Internationale Kommunikationskulturen

8. Kulturelle Faktoren: Bürokratie und Korruption

4. Teil IV: Beispiele zu Korruption


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 8. Kulturelle Faktoren: Bürokratie und Korruption. -- 4. Teil IV: Beispiele zu Korruption. -- Fassung vom 2001-03-05. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur084.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-03-05

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Vorbemerkung



Abb.: Korruption ist leider nicht nur ein Kartenspiel: Corruption : ein Spiel / von Bruno Faidutti. -- Konstanz : Jeux Descartes Deutschland, ©2001. -- URL: http://www.descartes-editeur.com/german.htm. -- Zugriff am 2001-02-17

"Spielthema: In Corruption besitzt jeder Spieler eine große Baufirma und versucht sich lukrative öffentliche Bauaufträge von Stadien, U-Bahn, Flughäfen usw... unter den Nagel zu reißen. Um seine Ziele zu erreichen müssen Entscheidungsträger bestochen werden, ob diese nun bei der Stadtverwaltung oder bei der Regierung arbeiten. Wir befinden uns übrigens im Amerika der 30-er Jahre, da sich, wie wir alle wissen, die Sitten seitdem doch sehr geändert haben.

Spielidee: Eine Spielrunde besteht aus drei Phasen: Die Spieler legen auf offen ausliegende zu vergebende Aufträge für Bauvorhaben ihre Angebote. Sie spielen diese Angebote offen aus oder verdeckt auf ein geheimes Konto in der Schweiz. Die Spieler können aber auch Charakterkarten spielen, die zum Beispiel die ganze Schmiergeldaffäre aufdecken und verhindern, daß es zur Vergabe eines Auftrages kommt. In der dritten Phase wird dann abgerechnet. Ein Bauauftrag wird an den Spieler vergeben, der am meisten Schmiergeld bezahlt hat.

Anzahl Spieler: 3 bis 7 ab 12 Jahren. Schwierigkeitsgrad: 2 von 7"

Die Beispiele in diesem Teil können den Eindruck entstehen lassen, dass Korruption weite Teile der Welt regiert. Dieser Eindruck ist leider richtig. Das sollte aber nicht dazu führen, dass man sich diesem scheinbaren "Weltgesetz" anpasst, sondern dazu, dass man

  1. sensibel wird für Korruption und die oft leisen Anfänge von Korruption,
  2. Korruption widersteht, wenn dies auch kurzfristig Nachteile mit sich bringt

Das Phänomen Korruption ist zum Verständnis vieler Phänomene internationaler (und  nationaler) Kommunikation unerlässlich, aktive oder passive Korruption ist aber keineswegs unerlässlich für erfolgreiche Kommunikation, wenn man auch gewiss auf manche Geschäfte und Vorteile verzichten muss. 

"Du sollst dich nicht durch Geschenke bestechen lassen; denn Geschenke machen die Sehenden blind und verdrehen die Sache derer, die im Recht sind."

2. Mose 23,8


2. Bürokratie und Bestechung auf den Philippinen



Abb.: Karte der Philippinen (©MS-Encarta)

"Vom Umgang mit der Bürokratie

Es tut uns leid, aber der Umgang mit der - oder: Kampf gegen die -Bürokratie wird Ihnen nicht erspart bleiben. Machen Sie sich auf Berge von Formularen gefasst. Zollerklärungen, selbst für die einfachsten per Luftfracht eintreffen Waren, benötigen Dutzende von Unterschriften.

Filipinos lösen derlei Probleme, indem sie mit ihnen Mitarbeiter betrauen, die ihre Fähigkeiten und ihren Überlebenswillen beim Durchforsten undurchdringlicher Papierdschungel bewiesen haben. Selbst bei alltäglichen Angelegenheiten wie dem Ausstellen eines Führerscheins oder der Zulassung eines Autos wird es Ihrer geistigen und körperlichen Gesundheit zugute kommen, die bürokratischen Formalitäten einem Mitarbeiter -- selbstredend gegen Entgelt -- zu überlassen, der sich durch das Meer der Schreibtische hindurchverhandelt und genügend Beamte kennt, um unter stetem Lächeln und oberflächlichem Geplänkel die erforderlichen Unterschriften einzuholen. Selbstverständlich sollte diese Person auch im Auftrag Ihres Unternehmens höchstpersönlich die Weihnachtsgeschenke bei ihren an den Schreibtisch gebundenen Kontaktpersonen abliefern.

Bei vielen Anlässen bewegt sich nichts ohne lagay, schönfärberische Umschreibung einer kleinen Bestechung, auch »Überzeugungskommunikation« genannt. Während mancher behauptet, »unverlangte, aber erwartete« Zeichen der Anerkennung für geleistete Dienste seien unnötig, sehen andere dies als einzig wirksames Gegenmittel gegen die Qual der Untätigkeit. Lagay wird offiziell und öffentlich als illegal und unmoralisch abgelehnt, so dass die »überzeugende Kommunikation« angewandt wird, ohne dass jemand über sie schreibt oder spricht. Schreibtischschubladen von Sachbearbeitern und Bürokraten bleiben oft offen in der Erwartung, dass man wortlos etwas hineinlegt.

Bestechung und Korruption werden auf den Philippinen seit langer Zeit heiß diskutiert. Politische Wahlen standen nicht selten im Zeichen dieses Themas. Gelegentlich deuten offizielle Erklärungen und Säuberungsaktionen darauf hin, dass Bestechung und Korruption, obwohl öffentlich als ungesetzlich und unmoralisch verfemt, munter blühen und gedeihen. Aber beim Blick auf Politik und Wirtschaft der westlichen Welt zeigt sich, dass Verbrechen und Bestechung in allen Gesellschaften und Kulturen ihr Dasein behaupten. Und tatsächlich stammte bei vielen Skandalen das Schmiergeld von großen multinationalen Konzernen.

Einige Bestechungstipps

Gehen wir also brav davon aus, dass das Problem der Bestechung gar nicht existiert und offenbar nur in der Einbildung einiger Leute besteht, die wir befragten und die von den folgenden Wahnvorstellungen heimgesucht wurden:


Abb.: Polizist, Manila, Philippinen (©Corbis)

Ein Verkehrspolizist hält Sie wegen eines unbedeutenden Verkehrsdeliktes an und fragt nach Ihrem »Rechtsanwalt«. Als Antwort wird der Name jenes Helden erwartet, dessen Konterfei auf dem Peso-Schein abgebildet ist, den Sie zu opfern bereit sind, etwa Rizal (2 Pesos), Mabini (10 Pesos) oder Quezon (20 Pesos). 


Abb.: "Rechtsanwälte" Apolinario Mabini (1864 - 1903) und Andreas Bonifacio Mabini (1863 - 1897)


Abb.: "Rechtsanwalt" Manuel Quezon (1878 - 1944)

Versehentlich einen 2-Peso-Schein im Führerschein liegen zu haben, den Sie dem Polizisten überreichen, ist zwar recht dreist, soll aber Erfolg gezeitigt haben.

Ausländer können bisweilen davonkommen, wenn sie den Eindruck von Unnachgiebigkeit erwecken und dabei den Namen eines wichtigen Beamten fallen lassen, den sie angeblich persönlich kennen.

Bestechungen, Provisionen und Rabatte werden von Mittelsmännern »bearbeitet«. Die Vermittler, gelegentlich » Einflusshändler« genannt, überbringen die Forderungen ihres mächtigen Freundes. Es lässt sich nicht nachprüfen, wohin das Geld tatsächlich wandert.

Wollen Sie einen ganz großen Coup landen, sollten Sie also lieber den direkten Weg einschlagen. Ein Informant berichtete uns, er habe hören sagen, manche ließen von Vermittlern die Summe aushandeln und statteten dann dem Boss persönlich einen Höflichkeitsbesuch ab. Beim Abschied ließen sie einen dicken Umschlag auf seinem Schreibtisch zurück, und wenn der Hohe Herr den Ahnungslosen spielte, sagten sie, es handele sich lediglich um eine kleine Aufmerksamkeit. 

Ein anderer Informant vertraute uns an, er zöge es vor, mit einem Aktenkoffer, prall gefüllt mit jenem Papier, das garantiert nie im Papierkorb landet, im Büro des Bosses aufzutauchen und Koffer samt Inhalt dort zu vergessen. Sind Sie ein sehr beschäftigter Geschäftsmann, so benötigen Sie etliche Aktenkoffer -- ohne verräterische Initialen.

Beim delikaten Thema der Mittelsmänner brachte ein weiterer Informant die Geliebte des Bosses, die er »Nummer Zwei« nannte, ins Spiel. Die hehre angetraute Ehefrau ist natürlich hoch über schändlichen geschäftlichen Niederungen erhaben; eine Geliebte indes, da ebenso wenig vorhanden wie jedwede Korruption, stellt eine ideale Vermittlerin dar. Jeder weiß, dass »sie« »ihn« vertritt, und so kann die nicht-existente »Nummer Zwei« tatkräftig bei der nicht-existenten Bestechung mitmischen. Bei solch doppelbödiger Moral wird nie über Dinge gesprochen, die unter der Oberfläche schlummern und dort ihr Unwesen treiben, geschweige denn ihr Vorhandensein zugestanden. 

Ausländische Geschäftsleute mögen Berichte über tong oder lagay oder »Rabatte« schockieren. Auf jeden Fall kann man nie vorsichtig genug sein und vermeidet am besten, persönlich oder direkt in diesen Sumpf zu geraten."

[Aarau, Alice ; Alfredo Roces ; Grace Roces: Reisegast auf den Philippinen. -- 2. Aufl. -- Dormagen : Iwanowski, 1998. -- ISBN 3923975759. -- S. 106 - 108. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


3. Bestechung in Deutschland


Die folgenden Fälle dienen nur der Illustration, einer eventuell noch nicht abgeschlossenen strafrechtlichen Bewertung soll damit nicht vorgegriffen werden.

"Ein Bestechungssumpf (Frankfurter Fälle)

Zunächst schien es im Jahre 1987 nur ein Einzelfall zu sein: die Bestechung eines Abteilungsleiters im Gartenbauamt der Stadt Frankfurt. Dann zeigte sich aber - nicht zuletzt als Ergebnis groß angelegter, intensiver staatsanwaltschaftlicher und kriminalpolizeilicher Ermittlungen -, dass die Korruption in Frankfurt schon seit langem in zahlreichen Ämtern weit verbreitet war. Fast alle Bauämter waren davon betroffen; in einem Bauamt erwiesen sich sogar drei Abteilungsleiter als bestechlich, so dass in diesem Amt mit der Verhaftung dieser Bediensteten die Arbeit des Amtes weitgehend lahmgelegt wurde. Selbst der Leiter des städtischen Beschaffungs- und Vergabeamtes, ein Magistratsdirektor, musste sich wegen des Vorwurfs der unzulässigen Vorteilsannahme verantworten.

