Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript

exlogo.gif (19334 Byte)

Kap. 8: Die eigentliche Exegese, Teil II: Zu einzelnen Fragestellungen synchronen Verstehens

Anhang D: Über den nominalen Stil des wissenschaftlichen Sanskrits (1903) / von Hermann Jacobi


herausgegeben von Alois Payer

mailto:payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript.  -- Kap. 8: Die eigentliche Exegese, Teil II: Zu einzelnen Fragestellungen synchronen Verstehens. -- Anhang D: Jacobi, Hermann <1850 - 1937>: Über den nominalen Stil des wissenschaftlichen Sanskrits (1903). -- Fassung vom 2007-02-14. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg08d.htm

Erstmals publiziert: 1903 in: Indogermanische Forschungen. -- 14 (1903). -- S. 236 - 251. -- Wieder abgedruckt in: Jacobi, Hermann <1850 - 1937>: Kleine Schriften / hrsg. von B. Kölver. -- Wiesbaden : Steiner, 1970. -- (Veröffentlichungen der Glasenapp-Stiftung; 4). - -Tl. 1. -- S.6-21.

Erstmals online publiziert: 2007-02-14

Überarbeitungen: 

Anlass der Online-Veröffentlichung: Lehrveranstaltung Proseminar Indologie WS 1995/96

Dieser Text ist Teil der Abteilung Sanskrit  von Tüpfli's Global Village Library


"Jacobi, Hermann (Georg), Indologe, geb. 11.2.1850 Köln, gest. 19.10.1937 Bonn

Jacobi studierte seit 1868 Mathematik, Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft und erwarb bei Albrecht Weber Kenntnisse der Indologie. 1872 wurde er promoviert, war 1873/74 in Indien und machte sich dort bei Georg Bühler mit indischen Handschriften vertraut. 1875 für Sanskrit und Sprachwissenschaften an der Univ. Bonn habilitiert, wurde er 1876 Prof. in Münster, 1885 in Kiel und 1889 in Bonn. 1913/14 bereiste er erneut Indien. Jacobi arbeitete vor allem zur indischen Astronomie und Chronologie, Dichtungstheorie und Metrik sowie zum Ramajana und zum Mahabharata. Er veröffentlichte u.a. Ausgewählte Erzählungen in Maharashtri (1886), Das Ramayana. Geschichte und Inhalt (1893), Compositum und Nebensatz (1897) und Mahabharata. Inhaltsangabe, Index und Concordanz (1903). "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]


Über den nominalen Stil des wissenschaftlichen Sanskrits.

Alternde Sprachen neigen, namentlich wenn sie lange wissenschaftlichem Denken gedient haben, zu nominaler Ausdrucksweise. Begriffe scheinen ja viel schärfer und angemessener durch Nomina ausgedrückt als durch die mehr der Sphäre der Anschauung sich näherenden Verba umschrieben werden zu können. Je mehr also mit reifender Geisteskultur das Denken abstrakter wird, um so mehr nimmt die Sprache nominales Gepräge an. Solche Altersveränderungen finden sich mehr oder weniger in allen Literatursprachen, nirgends aber in auffallenderem, ich möchte sagen erschreckenderem Grade als in dem Sanskrit der wissenschaftlichen Literatur, und auch da je später um so mehr. Um nur ein Beispiel zu nennen, so wird in Gangeśa's Tattvacintāmaṇi, einem etwa Ende des 12. Jahrhunderts abgefassten philosophischen Werke, von dem verbum finitum der spärlichste Gebrauch gemacht, und die wenigen Verba, die vorkommen, sind meist von abstraktester Bedeutung, so dass sie schemengleich zwischen den begriffsblassen Nomina verschwinden.

Von Stufe zu Stufe lässt sich diese Entwicklung des wissenschaftlichen Sanskritstiles deutlich verfolgen, und können wir die Gründe derselben mit großer Wahrscheinlichkeit angeben. Zunächst kommt die Stellung des klassischen Sanskrits als privilegiertes Ausdrucksmittel der höheren Bildung Indiens in Betracht. Wie es den niedrigsten Volksschichten zum großen Teile unverständlich geworden war, so hatte es auch aufgehört, auf alle Gebiete des menschlichen Lebens angewandt zu werden. Den alten Grammatikern bot noch die Sprache der Küche und des Stalles reichlichen Stoff zu manchen sprachlichen Bemerkungen und grammatischen Beispielen; aber zur Zeit der klassischen Literatur werden sich nur die Wenigsten über die dieser niedern Sphäre angehörende Dinge in idiomatischem Sanskrit haben ausdrücken können. Mit der zunehmenden Abkehr von der gemeinen Alltäglichkeit des Daseins und der damit Hand in Hand gehenden Zuwendung zum höheren geistigen Leben stieg in dem sich also einengenden Ideenkreise, welchem das Sanskrit als Ausdrucksmittel diente, das Bedürfnis begrifflicher Darstellung. Dass dieses in nominaler Ausdrucksweise Befriedigung suchte, scheint ja im Wesen der Sprache überhaupt begründet zu sein; für die spezielle Richtung aber und für die Dimensionen dieser Bewegung ist der Sūtrastil maßgebend gewesen. Denn die Sūtra, als Kompendia zum Memorieren bestimmt, befleißigten sich seit alters größter Zusammendrängung des Stoffes: die aphoristische Ausdrucksweise nimmt sich die Erlaubnis zu weitgehenden Kürzungen. Dem vorwaltend inhaltlichen Interesse genügt das nominale Skelett des Satzes, weil das Verbum ja unschwer aus dem Zusammenhang ergänzt werden kann, wenn der begriffliche Kern schon in den Nomina verkörpert ist. Und so finden wir denn schon in den Sūtra, namentlich den philosophischen, alle jene Ausdrucksweisen vorgebildet, welche in späteren wissenschaftlichen Werken vollkommen ausgebildet sind und methodisch angewandt werden, nur dass diese sich freiwillig der sprachlichen Mittel bedienen, zu denen die Sūtra unter äußerem Zwange gegriffen hatten.

