Cybrarian real

vom Tagtraum zur konkreten Utopie


von Margarete Payer

mailto: payer@hbi-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Cybrarian real : vom Tagtraum zur konkreten Utopie. -- Fassung vom 11. Juni 1995. -- URL: http://www.payer.de/einzel/margaret.htm. -- [Stichwort].

Anlaß: Vortrag am Bibliothekartag 1995 in Göttingen

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Verfasserin.


Einleitung

Ostern dieses Jahres verbesserte sich meine Lebensqualitaet erheblich: endlich war mein Wunschtraum in Erfuellung gegangen, den Katalog der UB Tuebingen von zu Hause aus benutzen zu koennen. Dadurch wird das Angebot der UB fuer mich wieder interessant oder vorsichtiger ausgedrueckt, ich ziehe es wieder in Betracht meine Heimatbibliothek fuer meinen Informationsbedarf zu nutzen. Da ich fuer mein Fach nicht auf historische Bestaende angewiesen bin, habe ich mir laengst angewoehnt, Informationen ueber die Netze zu beziehen, insbesondere Literatur als Volltext zu holen oder per Knopfdurck als CD-ROM oder als Buch zu bestellen. Ich nutze die current contents, kann die neuesten Diskussionen verfolgen und habe die Moeglichkeit weltweit mit Kollegen zu kommunizieren, die die gleichen fachlichen Interessen haben. Zur Abrundung besuche ich regelmaessig grosse Buchhandlungen, wo ich die Neuerscheinungen in meinem Gebiet abrundend verfolgen kann. Als Benutzer muss ich sagen, dass ich fuer mein Fach die Bibliothek nicht mehr brauche.

Warum belaestige ich Sie mit meinen Erfahrungen? Ganz einfach: das ist genau das, was inzwischen in vielen Wissenschaftsfaechern insbesondere in den Naturwissenschaften passiert. Gerade von Physikern, Mathematikern und verwandten Wissenschaftlern hoert man, dass sie mehr und mehr ihre Texte - mindestens jedoch die aktuellen Preprints - im Netz veroeffentlichen und so die Bibliotheken immer weniger nutzen.

Viele Bibliotheken haben das erkannt und wollen sich nicht zu Buchmuseen entwickeln. So weiss man laengst, dass Bestandteil im Angebot einer Bibliothek nicht nur der eigene OPAC sein darf, sondern selbstverstaendlich weitere Informationen also bei eine UB das aktuelle Vorlesungsverzeichnis, Nachweis fuer Zimmer, fuer Stipendien, das universitaete Telefonverzeichnis, Beschreibung der Institute und Seminare u.ae. und darueberhinaus der Durchgriff auf Verbundkataloge, Fachdatenbanken, Volltexte usw.

Man weiss, dass sich die Einstellung aendern muss: wir duerfen nicht mehr erwarten, dass die Benutzer in die Bibliothek kommen, sondern wir muessen zum Benutzer kommen - konkret: unser Service muss im Wohn- und Arbeitszimmer des Benutzers stattfinden. Die entsprechenden Investitionen in Netze, die fuer Deutschland sowieso notwendig sind, um international zu ueberleben, rechnen sich im uebrigen auch fuer Bibliotheken: So wird man in Berkeley darauf hingewiesen, dass der Satellit, der fuer den Datenaustausch der Universitaet hochgeschossen wurde, der Universitaetsbibliothek grosse Einsparungen bietet, z.B. dadurch dass die Benutzer ihre eigenen Computer zu Hause haben, braucht man nicht so viele Computer fuer die Bibliothek anzuschaffen, man muss die PC's nicht warten und nicht ersetzen. Ausserdem muessen weniger Drucker angeschafft, gewartet, mit Papier (eventuell mit Abrechnung) versehen und ersetzt werden. Zusaetzlich beduerfte es eine Menge Platz, die benoetigte Anzahl Computer aufzustellen.