Ungewöhnlich war der zeitliche Umfang der Bestechungen. In vielen Fällen lag der Beginn der Vorteilszuwendungungen schon weit über ein Jahrzehnt (! ) vor ihrer Entdeckung zurück.

Wertmäßig erreichten die Bestechungen ein Ausmaß, das - zumindest in der Summierung der Einzelzuwendungen - in Frankfurt beispiellos war. So hatte der Abteilungsleiter des Gartenbauamtes, dessen Strafverfahren am Anfang der Aufklärung der Frankfurter Fälle stand, über Jahre hinweg wöchentlich zunächst DM 350,-- und später DM 800,-- von einem Unternehmer erhalten, Zuwendungen, die in ihrer Höhe inzwischen schon wieder überholt worden sind. So wurden in anderen Fällen Amtsträgern Vorteile zugewandt, die die Millionengrenze weit überschritten.

Bei den Vorteilszuwendungen überwogen die Geldzahlungen. Aber auch Vorteile anderer Art wurden in nicht unerheblichem Umfang zugewandt. Sie hatten vielfach einen hohen Wert, wie etwa bei der Zuwendung eines Luxusautos, einer Segeljacht oder der Finanzierung von Urlaubsreisen in fernöstliche Länder.

Im Verlauf der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Bestechlichkeit im Bausektor ergaben sich zahlreiche Hinweise auf Vorteilsannahmen von Bediensteten, die in anderen Aufgabenbereichen tätig waren, so z.B. im Ordnungsamt, in den Verkehrsbetrieben der Stadtwerke und nicht zuletzt - im Müllbeseitigungssektor. Allein im Komplex »Müll« waren 90 Ermittlungsverfahren anhängig. Die Bestechungen wurden hier im Zusammenhang mit dem Verwiegen der von Großfirmen angelieferten Müllmengen begangen. Amtsträger griffen dabei u.a. zum Mittel der Computermanipulation und bewirkten zu niedrige Ausdrucke der angelieferten Müllmengen.

Insgesamt wurden nach Bekanntwerden der ersten Verdachtsfälle im Jahre 1987 bis zum Jahr 1994 allein im Frankfurter Raum 1.500(!) Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Zeitweilig waren über 380 Amtsträger hiervon betroffen. Im Verlaufe der Ermittlungen kam es zu zahlreichen Verhaftungen, die in aller Regel wegen des Verdachts der Verdunklungsgefahr ausgesprochen wurden. In einer größeren Anzahl von Fällen wurden auch Durchsuchungen angeordnet.

Als sich während der ersten Ermittlungen herausstellte, dass die Zahl der verdächtigten Amtsträgern immer mehr anstieg, wurde von der Stadtverwaltung Frankfurt in einem allgemeinen Schreiben auf die Möglichkeit einer Selbstanzeige hingewiesen. Aufgrund dieses Schreibens offenbarten 25 Amtsträger ihr Fehlverhalten. Die von ihnen begangenen Straftaten betrafen dabei in der Regel Sachverhalte, die im Vergleich zu den übrigen Bestechungsfällen ein geringeres Gewicht hatten. Bei der dienst- bzw. strafrechtlichen Ahndung wurde die Selbstanzeige als wesentlicher Milderungsgrund angemessen berücksichtigt.


Eine Weltfirma gerät ins Zwielicht (Münchener Fälle)

Von einer heilen Welt in der Metropole Bayerns kann -- was die Unbestechlichkeit ihrer Amtsträger in bestimmten Arbeitsbereichen betrifft -- z. Zt. wohl keine Rede sein. In zunehmendem Maße zeigt sich, dass auch in dieser Stadt, wie in Frankfurt und anderen Großstädten, die Korruption Fuß gefasst hat. Verbunden ist sie hier jedoch mit dem schlagzeilenträchtigen Namen der Weltfirma Siemens. Diese Firma hatte aus dem Lockheed-Skandal offensichtlich keine Lehre gezogen. Neun Repräsentanten ihrer Niederlassung in München wurden 1992 überführt, über lange Zeit hinweg Amtsträger mit hohen Geldbeträgen bestochen zu haben, Bei der Aufdeckung dieses Korruptionskomplexes wurde zugleich deutlich, dass sich in München die Korruption auch allgemein verbreitet hatte.

Schon längst handelt es sich gegenwärtig bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht mehr um die Aufklärung einiger weniger, allerdings spektakulärer Einzelfälle. Die Zahl der von den Ermittlungen betroffenen Personen wächst von Tag zu Tag und hiermit verbunden auch die Zahl der Verhaftungen und Durchsuchungen. Seit 1991 wurden rund 600 Strafverfahren eingeleitet, zahlreiche Durchsuchungen angeordnet und 70 Verhaftungen durchgeführt. Um der Korruption mit Nachdruck begegnen zu können, wurde von den Strafverfolgungsbehörden eine Sonderkommission »Wirtschaftsdelikte« gebildet, die unter Ausnutzung aller technischen und verfahrensrechtlichen Möglichkeiten die Sachverhalte konsequenter und zeitnaher aufklären konnte, als es bisher der Fall war.

Im Verlauf der Ermittlungen wurden seit 1991 auch Fälle aufgeklärt, in denen Amtsträger sich an Manipulationen im Rahmen eines Absprachekartells beteiligten. Dabei wurden vielfach schwerwiegende Straftaten anderer Art, teilweise in der Form des Betruges und der Urkundenfälschung begangen.

Bei Aufklärung der aufgedeckten Straftaten ergaben sich deutliche Hinweise auf eine Ausdehnung der Korruption weit über den Bereich der Landeshauptstadt hinaus. Wenn auch noch nicht alle Fälle verfahrensmäßig abgeschlossen sind, so zeigt sich doch schon jetzt, dass auch hier die flächenmäßige Verbreitung der Korruption immer größere Bedeutung gewinnt.


Ist auf dem Lande die Welt noch in Ordnung? (Korruption im Taunus)

Wer beim Bekanntwerden der Frankfurter Bestechungsserien glaubte, dass es sich um ein spezifisch großstädtisches Phänomen handele, das auf ländliche Bezirke nicht übertragbar sei, der irrte. Seit Herbst 1991 wurden im Gebiet des Taunus zahlreiche weitere Bestechungsfälle aufgedeckt. Sie hatten die Besonderheit, dass sich hier auch Bürgermeister bestechlich zeigten. In einem Fall hatte ein Bürgermeister sogar keine Skrupel, unter Hinweis auf seine finanziellen Schwierigkeiten einen ihm bisher unbekannten Unternehmer um Geldzuwendungen anzugehen mit der Zusage, ihm Aufträge der Gemeinde zu vermitteln (»ohne Bakschisch läuft hier nichts!«).

Im Rahmen der Ermittlungen wurde festgestellt, dass außerordentlich hohe Bestechungssummen, z.T. in sechsstelliger Höhe, gezahlt worden waren. Siebzig Personen mussten sich bereits vor Gericht verantworten; mit der Einleitung weiterer Verfahren ist zu rechnen.


Abb.: Korruptionsstandort Hessen (©MS-Encarta)

Die Korruption beschränkt sich offenbar nicht auf einzelne Landkreise oder Städte im Taunus. Betroffen sind vielmehr zahlreiche Gemeinden und Städte in ganz Hessen. Bisher hat der Rechnungshof des Landes Hessen bei seinen Prüfungen in neuerer Zeit noch bei allen (!) geprüften Gemeinden Korruptionsfälle festgestellt. Der Landkreis Bergstraße im Süden war genauso betroffen wie der Landkreis Kassel im Norden. Gleiches gilt für die Landkreise Limburg-Weilburg, den Lahn-Dillkreis oder den Landkreis Marburg-Biedenkopf."

[Korruption im öffentlichen Dienst : ein Überblick / von Hans Rudolf Claussen. Mit Beiträgen von Gottfried Herbig .... -- Köln [u.a.] : Heymann, ©1995. -- ISBN 3452231976. -- S. 7 - 9. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


4. Spielarten der Korruption in der internationalen Wirtschaft


Von Pierre Abramovici

"Korruption hat viele Namen: 

Der Umfang der Korruption im internationalen Wirtschaftsleben lässt sich nicht exakt beziffern. Einer Schätzung der Weltbank zufolge soll es sich jährlich um ein »Geschäftsvolumen« von etwa 80 Milliarden Dollar handeln, wobei unterschlagene Entwicklungshilfegelder ebenso wenig berücksichtigt werden wie die so genannte kleine Korruption, die vor allem in den Schwellenländern vorkommt. Hier sind Bestechungsgelder im Grunde nichts anderes als zusätzliche Steuern, die Polizisten, Zöllner, Beamte und Politiker ohne besondere Gegenleistung von ihren Mitbürgern kassieren.

Im internationalen Handel ist die Korruption nichts Neues. Im Gegenteil: Sie hat Tradition und gehört -- im Klartext gesprochen -- zum kommerziellen Alltag, seit der Tauschhandel erfunden wurde. So schrieb etwa Samuel Pepys, Erster Sekretär der britischen Admiralität (1633 bis 1703) in seinem berühmten Tagebuch, dass eine Bestechungssumme gar keine sei, solange sie diskret »unter dem Tisch« überreicht werde. An dieser Auffassung hat sich im Grunde bis heute nichts geändert.

Die Korruption ist in den internationalen Handelsbeziehungen nach wie vor eine gängige Praxis des Wirtschaftslebens. Wobei allerdings festzustellen ist, dass sich das Problem seit der Entkolonisierung in den Sechzigerjahren eindeutig verschärft hat, wie sich insbesondere in den Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien in Afrika feststellen lässt.

In westlichen Geschäftskreisen neigt man übrigens dazu, die Korruption in den Ländern der Dritten Welt als unausrottbares kulturspezifisches Phänomen zu betrachten. Doch »zum Samba braucht es immer zwei«, meint ein ehemaliger Wirtschaftsminister des Tschad, und er hat Recht. Insgesamt kann man festhalten, dass die Institutionen in den Schwellenländern meist in der Rolle des Bestochenen sind, während die aktiven Bestecher in den Unternehmen der wohlhabenderen Länder sitzen. ...

Mitte der Siebzigerjahre führte der exorbitante Anstieg der Erdölpreise zu einem chronischen Defizit der französischen Handelsbilanz. Die Außenhandelsbilanz wurde zu einer magischen Ziffer, und die Ideologie des Verkaufs ersetzte eine sowieso schon angeknackste Moral, aber auch alle anderweitigen ideologischen Erwägungen.