Auf der höchsten Stufe ihrer Entwicklung erscheint die Sprache der wissenschaftlichen Literatur als eine ganz eigenartige Neubildung, in die sich einzuleben nicht bloß der Anfänger die größte Mühe hat. Bei gleichem Wortschatz und denselben grammatischen Formen wie im gewöhnlichen Sanskrit tritt eine gänzlich veränderte Satzbildung hervor, deren Formen sich zwar auf die eigentlichen Funktionen der ursprünglichen Sprachmittel zurückführen lassen, diesen gegenüber aber als etwas Neues, als Gebilde höherer Ordnung erscheinen. Ich will versuchen, die hauptsächlichsten Erscheinungen des nominalen Stiles einzeln vorzuführen und ihn selbst durch eine zusammenhängende Textstelle zu illustrieren.

Den Ausgangspunkt der neuen Entwicklung bildet die Wiedergabe des Prädikatsinhaltes durch ein abstraktes Substantivum. Dies hat zur unmittelbaren Folge, dass das Subjekt des ursprünglichen Satzes nun in den Genitiv zu stehen kommt. Zur Vollendung des Satzes gehört dann noch ein verbaler Ausdruck von allgemeiner Bedeutung wie asti dṛśyate ucyate usw. der aber auch fehlen kann, namentlich wo Kürze angestrebt wird, wie in Sūtrawerken. Ein Beispiel aus alter Zeit entnehme ich dem Nyāya Sūtra 2, 1, 17 : taiś cā 'padeśo jñānaviṣeṣāṇām. Der Kommentator Vātsyāyana (vor 500 p. Chr.) gibt dies Sūtra in natürlicher Sprache wieder: tair — indriyair arthaiś ca —  vyapadiśyante ñānaviṣeṣāḥ. Wir übersetzen also : "nach ihnen - den Sinnesorganen und ihren Objekten — werden die Erkenntnisarten benannt". In diesem Falle besaß die Sprache ein dem ganzen Prädikate (vyapadiśyante) inhaltlich entsprechendes Abstraktum (vyapadeśa). Das ist aber durchaus nicht immer der Fall; dann denke man sich den Prädikatsausdruck in seinen formalen, d. i. rein prädizierenden Teil und seinen inhaltlichen Teil zerlegt. Letzterer, das Prädikatsnomen, wird nun in ein Abstraktum, meistens durch die Ableitungssilben tva oder , verwandelt. Dieses einfache Mittel gestattete nicht nur in jedem Falle das als Prädikat zu denkende Verbum nach seiner Transformation zu einem Adjektiv, Partizip usw. in ein Abstraktum zu verwandeln, sondern auch den ganzen Prädikatsausdruck, d. h. was im natürlichen Satze das Verbum mit Objekt, adverbiellen Bestimmungen usw. ist, indem nämlich der nominal ausgedrückte Verbalbegriff mit jenen zusammengesetzt und dann das Kompositum durch tva (oder ) zu einem Abstraktum erhoben wird. Hierdurch ist es möglich, Subjekts- und Prädikatsausdruck (anuvāda und vidhi) scharf von einander zu sondern und gegenüber zu stellen; und eben dies war es wohl, was die neue Ausdrucksweise für die wissenschaftliche Darstellung besonders empfahl. Wenn wir die Ableitungssilbe tva oder möglichst genau wiedergeben wollen, wäre es durch "das .... — Sein"; von da aus ist die für uns nötige Umwandlung in einen verbalen Ausdruck leicht zu finden, z B. tamaso daśamadravyatvaṃ siddham NB.1 S. 5 "es steht fest, dass die Finsternis die zehnte Substanz sei".

1 Die Abkürzungen bedeuten

Ich gebe einige typische Beispiele. Nur das Verbum ist in ein Abstraktum verwandelt: tamasaḥ pṛthivyām antarbhāvo na sambhavati NB. S. 4 "die Finsternis kann nicht in (der Substanz) Erde miteinbegriffen sein". Das Verbum mit seinem Objekt wird substantiviert: maṅgalasya samāptisādhanatvaṃ nāsti TSD. S. 1 "das Eingangsgebet (maṅgala) bewirkt (sādhana) nicht die Vollendung (eine Buches)"; verbal ausgedrückt: samāptiṃ na sādhayati. Man beachte, dass das Objekt hier ein Abstraktum ist, das wieder durch einen Satz, einen Objektssatz (dass — das Buch — vollendet werde) übersetzt werden kann. Das Verbum mit einer adverbialen Nebenbestimmung: Dh. 24 na ca sarvatra teṣāṃ (sc. rasānāṃ) svaśabdaniveditatvam "nicht allenthalben werden diese (sc. die Stimmungen) mit ihrem Namen genannt"; verbal ausgedrückt svaśabdena nivedyante. Die Zusammensetzung ist in diesem Falle nicht notwendig, so findet sich ähnlich NS. 2,1,25 svaśabdena vacanam. Ob komponiert werde oder nicht, darüber entscheiden Rücksichten der Satzökonomie und der Deutlichkeit. — Ich mache noch darauf aufmerksam, dass in diesen Fällen, wo es sich um Hauptsätze handelt, das Verbum rein formale Bedeutung hat, aber nicht nur die, die Aussage als solche zu bezeichnen (in welchem Falle es ja auch gern fehlt), sondern auch die, die Modalität derselben anzugeben, als Negation nāsti, Möglichkeit sambhavati, Gewissheit, siddham usw. Manche Arten der Modalität können auch nominal ausgedrückt werden, indem ein entsprechendes Abstraktum mit dem Prädikatsausdruck komponiert wird, Dh. 59 iti pratyekam alaṃkārāṇāṃ lakṣaṇakaraṇe vaiyarthyaprasaṅgaḥ "dann würde (prasaṅga) es überflüssig sein (vaiyarthya), die poetischen Figuren einzeln zu definieren". TC. 1,170 anyathā... aprāmāṇyasya svatograhāpattiḥ "andernfalls müsste (āpatti) die Unrichtigkeit eo ipso erkannt werden". Hierauf werden wir bei den Nebensätzen zurückkommen. Vorher muss aber noch eine andere Art, das Prädikat auszudrücken, erwähnt werden.

