Soziale und politische Aspekte des Theravâdabuddhismus

Vortrag


von Alois Payer

mailto: payer@well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Soziale und politische Aspekte des Theravâdabuddhismus  : Vortrag. -- Fassung vom 9. November 1998. -- URL: http://www.payer.de/einzel/sozial.htm. -- [Stichwort].

Erstmals veröffentlicht: 23. Januar 1996

Letzte Überarbeitung : 9. November 1998 (Aktualisierung der   Angaben zu Santi Asoke)

Anlass: Vortrag vor der Deutsch-Indischen Gesellschaft, Darmstadt, 2.10.1994 und Vortrag im Rahmen des "Grundkurs buddhistisch-christlicher Dialog" im katholischen Bildungshaus St. Virgil, Salzburg am 6. 11. 1998.

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Übersicht


1. Einleitung


1.1. Was ist Theravâdabuddhismus


Lehrmäßig ist Theravâdabuddhismus die Form des Buddhismus, die ihre normative Grundlage im Tipitaka hat, dem in Pali abgefassten Korpus buddhistischer Schriften. Interpretiert wird dieser Kanon im Wesentlichen im Licht der Kommentare aus dem 5. Jhdt. nach Christus. Theravâdabuddhismus ist die einzige überlebende Form der alten Schulen des Buddhismus, die den Weg zum Mahâyâna nicht mitgemacht haben.

Ordensrechtlich gehören zum Theravâdabuddhismus die Mönche und Nonnen, die als Ordenregeln die in Pali abgefassten haben und die in einer Theravâda-Ordinationstradition stehen.

Religionsgeographisch ist Theravâdabuddhismus die vorherrschende buddhistische Religion in Sri Lanka, Myanmar (Birma), Kambodscha, Thailand und Laos. D.h. im Wesentlichen der singhalesischen Bevölkerung Sri Lankas; der Birmanen, Shan, Mon, Arakanesen, InTha (am Inle Lake) in Myanmar (Birma), insgesamt ca. 85 % der Bevölkerung Myanmars (Birmas); der Khmers in Kambodscha; der verschiedenen Thaivölker Thailands; der Tieflandlao in Laos.

Wenn ich im Folgenden der Kürze halber von Buddhismus spreche, meine ich immer Theravâdabuddhismus. Damit ist keineswegs ein Alleinvertretungsanspruch des Theravâdabuddhismus impliziert.


1.2. Kurze historische Einleitung


Obwohl ich Sri Lanka im Folgenden aus Zeitgründen ausklammern werde, muss ich es hier doch kurz erwähnen, da es das Land ist, in dem der Theravâdabuddhismus die längste Tradition hat: Schon im 3. Jhdt. vor Christus sandte König Aschoka (273-236v Chr.) von Indien seinen Sohn, den Mönch Mahinda als Missionar nach Ceylon. Mahinda bekehrte den dortigen König Devânampiyatissa (250-210 v. Chr.), der den Buddhismus unter besonderen königlichen Schutz stellte und faktisch zur Staatsreligion machte. Demgegenüber ist die Tradition des Theravâdabuddhismus in Südostasien kürzer.

Zwar gab es schon zur Zeit des Königs Aschoka eine Mission nach Birma und schon im 1.Jahrtausend nach Chr. sind in birmanischen Ebenen Buddhismus und Hinduismus vorherrschende Religionen: In Oberbirma verschiedene Formen des Buddhismus, auch Mahâyâna, tantrischer Buddhismus, Sarvâstivâda, Theravâda. Im Mon-Reich (Niederbirma und Teile Thailands) überwiegend Theravâda. Der Theravâda scheint aus Südindien eingeführt worden zu sein. König Anuruddha (1044-77) führte im 11. Jhdt. in Oberbirma den Theravâda ein.

In Kambodscha breitete sich seit dem 6. Jhdt. der Buddhismus aus: von China über Annam das Mahâyâna, von Südindien und Ceylon der Theravâdabuddhismus. Jayavarman VI in der zweiten Hälfte des 12. Jhdt. war der erste buddhistische Herrscher Kambodschas.

In Thailand ist der Theravâdabuddhismus seit dem 13./14. Jhdt. Staatsreligion. In Laos wurde nach der einheimischen Tradition unter Fa Ngum von Luang Prabang in der Mitte des 14.Jhdt. der Buddhismus aus dem Khmer-Reich nach Laos verpflanzt und zur Staatsreligion gemacht.


1.3. Dimensionen des Theravâdabuddhismus


Zur Eingrenzung meines Themas an diesem späten Vormittag möchte ich kurz auf die verschiedenen Dimensionen und Aspekte, die Theravâdabuddhismus besitzt, eingehen. So sehen Sie, was alles ich nicht behandeln werde.

Bei der Beschäftigung mit einer Religion können wir verschiedene Dimensionen unterscheiden, z.B.:

Beim Theravâdabuddhismus im Besonderen können wir verschiedene Aspekte beobachten:

Schon diese Auswahl an Dimensionen und Aspekten des Theravâdabuddhismus zeigt, dass man nicht glauben darf, dass man ein vielschichtiges Phänomen wie die gelebten Formen des Theravâdabuddhismus in ein paar handliche Schlagworte packen darf. Solche Schlagworte werden leicht zu Totschlag-Worten, die den Zugang zum Theravâdabuddhismus eher erschweren als erleichtern.

Man darf auch keineswegs den Fehler begehen, die verschiedenen Aspekte des einen Theravâdabuddhismus als verschiedene Buddhismen anzusehen und sie gegeneinander auszuspielen. Da Buddhisten nicht nur mit einem Leben rechnen, sondern mit unzählig vielen, haben sie große Geduld mit sich selbst und mit den Mitmenschen: was man in diesem Leben nicht schafft, schafft man vielleicht in einem künftigen. Darum wäre es auch töricht, zu erwarten, dass alle Menschen oder auch nur der Großteil der Menschen Erlösung als ein erstrebenswertes Ziel wirklich ansehen. Selbstverständlich ist es für die meisten viel erstrebenswerter, unter besseren Umständen leben zu können. Deswegen kann man z.B. auch nicht den nibbânischen gegen den karmischen oder apotropäischen Aspekt des Buddhismus ausspielen: die Menschheit braucht alle diese Aspekte.

