AACR2 - RAK : grundsätzliche Unterschiede


von Margarete Payer


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942->: AACR2 - RAK : grundsätzliche Unterschiede. -- Fassung vom 2002-07-09. -- URL: http://www.payer.de/einzel/aacr2rak.htm. -- [Stichwort]

Letzte Überarbeitung:

Anlass: Fortbildungsveranstaltung des VDB am 2002-07-10, Stuttgart

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Informationswesen, Bibliothekswesen, Dokumentationswesen  von Tüpfli's Global Village Library.


1. Einleitung: AACR2 - "Voll-RAK"


Die Themafassung "AACR2 -RAK" ist korrekter als vielleicht beabsichtigt, denn die Anglo-American Catalogue Rules 2 entsprechen bei uns den "Regeln für die alphabetische Katalogisierung" von 1977 - den sogenannten "Voll-RAK". In beiden Fällen handelt es sich um:

Wie Sie wissen, ist Voll-RAK sehr schnell durch die Regeln für die alphabetische Katalogisierung in wissenschaftlichen Bibliotheken ersetzt worden, da man für die Verbünde einheitliche knappere Regeln brauchte. So benutzen heute alle wissenschaftlichen Bibliotheken und die meisten der Spezialbibliotheken in Deutschland und Österreich RAK-WB. Also interessiert uns hier der Vergleich zwischen AACR2 und RAK-WB. Die öffentlichen Bibliotheken, die RAK-ÖB bzw. RAK-ÖB alternativ anwenden, müssen diesen Vergleich getrennt durchführen.


2. Unterschiede in ausgewählten Bereichen


 

AACR2

RAK-WB

1. Anwender: alle Bibliotheken jeglicher Größe nur wissenschaftliche Bibliotheken und Spezialbibliotheken
2. Objekte der Katalogisierung: alles, was vorkommen kann alles, was vorkommen kann
  in einer Ausgabe integriert in getrennten Ausgaben
3. Aufbau des Regelwerks: klare Trennung der für eine Katalogaufnahme wesentlichen Bereiche gemäß der typischen Vorgehensweise eines Katalogisierers

(d.h. man kann ein Buch nach ISBD beschreiben, ohne auf Eintragungs- und Ansetzungsregeln zu achten)

die Teile sind inhaltlich aufeinander bezogen: die bibliographische Beschreibung hängt von den Bestimmungen zur Eintragung und Ansetzung ab
  keine Ordnungsregeln Ordnungsregeln vorhanden
4. Anwendung internationaler Regelungen:    
4.1. International Standard Bibliographic Description: als Grundlage die ISBD(G) von 1977

(Reihenfolge und Deskriptionszeichen eingehalten, leichte Abweichungen in der Terminologie)

als Grundlage ISBD(M) (auch für fortlaufende Sammelwerke)
  weitere ISBDs für Sondermaterialien weitere ISBDs für Sondermaterialien

(abgesehen von der zu ergänzenden Körperschaft sind die Unterschiede marginal, bzw. sind in neueren Teilen schon herausgenommen. Beispiel: GMD)

4.2. Statement of principles (Pariser Empfehlungen von 1961) Prinzip der Ansetzung von Namen wird übernommen, aber mit Betonung der Möglichkeiten der Ansetzung in englischer Sprache

(zu Sprachpräferenzen s. 3.1. )

Prinzip der Ansetzung von Namen wird übernommen, Bevorzugung des offiziellen Namens, aber keine Unterscheidung gleichnamiger Personen
  Prinzip der Einheitsaufnahme mit Haupt- und Nebeneintragungen ist übernommen Prinzip der Einheitsaufnahme mit Haupt- und Nebeneintragungen ist übernommen
5. Umschrift: Transliterationstafeln der ALA/LC

[Vorschrift: bei Anwendung des Regelwerks in einem anderen Sprachgebiet müssen die dort üblichen Listen herangezogen werden]

(Unterschiede sind zum Teil erheblich:  m.E. lohnt es sich z.B. nicht, Aufnahmen arabischer Werke aus der LoC zu übernehmen)

im allgemeinen die deutsche wissenschaftliche Transliteration , teilweise DIN-Norm
6. Ausgewählte Begriffe, Ansetzungen und Eintragungen:    
6.1. Verfasserbegriff: personal author: die Person, die für das Erschaffen des intellektuellen oder künstlerischen Inhalt eines Werkes hauptsächlich verantwortlich ist Verfasser: Personen, die ein Werk oder ein Teil eines Werkes erarbeitet haben, das gilt auch für Verfasser von Katalogen, Bibliographien usw.
  Ansetzung moderner Namen nach Staatsbürgerprinzip, andere möglichst in englischer Sprache Ansetzung nach Staatsbürgerprinzip bzw. nach Sprachprinzip
  erhält im allgemeinen die Haupteintragung

(d. h. der Verfasserbegriff ist weiter gefasst. So kann auch bei einer Schrift mit 4 Verfassern ein Verfasser die Haupteintragung bekommen.)