Es kann nämlich bei gewissen Verben allgemeiner Bedeutung das Prädikatsnomen durch den Instrumentalis seines Abstraktums wiedergegeben werden, wo wir im Deutschen gewöhnlich 'als' zu dem Prädikatsnomen setzen. Einige Beispiele mögen genügen, den Gebrauch dieses Instrumentalis praedicativus, der meines Wissens noch nicht beschrieben ist, zu illustrieren. hetuḥ .... liṅgatvena nibadhyate AS. 144 "der Grund . . . wird als syllogistisches Merkmal dargestellt", padārtho hetutvenoktaḥ ib. 145 "die p. p. Wortbedeutung wird als Grund ausgesprochen", vācyam eva prādhānyena pratīyate Dh. 116 "das Ausgesprochene wird als das Hauptsächliche aufgefasst", vācyo 'rthaḥ pratīyamānāṅgatvenaivāvabhāsate ib. 120 "der ausgesprochene Sinn erscheint als ein Bestandteil des hinzuzudenkenden", evam ekavākyārthagatatvena kāvyaliṅgam udāhriyate AS. 145 "so wird die (poetische Figur) Kāvyaliṅga an einem Beispiel illustriert als beruhend in dem Sinne eines Satzes". — Bei der Umwandlung des Verbums in ein abstraktes Substantivum bleibt natürlich der Instrumentalis praedicativus unverändert: śleṣasya vyatirekāṅgatvena vivakṣitatvam Dh. 92 "(in dem betr. Beispiele) ist der Śleṣa als Bestandteil der (Figur) Vyatireka gemeint". AS. 192 wird auseinandergesetzt, dass mehrere poetische Figuren nach Analogie der Verbindung (saṃyoganyāyena), oder der Inhärenz (samavāyanyāyena) in einer Strophe usw. vereinigt sein können, und dann heißt es weiter: saṃyoganyāyo yatra bhedasyotkaṭatvena sthitiḥ, samavāyanyāyo yatra tasyaivānutkaatvenāvasthānam "der samyoganyāya (liegt da vor), wo die Gesondertheit (der Figuren) evident ist, der samavāyanyāya, wo sie es nicht ist". Auch in diesen Fällen sehen wir, dass das Prädikat im engeren Sinne durch ein abstraktes Nomen vertreten werden kann, wobei das ursprüngliche Subjekt in den Genitiv treten muss.

Nachdem wir die Prinzipien, die bei der Satzbildung auf nominaler Basis gelten, bei Hauptsätzen kennen gelernt haben, wenden wir uns jetzt zur Betrachtung von gewissen Arten von Nebensätzen als dem hauptsächlichen Gebiete, worauf die nominale Ausdrucksweise zur Anwendung gelangt1.

1 Es ist in der indischen Sprachentwicklung begründet, dass neu gebildete Ausdrucksweisen Verwendung fanden, um das wiederzugeben, was wir durch Nebensätze ausdrücken, wie z. B. die Komposition. Denn die alte Sprache war kaum über die Parataxe hinausgekommen, und ihre Nebensätze waren großenteils korrelativ gedacht, was sich noch nicht allzusehr von der Parataxe entfernt. Damit mochte man auskommen, solange die Gedanken sich einfach kettenartig aneinander reihten. Sowie aber mannigfach gegliederte Gedankenkomplexe nach sprachlichem Ausdruck verlangten, reichte die Parataxe nicht mehr aus, und da die alten Sprachmittel auch nicht volles Genüge taten, so mussten neue um so bereitwilligere Aufnahme finden.