Auch wenn wir die Lehre oder Ideologie des Buddhismus betrachten, ist es komplizierter, als es handliche Darstellungen vermuten lassen: Buddhismus besitzt - wie wohl jede große, alte Religion - einen großen Werkzeugkasten, in dem sich vielerlei befindet, was sich je nach Wunsch instrumentalisieren lässt. Dies ist auch wichtig, um Gedanken, die in einer bestimmten Situation besonders betont werden sollen, innerbuddhistisch zu vermitteln.

So besann man sich, als Schlagworte wie Sozialismus/Sozialstaat en vogue kamen auf die buddhistische Tradition des Wohlfahrtsstaates. Zum Stichwort Demokratie konnte man auf eine buddhistisches Politikideal verweisen, dem die Schweizer Landsgemeinde sehr nahe kommt, gegen Kastenwesen konnte man auf Ständekritisches in der eigenen Tradition zurückgreifen usw. So ist es auch für Buddhisten möglich, eine uns von christlichen Theologen zur Genüge bekannte Auch-Dabei-Haltung zu entwickeln.

Bezogen auf unser Thema von Buddhismus, Staat und Gesellschaft bedeutet dies: Wie vermutlich jede entwickelte Religion enthält auch der Buddhismus eine Reihe von Elementen, die der Erhaltung des Status quo und der Versöhnung der Zukurzgekommenen mit ihrem Schicksal dienen - also das, was als Opium des Volkes bezeichnet wird. Andrerseits enthält auch der Buddhismus eine Reihe von Elementen und Normen, die den gegebenen Zustand nicht einfach hinnehmen, sondern fragen: was ist daraus zu machen? Es gibt auch eine buddhistische Ethik des Wohlfahrtsstaates, eine Ethik gegen skrupelloses Gewinnstreben, gegen Ausbeutung usw.

Wenn schon die Ideologie ein solcher Werkzeugkasten ist, ist es klar dass die Praxis von Buddhisten noch viel widersprüchlicher ist. Vor allem müssen wir uns klar machen, dass der durchschnittliche Buddhist ein Mensch wie Du und ich ist, nicht besser und auch nicht schlechter. Buddhisten sind sich oder sollten sich bewusst sein, dass unser Handeln sehr oft von Gier, Hass und Verblendung geprägt ist. Hüten wir uns also davor, unsere eigenen unerfüllten Sehnsüchte in den Osten zu projizieren und den guten Menschen von Buddhististan zu suchen: den gibt es ebenso wenig wie die gelbe Gefahr unter dem Banner Buddhas.


1.4. Eingrenzung des Themas


Eine Beschränkung unseres Themas auf Buddhismus, Staat und Gesellschaft ist keineswegs nur oberflächlich, wie man von einem verengten Buddhismusverständnis her einwenden könnte. Sind doch die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit nur auf soziale Beziehungen gerichtet: Man kann die ganze buddhistische Laienethik als Gabe der Angstlosigkeit und Furchtlosigkeit zusammenfassen:

Ich trainiere ein Verhalten, dass meine Mitwelt vor mir möglichst keine durch mich verursachte Angst und Furcht haben muss.

Im Einzelnen:

Wir sehen: alles sozial relevante Verhaltensweisen.

Auch die vier unbegrenzten Haltungen

beziehen sich auf das soziale Umfeld, wenn sie auch als weiteren erwünschten Effekt auch größere Unabhängigkeit vom sozialen Feld haben.

Beginnen wir gleich mit dem ersten Trainingspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung vom Töten von Lebewesen. Daraus folgt dann gleich die Frage nach Buddhismus und Krieg.


2. Buddhismus und Gewalt, Gewaltlosigkeit, insbes. kriegerische Gewalt


2.1. Ideologischer Hintergrund


Nach einer Überlieferung, die von allen Richtungen des Buddhismus gut bezeugt ist, ereignete sich wenige Monate vor dem Lebensende des historischen Buddha Gautama folgende Begebenheit: König Ajâtaschatru von Mâgadha, schon seit vielen Jahren ein glühender Anhänger des Buddha, will einen Angriffs- und Eroberungskrieg gegen eine benachbarte Föderation von zwei Republiken führen. Er schickt darum seinen Minister zu Buddha, damit dieser Buddhas Rat hole. Wie reagiert nun Buddha? Er ist nicht entsetzt: "Ja mei, jetzt hat dieser Depp noch immer nichts von Buddhismus verstanden". Buddha hebt auch nicht den Zeigefinger: "Du du, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen und vor allem sollst du nicht gierig sein." Nichts von all dem. Nein, Buddha weist darauf hin, dass bei dieser Republikenkonföderation bestimmte politische und andere Sitten herrschen, die es unmöglich machen, dass ein Angriffs- und Eroberungskrieg Erfolg hat. Buddha schließt sinngemäß so: "Solange dieses Volk ein einig Volk von Schweizern ist, solange ist ein Krieg gegen sie aussichtslos." Was können wir aus dieser Story lernen: erstens einmal: buddhistischer politischer Diskurs ist geduldig, zweitens: buddhistische politische Beratung geht auf den individuellen Horizont des Beratung Suchenden voll ein. D.h. solche Beratung sieht, dass die Menschenwelt einem Lotusteich am Morgen gleicht: einige Lotusse haben ihre Köpfe weit unter der Wasseroberfläche im Schlamm, einige haben ihre Köpfe direkt unter der Wasseroberfläche und einige heben ihre Köpfe aus dem Wasser heraus und haben wunderschön geöffnete Blüten. Man kann auch die verschiedenen Menschen mit verschiedenen Ackerböden vergleichen, die je eine spezifische Behandlung benötigen, um den bestmöglichen Ertrag zu bringen. Dieser Unterschied im - wenn man so will - geistlichen Entwicklungsstand darf für niemanden Anlass zu Hochmut sein, schließlich brauchte auch der Buddha unzählige Wiedergeburten in nicht vollkommenen Zuständen bis er es zu Buddha gebracht hat.

Der Buddhismus kennt keine standesspezifischen Trainingspunkte der Sittlichkeit für den Adels- und Kriegerstand, für Träger staatlicher Gewalt und Militärs.

Der erste der fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit ist für alle Enthaltung vom Töten von Lebewesen.

Nach der Auslegung des für den Theravâdabuddhismus maßgeblichen Kommentators Buddhaghosa (5. Jhdt. n. Chr.) müssen zur Verletzung dieses Trainingspunktes fünf Bedingungen gegeben sein:

  1. es muss sich um ein Lebewesen handeln
  2. der Täter muss dieses als Lebewesen erkennen
  3. er muss die Absicht haben, es zu töten
  4. die Tat muss ausgeführt werden
  5. das Lebewesen muss sterben.

