Predigerseminar in Heidelberg folgten im Herbst 1854 das theologische Examen und daran anschließend eine dreijährige Tätigkeit als Pfarrvikar in Badenweiler. Da sich Holtzmann in die badische Kirchenpolitik unter Leitung von Karl Ullmann (s.d.) und Karl Bähr (s.d.) nicht finden konnte, entschloss er sich für die akademische Laufbahn. Auf Grund der lateinischen dogmengeschichtlichen Abhandlung "De corpore et sanguine Christi quae statuta fuerint in ecclesia examinantur" promovierte Holtzmann am 5.3. 1858 in Heidelberg "summa cum laude" zum Lic. theol., erlangte nach Verteidigung von 10 Thesen am 17.4. die "venia docendi" und begann im Winter 1858/59 mit Vorlesungen. Holtzmann wurde 1859 Lehrer am Predigerseminar und 1861 ao. Professor für Neues Testament. Die Evangelisch-Theologische Fakultät in Wien verlieh ihm 1862 ehrenhalber die Doktorwürde. 1865 erfolgte seine Ernennung zum o. Professor und 1874 seine Berufung an die Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg, die ihm 1878/79 das Rektorat übertrug. Die philosophische Fakultät ernannte ihn 1897 zum Ehrendoktor. Im Herbst 1904 legte er sein Lehramt nieder und siedelte 1906 nach Baden-Baden über.

Holtzmann war einer der bedeutendsten Vertreter der historisch-kritischen Bibelwissenschaft und Vorkämpfer eines liberalen Protestantismus. Seine Lebensarbeit galt dem Neuen Testament. Schon in einem seiner ersten Werke, "Die synoptischen Evangelien, ihr Ursprung und geschichtlicher Charakter" (1863), entwickelte er überzeugend die "Zweiquellentheorie ": das Markusevangelium ist das älteste und liegt neben einer Sammlung von Herrenworten dem Matthäus- und Lukasevangelium zugrunde. Das Johannesevangelium kommt für ihn weder als Apostelschrift noch als nutzbare Quelle für das Leben Jesu in Frage, sondern stellt eine Lehrschrift mit stark hellenistisch-philosophischem Einschlag dar. In der Beurteilung der Paulusbriefe war er positiver als Ferdinand Christian Baur (s.d.) und die "Tübinger Schule". Holtzmann ist Mitbegründer des "Handkommentars" zum Neuen Testament (1889 ff.), für den er selbst die Synoptiker, die Apostelgeschichte und die johanneischen Schriften bearbeitete. Den Ertrag seiner Gesamtarbeit auf neutestamentlichem Gebiet enthalten die beiden großen Lehrbücher der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament (1885) und der neutestamentlichen Theologie (1896/97). Holtzmann entfaltete eine fruchtbare literarische Tätigkeit, die sich nicht auf das Neue Testament beschränkte, sondern das Ganze der Theologie umfasste. Das Verzeichnis seiner Werke zeigt, wie sehr ihn die Praktische Theologie interessierte. Auch auf dem Gebiet der Kunst und Kunstgeschichte war er produktiv. "

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/h/holtzmann_h_j.shtml. -- Zugriff am 2005-03-23]


Sinn und Verständnis für unser Buch haben sich in der christlichen Theologie nur allmählich und unter großen Schwankungen entwickelt. Die Auslegung von Apokalypse bietet daher einen merkwürdigen Ausschnitt aus der allgemeinen Geschichte der neutestamentlichen Exegese und Hermeneutik. Eine übersichtliche Kenntnisnahme davon dient zugleich als beste Einführung in das eigenartige Wesen dieses Buches und in die ganze Fragestellung, die daraus für Exegese und Kritik erwächst.

Wie zwei zusammenfließende Ströme noch eine Zeit lang in demselben Bette ihre verschiedene Färbung beibehalten, so trägt das Urchristentum und die werdende Kirche zwar eine, je länger desto bemerkbarer sich geltend machende, hellenistische und hellenische Signatur; aber nur in demselben Maße, als diese zuletzt die vorherrschende wird, verschwindet die entgegengesetzte Farbe des Chiliasmus. Dort redete man vom vorweltlichen Logos und vom ewigen Sohn, durch den Gott das All geschaffen hat (Joh 11 3 Hbr 12 3), vom Bestand und von der Zusammenfassung aller Dinge in ihm (Kol 115—20 Eph 110), von Pleroma und Aeonen u. s. w. Hier lebte man von den, ungeschwächt auch im neuen Glaubensstand fortwirkenden, eschatologischen Hoffnungen des Judentums.

„Grüne fette Auen und Schwefelabgründe, weiße Pferde und schreckliche Bestien, Lebensbäume, prächtige Städte, Krieg und Blutvergießen erfüllten die Phantasie, drohten die schlichten und doch im Grunde viel erschütternderen Sprüche von dem Gericht, das jeder einzelnen Seele gewiss ist, zu verdunkeln und zogen die Bekenner des Evangeliums in ein unruhiges Treiben, in die Politik und den Abscheu vor dem Staat hinein" (Harnack 88 187 f).