Ein solcher Nebensatz ist ebenso gebaut, wie die oben besprochenen Hauptsätze; seine Beziehung zu dem Hauptsatze wird durch den Kasus ausgedrückt, in welchen der in ein Abstraktum verwandelte Prädikatsausdruck tritt. Am häufigsten findet sich der Ablativ zur Umschreibung von Kausalsätzen. Ich gebe zunächst ein Beispiel aus der Sūtraliteratur, NS. 2, 1, 25 pratyakṣanimittatvāc cendriyārthayoḥ sannikarṣasya svaśabdena vacanam "weil der Kontakt (sannikarṣa) von Sinnesorgan und Objekt die Ursache der sinnlichen Wahrnehmung ist, so wird (er in der Definition der Wahrnehmung) ausdrücklich genannt (svaśabdena vacanam)". Hier ist das Subjekt sannikarṣasya des Hauptsatzes auch zugleich Subjekt des Nebensatzes nimittatvāt, weshalb es zwischen beiden steht. Doch kann das Subjekt des Hauptsatzes von dem des Nebensatzes verschieden sein z. B. ātmanām anekatvān manaso 'py anekatvam TSD. 16 "weil es viele Seelen gibt, gibt es auch viele innere Sinne". Meistens steht aber der kausale Nebensatz hinter dem Hauptsatze; alsdann fehlt gern das Subjekt des Nebensatzes, wenn es in dem Hauptsatz schon genannt ist. Z. B. parvato vahnimān dhūmavattvāt "der Berg hat Feuer, weil er Rauch hat". Weitere Beispiele wird der nachher mitgeteilte Text in Fülle bieten. Hier sei aber noch auf eine Eigentümlichkeit solcher Sätze hingewiesen, nämlich dass die Modalität der Aussage in den diese enthaltenden Ausdruck, wie oben angedeutet, aufgenommen wird. Die Tatsächlichkeit wird z. B. durch darśana ausgedrückt Dh. 193 gauṇānāṃ śabdānāṃ prayogadarśanāt "weil bildliche Ausdrücke bekanntlich (darśanāt) gebraucht werden". Die Möglichkeit durch sambhava, Ku. 2, 58 . . anyasmād api tadutpattisambhavāt "weil es auch aus etwas anderm entstehen könnte". Die Unwirklichkeit wird durch āpatti oder prasanga umschrieben ib. 2, 59 avahner api . . . dhūmotpattyāpatteḥ "weil dann auch aus etwas, das nicht Feuer ist (avahner), Rauch entstehen müßte" ib. tayor akāraṇatvaprasaṅgāt "weil dann diese beiden nicht Ursachen wären". Aber obschon wir oft in der angegebenen Weise übersetzen können, so geben die genannten Wörter doch keinen reinen Ausdruck der Modalität; neben der formalen Bedeutung bleibt ein Rest der inhaltlichen, welche nach dem Zusammenhang stärker oder schwächer hervortreten kann. Dieser Übelstand ist eben von der nominalen Ausdrucksweise untrennbar; denn liegt der Vorzug des Nomens vor dem Verbum darin, dass es den begrifflichen Inhalt schärfer bezeichnet, so steht es eben deshalb hinter jenem zurück, wenn es gilt, die rein formale Seite des Gedankens auszudrücken, weil eben ein Inhalt zur Bezeichnung der Form wenig geeignet ist1.

1 Eine analoge Erscheinung zeigt sich auch auf anderem Gebiete. Die durch Endungen ausgedrückten formalen Bestimmungen müssen in Komposita unausgedrückt bleiben, z. B. der Pluralis. Soll aber doch die Mehrheit angedeutet werden, so geschieht es durch Wörter wie samūha ogha prakara nicaya santati jāla rāji usw., die als hinteres Kompositionsglied erscheinen. Bei späteren Dichtern büßen diese Wörter fast ganz ihre inhaltliche Bedeutung ein und sinken zu Exponenten des Plurals herab. Ähnliches lässt sich bei andern Wörtern beobachten, die zur Umschreibung von Kasusbeziehungen dienen, wie samīpa pārśva madhya sankaa abhyāśa sthala usw. als Exponenten des Lokativs., vaśa dvāra des Instrumentalis usw. Dieser Gegenstand verdiente wohl eine zusammenhängende Darstellung zur Ergänzung der Lehre von der Komposition.

Und so werden auch andere abstrakte Prädikatsnomina unzählige Male in der Diskussion verwandt, um die Art der Aussage auszudrücken wie abhyupagama, niścaya, aṅgīkāra, svīkāra, kalpanā, yoga, niṣedha usw., während andere mehr ihren Inhalt betreffen wie upapatti, niyama, upayoga usw.; beide Arten auch negierend. Ist die Art der Aussage negativ, so wird das Abstraktum zum Negativum gemacht z. B. anabhyupagama; soll der Inhalt der Aussage verneint werden, so wird ihm abhāva zugesetzt oder sonstwie die Negation in ihn aufgenommen. Ebenso wie die gewöhnlichen Nebensätze werden auch diejenigen, in welchen das abstrakte Prädikatsnomen im Instrumentalis steht, behandelt, indem nämlich das das eigentliche Prädikat ersetzende Nomen abstractum in den Ablativus gesetzt wird. Z. B. Dh. 177 wird von der quietistischen Stimmung gesagt, dass sie nicht in die heroische eingeordnet werden könnte (na . . . vīre ca tasyāntarbhāvaḥ kartuṃ yuktaḥ), und dies wird dann folgendermaßen begründet: tasyābhimānamayatvena vyavashāpanāt, asya cāhamkārapraśamaikarūpatayā sthiteḥ "weil man jene als aus Selbstbewusstsein bestehend hinstellt, diese aber durch und durch (ekarūpa) Erlöschen des Ichbewusstseins ist". Ein anderes Beispiel Ku. S. 166: cetano pi kartaiva, kṛticaitanyayoḥ sāmānādhikaraṇyenānubhavāt "dasselbe etwas, das denkt, ist auch das, was handelt, weil man Energie und Intelligenz als Attribute ein und desselben Dinges (samānādhikaraṇa) erkennt".