Im folgenden werde ich drei Bereiche herausgreifen, die m.E. fuer Bibliotheken im Netzzeitalter aeusserst wichtig sind: die Bereitstellung der Dokumente, der Bibliotheksbau als Erschliessung und die Sicherung des freien Zugangs zu Resoucen.

1. Bereitstellung der Dokumente

Der Bibliothekar heute muss sich wieder verantwortlich fuehlen fuer das Sammeln und Bereitstellen von Dokumenten jeglicher Art: es darf nicht sein, dass aktuelle wissenschaftliche Dokumente an den Bibliotheken vorbeigehen und dadurch eventuell nur einem kleinen Kreis Eingeweihter zur Verfuegung stehen. Da keine materialisierte Bibliothek heute mehr in der Lage ist, auch nur alles Wesentliche fuer die Wissenschaft zur Verfuegung zu stellen, ist auf einen gemeinschaftlichen Pool, eine gemeinschaftliche sinnliche virtuelle Bibliothek hinzuarbeiten - und zwar international. Ein aehnliches Anliegen auf nationaler Ebene verfolgt bekanntlich das Subito-Projekt. Man koennte sich das wie ein weltweites Sondersammelgebietsprogramm vorstellen: z.B. eine Bibliothek spezialisiert sich darin, mathematische Texte im Netz zur Verfuegung zu stellen; die Nationalbibliotheken stellen jeweils ihre Nationalliteratur zur Verfuegung; Musikbibliotheken spielen jeweils bestimmte Komponisten ins Netz ein; die Zeitschriftendatenbank fischt nach deutschen elektronischen Zeitschriften, speichert sie und stellt sie dem Netz zur Verfuegung; das deutsche Literaturarchiv in Marbach koennte seine Autographen, die Landesbibliotheken ihre mittelalterlichen Handschriften, die Bibliothek des Vatikans, die ja schon wertvolle Handschriften im Netz zeigt, ihre Rara und kirchlichen Dokumente, Gemaeldegalerien ihre Gemaelde, Filmarchive ihre Filme digitalisieren und im Netz einschliesslich angemessener Erschliessung zur Verfuegung stellen. Es koennen sich dabei durchaus mehrere Institutionen zusammentun, um den Arbeitsanfall zu bewaeltigen. Z.B. haben sich Carnegie Mellon, Cornell, Stanford, Massachusetts Institute of Technology und die Universitaet von Kalifornien zusammengetan, um eine Datenbank mit Dokumenten zum Thema Computer-Wissenschaften zu erstellen und formal und sachlich zu erschliessen. (Zitat)Es geht ja keineswegs nur um das Sammeln und Erschliessen, welches beides mehr oder weniger automatisiert werden koennte - mit Programmen wie Archie, World Wide Webe Worm u.ae. - sondern um das Auswaehlen qualifizierter Objekte, denn der Netzbenutzer wird ja zur Zeit ueberschwemmt mit Informationen, fuer die das Benutzen der Delete-Taste schon zu aufwendig ist. Wenn Sie sich ueberzeugen wollen, schauen Sie doch mal in bestimmte USENET- Foren.

Diese Angebote werden dann weltweit in einer virtuellen Bibliothek nachgewiesen und automatisch auf dem Laufenden gehalten. Die entsprechenden Austauschstandards wie Z 39.50 bzw. S+R liegen ja schon vor.

2. Bibliotheksbau als Erschliessung : oder lasst uns viele virtuelle Bibliotheken bauen, indem wir die Dokumente der Welt auf massgeschneiderten Buchregalen unseren Benutzern anbieten

