Die drawidische Anti-Brahmanen/Anti-Sanskrit-Bewegung

Gastvortrag an der Universität Würzburg am 2021-11-30

von

Alois Payer


Zitierweise:

Payer, Alois <1944 - >: Die drawidische Anti-Brahmanen/Anti-Sanskrit-Bewegung. -- URL: http://www.payer.de/indienchronik/drawid.htm

Erstveröffentlichung: 2021-12-01

Überarbeitungen:

Copyright: Creative Commons Lizenz - Verfasserangabe - Weitergabe unter gleichen Bedingungen (CC-BY-SA 3.0)

Beim Vortrag über https://zoom.us/ habe ich PowerPoint Folien benutzt. Im Folgenden Text sind diese in den Text eingearbeitet.


Zu dieser Veröffentlichung gibt es einen Anhang mit Materialien zur Vertiefung und Erweiterung

Dieser Vortrag ist für mich ein Versuch der Wiedergutmachung von Versäumnissen während meiner Zeit als Sanskrit-Lehrender. Unbedacht hatte ich nachgeplappert, dass Sanskrit das einigende Band Indiens ist. Das stimmt gewiss in einiger Hinsicht. Genauso aber ist Sanskrit eine Ursache der Trennung, der Gegensätze.

Leider beherrsche ich keine südindische Sprache so, dass ich Texte in ihr fließend lesen kann. Ich kenne zwar die Grundzüge der Grammatik der klassischen Kannada, muss mir aber gerade elementare Kenntnisse in Tamil aneignen. Zur Geläufigkeit werde ich es nicht mehr schaffen.

Das bedeutet, dass ich für das von mir gewählte Thema nur auf englischsprachige Quellen und Übersetzungen zurückgreifen kann. Besonders hilfreich waren mir dabei die Arbeiten von Frau Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி - Cumati rāmasvāmi], besonders die beiden Bücher:

Viel schlimmer als die Abhängigkeit von Übersetzungen ist, dass mangels Sprachkenntnis ich zwei der wichtigsten Medien der Massenkommunikation nicht berücksichtigen konnte: Tamil Filme und Audiokassetten; beide sind für die Massenwirkung viel wichtiger als Bücher und Zeitschriftenartikel.

Sie dürfen bitte nicht erwarten, dass ich Ihnen wohl-portionierte fertige Antworten liefere. Ich kann nur wie Schnupftabak Ihre Gedanken und ihre Neugier anregen.

Die drawidische Anti-Brahmanen-, Anti-Sanskrit- und - ich muss hinzufügen - Anti-Hindi-Bewegung hat verschiedenartige Wurzeln. Genannt seien:

und noch anderes mehr.

Den ästhetisch-rassistischen Hintergrund illustriert diese Werbung für ein Hautbleichungsmittel für Männer aus dem Jahr 2005 (entsprechende Mittel für Frauen sind schon seit langem auf dem Markt und sehr nachgefragt):

 

Abb.: Reklame von Emami mit Shah Rukh Khan (1965 - ) (Urdu شاه رخ خان) für das Hautbleichungsmittel für Männer "Fair and Handsome", 2005
[Fair use]

Bezeichnend für ästhetisch-rassistische Vorurteile ist das Verhalten der genialen südindischen Schauspielerin Sridevi (Telugu శ్రీదేవి - Śrīdēvi, 1963 - 2018):


Abb.: Sridevi, 2013
[Bildquelle: Bollywood Hungama/Wikimedia. -- CC BY 3.0]

Sie hatte als Mädchen und junge Schauspielerin in südindischen Filmen eine schöne breite "südindische" Nase. Um dem nördlichen Schönheitsideal zu entsprechen, ließ sie ihre Nase operieren. Als sie in späteren Jahren sowohl in Tamil-Filmen in Chennai und in  Hindi Filmen in Bollywood Hauptrollen spielte, wandte sie folgende Strategie an: vor Hindi Filmen hungerte sie sich ein halbes Jahr lang auf schlanke Hüften herunter, vor Tamil-Filmen aß sie sich breite Hüften an.

Diese ästhetisch-rassisistischen Vorurteile kann man im privaten Gespräch immer ständig hören, medial dokumentiert werden sie vor allem indirekt. So wird eine Freundin von uns, die sehr hellhäutig ist, immer wieder von brahmanischen Indern gefragt, ob sie eine ஐயர் (Aiyar - Iyer) Brahmanin sei, und warum ihr 12jähriger Sohn so dunkelhäutig ist.

Dass die mediale Vorherrschaft nordindischer Schönheitsideale zu ästhetischer Selbstachtung von Südindern führt, finde ich erfreulich.

Die anderen Wurzeln der drawidischen Anti-Bewegungen werden in der nun folgenden Darstellung chronologischer Bruchstücke klar werden.

Im April 1864 erscheint im britischen "Quarterly Journal of Science" ein Artikel, der eigentlich nur für Evolutionsbiologen und Paläogeographen von Interesse ist:

Philip Sclater (1829 - 1913): The Mammals of Madagascar. -- In: Quarterly Journal of Science, vol. 1, April 1864. -- S. 213 - 219. -- Online: The quarterly journal of science : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive


Abb.: Mammals of Madagascar, u.a. Lemuren (Feuchtnasenprimaten / Halbaffen)
[a.a.O., vor S. 213]

 

Da damals Plattentektonik noch unbekannt war, vertritt der Autor zur Erklärung tiergeographischer Besonderheiten von Madagaskar eine Landbrücken-Hypothese. Der Artikel endet mit der Zusammenfassung:

"To conclude, therefore, granted the hypothesis of the derivative origin of species, the anomalies of the Mammal fauna of Madagascar can best be explained by supposing that, anterior to the existence of Africa in its present shape, a large continent occupied parts of the Atlantic and Indian Ocean stretching out towards (what is now) America on the west, and to India and its islands on the east ; that this continent was broken up into islands, of which some became amalgamated with the present continent of Africa, and some possibly with what is now Asia—and that in Madagascar and the Mascarene Islands we have existing relics of this great continent, for which as the original focus of the “ Stirps Lemurum,'' I should propose the name Lemuria !" "Als Schlussfolgerung können - unter Voraussetzung der Hypothese der Evolution der Arten - die Anomalien der Säugetierfauna von Madagaskar am besten erklärt werden durch die Annahme, dass vor der Existenz Afrikas in seiner jetzige Form, ein großer Kontinent Teile des atlantischen und indischen Ozeans bedeckte. Dieser erstreckte sich im Westen bis zum heutigen Amerika und im Osten bis Indien und seine Inseln. ... Da dieser Ozean der Fokus des Stamms der Lemuren ist, schlage ich dafür den Namen "Lemuria" vor."
a.a.O., S. 219  

Sie fragen vermutlich zurecht, was das mit unserem Thema zu tun hat. Dazu brauchen wir einen Zwischenwirt in Form des deutschen Propagandisten der darwinschen Abstammungslehre, Ernst Haeckel (1834 - 1919):

1873 erscheint eine englische Übersetzung seines sehr erfolgreichen Buchs

Ernst Haeckel (1834 - 1919): Natürliche Schöpfungsgeschichte : Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwickelungslehre im Allgemeinen und diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im Besonderen. -- 2., verm. Auf. -- Berlin : Weimar, 1870


Abb.: Titelblatt der Erstauflage, 1868

unter dem Titel:

Ernst Haeckel (1834 - 1919): : The history of creation : or the development of the earth and its inhabitants by the action of natural causes: a popular exposition of the doctrine of evolution in general and of that of Darwin, Goethe and Lamarck in particular. -- New York : Aplleton, 1873

In späteren Ausgaben der englischen Übersetzungen erscheint folgende Karte der Ausbreitung des Menschen aus einer einzigen Wurzel:  "Hypothetische Skizze des monophyletischen Ursprungs und der Verbreitung der 12 Menschen-Species von Lemurien aus über die Erde"


Abb.: Hypothetical sketch of the monophyletic origin and the extension of the 12 races of man from Lemuria over the earth
[Bildquelle: The history of creation, or, The development of the earth and its inhabitants by the action of natural causes : a popular exposition of the doctrine of evolution in general, and of that of Darwin, Goethe and Lamarck in particular : Haeckel, Ernst Heinrich Philipp August, 1834-1919 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive]

Schauen Sie, welche heutige geographische Einheit am nächsten zum Paradies auf dem untergegangenen Kontinent Lemuria liegt: Südindien. Wer sind die Ureinwohner Südindiens? Natürlich die Drawiden.

Da trifft es sich gut, dass zur gleichen Zeit, 1875, in zweiter, stark erweiterter Auflage das Grundlagenwerk der vergleichenden drawidischen Sprachwissenschaft erscheint, das Werk des schottischen anglikanischen Missionars, Robert_Caldwell (1814 - 1891), der seit 1838 im Tamil-Land wirkte:

Robert_Caldwell (1814 - 1891): A Comparative Grammar of the Dravidian or South-Indian Family of Languages. -- 2nd ed., revised and enlarged. -- London : Trübner, 1875. -- 608 S. -- Online: A comparative grammar of the Dravidian or South-Indian family of languages : Caldwell, Robert : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive

Die erste Auflage war 1856 erschienen.


Abb.: Titelblatt


Abb.: Statue von Robert Caldwell am Marina Beach (
மெரீனா கடற்கரை - Meriṉā kaṭaṟkarai)  in Chennai (Tamil சென்னை), 2013
[Bildquelle: Rasnaboy/Wikimedia. -- CC BY-SA 3.0]

Das sehr umfangreiche (über 600 Seiten starke) Werk von Caldwell wird zwar unzählige Male genannt, aber wurde von kaum jemandem wirklich gelesen. Man entnimmt ihm meist nur:

Das schreibt man voneinander ab, ohne jemals zu Caldwells Buch zu greifen.

Zufälligerweise kommt 1875 auch der Höhepunkt der indo-arischen Philologie zum Abschluss, das "Petersburger Wörterbuch":

Sanskrit-Wörterbuch / O. (Otto) Böthlingk <1815 - 1904> ; R. (Rudolf) Roth <1821 - 1895>. --7 Bde. -- St. Petersburg, 1855-1875. -- (Genannt "Petersburger Wörterbuch"; abgek. "PW")


Abb.: Titelblatt

Zusammen mit der ein Jahr zuvor abgeschlossenen Ausgabe des Rg-Veda

Rig-Veda-Sanhita : the sacred hymns of the Brahmans together with the commentary of Sayanacharya / ed. by Max Müller <1823 - 1900>. -- London : W. H. Allen, 1849 - 1874. -- 6 Bde.


