Der Beitrag des Buddhismus zu einem neuen Weltethos

Vortrag


von Alois Payer

mailto: payer@well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Der Beitrag des Buddhismus zu einem neuen Weltethos  : Vortrag. -- Fassung vom 1. Juni 1996. -- URL: http://www.payer.de/einzel/welteth.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung : 1. Juni 1996

Anlaß: Vortrag auf der Jahrestagung für katholische Religionslehrerinnen und -lehrer an Realschulen im Bistum Münster am 30. Mai 1996. Abgeänderte Fassung eines Referates zur Vorbereitung der Formulierung der Erklärung zum Weltethos in: Interdisziplinäres Kolloquium Menschenrechte -- Weltreligionen -- Weltethos / Hans Küng, Universität Tübingen, 21. Mai 1992.

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1. Einleitung


Nach einer Überlieferung, die von allen Richtungen des Buddhismus gut bezeugt ist, ereignete sich wenige Monate vor dem Lebensende des historischen Buddha Gautama folgende Begebenheit: König Ajâta`satru von Mâgadha, schon seit vielen Jahren ein glühender Anhänger des Buddha, will einen Angriffs- und Eroberungskrieg gegen eine benachbarte Föderation von zwei Republiken führen. Er schickt darum seinen Minister zu Buddha, damit dieser Buddhas Rat hole. Wie reagiert nun Buddha? Er ist nicht entsetzt: "Ja mei, jetzt hat dieser Depp noch immer nichts von Buddhismus verstanden". Buddha hebt auch nicht den Zeigefinger: "Du du, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen und vor allem sollst du nicht gierig sein!" Nichts von all dem. Nein, Buddha weist darauf hin, daß bei dieser Republikenkonföderation bestimmte politische und andere Sitten herrschen, die es unmöglich machen, daß ein Angriffs- und Eroberungskrieg Erfolg hat. Buddha schließt sinngemäß so: Solange diese Vrjis ein einig Volk von Schweizern sind, solange ist ein Krieg gegen sie aussichtslos.

Was können wir aus dieser Story lernen:

  1. erstens einmal: buddhistische ethischer Diskurs ist geduldig
  2. zweitens: buddhistische ethische Beratung geht auf den individuellen Horizont des Beratung suchenden voll ein. D.h. buddhistische ethische Beratung sieht, daß die Menschenwelt einem Lotusteich am Morgen gleicht: einige Lotusse haben ihre Köpfe weit unter der Wasseroberfläche im Schlamm, einige haben ihre Köpfe direkt unter der Wasseroberfläche und einige heben ihre Köpfe aus dem Wasser heraus und haben wunderschön geöffnete Blüten. Man kann auch die verschiedenen Menschen mit verschiedenen Ackerböden vergleichen, die je eine spezifische Behandlung benötigen, um den bestmöglichen Ertrag zu bringen. Dieser Unterschied im - wenn man so will - geistlichen Entwicklungsstand darf für niemanden Anlaß zu Hochmut sein, schließlich brauchte auch der Buddha unzählige Wiedergeburten in nicht vollkommenen Zuständen bis er es zu Buddha gebracht hat. Man sollte sich immer darüber im klaren sein, daß Buddhismus keine Vereinigung von Menschen ist, die im Stechschritt zum Nirwana marschieren. So wird man im Umgang mit den Mitmenschen geduldig auf ihren jeweiligen Horizont eingehen, ohne etwas forcieren zu wollen.

1.1. Persönliche Vorbemerkung


Ich selbst stehe von meiner Sympathie, meiner Biographie und meiner Beschäftigung her de Theravâdabuddhismus am nächsten. Ich werde aber versuchen,im Folgenden nur solches zu bringen, von dem ich glaube, daß es Vertreter aller (oder zumindest der meisten) Richtungen des Buddhismus akzeptieren können.