Um die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der französischen Unternehmen auf den ausländischen Märkten auszugleichen, autorisierte die französische Regierung 1977 die Zahlung von Schmiergeldern -- offiziell Kommissionen genannt --, unter der Bedingung, dass sie an ausländische Beamte oder Funktionäre gezahlt wurden. Alle anderen europäischen Regierungen folgten diesem Beispiel.

Wenn es darum ging, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, hatte man also das Recht, die Amtsträger eines anderen Landes, vom Staatschef über seine Minister bis zum kleinsten Angestellten in der Hierarchie des öffentlichen Dienstes, auf völlig legale Weise zu bestechen. Ermöglicht wurde dies durch den steuerpolitischen Kniff, der es möglich machte, die Schmiergelder schlicht und einfach von der Steuer abzusetzen.

Nach einer schlichten Mitteilung an die für die Devisenkontrolle zuständige Direction générale des douanes  (Oberzolldirektion) konnte ein Unternehmer einen Teil seiner Zahlung auf ein ausländisches Konto -- in der Regel in einem Drittland oder aber in dem Verkaufsland -- überweisen, wobei diese Summe in euphemistischer Weise als »außerordentliche Geschäftskosten« (frais commerciaux exceptionnels, FCE) deklariert wurde. Ein Urteil des französischen Conseil d'Etat (der in diesem Fall als oberste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit fungiert) im Jahre 1983 hat bestätigt, dass diese Beträge von der Steuer absetzbar sind, sofern sie im Interesse des Unternehmens gezahlt werden.

Jacky Darne, Abgeordneter und Berichterstatter für den Gesetzentwurf gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger, gibt zwar zu, dass diese Praktiken gegen das öffentliche Interesse und gegen moralische Prinzipien verstoßen, aber andererseits lägen sie auch -- im präzisen Sinne des Wortes -- im Interesse des Unternehmens.

Bis 1986 schickte die Zolldirektion im einschlägigen Falle eine Mitteilung über den geplanten Vorgang an den Finanzminister. Mit dessen Zustimmung erwarb man zugleich das Recht auf Versicherungsschutz durch die staatliche Compagnie francaise d'Assurances pour le Commerce extérieur (Coface). Wenn der Kunde nicht zahlungsfähig war, mussten also die Steuerzahler die Rechnung begleichen, Schmiergelder inbegriffen. Verweigerte das Ministerium seine Zustimmung, bedeutete dies keineswegs, dass die Transaktion und die Zahlung der Kommission gescheitert waren, sondern lediglich, dass der Versicherungsschutz entfiel.

Nach Abschaffung der Devisenkontrollen 1986 genügte es, die Ausgabe auf der jährlichen Steuererklärung anzugeben, wobei man nicht nur durch das Steuergeheimnis geschützt war, sondern auch durch die militärischen Geheimhaltungsbestimmungen, selbst wenn das Geschäft ein ziviler Auftrag war.

Auf dem Gebiet der Waffenexporte, wo die Korruption zum geschäftlichen Alltag gehört, mussten sich die Unternehmer übrigens an öffentliche Institutionen -- so genannte Offices -- wenden, die eine Art Abgabe erhoben und diese dann als Kommissionen weitergaben. So kümmerte sich etwa ein Office général de l'air um den Export von Flugzeugen oder ein Office Francais d'Exportation des Matériels d'Armement (Ofema) um die Luft- und Raumfahrtindustrie. Für den Export see- und landgestützter Waffen war die Sofme zuständig und für Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien schließlich die Sofresa (Société francaise d'exportation des matériels d'armement). Seit 1989 wurden in den Berichten der Finanzinspektion immer wieder der öffentliche Status und die Undurchsichtigkeit dieser Organisationen kritisiert.

Ein Beispiel ist die berühmt- berüchtigte Affäre um die an Taiwan gelieferten Schnellboote, für die 1991 riesige Schmiergeldsummen in Höhe von mehreren Milliarden Francs gezahlt wurde, die dem Fiskus mit genauer Angabe des Zahlungstermins mitgeteilt wurden. Illegal war an dieser Transaktion lediglich der Rückfluss (Retro-Kommission) eines Teils der Gelder in französische -- öffentliche oder private -- Taschen.

Zu dem Zeitpunkt, da die Europäer die Korruption im internationalen Handel zu legalisieren begannen, bewegten sich die USA -- zumindest offiziell -- in die genau entgegengesetzte Richtung. So wurde 1977 nach dem Lockheedskandal der Federal Corrupt Practices Act (FCPA) [Text und Materialien: http://www.usdoj.gov/criminal/fraud/fcpa.html. -- Zugriff am 2001-02-13] verabschiedet, der jegliche Bestechung eines ausländischen Amtsträgers zur Straftat machte. In Wirklichkeit aber -- so die einhellige Meinung der konkurrierenden Unternehmer -- verabschiedeten sich die USA keineswegs von diesen Praktiken, sondern betrieben sie weiter über Tochterfirmen, die sich in den Steueroasen der Welt niedergelassen hatten.

In der Tat fördert die US-amerikanische Regierung die Exporte mittels Subventionen von jährlich etwa 2,5 Milliarden Dollar für die Ansiedlung von Unternehmen in Ländern, die als Steuerparadiese gelten. Diese subventionierten Tochtergesellschaften, die so genannten Foreigns Sales Corporations (FSC), dienen als Basis für das undurchsichtige System der Kommissionszahlungen im Ausland.

Obwohl man zahlreiche US-amerikanische Unternehmen bei Bestechungsvorgängen in flagranti erwischt hatte, hielt sich die gerichtliche Verfolgung dieser Vergehen in Grenzen, weil das System des gerichtlichen Vergleichs zahlreiche Schlupflöcher bietet

Dieses System hat Elisabeth Guigou, bis vor kurzem französische Justizministerin, im Sinn, wenn sie den USA vorhält, sie sollten zuerst vor ihrer eigenen Türe kehren, bevor sie andere kritisierten. Sie verweist dabei auf die in den USA völlig legale Praxis, mit den Staatsorganen, zum Beispiel auch mit der Justiz, in Verhandlungen einzutreten. Im Rahmen eines solchen plea bargaining könne man im amerikanischen Strafsystem, wenn man eines x-beliebigen Vergehens beschuldigt wird, zu einem Staatsanwalt gehen und einfach sagen: »Nun gut, wir werden uns schon irgendwie einigen.«

Auch Jacky Darne verweist auf diese Möglichkeiten und stellt entsprechend fest: »Alle diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Zahl der Unternehmen, die in den USA wegen eines Korruptionsdeliktes gerichtlich verfolgt wurden, sehr gering ist. Lediglich ein paar Dutzend Verfahren sind in Gang gekommen. Die USA geben manchmal besserwisserische Ratschläge, an die sie sich selbst nicht halten.«

Entsprechend halten sich die Gewinneinbußen der amerikanischen Exportwirtschaft, die auf den Kampf gegen die Korruption zurückgehen, in engen Grenzen: Sie belaufen sich auf weniger als eine Milliarde Dollar innerhalb von zwanzig Jahren.

Jahrzehntelang spielte der Ost-West-Konflikt in den internationalen Handelsbeziehungen eine entscheidende Rolle. Jede Seite versuchte, die Treue ihrer Kunden sicherzustellen und zu verhindern, dass sie zum Gegner überlaufen. Der Fall der Berliner Mauer und die Öffnung für die Welt der ehemaligen kommunistischen Staaten und ihrer Satelliten hat die Ausgangslage jedoch grundlegend verändert. Im internationalen Handel herrscht heute ein Hauen und Stechen, wo jeder Akteur versucht, die anderen Akteure zu übervorteilen und wo die wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos über alle anderen Erwägungen gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für den Handel mit Rüstungsgütern und für große Bauprojekte.

Im Osten und in den ehemals kommunistischen Ländern fallen bei großen Bauvorhaben und industriellen Projekten riesige Schmiergeldsummen an. In allen Sektoren, die von öffentlichen Aufträgen abhängen, von der Rüstung bis zum Erdöl, von der Energieversorgung bis zum öffentlichen Verkehr, von der Bauwirtschaft bis zur Wasserversorgung und zu medizinischen Einrichtungen und Hilfsgüterlieferungen -- in all diesen Branchen werden Kommissionen gezahlt, die schon fast Zwangsabgaben gleichkommen. Das geht so weit, dass manche Unternehmer allmählich selbst zu der Einsicht kommen, dass sich Bestechung eigentlich nicht mehr richtig lohnt.

Bis Mitte der Neunzigerjahre blieb die Korruption bei internationalen Transaktionen ein Tabu. Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltbank nannten die Korruption nicht beim Namen, man begnügte sich mit dem Initial und sprach nur vom c-word, wenn man die quasikulturelle Unvermeidlichkeit dieses Phänomens in manchen Ländern beklagte oder sich darüber beschwerte. Aber eigentlich veränderte sich nichts; die »Eigentümer« der Weltbank und des IWF sind schließlich Staaten -- und beide Organisationen haben Staaten als Kunden.

Doch im Oktober 1996, bei der Jahresversammlung von Weltbank und IWF in Washington wurde das Tabu gebrochen. Weltbankpräsident James Wolfensohn sprach das Problem erstmals offen an. Er bezeichnete die Korruption als Krebsgeschwür und als Affront gegen die Armen. Die Korruption lenke die Finanzmittel von den Armen zu den Reichen, verursache schwer wiegende Verzerrungen in der Nutzung der kollektiven Ressourcen, und sie schrecke darüber hinaus ausländische Investoren ab.

Im Juli 1997 warf auch der IWF das Ruder herum und teilte Argentinien mit, jegliche weitere Finanzhilfe werde künftig nicht nur von den gängigen Bedingungen zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichtes abhängen, sondern auch von Fortschritten auf wichtigen Gebieten wie Erziehungs-, Gesundheits- und Steuerwesen, vor allem aber von Erfolgen im Kampf gegen die Korruption.

Zeitgleich mit diesen Verlautbarungen begann -- auf Initiative der USA -- innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Reihe von Diskussionen zur Vorbereitung eines Abkommens, das die Bestechung ausländischer Amtsträger ächten und unter Strafandrohung stellen sollte [Siehe: http://www.oecd.org/subject/bribery/. -- Zugriff am 2001-02-13]. Bei einer Ministerkonferenz der OECD-Mitgliedsstaaten unter dem Vorsitz des damaligen französischen Finanzministers Dominique Strauss-Kahn am 10. Dezember 1997 wurde dieses Abkommen von einundzwanzig Ländern unterzeichnet. Danach musste es von den Parlamenten der Signaturländer ratifiziert werden, was sich als schwierige Angelegenheit erweisen sollte.