Solche ablativische Kausalsätze sind ursprünglich Nebensätze. Wie aber in der gewöhnlichen Sprache mit yataḥ eingeleitete Kausalsätze tatsächlich als Hauptsätze zu betrachten sind (etwa mit relativischer Anknüpfung), so bekommen jene ablativischen Kausalsätze eine ähnliche Selbständigkeit, wenn ihnen ein weiterer Nebensatz untergeordnet erscheint, in welchem Falle wir den Satz besser mit 'denn' als mit 'weil' einleiten. Am häufigsten ist der untergeordnete Nebensatz eine Begründung des übergeordneten; dann wird aber diese Begründung des Grundes nicht durch den Ablativ, sondern durch den Instrumentalis ausgedrückt, den ich als Instr. rei officientis bezeichnen möchte. In dieser Funktion finden wir ihn zuweilen einem Hauptsatz untergeordnet, z. B. TC. 1, 279: anyathā Bhaṭṭamate prāmāṇyasya jñānānumitigrāhyatvenānavasthā syāt "sonst würde in der Lehre Bhattas ein regressus in infinitum (anavasthā) liegen dadurch dass die Richtigkeit (der Erkenntnis) erfasst wird durch die syllogistische Erkenntnis aus einer Erkenntnis". Gewöhnlich aber finden wir den Instr. so gebraucht als Vorderglied eines ablativischen Kausalsatzes; wir können dann den Ablativ, wie eben gesagt, mit "denn" übersetzen, und den Instr. mit "weil" z. B. Ku 1, 323 : ācārasvarūpasya pratyakṣasiddhatvena mūlāntarānapekṣaṇāt "denn die Sitte als solche bedarf keiner weiteren Begründung, weil sie durch die Wahrnehmung erwiesen ist". Da solche subordinierte Sätze zweiter Ordnung namentlich in verwickelter Beweisführung ihre Stelle haben, so würden die meisten Beispiele eine sachliche Erklärung zum richtigen Verständnis erfordern. Ich verweise daher auf die gleichanzuführende zusammenhängende Textstelle, die das Gesagte vollauf illustriert. Es liegt übrigens in der Natur der Sache, dass in einigen Fällen die rein substantivische Auffassung solcher Instrumentale auch befriedigen würde, während in anderen die Deutung als Instr. praedicativus ebenfalls möglich ist.

Der Lokativ eines Abstraktums dient zur Umschreibung eines Konditionalsatzes. YS. 4, 11: eṣām abhāve tadabhāvaḥ "wenn diese nicht da sind, sind es auch jene nicht". Dhv. 206 vyaṅgyālaṃkārasya guṇībhāve dīpakādir viṣayaḥ "wenn die suggerierte Figur das (dem Ausgesprochenen) subordinierte ist (gunībhāve), dann liegt ein Dīpaka usw. vor". Besonders häufig wird der Lokativ so in Definitionen gebraucht, um eine notwendige Bedingung anzugeben. Ein Beispiel möge genügen: AS. 124: kāraṇābhāve kāryasyotpattir vibhāvanā "tritt eine Wirkung ein, wenn die Ursache nicht da ist, (so heißt die Figur) Vibhāvanā". Ob die Bedingung als wirklich, möglich oder unwirklich zu denken sei, hat keinen Einfluss auf ihren Ausdruck, wohl dagegen auf den der Folge, also auf die Gestalt des Nachsatzes. Denn bei unrealen Bedingungssätzen, in denen bei verbaler Ausdrucksweise der Konditionalis steht, erhält bei nominaler Ausdrucksweise der Prädikatsausdruck den Zusatz von prasaṅga, āpatti, anupapatti oder ayoga. Z. B. in TSD. S. 13 soll bewiesen werden, dass der innere Sinn (manas) unendlich klein (aṇurūpa) sei: madhyamaparimāṇatve 'nityatvaprasahgāt "denn wenn er von mittlerer (i. e. endlicher) Größe wäre, müsste er vergänglich sein". Ein Fall zweier ineinander geschachtelter Bedingungssätze, von denen der übergeordnete ein unrealer ist, findet sich ib. auf derselben Seite, wo bewiesen werden soll, dass der Körper nicht die Seele (ātman) ist: śarīrasyātmatve karapādādināśe sati śarīranāśād ātmano 'pi nāśaprasaṅgāt "denn wenn der Körper die Seele wäre, so müsste auch die Seele beschädigt werden, weil, wenn die Hand oder der Fuß vernichtet wird, der Körper beschädigt wird".

Der Lokativ mit api umschreibt das Vorderglied eines Konzessivsatzes. Z. B. pāpabhrameṇa kṛtaprāyaścittasya niṣphalatve 'pi na tadbodhakavedāprāmāṇyam SM. 2 "obschon eine wegen vermeintlicher Sünde getane Buße nutzlos ist, so ist doch das sie vorschreibende Schriftwort (veda) nicht ungültig". Ebenso natürlich auch, wenn der Nachsatz im Ablativ steht; ib. 35: ekasya paramāṇor apratyakṣatve 'pi tatsamūhasya pratyakṣatvāt "denn obschon ein Atom unsichtbar ist, ist doch ein Komplex derselben sichtbar".

Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, dass die Verwendung des Lokativus zur Umschreibung von Konditional- und Konzessivsätzen von dem Gebrauche des Lok. absol. ausgegangen ist. In der Tat wird dem Lokativ des Abstraktums oft genug sati, bezw. saty api hinzugesetzt, oder es wird mit der nominalen und verbalen Ausdrucksweise abgewechselt. So finden wir in der Stelle der TSD. 13, der das obige Beispiel entlehnt ist, eine unwirkliche Bedingung durch tathātve, und wenige Zeilen weiter durch tathā sati "wenn sich das so verhielte" ausgedrückt.

Finalsätze endlich können durch den Dativ eines Abstraktums, bezw. durch Zusammensetzung mit artham umschrieben werden. Dh. 60: tatrāvivakṣitavācyasya prabhedapratipādanāye 'dam ucyate "es wird nun folgendes gesagt, um die Unterarten des avivakṣitavācya dhvani zu lehren". Mit artha z. B. der sehr häufige Ausdruck: nirvighnaparisamāptyartham "um es ohne Hindernisse ganz zu vollenden". Unzählige Male findet sich, namentlich in ganz jungen Werken avyāpti- bezw. ativyāptivāraṇāya "um zu verhindern, dass etwas nicht, bezw. fälschlich, als unter die Definition fallend eingeschlossen werde".