2. Zur Begründung buddhistischer Ethik


Wie Buddhisten ihre Ethik begründen, spielt in unserem Zusammenhang eines Weltethos eigentlich keine große Rolle. Ob man mit einer Klapperschlange mit Wohlwollen, Mitleid und Mitfreude umgeht, weil man ihr ein Geschöpf Gottes sieht, oder weil man Verantwortung gegenüber künftigen Generationen der Menschheit verspürt, oder weil man an das genbiologische Erbe unserer Erde denkt, oder weil man die goldene Regel anwendet, oder weil man die Möglichkeit sieht, daß diese Klapperschlange die eigene Großmutter ist, oder weil man wie in meinem Fall sozusagen vorweggenommene Solidarität gegen Artgenossen empfindet, weil es bei einer Giftspritze wie mir ziemlich wahrscheinlich ist, daß sie in der nächsten Geburt als Klapperschlange wiedergeboren wird - all diese verschiedenen Begründungen desselben Verhaltens sind aus der Sicht der Klapperschlange ziemlich unwichtig, solange sie nur wohlwollend behandelt wird; solange wir von der Haltung ausgehen: "Dies ist die Heimat der Klapperschlange, wir sind ihre Gäste, benehmen wir uns also auch als gute Gäste."

Dennoch ist die Begründung buddhistischer Ethik in unserem Zusammenhang in zumindest zweifacher Hinsicht von gewissem Interesse: einmal im Zusammenhang der Frage, wie ein Weltethos innerbuddhistisch vermittelt werden kann, zum andern im Zusammenhang des Dialogs mit uns Buddhisten über ethische Einzelfragen.

Die Begründung buddhistischer Ethik geschieht ohne theistischen Rekurs (ohne Bezug auf Gott) und ohne Rückgriff auf eine Seele. Für jemanden, der sich nicht um Erlösung bemüht, ist die Ethikbegründung im Buddhismus dreistufig:

  1. Soweit wie möglich wird eine buddhistische Überlegung oder Beratung in ethischen Fragen auf die Konsequenzen, die ein bestimmtes Tun, eine bestimmte Einstellung in dieser Welt, in diesem seinem Leben für den Handelnden hat, hinweisen. Dann liegt es an einem, zu entscheiden, ob man diese Konsequenzen will oder sie zumindest in Kauf nehmen will. Buddhistisches ethisches überlegen wird also zunächst einmal Zusammenhänge zwischen meinem Handeln und Folgen für mich in diesem Leben sehen wollen. Auf dieser ersten - sehr wichtigen Stufe - ist buddhistische Ethik nichts Weiteres als allgemein nachvollziehbare Lebensweisheit. (Diese Haltung bezeichne ich Karma als Sichtweise der Wirklichkeit).
  2. Es ist für Sie natürlich klar, daß eine solche Ethikbegründung auch an ihre Grenzen stoßt. Es ist ja sicher so, daß es sich oft für uns langfristig oder kurzfristig lohnt, anständig zu sein, aber es ist ebenso unsere empirische Erfahrung, daß es oft auch sehr lohnend ist oder zumindest lohnend zu sein scheint, ein Schurke zu sein. Sollte jemandem diese Erfahrung fehlen, dann braucht er nur den SPIEGEL zu lesen oder im Fernsehen Politmagazine zu schauen. Es ist die Erfahrung, die Oberbürgermeister Rommel treffend so ausdrückte:

    Die Welt ist schlecht und ungerecht,
    denn Dir geht's gut und mir geht's schlecht.
    Wär die Welt gerechter,
    ging's mir besser und Dir schlechter.

    Hier setzt nun für Buddhisten die Überzeugung von Karma und Wiedergeburt ein. Auch in diesem Rahmen läuft ethische Beratung so: diese Tat/Einstellung hat diese karmische Wirkung in einer Wiedergeburt. Entscheide dich, ob du diese Konsequenz willst oder in Kauf nehmen willst. Wenn es jemandem z.B. nichts ausmacht, seine nächste Geburt als Klapperschlange zu verbringen, dann ist das seine Sache. Dieser Rekurs auf Wiedergeburt ist die zweite Stufe buddhistischer Ethikbegründung. Auch diese Stufe ist in Ländern, wo der Glaube an Wiedergeburt ein durch die kulturelle Tradition vermitteltes allgemeines Deutungs- und Erfahrungsmuster ist, ziemlich allgemein nachvollziehbar.