Zu den festesten Elementen dieser Wunderwelt gehörte der, zuerst Apokalypse 20 4—6 bezeugte, Glaube, dass Christus nach Überwindung der letzten Bedrängnisse die Weltmacht niederwerfen und auf Erden ein herrliches Reich aufrichten, die Gläubigen zur Teilnahme an demselben erwecken, zuletzt aber alle Menschen richten werde (ebend. S. 139f 144f). So lehren übereinstimmend die Chiliasten Cerinth (Euseb. KG III 28 2) und Papias (III 39 12), und nicht anders meinen es Justinus, Irenaeus, Hippolytus und Tertullian, wenn sie an Apokalypse (20 1—10) ihre enthusiastischen Zukunftshoffnungen schließen (erste Ansätze zur Vergeistigung und Verhimmelung des irdischen Reichs in der Erzählung Hegesipp's von den Verwandten Jesu bei Euseb. KG III 20 4). Unser Buch hatte als Trostquelle der blutenden Märtyrergemeinde seine erste große Zeit, bis Lebensfragen in einem anderen Sinne an die Kirche herantraten und der Kampf gegen den Montanismus der apokalyptischen Richtung der Geister Abbruch zu tun begann. Wenigstens im Morgenlande ist solcher Rückgang besonders in Folge der antichiliastischen Stellung des Origenes zu bemerken. Aber auch sein Gegner Methodius war kein richtiger Chiliast mehr. Seit der gegenwärtigen Tatsache einer 1000-jährigen Jubelfeier des Römerreiches 248 scheint überhaupt der Glaube an das 1000jährige Reich der Zukunft etwas brüchig geworden zu sein (Neumann, Der römische Staat und die allgemeine Kirche bis auf Diocletian I 251). Dem Verständnisse des Buches selbst kam die vergeistigende Auffassung, mit welcher sich jetzt die Origenisten vermöge der Allegorese über das Wortverständnis erhoben, freilich nicht zu Gute, vielmehr ging eben dadurch bald jeder geschichtliche Inhalt verloren, und es ist insofern nicht bloß die Opposition des Nepos in seinem έ̉λεγχος α̉λληγοριστων (Euseb. KG VII 24 2) zu verstehen, sondern auch nicht gerade als ein Verlust anzuschlagen, wenn die griech. Exegese außer den Kommentaren zweier Bischöfe von Cäsarea, des Andreas (nach Zahn, Gesch. I 951 um 500) und des Arethas (Anfang des 10. Jahrh.), kaum etwas von Belang zu Apokalypse aufzuweisen hat.

Einen anderen Verlauf nahm die Sache auf abendländischem Boden. Den Antichrist hatte während der Verfolgung des Septimius Severus ein gewisser Judas ganz nahe gedacht (Euseb. KG VI 7); dieser oder einer ähnlich gerichteten Bewegung trat Hippolytus im Kommentar zu Daniel entgegen, indem er die Christen belehrte, dass nach richtiger Berechnung der Jahrwochen noch 300 Jahre bis zum Ende vergehen müssten. Aber das 4. danielische Reich ist auch für ihn das römische, und noch Origenes erwartete den Antichrist in Gestalt eines heidnischen Fürsten. Seit den Tagen Konstantins befand man sich daher bezüglich des Tieres, das ja nicht mehr in der römischen Staatsgewalt gefunden werden konnte, in einer gewissen Verlegenheit, welcher erst das Auftreten des Islam ein Ende bereitete. Das lebendige Interesse an Apokalypse erlosch mit den Verfolgungen. Ein Märtyrer unter Diocletian ist als erster eigentlicher Ausleger des Buches bekannt. Und zwar ist dieser, Victorinus von Petabio (XX 303), selbst noch Chiliast gewesen. Aber man hat die Spuren davon in den beiden Gestalten, darin sich sein Werk erhalten hatte, zu tilgen verstanden. Einen anderen Kommentar schrieb in der nachkonstantinischen Zeit der, die 7 Häupter auf die 7 Weltreiche deutende, Donatist Ticonius. Sein Werk ist Grundlage für die Arbeiten des Hieronymus und Pseudo-Augustinus, des Primasius (afrikanischer Bischof um 550, vgl. seinen Kommentar bei Haussleiter in den „Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons" IV1891), des Beatus von Libana (spanischer Presbyter) und des Beda Venerabilis (englischer Mönch) geworden und kann aus ihnen einigermaßen rekonstruiert werden. Der Kommentar des Hieronymus hat sich erhalten in der, dem Schriftstück des Beatus vorangehenden, Summa dicendorum, einer mit Apokalypse 4 beginnenden Fortsetzung der hieronymianischen Bearbeitung des Kommentars von Victorinus. Schon die kürzere Gestalt, in welcher der letztere vorliegt, stellt eine von Hieronymus vorgenommene Versetzung der Arbeiten des Victorin und des Ticonius dar; vgl. Haussleiter, ZWL 1886, 239—257. Auch des Primasius Zeitgenosse Cassiodorius (seine Explicationes blieben dem Mittelalter unbekannt und erschienen erst 1702 im Druck) und des Beda Zeitgenosse Ambrosius Auspertus behandelten die Apokalypse. Entscheidend aber wirkte für die römisch-katholische Auffassung der mittelst der sog. Rekapitulationsmethode gewonnene Gedanke des Augustinus (De civ. dei 20), dass man seit Christi Zeiten im 1000jährigen Reich bereits stehe und nur noch unmittelbar vor der Wiederkunft einer letzten Verfolgung durch den los gewordenen Satan entgegen sehe. So ist, nachdem der Kirche die alte Ungeduld aus den Gliedern gefahren war, durch Augustinus aus dem Millennium eine kirchengeschichtliche Periode geworden (Reuter, Augustinische Studien 1887, 113f): man fasste jetzt die Zahl 1000 als eine symbolische, einen unbestimmten Zeitraum andeutende.

