Katalogisierung von Internetdokumenten : die Vorgehensweise der Australischen Nationalbibliothek

Vortrag am 22. Mai 97, Bibliothekskongreß Dortmund 1997


von Margarete Payer


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Katalogisierung von Internetdokumenten : die Vorgehensweise der Australischen Nationalbibliothek ; Vortrag am 22. Mai 97, Bibliothekskongreß Dortmund 1997. -- Fassung vom 1997-05-22. -- URL: http://www.payer.de/einzel/dortm97.html. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 22. Mai 1997

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1. Einleitung


Die National Library of Australia ist eine der großen Bibliotheken, die sich sehr früh und konsequent um elektronische Texte angenommen hat. Das entspricht der vom australischen Gesetzgeber festgelegten Aufgabe der Nationalbibliothek, das kulturelle Erbe Australiens zu sammeln, zu erschließen, zur Verfügung zu stellen und zu bewahren.

In Vorbereitung auf das Jahr 2001 -- der Jahrhundertfeier des Commonwealth of Australia -- werden in Australien große Anstrengungen unternommen, um das kulturelle Erbe an spätere Generationen weitergeben zu können. Wie konsequent man die Aufgabe des Bewahrens ansieht, zeigt sich z.B. auch darin, daß die Nationalbibliothek ein eigenes Studio hat, um Personen der Zeitgeschichte zu interviewen und ein eigenes Labor, um diese Dokumente zu bewahren.

Aber nicht nur das Bewahren steht im Vordergrund sondern ebenso das Zurverfügungstellen von Dienstleistungen an australische Bibliotheken und Australier. So war es selbstverständlich, daß die Bibliothek sich verpflichtet fühlte, federführend für viele beteiligte Bibliotheken, Archive, Kommissionen u.ä. für die Bewahrung und Vermittlung elektronischer Dokumente Konzepte zu entwickeln und auszuprobieren. Der Schwerpunkt der Bemühungen liegt auf Internetressourcen, d.h. Ressourcen ab dem Jahr 1990. In der Bibliothek laufen diese Bemühungen u.a. als Projekt PANDORA = Preserving & Accessing Networked Documentary Resources in Australia.


2. Sonderrolle elektronische Periodika


Die Rolle der Bibliothek als Dienstleistungszentrum sieht man besonders gut bei der Behandlung von elektronischen Periodika: Die Bibliothek weist sämtliche auf Australien bezogene Periodika im weitesten Sinn über ihren Server nach, der frei zugänglich ist. Seit Anfang 1995 werden zwei Listen angeboten

  1. Australian journals -- zur Zeit etwa 1400 elektronische Zeitschriften klassischer Art. Über diese Liste kann man sich eine ISSN besorgen; dieser Service wird aber wenig in Anspruch genommen.

  2. Australian journals on-line -- sonstige Periodika, vor allem mit gewerblichem Hintergrund, mit weniger regelmäßiger Webpräsenz.

Die Titel werden mit einer kurzen Beschreibung erfaßt -- aber so, daß man sich eine gute Vorstellung machen kann, und sie werden möglichst mit ihrer Internet-Kontaktadresse versehen, so daß man direkt auf die Periodika zugreifen kann. Diese Links werden regelmäßig überprüft und korrigiert. Der Service wird gut angenommen: schon Mitte 1996 wurden monatlich durchschnittlich 2500 Besuche auf den Listen registriert. Die Nutzer können über diese Listen auch neue Titel melden, was sie aber praktisch nicht nutzen. So müssen die Bibliothekare selbst regelmäßig im Netz Neuerscheinungen suchen. Die Listen sind alphabetisch sortiert und bieten die Möglichkeit einer sachlichen Suche.

Während man bemüht ist, in diesen Listen wirklich alle auf Australien bezogenen elektronischen Periodika zu führen, ist man vom ursprünglichen Vorhaben abgekommen, alle diese Periodika auch in die Nationalbibliographie zu übernehmen. Die Auswahlkriterien werde ich später behandeln. Als Hauptproblem bei der Auswahl, sieht man die Frage, was "auf Australien bezogen" alles bedeutet: muß z.B. der Herausgeber Australier sein oder der Originalserver in Australien beheimatet sein?


3. Probleme mit Internetressourcen und Lösungsansätze


  1. Jeder kann sein eigener Verleger sein, daher ist die Qualität der Ressourcen sehr unterschiedlich. Man muß wegen der Quantität auswählen. Auf die Auswahlkriterien gehe ich in einem eigenen Punkt ein.