In Frankreich sind die Schmiergeldsummen inzwischen derart angestiegen, dass sie die Gewinnspanne empfindlich mindern, wenn nicht gar die Exportunternehmen an den Rand des Ruins bringen. Die Beträge, die als »Kommissionen« gezahlt wurden, haben in den letzten Jahren alle Rekorde gebrochen. Insbesondere in der Rüstungsbranche ist die Korruption heute die Regel, geht es doch um immense Aufträge im Wert von 100, 200, 500 Millionen Dollar oder noch mehr. Diese Kommissionen, die in den entwickelten Ländern durchschnittlich etwa 5 bis 6 Prozent der Auftragssumme ausmachen, erreichen in der Rüstungsbranche manchmal 20 bis 30, gelegentlich sogar 40 Prozent.

Und dennoch steht die europäische Industrie im Allgemeinen und die französische Industrie im Besonderen -- und hier vor allem die Rüstungsindustrie -- dem OECD-Abkommen gegen die Korruption sehr ablehnend gegenüber. »Damit haben wir ein Eigentor geschossen«, sagt man in diesen Kreisen und behauptet, dass Washington mit diesem »Manöver« die europäische Exportwirtschaft destabilisieren wolle.

Etwa zeitgleich mit dem OECD-Abkommen trat erstmals eine Nichtregierungsorganisation (NGO) in Erscheinung, die sich (in Anlehnung an amnesty international) Transparency International [Webpräsenz: http://www.transparency.de/welcome.de.html. -- Zugriff am 2001-02-13] nannte. In die Medien kam die Organisation mit ihrer Veröffentlichung des »Korruptionsindex«, einer Aufzählung und Rangliste der von Korruption besonders betroffenen Länder. Dieser Index stellt, wie seine Erfinder selbst zugeben, nicht unbedingt eine wissenschaftliche Klassifizierung dar. Er stützt sich vielmehr auf Meinungsbilder, die auf der »Wahrnehmung« der Korruption durch bestimmte Personen beruhen und nicht exakt die realen Verhältnisse widerspiegeln müssen, da sich diese ihrer Natur nach einer genauen Kenntnis entziehen.

Sofort nach der Veröffentlichung dieses ersten Korruptionsindex wurde die NGO als Instrument US-amerikanischer Politik kritisiert. Diese Meinung verbreiteten auch einige französische Zeitungen, die damit die Auffassung der französischen Industrie reflektierten und hier insbesondere der Rüstungsindustrie, die ohnehin den Beschlüssen der OECD meist ablehnend gegenübersteht. Ein typisches Beispiel war die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné [Webpräsenz: http://www.chez.com/lecanard/. -- Zugriff am 2001-02-13], die Transparency International als »das trojanische Pferd der Amis« verhöhnte.

Während sich die Polemik zwischen den USA und der französischen Industrie ausweitete, veranstaltete Transparency International in der südafrikanischen Stadt Durban im Oktober 1999 eine große Konferenz, die der Organisation internationales Ansehen verschaffte. Während sich Transparency International bis dahin nur als kleine, militante Gruppe dargestellt hatte, war sie nun plötzlich in der Lage, über 1200 Delegierte aus aller Welt zu versammeln.

Bei den Debatten in Durban kristallisierten sich vor allem zwei Schwerpunkte heraus: Zum einen wurde die Weltbank beschuldigt, die Korruption durch eine bewusst missbräuchliche oder zumindest blinde Verteilung der Entwicklungsgelder zu finanzieren, zum anderen zeigte man ein dezidiertes Interesse an den Abkommen der OECD.

Am 26. Oktober 1999 veröffentlichte die Organisation eine Rangliste der aktiven Bestecherländer. Das Ergebnis kam nicht unerwartet: Frankreich wurde als sehr korruptionsanfällig eingestuft, desgleichen andere europäische Länder. Die USA kamen weit besser weg. Die internationale Presse reagierte empört und verlangte drastische Maßnahmen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass manche OECD-Mitgliedsländer -- und insbesondere Frankreich -- die Antikorruptionsabkommen der OECD noch immer nicht ratifiziert hatten.

Misstrauische Beobachter vermerkten schon damals die auffallende zeitliche Nähe zwischen der Veröffentlichung der Rangliste und der Konferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle, die im Dezember 1999 stattfinden sollte. Der Gründer von Transparency International, Peter Eigen, machte auch gar keinen Hehl aus seinem Wunsch, die Frage der Korruption auf der Tagesordnung der Welthandelsorganisation zu sehen. Und er empfahl seine Organisation ganz offen für die Rolle eines Weltpolizisten im Kampf gegen die Korruption.

Die Auseinandersetzung zwischen Europäern und US-Amerikanern erreichte nun ihren Höhepunkt. Allerdings sind die Amerikaner, die so heftig die steuerlich begünstigte Unredlichkeit des europäischen Handels anprangern und scharfe Konsequenzen fordern, recht zurückhaltend, was ihre eigenen Subventionen anbelangt. Dies gilt umso mehr, als ausländische Tochterfirmen von Unternehmen, die ihren Sitz in den Unterzeichnerländern des OECD-Abkommens haben, von der Anwendung der Konvention seltsamerweise ausgenommen sind.

Die französische Regierung brauchte am Ende insgesamt zwei Jahre, bis das OECD-Abkommen ratifiziert war. In einem ersten, bereits verzögerten Anlauf brachte die Regierung auf Betreiben gewisser Kreise der Industrie einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung des OECD-Abkommens ein, dessen Artikel zwei die Fortsetzung der bislang legalen Zahlungen von Kommissionen bei bereits bestehenden Verträgen erlaubte.

In den USA heulte man auf und empörte sich über diese Doppelzüngigkeit. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos am 30. Januar 2000 wurde Frankreich von der US-amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright direkt und mit scharfen Worten attackiert: Es sei kaum möglich eine wirksame Botschaft gegen die Korruption zu vermitteln, wenn gewisse Länder ganz offensichtlich von dem Weg abwichen, zu dem sie sich durch die Unterzeichnung des Abkommens verpflichtet hätten.

In einem zweiten Anlauf zog die französische Regierung den umstrittenen Artikel aus dem Gesetzentwurf zurück. Die Nationalversammlung verabschiedete am 29. Februar 2000 den Gesetzestext zur Ratifizierung des Abkommens, das am 21. Juni 2000, also zweieinhalb Jahre nach Unterzeichnung durch den französischen Finanzminister, in Kraft trat.

Die Auseinandersetzung ist damit aber noch nicht zu Ende. Inzwischen hat die Europäische Union bei der WTO durchgesetzt, dass die USA wegen der versteckten Exporthilfen über die FSC, also die Tochterfirmen in den Steueroasen, verurteilt wurden. Am 17. November 2000 ist die EU noch einen Schritt weitergegangen und hat bei der WTO beantragt, Handelssanktionen in Höhe von über vier Milliarden Dollar gegen die USA zu verhängen, weil auch die tags zuvor verabschiedete neue FSC-Gesetzgebung nicht den WTO-Regeln entspricht.

Ist es realistisch anzunehmen, dass eine internationale politische Instanz die Korruption aufhalten könnte? Wie soll man dem Problem beikommen, wenn in Ländern wie Saudi-Arabien, wo die Stammeskultur noch eine gewisse Rolle spielt, Bestechungsgelder als eine Art Stammesgeschenk angesehen werden? Oder wenn in Russland die Armut zu einer ungeheuren Ausbreitung der großen und kleinen Korruption geführt hat? Kann man sich etwa vorstellen, dass Russland, China oder Saudi-Arabien insgesamt einem Boykott unterworfen werden?

»Es ist allgemein bekannt, dass die Korruption in China ungeheuer verbreitet ist«, sagt Professor Jean Cartier-Bresson, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Reims. »Diese Tatsache aber ändert nichts daran, dass China weiterhin die erste Adresse für ausländische Direktinvestitionen ist. Die massive Korruption in China hält die Leute keineswegs ab, dorthin zu gehen und Geschäfte zu machen.«

Nach Bresson stellt die Korruption in Russland dagegen die potenziellen Investoren vor ein anderes Problem, insofern sie sich in einer instabilen politischen Landschaft bewegen müssen. Eine sozusagen kontrollierte Korruption in einem stabilen Kontext mit zuverlässigen bewährten Gesprächspartnern bedeute für ausländische Unternehmer kein Hindernis, ihre Geschäfte zu tätigen. Störend und abschreckend wirke es dagegen, wenn die Ansprechpartner, die geforderten Bestechungssummen und die Spielregeln zwischen Bestecher und Bestochenem ständig wechseln.

Null Korruption wird es also niemals geben. Doch »je weniger Korruption es gibt, desto besser«, meint der Genfer Staatsanwalt Daniel Bertosa und betont: »Von einer Situation zu träumen, in der man Verhaltensweisen als tragbar oder akzeptabel hinnimmt, die es per definitionem nicht sind, ist entweder Schizophrenie oder Heuchelei.«

Doch manche beginnen bereits nach neuen Auswegen zu suchen, wie der Repräsentant eines großen französischen Exportunternehmens bestätigt, der anonym bleiben möchte. Nach seiner Aussage bestehe ein neuer Trick darin, Tochtergesellschaften in Ländern anzusiedeln, die nicht zur OECD gehören. Damit könne man die »Arbeit«, die bislang von Frankreich aus geleistet wurde, von diesem nicht an OECD-Beschlüsse gebundenen Land aus erledigen.

Diese Aussage wurde im Februar 2000 empirisch bestätigt, als ein Ermittlungsrichter das Verfahren gegen den Generaldirektor der Gesellschaft des Bauunternehmens Dumez-Nigéria einstellte. Der stand im Verdacht, 400 Millionen Francs mit Hilfe von Briefkastenfirmen nach Nigeria transferiert und einen Teil davon an nigerianische Persönlichkeiten gezahlt zu haben.

Das Argument für die Straflosigkeit des Beschuldigten war schlicht und einfach der Hinweis auf die juristische Unabhängigkeit der nigerianischen Tochtergesellschaft von ihrer französischen Mutterfirma. Staatsanwaltschaft und Richter hielten es zwar für »wahrscheinlich«, dass Dumez-Nigéria zum »Umkreis« von Dumez-France [Webpräsenz: http://www.dumez-gtm.fr/english/index.htm. -- Zugriff am 2001-02-13] gehörte, hielten diese »Abhängigkeit« aber für nicht beweisbar."