Das Jahr 1000 ging ruhig vorüber, und noch Innocenz III. sah auf Mohammed als den Antichrist zurück.

Dagegen wusste 1080 Bischof Ranieri von Florenz, dass der Antichrist jetzt geboren sei, und um 1130 gab der hl. Norbert die gleiche Versicherung dem hl. Bernhard. Noch genauere Angabe machte 1227 der Minorit Petrus de Boreth, welcher in Akka (Acre) verkündete, der Antichrist sei bereits 10 Jahre alt. Aber noch 1412 war er erst 9 Jahre alt zufolge einer Mitteilung des Volkspredigers Vincenz Ferrer an Benedict XIII. Vgl. Döllinger, Histor. Taschenbuch 1871, 257—370 (= Kleinere Schriften 1890, 451—557).

Im Allgemeinen hatte freilich die Kirche damals die Angst vor Antichristentum und Weltende längst überwunden; in ihrer eigenen Weltherrschaft sah sie Alles realisiert, was die apostolische Gemeinde von dem in Herrlichkeit wiederkommenden Herrn erwartet hatte. Die düstere Kehrseite der Weissagung hatte sich als ungefährlich erwiesen, und man überließ sich um so ungestörter dem Zuge der Verweltlichung.

Andererseits wurde auch das Gefühl von der Verkehrtheit der eingeschlagenen Richtung immer stärker und bewusster. Man fühlte wieder einmal, dass es so nicht weiter gehen könne; nur waren es im Gegensatze zur alten Christenheit jetzt die inneren Zustände der Kirche, welche in dieser Richtung wirkten und aufs Neue eine apokalyptische Stimmung erzeugten, die schon in Norbert und Hildegard einen Ausdruck fand. Diese und die weiterhin zu nennenden Propheten des Mittelalters nahmen nämlich Weissagungsgabe nur in der Form in Anspruch, dass sie sich für befähigt hielten, die Orakel der Bibel, namentlich der Apokalypse, richtig zu deuten.

So vor Allem in seiner Expositio in apocalypsin der Merlin und Nostradamus Italiens, Abt Joachim von Floris in Kalabrien ( 1202). Mag diese entschieden chiliastische Auslegung auch unecht sein, so schildert und weissagt sie doch jedenfalls im Geiste des reformatorischen Franziskanerordens eine mit Rückkehr zur urapostolischen Einfachheit und Besitzlosigkeit verbundene Erneuerung der Kirche. Im Unterschiede zur Periode des Vaters und des Sohnes werde in der Zeit der dritten und letzten Offenbarung der Geist frei walten und als unsichtbares Feuer alles Vergängliche verzehren. Der in diesen Ideen ganz aufgehende Bettelorden des hl. Franz, besonders in seiner antikirchlichen, spiritualistischen Verzweigung, gab solchen Weissagungen bald eine schroff antipäpstliche Spitze. Damit begann ein zweites Leben für unser Buch. Es erschienen unter dem Namen Joachim's die Kommentare zu Jeremia und Jesaja, deren erster eine detaillierte Weissagung der Ereignisse von 1202 bis 1240 enthält und das Ende der Welt aufs Jahr 1260 (wegen Apokalypse 113 12 6), der zweite auf 1290 festsetzt. Hier war nun — was dann stehender Zug bei allen häretischen und reformatorischen Sekten des Mittelalters geblieben ist — das Weib der Offenbarung, welches auf dem roten Tiere sitzt, vereinerleit mit der römischen Papstkirche. Gleichzeitig gab der Minorit Gerhardus von Borgo San Donnino die drei angeblichen Schriften des Meisters, darunter auch jene Expositio, unter dem, aus Apokalypse 14 6 gezogenen, Titel Evangelium aeternum heraus und schrieb dazu eine Erläuterung (Liber introductorius), in welcher die Idee der Perfektibilität des Christentums ohne Rückhalt ausgesprochen und geweissagt war, dass in dem 1260 anbrechenden Zeitalter des Geistes Joachim, Franz und Dominikus dieselbe Stellung einnehmen werden, wie zuvor Zacharias, sein Sohn Johannes und Jesus von Nazaret.

Nachdem der Liber introductorius 1255 verdammt und sein Verfasser im Kerker verschwunden war, schrieb Petrus Johannis Olivi (XX1298) eine Postilla super apocalypsi, welche zwar 1326 vom Papst verdammt (die häretisch befundenen Teile veröffentlichte Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters II, 1890, 517—585), gleichwohl aber das Lieblingsbuch der Spiritualen in Italien und Frankreich geworden ist, das Programm ihrer Hoffnungen auf Offenbarung der Kirche des hl. Geistes. Ein allgemeines blutiges Gericht über die ganz fleischlich gewordene Kirche, ein simonistischer Papst als Antichrist, eine Ausgießung des Geistes über die Spiritualen zum Behuf des Kampfes mit ihm, in Folge dessen Reinigung und vollkommener Sieg der Kirche über die Weltmächte: das waren die Hauptfaktoren der Weltanschauung, welche die Partei aus Apokalypse gewonnen hatte.