Die beschriebenen Gebrauchsweisen sind wohl die am meisten typischen, durch welche dem Bedürfnis nach den nötigsten syntaktischen Kategorien genügt wird. Damit ist aber die Anwendefähigkeit des Prinzips, durch Umwandlung des Prädikatsausdruckes in ein Abstraktum einen Satzinhalt zu nominalisieren, durchaus nicht erschöpft. Ein so gestalteter Ausdruck kann je nach seiner grammatischen Beziehung als Subjekts oder Objektssatz aufgefasst werden. So würde man sagen können kāraṇasya kāryaniyatapūrvavṛttitvam avaśyam aṅgīkartavyam oder prativādino 'py aṅgīkurvanti; im ersteren Falle ist der Satz "dass die Ursache allemal der Folge vorausgeht" ein Subjektssatz, im zweiten ein Objektssatz. Auch andere Kasus können je nach Umständen gebraucht werden z. B. jñānasya manodharmatve .... śrutir mānam VP. "die Schriftstelle (Brh. Ar. I, 5, 3) beweist, dass Denken eine Funktion des inneren Sinnes sei". Es wird wohl nicht nötig sein, hierauf näher einzugehen, da die vorkommenden Fälle sich leicht jeder zurecht legen wird. Die Hauptsache war, zu zeigen, wie die verschiedenen Arten von Nebensätzen bei der nominalen Ausdrucksweise wiedergegeben werden.

Wie nun die einzeln beschriebenen Wendungen vereinigt den nominalen Stil hervorbringen, das möge eine zusammenhängende Stelle der Vedānta Paribhāṣā mit nebenstehender deutscher Übersetzung anschaulich machen. Zum sachlichen Verständnis sei daran erinnert, dass nach dem Vedānta das ens absolutum, das allerorts ist, wie der Raum, der Intellekt (caitanya) ist. In seiner Totalität ist der Intellekt das höchste brahma; der von dem inneren Organ (antaḥkaraṇa) der einzelnen Wesen umschlossene Intellekt macht deren Seele aus. Das innere Organ ist in steter Wandlung; seine Fluxionen (vṛtti), weil vom Intellekt durchdrungen, erscheinen als geistig: als Gedanken, Gefühle, Erinnerungen usw. Das innere Organ streckt gewissermaßen durch die Sinnesorgane Fäden oder Fühler heraus, wodurch es mit äußern Objekten in Berührung gelangt, sie umfasst und so wahrnimmt.

siddhānte pratyakṣatva-prayojakaṃ kim iti cet . . . . pramāṇacaitanyasya viṣayāvacchinnacaitanyābheda iti brūmaḥ.

 

 

Wenn man (fragt), was es bedingt, dass etwas eine richtige Wahrnehmung sei ... . so antworten wir: der Umstand, dass der das Erkenntnismittel (bildende) Intellekt und der vom Objekt begrenzte Intellekt ununterschieden sind.
tathāhi: trividhaṃ caitanyam:
  • pramātṛcaitanyaṃ
  • pramāṇacaitanyaṃ
  • viśayacaittanyaṃ

ceti.

tatra ghaṭādyavacchinnacaitanyaṃ viṣayacaitanyam, antaḥkaraṇavṛttyavacchinnacaitanyaṃ pramāṇacaitanyam, antaḥkaraṇāvacchinnacaitanyaṃ pramātṛcaitanyam.

Es gibt nämlich dreierlei Intellekt:
  • den des Erkenners,
  • den des Erkenntnismittels und
  • den des Objektes.

Der von dem Topf usw. begrenzte Intellekt ist der Objekt-Intellekt, der durch die Fluxion des innern Organs begrenzte Intellekt ist der Erkenntnismittel-Intellekt und der das innere Organ begrenzte Intellekt der Erkenner-Intellekt.