Die Ausführung der Tat kann dabei auf sechs verschiedene Arten geschehen:

  1. eigenhändig
  2. indem man jemand anderen dazu anstiftet
  3. durch Waffen mit Fernwirkung (Geschosse)
  4. durch langsames Vergiften
  5. durch Hexerei
  6. durch psychische Kräfte.

Die Schwere der Unheilsamkeit des Tötens hängt bei Tieren von der Größe des Tieres ab. Dies teils wegen der größeren Anstrengung, die bei größeren Viechern vonnöten ist, teils aber auch einfach wegen der größeren Masse. Bei Menschen ist die Unheilsamkeit um so schwerer, je tugendhafter die Getöteten sind.

Unter allen Begründungen für das Enthalten von Töten sind unter allen Theravâdabuddhisten folgende zwei Verses aus dem Dhammapada (10,1-2) am bekanntesten:

Alle zittern vor dem Stock,
alle fürchten sich vor dem Tod.
Wenn man sich selbst vergleicht,
soll man nicht töten und nicht töten lassen.

Alle zittern vor dem Stock,
allen ist das Leben lieb.
Wenn man sich selbst vergleicht,
soll man nicht töten und nicht töten lassen.

Dieser Trainingspunkt des Nichttötens gilt für alle Menschen, also auch für die Inhaber staatlicher Gewalt. Aus diesem Trainingspunkt folgt aber nicht unbedingt Vegetarismus, wie die obige Auslegung durch Buddhaghosa zeigt.

Uns soll hier aber vor allem die Frage der staatlichen Gewalt interessieren, insofern sie im Strafrecht die Todesstrafe beinhaltet und in der Landesverteidigung das Führen von Kriegen.

Das buddhistische Ideal ist klar: ein wahrer Weltenherrscher erobert und beherrscht die Welt nicht mit Stock und Schwert, sondern allein durch das Recht. Das Ideal ist wenn man so will ein paternalistischer gütiger Herrscher, der solches Charisma hat, dass er der Todesstrafe und des Krieges nicht bedarf. Doch solche Herrscher sind auch nach buddhistischer Auffassung selten, wenn auch immer wieder Herrscher buddhistischer Länder zur Legitimation ihrer Herrschaft den Anspruch erhoben, solche gerechten Weltenherrscher zu sein.

Wie schaut es also im politischen Alltag aus?

Folgende Geschichte aus dem Kommentar zum Dhammapada (5. Jhdt. n. Chr.) illustriert diesen Alltag sehr gut und zeigt, wie nach buddhistischer Auffassung nicht einmal Buddha seine Zeitgenossen vom Kriegführen abhalten konnte: Ein König bat im Stamm, dem Gautama Buddha angehörte, um ein adliges Mädchen als Braut. Doch der Stamm Gautamas, die Sakyas, betrogen diesen König und gaben ihm ein Sklavenmädchen. Der Sohn, der aus dieser Verbindung entstand, kam hinter diesen Betrug und schwor Rache. Als er selbst König geworden war, erinnerte er sich an diesen Schwur und zog gegen die Sakyas. Dreimal hielt ihn Buddha ab, indem er sich an die Grenze des Sakyareiches setzte und den König auf die Verwandtschaft der Sakyas mit Buddha hinwies. Als der König das vierte Mal gegen die Sakyas auszog, erkannte der Buddha, dass die Sakyas sterben mussten, weil dies die Frucht einer früheren bösen Tat von ihnen war. In einer früheren Existenz hatten sie sozusagen als Vorgänger der chemischen Industrie einen Fluss vergiftet. Die Sakyas bewaffneten sich und zogen in die Schlacht. Ihre Bewaffnung sollte aber wirklich nur der Abschreckung dienen und deshalb schossen sie so, dass sie niemanden töteten. Ganz realistisch verzichtet die Story darauf, sie als Belohnung für diese tugendhafte Tat gerettet werden zu lassen. Der gegnerische König nützte vielmehr, als er die Gewaltlosigkeit der Sakyas erkannte, diese aus und ließ sie alle einschließlich der Kinder hinmetzeln.

Diese Geschichte spiegelt sehr schön den Realismus der Buddhisten wieder, die nicht glauben, auf Dauer ein Paradies auf Erden errichten zu können, und die auch nicht die Tatsache leugnen, dass im Endeffekt oft der Gewaltlose der Dumme ist.

Dieser Realismus wird allerdings dadurch ausgeglichen, dass sich auf den Lauf der Wiedergeburten bezogen Gewalt nicht auszahlt.


2.2. Die Realität


Obwohl das Ideal des Buddhismus pazifistisch ist, sind buddhistische Herrscher und buddhistische Länder keineswegs immer Horte des Friedens. Ja die gemeinsame buddhistische Religion konnte erbitterte Kriege zwischen buddhistischen Ländern - z.B. Thailand und Myanmar (Birma); Thailand und Laos - genau so wenig verhindern, wie das Christentum Kriege zwischen christlichen Nationen. Buddhisten weisen allerdings immer wieder darauf hin, dass der Buddhismus keine Kriege im Namen des Buddhismus kennt. Dies stimmt im allgemeinen, doch gibt es auch dazu Ausnahmen. So soll König Anuruddha von Birma 1057 gegen die Mon einen Krieg geführt haben, weil die Mons sich geweigert hatten, ihm ein Exemplar der Heiligen Schriften und einige Reliquien zu senden. Selbst wenn dieses Motiv eine fromme Erfindung der Chroniken sein sollte, so ist es doch bezeichnend, dass ein solches Motiv als Rechtfertigung eines Krieges angesehen wurde.