Als die Buechermengen in den Bibliotheken noch ueberschaubar waren, reichte zum Suchen eine grobe systematische Aufstellung. Als dann die Menge anwuchs und dann auch magaziniert werden musste, brauchte man Kataloge. Je weiter das Buch vom Benutzer entfernt wurde, desto diffiziler wurden die Katalogisierungsregeln. In einer virtuellen Bibliothek aber kann der Benutzer sich wieder verhalten, wie wenn es vor dem Buecherregal staende: der Unterschied ist nur, dass er sich per Knopfdruck das Buecherregal schafft. Die Aufgabe des Bibliothekars ist es, das Buecherregal dem jeweiligen Beduerfnis des Benutzers entsprechend zu schaffen, bzw. dem Benutzer mit bibliothekarischem knowhow beizustehen, sich selbst die entsprechende Bibliothekslandschaft in seinem Wohnzimmer zu erzeugen. Dies schliesst selbstverstaendlich auch die Mitwirkung von Bibliothekaren bei der Entwicklung programmierter bibliothekarischer Hilfskraefte sogenannter knowbots (knowledge roboters) ein. Sowenig die Bibliothekare der Zeit nachtrauern, in der sie einen Teil ihrer Arbeit dem Katalogeinlegen widmeten, sowenig werden sie darueber betruebt sein, dass ihnen sinnvoll gestaltete Programme einen Teil der klassischen Auskunftsarbeiten abnehmen werden.

So kann ein Benutzer z.B. erwarten, dass ihm automatisch die jeweils neuesten Resourcen, die seinem Profil entsprechen, vorgestellt werden - und zwar vom traditionellen Buch ueber das dazu passende Video bis zum elektronischen Text. Die neuesten Resourcen werden mit Hilfe des weltweiten Pools der virtuellen Bibliothek herausgesucht.

Da eine zentral organisierte weltweite virtuelle Bibliothek wie sie das Projekt Xanadu angestrebt hat, bisher technisch nicht als realisierbar erwiesen hat, und da politisch das anarchistische Modell des Internet viel wuenschbarer ist, gilt es einen Weg zu finden, dass Anarchie der Resourcenverbreitung nicht in toedliches Chaos ausartet. Diese Spannung zwischen Anarchie und Chaos ist fuer eigenbroetlerische Bibliothekare ein Problemfeld, in dem sie viel Erfahrung einbringen koennten. Ein grossartiges Loesungsmodell ist z.B. MELVYL, der Zentralkatalog der Bibliotheken der Universitaet von Kalifornien.

Gerade wenn man eine freie Konkurrenz von Loesungsvorschlaegen befuerwortet, die sich wie z.B. die URL's (Universal Resource Locator) oder http (Hypertext Transfer Protocol) dann auch in unwahrscheinlich kurzer Zeit durchsetzen, dann gilt die Maxime: wer zuerst kommt, malt zuerst. Will also ein Sprachraum nicht nur immer vor der Wahl stehen zu akzeptieren, was anderswo - konkret in den USA oder Finnland - entwickelt und verwirklicht wurde oder im Abseits zu stehen, dann muessen die Verantwortlichen aus diesem Sprachraum kreative Vorreiter sein. Der Schwerpunkt liegt dann ganz sicher nicht in der Mitarbeit in schwerfaelligen internationalen Organisationen und Kommissionen sondern in der Verwirklichung und im oeffentlich zugaenglich machen einschlagender ueberzeugender Angebote. Ein Bibliothekar als Kultfigur im Cyberspace wird seine wertvolle Zeit also nicht in erster Linie dazu verschwenden, dass Rad - sprich OPACs, Katalogkonversionsmethoden und dergleichen - nochmals zu erfinden. Ein Bibliotheksdirektor im Zeitalter des Cyberspace wird auch seine Unsterblichkeit nicht durch suendhaft teure Bibliotheksbauten zu verwirklichen suchen, sondern er wird in die Gallerie der grossen Bibliotheksdirektoren dadurch eingehen, dass er entscheidende Schritte zur Bibliothek ohne Mauern und Buecher eingeleitet hat.

Es erscheint sinnvoll, dass jede materialisierte Bibliothek ihren speziellen Benutzern den Zugang zu einer virtuellen Bibliothek bereitstellt: es kann gezielter und arbeitsteilig Hilfe angeboten werden (muendlich direkt, durch Telephon oder das Netz, oder schriftlich ueber e-mail, Foren, Konferenzen). Man koennte innerhalb der virtuellen Bibliothek den materialisierten Bestand der eigenen Bibliothek hervorheben. Eventuelle Abrechnungsverfahren koennten erleichtert werden.