Im Glauben daran predigten die von Perugia ausgehenden Geisslerzüge der Welt Busse, reformierte Rienzo Rom und prophezeite der Franziskaner Jean de la Rochetaillade das Weltende nunmehr auf das Jahr 1370.

Viel unbedeutender war der Gebrauch, welchen die Scholastiker von Apokalypse machten. Richard von St. Victor und Albertus Magnus, vielleicht auch Alexander Halesius und Bonaventura (bald jenem, bald diesem wird ein Kommentar zugeschrieben, in welchem in Babylon irgendwie die civitas romana erkannt ist) schrieben Kommentare zu dem Buche, wussten aber kaum etwas damit anzufangen.

Um so besser verstanden sich darauf die Politiker. Schon in den Tagen des aufblühenden Joachimismus bediente sich die Kirche in ihrem Kampfe mit den hohenstaufischen Kaisern der apokalyptischen Bilder, während andererseits Petrus von Vinea in seinen politischen Flugschriften von der Entdeckung der spiritualistischen Franziskaner Gebrauch machte. Ebenso tat später auch Ludwig der Baier. Überhaupt wusste man seither die Orakel des Buches je nach Bedürfnis auf die jedesmaligen Zeitumstände anzuwenden.

Dasselbe wiederholte sich zur Zeit der Reformation, wo es zur Orthodoxie gehörte, Rom für das zehnhörnige Tier und den Papst für den Antichrist zu halten, wie übrigens zuvor Amalrich von Bena, die ketzerischen Spiritualen und Wiklif samt Anhängern (Lord Cobham) getan hatten.

Milicz aus Kremsier ließ sich 1367 beifallen, an den Pforten der Peterskirche in Rom selbst bekannt zu machen, der Antichrist sei schon vorhanden. Da er ihn aber nicht direkt mit dem Papst identifizierte, entließ ihn der aus Avignon zurückgekehrte Urban V. aus dem Kerker. Sein Schüler Matthias von Janow tröstete sich zuletzt mit der Hoffnung auf Zerstörung des Antichrists durch eine Reformation der Kirche.

Deutlicher und nachhaltiger verglichen Waldenser und böhmische Brüder das Papsttum mit der großen Hure oder dem gehörnten Tiere, wogegen die kurialistischen Theologen dieses Tier vielmehr in Luther und seinen Anhängern fanden. Im Übrigen nahm der Protestantismus unserem Buche gegenüber zunächst eine fast gleichgültige Stellung ein. Schon Laurentius Valla und Erasmus hatten sich darauf beschränkt, den Wortsinn zu erklären.

Luthers Auslegung ist dürftig und verfehlt; um so berühmter freilich sein Votum:

„Mir mangelt an diesem Buche nicht einerlei, dass ich's weder apostolisch, noch prophetisch halte; aufs erste und allermeist, dass die Apostel nicht mit Gesichten umgehen, sondern mit klaren, dürren Worten weissagen; ist auch so kein Prophet im Alten Testament, geschweige im Neuen, der, statt klärlich zu reden, so gar durch und durch mit Gesichten handelt. Dazu dünkt mich das allzuviel, dass er hart solch sein eigen Buch befiehlt und dräuet, wer etwas davon tue, von dem werde Gott auch tun sein Teil vom Buche des Lebens."

„Ich kann allerdings nicht spüren, das Buch sei vom heiligen Geist gestellt; mein Geist kann sich nicht in dasselbe schicken, und ist mir Ursach genug, dass ich sein nicht hochachte."

Er hat dieses Urteil von 1522 in seiner späteren Vorrede von 1530 zwar ermäßigt, aber nie wirklich zurückgenommen. In seiner Nachfolge wandeln noch Matthias Flacius, Martin Chemnitz, Johann Gerhard.

Reformierter Seits ließ Zwingli zu Bern 1528 Berufung auf Apokalypse nicht zu, während Calvin das Buch zwar nicht kommentiert, aber dogmatisch gebraucht.

Unter allen Umständen sah sich der Protestantismus in eine schiefe Lage zu Apokalypse durch seine entschiedene Verwerfung des Chiliasmus gesetzt (Augustana 17). Demgemäß blieb es für die nunmehr beginnende protestantische Auslegung Hauptfrage, ob die 1000 Jahre, wie die Wiedertäufer behaupten, im Anbruch begriffen, bzw. bevorstehend, oder ob sie schon vorüber sind. In der Neigung für die letztere Seite der Alternative, in der Deutung von Gog und Magog auf die Türken und überhaupt in der Behandlung der Apokalypse als prophetisches Kompendium der Kirchengeschichte wussten sich protestantische und katholische Theologen einig.

Bezeichnend für die orthodox lutherische Auslegung ist die Beziehung des Engels mit dem ewigen Evangelium 14 6 auf Luther; so schon in Bugenhagen's Leichenrede vom 22. Febr. 1546. Im Anschlusse hieran verstand Abraham Calov unter den drei Engeln Apokalypse 14 6—9 Luther, Chemnitz und die Gegner Calixt's, darunter auch sich selbst.