tatra yathā taḍāgodagaṃ chidrān nirgatya kulyātmanā kedārān praviśya tadvad eva catuḥkoṇādyākāraṃ bhavati, tathā taijasam antaḥkaraṇam api cakṣurādidvārā niryatya ghaṭādiviṣayadeśaṃ gatvā ghaṭādiviṣayākāreṇa pariṇamate, sa eva pariṇāmo vṛttir ity ucyate. Wie das Wasser eines Teiches, durch eine Öffnung herausfließend, als Gosse die (Reis)felder füllt und gleich ihnen viereckige usw. Form annimmt, ebenso gelangt das lichtartige innere Organ vermittelst des Auges usw. heraustretend zum Orte des Objektes, z. B. des Topfes und wandelt sich dort in dessen Gestalt ab; diese Wandlung heißt Fluxion.
anumitisthale tu nāntaḥkaraṇasya vahnyādideśagamanam, vahnyādeś cakṣurādyasannikarṣāt. Bei der Schlusserkenntnis und den übrigen (Erkenntnisarten) geht aber das innere Organ nicht zu dem Orte des (erschlossenen) Feuers (usw.), weil dabei das Feuer usw. nicht mit dem Auge usw. in Kontakt tritt.
tathā cāyaṃ ghaṭa ityādipratyakśasthale ghaṭādes tadākāravṛtteś ca bahir ekatra deśe samavadhānāt tadubhayāvacchinnacaitanyam ekam eva; vibhājakayor apy antaḥkaraṇavṛttighaṭādiviṣayayor ekadeśasthatvena bhedājanakatvāt. Und weil bei der Wahrnehmung "dies ist ein Topf" der Topf usw. und die ihm gleichgeformte Fluxion außerhalb an einem Orte zusammen sind, so ist auch der von beiden begrenzte Intellekt ein und derselbe; denn auch das, was an ihm (äußerlich) den Unterschied bewirkt, die Fluxion des innern Organs und das Objekt, Topf usw., macht (in diesem Falle) keinen Unterschied aus, weil beides an demselben Orte ist.
ata eva maṭhāntarvartighaṭāvacchinnākāśo na maṭhāvacchinnākāśād bhidyate; Nun unterscheidet sich nicht der Raum, der von dem in einem Zimmer befindlichen Topfe begrenzt wird, von dem Räume der von dem Zimmer selbst begrenzt wird;
tathā cāyaṃ ghaṭa iti ghaapratyakṣasthale ghaṭākāravṛtter ghaṭasaṃyogitayā ghaṭāvacchinnacaitanyāt tadvṛttyavacchinnacaitanyasyābhinnatayātatra ghatāṃśe pratyakṣatvam. und ebenso ist bei der Wahrnehmung des Topfes: "dies ist ein Topf", weil die ihm gleichgeformte Fluxion mit ihm selbst verbunden ist, der von jener Fluxion begrenzte Intellekt nicht unterschieden von dem durch den Topf begrenzten; und infolgedessen ist in dieser (Wahrnehmung) deren integrierender Bestandteil, der Topf, (richtig) wahrgenommen.
sukhādyavacchinnacaitanyasya tadvṛttyavacchinnacaitanyasya ca niyamenaiva ekadeśasthitopādhidvayāvacchinnatvān niyamenāhaṃ sukhītyādijñānasya pratyakṣatvam. Die Erkenntnis "ich bin glücklich" usw. muss eine (richtige) Wahrnehmung sein; denn der von dem Glücksgefühl begrenzte Intellekt und der von der jenem zugehörigen Fluxion begrenzte sind ja von zwei äußerlichen Bestimmungen (upädhi) begrenzt, die sich an ein und demselben Orte (im Ich) befinden müssen.
nanu evaṃ svavṛttisukhādismaraṇasyāpi sukhādyaṃśe pratyakṣatvāpatir iti cen, na. "Müsste nicht demgemäß die Erinnerung an eigenes Glücksgefühl usw. eine (richtige) Wahrnehmung sein, soweit dieses einen Bestandteil derselben ausmacht". Nein!
tatra smaryamāṇasukhasyātītatvena smṛtirūpāntaḥkaraṇavṛtter vartamānatvena tatropādhyor bhinnakālīnatayā tadavacchinnacaitanyayor bhedāt. Denn weil das Glücksgefühl, dessen man sich erinnert, vergangen und die Erinnerung, eine Fluxion des innern Organs, gegenwärtig ist, so sind auch die beiden Intellekte verschieden, welche von diesen zwei äußerlichen Bestimmungen begrenzt werden, da letztere verschiedenen Zeiten angehören.
upādhyor ekadeśasthatve saty ekakālīnatvasyaivopādheyābhedaprayojakatvāt. Denn wenn zwei äußerliche Bestimmungen an demselben Orte sind, so bedingt erst ihre Gleichzeitigkeit, dass das durch beide Bestimmte eins sei.
yadi caikadeśasthatvamātram upādheyābhedaprayojakam, tadāhaṃ pūrvaṃ sukhītyādismṛtāv ativyāptivāranāya vartamānatvaṃ viṣayaviseṣaṇaṃ deyam. Und wenn (die Angabe, dass die beiden upādhi's) an demselben Orte sind, die Einheit der beiden Bestimmten bedingen soll, so muss man dem Objekt das Attribut 'gegenwärtig' zufügen, um zu verhindern, dass eine Erinnerung wie "ich war früher glücklich" von der Definition miteinbegriffen werde.
nanv evam api svakīyadharmādharmau vartamānau yadā śabdādinā jñāyete, tadā tādṛśaśābdajñānādāv ativyāptiḥ, tatrādharmādyavacchinna - tadvṛttyavacchinnacaitanyayor ekatvād iti cen, na. "Würde nun nicht, im Falle dass jemand sein eigenes Verdienst oder Sünde, die gegenwärtig (Eigenschaften seiner Seele sind), durch Zeugnis usw. erkennte, eine derartige Zeugniserkenntnis trotzdem (evam) unter die Definition fallen, weil der von dem Verdienst usw. begrenzte Intellekt und der von der Fluxion (welche jenes zum Objekt hat) begrenzte Intellekt eins sind?" Nein.
yogyatvasyāpi viṣayaviśeṣaṇatvāt. antaḥkaraṇadharmatvāviśeṣe 'pi kiṃcid ayogyam, kiṃcid yogyam ity atra, phalabalakalpyaḥ svabhāva eva śaraṇam. Denn das Objekt muss durch Wahrnehmbarkeit charakterisiert sein. Man muss nämlich wegen der (verschiedenen) Reaktion (phala) die Annahme machen (śaraṇam), dass es im Wesen der Dinge begründet ist (svabhāva), wenn einige wahrnehmbar und andere es nicht sind, obgleich beide in gleicher Weise Eigenschaften des innern Organs sind.
anyathā nyāyamate 'py ātmadharmatvāviśeṣāt sukhādivad dharmāder api pratyakṣatvāpattir durvārā. Denn ohne diese Annahme würde die Nyāyaphilosophie, in der ebenso wie Glücksgefühl usw. auch Verdienst usw. gleicherweise Eigenschaften der Seele sind, nicht umhin können anzuerkennen (āpattir durvārā), dass Verdienst usw. ebenso wie Glücksgefühl usw. direkt wahrgenommen werden.
na caivam api vartamānatādaśāyāṃ tvaṃ sukhītyādivākyajanyajñānasya pratyakṣatā syād iti vācyam, iṣṭatvāt. Auch darf man nicht einwenden, dass so meine aus einem Satze wie "du bist glücklich" hervorgehende Erkenntnis, vorausgesetzt, dass es sich dabei Tim die Gegenwart handelt, ein Wahrnehmungserkenntnis wäre; denn das ist eben unsere Ansicht;
daśamas tvam asītyādau sannikṛṣṭaviśaye śabdād apy aparokṣajñānābhyupagamāt. weil wir auch anerkennen, dass wenn zu Jemand in Anwesenheit der übrigen Neun (sannikṛṣṭaviṣaye) gesagt wird: "du bist der Zehnte", die aus diesem Ausspruche resultierende Erkenntnis keine indirekte (d.h. ein pratyakṣa, also eine Wahrnehmung) sei.
ata eva parvato vahnimān ityādijñānam api vahnyaṃśe parokṣaṃ parvatāṃśe 'parokṣam, parvatādyavacchinnacaitanyasya bahirniḥsṛtāntaḥkaraṇavṛttyavacchinnacaitanyābhedāt; vahnyaṃśe tv antaḥkaraṇavṛttinirgamanāsambhavena vahnyavacchinnacaitanyasya pramāṇacaitanyasya ca parasparam bhedāt. Darum ist auch die (Schluss)-erkenntnis: "der Berg hat Feuer" indirekt in Betracht des Feuers und direkt in Betracht des Berges; denn der vom Berge begrenzte Intellekt ist ununterschieden von dem Intellekt, der von der nach Außen hervorgetretenen Fluxion des innern Organs begrenzt wird; und was das Feuer betrifft, so ist, weil die Fluxion des innern Organs nicht zu ihm hinausgehen kann, der von ihm begrenzte Intellekt von dem des Erkenntnismittel-Intellekts verschieden.
tathā cānubhavaḥ: parvatam paśyāmi, vahnim anuminomīti; nyāyamate tu parvatam anuminomīty anuvyavasāyāpattiḥ. asannikṛṣṭapakṣakānutmitau tu sarvāṃśe 'pi jñānam parokṣam. Und so sind wir uns auch dessen bewusst, dass wir den Berg sehen, das Feuer aber erschließen; nach dem Nyāya aber müsste man nachträglich das Bewusstsein haben, dass man auch den Berg erschlösse. In einer Schlusserkenntnis aber, bei der die Sache nicht wahrgenommen wird, ist die Erkenntnis hinsichtlich beider Teile indirekt.