In virtuellen Bibliotheken kommt es nicht mehr auf den Standort der Resourcen an, infolgedessen wird die strenge Trennung zwischen Erwerbung und Erschliessung hinfaellig. So wird Erschliessung zur Hauptaufgabe der Bibliothekare, insbesondere wenn man unter Erschliessung die gezielte Bereitstellung von Resourcen und Ausschnitten von Resourcen versteht.

Wie soll unter diesen Voraussetzungen die Erschliessung in einer virtuellen Bibliothek ausshen? Hierzu 5 Thesen:

- 1. In erster Linie ist die Resource (das Werk) und nicht die Vorlage zu erschliessen

- 2. Die Unterscheidung von Resource und Ausschnitten von Resourcen, von selbstaendigen und unselbstaendigen Werken ist hinfaellig

- 3. Die Vorschriften der ISBD (Standard bibliographic description) sind ueberholt

- 4. Eindeutige Identifizierbarkeit einer Resource ist das Gebot der Stunde

- 5. Sachliche und formale Erschliessung bilden eine Einheit.

These 1: In erster Linie ist die Resource (das Werk), nicht die Vorlage zu erschliessen

Traditionell wirdd eine Ausgabe eines Werkes vorlagegetreu erschlossen, weshalb jede unterschiedliche Ausgabe eine eigene Aufnahme erhaelt, auch wenn der Inhalt voellig identisch ist. Dieses Vorgehen war an materiellen Buchobjekten orientiert nicht an Inhalten. Das war unproblematisch fuer Einzelbibliotheken, wird aber schon schwierig, wenn mehrere Bestaende zusammengespielt werden und fuehrt spaetestens dann zu einer voellig unuebersichtlichen Trefferzahl, wenn ein Werk in einer virtuellen Bibliothek angeboten werden soll.

Und was sind denn eigentlich verschiedene Ausgaben bei z.B. Computerdateien? wenn der Text in ASCII, in Word Perfect 4.2 oder 6.0, in komprimierter Art, oder auf 5 1/4 Zoll oder 3 1/2 Zoll Disketten vorliegt? Oder soll jedesmal, wenn ein Text im Netz, der - wenn der Verfasser eifrig ist - jeden Abend geaendert werden kann, was dann ja eine neue Auflage waere, eine neue Aufnahme geschrieben werden?

Daraus folgt, dass die Resource als solche zu erschliessen ist. Ein solcher Vorschlag wird im USMARC Forum durchaus schon diskutiert, wobei von deutscher Seite - soweit ich sehe - nur B. Eversberg beteiligt ist (Zitat). Es sollen die wichtigsten Informationen ueber eine Resource als erster Einstieg angegeben werden. Daran sollen die Angaben fuer die einzelnen Ausgaben haengen. Sofern es sich um greifbares unterscheidbares Material handelt (konkret um Buecher, CD-ROMs, Videobaender), ist eine entsprechende Beschreibung zu liefern, wobei an dieser Stelle alle traditionellen digital erfassten Titelaufnahmen eingespielt werden koennen. Bei digitalisierten Werken im Netz ist der hypermediale Zugriff zu gewaehren, d.h. mit einem Mausklick kann man auf Metadaten zugreifen, "Metadaten" also Daten ueber Daten werden Katalogisate von elektronischen Texten genannt. Da man inzwischen davon ausgehen kann, dass niemand mehr alle gewuenschten Dokumente im Internet katalogisieren kann, wird vom Verfasser eines solchen Dokuments erwartet, dass er selbst die noetigen bibliographischen Metadaten liefert. Dafuer wurde in den USA mit wesentlicher Beteiligung von OCLC ein sogenanntes Dublin Metadata Core Element Set vorgeschlagen, praktisch eine Art Kurzbeschreibung. Diese Elemente werden im uebrigen gerade in SGML (Standard general markup language) eingearbeitet, und die Library of Congress ist dabei, diese Elemente in MARC einzubringen (Zitat).