Haupteintragung erhält der einzige Verfasser, bzw. der Verfasser einer Zwei- oder Drei-Verfasserschrift, wenn diese Schrift gemeinschaftlich verfasst wurde

(das wird mit formalen Kriterien festgestellt)

6.2. Körperschaft: "Eine Körperschaft ist eine Organisation oder eine Gruppe von Personen, die mit einem besonderen Namen identifiziert ist, und die als eine Entität handelt oder handeln könnte." (21.1B1.) (Es muss ein spezifischer Name sein, nicht nur eine allgemeine Beschreibung.)(Der Begriff ist etwas weiter als in RAK, daher können auch Schiffe Körperschaften sein.) "Als Körperschaften gelten hier unabhängig von der juristischen Definition: a) sämtliche Personenvereinigungen, Organisationen ... , die eine durch ihren Namen individuell bestimmbare Einheit bilden, ...

b) die territorialen Einheiten (Gebietskörperschaften), z.B. Staaten ... und ihre Organe..." (§ 631)

  Territoriale Einheiten werden unter "Geographic names" abgehandelt (Kap. 23)  
  Ansetzung: Im allgemeinen in der offiziellen Form.

Unterschiede:

  • geographische Namen nach Möglichkeit englisch
  • andere Regeln zu Unterscheidungshilfen

z.B. Blauer Adler (Association)

z.B. Center for Radiation Research (National Measurement Laboratory (U.S.))

  • andere Lösungen für über- und untergeordnete Körperschaften
  • andere Lösungen bei Kongresskörperschaften (so wird ein Kongress einer Körperschaft dieser untergeordnet angesetzt)
Ansetzung: Im allgemeinen in der offiziellen Form
  Festlegung der Haupteintragung unter Körperschaft erfolgt im wesentlichen nach inhaltlichen Kriterien:
  • wenn es um die Verwaltung der Körperschaft u.ä. geht
  • bei bestimmten Typen von Werken
  • wenn das kollektive Denken wiedergegeben wird
  • Bericht über die kollektive Tätigkeit einer Konferenz
  • und weitere Punkte (vgl. 21.1B2)

(Das führt dazu, dass zum Teil weniger Haupteintragungen unter Körperschaften gemacht werden, aber bei offiziellen Texten wie Gesetzen, Verwaltungsverordnungen, Gesetzestexten der Kirchen usw. wesentlich mehr Haupteintragungen unter Körperschaften vorgeschrieben sind. vgl. 21.31.)

Festlegung der Haupteintragung unter Körperschaften erfolgt im wesentlichen nach formalen Kriterien:
  • Haupteintragung unter Urheber ist nur möglich, wenn es sich um ein anonymes Werk handelt und wenn die Körperschaft im Sachtitel genannt oder zu ihm zu ergänzen ist. (vgl. § 639)

 

6.3. Uniform title: Uniform title: EST, Ansetzungstitel und Formalsachtitel:
  Der Begriff umfasst Einheitssachtitel , Ansetzungstitel und Formalsachtitel der RAK ein Einheitssachtitel wird einheitlich für alle Ausgaben eines Werks bestimmt (vgl. § 20,2.)
  im allgemeinen wird mit und unter dem Uniform title die Haupteintragung gemacht bis auf eine Sonderregel bei RAK-Musik werden nur Nebeneintragungen unter Einheitssachtiteln gemacht.

Unter Ansetzungstiteln wird die Haupteintragung gemacht. (Diese Titelart kommt eher bei alten Werken vor.)

Beim Formalsachtitel wird nur mit dem Begriff "Verfassung" eine Haupteintragung gemacht

  Ansetzung: Einheitssachtitel werden teilweise in englischer Sprache angesetzt. Formalsachtitel werden immer englisch angesetzt. Ansetzung: Einheitssachtitel werden nach internationalen Gepflogenheit angesetzt. Formalsachtitel werden immer deutsch angesetzt.
  Formalsachtitel (ohne Sondermaterialien): Works; Selections; Plays; Plays, Selections; Short stories; Posters; Fragments; Laws; Constitution; Treaties usw. Formalsachtitel (ohne Sondermaterialien): Sammlung; Festschrift; Verfassung; Vertrag

3. Beispiele für übergreifende Prinzipien


3.1. Sprachpräferenz


Gemäß den AACR2 soll die Sprachpräferenz Englisch bei nicht englischsprachigen Anwendern durch die Sprachpräferenz des eigenen Landes ersetzt werden. Herr Popst hat sich die Mühe gemacht, die dazu einschlägigen Paragraphen zur Ansetzung herauszusuchen und zählt 34 Paragraphen auf (11 bei Personennamen, 1 bei geographischen Namen, 14 bei Körperschaften und 8 bei Uniform title.) Diese Regelungen werden m.E. noch dadurch erschwert, dass das Prinzip der Ansetzung in englischer Sprache meistens nach dem Bekanntheitsgrad des Namens in englischer Sprache geht. D.h. für eine Anwendung bei uns, dass wir nur dann eine deutsche Form nehmen dürfen, wenn auch in Deutschland der Bekanntheitsgrad entsprechend ist.