Der wissenschaftliche Sanskritstil, wie ihn die vorstehende 'feststelle in voller Blüte zeigt, macht auf uns den Eindruck geschraubter Unnatürlichkeit, Es verdient aber hevorgehoben zu werden, dass der gebildete Inder nicht so empfand. Denn nicht nur Gelehrte, sondern auch Dichter, bei denen wir doch wohl am ehesten ein feines Sprachgefühl voraussetzen müssen, bedienen sich dieses Stiles in wissenschaftlichen Abhandlungen. So habe ich mehrere der obigen Beispiele dem Dhvanyāloka entlehnt, dessen Autor Ānandavardhana nicht nur ein feinfühliger Ästhetiker war, sondern auch ein Dichter, der auf seine Gedichte große Stücke hielt, wenn sich auch nicht viel davon erhalten hat. Ein noch schlagenderes Beispiel gibt Śrīharṣa, ein Klassiker ersten Ranges, ab. Sein Naiṣadhīya ist eines, und zwar das letzte der klassischen Kunstepen (Mahākāvya)1, und sein Khaṇḍanakhaṇḍakhādya ist ein philosophisches Werk, in dem er wie jeder andere Philosoph sich jener 'abstrusen' Ausdrucksweise bedient. Wir haben somit kein Recht anzunehmen, dass jener Stil für das indische Sprachgefühl irgend etwas Verletzendes habe. Er ist daher von rein sprachlichem Gesichtspunkte von großem Interesse, weil er zeigt, wie weit abseits von dem, was der ursprüngliche Sprachgeist vorzuschreiben schien, die wirkliche Entwicklung führen konnte.

1 Das Wort mahākāvya dient zur Bezeichnung der Fünfzahl, und zwar schon bei Amaracandra im 13. Jahrhundert (siehe dessen Kāvyakalpalatā, Benares 1886 S. 183). Diese fünf mahākāvya sind

  1. Kumārasambhava,
  2. Raghuvaṃśa,
  3. Kirātārjunīya,
  4. Śiśupālavadha und
  5. Naiṣadhīya;

allerdings werden diese Namen an der zitierten Stelle nicht angegeben.

Anderseits wird man auch in ihm Parallelen zu anderen nicht indogermanischen Sprachen finden können, von denen ich zum Schlusse nur eine hervorheben möchte: die Bezeichnung des Subjekts durch den Genitiv. Denn auch im Japanischen war die Nominativpartikel ga ursprünglich eine Genitivpartikel1. Aber darum muss man doch nicht glauben, dass das japanische Verbum tatsächlich nominal im wahren Sinne des Wortes sei ; denn jene Partikel ga hat ihre genitivische Funktion nur in gewissen Wendungen bewahrt, während die gewöhnliche Bezeichnung des Genitivs von der Partikel no übernommen worden ist.

Bonn. Hermann Jacobi.

1 Chamberlain Handbook of colloquial Japanese S. 57 f.