Da auch in der Gegenwart buddhistische Länder nicht auf eine Landesverteidigung und den brutalen Einsatz von Militär und Polizei verzichten, fehlt es selbstverständlich nicht an Versuchen, die Landesverteidigung aus der buddhistischen Lehre zu begründen, d.h. nicht nur als eventuell notwendiges Übel, das aber ein Übel ist, wie so vieles, was die Wesen auf ihrem langen Lauf durch die Wiedergeburten auf Grund der jeweiligen Umstände gar nicht oder kaum unterlassen können. Allerdings greifen diese Begründungen, so weit ich sehe, innerhalb des Theravâda-Buddhismus auf Vergleiche und Aussagen innerhalb der als autoritativ angesehenen Schriften zurück, die als Beschreibungen faktischer und nicht idealer Zustände anzusehen sind. So begründete der in Thailand äußerst einflussreiche oberste Mönch Vajiranana 1916 die Notwendigkeit einer Verteidigungsmacht mit folgendem Vers aus dem Dhammapâda (315) "Wie eine Grenzstadt von außen und von innen behütet ist, so hütet euch selbst". Während der Bandung-Konferenz 1955 trug ein thailändischer Staatsmann die These vor, der Buddha habe zwar den Krieg verdammt, nicht aber diejenigen, die um einer gerechten Sache wegen in den Krieg ziehen, nachdem sie alle Mittel zur Erhaltung des Friedens versucht haben. Buddha habe nicht die Unterwerfung unter die Mächte des Übels gelehrt. Dies sei die Weisheit des Mittleren Pfades. Interessanterweise kleidete dieser Staatsmann diese Aussage in die Form einer Unterredung des Buddha mit einem General. Dieser Versuch so den Anschein einer alten Überlieferung zu wecken, zeigt deutlich die Beweisnot der Theravâdabuddhisten in dieser Frage.

Genug der impressionistischen Tupfer zu Krieg und Gewalt. Für uns Abendländer ist das Thema Krieg oft mit dem Thema Toleranz verknüpft. So wenden wir uns dem zweiten thematischen Schwerpunkt zu: Buddhismus und Toleranz.


3. Buddhismus und Toleranz


3.1. Die Ideologie


Toleranz kann verschiedene Wurzeln haben: Toleranz aus Relativismus, weil man andere Meinungen als gleich wahr oder unwahr wie die eigene Meinung ansieht; oder Toleranz aus Güte und Geduld nach Voltaires schönen Worten:

"Wir sind alle voller Schwächen und Irrtümer; vergeben wir uns also gegenseitig unsere Torheiten. Das ist das erste Gebot der Natur."

Theravâda-Buddhismus als Erlösungslehre ist nicht relativistisch: er vertritt keineswegs die Anschauung von den vielen Wegen zum einen Ziel. Ganz im Gegenteil: Der Weg zur Erlösung, den Buddha gegangen ist und den er lehrt, ist für Buddhisten der einzig mögliche Weg zur Erlösung. Buddhismus erhebt bezüglich des Erlösungsweges Exklusivitätsanspruch. Nicht ein Buddha ist eine einmalige Erscheinung: es gab vor Buddha Gautama verschiedene Buddhas, und es wird in Zukunft wieder Buddhas geben; der Weg, den all diese Buddhas selbst finden und lehren, ist aber ein einziger und ausschließlicher. In der Überlieferung des Theravâdabuddhismus zeigt diese Art von Exklusivitätsanspruch folgende Erzählung: Sâriputta, einer der beiden wichtigsten Jünger, gab folgendes Bekenntnis zu Buddha: "Kein vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger Buddha oder Weisheitslehrer hatte oder wird eine größere erlösende Erkenntnis haben als Buddha Gautama." Buddha fragte ihn darauf, ob er dies sage, weil er alle vergangenen oder zukünftigen Buddhas kenne. Dies verneinte Sâriputta. Er antwortete mit dem Katzenlochgleichnis: Wie man in eine Stadt, die von einer Stadtmauer mit nur einem einzigen Tor umgeben ist, und deren Stadtmauer nicht einmal einen Durchlass für eine Katze hat, nur durch das Tor aus- und eingehen kann, so können alle vergangenen und zukünftigen Buddhas und Erlösungslehrer nur auf einem einzigen Weg zur erlösenden Einsicht kommen.

Nun könnte es ja sein, dass alle Religionen diesen einen Weg lehren. Tatsächlich wird eine solche Einstellung zu anderen Religionen z.B. in Thailand in den Schulen und Klöstern vermittelt: Alle Religionen wollen dasselbe, da sie den Menschen lehren, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Dabei beruft man sich auf die Definition der Lehre der Buddhas, wie sie z.B. in Dhammapâda 183 gegeben wird:

"Nichts Übles tun, Heilsames tun, das eigene Bewusstsein reinigen, dies ist die Unterweisung der Buddhas."

Für alle Dinge, die nicht direkt zum Weg der Befreiung vom Leid gehören, erhebt der Theravâdabuddhismus nicht den Anspruch, die besten Mittel anzubieten. So bleibt auch für einen überzeugten Buddhisten für solch irdische Dinge wie den Umgang mit Gespenstern, die Sicherung von genügend Regen, die Erlangung von Nachkommenschaft und dergleichen der Weg zu Spezialisten auf diesen Gebieten offen, z.B. Geisterpriestern und -Priesterinnen, Medien, indischen Brahmanen, Hindupriestern, katholischen Geistlichen und zu katholischen Wallfahrtsorten.

Toleranz aus Geduld und Güte ist in der Doktrin des Buddhismus geradezu angelegt. Das Denken in unzähligen Wiedergeburten und damit in mindestens paläontologisch-geologischen Zeiträumen bedingt große Geduld mit sich selbst und mit anderen: wären wir nicht in unzähligen Geburten selbst Gier, Hass und Verblendung unterworfen gewesen, wären wir schon längst erlöst und wären jetzt nicht hier.


3.2. Impressionen zur Realität


Soviel zur Ideologie. Die Praxis der Toleranz wird immer dann besonders interessant, wenn Buddhisten in einem Staat eine Majorität bilden und sich selbst Vorteile und Privilegien gegenüber Angehörigen anderer Religionen zuschanzen, Nicht-Buddhisten benachteiligen, vertreiben oder ihnen gar den Schädel einhauen können. Dies wird besonders deutlich, wenn es um Buddhismus als Staatsreligion geht.