  2. Es besteht keine Garantie, daß die Dokumente an einem Ort bleiben d.h. man hat sich mit ständig ändernden Internetadressen zu beschäftigen. Man erhofft sich Hilfe von der Einführung des Uniform Resource Identifiers, der von der Internet Engineering Task Force vorgeschlagen ist. Insbesondere die URN (Uniform Resource Name) soll ja ähnlich wie die ISBN´s ein Internetdokument eineindeutig unabhängig von seinem Ort beschreiben. Solange bis sich die URN durchgesetzt hat, sieht man in den PURL´s (Persistent Uniform Resource Locator) von OCLC einen Weg.

  3. Die Dokumente können jederzeit überarbeitet werden, so daß nicht gesichert ist, daß man die nachgewiesene Version noch einsehen kann. Also muß man gewünschte Versionen im eigenen Server speichern. Wenn der Text sehr wichtig ist, besucht man regelmäßig die Originalstelle und speichert dann eventuell eine weitere Version ab.

  4. Viele Dokumente sind keine geschlossenen Einheiten, sondern sind verknüpft mit anderen Dokumenten. Wie soll die Aufbewahrung für längere Zeiten aussehen?

  5. Das australische Copyright-Gesetz von 1968, das die Pflichtabgabe für die Nationalbibliothek regelt, hat selbstverständlich noch keine Aussagen zu elektronischen Materialien. Man bemüht sich um eine Änderung des Gesetzes, damit die Bibliothek sämtliche elektronischen Materialien erhält. In Bezug auf Internetdokumente braucht man das Recht, Daten auf den eigenen Server zu laden und umzuformatieren, wenn das aus Bewahrungsgründen nötig ist. Wegen der Menge der Ressourcen benötigt man weiterhin das Recht auf Auswahl für die bibliographische Anzeige. Der heikelste Punkt ist das Recht der Bibliothek, die geladenen Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Es wird von Seiten der Bibliothek gefordert, daß auch verschlüsselte Daten zumindest der Forschung offen zur Verfügung gestellt werden müssen. Zur Zeit gibt es eine freiwillige Zustimmung der Verlage, elektronische Materialien mit Ausnahme von Internetdokumenten abzuliefern. Will die Bibliothek Internetdokumente speichern und zur Verfügung stellen, bittet sie in jedem einzelnen Fall um die Erlaubnis.

  6. Das Problem der Authentizität: man muß sich sicher sein, daß das vorliegende Dokument wirklich in der vom eigentlichen Verfasser gewollten Version vorliegt. Es wird überlegt, ob nicht die Bibliothek einen Nachweis digitaler Signaturen (Unterschriften) führen soll und damit eine Art Echtheitszertifikat austeilen kann.

  7. Das Problem mit elektronischen Texten insbesondere elektronischen Zeitschriften, die man subskribieren und bezahlen muß und die nur mit Paßwort zugänglich sind. Diese Texte dürfen nicht für die weltweite Öffentlichkeit mittels des Bibliotheksservers frei zugänglich sein. Auf der anderen Seite müssen auch diese Texte genauso wie bezahlte Zeitschriften dem Benutzer zur Verfügung gestellt werden. Man will diese Dokumente im Lesesaal benutzen lassen, wobei die Bibliothekare im Lesesaal dann für die Paßwortverwaltung zuständig sind.

  8. Das Problem der Katalogisierungsregeln: zur Zeit nimmt man die Anglo-American Cataloguing Rules 2. ed., die subject headings der LoC und erfaßt in US-MARC, wobei man das Feld 856 nicht in aller Ausführlichkeit benutzt. Man wünscht sich aber, daß die Verfasser der Ressourcen die Metadaten selbst eingeben und hofft, daß sich das Dublin Core Metadata Set bald durchsetzt. Die Nationalbibliothek setzt sich für letzteres sehr ein, indem sie es den australischen Verlegern empfiehlt und sich aktiv an der Fortentwicklung beteiligt. Man erwartet, daß die Verleger und Verfasser diese Metadaten erstellen, der Bibliothek melden und dann zusammen mit einer eventuell notwendigen Korrektur den Dokumenten hinzufügen -- also ein Cataloguing in publication of electronic documents.

  9. Das Problem des Bewahrens: Bibliotheken können nicht darauf vertrauen, daß Verleger oder einzelne Verfasser elektronische Publikationen auf Dauer aufbewahren und diese auf Dauer der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Da die Nationalbibliothek sich allein nicht in der Lage sieht, alle Dokumente zu bewahren, werden Absprachen mit Staatsbibliotheken, Archiven, Universitäten, Verlegern u.ä. getroffen, wer welche Dokumente speichert. Z.B. werden die Staatsbibliotheken (Landesbibliotheken) die Amtsdruckschriften ihres Landes sammeln, Universitäten ihre eigenen Veröffentlichungen. Für die Langzeiterhaltung der Dokumente sieht man vor, diese jeweils auf die neueste Hard- und Software überzuleiten (wandern zu lassen "migration"). Man nimmt dabei bewußt in Kauf, daß dadurch vielleicht Aspekte des Dokuments verloren gehen, z.B. interaktive Elemente.