Abb.: Titelblatt von Bd. 1, 1849

haben wir damit symbolisch die beiden Pole:

hie Indo-Arier - hie Drawiden.

Wer sind nun die "wahren" Kulturträger Indiens:

Die genannten äußeren Einflüsse (Haeckel, Caldwell) verbinden sich mit einer einheimischen Tamil-Renaissance. Diese zeigt sich im 1879 erschienen Tamil-Roman von சாமுவேல் வேதநாயகம் பிள்ளை - Cāmuvēl Vētanāyakam Piḷḷai = Samuel_Vedanayagam_Pillai (1826 - 1889)

சாமுவேல் வேதநாயகம் பிள்ளை = Samuel_Vedanayagam_Pillai <1826 - 1889>: பிரதாப முதலியார் சரித்திரம் [Piratāpa mutaliyār carittiram] = Prathapa Mudaliar Charithram (Geschichte von Pratapa Mutaliyar). Dies gilt als erster Tamil-Roman.

Zwei Zitate daraus zeigen die Tamil-Selbstachtung:

"Tamil gave birth to us; Tamil raised us; Tamil sang lullabies to us and put us to sleep; Tamil taught us our first words with which we brought joy to our mothers and fathers; Tamil is the first language we spoke when we were infants; Tamil is the language which our mothers and fathers fed us along with milk; Tamil is the language that our mother, father, and preceptor taught us.. .. The language of our home is Tamil; the language of our land is Tamil."
(Vedanayakam Pillai 1879: 285)

[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- S. 11. -- Fair use]

"Tamil hat uns geboren;
Tamil hat uns aufgezogen;
Tamil sang uns Wiegenlieder und wiegte uns in den Schlaf;
Tamil lehrte uns die ersten Wörter, mit denen wir unsere Eltern erfreuten;
Tamil war die erste Sprache, die wir als Kinder sprachen;
Tamil ist die Sprache, mit der uns unsere Eltern zusammen mit Milch ernährten; Tamil ist die Sprache, die uns unsere Mutter, Vater und Lehrer lehrten ...
Die Sprache unserer Heimat ist Tamil; die Sprache unseres Landes ist Tamil."
"Have these students even so much as taken a look at Tiruvalluvar’s [திருவள்ளுவர்] Tirukkural [திருக்குறள்]? Have they heard of Kambar’s [கம்பர்] Ramayanam [ராமாயணம்] even in their dreams? Are they even familiar with the authors of Naladiyar [நாலடியார்]? Do they know Avvaiyar’s [ஔவையார்] moral books thoroughly? Do they know even a little bit of Athiveerarama Pandiyan [அதிவீரராம பாண்டியன்]? They have not so much as taken a look at the prabandams [பிரபந்தம்] of innumerable Tamil poets."

[Quelle: A. R. Venkatachalapathy [Tamil ஆ. இரா. வேங்கடாசலபதி): In Those Days There Was No Coffee: Writings in Cultural History,  -- New Delhi : Yoda, 2006. -- Kindle ed. -- Fair use]

"Haben diese Schüler jemals in Tiruvaḷḷuvars Tirukkuṟaḷ geschaut?
Haben sie wenigstens in ihren Träumen von Kampar
s Rāmāyaṇam gehört?
Sind sie wenigstens vertraut mit den Verfassern des Nālaṭiyār?
Kennen sie gründlich Auvaiyārs Moralbücher?
Kennen sie wenigstens ein Bisschen von Ativīrarāma pāṇṭiyaṉ? Sie haben nicht einmal einen Blick auf die Verssammlungen unzähliger Tamil-Dichter geworfen."

In den 1880er Jahren wird in der Madras Presidency der "Neo-Shaivism" verbreitet, durch Personen wie:

 Dieser Neo-Shaivism will die wahre Tamil-Religion wiederherstellen. Ihre Kennzeichen sind

Neo-Shaivism ist so eine tamilische Anti-Brahmanen/Anti-Sanskrit Bewegung in religiöser Form.

Am 28. Dezember 1885 wird in Bombay der Indian National Congress gegründet, er ist anfänglich vor allem ein Verein von brahmanischen Rechtsanwälten. Somit gehört der Kongress bald zu den Feinden der drawidischen Anti-Brahmanen-Bewegung.

Von Seiten einiger britischer Kolonialbeamten bekommen die drawidischen Bewegungen teilweise Auftrieb. So spricht im März 1886 der Governor von Madras Presidency, M. E. Grant Duff (1829 - 1906), die Graduierten der University of Madras u.a. so an:


Abb.: Karikatur von M. E. Grant Duff, "A philosophical liberal", 1869
[Bildquelle: Carlo Pellegrini (1839 - 1889). -- In: Vanity Fair. -- 1869-10-02. -- Public domain]

“You are of pure Dravidian race,” he said, and “I should like to see the pre-Sanskrit element amongst you asserting itself rather more"

"The constant putting forward of Sanskrit literature as if it were pre-eminently Indian, should stir the national pride of some of you Tamil, Telugu, Cannarese. You have less to do with Sanskrit than we English have. Ruffianly Europeans have sometimes been known to speak of natives of India as 'Niggers,' but they did not, like the proud speakers or writers of Sanskrit, speak of the people of the South as legions of monkeys. It was these Sanskrit speakers, not Europeans, who lumped up the Southern races as Rakshasas — demons. It was they who deliberately grounded all social distinctions on Varna. Colour."

"Ihr seid von reiner drawidischen Rasse. Ich möchte, dass sich unter Euch das Vor-Sanskrit-Element etwas mehr durchsetzt."

"Das ständige In-den Vordergrund-Schieben von Sanskrit als ob es unübertrefflich indisch wäre, sollte den Nationalstolz von einigen von Euch Tamilen, Telugus und Kannaresen erregen: Ihr habt mit Sanskrit weniger zu tun als wir Engländer. Lümmelhafte Europäer sprachen von den Eingeborenen als "Nigger". Sie haben aber nie von den Völkern des Südens als Legionen von Affen gesprochen, wie es die hochmütigen Sprecher oder Schreiber des Sanskrit tun. Es waren diese Sanskrit-Sprecher, nicht Europäer, die die südlichen Rassen zu Rakshasas- Dämonen zusammenklumpten. Es waren sie, die alle sozialen Unterschiede in Varna - Farbe gründeten."

[Quelle:Eugene F. Irschick : Political an docial conflict in South Asia : The Non-Brahman movement and Tamil separatism, 1916 - 1929. -- Bombay : Oxford UP, 1969. -- Online: Politics And Social Conflict In South India : Eugene F. Irschick : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive. -- S. 280f. -- Fair use]

Nun beginnt auch die Herausgabe in Druckform von Tamil-Klassikern. Als Beispiel sei genannt:

சீவக சிந்தாமணி (Cīvaka cintāmaṇi - Cīvaka Cintāmaṇi) / hrsg. von U. V. Swaminatha Iyer (Tamil உ. வே. சாமிநாதையர் - U. Vē. Cāminātaiyar, 1855 - 1942). -- 1887


Abb.: U. V. Swaminatha Iyer
[Public domain]


Abb.: Titelblatt

 

Nachdem er sechs Jahre lang an dieser Ausgabe gearbeitet hatte, spricht der Herausgeber zu Tamilannai [தமிழன்னை - Tamiḻaṉṉai = Mutter Tamil]:

“O mother! You have (re)adorned yourself with the Cintāmaṇi that I, your poor devotee, gave back to you. Continue to offer me grace, so that I, your servant, can go on with my work of recovering all your other jewels.” "Mutter! Du hast Dich mit der Cintāmaṇi [சிந்தாமணி - Wunschedelstein] nun wieder geschmückt. Ich, Dein armer Verehrer, gab ihn Dir zurück. Schenke mir weiterhin Deine Gnade, damit ich, Dein Diener, mein Werk fortsetzen kann, alle Deine übrigen Juwelen zu retten."
[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- S. 179f. -- Fair use]

Dies ist in meinem Vortrag der erste Auftritt von Tamiḻttāy [தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil]. Sie wird uns noch weiterhin begleiten.

Ende der 1880er Jahre erscheint eine ausführliche Begründung des tamilischen Anti-Sanskritismus:

தண்டபாணி சுவாமிகள் (Taṇṭapāṇi cuvāmikaḷ - Dandapani Swamigal, 1839 - 1898): தமிழாலங்காரம் (Tamiḻālaṅkāram - Schmuck des Tamil)

Der Text scheint eine Antwort zu sein auf einen Brahmanen, der argumentiert hatte, dass Sanskrit dem Tamil überlegen ist. Taṇṭapāṇi antwortet in 100 Versen, in denen er die Überlegenheit des Tamil mit Argumenten aus der Shaiva und Vaishnava Mythologie "beweist". Einige der Argumente:

  1. Tamil is right and Sanskrit is left.
  2. Sanskrit advocates animal sacrifice while Tamil prohibits killing.
  3. Tamil is Saraswati’s right breast while Sanskrit is only her left breast.
  4. It was Agathiar, the progenitor of Tamil, who performed Siva’s marriage, not Panini, the Sanskrit grammarian.
  5. Siva and Vishnu follow in the footsteps of Tamil not Sanskrit. Once upon a time Sanskrit was spiteful towards Tamil. As punishment both Vishnu and Siva decreed that Tamil should be sung ahead while Sanskrit should follow them. (A reference to the custom in Tamil temple processions where Tamil chanting precedes the ceremonial procession of the deity and Sanskrit hymn singing comes behind.)
  6. Tamil is like the cool southern wind while Sanskrit is like the cold northern wind, which causes diseases.

  7. Siva took messages from St. Sundarar to his ladylove.
  8. St. Sundarar resurrected an infant swallowed by a crocodile.
  9. Siva inspired St. Manikkavacagar to compose Thiruvachagam.
  10. St. Manikkavachagar and Muthu Thandavar attained salvation through Tamil.
  11. The milk that Pavathi [Parvati] fed Thirugnanasambandar burst forth as poetry in Tamil and not in the language which has no short ‘ae’ [] (that is, Sanskrit).
  12. If Sanskrit is the mother of all languages, Tamil is the father.
  13. It was through Tamil that Thirugnanasambandar revived the girl Poompavai [பூம்பாவை] from her bare bones.
  14. It was Tamil that helped Thirugnanasambandar to overcome the ordeals of fire and water, and impale the Jains.
  15. The doors of the Vedaranyam Temple closed after chanting the four Vedas; they were re-opened by the Tamil poems of Thirugnanasambandar.
  16. It was Tamil that saved Thirunavukkarasar from the persecution of the Pallava king.
  17. It was Tamil that gave Thirunavukkarasar the vision of Kailasam and gave him salvation.
  18. The ultimate truths not known even to Brahma were sung in Tamil by Nammalvar.
  19. Andal who adorned Vishnu with garlands she herself had worn sang only in Tamil.
  20. All the sins of Thirumangai Alwar, the saint-thief, were pardoned because he wrote in Tamil.
  21. Thirumangai Alwar had the rare honour of biting Vishnu’s toes only because he wrote in Tamil.
  22. Saraswati, the mother of all languages, in the golden lotus pond of Madurai holds aloft Tamil as the Sanga Palagai.
  23. Only Tamil poems can make even sculptures nod their heads.