3.2.1. Myanmar (Birma)


Als erstes ein Beispiel aus Birma: 1960 wurde U Nu der letzte frei gewählte Ministerpräsident Birmas. Wichtig für U Nu's Wahlkampf in den Jahren 1959/60 wurde, dass U Nu sich darauf festlegte, dass der Buddhismus zur Staatsreligion gemacht würde, wenn seine Partei die Wahl gewinne. Allerdings konnte U Nu selbst darauf während des Wahlkampfes keinen Bezug nehmen, da die Verfassung von 1947 den Missbrauch der Religion für politische Zwecke verbot. Für U Nu gingen während des Wahlkampfes Mönche in Dörfern von Tür zu Tür und baten die Wähler, U Nu die Stimme zu geben als Almosen an diese Mönche. Sie machten dabei öfters Andeutungen, dass sie das Dorf verlassen würden, wenn man ihnen dieses Almosen verweigert. U Nu gewann die Wahl dann auch mit großer Mehrheit. Am 26.August 1961 wurde der Buddhismus zur Staatsreligion erklärt, was allerdings im wesentlichen von deklamatorischem Wert war. U Nu beabsichtigte nun eine weitere Verfassungsänderung zur Sicherung der Rechte der Minderheitsreligionen. Damit stieß er aber auf den Widerstand buddhistischer Kreise. So gut wie alle Mönchsvereinigungen begannen mit einer Agitation dagegen. U Nu widerstand jedoch dieser Agitation und diese zusätzliche Verfassungsänderung zugunsten der Minderheitsreligionen wurde von jeder der beiden gesetzgebenden Versammlungen gebilligt. Die Agitation gegen diese Relativierung des Buddhismus als Staatsreligion ging jedoch weiter, da zur Inkraftsetzung noch beide Kammern gemeinsam die Verfassungsänderung billigen mussten. U Nu wurde von der Agitation als Betrüger bezeichnet, der zwar um seiner eigenen Popularität willen den Buddhismus zur Staatsreligion erhoben habe, nun aber dies völlig entarte, den Buddhismus auf das Niveau eines heidnischen Geisterkultes hinabdrücke. Das Verdienst U Nu's durch die Erklärung des Buddhismus zur Staatsreligion werde durch seine Übeltat des Gesetzes über die Gleichberechtigung der Minderheitenreligionen übertroffen usw. Die Mönche erklärten, sie seien bereit, ihr Leben im Kampf gegen diese Verfassungsänderung einzusetzen, und erklärten dem Präsidenten der Union von Birma, er dürfe das Gesetz nicht unterzeichnen, um Unruhen und Blutvergießen zu verhindern. Trotz massiver Versuche, die gesetzgebende Versammlung zu verhindern, wurde die Verfassungsänderung zur Sicherung der Rechte der Minderheitsreligionen ohne Gegenstimme angenommen. Damit hörten die Unruhen aber nicht auf. Radikale Mönche benutzten die Tatsache, dass die Regierung in einer Vorstadt von Rangoon den Bau dreier neuer Moscheen genehmigt hatte, zu neuen Demonstrationen: sie besetzten eine der im Bau befindlichen Moscheen und verhinderten den Weiterbau. Einige Mönchsorganisationen distanzierten sich zwar von dieser Aktion, setzten sich aber nicht durch. Durch das Zaudern der Regierung, gegen die Moscheebesetzer vorzugehen ermutigt, zerstörten diese Mönche diese im Bau befindliche Moschee und noch eine andere Moschee. Unter der Führung von etwa 200 Mönchen begann eine Volksmenge Brandstiftungen und Plünderungen von Häusern von Muslimen, wobei zwei Muslime ermordet wurde. Die Polizei eröffnete das Feuer auf die Menge und nahm Mönche fest. Nun wandte sich eine Abtsvereinigung an U Nu und bat die Regierung um Großmut gegenüber den inhaftierten Mönchen. Die meisten Inhaftierten wurden auch bald freigelassen. Bald darauf hielten die radikalen Mönche eine Versammlung, an der 1500 Mönche teilnahmen, und bei der die Regierung und die Polizei scharf kritisiert wurde. Die Mönche beriefen sich zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise auf das Staatsreligionsgesetz und behaupteten, nur die Staatsreligion verteidigt zu haben. In der darauffolgenden Woche verteilten Mönche Flugblätter, in denen sie alle Mönche aufforderten, von U Nu und seinem Innenminister zu Kathin Mönchsroben nicht in Empfang zu nehmen. Nur wenige Mönche befolgten diese Aufforderung, aber immerhin schlug ein Mönch der Gattin U Nu's deren Gabe aus der Hand.

1962 brachte ein unblutiger Staatsstreich General Ne Win an die Macht, der bis 1988 in Birma sein Unwesen trieb. Für die Religionsgesetzgebung bedeutend ist, dass die Stellung des Buddhismus als Staatsreligion aufgehoben wurde. So fiel auch die gesetzliche Bestimmung von 1961 weg, nach der der Staat die Religion vor falschen Darstellungen zu schätzen hatte. Allerdings schuf Ne Win 1980 durch eine Reform der Struktur des buddhistischen Mönchsordens wieder eine starke Verbindung von Staat und Religion, ja er hob die Trennung von Staat und Religion faktisch auf. Wesentlich dabei ist, dass nun die staatliche Macht zur Durchsetzung von Reformbeschlüssen und Strafverordnungen der buddhistischen Ordensgremien eingesetzt werden konnte und wurde. Auf die Einzelheiten, die die Ordensreform betreffen, will ich hier nicht eingehen. Für die Frage der innerbuddhistischen Toleranz sind aber die Ketzerprozesse interessant, die in Folge dieser staatskirchenrechtlichen Änderungen durchgeführt wurden:

In Fragen der buddhistischen Lehre wurde ein geistlicher Gerichtshof tätig. Von 1981-1984 wurden mindestens zehn Prozesse gegen Irrlehren geführt. 1981 erfolgten u.a. Verurteilungen in folgenden zwei Fällen: Verurteilt wurde nach einem viermonatigem Gerichtsverfahren: Nach dem Tod werden Menschen nur als Menschen wiedergeboren, es gibt nicht die verschiedenen Höllen und Himmel der vielstufigen buddhistischen Kosmologie. Nutzlos sind folgende Praktiken: rezitieren von Mantras, Halten der Uposathatage, Tun von Verdienstvollem: es gibt kein karmisches Gesetz der Vergeltung. Nur Tiere und Menschen gibt es: ein Mensch wird solange er nicht erlöst ist nur als Mensch wiedergeboren. Der Gerichtshof verurteilte diese Lehre als materialistische Doktrin, die im Widerspruch zur buddhistischen Lehre steht. Darum müsse die Gruppe, die dies vertritt, aufgelöst werden.