Was sollen nun die wichtigsten Informationen zur Erschliessung einer Resource sein? In Anlehnung an die Informationen, die man fuer das obengenannte Dublin Set bzw. die man fuer eine URC (Uniform Resource Characteristics) benoetigt (Zitat), koennte man als wichtigste Elemente folgende herausziehen. (Sowohl das Dublin Set als auch die URC beziehen sich auf Ausgaben, so dass man ausgabebezogene Elemente hier weglassen muss.)

- Sachliche Beschreibung (Titel)
- Verantwortliche Person oder Personen
- Verantwortliche Koerperschaft oder Koerperschaften
- urspuengliches Erscheinungsjahr
- Originalsprache
- Schlagworte
- Systemstelle
- Abstract

Um diese Grundmetadaten mit den einzelnen Ausgaben zu verknuepfen, koennte man dort so fortfahren - aber das ist dann die Aufbereitung fuer den Bildschirm:

Erschienen als Buch, Mikrofiche, Tonkassette, CD-ROM, elektronischer Text [Die Auswahl ist jeweils nur dann anklickbar, wenn das Objekt in einem der Materialien vorliegt.]

Klickt man "Buch" an, erhaelt man eine Uebersicht, die etwa so aussehen koennte:

Erstausgabe
andere Ausgaben in Originalsprache
Uebersetzungen

Auf der naechsten Ebene befinden sich dann die jeweils genaueren Angaben.

Klickt man "elektronischer Text" an, koennte die Uebersicht so aussehen:
ASCII-Text
Postscript
usw.

dann die Angabe der URN (Uniform Resource Name)
der URC (Uniform Resource Characteristics)
und einer oder mehrerer URL's (Uniform Resource Locator).
Zu beachten ist, dass die Angabe von URN und URC immer wichtiger wird, zumal man an Programmen arbeitet, aus diesen Angaben die URL automatisch zu ermitteln.

These 2: Die Unterscheidung von Resourcen und Ausschnitten von Resourcen, von selbstaendigen und unselbstaendigen Werken ist hinfaellig

Beschreibt man nicht mehr die Vorlage, sondern die Resource als solche, wird eine Unterscheidung zwischen selbstaendigen und unselbstaendigen Werken hinfaellig: spaetestens bei Volltexten im Netz duerfte es solche unselbstaendigen Werke auch gar nicht mehr geben. Im uebrigen kann man davon ausgehen, dass ein Benutzer an einem ganz bestimmten Text, einer ganz bestimmten Serenade, einem Bild oder einem Softwareprogramm, das vielleicht unter hundert anderen auf einer CD-ROM angeboten wird, an der Beschreibung einer Pflanze, der in einem mehrbaendigen Werk ganze 20 Zeilen gewidmet sind, interessiert ist. Intelligente Hypertextverknuepfungen im World Wide Web koennen schon eine Vorahnung der Moeglichkeiten geben. Schon bei traditionellen Ausgaben war es uebrigens hoechst problematisch, nur 2 enthaltene Werke, die zudem auf dem Titelblatt stehen mussten, nachweisen zu duerfen (bei CD-ROMs koennte man dafuer ein Losverfahren vorschlagen). Wollen Bibliotheken einen guten Service anbieten, koennen sie es sich gar nicht mehr leisten, Texte einfach zu unterschlagen, nur weil diese zufaellig nicht auf dem Titelblatt stehen (und was ist das Titelblatt bei einer CD-ROM?)

Selbstverstaendlich kann es sich eine Einzelbibliothek gar nicht leisten, alle unselbstaendigen Werke zu erfassen. Eine Reihe von Bibliotheken verknuepft allerdings schon ihren Zeitschriftenbestand mit den entsprechenden Aufsatzdatenbanken und weist so mindestens die Zeitschriftenaufsaetze im eigenen Bestand nach. Durch Arbeitsverteilung mit der Moeglichkeit des Zugriffs auf weltweite Angebote aber sollte das Erfassen aller Werke moeglich werden.