[Abramovici, Pierre: Zum Samba braucht es immer zwei : Spielarten der Korruption in der internationalen Wirtschaft. -- In: Le Monde diplomatique. -- Nr. 6344 (©2001-01-12). -- S, 14-15. -- URL: http://www.taz.de/tpl/2001/01/12/a0042.nf/stext.Name,ask11992aaa.idx,36. -- Zugriff am 2001-02-13] 


5. Frankreich: Elf Aquitaine



Abb.: "Kleine" Korruption in Frankreich vor 100 Jahren:

Les bureaux: "Allons donc!... Vous vous y prèteriez tant soit peu, que ce serait l'affaire d'un instant et jeudi sa nomination paraîtrait á l'Officiel."

Das Amt: "Ach was!... Wären Sie ein ganz klein wenig bereitwilliger, wäre es die Sache eines Augenblickes und am Donnerstag erschiene seine [Ihres Gatten] Ernennung im Amtsblatt."

[Karikatur von Pierre-Georges Jeanniot <1848 - 1934>. -- In Le Rire. -- Heft 87. -- 1896-07-04. -- Bildquelle: Bilderwelten II : satirische Illustrationen im Frankreich der Jahrhundertwende. -- Dortmund : Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, 1986. -- ISBN 3.924302-17-0. -- S. 87]

Webpräsenz von Elf Aquitaine: http://www.totalfinaelf.com/ho/fr/index.htm. -- Zugriff am 2001-02-16

Der französische Ökonom Olivier Vallée beschrieb im April 2000 die Tätigkeiten von Elf Aquitaine, die in Deutschland im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen beim Erwerb der Leuna-Werke in die Schlagzeilen gekommen ist:

"Seit vierzig Jahren ist Elf Aquitaine dabei, seine Einflusssphäre auf dem Schwarzen Kontinent zu erweitern. Der Erdölriese ist damit zu einem wichtigen Brückenkopf der französischen Afrikapolitik geworden und hat sich zu einem ausgezeichneten Instrument wirtschaftlicher und politischer Einmischung ausgewachsen. Seine mysteriösen Machenschaften sind Gegenstand juristischer Nachforschungen geworden. Der ehemalige Generalbevollmächtigte von Elf, Alfred Sirven, ist seit 1997 auf der Flucht. Im Pariser Sitz der Fiba, der Afrikanischen Bank des Erdölkonzerns, wurden jüngst Hausdurchsuchungen durchgeführt.

Elf: Nur selten haben drei Buchstaben so sehr von sich reden gemacht. Man denkt höchstens noch an CIA und KGB. Von Geheimdiensten ist denn auch in der Fernsehdokumentation »Elf - Afrika unter Einfluss«  [Reportage von Jean-Michel Meurice, Fabrizio Calvi und Laurence Dequay; Koproduktion von La Sept-Arte und MK2TV, die am 12. April 2000 um 20.45 Uhr auf Arte gesendet wurde] ebenso häufig die Rede wie von Offshoreplätzen. 

Der Arte-Beitrag über die französische Mineralölgesellschaft beginnt im Jahr 1962. Frankreich muss [nach der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich] die algerischen Ölvorkommen abschreiben. Die politische Führung in Paris ist, von Georges Clemenceau [1841 - 1929; französischer Ministerpräsident 1906 - 1909, 1917 - 1920] bis General De Gaulle [1890 - 1970], von dem Ehrgeiz getrieben, sich unter eigener Flagge mit Öl eindecken zu können. Mit dem plötzlichen Ölreichtum Gabuns fallen dem gaullistischen Frankreich die Mittel in die Hände, seine Ambitionen umzusetzen, ohne sich, wie in den bereits vergebenen Gebieten des Nahen Ostens, mit den Angelsachsen um Konzessionen streiten zu müssen.


Abb.: Karte des frankophonen Afrika

Vor diesem Hintergrund wird 1965 nach verschiedenen Firmenzusammenschlüssen die Mineralölgesellschaft mit dem bezeichnend bodenständigen Namen Elf Aquitaine aus der Taufe gehoben. Doch wie andere Teile des postkolonialen Afrika ist auch Gabun von Unruhen erschüttert und von ungeduldigen Militärs geplagt. Dies ist die Stunde des Geheimdienstes. Männer wie Maurice Robert, Robert Maloubier oder andere, deren spannende Aussagen in der Reportage zu sehen sind, schützen nicht nur den Präsidenten und seine Garde, sondern sie sichern in erster Linie ein politisches und wirtschaftliches System, das Frankreich Öleinnahmen garantiert.

Afrikanische Metastasen

Die neuen Gesandten suchen sich einen »Geschäftspartner«, Omar Bongo [Staatpräsident von Gabun seit 1967]. Ihre oberste Devise: Die Aufrechterhaltung von Ordnung und Stabilität, auf die Pierre Guillaumat, »Emir der Republik«, erster Direktor der Mineralölgruppe und eine Schlüsselfigur des Gaullismus, angewiesen ist. Die Elite der Ingenieure stützt sich auf den Clan der Geheimdienstleute, die das Unvorhersehbare, Unberechenbare in den Griff bekommen sollen. Fortan zählen Ernennungen, Absetzungen, Überwachung und Denunzierung zu den Aufgaben des französischen Auslandsspionagedienstes Sdece, der sich voll auf einen Gabunisierungskurs einlässt. Die Geheimdienstagenten werden nach und nach -- auch offiziell -- von Elf angestellt. Das vitale nationale Interesse, die Versorgung des französischen Mutterlandes mit Erdöl zu sichern, ist einer Logik gewichen, der es um die Herrschaft über die afrikanische Politik und ihrer Vernetzungen geht. So soll die Konkurrenz in Schranken gehalten und verhindert werden, dass für Elf vorteilhafte Handelsabkommen angefochten werden.

Von Gabun aus entfaltet die Elf-Gruppe in den Sechziger- und Siebzigerjahren ihre den gesamten Kontinent umspannende Politik. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit Jacques Foccart, Afrikaberater des Elysee-Palastes. Zu erwähnen ist insbesondere das Biafra-Abenteuer. 

[Biafra ist der Name, unter dem 1967 die Ostregion Nigerias einen selbstständigen Staat bildete (Regierung unter O.ÿOjukwu). Nach einem blutigen Bürgerkrieg (1967þ70) wurde Biafra wieder dem nigerianischen Staat eingegliedert]

Dort unterstützt Frankreich die Sezession der Erdölprovinz, um die Interessen von Shell und BP in Nigeria zu untergraben. Dies hindert Robert Maloubier allerdings nicht daran, wie er selbst in der Sendung erzählt, in Lagos mit dem Politkommissar der sowjetischen Botschaft Wodka zu trinken.

Albin Chalandon, der den Konzern seit Mitte der Achtzigerjahre leitet, rüttelt wenig an diesem System und versteht sich guten Gewissens als Diener zweier Herren, der französischen Republik und der Mineralölgesellschaft. Die dienstbaren Agenten klammern sich jedenfalls an die Privilegien des Schwarzen Goldes und räumen ihre Plätze nur widerwillig Polit- und Finanzexperten, die zur Ablösung der Spione und Haudegen angetreten sind. In der internen Fehde werden sie von Präsident Bongo unterstützt, der sich Dank der Erdölressourcen zunehmend von den Leuten unabhängig macht, die sich als seine Mentoren verstehen. Albin Chalandon setzt im Übrigen verstärkt auf Denis Sassou-Nguesso, Nachfolger des kongolesischen Präsidenten Marien Ngouabi, und auf den Ausbau des kostspieligen Ölfelds Emeraude in der Republik Kongo.

Der Clan der »Gabuner« verschwindet wieder in den Geheimdiensten und verschreibt sich dem Überseegaullismus, nicht ohne sich dabei der extremen Rechten anzunähern. Er genießt aber weiterhin das Vertrauen der Elf-Chefs für Afrika und der Staatschefs des Golfs von Guinea. Die Verteilung von Pfründen an französische Politiker bindet das Paris der Mitterrand-Generation ebenso an Brazzaville im Kongo wie an Yaoundé in Kamerun. Die jüngste Affäre um Roland Dumas ist nur eine der letzten und bekanntesten Episoden dieser Geschichte. Der ehemalige Präsident des Verfassungsrates erklärt übrigens einen Teil der beträchtlichen Bargeldsummen, über die er verfügte, mit den Honoraren, die ihm Präsident Bongo überwiesen hat.

Anfang der Achtzigerjahre weist der Politologe Jean-François Bayart erstmals auf die afrikanischen Metastasen hin, die sich im politischen Milieu Frankreichs ausgebreitet haben. Zu diesem Zeitpunkt widmen sich die Schattenagenten von Elf weit stärker Finanztransaktionen, die über die in Genf ansässige Schweizer Konzerntochter Elf Aquitaine International abgewickelt werden, als der Ausbildung von Leibwachen oder dem Kampf gegen Konkurrenzunternehmen. Es geht dabei um die Wahrung der gewaltigen afrikanischen Rendite, die der Erdölgesellschaft neue Perspektiven in den verheißungsvollen Regionen Libyens oder Zentralasiens eröffnen soll.

François Mitterrand [1916 - 1996; französicher Präsident 1981 - 1995; Männerfreund von Helmut Kohl] stellt die postkoloniale Welt von Elf l'Africaine genauso wenig in Frage wie Valéry Giscard d'Estaing [geb. 1926; französischer Präsident 1974 - 1981]. Als ausgemachter Staatsmann wartet Mitterrand das Franko-Afrikanische Gipfeltreffen von La Baule (1990) ab, um den unvermeidlichen Wandel in der Politik gegenüber dem frankophonen Afrika zu begrüßen. Elf Afrika wickelt indessen die eigenen Finanzen wie jene der afrikanischen Geschäftspartner über die Fiba (French Intercontinental Bank for Africa) ab, die zu 43 Prozent im Besitz von Elf ist; 50,9 Prozent werden von Privatanlegern gehalten, davon sind 35 Prozent im Besitz des Präsidenten Bongo und seiner Familie. Was André Tarallo, »Monsieur Afrique« der Gruppe und Vorsitzender von Elf Gabun, betrifft, so deckt sich dieser mit einer Flotte von Flugzeugen des Typs Falcon ein und stärkt die korsische Fraktion innerhalb des Netzwerks, die mit dem ehemaligen Innenminister Charles Pasqua verbunden ist.

1987 nimmt Loïk Le Floch Prigent das Geschick von Elf in die Hand. In der Reportage von Jean-Michel Meurice, Fabrizio Calvi und Laurence Dequay betont er: »In Afrika ist Frankreich ein Synonym für Chirac und Pasqua, da Frankreich für Afrika gaullistisch ist.« Ein praktisches Schema -- nicht nur für Elf, sondern auch für den Vorstandschef und seinen Mann des Vertrauens, Alfred Sirven, die freie Hand haben, neben dem Öl auch Finanzmittel abzupumpen. Hinter einer makellosen Fassade lässt man André Tarallos Männer machen und ruft die Kohabitationsregierungen zu Hilfe, wenn es Schwierigkeiten mit den afrikanischen Regierungen gibt.