Eine andere Lehre, die verurteilt wurde: Es gibt einen kurzen Weg zum Nirvâna: Sei völlig inaktiv, so vermeidest du Böses und Verdienst ! Infolgedessen gibt es dann keine Wiedergeburt mehr. Diese Lehre wurde als häretisch verurteilt: zum Nirvâna kann man nur durch Anstrengung kommen und nur über viele Wiedergeburten.

Soweit die innerbuddhistischen Entscheidungen. Nun wird es interessant, weil der Staat involviert wird:

Aufgrund der Entscheidungen des geistlichen Gerichtshofes ordnete die Regierung die Auflösung beider Sekten an und verbot die Verbreitung von deren Lehren durch Wort, Schrift oder Tonträger. Wenn die Mönche, die diesen Lehren anhängen, nicht öffentlich widerrufen, hören sie auf, Mönche zu sein. Nach Zeitungsberichten hat die Mehrzahl widerrufen. Es wurde ein staatliches Gesetz erlassen, nach dem Leute, die verurteilte Lehren weiter verkündigen, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft werden können.

Man fragt sich zu recht, wie diese Intervention der Regierung mit der durch die Verfassung garantierten Freiheit des Gewissens zu vereinbaren ist.


3.2.2. Thailand


Als Beispiel für ein Land in dem Toleranz im Allgemeinen funktioniert, obwohl der Buddhismus Staatsreligion ist: Thailand, das einzige Land, in dem heute noch der Buddhismus Staatsreligion ist. In der thailändischen Verfassung heißt es: "Der König muss sich zur buddhistischen Lehre bekennen und ist der Hüter der Religion." Die Diskriminierung der anderen Religionen besteht dabei darin, dass der König selbst Buddhist sein muss. Kümmern muss er sich aber entsprechend um alle Religionen: so gibt es in Südthailand eben königliche Moscheen. Nach meiner eigenen Beobachtung funktioniert in Thailand das Miteinander und Nebeneinander verschiedener Religionen sehr gut, obwohl die Buddhisten eine erdrückende Mehrheit bilden. Man kann überall auf große Hochachtung gegenüber Angehörigen und Funktionären anderer Religionen stoßen. Man muss natürlich auch sehen, dass man sich diese Großzügigkeit leisten kann, weil man sich in seiner buddhistischen Identität nicht durch andere Religionen bedroht fühlt: man kann z.B. alle positiven Angebote christlicher Missionare wahrnehmen, ohne dass deren Missionierungsversuche nennenswerte Erfolge zeigten.

Die Stellung des Buddhismus in Thailand als Staatsreligion bedeutet allerdings auch, dass der Staat mit seinem Strafrecht die Entscheidungen von Ordensgremien durchsetzen kann. Dies wurde in neuerer Zeit besonders aktuell am Vorgehen gegen Phra Bodhirak und seine Vereinigung Santi Asoke Center, eine buddhistische Reformgruppe, die unter der Mittelschicht ziemlich Anklang findet.

Phra Bodhirak ist ein reformistischer buddhistischer Aktivist, der im Konflikt mit Thailands offizieller staatskirchenrechtlichen Ordenshierarchie steht. Im Unterschied zu den birmanischen modernistischen Gruppen, die ich eben erwähnte, kümmert sich Phra Bodhirak mehr um die buddhistische Praxis als um die Lehre. Phra Bodhirak und seine Anhänger kritisieren den offiziellen Mönchsorden als zu ritualistisch, materialistisch und dem Kommerz ergeben.

Das oberste Mönchsgremium wirft Phra Bodhirak vor, dass er sich außerhalb den staatskirchenrechtlich sanktionierten Buddhismus stellt, da er nicht als Mönch registriert ist, dass er die geistliche Hierarchie kritisiert und dass er unter den Thais Verwirrung stiftet bezüglich der Frage, wem sie in der Religion vertrauen sollen.

Seit 1979 kritisierten die hierarchischen Gremien Phra Bodhirak, aber erst Mitte 1989 ordnete das oberste Mönchsgremium den Ausschluss aus dem Mönchsorden an und bat das Religionsdepartment, den Beschluss zu vollziehen. Zunächst weigerte sich Phra Bodhirak, der Anordnung Folge zu leisten. Darauf hin wurde er für kurze Zeit arrestiert. Die Fernsehanstalten erhielten Weisung, dieses Ereignis nicht zu melden. Dann aber wechselte Phra Bodhirak sein gelbes Mönchsgewand gegen ein weißes Gewand ein. Er weigerte sich aber weiterhin, seinen Austritt aus dem Mönchsorden zu erklären. Dies führte zu einer Anklage vor einem weltlichen Gericht gegen ihn. Die Höchststrafe für die Phra Bodhirak vorgeworfenen Vergehen ist ein Jahr Zuchthaus oder 2.000 Baht.

Phra Bodhirak wurde also angeklagt, sich nicht an die Anweisung des obersten Mönchsgremiums zu halten, formal zu erklären, dass er den Orden verlässt.

Im September 1998 verhängte der Oberste Gerichtshof Thailands endgültig eine zweijährige Gefängnisstrafe auf Bewährung gegen Bodhirak und 41 seiner Anhänger. Als Strafgrund wurde angegeben, dass sich Bodhirak und diese Anhänger unberechtigterweise wie buddhistische Mönche kleiden.

Diese letzten Beispiele zu buddhistischer Toleranz haben uns unmittelbar mit dem letzten Schwerpunkt heute Vormittag in Berührung gebracht: dem Verhältnis des Buddhismus zu weltlicher Macht.


4. Das Verhältnis des Buddhismus zur weltlichen Macht : Buddhismus, Staat und Gesellschaft


4.1. Ideologische Grundlagen


Zur ideologisch-lehrmässigen Seite von Buddhismus, Staat und Gesellschaft nur einige wenige Denkanstöße:

Buddha selbst war durchaus ein politischer Mönch, wenn man darunter versteht, dass er politischen Rat gab. Das Beispiel mit König Ajâtaschatru, das ich im Zusammenhang mit Buddhismus und Krieg erwähnte möge als Beleg genügen. Der Buddha des Glaubens war allerdings wohl kein politischer Mönch in dem Sinne der politischen Mönche Birmas oder Sri Lankas, die ihr Ordenskleid gebrauchen, um ihre eigenen politischen Ambitionen und ihr Machtstreben auszuleben.