[Quelle: A. R. Venkatachalapathy [Tamil ஆ. இரா. வேங்கடாசலபதி): In Those Days There Was No Coffee: Writings in Cultural History,  -- New Delhi : Yoda, 2006. -- Kindle ed. -- Fair use]

  1. Tamil ist rechts, Sanskrit ist links.
  2. Sanskrit befürwortet Tieropfer, Tamil verbietet Töten
  3. Tamil ist Saraswatis rechte Brust, Sanskrit nur ihre linke Brust
  4. Agathiar (அகத்தியர் - Akattiyar = Agastya), der Schöpfer des Tamil, führte Shivas Hochzeitszeremonien aus, nicht  Pāṇini (पाणिनि), der Sanskrit-Grammatiker
  5. Shiva und Vishnu folgen den Fußstapfen des Tamil, nicht des Sanskrit.  Einst war Sanskrit boshaft gegen Tamil. Zur Strafe bestimmten Vishnu und Shiva, dass in Tempelprozessionen zuerst in Tamil und dann in Sanskrit gesungen werden soll.
  6. Tamil ist wie der kühle Südwind, Sanskrit ist wie der kalte Nordwind, der krank macht.

usw. usw.

  1. Nur Tamil kann bewirken, dass selbst Statuen mit dem Kopf nicken."

1886 sieht einen weiteren Höhepunkt der Tamil-Renaissance: Es erscheint

The 'sacred' Kurraļ of Tiruvaļļuva-Nâyanâr ; with introduction, grammar, translation, notes, lexicon, and concordance / by G. U. (George Uglow)  Pope [1820 - 1908]. -- 450 S. (getrennte Zählung). --  London : Allen, 1886. -- Online: Tiruvalluvanayanar arulicceyta Tirrukkural = The 'Sacred' Kurral of Tiruvalluva-Nayanar : Tiruvalluvar : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive


Abb.: Titelblatt


Abb.: Seite 1 der Ausgabe und Übersetzung

George Uglow  Pope (1820 - 1908) ist ein anglikanischer Missionar, der seit 1839 in Südindien weilt.


Abb.: Denkmal von G. U. Pope, Marina Beach (மெரீனா கடற்கரை - Meriṉā kaṭaṟkarai)  in Chennai (Tamil சென்னை)i, 2009
[Bildquelle: Balamurugan Srinivasan. -- Statue of G U Pope | Balamurugan Srinivasan | Flickr. -- CC BY 2.0]

 

1891 erscheint das Tamil-Schauspiel von P. Sundaram Pillai (Tamil பெ. சுந்தரம் பிள்ளை - Pe. Cuntaram Piḷḷai, 1855 - 1897):


Abb.: P. Sundaram Pillai
[Public domain]

P. Sundaram Pillai (Tamil பெ. சுந்தரம் பிள்ளை, 1855 - 1897): மனோன்மணீயம் - Maṉōṉmaṇīyam


Abb.: Anfang des Maṉōṉmaṇīyam

Dem Schauspiel vorangestellt ist eine Anrufung von Tamiḻttāy [தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil].

In etwas abgewandelter Form wird diese Anrufung - தமிழ்த்தாய் வாழ்த்து - Tamiḻttāy vāḻttu - im Juni 1970 zur offiziellen Staatshymne von Tamil Nadu

Text der Staatshymne:

Text:

"நீராருங் கடலுடுத்த நிலமடந்தைக் கெழிலொழுகும்
சீராரும் வதனமெனத் திகழ் பரதக் கண்டமிதில்
தெக்கணமும் அதிற்சிறந்த திராவிட நல் திருநாடும்
தக்கசிறு பிறைநுதலும் தரித்தநறுந் திலகமுமே
அத்திலக வாசனைபோல் அனைத்துலகும் இன்பமுற
எத்திசையும் புகழ் மணக்க இருந்த பெருந் தமிழணங்கே!
தமிழணங்கே!
உன்சீரிளமைத் திறம் வியந்து
செய ல்மறந்து வாழ்த்துதுமே!
வாழ்த்துதுமே!!
வாழ்த்துதுமே!!!"

"Brimming Sea drapes exuberant Dame Earth!
With Beautified face in this exalted Indian Continent!
South! In particular Divine Dravidian Country!
As Aesthetic Thilakam on its beauteous curved forehead!
Like the Fragrance of that Thilakam, for the entire world to be delirious!
your fervor spread in all directions!
Oh! goddess tamizh!
Ever remain afresh Thee alone! Purity intact too!
Delighted! Praise thou beauteous Tamizh, youthful forever! Awestruck!
Praise unto thee!!
Praise unto thee!!!

[Quelle: Tamil Thai Valthu - Wikipedia. -- Zugriff am 2021-10-20. -- CC-BY-SA]

Die Originalfassung lautet:

நீராருங் கடலுடுத்த நிலமடந்தைக் கெழிலொழுகும்
சீராரும் வதனமெனத் திகழ் பரதக் கண்டமிதில்
தெக்கணமும் அதிற்சிறந்த திராவிடநல் திருநாடும்
தக்கசிறு பிறைநுதலும் தரித்தநறுந் திலகமுமே
அத்திலக வாசனைபோல் அனைத்துலகும் இன்பமுற
எத்திசையும் புகழ்மணக்க இருந்தபெருந் தமிழணங்கே!
தமிழணங்கே!
பல்லுயிரும் பலவுலகும் படைத்தளித்து துடைக்கினுமோர்
எல்லையறு பரம்பொருள்முன் இருந்தபடி இருப்பதுபோல்
கன்னடமுங் களிதெலுங்கும் கவின்மலையாளமும் துளுவும்
உன்னுதரத் தேயுதித்தே ஒன்றுபல வாகிடினும்
ஆரியம்போல் உலகவழக்கழிந் தொழிந்து சிதையாவுன்
உன் சீரிளமைத் திறம்வியந்து செயல்மறந்து
வாழ்த்துதுமே
வாழ்த்துதுமே
வாழ்த்துதுமே!
 

Brimming Sea drapes exuberant Dame Earth!
Beautified face; the exalted Indian Continent!
South! In particular Grand Dravida Empire!
Aesthetic Thilakam on thy beauteous curved forehead!
Fragrance of Thilakam makes entire world delirious!
Oh! Goddess Tamizh! Let your fervor spreads in all directions!
Many a life! Many a world! Creations of Thine! Decimations too !
Ever pervading Creator! Remain as ever! Ever as Thy have been!
Kannada, Joyous Telugu, Dainty Malayalam with Thulu!
Born of thy lips, the one that became many
Just like Aryan (language) you don't go out of use, your Everlasting and undying youth!

Ever remain afresh Thee! Purity intact too!
Delighted! Praise thou beauteous Tamizh, youthful forever! Awestruck!
Praise unto thee!
Praise unto thee!

[Quelle: Tamil Thai Valthu - Wikipedia. -- Zugriff am 2021-10-20. -- CC-BY-SA]

Andhra Pradesh hat in Maa Telugu Thalliki (Telugu మా తెలుగు తల్లికి - Mā telugu talliki) eine entsprechende Staatshymne zu Mutter Telugu.

మా తెలుగు తల్లికి మల్లెపూదండ
మా కన్న తల్లికి మంగళారతులు,
కడుపులో బంగారు కనుచూపులో కరుణ,
చిరునవ్వులో సిరులు దొరలించు మాతల్లి.

గలగలా గోదారి కదలిపోతుంటేను
బిరాబిరా కృష్ణమ్మ పరుగులిడుతుంటేను
బంగారు పంటలే పండుతాయీ
మురిపాల ముత్యాలు దొరులుతాయి.

అమరావతీ గుహల అపురూప శిల్పాలు
త్యాగయ్య గొంతులో తారాడు నాదాలు
తిక్కయ్య కలములో తియ్యందనాలు
నిత్యమై నిఖిలమై నిలచి వుండేదాకా.

రుద్రమ్మ భుజశక్తి మల్లమ్మ పతిభక్తి
తిమ్మరసు ధీయుక్తి, కృష్ణరాయని కీర్తి
మా చెవులు రింగుమని మారుమ్రోగేదాక
నీ పాటలే పాడుతాం, నీ ఆటలే ఆడుతాం
జై తెలుగు తల్లి, జై తెలుగు తల్లి.

A garland of Jasmines for our Mother Telugu,
Veneration to the great Mother that birthed us,
With gold in thy belly and grace in thine eyes,
O Mother, from whose smile wealth doth flow!

Full of life and vigor, the river Godavari
Flowing excitedly, the river Krishna
Crops like gold shall they yield bountiful
Gems glinting and shining shall roll forth.

Until the exotic sculptures of Amaravati
The riveting voice of Tyāgayya in his songs
The wondrous writings of Tikkayya have
Truly and gloriously withstood the test of time.

Rudramma's strength and Mallamma's fidelity
Timmarasu's courage and Krishnadevaraya's glory
Until our ears ring with the pleasantries
Thy songs shall we sing, thy games shall we play
Victory to our Mother Telugu, Victory to our Mother Telugu.
 