Mit Alfred Sirven erhalten die dunklen Machenschaften eine weitere Note. In Angola, wo Elf sich Dank außerordentlicher Ölvorkommen neben dem amerikanischen Chevron-Konzern behaupten kann, betraut Le Floch Prigent kurzerhand Philippe Bohn und Yves Verwaede mit dem Auftrag, mit der Unita (União Nacional para a Independência Total de Angola) von Jonas Savimbi [geb. 1934] zu verhandeln. Der ehemalige Europaratsabgeordnete Yves Verwaede (Liberaldemokrat), gegen den im Zuge der Elf-Affäre ein Verfahren läuft, bestätigt, bei der Unita in Angola Aufträge ausgeführt zu haben.

Obwohl die Beziehungen zur Unita aufrechterhalten bleiben, bemüht sich Elf, gleichzeitig gegenüber der Regierung in Luanda den Schein der Ehrenhaftigkeit zu wahren. Sie lässt ihr durch einen eigens abgestellten Diplomaten (Bernard du Chaffaut) Besuche abstatten, preist die verheißungsvolle Zukunft des Landes in Publikationen und vergibt Kredite, die durch die zukünftigen Erdöleinnahmen von Angola und Kongo gedeckt werden sollen. Die Kongolesen finanzieren den Krieg gegen die Unita, die ihrerseits, wie Le Floch Prigent persönlich eingesteht, von Elf Gelder erhält. Bleibt nur zu klären, welchen Anteil an diesen geheimnisvollen Transfers sich Jonas Savimbi geholt hat und wie viel die Vermittler selbst eingesteckt haben.

Wahlgelder, Gehaltslisten, Waffenhändler

Wie der ehemalige Präsident Pascal Lissouba einräumt, hat er auf Anraten Omar Bongos von Elf Geld für seinen Wahlkampf bezogen und sich zudem von Geheimdienstmitarbeitern wie Pierre-Yves Gilleron, der ebenfalls auf der Gehaltsliste von Elf steht, beraten lassen. Nach seiner Niederlage erklärt er, die Soldaten seines Gegners Sassou-Nguesso seien mit angolanischen Waffen versorgt worden, die der Erdölkonzern Elf mit seinen Flussbooten transportiert habe. Am 20. November 1997 reicht er in Paris sogar Klage gegen die Gesellschaft ein. Wie dem auch sei, bei seiner überstürzten Flucht an seinen Pariser Wohnsitz, der aus Erdölerlösen bezahlt ist, hinterlässt er belastendes Material über die Rolle der Fiba bei der Überweisung von Millionenbeträgen an die Waffenhändler, die seiner Regierung Hubschrauber und Bomben geliefert haben.

Aus der Fülle an Tatsachen geht eines hervor: Die Machenschaften von Elf in Afrika bleiben weitgehend mysteriös. Dies gilt auch für die Zeit nach dem Antritt von Philippe Jaffré als Generaldirektor und nach der Privatisierung der Gruppe. Philippe Jaffré, der ehemalige Afrika-Verantwortliche der Gruppe, hat übrigens mit der Klage gegen Le Floch Prigent die Angelegenheit ins Rollen gebracht. Die Aussagen der für die Arte-Reportage Befragten sind insofern wertvoll, als sie zeigen, dass diese die französischen Erdölinteressen, die als nationales Interesse betrachtet wurden, zu ihren eigenen gemacht haben. Zudem legen sie jenes unwahrscheinliche Selbstbewusstsein an den Tag, das sie aus der Illusion legitimer und absoluter Macht ziehen, eine Illusion, die sie dem Besitz von Geld und Einfluss verdanken dürften.

Die Identifikation mit dem nach energiewirtschaftlicher Unabhängigkeit strebenden Frankreich diente ihnen als Deckmantel der persönlichen Bereicherung, machte sie aber auch blind für die Widerstandsfähigkeit der ihnen zunächst ergebene Präsidenten wie Omar Bongo, Pascal Lissouba oder dem ehemaligen Staatschef Angolas, Eduardo Dos Santos, die sie zu manipulieren glaubten. Darin liegt zweifellos das Altmodische dieser Elf-Soldaten angesichts einer Zeit, in der die Schlacht um die syrischen Lagerstätten, das Abenteuer Iran und die Eroberung der neuen Märkte Asiens moderne Akteure aus der Ära der großen Fusionen, der »Totalisierung« erfordert."

[Valée, Oliver: Elf - Erdölriese in staatlicher Mission : Afrika unter Einfluss. -- In: Le Monde diplomatique. --  Nr. 6119 (©2000-04-14). -- S. 11. -- URL: http://www.taz.de/tpl/2000/04/14/a0249.nf/stext.Name,ask30029aaa.idx,31. -- Zugriff am 2001-02-16] 


6. USA: Legale Abgeordneten- und Präsidentenbestechung



Abb.: Politiker (©ArtToday)

"Yet the big problem of our money-driven politics is not so much that which is illegal, it's that which is legal. Hundreds of millions of dolars are given to political candiates by a small wealthy elite ( less than 1 percent of the population) in order to promote their own vested economic interests in public affairs -- that's the problem."

Cecil Heftel, a.a.O., S. 2

"Das große Problem in unserer Geld-betriebenen Politik ist nicht so sehr das, was ungesetzlich ist, sondern das was legal ist. Hunderte von Millionen Dollars werden politischen Kandidaten von einer kleinen wohlhabenden Elite gegeben (weniger als 1% der Bevölkerung), um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen im Staat zu fördern -- das ist das Problem."

Cecil Heftel

Cecil Heftel (geb. 1925), der selbst fünf Mal für die Demokraten als Abgeordneter Hawaiis im Kongress saß, nennt sein Buch bezeichnender Weise End legalized bribery -- Beendet die legale Bestechung.

Heftel, Cecil <1925 - >: End legalized bribery : an ex-congressman's proposal to clean up Congress. -- Santa Ana, CA [u.a.] : Seven Locks, ©1998. -- 135 S. -- ISBN 0929765591. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Darin weist er darauf hin, dass Wahlkampfspenden und andere Spenden von Industrie, Verbänden, Gewerkschaften, Interessengruppen und Privaten an die Abgeordneten nicht aus reiner Menschenliebe der Geber geschehen, sondern selbstverständlich, weil man sich davon etwas erhofft. Und dies funktioniert nach Heftel auch bestens. Heftel macht den satirischen Vorschlag, dass Abgeordnete wie Sportler an ihren Anzügen die Logos ihrer Sponsoren tragen. Dann wäre z.B. klar, dass jetzt der von Daimler-Chrysler gesponserte Abgeordnete A sich mit dem von der Automobilgewerkschaft gesponserten Abgeordneten B auseinandersetzt.


Abb.: Nicht alle Politiker der USA sind käuflich: Kater Socks, First Cat während der Präsidentschaft Bill Clintons (1993 - 2001)

[Socks in the Oval Office, by Michele Weston Relkin, Thousand Oaks, California, ca. 1993. -- Gift to Chelsea Clinton from Ms. Relkin. -- Bildquelle: http://www.nara.gov/exhall/treasures/clinton.html. -- Zugriff am 2001-02-19]

Für Einzelheiten des Washingtoner Sumpfs siehe z.B. Heftel's Organisation Public Campaign. -- Webpräsenz: http://www.publicampaign.org/. -- Zugriff am 2001-02-19

Webportal zur legalen Abgeordneten- und Präsidentenbestechung in den USA:

http://dir.yahoo.com/Government/U_S__Government/Politics/Elections/Campaign_Finance/. -- Zugriff am 2001-02-19

Wir in Deutschland haben allerdings keinerlei Grund, uns über die USA zu mokieren: bei uns hält es ein Ehrenbürger Europas nicht für nötig zu sagen, woher er Millionenbeträge bekommen hat. Aber auch legale Parteispenden werden weder von der Industrie noch den Gewerkschaften noch Sonstigen gegeben, ohne dass man sich ein Vielfaches des Gespendeten  zurückerhofft.


7. Ukraine: postkommunistische Korruption



Abb.: Karte der Ukraine (©MS-Encarta)

Im spannenden Buch über Vadim Rabinovich (geb. 1953), einen der reichsten und mächtigsten Männer der Ukraine

Roth, Jürgen <1945 - >: Der Oligarch : Vadim Rabinovich bricht das Schweigen. -- Hamburg [u.a.] : Europa-Verlag, ©2001. -- 299 S. : Ill. -- ISBN 3203815273. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

schreibt der Autor bzw. zitiert Rabinovich:

"Weniger zurückhaltend ist Rabinovich bei der Beschreibung des real existierenden Systems der Korruption in allen postkommunistischen Staaten, auch der Ukraine: »Natürlich gibt es Korruption, und das auf einer hohen Ebene. Aber wer besticht denn eigentlich die ukrainischen Behörden, die zuständigen politischen Entscheidungsträger? Mir fällt es schwer zu glauben, dass es ein kleiner ukrainischer Geschäftsmann sein soll, der 1000 Dollar im Monat einnimmt. Schauen Sie sich lieber die vielen ausländischen Firmen an, die unter der Ägide des einen oder anderen Premierministers entstanden sind. Ich denke, dass nicht nur die ukrainische Seite angeklagt werden muss, sondern genauso die ausländischen Gesellschaften, die korrumpieren, um investieren zu können. Es sind ja häufig ausländische Investoren, die Bestechungsgelder an die jeweiligen Machthaber zahlen. Einer dieser Machthaber war ganz sicher Pawel Lasarenko. Der ehemalige Premier war einer der wichtigsten Politmanager in diesem Land. Er ließ das gesamte politische System für sein Wohl, aber nicht für das Wohl des Landes arbeiten. Mit Hilfe des stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalbank wurden Kredite vergeben. Viele dieser Kredite versickerten in zypriotischen Offshore-Gesellschaften. Es ging um Milliardenbeträge. Da gibt es zum Beispiel den prominenten Politiker Alexander Moroz. Als Vorsitzender des ukrainischen Parlaments genehmigte er der Gemeinschaft der Blinden einen Kredit in Höhe von 30 Millionen US-Dollar. Das Geld verschwand. Moroz, der die Dokumente unterschrieben hatte, behauptete, dass er mit alledem nichts zu tun habe. Oder nehmen Sie die Prominvestbank. Sie gehörte dem Staat. Dann wurde sie privatisiert. Wie üblich bekam der Staat keinen Pfennig beim Verkauf. Und das Kapital samt den Immobilien besitzt nun ein einziger Mann, der eben gute Beziehungen hatte.«