  3. Da aber der Zusammenhang von Taten/Einstellungen und ihren Folgen über den Lauf der Wiedergeburten auch in solchen Ländern nicht in jeder Einzelheit evident ist, folgt als dritte Stufe buddhistischer Ethikbegründung der Rückgriff auf den Glauben an die Aussagen von Buddha und anderen, von denen man glaubt, daß sie diese Zusammenhänge kognitiv durchschauen. (Dies bezeichne ich Karma als Ideologie. Eine solche Karmaideologie schadet meines Erachtens der Verbreitung der für alle Menschen förderlichen Karmasichtweise.)

Will man den Erlösungsweg gehen, dann ist sittliches Verhalten nicht mehr in erster Linie durch den Wunsch nach guten Folgen in diesem Leben und in Wiedergeburten motiviert, sondern durch die Einsicht, daß Sittlichkeit Voraussetzung für Erlösung ist und jegliches Hingezogenwerden zu Angenehmen oder Abgestoßenwerden von Unangenehmen die Bindung an Leid bedingt. Sittlichkeit führt aber nicht zur Erlösung, sondern nur zu den niederen günstigen Existenzformen.

So rational, so zweckrational diese buddhistische Ethikbegründung klingen mag, so sind unerlöste Buddhisten in ihrem Handeln trotzdem nicht signifikant rationaler als andere Menschen, eben weil ihr Handeln sehr oft von Gier, Haß und Verblendung geleitet ist, den Wurzeln einer nichterlösten Existenz. Wir unerlösten Menschen sind alle immer wieder wahn-sinnige, die aus Gier nach vermeintlichem Glück rücksichtslos über Leichen gehen.

3. Inhalte buddhistischer Ethik:

Ich wende mich jetzt inhaltlichen Aspekten buddhistischer Ethik zu.

Der Buddhismus bringt sicher nicht die Lösung aller oder auch nur der wichtigsten Weltprobleme. Ein Blick auf die Länder, in denen Buddhisten die Mehrheit bilden und den Zugang zu Macht und Ressourcen haben, zeigt dies dies zur Genüge. Wir wollen also nicht nach dem Motto verfahren: Daheim haben wir jetzt eine schöne Sauordnung angerichtet, jetzt können wir uns den Problemen der restliche Welt widmen.

Ich werde mich jetzt auch nicht der Aufgabe widmen, zu allem Guten und Schönen was wir bisher gehört haben und noch hören werden, nachzuweisen, daß wir Buddhisten das in unserer Tradition auch besitzen. Dies wäre für das meiste wohl nicht besonders schwierig, da Buddhismus - wie wohl jede große, alte Religion - einen großen Werkzeugkasten besitzt, in dem sich vielerlei befindet, was sich je nach Wunsch instrumentalisieren läßt. Dies ist auch wichtig, um ethische Gedanken, die in einer bestimmten Situation besonders betont werden sollen, innerbuddhistisch zu vermitteln.

So ist es auch für Buddhisten möglich, eine uns bekannte Auch-Dabei-Haltung zu entwickeln. (So kann man auch einen feministischen Buddhismus entwickeln, einen ökologischen Buddhismus, einen postmodernen Buddhismus usw.) Ich will diese Spur im Folgenden aber nicht weiter verfolgen, sondern die zentralen Punkte buddhistischer Ethik herausarbeiten.


3.1. Was macht es aus, daß nach Buddhistischer Ansicht etwas karmisch-heilsam oder unheilsam, gut oder böse ist: die Wurzeln


Karmisch-unheilsam ist nach buddhistischer Ansicht ein Bewußtseinsfaktor, der mit einer oder zwei der unheilsamen Wurzeln Hingezogenwerden (Gier), Abgestoßenwerden (Haß) und Verblendung verbunden ist. Karmisch heilsam (oder karmisch neutral) sind also Bewußtseinsfaktoren, die frei sind von diesen Wurzeln.


4.2. Freigebigkeit


Eine Tugend, die Buddhisten sehr preisen, ist Freigebigkeit. Ja, wie wir sehen werden, läßt sich die ganze buddhistische Laienethik im Begriff der Freigebigkeit zusammenfassen.

Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß ja der buddhistische Orden von der Freigebigkeit der Laien abhängt, sondern auch und vor allem davon, daß Freigebigkeit (bei der die richtige Einstellung entscheidend ist) Ausdruck von Nicht-Gier und Nicht-Haß ist.