[Quelle: Maa Telugu Thalliki - Wikipedia. -- CC-BY-SA]

Im Januar 1891 erscheint im Fürstenstaat Travancore (Malayalam തിരുവിതാംകൂർ - Tiruvitāṅkūr) das Malayali Memorial. Darin wird wie ähnlich im Königreich Mysore (Kannada ಮೈಸೂರು - Maisūru) und im Fürstenstaat Cochin (Malayalam കൊച്ചി - Kocci) Klage geführt, dass Auswärtige (durchaus Drawiden) die hohen Staatsposten einnehmen. Dieses Memorial zeigt zweierlei:

  1. Konkurrenzneid ist ein wichtiger Faktor auch des südindischen Nativismus
  2. Wenn es um Konkurrenz geht, gibt es keine gesamt-drawidische Solidarität

1896 schreibt P. Sundaram Pillai (Tamil பெ. சுந்தரம் பிள்ளை, 1855 - 1897), einer der Begründer des Neo-Shaivism, an J. M. Nallaswami Pillai (Tamil நல்லசுவாமி பிள்ளை, 1864 - 1920). (Beide gehören der Vellalar-Kastengruppe (வேளாளர் - Vēḷāḷar)  an):

"Vellalas who form the flower of the Dravidian race have now so far forgotten their nationality as to habitually think and speak of themselves as Sudras. ... In fact to tell them that they are no more Sudras than Frenchmen and that the Aryan polity of castes was the cunningly forged fetters by which their earliest enemies—the Aryans of the North—bound their souls which is worse than binding hands and feet, might sound too revolutionary a theory, though historically but a bare fact." "Vellalas, die die Blüte der drawidischen Rasse bilden, haben ihre Nationalität so sehr vergessen, dass sie gewohnheitsmäßig über sich selbst als Shudras denken und sprechen. Wenn man ihnen sagt, dass sie so wenig wie Franzosen Shudras sind, und dass das arische System der Kasten die schlau gefälschte Fessel war, mit der ihre frühesten Feinde - die Arier aus dem Norden - ihre Seelen gebunden haben, was schlimmer ist, als Hände und Füße zu fesseln - Wenn man dies sagt, klingt es wie eine äußerst revolutionäre Theorie, obwohl es nur eine einfache historische Tatsache ist."
[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- S. 27f. -- Fair use]

1901 gründet in Madurai der regierende Zamindar von Palavanatham, Pandithurai Thevar (பாண்டித்துரைத் தேவர் - Pāṇṭitturait Tēvar, 1867 -1911), zusammen mit anderen den  Madurai Tamil Sangam (மதுரைத் தமிழ்ச் சங்கம் - Maturait tamiḻc caṅkam). Es soll der vierte der teilweise mythologischen Tamil Sangams (சங்கம் - caṅkam) sein und damit an die glorreiche, uralte tamilische Kultur anknüpfen und sie wiederbeleben.


Abb.: Pandithurai Thevar
[Public domain]

1901 erscheint auch

D. Savariroyan Pillai (Tamil டி சவரிராயன் பிள்ளை - Ṭi Cavarirāya Piḷḷai): Some disputed points cleared. -- In.: Light of Truth or Siddhanta Deepika.. - 5 (1901). -- S. 78 - 81 ; 194 - 200. -- Online: Siddhanta Deepika Volume 5 : Editors: J.M.Nallasami Pillai, V.V. Raman : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive


Abb.: Titelleiste

Es ist eine Antwort an einen veröffentlichten Brief des französischen Tamilisten Julien Vinson (1843 - 1926). Savariroyan nimmt anfangs erwähnte Lemuria-Theorie  auf und verbindet sie mit der Überlieferung von Kumarikkandam (குமரிக்கண்டம் – Kumarikkaṇṭam):

"The tradition asserts
  1. that there was a great continent contiguous with South India covering the large portion of the Indian ocean to the South of Cape Comorin and it was the seat of a civilized nation and of a powerful dynasty for many centuries from very remote times;

  2. that the capital of the dynasty was the seat of an assembly of learned men first at South Mathurai [தென் மதுரை], second at Kabadapuram [கபாடபுரம்] or Alavai and the assembly of literati at South Mathurai is known as the First Sangam and that at Kapadapuram as the second and

  3. that there occurred then a great inundation which washed away the vast extent of land stretching from Cape Comorin southwards with all the literary productions of the time.

(1) The fact that a vast land existed south of Cape Comerin and was submerged by the flood receives great support from the modern sciences, Geology and Natural History, which prove the existence of a land south of India and its disappearance beyond the pale of doubt. "The Science of Man” "The Science of Man" (for December, 1900, Australia) says:—

“Ths locality of the origin of the earliest race from the most recent researches appears to have been on lands now submerged beneath the Indian Ocean.”

But centuries before the birth of Natural History and Geology, this old tradition was recorded in the Ancient Tamilian classics. Therefore the Professor is obliged to give credit by all means to this tradition corroborated by modem sciences and discoveries. That the Tamilians even in those early days possessed an extensive literature will strike every one who goes through any extant old commentary of any one of the Tamil classical works. The learning and the knowledge displayed by the commentator, the highly polished and classical fragments of quotations and names of old standard works on grammar, theology, metaphysics, ethics etc. mentioned therein, all go to impress strongly, when compared with the meagre portion that is left to us, the possibility of a vast store of ancient literature displaying considerable erudition and the sense of the loss that Tamil has sustained by a great catastrophe. The lost works of which there seem to have been quite an ocean pass in view before us and remind us of the ancient grandeur and wealth of Tamil. This fact also cannot but be admitted by our Professor."

[a.a.O., S. 194f. ; 198f.]

"Die Tradition behauptet
  1. dass es einen großen mit Südindien verbundenen Kontinent gegeben hat, der den weiten Indischen Ozean südlich von Kap Comorin bedeckte; und dass dies viele Jahrhunderte lang seit urdenklichen Zeiten der Sitz einer zivilisierten Nation und mächtigen Dynastie war
  2. dass die Hauptstadt der Dynastie der Sitz  einer Versammlung von Gelehrten war, zuerst in Süd Mathurai, dann in Kabadapuram oder Alavai. Die Versammlung der Gelehrten in Süd Mathurai ist als erstes Sangam bekannt, die in Kabadapuram als zweites
  3. dass es eine große Überschwemmung gab, die das weite Land südlich von Kap Comorin weggespült hat samt der ganzen Literatur jener Zeit.

(1) Die Tatsache, dass ein weites Land südlich von Kap Comorin existierte und, dass es durch eine Flut untergetaucht wurde, wird durch die moderne Wissenschaft, Geologie und Naturgeschichte, stark unterstützt. Diese beweisen zweifelsfrei die Existenz eines Landes südlich von Indien und sein Verschwinden ...

Aber Jahrhunderte vor der Geburt von Naturgeschichte und Geologie wurde diese alte Tradition in den alten Tamil Klassikern aufgezeichnet ..."

Von hier geht die Spekulation über Kumarikkandam / Lemuria weiter bis in die 1980 Jahre, obwohl sie seit ca. 1960 durch die Plattentektonik endgültig überholt wurde.

Welche Sprache hat man auf Kumarikkandam gesprochen. Ab spätestens 1903 steht die Antwort fest: es war eindeutig Tamil. Daraus folgt vielerlei:

[Siehe: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: The lost land of Lemuria : Fabulous geographies, catastrophic histories. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 2004. -- 334 S. : Ill. -- S. 121.]

1904 tritt für uns eine der Hauptgestalten der drawidischen Bewegung in Erscheinung E. V. Ramasamy (EVR) (ஈ. வெ. இராமசாமி - Ī. Ve. Irāmacāmi,  1879 - 1973), ab 1938 பெரியார் - Periyār, "der Große" genannt. Ramasamy geht voll Idealismus auf Pilgerschaft nach Benares (Hindi वाराणसी). Dort stellte er zu seiner Enttäuschung fest:

"Ramasami Naicker reached Kasi (Banaras) penniless and therefore went from one choultry [Pilgerherberge]  to another where free food was offered. Everywhere he was refused food because he was a non-Brahman. At last he managed however to gain entrance into a choultry and here too he was thrown out after being recognized as a non-Brahman... Finally he decided to eat the remnants of food, on the leaves ... He imagined Kasi to be a place of immaculate purity devoid of all vices. It was here he witnessed that the Brahmans too ate meat and drank toddy, and that prostitution was a thriving institution." "Ramasami Naicker erreichte Benares mittellos und ging deshalb von einer Pilgerherberge zur anderen, wo Gratisessen ausgegeben wurde. Überall verweigerte man ihm das Essen, weil er ein Nicht-Brahmane war. Schließlich gelang es ihm, in einer Pilgerherberge Einlass zu erhalten. Als man entdeckte, dass er Nicht-Brahmane war, wurde er hinausgeschmissen. ... Schließlich entschloss er sich, die Essensreste auf Bananenblättern zu essen ... Er hatte sich eingebildet, Benares sei ein Ort unbefleckter Reinheit, frei von allen Lastern. Hier beobachtete er, dass auch die Brahmanen Fleisch aßen und Schnaps tranken, und dass Prostitution ein florierendes Geschäft war."
[Quelle: Sami Chidambaranar. -- Zitiert in: E. Sa. Visswanathan: The political career of E. V. Ramasami Naicker : A study in the politics of Tamilnad 1920 - 1949. -- Thesis: Canberra : Australian National University, 1973. -- S. 18f. -- Online: https://openresearch-repository.anu.edu.au/handle/1885/112063?mode=full. -- Fair use]


Abb.: Statue von E. V. Ramasamy, Vaikom (Malayalam വൈക്കം), Kerala
[Public domain]

Auch wenn sich Tamilen als das Muttervolk aller Drawiden gebärdeten, wollten anderssprachige Drawiden nicht bei ihrer Mutter bleiben. So beginnt 1912 das sogenannte Andhra Movement (ఆంధ్రోద్యమం - Āndhrōdyamaṁ), das die Abtrennung der Telugu-sprachigen Gebiete aus der Madras Presidency und die Bildung einer autonomen Telugu-Provinz fordert.

Im gleichen  Jahr 1912 erscheint auf Kannada das Buch

Aluru Venkata Rao (Kannada ಆಲೂರು ವೆಂಕಟರಾಯರು - Ālūru Veṅkaṭarāyaru, 1880 - 1964): ಕರ್ನಾಟಕ ಗತವೈಭವ [Karnāṭaka gatavaibhava - The glory that was Karnataka]

Es gibt der ಕರ್ನಾಟಕ ಏಕೀಕರಣ (Karnāṭaka ēkīkaraṇa)-Bewegung für ein vereintes Kannada-Gebiet sehr starken Auftrieb. Der Verfasser gilt heute als ಕನ್ನಡ ಕುಲ ಪುರೋಹಿತ (Kannaḍa kula purōhita - Hohepriester des Kannada-Clans).

Schon 1913 taucht in der Zeitung ఆంధ్రపత్రిక (Āndhrapatrika - Andhra Patrika) Mutter Andhra (ఆంధ్ర మాటా - Āndhra māṭā)  auf:


Abb.: The Blessing of the Mother Andhra  - ఆంధ్ర మాటా శీర్వచనము (Āndhra māṭā śīrvacanamu). -- In: ఆంధ్రపత్రిక (Andhra Patrika)
[Bildquelle: Mitchell, Lisa (1966 - ): Language, emotion, and politics in South India : The making of a mother tongue. -- Blommington : Indiana U.Pr., 2009. -- 281 S. : Ill. -- S. 96. -- Fair use]

Darum ist im Folgenden sehr oft eher von einer Tamilen-Bewegung als von einer echten Drawiden-Bewegung die Rede.