Über diese Machenschaften kann sich Vadim Rabinovich am meisten aufregen. Wenn über Korruption und Raub von Volkseigentum gesprochen wird, stimmen die Verhältnisse nicht, meint er: 

»Wenn jemandem 100 Dollar aus der Tasche gestohlen werden, wird Haltet den Dieb gerufen, und man versucht, ihn zu fangen und zu verurteilen. Wenn der Staat ausgeraubt wird -- da geht es um Hunderte Millionen Dollar -- , bleibt es ruhig. Und manchmal werden diese Diebe sogar politisch hoffähig. Diebe, die eine Kuh gestohlen haben, im Wert von vielleicht 200 Dollar, landen im Gefängnis. Aber die großen Räuber finden Sie dort nicht. Schauen Sie doch einmal genau hin. Wie viele Millionen wurden an ein südkoreanisches Riesenunternehmen gezahlt? Man redet bei uns offen davon, dass es mindestens 50 Millionen US-Dollar gewesen sein sollen, die im Staatsapparat versickerten, damit das Unternehmen in der Ukraine geschäftlich agieren konnte. Wer hat denn wen bestochen?«

Richtig, es gibt immer zwei Seiten. Amerikanische, asiatische und europäische Konzerne, die mit vollen Händen bestechen, und ukrainische oder russische Politiker, Beamte und Angestellte, die sich bestechen lassen. Wer der größere Verbrecher ist, das sei einmaldahingestellt. Jene westlichen Konzerne argumentieren auf die immer gleiche Weise: Wenn wir nicht bezahlen, dann können wir nicht investieren, und das kostet Arbeitsplätze im Westen. Von diesem goldenen Westen möchten nun die ehemals kommunistischen Staatsdiener profitieren. 4000 US-Dollar Jahresgehalt als Abgeordneter lässt tatsächlich zu wünschen übrig, wobei ein Lehrer oder Arzt nicht einmal ein Viertel dieser Summe verdienen. Zum Beispiel der Bezirk Donetsk. Dort sind die Beträge, mit denen Polizisten und Richter wohlgefällig gestimmt wurden, als allgemein gültige Beispiele für die Ukraine in einem Bulletin der US-Botschaft Kiew veröffentlicht worden:

Nun wäre es in der Tat vermessen, die Ukraine oder Russland alleine an den Pranger zu stellen. In Europa, auch in Deutschland, ließe sich gleichfalls eine Liste über Bestechungs-, auch Spendengelder genannt, anfertigen. Es wäre blanker Hohn, wenn Deutschland sich zur staatsmoralischen Instanz erheben würde, während Parteispendenaffären zum tagespolitischen Geschäft gehören und ohne Unterlass die Öffentlichkeit beschäftigen. Ein schönes Beispiel dafür ist nicht nur die Schmiergeldaffäre um den Komplex des französischen Erdölgiganten Elf Aquitane, der deutsche Politiker mit mehreren Millionen Mark bestochen hat. Eine noch höhere Summe war es dem Thyssen-Konzern wert, 37 Panzer nach Saudi-Arabien zu verkaufen. 220 Millionen Mark Schmiergelder bezahlte er. Ein Teilbetrag davon ist an hohe deutsche CDU-Politiker zurückgeflossen. Und was in der Ukraine undenkbar wäre: Diese Schmiergelder konnten sogar noch von der Steuer abgezogen werden.

»Was ist denn schon Korruption? Ehrlich, ich habe eigentlich überhaupt kein Bedürfnis, über Korruption zu reden, geschweige, sie zu bekämpfen. Mich stört etwas ganz anderes. Mir gefällt es nicht, dass es so viele Leute gibt, die verbrannte Erde hinterlassen. Die nehmen andere aus und sind nicht daran interessiert, was mit ihrem Land geschieht. Ich habe etliche solcher Leute kennengelernt. Ich bin überzeugt, dass sie mit dieser Art, Geschäfte zu machen, keine Zukunft haben. Ich nehme auch zehn Prozent bei meinen Geschäften. Dabei denke ich aber immer daran, wie es dem Land, wie es der Ukraine geht. Die anderen Unternehmer, nennen Sie sie meinetwegen Oligarchen, sie denken nicht darüber nach. Sie verstehen nicht die Gefahr. Wenn sie alles gestohlen haben, könnten ja eines Tages die Bürger einen Aufstand entfesseln und dann die Häuser und Autos der Reichen verbrennen.«" [S. 253 - 256]


8. China: Korruption am Drei-Schluchten-Damm


"Denn Recht hat nur, wer Macht hat, Geld, ein Amt.
Die Möglichkeit, den Richter zu bestechen
Mit Talerchen, mit einer schönen Frau,
Der eigenen vielleicht, was tut's?
Der Kaiser sitzt in Peking auf dem Thron -
Peking ist weit -- des Kaisers Sinn so tief
Mit hoher Politik beschäftigt. Recht?
In China gäb' es Recht! Dass ich nicht lache!"

[Klabund <1890 - 1928>: Der Kreidekreis : Drama. -- Berlin : Spaeth, 1925. -- In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. -- Studienbibliothek. --  Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- ( Digitale Bibliothek ; Band 1). -- ISBN 3898531015. -- S. 111680. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Karte des Drei-Schluchten-Damm-Projekts 

[Quelle der Abb.: http://www.threegorges.org/map.shtml. -- Zugriff am 2001-02-13]

"Schon liegt der drittlängste Strom der Erde nicht mehr in seinem alten Bett, wächst Mischerladung für Mischerladung die größte Staumauer der Welt aus dem Tal des Jangtse empor. Doch noch immer kommt das Drei-Schluchten-Projekt, Chinas teuerste Infrastrukturmaßnahme aller Zeiten, nicht aus den Schlagzeilen. Anfang Mai vorigen Jahres warf eine Hongkonger Zeitung einer staatlichen Baufirma die Veruntreuung von umgerechnet 251 Millionen Mark im Zusammenhang mit dem Jangtse-Projekt vor. Schon vor einem Jahr berichtete die parteinahe Pekinger Wirtschaftszeitung von einem Korruptionsfall, in dem staatliche Ermittler auf den Diebstahl von 122 Millionen Mark stießen, für den etwa hundert Beamte schuldig gesprochen wurden.

Allein die Dokumentation der Korruptionsfälle erstaunt. Selten hat Chinas Öffentlichkeit so viel über die dunklen Geschäfte der Staatsbetriebe erfahren. Noch werden die Projektkosten in der Öffentlichkeit mit 30 Milliarden US-Dollar angegeben. »Aber in Wirklichkeit werden sie eher bei 70 Milliarden liegen«, prophezeit die Journalistin Dai Qing, die als schärfste innerchinesische Kritikerin des Staudamms internationales Renommee erlangt hat.

Doch es ist nicht ihre Kritik, die die jüngsten Staudammskandale ans Licht gebracht hat. Dahinter steht Premierminister Zhu Rongji. Zwei Tage vor Neujahr 1999 besuchte der Regierungschef das erste Mal die Jangtse-Baustelle. »Nicht ein Pfennig darf zu anderen Zwecken als vorgesehen, verwendet werden«, polterte Zhu damals. »Jede Art von Unvorsichtigkeit bei diesem Bau wird Unheil über zukünftige Generationen bringen.«

Als diese Lektion nichts half, legte Zhu ein halbes Jahr später nach: In der Volkszeitung kritisierte er die Vorbereitungen für die Umsiedlung von mehr als einer Million Bauern. Zhu stellte fest, dass das Land, das den Bauern zur Umsiedlung versprochen wurde, zu steil zur Bebauung sei. Er ordnete an, Flächen ab einer Neigung von 25 Grad nicht mehr zu nutzen, um Bodenerosionen zu vermeiden. An diesem Punkt hatte sich der Premier erstmals einem Argument der Staudammgegner ergeben.


Abb.: Die Jangtse-Schluchten, die durch das Dammprojekt überschwemmt werden (©Corbis)

Die Enthüllung der zwei Korruptionsskandale in diesem Jahr deutet an, dass Zhu das Thema nicht aufgegeben hat. Seine Kurskorrekturen am Dammprojekt stoßen im Parteiapparat auf entschiedenen Widerstand. Es ist ein alter Kampf: Zhus Vorgänger, der heutige Parlamentspräsident Li Peng, ist der Mann, der mit seinem Namen für den Staudamm einsteht.

Es ist unklar, wer von beiden als Sieger aus den Kämpfen hervorgehen wird. Li hat im höchsten Parteigremium, dem ständigen Ausschuss des Politbüros, einen höheren Rang als Zhu und ist trotz seiner geringeren Stellung als Parlamentspräsident dem Regierungschef nicht unbedingt unterlegen. Solange Li im Politbüro weilt, wird die Partei den Bau am Staudamm fortsetzen. Schließlich sah auch Parteichef Jiang Zemin in dem Projekt den Beweis dafür, dass der Sozialismus dem Kapitalismus darin überlegen ist, die Menschen zu Großtaten anzuleiten. Seither sind drei Jahre vergangen, und da inzwischen mehr Chinesen denn je wissen, welche Großtaten am Jangtse wirklich vollbracht werden, sind auch Massenproteste gegen den Staudamm nicht mehr auszuschließen. Der allgemeine Volkszorn gegen die Korruption könnte hier einen symbolischen Gegenstand finden, an dem er sich entladen kann."

[Blume, Georg: Am Drei-Schluchten-Damm gedeiht die Korruption. -- In: taz. -- Nr. 6338 (©2001-01-05). -- URL http://www.taz.de/tpl/2001/01/05/a0080.nf/stext.Name,ask20411aaa.idx,0. -- Zugriff am 2001-02-13]


9. Korruption in Bolivien



Abb.: Karte von Bolivien (©MS-Encarta)

"Ein besonderes Charakteristikum der bolivianischen Wirtschaft nach der Revolution liegt darin, dass sich bis zu 80% der Produktionsmittel -- zumindest über lange Zeit -- in den Händen des Staates befanden. Mit der Verstaatlichung der großen Minen, der Öl- und Erdgas-Felder wie auch mit der Errichtung staatlicher Agroindustrieunternehmen (Milchverarbeitung, Öl, Zucker, Reis) hatten die Regierungen seit 1952 direkten Einfluss auf wesentliche Bereiche der Wirtschaft. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt blieb jedoch bestehen. Sie gab den Industrienationen die Möglichkeit, auch weiterhin in die bolivianische Politik mehr oder weniger direkt einzugreifen.