Für die Reformierten war es Hauptsache, im Papst den Antichrist zu finden; so z. B. in dem großen und gelehrten Buche von Nicolas Vignier, Théâtre de l'Antechrist 1610. Auch die höllischen Heuschrecken sollten nach diesen Auslegern die Klerisei und Möncherei, nach dem Jesuiten Bellarmin freilich die Reformatoren mit ihrem Anhang abbilden. Im Übrigen bezog, wie der genannte Kardinal, so der gesamte Jesuitenorden Apokalypse 18 auf die Stadt Rom, welche um ihrer vielen, auch gegen das Papsttum begangenen, Sünden willen der Zerstörung verfallen solle.

Andererseits machte ein spanischer Jesuit in Antwerpen, Ludwig von Alcasar (1614), den Anfang mit Aufspürung historischer Beziehungen zur Synagoge und Römerherrschaft. Ihm folgte Hugo Grotius (1644), der die Polemik gegen die katholische Kirche aufgab und den Türken für den Antichristen hielt. Ebenso taten auf protestantischer Seite Hammond (1653—59) und sein Herausgeber Clericus (1698), katholischer Seits auch Bossuet (1689), während Vitringa die antirömische Polemik und überhaupt die orthodoxe Auslegung aufrecht hielt (Anacrisis apoc. Joannis apostoli 1705) und Newton in abenteuerlicher Weise wieder die Zahlen berechnete.

Übertroffen hat ihn darin noch Johann Albrecht Bengel, dessen „Erklärte Offenbarung Johannis" (1740, zuletzt 1834) die ganze Kirchengeschichte geweissagt fand, die Eröffnung des Kampfes mit dem Antichrist merkwürdiger Weise gegen das Jahr 1790 und an der Hand von 9 15 10 6 12 12 das Weltende auf den 18. Juni 1836 ansetzte, worin Sander aber schon 1829, sonst an Bengel's Methode sich anschließend, einen kleinen Rechnungsfehler fand, indem es 1847 heißen müsse.

Es war überhaupt seit dem Auftreten des Pietismus ein Umschwung eingetreten in der kirchlichen Wertung des Buches. Die Orthodoxen hatten sich bloß honoris causa damit befasst, die Pietisten taten es aus Liebhaberei und begründeten damit eine dritte und letzte Glanzperiode des Buches. Jetzt trat der Chiliasmus aus der Reihe der Häresien, in welche er seit anderthalb Jahrtausenden verbannt gewesen war. Während noch Coccejus das 1000jährige Reich in der Vergangenheit suchte, erwartete Labadie es als Frucht der unternommenen Kirchenreform in quietistisch-mystischer Richtung.

So wenig wie er knüpfte auch Spener, welcher 1664 mit einer Dissertation über Apokalypse 9 13—21 doktorierte und erwies, dass die 6. Posaune den Islam weissage, während ihm zeitlebens Rom = Babel und Papst = Antichrist geblieben sind, seinen aus jenen Kreisen überkommenen Chiliasmus direkt an die Wiederkunft Christi, wohl aber deutete er das 1000jährige Reich auf einen Zustand des Glanzes, der Juden- und Heidenbekehrung, der allgemeinen Regelung des Gemeinschaftslebens nach dem Maßstabe Christi. So in der „ Behauptung der Hoffnung künftiger besserer Zeiten" 1693, welche Schrift ihrem Urheber den Streit mit August Pfeiffer eintrug. Zwar hatte Spener die Zahl 1000 symbolisch gefasst und war dem Worte „Chiliasmus" nach Möglichkeit aus dem Wege gegangen; andererseits sollte aber doch das neu anbrechende Jahrhundert sowohl die letzte Drangsal, als auch den definitiven Sieg der Gläubigen bringen. Daran hielt sich eine wieder überhand nehmende apokalyptische Stimmung.

Ganz besonders waren es die zahlreichen Sekten in Deutschland, Holland, England und Amerika, welche an Apokalypse, als ihrem eigentlichen Lieblingsbuche, ihre Weltauffassung bildeten. Sie benützten es als „Himmelsuhr", als „ewigen Kalender", nach welchem sie die Geschicke der Menschheit zu bestimmen unternahmen. Dabei lag der Grundzug ihrer Auffassung im 1000jährigen Reiche als dem Gute der Zukunft.

Hat doch noch der junge Goethe in diesem Sinne Apokalypse studiert, freilich nur, um später das lutherische Urteil in zeitgemäßer Fortbildung zu wiederholen:

"Mir ist das Gleichnis vom ungerechten Haushalter, vom verlorenen Sohn, vom Säemann, von der Perle, vom Groschen u. s. f. göttlicher, wenn ja was Göttliches da sein soll, als die sieben Botschafter, Leuchter, Siegel, Sterne und Wehe" (Briefe von Goethe und Lavater, herausgegeben von Hirzel, 1833, 47).

Der Weg in's Freie war damals aber doch schon gewiesen durch Grotius, Hammond, Clericus und Wettstein. Die Reaktion gegen einen anderthalbtausendjährigen Traum meldete sich leise an, als je länger je mehr namhafte Gelehrte sich nun in rein historischer Weise auf den Standpunkt des Verfassers von Apokalypse stellten. So entdeckte Corrodi in der „Kritischen Geschichte des Chiliasmus" (1780) zuerst Beziehungen auf Nero, während Abauzit (1730),Wettstein (1752) Harenberg (1759), Herder (1779), Hartwig (1780— 83) behaupteten, die Feinde des messianischen Reichs seien unter den Juden zu suchen, Babylon sei Jerusalem, dessen Zerstörung geweissagt werde.