4.3. Die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit


Die grundlegenden Sittenregeln der Buddhisten sind die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit:

  1. Enthaltung vom Töten von Lebewesen
  2. Enthaltung von Diebstahl
  3. Enthaltung von Ehebruch
  4. Enthaltung von Lügen, Denunziation, Hintertreiberei, verbalen Grobheiten, Klatsch und Geschwätz
  5. Enthaltung von Rauschmitteln, die Anlaß zu Nachlässigkeit sind.

Diese Trainingspunkte kann der einzelne Buddhist einfach befolgen oder sie bei Bedarf in einer Selbstverpflichtungsformel auf sich nehmen: jeweils: "Ich nehme diesen Trainingspunkt auf mich."

Vielleicht erscheinen Ihnen diese Trainingspunkte als nun gar wenig oder als zu negativ formuliert. Ich meine, daß eine annähernde Verwirklichung dieser Trainingspunkte schon sehr viel wäre. Buddhisten werden da auch keinen Alles-oder-Nichts-Standpunkt einnehmen: es ist besser seine übliche Lügenquote um 20% zu senken, als dem für einen Geschäftsmann, Versicherungsvertreter oder religiösen Funktionär vielleicht nicht realisierbaren Ideal 100%zentigen Nicht-Lügens und Nicht-Betrügens nachzutrauern. Wichtig ist auch hier die Achtsamkeit, daß man weiß, was ich tue ist richtig, bzw. nicht richtig und ich muß dafür gerade stehen.

Die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit sind nur auf soziale Beziehungen gerichtet: Man kann die ganze buddhistische Laienethik als Form der Freigebigkeit, nämlich als freigebige Gabe Gabe der Angstlosigkeit und Furchtlosigkeit zusammenfassen:

Ich trainiere ein Verhalten, daß meine Mitwelt vor mir möglichst keine durch mich verursachte Angst und Furcht haben muß.

Im Einzelnen:

Wir sehen: alles sozial relevante Verhaltensweisen.


4.4. Sonstige Laienethik


Sonstige Handlungsratschläge für das Alltagsleben des Laien würden Ihnen vielleicht sehr bieder anmuten. Wenn ich Beispiele davon bei Vorträgen zitiere, wundern sich meine Zuhörer immer, daß der Buddhismus nicht Staatsreligion von Baden-Württemberg ist, so sehr entsprechen diese Verhaltensratschläge den Idealen schwäbischen und badischen Fleißes und Haushaltens. Doch sind diese Ratschläge zu sehr auf ganz bestimmte historische gesellschaftliche Zustände bezogen als daß sie für ein Weltethos geeignet wären.

Wichtig dagegen ist innerhalb eines Weltethos die Einstellung der Buddhisten zu Politik, Staat und Gesellschaft:

Buddha war durchaus ein politischer Mönch, wenn man darunter versteht, daß er politischen Rat gab. Das Beispiel mit König Ajâtasattu, das ich am Anfang erwähnte, möge als Beleg genügen.

Für Buddhisten ist ein gut funktionierendes, soziales Gemeinwesen etwas sehr Wichtiges. Schön sieht man dies im Cakkavattisutta des Dîghanikâya: dort wird in einer Abfolge von Bedingungen in Abhängigkeit geschildert, wie Diebstahl, Lüge, Mord und alle Arten von Unheil allmählich über die Menschheit gekommen sind, weil ein Herrscher, ein Inhaber staatlicher Gewalt, es versäumte, den Wohlfahrtsstaat dadurch aufrecht zu erhalten, daß er durch Hilfe zur Selbsthilfe dafür sorgt, daß es keine Armut gibt: Armut bedingt Diebstahl, Diebstahl bedingt Strafe, Strafe bedingt exzessive Strafe, nämlich Todesstrafe, Todesstrafe bedingt Schwächung des Tötungstabus, und damit Mord usw.

Der gerechte Inhaber politischer Macht ist im Buddhismus hoch angesehen: ein Bodhisattva hat in seiner letzten Geburt die Möglichkeit, entweder ein gerechter weltbehrrschender Politiker (ein Cakkavatti) zu werden, oder ein Buddha. Diese Paralellisierung zeigt die hohe Einschätzung des gerechten Politikers.