1916 gründet  Maraimalai_Adigal  (மறைமலை அடிகள் - Maṟaimalai aṭikaḷ, 1876 - 1950) das Thani Tamil Iyakkam (தனித் தமிழ் இயக்கம் - Taṉit tamiḻ iyakkam) (Pure or Independent Tamil Movement) zur Durchsetzung eines reinen - von Sanskritwörtern freien - Tamil.


Abb.: Maraimalai_Adigal, Briefmarke, 2007
[Wikimedia / GODL]

Die Bewegung ist sehr erfolgreich:

Um 1900 hatten ca. 50% der gebräuchlichen Wörter in Schrift-Tamil ihren Ursprung im Sanskrit, 1950 sind es nur noch 20%.


Abb.: Prozentsatz der gebräuchlichen Sanskrit-Wörter in Schrift-Tamil, 1900 und 1950

Im November 1916 organisiert sich die Tamil-drawidische Bewegung politisch in der South Indian People's Association (SIPA), später: Justice Party (நீதிக்கட்சி - Nītikkaṭci), welche vor allem die Interessen der Nicht-brahmanischen Oberschicht vertritt. Sie ist dezidiert anti-brahmanisch, anti-arisch und damit anti-Sanskrit und anti-Hindi.

1919 erscheint eine Anzahl verbreiteter Tamil-nationalistischer Gedichte des Brahmanen Subramaniya Bharati (Tamil: சுப்ரமணிய பாரதி - Cupramaṇiya Pārati, 1882 - 1921). Lesen Sie sie bitte im Anhang. Nebenbei bemerkt: Subramaniya Bharatis Werke haben großen Einfluss auf den gegenwärtigen Prime Minister Indiens, Narendra Modi (Gujarati: નરેંદ્ર દામોદરદાસ મોદી, 1950 - ).


Abb.: Subramaniya Bharati, Briefmarke, 1960
[Wikimedia / GODL]

Bei der Madras Presidency Legislative Council election 1923 erringen die Justice Party und Nicht-Brahmanen einen beachtlichen Erfolg. Die Justice Party stellt mit Panaganti Ramarayaningar (Telugu పానగంటి రంగారాయణింగారు - Pānagaṇṭi Raṅgārāyaṇiṅgāru,, 1866 - 1928) den Chief Minister der Presidency.


Abb.: Sitzverteilung, 1923
[Datenquelle: 1923 Madras Presidency Legislative Council election - Wikipedia. -- CC-BY-SA]


Abb.: Kommunale Verteilung der Sitze, 1923
[Datenquelle: 1923 Madras Presidency Legislative Council election - Wikipedia. -- CC-BY-SA]

Im Dezember 1924 hält der Indian National Congress mit seiner 39. Sitzung  in Belgaum (Kannada ಬೆಳಗಾವಿ) gegen. Präsident ist Gandhi (Gujarati: ગાંધી, 1869 - 1948). Bei der Sitzung wird das Lied

ಉದಯವಾಗಲಿ ನಮ್ಮ ಚೆಲುವ ಕನ್ನಡ ನಾಡು (Udayavāgali nam'ma celuva kannaḍa nāḍu - Lass unsere wunderschöne Kannada-Nation aufgehen!)

ಉದಯವಾಗಲಿ ನಮ್ಮ ಚೆಲುವ ಕನ್ನಡ ನಾಡು

ಉದಯವಾಗಲಿ ನಮ್ಮ ಚೆಲುವ ಕನ್ನಡ ನಾಡು

ಬದುಕು ಬಲುಹಿನ ನಿಧಿಯು ಸದಭಿಮಾನದ ಗೂಡು || ಪ ||

ರಾಜನ್ಯರಿಪು ಪರಶುರಾಮನಮ್ಮನ ನಾಡು

ಆ ಜಲಧಿಯನೆ ಜಿಗಿದ ಹನುಮನುದಿಸಿದ ನಾಡು

ಓಜೆಯಿಂ ಮೆರೆದರಸುಗಳ ಸಾಹಸದ ಸೂಡು

ತೇಜವನು ನಮಗೀವ ವೀರವೃಂದದ ಬೀಡು

ಲೆಕ್ಕಿಗಮಿತಾಕ್ಷರರು ಬೆಳೆದು ಮೆರೆದಿಹ ನಾಡು

ಜಕ್ಕಣನ ಶಿಲ್ಪ ಕಲೆಯಚ್ಚರಿಯ ಕರುಗೋಡು

ಚೊಕ್ಕ ಮತಗಳ ಸಾರಿದವರಿಗಿದು ನೆಲೆವೀಡು

ಬೊಕ್ಕಸದ ಕಣಜವೈ ವಿದ್ವತ್ತೆಗಳ ಕಾಡು

ಪಾವನೆಯರಾ ಕೃಷ್ಣೆ ಭೀಮೆಯರ ತಾಯ್ನಾಡು

ಕಾವೇರಿ ಗೋದೆಯರು ಮೈದೊಳೆವ ನಲುನಾಡು

ಆವಗಂ ಸ್ಫೂರ್ತಿಸುವ ಕಬ್ಬಿಗರ ನಡೆಮಾಡು

ಕಾವ ಗದುಗಿನ ವೀರನಾರಾಯಣನ ಬೀಡು.

Let our beautiful Kannada naadu  rise
Life, lifestyle and wealth are the pride of this state

It is the land ruled by king Parashu Raama
It is the birth place of Lord Hanuman who jumped the ocean.
It is the land of majestic kings
It is the land of inspiring warriors

It is the land where mathematicians and scientists flourished
It is the land of mystical sculptures by sculptor Jakkanachaari
It is the land of huge varieties of food grains of large quantity

It is the motherland of sacred rivers such as Krishna, Bheema
It is the land fertiled by Kaveri, Godavari(rivers)
It is the land of the famous Veera Narayana temple of Gadag.

 

Quelle: ಹುಯಿಲಗೋಳ ನಾರಾಯಣರಾಯ - ವಿಕಿಪೀಡಿಯ (wikipedia.org) Quelle der Übersetzung: Swara Sadhana: Udayavaagali Namma Cheluva Kannada Naadu (bhagavatula.com). -- Zugriff am 2021-10-05. -- Fair use]

von Huilgol Narayana Rao (Kannada ಹುಯಿಲಗೋಳ ನಾರಾಯಣರಾಯ - Huyilagōḷa nārāyaṇarāya, 1884 - 1971) gesungen.

Das gibt dem Ekikarana Movement des Kannada-Gebietes starken Auftrieb.

1925 gründet in Madras  S. Ramanathan (Tamil எஸ். இராமநாதன் - Es. Irāmanātaṉ, 1895 - 1970) das Self-Respect Movement (Tamil சுயமரியாதை இயக்கம் - Cuyamariyātai iyakkam). E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) ist der Anführer dieser Bewegung.

Die Bewegung ist gerichtet

 

Ab Mai 1925 gibt E._V._Ramasamy (Tamil ஈரோடு வெங்கடப்பா இராமசாமி, 1879 - 1973) die Tamil Wochenzeitschrift குடி அரசு (Kuṭi aracu) = Kudi Arasu heraus


Abb.: Titelleiste 1925
[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: The Goddess and the nation : Mapping Mother India. -- Durham : Duke Univ. Pr., 2010. -- 380 S. : Ill. -- S.  47. -- Fair use]

Diese wichtige Zeitschrift ist von Anfang an anti-brahmanisch und wird zusehends radikal rationalistisch und religionskritisch.

1926 nimmt E._V._Ramasamy (Tamil பெரியார் ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) die Forderung nach der Landessprache in der Liturgie auf:

"Warum sollten wir die Gottheiten in einer Fremdsprache [Sanskrit] verehren?"

Im September 1927 trifft E._V._Ramasamy (Tamil ஈரோடு வெங்கடப்பா இராமசாமி, 1879 - 1973) Gandhi (Gujarati: ગાંધી, 1869 - 1948), um diesen von seiner Meinung über varnashramadharma (वर्णाश्रमधर्म) abzubringen. Das gelingt nicht. Ramasamy erklärt Gandhi klipp und klar, dass nach Ramasamys Meinung Indien wirklich frei werden kann nur

"mit der Zerstörung von Indian National Congress, Hinduismus und Brahmanismus."

[Quelle: E. Sa. Visswanathan: The political career of E. V. Ramasami Naicker : A study in the politics of Tamilnad 1920 - 1949. -- Thesis: Canberra : Australian National University, 1973. -- S. 73. -- Online:
https://openresearch-repository.anu.edu.au/handle/1885/112063?mode=full. -- Fair use]

1928 fordert in Ernakulam (Malayalam എറണാകുളം) eine State Peoples Conference der Malayalam-sprachigen Staaten ein "United Kerala" aller Malayalam-Regionen.

Im März 1931 schreibt E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973)  im Editorial der Zeitschrift குடி அரசு (Kudi Arasu) über Gandhi:

"The day when Gandhi said God alone guides him, that Varnashrama Dharma is a superior system fit to govern the affairs of the world and that everything happens according to God’s will, we came to the conclusion that there is no difference between Gandhism and Brahminism. We also concluded that unless the Congress party that subscribes to such philosophy and principle is abolished it will not be good for the country. But now this fact has been found out at least by some of the people. They have gained wisdom and courage to call for the downfall of Gandhism. This is a great victory to our cause." "An dem Tag, als Gandhi sagte., dass ihn allein Gott leitet, und dass Varnashrama Dharma ein überlegenes System ist, fähig die Angelegenheiten der Welt zu leiten; und dass alles nach Gottes Willen geschieht - an jenem Tag kam ich zum Schluss, dass es keinen Unterschied zwischen Gandhismus und Brahmanismus gibt. Wir schlussfolgerten auch, dass es nichts Gutes für das Land geben wird, wenn nicht die Congress Party abgeschafft wird, die eine solche Philosophie und ein solches Prinzip gutheißt. Jetzt haben wenigstens einige Leute diese Tatsache erkannt. Sie haben Weisheit und Mut bekommen, nach dem Untergang des Gandhismus zu rufen. Das ist ein großer Sieg für unsere Sache."
[Quelle: Sandhya Ravishankar (Tamil சந்தியா ரவிசங்கர்): Karunanidhi : A life in politics. -- HarperCollins, 2019. -- Kindle ed. -- Fair use]

1932 besucht E._V._Ramasamy (Tamil ஈரோடு வெங்கடப்பா இராமசாமி, 1879 - 1973) die Sowjetunion. Wie vor ihm Nehru ist er vom Sowjetsystem hellauf begeistert. In der Folge ist er nicht nur ein Verfechter des sowjetischen Wirtschaftssystems, sondern tauft auch unzählige Kinder im Tamilland statt auf Hindunamen auf die Namen

1933 bringt die Tamil Self-Respect Zeitschrift குடி அரசு (Kudi Arasu) Artikel auch gegen Jesus Christus und die katholische Kirche.