Einen Schritt näher kam der Wahrheit Eichhorn (1791), welcher fand, im 1. Teil werde der Untergang des Judentums, im 2. der des Heidentums geschildert. In Wirklichkeit aber treffen auch die Plagen des 1. Teils „Alle die auf Erden wohnen", und erscheint als Hauptgegner durchaus das Heidentum, dargestellt in seiner Verzerrung durch dämonischen Einfluss.

Schon Semler (1769, 1771, 1776) ließ die Weissagung gegen die Römer gerichtet sein.

Epochemachend war für diese richtige Erkenntnis Bleek (Theologische Zeitschrift 1820, 240 — 315). Zusammengefasst liegen seine Ansichten vor in den „Vorlesungen über die Apokalypse", 1862 von Hossbach herausgegeben.

Von nicht minderer Bedeutung waren die beiden Kommentare Ewald's, deren erster lateinisch 1828, der zweite deutsch 1862 erschienen ist.

In der Mitte liegen die verdienstvolle Arbeit von Lücke (Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung des Johannes 1832, 21852), die 1836—37 von Benary, Hitzig und Reuss entdeckte Beziehung der Zahl 666 auf Nero, die gelegentlichen Kundgebungen von Neander, A. Schweizer, Schnitzer, Schwegler, Baur und Hilgenfeld, die Kommentare von Züllig (1834 und 1841), de Wette (seit 1848), Düsterdieck (seit 1859) und Volkmar (1862). Diese Gelehrten begründeten die zeitgeschichtliche Erklärung, welcher sich auch Kienlen im Commentaire historique et critique sur l'Apocalypse de Jean (1870) anschloss.

Ihr vornehmlich verdanken wir es, wenn ein Buch, dessen 7 Siegel zur Zeit des Reimarus allen „vernünftigen Theologen" unlösbar erschienen waren (vgl. Strauss, Reimarus 176) und bezüglich dessen sich noch Schleiermacher damit zu trösten wusste,

„dass sogar nur ein geringer Nutzen aus einer mit Sicherheit ausgemittelten Erklärung dieses Buches zu ziehen sein würde" (Einl. 449f),

neuerdings ein so weit gehendes und allseitiges Interesse auf sich vereinigen konnte. Sobald einmal die ganze Schriftgattung, welcher das Werk angehört (vgl. Hilgenfeld, Die jüdische Apokalyptik 1857), in ein deutlicheres Licht gerückt war und unsere Apokalypse demgemäß nicht mehr aus der Geschichte, welche für ihren Verfasser selbst noch in der Zukunft lag, sondern aus den Verhältnissen, Vorstellungen und Erwartungen der Zeit und des Kreises, dem jener angehörte, erklärt zu werden anfing, ist das alte Rätselbuch rasch in die Stellung einer der wertvollsten Urkunden aus der Urzeit der christlichen Kirche gerückt.

Als solche haben es in allgemein verständlichen Darstellungen Zeller (Vorträge und Abhandlungen I, 1865, 212—216 328 f), Hausrath (Schenkel's Bibel-Lexikon I, 1869,153—156; Neutestamentliche Zeitgeschichte 2 III, 1875, 487—510), E. O. Schellenberg (Die Offenbarung Johannis 1867), Manchot (Die Offenbarung Johannis 1869), Krenkel (Der Apostel Johannes 1871), Renan (L'antechrist 1871, 319 350 f). Beyschlag (Die Offenbarung Johannes 1876), Woltersdorf (Prot. Kirchenzeitung 1878, 668—74 688—99), H. R, Haweis (Christ and Christianity. The story of the four 1886,139—203) den Zeitgenossen nahe zu bringen gewusst.

Gleichwohl hat die restaurationslustige Theologie unseres Jahrhunderts auch wieder die kirchengeschichtliche Deutung aufgefrischt. So besonders der Engländer Elliot (Horae apocalypticae 51862), der Franzose F. de Rougemont (La révélation de St. Jean 1866, deutsch von Merschmann 1869) und der Deutsche Hengstenberg (Die Offenbarung Johannes 1849—51, 21862), welcher herausgebracht hat, dass das 1000jährige Reich schon dagewesen sei zwischen 800 und 1800; jetzt leben wir also in den Zeiten des Gog und Magog, welchen beiden Demagog als der Dritte im Bunde beigesellt wird. Besonders seit 1848 sei der Satan los geworden; sein Zeichen die Reichskokarde. Dagegen weissagte Rougemont die Parusie auf das Jahr 2000. In Elliot's Nachfolge fand Garrat (Commentary on the revelation 1866, 21878) auch Schiesspulver, Kanonen, Dampfmaschinen und Eisenbahnen geweissagt, Huntingford aber die Kirchengeschichte bis auf die französische Revolution und das moderne Papsttum herab gezeichnet (The apocalypse 1881). Als Kommentar für die johanneischen Visionen benutzte er Gibbon's Geschichtswerk.