Für Buddhisten ist ein gut funktionierendes, soziales Gemeinwesen etwas sehr Wichtiges. Schön sieht man das im Cakkavattisutta des Dîghanikâya: dort wird in einer Abfolge von Bedingungen in Abhängigkeit geschildert, wie Diebstahl, Lüge, Mord und alle Arten von Unheil allmählich über die Menschheit gekommen sind, weil ein Herrscher, ein Inhaber staatlicher Gewalt, es versäumte, den Wohlfahrtsstaat dadurch aufrecht zu erhalten, dass er durch Hilfe zur Selbsthilfe dafür sorgt, dass es keine Armut gibt. Armut bedingt Diebstahl usw.

Der gerechte Inhaber politischer Macht ist im Buddhismus hoch angesehen: ein Bodhisattva hat in seiner letzten Geburt, die Möglichkeit entweder ein gerechter weltbeherrschender Politiker - ein Cakkavatti - zu werden, oder ein Buddha. Diese Parallelisierung zeigt die hohe Einschätzung des gerechten Politikers.

Bezüglich der Form politischer Machtausübung können sich sowohl Anhänger monarchistischer Strukturen wie auch Anhänger mehr demokratischer Strukturen auf buddhistische Lehrschriften berufen.


4.2. Buddhismus und Politik


Nun einige Beispiele zum Thema Buddhismus und Politik aus unserem Jahrhundert.

Beginnen wir mit Myanmar (Birma).


4.2.1. Myanmar (Birma)


Zunächst einmal Buddhismus und Befreiung vom kolonialen Joch, einer als Unrecht empfundenen Form weltlicher Macht.

Mit Beginn unseres Jahrhunderts begann der modernistische Buddhismus in Birma etwas zu entwickeln, was man als buddhistisches Korrelat einer christlichen Theologie der Befreiung ansehen könnte. Einige Zitate aus Birma aus der Zeit des Kolonialismus mögen diese Bestrebungen illustrieren. 1923 schrieb ein Abt in einer Zeitung:

"Und...ohne von der Knechtschaft frei zu werden, welche daraus entspringt, dass ein Volk der Herrschaft eines anderen untersteht, kann man kaum Frieden in seinem Herzen finden oder die Umgebung, in der die buddhistische Lebensweise praktiziert oder die Mitleidsliebe eines wahren Buddhisten unter die Menschheit verbreitet werden kann." "Um Almosen <den Nirvâna-suchenden Mönchen> zu geben, muss man erst Vorkehrungen für das eigene Wohlsein treffen, bevor man sich von dem trennen kann, was man einem anderen zu geben hat...".

Dieser Abt beschreibt dann die Stadien des politischen Unabhängigkeitskampfes als Parallelen zu den Stufen des buddhistischen Heilsweges.

Durch die im Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialmacht aktiven politischen Mönche konnten die nationalistischen Bestrebungen anglisierter und säkularisierter Politiker Wurzeln schlagen im traditionellen Buddhismus der Bevölkerung. Dabei konnte man an alte buddhistische Vorstellungen vom Wohlfahrtsstaat anknüpfen.

Das Stichwort Wohlfahrtsstaat führt uns zu Frage Buddhismus, Kapitalismus, Sozialismus. Schon 1934 schrieb der spätere birmanische Ministerpräsident U Nu, dass Gier, Hass und Trug , die nach der buddhistischen Lehre Ursachen des Leidens sind, mit wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten zusammenhängen. Deshalb seien wirtschaftliche Reformen nötig. Die Zahl jener, die noch Werke buddhistischer Frömmigkeit tun könnten, sei durch die kapitalistische Konzentration des Reichtums eingeschränkt worden; so ist der Kapitalismus für die Abwendung vom Buddhismus verantwortlich: erst wenn die Menschen wirtschaftlich gesichert sind, können sie über die Vergänglichkeit materieller Werte meditieren. Die Eindämmung des wirtschaftlichen Existenzkampfes soll die buddhistische Frömmigkeit wachsen lassen, so dass soziale Reformen nur wirtschaftliche Mittel für ein buddhistisches religiöses Ziel zu sein hätte.

Bei der birmanischen Oberschicht gab es Bestrebungen, Marxismus und Buddhismus zu harmonisieren, bzw. den Marxismus im Buddhismus "aufzuheben": Marx sei direkt oder indirekt von Buddha beeinflusst gewesen, die buddhistische Botschaft bedeute einen radikaleren Bruch mit der materialistischen geschäfts-zentrischen Gesellschaft als irgendein sozialistisches Programm. Den buddhistischen Heilszielen sollte der Marxismus eine wirtschaftliche Methodologie liefern. 1950 nannte Ba Swe, der Leiter der Birmanischen Sozialistischen Partei, den Marxismus eine niedere Wahrheit, über welche die buddhistische höhere Wahrheit leichter erreichbar wäre. Denn "die Leidensprobleme des Alterns, Siechens und Sterbens können nicht von der marxistischen Philosophie gelöst werden." Doch soll der Marxismus "materielle Befriedigung geben: können doch gegenwärtig die Menschen in Sorgen über Nahrung, Kleidung und Obdach verstrickt, nicht über das Phänomen der Vergänglichkeit meditieren und sich nicht von der Tatsache des Todes befreien.

U Nu wandte sich 1958 von dem Marxismus ab, der eine Diktatur des Proletariats anstrebt und der philosophisch einen Materialismus vertritt. 1960 gewann U Nu, der auf dem Land vielfach als zukünftiger Buddha angesehen wurde, die letzten freien Wahlen in Birma mit einem Programm des buddhistischen Sozialismus: In einer Wahlrede 1959 betonte er, dass Erwerbswettbewerb auf der Illusion vom Ich beruht, die der Buddhismus zu überwinden strebt, dass Erwerbskonkurrenz eine Gesellschaftsordnung hindert, die allen Menschen die Meditation wirtschaftlich ermöglichen würde.

Sowohl in Laos wie auch in Kambodscha machten traditionell buddhistische Völker mit marxistisch oder pseudomarxistisch inspirierten Gesellschaftsformen ihre Erfahrungen.


4.2.2. Laos: Buddhismus im Zeichen der kommunistischen Machtergreifung


In Laos und Kambodscha "konnten" durch die Kommunisten "die Herzen der einfachen Leute nur dann erobert werden, wenn auf ihre buddhistische Grundstimmung eingegangen wurde." Da viele laotische Kommunisten in ihrer Jugend Mönch auf Zeit gewesen waren, kannten sie die diesbezüglichen Empfindungen des Volkes sehr gut.