Im November 1933 schreibt die Tamil Self Respect Zeitschrift புரட்சி Puraṭci (Puratchi   = Revolution) :

"The object, it professed was not

to get rid of white capitalists and the rule of the whites and replace them by black capitalists and the rule of the blacks, but to get rid of the capitalists as a class and all religions and to secure to all people equality in life irrespective of sex or status."

 

"Ziel (des Self-Respect Movement) ist nicht

die weißen Kapitalisten und die Herrschaft der Weißen loszuwerden, und sie mit schwarzen Kapitalisten und der Herrschaft der Schwarzen zu ersetzen. Ziel ist, die Kapitalisten als Klasse und alle Religionen loszuwerden, und allen Menschen Gleichberechtigung im Leben zu sichern, unabhängig von Geschlecht oder Status"

[Quelle: E. Sa. Visswanathan: The political career of E. V. Ramasami Naicker : A study in the politics of Tamilnad 1920 - 1949. -- Thesis: Canberra : Australian National University, 1973. -- S. . -- Online: https://openresearch-repository.anu.edu.au/handle/1885/112063?mode=full. -- Fair use]

Ab 1935 beschäftigt sich der katalonische Jesuitenpater Henry Heras (geborener Enric Heras i Sicars, S. J. (1888 - 1955) mit der Schrift der seit 1925 erforschten Indus-Kultur. Er ist überzeugt, dass die Sprache der Schriftsigel Proto-Drawidisch ist.


Abb.: Henry Heras, Briefmarke, 1981
[Wikimedia / GODL]

1953 fasst er seine Hypothese so zusammen:


[Quelle: Henry Heras S. J. (1888 - 1955): Studies in Proto-Indo-Mediterranean culture. -- Vol. 1. -- Bombay : Indian Historical Research Institute, 1953. -- 542 S. : Ill. -- S. 158. --Online: Studies In Proto-indo-mediterranean Culture Vol-i (1953) : Heras Rev. H. : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive]

Diese Hypothese wird - ohne dass man P. Heras' Schriften liest - schnell als Beweis dafür popularisiert, dass Tamil die Sprache der Ureinwohner Indiens  ist.

Ramasamys Hoffnung auf den Untergang des Gandhismus erfüllt sich nicht, wie die Wahlen im Februar 1937 zum Madras Presidency Legislative Council zeigen: Der Indian National Congress erhält eine satte Mehrheit und der Gandhiist und Iyengar-Brahmane (ஐயங்கார் - Aiyaṅkār) C. Rajagopalachari (CR - Tamil சக்ரவர்தி ராஜகோபாலாச்சாரி, 1878 - 1972) aka. Rajaji wird Chief Minister


Abb.: Sitzverteilung 1937
[Datenquelle: 1937 Madras Presidency Legislative Council election - Wikipedia. -- CC-BY-SA]


Abb.: C. Rajagopalachari mit Gandhi, 1944-08-31
[Public domain]

Auf die Wahl Rajagopalacharis erscheinen Tamil-Plakate gegen den Brahman Raj. Ein Beispiel:

"Oh! Tamils!
Have you no shame?
Have you no courage?
In the name of Congress,
Brahman Raj has been established
Alas! What will be your fate?"
"Tamilen!
Habt Ihr keine Scham?
Habt Ihr keinen Mut?
Im Namen des Congress
Wurde Brahman Raj etabliert.
Wehe! Was wird Euer Schicksal sein?"
[Quelle: E. Sa. Visswanathan: The political career of E. V. Ramasami Naicker : A study in the politics of Tamilnad 1920 - 1949. -- Thesis: Canberra : Australian National University, 1973. -- S. 208. -- Online: https://openresearch-repository.anu.edu.au/handle/1885/112063?mode=full. -- Fair use]

Rajagopalachari ist ein Verfechter des arischen Hindi als einheitliche Nationalsprache Indiens. Die Konflikte mit den Drawiden sind damit vorprogrammiert. 1938 ordnet er Hindi als Pflichtfach in den Klassen 6 bis 8 in 125 Schulen an.

Im Unterschied zur Anti-Sanskrit Bewegung ist die Anti-Hindi-Bewegung bis in die Gegenwart eine echte Volksbewegung. Ihre Geschichte gehört zwar zu meinem Thema, würde aber eine eigene Vorlesung erfordern. Es genüge folgender von M._Karunanidhi (Tamil மு. கருணாநிதி, 1924 - 2018) 1938 verfasster Gesang in Tamil, den die Schulkinder auf den Straßen singen:

"Come, everyone. We will go to war!
We will drive back the Hindi ghost that has arrived."
"Kommt alle! Wir ziehen in den Krieg!
Wir werden den Hindi-Geist zurückschlagen, der gekommen ist"
[Quelle: Sandhya Ravishankar (Tamil சந்தியா ரவிசங்கர்): Karunanidhi : A life in politics. -- HarperCollins, 2019. -- Kindle ed. -- Fair use]

Zwei Karikaturen mögen die Anti-Hindi-Bewegung illustrieren

Im Dezember 1937 erscheint in der Zeitschrift குடி அரசு (Kudi Arasu): die Karikatur "Rajagopalacharis Draufgängertum: die Entehrung von Mutter Tamil":


Abb.: Karikatur in குடி அரசு (Kudi Arasu). -- 1937-12: "Rajagopalachari's Bravado: The dishonoring of Tamiḻttāy [Tamil தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil]"
[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- nach S. 78. -- Fair use]

Im Mai 1938 erscheint in der Zeitschrift (விடுதலை (Viṭutalai) die Karikatur "Rajagopalachari greift mit dem Hindi-Messer Mutter Tamil an"


Abb.: Karikatur in விடுதலை (Vitutalai): C. Rajagopalachari (Tamil சக்ரவர்தி ராஜகோபாலாச்சாரி, 1878 - 1972) greift mit dem Hindi-Messer Tamiḻttāy [Tamil தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil] an
[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- nach S. 78. -- Fair use]

Im September 1938  schreibt E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) im Sunday Observer

"How long are we going to be ruled by Wardha or Gujarat [d.h. von Gandhi]? Hereafter our cry should be Tamilnad for Tamilians . ... If we want to live as self-respecting Tamilians, we should see that we carry on a drive against these up-countrymen here. We cannot be any longer deceived .. . by nationalism and patriotism. We have been deceived for a long time past and we are now awakened."

"Wie lange sollen wir noch von Wardha (Marathi  वर्धा) oder Gujarat [d.h. von den Hauptquartieren Gandhis] regiert werden. Ab jetzt sei unser Ruf: Tamilnad für Tamilen. ... Wenn wir als selbstachtende Tamilen leben wollen, sollten wir gegen diese Nordmänner agieren. Man kann uns nicht länger mit Nationalismus und Patriotismus täuschen. Wir wurden eine lange Zeit getäuscht und sind nun wach geworden."
[Quelle: E. Sa. Visswanathan: The political career of E. V. Ramasami Naicker : A study in the politics of Tamilnad 1920 - 1949. -- Thesis: Canberra : Australian National University, 1973. -- S. 243f. -- Online: https://openresearch-repository.anu.edu.au/handle/1885/112063?mode=full. -- Fair use]

Im Oktober 1938 führt  E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) in der Tamil  Zeitschrift குடி அரசு (Kudi Arasu) die Entwürdigung der Malayali-Frauen auf die Vermischung mit der Sanskrit-Kultur zurück. Ebenso die Tempelprostitution im Tamilland. Die gegenwärtige Regierung der Madras Presidency ist eine arische Regierung mit dem Ziel, die Tamilen zu versklaven und die Tamilischen Frauen in eine schändliche Lage zu bringen.

1939 fordert die Dravida Nadu Conference ein unabhängiges Dravida Nadu (Tamil திராவிட நாடு - Tirāviṭa nāṭu, Drawiden-Staat)

Im Juli 1939 distanziert sich E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) vom Kult der Tamil-Sprache. In Coimbatore (Tamil கோயம்புத்தூர) erklärt er in einer öffentlichen Versammlung:

"The chairman says I have great devotion for our mother tongue, Tamil. He also said that I toil hard for it. . . .

I do not have any devotion for Tamil, either as mother tongue or as the language of the nation. I am not attached to it because it is a classical language, or because it is an ancient language, or because it was the language spoken by Shiva, or the language bestowed upon us by Agastya. . . . Such an attachment and devotion is foolish. I only have attachment to those things that have qualities that have utility. I do not praise something just because it is my language or my land or my religion or because it is something ancient."

"Der Vorsitzende sagt, dass ich große Verehrung für unsere Muttersprache Tamil habe. Er sagt auch, dass ich mich dafür sehr abmühe ...

Ich habe keinerlei Verehrung für Tamil, weder als Muttersprache, noch als Sprache der Nation. Ich bin Tamil nicht zugetan, weil es eine klassische Sprache ist, oder eine alte Sprache, oder weil es die Sprache Shivas ist, oder die Sprache, die uns Agastya geschenkt hat ... Solche Hingabe und Verehrung ist töricht. Ich bin nur Dingen zugeneigt, die nützliche Eigenschaften haben. Ich lobe nichts, nur weil es meine Sprache, mein Land, meine Religion, oder etwas Antikes ist."

[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- S. 235. -- Fair use]

Ebenfalls im Juli 1939 beschäftigte sich eine Tamil Marriage Conference mit den Ehezeremonien. Die üblichen Eheschließung durch Brahmanen in Sanskrit wird als arische patriarchalische Entartung gebrandmarkt. Es wird eine einfache Zeremonie in Tamil in Anwesenheit der Ältesten durch Binden eines einfachen Thali-Halsbandes (தாலி - Tāli) gefordert.