Schon auf dem Übergange zu den später als „reichsgeschichtlich" und „endgeschichtlich" bezeichneten Auffassungsweisen steht J. Ch. K. v. Hofmann in „Weissagung und Erfüllung" (II 1844, 300—378), „Schriftbeweis" (II 2664f) und „Die hl. Schrift NT" (XI 287 f). Er findet im 6. Kopf des Tieres das römische Reich, im 7. das slavisch-germanische (Weissagung 371), im 5. und 8. den wiederkehrenden Antiochus Epiphanes oder den Kaiser Nero (Schriftbeweis 713; Hl. Schrift 311 f) als Antichrist und hofft auf das Millennium (Schriftbeweis 656 f; Hl. Schrift 313).

Der aus dieser Schule hervorgegangene Füller (Die Offenbarung Johannis 1874) erkennt gleichfalls die 7 Häupter in den assyrischen, babylonischen, medopersischen, makedonischen, syrischen, römischen Weltreichen und im deutschen Kaisertum seit Karl dem Grossen (315 381).

Nicht minder behalten auch Ebrard (1853) und Luthardt (Die Offenbarung Johannis 1861) das 1000jährige Reich noch der Zukunft vor. Gleichwohl hat Ersterer es, wie Hengstenberg, besonders auf das Jahr 1848 abgesehen, welches das Vorspiel zu den letzten Gräueln geliefert habe (623).

Bewusster weicht von den bisherigen Wegen der kirchengeschichtlichen Auffassung Auberlen ab, der seinen Standpunkt im Gegensatze dazu den „reichsgeschichtlichen" nennt. Nicht sowohl das Detail zukünftiger Ereignisse sei vorausgesagt, als vielmehr die entscheidenden Epochen und treibenden Faktoren der christlichen Ära. Aber die Schwäche des Werkes (Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis 1854, 31874) liegt schon in den kritiklosen Voraussetzungen über Daniel, wie Bleek zeigte (JdTh 1860, 45-101), während gleichzeitig Baur sowohl Hengstenbergs (ThJ 1852, 305—400 441— 469), als Auberles's (ThJ 1855, 283—314) Vergewaltigungen der Apokalypse zurückwies. Wie Hengstenberg, so findet übrigens auch der Gründer der reichsgeschichtlichen Auslegung die 7 Häupter in Aegypten, Assyrien, Babel, Medopersien, Griechenland, Rom und in dem germanisch-slavischen Reich. Eigentümlich ist dagegen dem schwäbischen Theosophen die Identifikation des Weibes Kapitel 12 (alttestamentliche und neutestamentliche Gottesgemeinde) mit dem Weibe Kapitel 17 (verweltlichte Kirche); diese Kirche nämlich samt den beiden Tieren, d. h. der Staatsgewalt und der Weltweisheit, sind die 3 Potenzen, welche den Gang der Weltgeschichte bestimmen.

Die Korrektur, welche ein Bewunderer Auberlen's, der preußische Oberregierungsrat Otto de la Croix (Die große Babylon der Offenbarung Johannis 1882) an diesem Bilde anbrachte, bezieht sich auf das Weib Kapitel 17, welches die Welt mit ihrer Lust, auf keinen Fall aber die Staatskirche sein soll.

Der gleichen Richtung gehört auch an der Württemberger Theologe R. Kübel in seinen „apokalyptischen Studien" (ZWL 1881, 285—302; 1883, 337—344 406—416 468—476 561—567), die zugleich auch zeit- und endgeschichtliche Elemente aufweisen: der von der Geburt bis zur Wiederkunft Christi reichende Weltverlauf zerfalle in zwei, je 3½ apokalyptische Jahre ausfüllende, Epochen, deren 1. heidenchristlich, die 2. judenchristlich gekennzeichnet sei u. s. f.

Von seinem Vorgänger auf dem Tübinger Lehrstuhl Johann Tobias Beck erschien eine posthume „Erklärung der Offenbarung Johannes Cp 1—12" (1883), welche in den Gesichten des Apokalyptikers die Typen aller kommenden Kirchenzustände erblickt.

Die Opposition wider die zeitgeschichtliche Erklärung trat aber, wie in der kirchen- und reichsgeschichtlichen, so auch in der sog. endgeschichtlichen Form auf, welche indessen die kirchengeschichtliche Deutung nur in etwas mehr verschämter Weise erneuert. So besonders Kliefoth (Die Offenbarung des Johannes 1874). Für die Hauptquelle des Apokalyptikers hält er die eschatologische Rede Jesu. Die 7 Briefe enthalten eine prophetische Darstellung der Zustände der Kirche während ihres irdischen Verlaufes; von Kapitel 4 ab dagegen geht Alles auf die reine Zukunft, auf die letzten Katastrophen, wobei aber durchaus antichiliastisch verfahren wird. Babel ist „die Metropole der letztzukünftigen heidnischen Weltmacht". Gleicherweise wird alles in Vergangenheit und Gegenwart Unbequeme oder Rätselhafte der Zukunft in ihren weiten Sack gepackt.

Gegen diesen „abstrakt futuristischen Standpunkt" trat auf Christiani (Bemerkungen zur Auslegung der Apokalypse 1868; Zur Auslegung der Apokalypse 1875), ohne jede Berücksichtigung jüdischer Apokalyptik rein reichsgeschichtlich verfahrend; vgl. Volck, Der Chiliasmus seiner neuesten Bekämpfung gegenüber 1869.