4.5. Maßstäbe für Sittlichkeit: die vier unermeßlichen Haltungen


Obwohl sie ihren eigentlichen Ort in der Ruhigwerdemeditation haben, kann man die vier unermeßlichen, unbegrenzten Haltungen (Einstellungen) wegen ihres sittlichen Gehaltes auch als ethischen Maßstab oder ethische Grundprinzipien ansehen. Als solche werden sie auch im Buddhismus gesehen, wenn man sich auch völlig klar ist, daß es für uns gewöhnliche Menschen meist nur ferne Zielpunkte sein werden. Diese vier unermeßlichen, unbegrenzten Haltungen sind:

  1. Wohlwollen (Güte, Freundlichkeit) (mettâ/maitrî)
  2. Mitgefühl (Mitleid) (karunâ)
  3. Mitfreude (muditâ)
  4. Gelassenheit (Gleichmut) (upekkhâ).

Schön formuliert hat die Deutsche Buddhistische Union diese vier Unermeßlichkeiten in ihrem Buddhistischen Bekenntnis:

"Zu allen Wesen will ich unbegrenzte Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut entfalten, im Wissen um das Streben aller Lebewesen nach Glück."

Ersetzt man in dieser Erklärung "Liebe" durch "Wohlwollen", dann halte ich diese Formulierung für eine sehr gute Formulierung der Grundeinstellungen buddhistischer Ethik.

Inhaltlich werden mir da wohl fast alle Buddhisten zustimmen, wenn auch manche Buddhisten und Buddhologen an dem Gebrauch dieser Formulierung als ethischen Grundregeln wegen der Verbindung dieser Formulierung mit Ruhigwerdemeditation ihre Bedenken haben könnten.

So könnte man die inhaltliche Essenz buddhistischer Ethik, der Gabe der Furchtlosigkeit, auch so ausdrücken:

Zu allen Wesen will ich unbegrenztes Wohlwollen, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut entfalten, im Wissen um das Streben aller Lebewesen nach Glück.

Ein wichtiger Begriff ist dabei das Entfalten. Die Entfaltung dieser Einstellungen beginnt am besten bei einem selber und kann dann ausgedehnt werden über die Wesen, bei denen es einem relativ leicht fällt, bis zu denen, bei denen es einem schwer fällt, von der heiligen Dreifaltigkeit oder was darüber liegen mag bis hinab zu armen Schluckern in irgendeiner Hölle.

Der Nutzen dieser Einstellungen und der daraus entfließenden Gedanken, Worte und Werke kommt zunächst und in erster Linie dem zu, der diese Haltungen in Gedanken, Worten und Werken entwickelt. Haß und Aversion, Grausamkeit, Neid und fehlender Gleichmut plagen oft und vor allem den, der solche Einstellungen hat. Da kann man selber Abhilfe schaffen. Wie aus Wohlwollen kommende Worte, Taten oder Verhalten beim Adressaten wirken, haben wir noch weniger in der Hand als die Wirkungen bei uns selbst. (Nur in Klammern möchte ich hinzufügen, daß Buddhisten dennoch die Wirkungen solcher Einstellungen auf die Mitwelt als sehr positiv einschätzen).

Der Inhalt dieser Begriffe wird recht schön in ihren Meditationsformeln ausgedrückt:

Wohlwollen (Güte, Freundlichkeit) ist das Gegenteil zu Haß und Aversion. Die Formel:

"Mögen alle Wesen frei von Anfeindungen, frei von Bedrückung, frei von Beklemmung glücklich ihr Leben verbringen."

Diese Haltung entwickelt man, indem man sich in allem wiedererkennt.

Mitgefühl (Mitleid) (karu.nâ) ist das Gegenteil von Grausamkeit. Die Formel:

"Mögen alle Wesen vom Leid befreit werden."

Mitfreude (muditâ) ist das Gegenteil von Neid und Eifersucht. Die Formel:

"Mögen alle Wesen erlangtes Wohlergehen nicht verlieren."

Gelassenheit(upekkhâ) ist das Gegenteil von Gier und Haß. Es ist die Einstellung, die letztlich auch den drei vorgenannten zugrunde liegen soll. Daß Gelassenheit zusammen mit den drei übrigen unbegrenzten Einstellungen genannt wird, zeigt deutlich, daß Gelassenheit nicht Gleichgültigkeit ist.