Abb.: Thali  (தாலி - Tāli), 2011
[Bildquelle:  Tshrinivasan/Wikimedia. -- CC BY-SA 3.0]

29 Jahre später, im Januar 1968, kommt der Madras State dieser Forderung im Hindu Marriage (Madras Amendment) Act, 1967 nach (Text: Tamil nadu act 021 of 1967 : Hindu Marriage (Tamil Nadu Amendment) Act, 1967 | CaseMine). Durch diesen werden  suyamariyathai [சுயமரியாதை - Cuyamariyātai - Self-Respect]  and seerthiruththa [சீர்திருத்த - Cīrtirutta - Reform] Hochzeiten zivilrechtlich anerkannt.

Im Oktober/November 1939 treten alle Congress-Minister der Regionalregierungen zurück. Das Self-Respect-Movement jubelt darüber ebenso wie die All-India Muslim League.

Mutter Tamil freut sich:


Abb.: Tamiḻttāy [Tamil தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil], ca. 1941
[Fair use]

Die Bewegung für einen autonomen Drawida-Staat (ähnlich wie ein muslimisches Pakistan) äußert sich ab 1942 in einer Tamil Zeitschrift:

திராவிட நாடு (Tirāviṭa nāṭu  - Dravida Nadu) / hrsg von C. N. Annadurai (Tamil சி. என். அண்ணாதுரை - Ci. Eṉ. Aṇṇāturai, 1909 - 1969)


Abb.: Foto von der Gründung, 1942
[Public domain]

M._Karunanidhi (Tamil மு. கருணாநிதி - Mu. Karuṇāniti, 1924 - 2018), der Chief Minister von Tamil Nadu sein wird von 1969 bis 2011, tritt immer mehr in den Vordergrund der Tamil-drawidischen Bewegung.

1943 startet in der Madras Presidency das Self-Respect Movement (Tamil சுயமரியாதை இயக்கம்) Kampagnen, das Kambaramayanam (கம்பராமாயணம் - Kamparāmāyaṇam) und das Periya Puranam (பெரிய‌ புராண‌ம் Periya‌ purāṇa‌m) öffentlich zu verbrennen.

1944 wird die Justice Partei umbenannt in  Dravidar Kazhagam (DK) (Tamil: திராவிடர் கழகம் - Tirāviṭar kaḻakam - Dravidian Federation). Die Partei besteht bis heute fort.


Abb.: Fahne der DK: schwarz = das unterdrückte drawidische Volk ; rot =die Hoffnung

Zwischen Oktober 1944 und September 1945 entwickelt sich die Mitgliedschaft dieser Partei so:


Abb.: Mitglieder des Dravidar Kazhagam, 1944-10 - 1945-09
[Datenquelle: E. Sa. Visswanathan: The political career of E. V. Ramasami Naicker : A study in the politics of Tamilnad 1920 - 1949. -- Thesis: Canberra : Australian National University, 1973. -- S. 349. -- Online:
https://openresearch-repository.anu.edu.au/handle/1885/112063?mode=full. -- Fair use]

Im Oktober 1945 erfolgt ein Aufruf an alle Vollzeit-Mitarbeiter des Dravidar Kazhagam (DK) (Tamil: திராவிடர் கழகம் -- Dravidian Federation) sich der Dravidan Freedom Force (Blackshirts Movement) - der Schwarz-Hemden-Bewegung - anzuschließen. Einer der ersten ist M._Karunanidhi (Tamil மு. கருணாநிதி, 1924 - 2018). Es ist ein eindeutiger Rückgriff auf die camicie nere (Schwarzhemden) der italienischen Faschisten (1919 - 1945).


Abb.: Camicie nere mit Benito Mussolini (1883 - 1945) beim Marsch auf Rom, 1922-10-28
[Public domain]

1946 erscheint:

Pulavar Kuzhanthai (புலவர் குழந்தை - Pulavar kuḻantai, 1906 - 1972): இராவணகாவியம் (Irāvaṇakāviyam - episches Gedicht über Ravana)


Abb.: Pulavar Kuzhanthai, 1946
[Fair use]


Abb.: Einbandtitel einer neueren Ausgabe
[Fair use]

Darin wird Ravana (இராவணன் - Irāvaṇaṉ), der Dämonenkönig des Ramayana und Feind Ramas, als Tamil-Held geschildert und als Herrscher über den vom Ozean verschlungenen Kontinent Kumarikkaṇṭam (குமரிக்கண்டம்). Bei seinem Erscheinen wird das Buch verboten. 1971 - nach dem Sieg des Tamil-Nationalismus - nachgedruckt und gefeiert.

[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: The lost land of Lemuria : Fabulous geographies, catstrophic histories. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 2004. -- 334 S. : Ill. -- S. 293, Anm. 138. -- Fair use

Damit habe ich Sie kurz auf den Komplex der drawidischen Ramayana-Deutungen und -Versionen hingewiesen. Ein weites Gebiet.


Abb.: Poster für Ravanaleela, Chennai, 2016-10-12
[Bildquelle: Periyar was the initiator of Ravan Leela in Tamil Nadu | Forward Press. -- Zugriff am 2021-12-02. -- Fair use]

Im Vorfeld der Unabhängigkeit Indiens warnt E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) 1946 die drawidischen Völker, auf der Hut zu sein vor der Übertragung der Macht von den Briten auf die Arier, und rät, einen eigenständigen südindischen Staat anzustreben.

Im November 1946 kommt es zur Gründung des Tamil Arasu Kazhagam (தமிழ் அரசு கழகம் - Tamiḻ aracu kaḻakam- Association for Tamil Autonomy)

Die Frage, ob Sanskrit oder Tamil hervorragender sind, wird im 1947 erschienenen Buch

Velayutam Pillai (Tamil வேலாயுதம் பிள்ளை - Vēlāyutam piḷḷai,  1895-1956): மொழி அரசி (Moḻi araci - Queen language). -- தஞ்சாவூர் : கரந்தைத் தமிழ்ச் சங்கம் , 1947. -- 208 S. -- Online:https://www.tamildigitallibrary.in/admin/assets/book/TVA_BOK_0013182_மொழி_அரசி.pdf

endgültig geklärt:



Abb.: Speer Murugans (முருகன் - Murukaṉ), Kodaikanal (Tamil கொடைக்கானல்), 2011
[Bildquelle: Karthikeyan.pandian/Wikimedia. -- CC BY-SA 3.0]

"One such story, based on an incident in the life of the nineteenthcentury mystic Dandapanisami [தண்டபாணிசாமி], is especially popular in neo-Shaiva tellings. When challenged by a Brahman who invoked the superiority of Sanskrit because the Vedas were in that language, Dandapanisami declared that unlike them, the Tamil scriptures did not advocate the sacrifice of goats and the consumption of meat. The argument between the two notables continued for a while, and it was finally decided to settle the matter by calling upon the deities. They placed in front of the spear of Lord Murugan [முருகன்] three chits with the following messages:

“Tamil alone is eminent,” “Sanskrit alone is eminent,” and “Both are eminent.”

A virgin maiden was asked to choose among the chits and she picked out the one that declared, unambiguously,

“Tamil alone is eminent.”

Dandapanisami rejoiced, brushed his eyes reverentially with the chit, and then placed it in his mouth. Subsequently, he composed his famous verse on Murugan which praised him as the lord who himself had declared Tamil’s superiority over Sanskrit. He then went on to write the Tamil-alankaram [தமிழ்அலங்காரம்], a hundred-verse eulogy of Tamil recounting its various miraculous abilities and supernatural powers (Velayutam Pillai 1971: 124-61)."

[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- S. 31. -- Fair use]

Darin wird folgende Geschichte über Dandapanisami [தண்டபாணிசாமி] erzählt, einen Mystiker des 19. Jahrhunderts:

Im Streit mit einem Brahmanen, der die Überlegenheit des Sanskrit behauptete, weil die Veden in Sanskrit sind, erklärte Dandapani, dass Tamil überlegen sei, weil die Tamil-Schriften weder das Opfer von Ziegen noch das Essen von Fleisch befürworten. Man beschließt, den Streit durch Gott Murugan [முருகன் - Murukaṉ] entscheiden zu lassen:

Sie legen vor den Speer von Murugan drei Zettel mit den Aufschriften

  • "Tamil allein ist hervorragend"
  • "Sanskrit allein ist hervorragend"
  • "Beide sind hervorragend"

Ein jungfräuliches Mädchen wird gebeten, zwischen den Zetteln zu wählen. Sie wählt den mit

"Tamil allein ist hervorragend"

Dandapanisami freut sich, berührt seine Augen ehrfürchtig mit dem Zettel, und nimmt ihn in seinen Mund. Dann verfasst er einen berühmten Vers auf Gott Murugan, der die Überlegenheit des Tamil über Sanskrit persönlich erklärt hat.

Vor der Unabhängigkeitsfeier am 15. August 1947 ruft E. V. Ramasamy zum Boykott der Feiern am Unabhängigkeitstag auf. Denn: die politische Macht würde zwar von der Hand der Briten übergehen, aber nicht zu den Drawiden. Diese würden weiterhin Vasallen der arischen Bania (Vaishya) bleiben. Deshalb sei der Tag kein Grund zur Freude, sondern zur Trauer. C. N. Annadurai (Tamil சி. என். அண்ணாதுரை, 1909 - 1969) widerspricht Ramasamy.

 Ende August 1947 kommentiert die Tamil-nationalistische Zeitung திராவிடன் (Tiravitan) die Unabhängigkeit in einem Gedicht mit folgendem Vers:

“The foreign Bharata Mata (anniyap paratattay) has attained glory.
Our own dear
Tamiḻttāy [Tamil தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil] has been greatly disgraced.”
"Die ausländische Mutter Indien (Bharata Mata) hat Ruhm erworben.
Über unsere eigene geliebte Mutter Tamil ist große Schande gekommen."
[Quelle: Sumathi Ramaswamy [சுமதி ராமஸ்வாமி]: Passions of tongue : Language devotion in Tamil India 1891 - 1970. -- Berkeley : Univ. of California Pr., 1997. -- S. 67. -- Fair use]

Im Juli 1948 heiratet der 69jährige E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973) seine Geliebte, die 31jährige Annai E. V. R. Maniammai (Tamil ஈ. வெ. இரா. மணியம்மை - Ī. Ve. Irā. Maṇiyam'mai, 1917 - 1978). Dies ist einer der Gründe für die Abspaltung des Dravida Munnetra Kazhagam (DMK - Tamil திராவிட முன்னேற்றக் கழகம்) vom Dravidar Kazhagam (Tamil திராவிடர் கழகம்) durch C. N. Annadurai (Tamil சி. என். அண்ணாதுரை, 1909 - 1969).