Horace

Francis, of Assisi, Saint

Augustine, Saint, Bishop of Hippo

Darmstadt (Germany : Landkreis) (Landkreis, weil es keinen passenden englischsprachigen Ausdruck gibt)

Homer [Odyssey] und nicht: Homer [Odyssea]


3.2. Entscheidungsspielraum


Während RAK-WB dem Katalogisierer praktisch keinen Entscheidungsspielraum lässt, - lässt die AACR2 auf allen Ebenen Entscheidungen zu.

Nur auf Verbundebene oder auf der Ebene einer Einzelbibliothek, die nirgends angeschlossen ist, kann von der RAK her beschlossen werden, dass Aufnahmen ausführlicher (z.B. Bibliotheken für ihre Sondersammlungen) oder kürzer (z.B. Erwerbungs- und Konversionsaufnahmen)  gemacht werden dürfen. Es darf dann auch festgelegt werden, dass mehr, weniger oder keine Nebeneintragungen gemacht werden.

Nach AACR2 kann eine Verbundebene z.B. festlegen, welche Regeln für den uniform title genommen werden sollen (vgl. 25.1A.). Aber auch unter Alternativen und weiteren Möglichkeiten kann gewählt werden, es sollte dann allerdings schriftlich festgehalten werden. Dafür sind die Rule interpretations der Library of Congress ein Beispiel: sie bieten ausführliche Erklärungen, Festlegungen und zusätzliche Regelungen.

Auf der Ebene eines Verbundes aber auch der Bibliotheken könnte man sich nach AACR2 z.B. entscheiden, welche Stufe der Ausführlichkeit der Titelaufnahmen gewünscht wird. Das muss dann aber nicht für alle Aufnahmen einer Bibliothek gelten, so könnte eine SSG-Bibliothek für den Normalfall die Stufe 2 wählen, für die SSG-Literatur die Stufe 3 und für Randliteratur die Stufe 1. Wenn man einmal gewählt hat, muss man die entsprechenden Anforderungen durchhalten. Mehr hinzuzufügen ist allerdings immer möglich. Eine normale RAK-WB-Aufnahme ist ausführlicher als Stufe 1, erfüllt aber nicht alle Anforderungen von Stufe 2.

Der Katalogisierer kann von Fall zu Fall Alternativen und Optionen wählen, weil "in verschiedenen Zusammenhängen verschiedene Lösungen eines Problems und verschiedene Stufen der Ausführlichkeit und Spezifität angemessen sind." (s. 0.7)

"0.9. Festlegungen und Interpretation aufgrund des Urteils des Katalogisierers sind nötig. Eine solche Beurteilung und Interpretation kann sich aufgrund der Erfordernisse eines bestimmten Katalogs ergeben oder aufgrund des Verwendungszweckes des Katalogisierungs-Objektes. Die Notwendigkeit, ein Urteil zu fällen, wird in diesem Regelwerk angezeigt durch Wörter und Ausdrücke wie wenn angemessen, wichtig und wenn nötig. ... Sie ermutigen zur Anwendung des individuellen Urteils aufgrund der Kenntnis der besonderen örtlichen Gegebenheiten...."


4. Schluss


 Für eine Einzelbibliothek oder auch für einen kleinen Verbund, der unabhängig ist, ist AACR2 ein sehr ergiebiges Regelwerk, da jede Bibliothek den Katalog auf die Bedürfnisse der eigenen Benutzer hin zuschneiden kann.

Handelt es sich aber beim Anwender um einen größeren Verbund, der überregional eingebunden ist, sind die Regelwerke selbst ja nur die Hälfte der Vorschriften. Bezüglich AACR2 müsste man in den Vergleich u.a. unbedingt die Rule interpretations   der LoC einbeziehen.

Weiterhin müsste bei einem Vergleich untersucht werden, wie neue Regelungen geschaffen werden, die wir ja allein wegen der neuen Materialien immer wieder brauchen: wie umständlich ist der Weg dazu?

Ich möchte ein aktuelles Beispiel aus dem Südwestverbund aufgreifen, um zu zeigen wie wichtig die Welt unterhalb der Regelwerke ist. Am Montag kam eine Mail vom Bibliotheksservice-Zentrum, dass es doch möglich sein sollte, den Nachweis von elektronischer und konventioneller Ausgabe in einer Aufnahme zu vereinigen. Dass dies zwar nach AACR2 möglich sei, nicht aber nach RAK. In der AACR2 ist das nicht vorgesehen, trotzdem gibt es Anwender einer solchen Regel. Ob diese Regel in die RAK - denn das wäre kein Problem - aufgenommen werden soll, ist längst heftig diskutiert worden und von den deutschen Verbünden (insbesondere auch dem SWB) abgelehnt worden. Die Gründe für die Ablehnung beruhten keineswegs auf Regelwerksauslegung, sondern stammten aus der praktischen Arbeit des Verbundes.