4. Die Auswahl der Dokumente


Sehr viel Mühe gibt sich das Selection Committe on Online Australian publications (SCOAP) mit der Auswahl der Dokumente. Im Prinzip gelten die allgemeinen Regeln für die Sammlungspolitik der Nationalbibliothek, die auch bei konventionellen australischen Materialien schon immer nur eine Auswahl gesammelt hat. Schon 1994 wurde beschlossen, daß die Bibliothek sich bei elektronischen Dokumenten konzentriert auf das Sammeln von Material, das für das Verstehen von Geschichte und Entwicklung Australiens wichtig ist. Dabei will man manches umfassend sammeln (z.B. alle Publikationen der Bibliothek selbst), manches nur als Beispiel und manches überhaupt nicht (z.B. Werbung).

Die Kriterien im Einzelnen:


5. Die praktische Vorgehensweise


Die australische Nationalbibliothek hat zum Bearbeiten elektronischer Dokumente eine neue Abteilung Australian Electronic Unit aus unterschiedlichen Abteilungen zusammengestellt. Dieses neue Team besteht aus 4 Bibliothekaren, die neben der praktischen Arbeit auch für das Erarbeiten von Konzepten zum Thema u.ä. zuständig sind.

[s. Philipps, Margaret: Ensuring long term access to online Australian publications : national Library of Australia initiatives. -- 1997. -- Zugriff am 20. 5. 97]

Diese Vier suchen täglich je etwa eine Stunde im Internet und identifizieren Titel, die für das Sammeln in Frage kommen. Zusammen mit allerdings eher seltenen Vorschlägen aus anderen Abteilungen werden die gesammelten Titel über e-mail allen Mitgliedern der Gruppe zum Betrachten gemeldet. In einer alle 14 Tage stattfindenden Sitzung wird besprochen, welche Titel den Auswahlkriterien entsprechen. 1996 sind von etwa 1800 Dokumenten dann aber nur 160 Titel ausgewählt worden, 9% der Dokumente, d.h. pro hauptamtlichem Mitarbeiter nur 40 Zugänge pro Jahr. Jedes Teammitglied ist mit diesen Arbeiten (einschließlich Katalogisierung) etwa einen Tag in der Woche beschäftigt. Eine Kostennutzenrechnung dieser Prozedur mit Alternativmöglichkeiten liegt nicht vor.

Beim Surfen durch das Internet nutzt man für Titel über Australien die bekannten Suchmaschinen. Literarische Texte von Australiern kann man damit natürlich nicht finden. Hier hat das Team inzwischen große Erfahrung, an welchen Stellen man suchen kann, z.B. kennt man Seiten, die weiterhelfen. Nach Aussagen der Teamleiterin ist es Glücksache, etwas zu finden.

Bei der Qualitätsbeurteilung wissenschaftlicher Texte verläßt man sich auf seine bibliothekarische Erfahrung mit Printtexten. Bei der Auswahl von Home-Pages wird darauf verwiesen, daß man die Sammlungen der Nationalbibliothek gut kennt und weiß, was nötig ist, ohne umfangreiche Recherchen anstellen zu müssen. Im Zweifelsfall nimmt man das Dokument.

Am meisten Arbeit bringt die Begutachtung der technischen Eigenschaften eines Dokuments: das Feststellen des Formats, die Art und Weise von internen und externen Hypertext Links, Format und Gebrauch von Multimedia, das Vorliegen von Metadaten und die Dateigröße. Man rechnet etwa 1 Stunde pro Titel für diese Arbeit.

Es ist zu beachten, daß die Auswahl für die Aufnahme in die Nationalbibliographie noch nicht bedeutet, daß das Dokument auch in der Bibliothek selbst gespeichert wird. Das ist eine weitere Auswahl, für die ja auch zur Zeit erst noch die Erlaubnis des Verlegers oder Verfassers eingeholt werden muß. Entscheidet sich die Bibliothek für das Speichern, werden in der Titelaufnahme beide URLs als Links angegeben: einmal die URL der Originalstelle und einmal die URL auf dem Bibliotheksserver.


6. Schlußbemerkung


Aus den Erfahrungen der Australian Electronic Unit heraus konnte im Oktober 1996 ein Strategiepapier vorgelegt werden:

National Strategy for provision of access to Australian electronic publications : a National Library of Australia position paper. -- October 31, 1996. -- URL: http://www.nla.gov.au/policy/paep.html. -- Zugriff am 20. 5. 97

Dieses Papier wurde allen interessierten Stellen in Australien zur Beurteilung vorgelegt. Man muß damit rechnen, daß sich an der Vorgehensweise der Australischen Nationalbibliothek noch Änderungen ergeben.


ENDE