These 3: Die ISBD (International standard bibliographic description) ist ueberholt

Man kann die ISBD getrost zu Kettenbuechern und Strumpfbandkatalogen ins Bibliotheksmuseum stellen. Die ISBD war am gedruckten Buch orientiert. Schon bei Sondermaterialien macht sie unnoetige Schwierigkeiten. Die elektronische Revolution in der Publikation liegt voellig ausserhalb von ihrem Gesichtspunkt. Dazu kommt, dass sie auch fuer gedruckte Buecher nicht mehr noetig: bei Buechern wird man in Zukunft zusaetzlich zum Inhaltsverzeichnis, einer Kurzbeschreibung, eventuell dem Volltext auch das Titelblatt als solches scannen. Bei CDs wird man die informationstragenden Stellen der Vorlage (bei Musik-CDs z.B. die im allgemeinen sehr informative Rueckseite) scannen. Bei alten Drucken wird dies Verfahren ja schon erfolgreich durchgefuehrt, wie man im Augsburger Projekt Oettingen-Wallerstein sehen kann. Mit einem Hypermediumklick kann man sich diese genauen Informationen holen, was dann auch der Katalogisierer nutzen kann, um seinen Bestand an der richtigen Stelle anzusigeln.

These 4: Eindeutige Identifizierbarkeit ist das Gebot der Stunde

Um die Berechtigung dieser These einzusehen, empfehle ich Ihnen mit einem der Suchwerkzeuge wie Veronica oder Archie Resourcen im Internet zu lokalisieren. Es kann passieren, dass Sie hundertmal dasselbe angezeigt bekommen, ohne entscheiden zu koennen, ob es dasselbe ist oder nicht. Wenn jede Resource nur eine Grundeintragung erhalten soll, muss es jeweils fuer alle Ausgaben gueltige eineindeutige Metadaten geben. Der wichtigste Teil muss eine Art normierter Zitiertitel sein. Dazu benoetigt man eine moeglichst international verbindliche Normdatei der Zitiertitel, wobei diese Datei weitgehend aus schon bestehenden Einheitssachtiteldateien aufgebaut werden koennte.

Ein Zitiertitel fuer eine Reource koennte z.B. bestehen aus dem Sachtitel und der ersten verantwortlichen Person ersatzweise Koerperschaft und eventuell dem urspruenglichen Erscheinungsjahr. Ein Matchcode aus dem Zitiertitel sollte Bestandteil der URN werden

Tom Sawyer - Mark Twain
Mitteilungen - XY-Verein
Handbuch fuer Katzen - Ida Mueller
Zeitschrift fuer Gartenbau - Verein Deutscher Gaertner

Eine solche Normdatei muss verknuepft sein mit einer Einheitssachtiteldatei, einer Personennamensdatei und einer Koerperschaftsnamensdatei, damit ein Benutzer mit jeder abweichenden Form eines Titels und eines Namens einsteigen kann. Eine solche Normdatei soll nicht so verstanden werden, dass man je eine einzige verbindliche Form festlegt, sondern dass man alle Formen z.B. eines Personennamens sammelt. Bei einer Recherche kann dann alles gefunden werden, was mit einem solchen Personennamen verknuepft ist, ohne dass sich der Benutzer mit einer "richtigen Ansetzungsform" auseinandersetzen muss. Man haette ausserdem den Vorteil, dass man die schon vorhandenen Dateien zusammenspielen koennte. Selbst ein automatisches Einspielen weiterer vorliegender abweichender Formen von Namen und Titeln ist denkbar.

These 5: Sachliche und formale Erschliessung bilden eine Einheit

Die Forderung, dass formale und sachliche Erschliessung eine Einheit bilden muessen, ist inzwischen allgemein anerkannt und braucht nicht mehr begruendet zu werden.