Richtig versteht man jede einzelne dieser Haltungen, die keine Grenzen kennen, nur, wenn man sie so versteht, daß sie mit den übrigen drei vereinbar ist.

Selbstverständlich ist die Entfaltung dieser Einstellungen in der Ruhigwerdemeditation einfacher als im praktischen Leben. Im tätigen Leben treten ständig Konfliktsituationen, Optimierungsprobleme und Prioritätsfragen auf. Schon in einer so einfachen Situation, wie wenn ich einen Bandwurm habe kollidiert mein Wohlwollen und Mitleid mit mir selbst mit dem Wohlwollen und der Mitfreude mit dem Bandwurm.

Trotzdem: wenn wir allmählich in unserem Handeln und Verhalten immer mehr die Einwirkungen auf das Unwohl anderer beachten, ist für uns selbst und vermutlich auch für die anderen viel gewonnen.

Heute machen Nichtbuddhisten in bewundernswerter Weise auf nicht offen zutage liegende Wirkungen unserer Handlungen und unseres Lebensstils auf das Unwohl anderer aufmerksam, leiten zu vernetztem Denken an, weisen uns auf unsere Rücksichtslosigkeiten hin. Ich nenne hier nur beispielsweise das Worldwatch Institute, viele kirchliche und weltliche Dritte-Welt-Organisationen und viele Umweltorganisationen. Dort wird Welt-Ethos praktiziert.

Macht man diese unbegrenzten Einstellungen zu einer Richtschnur für Handeln, dann sollte man, damit zum Vornherein eine Pervertierung in dem Sinne ausgeschlossen ist, daß man vor lauter Wohlwollen oder Mitleid den anderen erdrückt, das Recht des Anderen formulieren, das ich schon einmal etwas salopp so formuliert habe: Jeder hat das Anrecht auf Irrtum und Laster. Dies ist ein implizites Grundprinzip buddhistischer Ethik.


4. Beitrag des Buddhismus zu einem Weltethos


Sowohl im ersten Trainingspunkt der Sittlichkeit (Enthaltung vom Töten von Lebewesen) als auch in den eben genannten unbegrenzten Einstellungen zeigt sich als ein möglicher - keineswegs exklusiver - Beitrag des Buddhismus zu einem Weltethos die Ergänzung der Rücksichtnahme gegenüber dem Mitmenschen durch die Rücksichtnahme gegenüber den Mitwesen, der Mitmenschlichkeit durch eine Mitweltlichkeit (zumindest bezogen auf andere empfindende Wesen), daß wir also das Modell Mensch-Umwelt ersetzen durch ein Modell Mensch-Mitwelt. Und dies ohne den Menschen irgendwie zu entwerten: auch für Buddhisten steht der Mensch in seinem Wert über einem Tier. Doch, wie die von mir weiter oben genannten Institutionen und Aktionsgruppen zeigen, für diese Einsicht bedarf die Welt des Buddhismus nicht, wie ja auch der Buddhismus keinerlei exklusiven Anspruch auf seine Ethik erhebt. Als Multiplikator solcher Einsichten in den eigenen Reihen könnte und sollte der Buddhismus aber wirken wie er es ja auch immer wieder mit größerem oder geringerem Eifer und/oder Erfolg getan hat.


6. Schluß


Buddhisten sollten sich immer bewußt bleiben, daß durch und durch gute Menschen - also für Theravâdins Erlöste, oder für Mahâyânins gewisse Bodhisattvas - immer eine kleine, ja winzige Minderheit bilden werden, daß also ein Paradies auf Erden, das ja gute Menschen voraussetzt, nicht zu schaffen ist. Gier, Haß und Verblendung bleiben für die meisten von uns die Wurzel für sehr viele unserer Gedanken, Worte und Werke.

Buddhisten, die sich damit schmeicheln, Realisten zu sein, sollten das immer beachten.

Meine lieben Damen und Herren! Zu Beginn habe ich die buddhistische Tugend der Geduld erwähnt. Durch die Geduld, die sie eben mit mir gehabt haben, haben Sie wieder einmal gezeigt, daß buddhistische Tugenden gewiß kein Monopol der Buddhisten sind. Danke!