Gleichwohl krönte jetzt auch Th. Zahn seine sonst verdienstvollen „Apokalyptischen Studien" (ZWL 1885, 523—529 561 — 576; 1886, 32—45 77-87 337—352 393—405) mit der Entdeckung, der Seher habe selbst nicht gewusst, was die Zahl 666 zu bedeuten habe; erst die Zukunft werde es offenbaren (ZWL 1885, 575f).

Mit Kliefoth's Betrachtungsweise vermochte auch die kathol. Exegese auszukommen. So ist namentlich Bisping (1876) sachlich von Kliefoth, im Material von Düsterdieck abhängig. Er bezeichnet seinen Standpunkt ausdrücklich als den „endgeschichtlichen".

Ähnlich darin auch zwei, unter dem Titel „Die Offenbarung des heiligen Johannes" erschienene, Bücher von dem Bischof Krementz (1883) und von Waller (1884). Wie wenig die kirchengeschichtliche Deutung auch hier überwunden ist, lehrt z. B. bei Ersterem (40—56) die Auffassung der 7 Gemeinden als Typen aufeinanderfolgender kirchengeschichtlicher Zustände bis in die Tage der Sozialdemokratie.

Näher an Hengstenberg endlich hält sich F. Sales Tiefenthal (Die Apokalypse des hl. Job. 1892).

Eine starke Reaktion gegen die endgeschichtliche Auslegung bezeichnet die Schrift von Lohe, Die Offenbarung Johannes 1890. Und zwar wird dagegen aufgeboten sowohl das reichsgeschichtliche (die beiden Tiere repräsentieren den falschen Staat und die falsche Kirche im Grundsatz), als das kirchengeschichtliche (das 1000jährige Reich repräsentiert die zur Kirchengeschichte gewordene Weltgeschichte) und das zeitgeschichtliche Prinzip (Anerkennung der Beziehung der Zahl 666 auf Nero).

Da dem Bilderzyklus der Apokalypse jedenfalls eine Geschichte entsprechen muss, hat man im Grunde nur die Wahl zwischen einer für den Verfasser in Vergangenheit oder Gegenwart und einer für ihn in der Zukunft liegenden Geschichte. Letztere Annahme führte zu jener Unmasse willkürlicher Misshandlungen des Textes, welche die Geschichte der Auslegung dieses Buches füllen. Aber auch, wo man davon zurückgekommen ist, war man, damit die Auslegung sich nicht in rein zeitgeschichtliche Beziehung verliere, darauf bedacht, ein idealprophetisches Moment anzuerkennen, durch welches sich diese kanonisch gewordene Apokalypse immerhin noch recht merklich von den übrigen Produkten derselben Schriftgattung unterscheidet. So schon Lücke (StK 1829, 304), de Wette (Einl. 6413), Bunsen (Bibelwerk VIII 484), Reuss (Geschichte 6143 f), während andererseits auch Theologen vom Schlage eines Thiersch (Kirche im apostolischen Zeitalter 3 229 f) oder Wieseler (Zur Geschichte der neutestamentlichen Schriften 165 175 179f 184), die zeitgeschichtliche Erklärung anerkennend, in der Sage von Nero einen Anknüpfungspunkt fanden für die Weissagung gottfeindlicher Potenzen in der Weltgeschichte.

Es ist nur eine Schwachheit von Düsterdiek, wenn er den Glauben an die Wiederkehr eines toten Kaisers seinem Apokalyptiker nicht zutrauen zu dürfen meint (51 73 432 f). Seine eigene Domitian-Hypothese ist ja ganz von derselben Art, nur historisch weniger fundamentiert und sachlich geistloser (Beyschlag, StK 1888, 130).

So oder anders hat sich auf diesem Gebiete eine bemerkenswerte gegenseitige Annäherung der zuvor feindselig sich widerstrebenden Richtungen vollzogen. Nur die zeitgeschichtliche Auslegung aber wird sowohl den Analogien gerecht, welche die sonstige apokalyptische Literatur bietet, als auch speziell dem Programme des Werkes selbst, welches nicht Einblick in ferne Jahrhunderte und Jahrtausende in Aussicht stellt, sondern΄α δει γενέσθαι εν τάχει [was bald geschehen muss]1 1 22 6, weil ο καιρὸς ε̉γγύς [die Zeit nahe]1 3 22 10.

Nicht Kenntnisse der Welt- und Kirchengeschichte, sondern Kenntnis der Erfahrungen und Anschauungen des gleichzeitigen Judentums und Christentums sind die unerlässlichen Vorbedingungen für das Verständnis. Gleichwohl fehlt noch viel, dass mit dieser Erkenntnis Apokalypse aufgehört hätte, das mit 7 Siegeln verschlossene Buch zu sein. Der inneren Widersprüche sind so viele, die theoretische Vorstellungswelt scheint eine so tief in sich selbst gespaltene, die ganze Zeitlage kann so wenig durchgängig einheitlich bestimmt werden, dass aus diesen Wahrnehmungen neue Probleme hervorgehen mussten, welche die Einheit der Komposition und des religiösen Standpunktes betreffen.