Bei der Aufbereitung der Daten ist darauf zu achten, dass man auf der einen Seite verlaesslich alles zusammengehoerende zusammenfuehrt, was mit bewaehrten Verknuepfungsmethoden durchzufuehren ist, und dass auf der anderen Seite das Browsing ermoeglicht wird, wofuer sich Hypermediastrukturen hervorragend eignen. Also z.B. muessen saemtliche abweichende Namensformen zu Mark Twain verbunden werden und diese wiederum mit allen zu dieser Person gehoerenden Titeln, um eindeutige Antworten zu erhalten. Auf der anderen Seite koennte hinter einem Hypermediaklick auf Mark Twain dessen Biographie, Bild, Rede usw. liegen. Ebenfalls mit einem Hypermediaklick sollte man den Text von zitierten Titeln, zitierten Musikstuecken u.ae. holen koennen.

3. Sicherung des freien Zugangs zu den Resourcen

Mit Hilfe der virtuellen Bibliothek koennten wir das alte Ziel vieler grosser Plaene erreichen, naemlich jede Resource zu jedem Menschen an jedem Ort und zu jeder Zeit.

Allerdings muss man von vorneherein aufpassen, dass nicht so kurz vor dem Erreichen des Ziels unueberwindbare Huerden aufgebaut werden: auf der einen Seite gilt es, sich fuer den freien Zugang zu den Resourcen einzusetzen, - also gegen Zensur - , auf der anderen Seite gilt es, den unentgeldlichen Zugang zu den Resourcen zu erhalten. Es geht nicht an, dass man bei nicht herkoemmlicher Benutzung einer Bibliothek ploetzlich zahlen muss, insbesondere dann, wenn man keine andere Wahl mehr hat. Die Bibliothekare muessen politisch taetig werden, damit nicht ploetzlich ein grosser Kreis der Bevoelkerung von Resourcen ausgeschlossen wird. Es gilt abzuwaegen zwischen den Anforderungen des Schutzes fuer Autoren und der freien Verteilung von Resourcen. Insbesondere bei Neufassungen des Copyright- Gesetzes muessen Bibliothekare - wie das ja schon geschehen ist - wachsam sein und rechtzeitig Alarm schlagen.

Zurueck zu Tuepfli´s Global Village Library


Anm. 1: vgl. Hirsch, Michael Christian: Subito - eine neue Initiative von Bund und Laendern zur schnellen Lieferung wissenschaftlicher Dokumente. - In: ZfBB. - 42 (1995), H. 1. - S. 30ff. (Zurueck zum Text)

Anm. 2: vgl. Saunders, Laverna M.: The virtual library revisited. - In: Computers in libraries. Nov. 1992, v12, n10 p51(4) [zitiert nach der elektronischen Ausgabe] (Zurueck zum Text)

Anm. 3: Eine hervorragende Darstellung des Projektes Xanadu ist: Wolf, Gary: The curse of Xanadu. - In: Wired. - 3 (1995), 6. - S. 137ff. (Zurueck zum Text)

Anm. 4: z.B. am 18. April 1995 unter der Ueberschrift "Display for multi-format version record using $8" in USMARC Digest 140 (Zurueck zum Text)

Anm. 5:vgl. Metadata White Paper -- draft. JG 1.5.95 (http.//www.acl.lanl.gov/URI/dublin2.txt)(Zurueck zum Text)

Anm. 6: vgl. Daniel, Ron: An SGML-based URC service. - Los Alamos, 30.5.95 [Es handelt sich um ein Internet-draft der Internet Engineering Task Force](http://www.acl.lanl.gov/URI/URCspec/spec.asc) (Zurueck zum Text)

Anm. 7: Unterlagen zu dem Komplex URI, URC, URN, URL findet man unter: http://www.acl.lanl.gov/URI/ (Zurueck zum Text)

Anm. 8: anzusehen unter: http://hpwibas2.bibliothek.uni- augsburg.de:8001/ (Zurueck zum Text)




Autor:
Margarete Payer
Professorin fuer Computervermittelte Kommunikation und Formalerschliessung
Hochschule fuer Bibliotheks- und Informationswesen (HBI) Stuttgart
e-mail:
dienstlich: payer@hbi-stuttgart.de
privat: payer@well.com

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