Vor 1975 genoss der kommunistische Pathet Lao bei großen Teilen des Mönchsordens sehr große Sympathien, die auch von Seiten des Pathet Lao geschickt gepflegt wurden. Im Dezember 1975 kam allerdings die große Ernüchterung. Da wurde in Laos von den Kommunisten das Königtum abgeschafft, ein radikaler Bruch mit der laotischen Tradition. Außerdem wurde im neuen Regierungsprogramm wurde der Buddhismus überhaupt nicht mehr erwähnt. Die nützlichen Idioten hatten ihren Zweck erfüllt. Es folgte von 1976 bis 1979 eine ziemlich buddhismusunfreundliche Politik, wohl vor allem, weil man dem vietnamesischen Fahrwasser folgen musste. Das trug mit dazu bei, dass die kommunistische Partei ihren Kontakt zur Bevölkerung zu verlieren drohte. Deshalb änderte man 1979 seine Politik: seither dürfen die alten Sitten wieder gepflegt werden, Pagoden repariert werden, Klöster dürfen wieder Mönche und Novizen aufnehmen, religiöse Feste dürfen wieder - selbst unter Beteiligung kommunistischer Funktionäre - gefeiert werden. Man versucht jetzt wieder Buddhismus und Politik in harmonische Übereinstimmung zu bringen. Besucht man heute Laos so bekommt man den Eindruck, dass der Buddhismus wieder vollkommen den Anschluss an die Tradition gefunden hat. Man kann wohl sagen, dass alle gutgemeinten Versuche - auch von Mönchen selbst - den sozialen Nutzen des Mönchtums umzudefinieren, am Widerstand der Bevölkerung gescheitert sind.

Viel schlimmer war die Erfahrung der Buddhisten mit dem Marxismus in Kambodscha.


4.2.3. Kambodscha


1975 übernahmen die Roten Khmer in Kambodscha die Herrschaft. Damit begann die physische Ausrottung des Buddhismus.

Im auch nach 1979 von den Roten Khmer kontrollierten Westen Kambodschas wurde im Politischen Programm Religions- und Glaubensfreiheit garantiert. Wie viel so etwas wert ist zeigt die Tatsache, dass die Roten Khmer in ihrem Programm von 1970 den Buddhismus als Staatsreligion anerkannt hatten und ebenfalls die Religions- und Glaubensfreiheit garantiert hatten.

Nach 1979 begann sich der Buddhismus in der vietnamesisch dominierten Volksrepublik Kampuchea wieder etwas zu erholen. Es gab wieder Stimmen über die Vereinbarkeit von Buddhismus und Marxismus. So seien Arbeit, Sparsamkeit, Frugalität, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit Werte genauso des Buddhismus wie des Marxismus. Für das tägliche Leben gebe es deshalb nicht allzu viele Differenzen. Nur das höchste Ziel - das Nibbâna - sei verschieden.

Oder ein Zitat aus einem Aufsatz mit dem Titel "Buddhismus und Vaterland":

"Die Ausbeuterklassen haben unendlich viel Leid über die buddhistischen Gläubigen der ärmsten Schichten des Volkes gebracht. Die Armen sind es auch, die die größte Ungerechtigkeit erdulden müssen und die solidesten und dauerhaftesten Verehrer des Buddhismus sind. Deshalb ist es die Pflicht der Mönche, sich gerade diesen Menschen besonders zuzuwenden, sie zu unterstützen und vom Leiden der Jahrhunderte zu befreien."

In der vietnamesisch dominierten Volksrepublik Kampuchea erhielten die Mönche das aktive und passive Wahlrecht. Mönche konnten Mitglieder der Partei sein. Zahlreiche Mönche waren nicht nur auf höchster Vorzeigeebene, sondern auch in Kommunen in politischen Organen vertreten. Die Wiederaufnahme des Staatsreligionsparagraphen in die Verfassung des Staates Kambodscha im April 1989 stellte nur eine nachträgliche Sanktionierung der schon zuvor existierenden Verflechtung von Staat und Mönchsorden dar. Bis 1989 versuchte man die buddhistischen Mönche ideologisch einzuspannen und so als traditionelle Vehikel für neue Werte zu benutzen. Dann konzentrierte man sich "stärker auf die traditionellen und kulturellen Werte des Buddhismus und betont ihn als untrennbaren Bestandteil des Lebens und der Weisheit des Khmervolkes." Welche Rolle der Buddhismus im neuen Kambodscha spielen wird, muss sich noch zeigen.


4.2.4. Thailand


Während wir sowohl in Myanmar (Birma), Laos als auch Kambodscha Buddhismus in einem wie auch immer gearteten "sozialistischen" Umfeld betrachtet haben, springt uns im buddhistischen Thailand eine frühkapitalistische Gesellschaft ins Auge mit Ansätzen einer frühbürgerlichen Revolution neben einer noch bestehenden militärfeudalistischen Klassengesellschaft. Eine Gesellschaft mit einem enormen Entwicklungstempo samt den damit verbundenen krassen sozialen Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten, Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur. Genau so gespalten wie die Gesellschaft ist auch der Buddhismus. Wir haben Allianzen mit den alten Mächten, Kritik an Kapitalismus und Konsumerismus, rückwärtsprojizierte Utopien vom paradiesischen alten Siam, und natürlich auch eine vollständige Abwendung vom Buddhismus als veraltet und unmodern. Eine Vorhersage, ob Buddhismus unter den neuen Gegebenheiten eine gesellschaftsgestaltende Funktion finden wird oder nicht, wage ich nicht zu geben.


Meine lieben Damen und Herren. 

Wenn ich mir als Buddhist Staat und Gesellschaft in den meinem Herzen sehr nahestehenden Ländern des Theravâdabuddhismus betrachte, dann erinnert mich das an die buddhistische Grundwahrheit, dass wir unser Leid Gier, Hass und Verblendung verdanken und dass wir durchschnittlichen Buddhisten von diesen Wurzeln des Unheilsamen nicht mehr frei sind als andere Menschen auch.

Ich habe Ihnen versprochen, Ihnen keine leicht handhabbaren Totschlagwörter zu bieten und hoffe, dass es mir gelungen ist, Ihnen statt dessen ein wenig Schnupftabak zu reichen, der das Denken anregt. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Toleranz und Güte, womit sie dieses Referat ertragen haben.


ENDE