Abb.: Parteifahne des Dravida Munnetra Kazhagam (DMK - Tamil திராவிட முன்னேற்றக் கழகம்)
[Public domain]


Abb.: C. N. Annadurai, Briefmarke, 1970
[Wikimedia / GODL]

1949 erscheint auf Tamil:

Periyar E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973): தந்தை பெரியார் பொன்மொழிகள் -  Tantai periyār poṉmoḻikaḷ (Periyars Sprüche - The golden Sayings of Periyar). -- Englische Übersetzung online: COLLECTED WORKS OF PERIYAR E.V.R. (thesatyashodhak.com)

Das Buch wird 1950 polizeilich verboten. 1970 wird das Verbot aufgehoben.

Ein paar Beispiele:

"What is Saivism? No one can say that it is a distinct separate religion. It cannot be construed that it is the religion of the Tamils. It is also Brahmanic in content and character. " "Was ist Shaivism? Niemand kann behaupten, dass es eine eigenständige Religion ist. Man kann nicht konstruieren, dass es die Religion der Tamilen ist. Auch Shaivism ist in Inhalt und Charakter brahmanisch."
"However much the Brahmins may come forward to bargain in the matter of castes, so long as Krishna and Gita are there, there is not going to be an end to the castes." "So sehr die Brahmanen auch hervortreten, um über die Kasten zu verhandeln. So lange es Krishna und die Bhagavadgita gibt, gibt es kein Ende der Kasten."
"I am depicted as anti-Brahmin by the vested press. But I am not really an enemy of any Brahmin personally. The only fact is that I am dead against the Brahminism. I never said that the Brahmins should be destroyed. I only say that the Brahminism should be destroyed. No Brahmin seems to understand clearly what say." "Die einschlägige Presse stellt mich als anti-Brahmane dar. Aber ich bin wirklich nicht der persönliche Feind irgendeines Brahmanen. Aber ich bin strikt gegen Brahmanismus. Ich habe niemals gesagt, dass man die Brahmanen zerstören soll. Ich sage nur, dass Brahmanismus zerstört werden soll. Kein Brahmane scheint zu verstehen, was ich sage."
"Our language will make our people unite under the banner of Tamilnadu and Tamil language. It will make the Kanadigas, Andhras and the Malayalees vigilant. A time will come for unity. This will go on till there is an end to the North Indian domination. We will be carving out an independent sovereign state for us." "Unsere Sprache wird unser Volk unter der Fahne von Tamil-Nation und Tamil-Sprache einen.  Das wird die Kanadigas, Andhras und Malayalis wachsam machen. Es wird eine Zeit kommen für die Einheit. Das wird so lange dauern bis die nordindische Herrschaft beendet ist. Wir werden für uns einen unabhängigen souveränen Staat herausschneiden."
"What pride is there in saying that the Britishers are gone. In their place traders like Marwadis, Gujaratis, and Banias of North India have settled down here in Tamil Nadu. They are exploiting freely. When we see the exploitation of these Northerners, we feel that we can even forget the Brahmins." "Wie können wir stolz sein, dass die Briten gegangen sind? An ihrer Stelle haben sich Händler wie die Marwaris, Gujaratis und Bania Nordindiens hier in Tamil Nadu niedergelassen. Sie beuten grenzenlos aus. Wenn wir die Ausbeutung durch diese Nordmänner sehen, können wir sogar die Brahmanen vergessen."
"The leader of the Congress party is a Brahmin. The leader of the socialists is a Brahmin. The leader of the communists is a Brahmin. The leader of the Hindu Maha Sabha is a Brahmin. The leader of R.S.S is a Brahmin. The leader of the Trade Union is a Brahmin. The President of India is a Brahmin. They are all one in the heart of hearts." "Der Führer der Congress Party ist ein Brahmane. Der Führer der Sozialisten ist ein Brahmane. Der Führer der Kommunisten ist ein Brahmane. Der Führer der Hindu Maha Sabha ist  ein Brahmane. Der Führer des R.S.S. [Rashtriya Swayamsevak Sangh] ist ein Brahmane. Der Führer der Gewerkschaft ist ein Brahmane. Der Präsident Indiens ist ein Brahmane. Sie sind im tiefsten Inneren alle Einer."

Beachten Sie, dass Periyar E. V. Ramasamy ein Nationalheld der Tamilen ist. Ab 1973 werden an vielen Orten Tamil Nadus Periyar-Statuen aufgestellt.

Im Mai 1953 feiern in im Tamilenland Dalits auf Aufforderung durch  E.V.Ramasamy (Tamil: பெரியார் ஈ. வெ. ராமசாமி,  1879 - 1973) Buddhas Geburtstag und zerstören Bilder von Ganesha (Tamil: விநாயகர்).

Bis 1963 gibt es in Südindien starke separatistische politische Bewegungen mit dem Ziel eines souveränen Drawiden-Staates. Dem setzt das 16. Amendment zur Indischen Verfassung im Oktober 1963 ein Ende. Ab jetzt müssen alle Kandidaten oder Gewählten für einen Sitz im Unionsparlament oder einem der Staatsparlamente einen antiseparatistischen Eid leisten:

"that I will uphold the sovereignty and integrity of India"

[THE CONSTITUTION (SIXTEENTH AMENDMENT) ACT, 1963]

Ab jetzt konzentrieren sich die drawidischen politischen Bewegungen auf den Sprachenstreit und die Verhinderung von Hindi als Staatssprache. Dies muss ich aus Zeitgründen ausklammern. Es sei nur erwähnt, dass von Januar bis März 1965 neun Männer den Freitod gegen Hindi gewählt haben.


Abb.: Poster mit den "Märtyrern" für die Tamil-Sprache
[Bildquelle: #மொழிபோர் - Twitter Suche / Twitter. -- Zugriff am 2021-10-20. -- Fair use]

Ab 1968 wird in Tamil Nadu der 25. Januar als "Language Martyrs Day" begangen.

1967 gewinnt die tamil-nationalistische Dravida_Munnetra_Kazhagam (Tamil திராவிட முன்னேற்றக் கழகம், DMK) die Wahl zur Madras_Legislative_Assembly. Madras State wird in Tamil Nadu umbenannt. Ab jetzt werden Kastennamen nicht mehr öffentlich genannt. Das verschleiert auch die Gegenwart der Landeigner-Kasten in öffentlichen Ämtern.

Man muss aber feststellen, dass der bekennende Regionalismus in ganz Indien von 1967 bis 1999 milder geworden ist.


Abb.: Umfrage 1967 - 1999: Gilt Ihre Loyalität zuerst der Region und dann Indien?
[Datenquelle: Subrata K. Mitra ; Malte Pehl. -- In: The Oxford companion to politics in india. -- Student ed. -- New Delhi : Oxford UP, 2010. -- S. 52. -- Fair use]

Im Januar 1968 beherbergt Madras die 2nd. World Tamil Conference (Tamil உலகத் தமிழ் மாநாடு).

Aus diesem Anlass werden am Marina Beach (மெரீனா கடற்கரை - Meriṉā kaṭaṟkarai) in Madras weitere Statue der Tamil-Heroen aufgestellt:

Im August 1971 dekretiert die Regierung von Tamil Nadu, dass Sanskrit in der Tempel-Liturgie nur noch optional ist, die Norm soll Tamil sein. Dagegen protestieren viele Brahmanen und Organisationen wie die Madras Temple Worship Protection Society. Drei Jahre später hebt der Supreme Court diese Verordnung auf.

Am 24. Dezember 1973 stirbt Periyar E. V. Ramasamy (Tamil ஈ. வெ. இராமசாமி, 1879 - 1973). Sein Glaubensbekenntnis war

"There is no god
There is no god at all
He who invented god is a fool
He who propagates god is a knave
He who worships god is a barbarian."

[Quelle: Sandhya Ravishankar (Tamil சந்தியா ரவிசங்கர்): Karunanidhi : A life in politics. -- HarperCollins, 2019. -- Kindle ed. -- Fair use]

"Es gibt keinen Gott.
Es gibt überhaupt keinen Gott.
Wer Gott erfunden hat, ist ein Narr.
Wer Gott propagiert, ist ein Schelm.
Wer Gott verehrt, ist ein Barbare."

1983 - 2009 tobt in Sri Lanka der Bürgerkrieg zwischen Tamilen und Singhalesen. Es ist auch ein Krieg zwischen drawidischen Tamilen und Singhalesen, die sich als Arya Sinhala Bauddha - als Arier, Singhalesen, Buddhisten - als Erben der Insel verstehen. Ich habe selbst ca. 1983 in Madras erlebt, wie die angebliche Blutsbrüderschaft mit den Ceylon-Tamilen wirklich das ganze Volk Tamil Nadus fanatisierte. Doch dies ist ein anderes Thema.

Ich muss jetzt aus Zeitgründen abbrechen. Im Anhang stehen Ihnen vertiefende und weiterführende Materialien zur Verfügung.

Abschließen möchte ich mit einem Muster von Hindu-Inklusivismus:

Wie der Hindutva Nationalismus die drawidischen Bewegungen zu inkludieren und brahmanisieren versucht, zeigt folgende Webpräsenz der Sathatha Sattina Nambi Nambudiri Tenkalai Sri Vaishnava Brahmins  Dies ist ein passender Abschluss meines Vortrags. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!


Abb.: RSS Sarsanghachalak Mohan Bhagwat (Marathi मोहन भागवत, 1950 - ) und Prime Minister Narendra Modi (Gujarati
 નરેન્દ્ર દામોદરદાસ મોદી, 1950 - ) zollen ihren Respekt und Lob den fünf Müttern Indiens:

Indiens Bharat Mata (Hindi भारत माता) - Mutter Indien; Tamil Nadu's Tamiḻttāy (Tamil தமிழ்த்தாய் = Mutter Tamil); Karnatakas Kannaḍa Tāyi  (Kannada ಕನ್ನಡ ತಾಯಿ = Mutter Kannada); Andhra Pradeshs Telugu Talli (Telugu తెలుగు తల్లి = Mutter Telugu); Telanganas Telaṅgāṇa Talli (Telugu తెలంగాణ తల్లి = Mutter Telangana)

[Bildquelle: 6 Indian Sanatani Hindu Mother Goddesses: Bharata Mata, Ganga Mata, Kannada Tayi, Tamil Thai, Telangana Talli & Andhra Talli – Sathatha Sattina Nambi Nambudiri Tenkalai Sri Vaishnava Brahmins (wordpress.com). -- Zugriff am 2021-11-25. -- Fair use]


Zum Anhang mit Materialien zur Vertiefung und Erweiterung