So verschieden die Regierungen seit 1952 auch waren, die Funktion des Staates als Pfründe für eine bestimmte Klientel, sei es in der staatlichen Verwaltung oder im privaten Sektor, war für alle Regimes kennzeichnend. Dass bei einem solchen System die Effektivität und damit die gesamte Wirtschaft zu leiden hatte -- zusätzlich zu den international bedingten Schwierigkeiten --, lässt sich sowohl im staatlichen wie im privaten Bereich belegen. Der bekannteste und wohl traurigste Fall ist der der Minengesellschaft Comibol: Waren es einst monatlich tausend Tonnen Erz, die beispielsweise in der Zinnmine Siglo XX produziert wurden, so sind es am Tiefpunkt im Februar 1986 ganze 37 Tonnen gewesen. Mit Preisverfall und Erschöpfung der Minen allein kann das nicht erklärt werden. Seit Jahrzehnten wird bei der staatlichen Verwaltung des Bergbaus über Korruption geklagt: Schlechte Planung, falsche Abrechnungen und ein In-die-eigene-Tasche-Wirtschaften haben dazu beigetragen, diesen Sektor der Produktion in den jammervollen Zustand zu bringen, in dem er sich heute befindet.

Aber auch vom privaten Sektor wurde der Staat eher geschröpft als dass er profitierte. So wurden viele Betriebe einzig in dem Bestreben gegründet, an die zuzeiten freigebig verteilten Staatskredite zu kommen. Der Zusammenbruch überdimensionierter Projekte ist in Bolivien eine ebenso häufige Erscheinung wie der betrügerische Bankrott, der für den »Unternehmer« einen schönen Gewinn bedeutet, wenn er nur die Hälfte des Kredites investiert hat, während die andere Hälfte auf einem sicheren Bankkonto in den USA oder der Schweiz untergebracht ist.

Die Korruption hat in Bolivien eine lange Tradition. Der Missbrauch der Macht und staatlicher Gelder, aktive und passive Bestechung sowie der Raub von Staatseigentum sind Phänomene, die sich von den frühen Caudillos des 19. Jahrhunderts bis zu den Militärdiktaturen unserer Tage ziehen und die auch in demokratischen Zeiten nicht verschwanden. Sicherlich sind die Exzesse eines [Luis] Garcia Meza [Militärdiktator von 1980 bis 1982] nicht mit den Verhältnissen in der Zeit danach zu vergleichen, von einer Überwindung des alten Übels aber kann schwerlich gesprochen werden. Eher vielleicht von einer »Demokratisierung der Korruption«. Gerade die Politik von Siles Zuazo [Staatspräsident von 1982 bis 1985]  gibt ein Beispiel dafür, wie fast ein ganzes Volk notgedrungen in illegale Geschäfte getrieben wird. So war es verboten, mit Dollars zu handeln, aber wer es nicht tat, dessen Geld verlor umgehend an Wert. Auch die Einfuhr ausländischer Waren war verboten. Aber die Kontrollmöglichkeiten waren viel zu gering, und die Nachfrage für die ausländischen Waren blieb bestehen. Das Schmuggelgeschäft blühte wie nie zuvor. Die Preise waren staatlich festgelegt, mehr zu zahlen war genauso verboten wie mehr zu verlangen. Gerade das heizte den Schwarzmarkt an, denn es kam zu einer Verknappung der Waren. Wer konnte, zahlte jeden Preis für das Gewünschte. Butter und Hühnchen wurden gehandelt wie anderswo Marihuana oder Heroin.

Der Kampf gegen die Korruption ist ein konstantes Element der bolivianischen Politik, auch wenn immer wieder das Scheitern dieses Kampfes konstatiert wird. Laut einer Umfrage, die eine deutsche Organisation unter bolivianischen Unternehmern durchführte, wird Bolivien sogar für den Korruptionsweltmeister gehalten. Das zeigt, dass sich die Bolivianer immerhin des Problems bewusst werden.

In den letzten Jahren wurden einige Schritte unternommen, um dem Problem zu Leibe zu rücken. Die Presse deckt laufend Korruptionsskandale auf. Das mag einerseits entmutigen, ist aber andererseits auch ein Zeichen dafür, dass es das Bedürfnis nach einer Veränderung gibt. Zudem sind seit Beginn der 90er Jahre eine Reihe von neuen Gesetzen und Kontrollen eingeführt worden, die sowohl die öffentlichen Behörden wie auch die Banken und das gesamte Finanzsystem strenger überwachen. Eine Anzahl von eigenen Beauftragten kümmert sich seither darum, die Öffentlichkeit und die Verbraucher besser vor den Auswüchsen der Korruption zu schützen. Einen gewissen Sockel an Korruption wird es freilich immer geben, solange die Einkommensverhältnisse so bleiben, wie sie sind. Nicht immer nämlich steckt dahinter moralische Verwerflichkeit. Manchmal ist es auch die simple Not."

[Pampuch, Thomas <1948 - > ; Echalar, Augustin <1960 - >: Bolivien. -- 3., aktualisierte Aufl. -- München : Beck, 1998. -- (Beck'sche Reihe ; 813). -- ISBN 3406441130. -- S. 153 - 155. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


10. Indien: Korruption in der Sicht eines kleinen Zollangestellten



Abb.: Lage von Bombay (Mumbai) (©MS-Encarta)

Lakkarajula Munaswami, ein damals ca. 35jähriger körperbehinderter Angestellter im Zollamt Bombay (Mumbai), gibt seine Sicht von Korruption in Indien so wieder: 

"Ich habe meinen Job hier im Zollamt bekommen durch das spezielle Arbeitsamt für Behinderte, da habe ich meinen Namen aufgeschrieben, und sie haben mich zu einem Examen gerufen, dann, nach einem Monat, haben sie mir den Einstellungsbrief gegeben. Jetzt bin ich verantwortlich für die Akten. Nehmen Sie an, ein Aktenordner kommt, warum schickt man ihn, was ist zu tun?

Also der Chef schickt die Akte durch einen Diener, der Diener bringt sie zu mir, der Chef hat ein Memo drangemacht, nächste Aktion, nächster Schritt, und ich muss die Aktion veranlassen, z. B. einen Brief schicken an die Leute, Sachen schicken, alles so was. Ja, ich bin voll verantwortlich für das. Vergessen habe ich niemals was, da bin ich sehr eigen. Ich treibe die Leute sogar an: «Warum geben Sie keine Antwort?» Ja, da bin ich sehr eigen drin!

Ich will keine Probleme machen -- in einem anderen Büro haben sie doch auch so jemand wie mich, nicht? Und wenn ich mich nicht rühre, dann wird der große Chef dort mit meinem großen Chef hier streiten, dann kommen die noch höheren Chefs und streiten -- also, warum soll ich meinem Boss solchen Ärger machen, er soll zufrieden sein, ich soll auch zufrieden sein --, die Arbeit muss ich ja sowieso machen! Für die Akten, die lagern müssen, haben wir einen Archivverwalter, der soll die Akten nach Jahren lagern -- da ist ein dunkles Zimmer, da werden die Akten alle reingeschmissen, und wenn die Leute mal eine alte Akte haben wollen, dann schreiben sie meinem Boss, und ich muss dann den Archivverwalter nehmen und hingehen und den ganzen Haufen durchsuchen und die Akte sofort rausbringen -- na, ja, sofort heißt, da ist schon ein bisschen Zeit da, nicht?


Abb.: Lakkarajula Munaswami (Photo: Priscilla DeSa)

Ich bin jetzt in der Lizenzabteilung. Das heißt, in Indien gibt's doch Import und Export, o. k.? Also, die Deutschen sagen: «Wir haben Zeitschriften geliefert, jetzt könnt ihr uns auch mal fertige Kleidung schicken, die gute Qualität hat, und die wir gut verkaufen können... » - «O. k. », sagt er, «ich werde euch 10000 Kleider schicken» -- und dafür braucht er eine Lizenz! Und dann kommt der Zoll, wir müssen das festsetzen. Das steht alles da, in dem gedruckten Buch, da haben sie klar gesagt, dass diese Ware soundso viel Zoll kostet, das ist festgelegt nach dem Wert, von 60 % bis 20 % . -- Nein, nein, nein, wie können Sie einen falschen Wert angeben. Die Leute dort sind sehr genau damit, wenn Sie z. B. sagen, diese Uhr habe ich für 50 Rs. [Rupies] gekauft, aber in Wirklichkeit waren es 100 Rs., und Sie sagen, ich will nur soundso viel bezahlen, dann sagt der Zollbeamte, nein, nein, da läuft nichts -- aber dann sagen Sie: «Sehen Sie, der Zoll ist doch so hoch gestiegen, zeigen Sie doch ein bisschen Sympathie...» usw., und der Handel wird gemacht -- so geht das eben!

Meistens werden Maschinenteile eingeführt, Ersatzteile, und auch viel Essbares, Mandeln, Nüsse von Iran, Karach usw. Wenn so was kommt, dann nehmen sich die Zollleute natürlich was davon raus, sie nehmen, und dann lassen sie die Leute gehen -- was kann man machen, Madam, warum soll man sich darüber den Kopf zerbrechen.. .? Am Flughafen, beim Zoll, man sagt, dass die kein Geld nehmen, aber sie nehmen! Wie kann ein ehrlicher Mann 1000 andere kontrollieren? Zu Hause haben sie nur 5 Familienmitglieder -- wie kann man die kontrollieren? Die Frauen gehen doch sowieso ihren eigenen Weg, wie kann man das alles in der Hand haben?

Jetzt versucht Rajiv Gandhi [geb. 1944, ermordet 1991, indischer Premierminister 1984 - 1989]  eine Aktion zu machen gegen Korruption, aber ich weiß nicht, wie weit er Erfolg haben wird. Sogar in unserem Büro sind so viele Leute rausgeschmissen worden. Ja, ja, überall macht er das, aber viele sind doch schon seit Jahren im Sattel -- ungefähr 100 Leute sind bei uns weggeschickt worden, nachdem Rajiv Gandhi gekommen ist, langsam, Schritt für Schritt ist das gemacht worden. 3000 Leute haben wir, und diese 100, ich meine, alle wissen, was jeder macht, die 100 waren mehr korrupt als die anderen. Man weiß, das ist ein kleiner Fisch, er wird nur 100 Rs. nehmen, wenn Sie ein großer Fisch sind, nehmen Sie 1000 Rs., ein noch größerer wird sogar 10000 Lakhs [1 Lakh = 100000 Rupies] von Rs. nehmen. Das weiß jeder in Indien! Deshalb müssen die Leute in den Regierungsämtern auch immer ihren Platz wechseln, weil, eine Person, wenn er immer da ist, da kann er tun, was er will, Kontakte haben usw.!

Der Hauptgrund ist doch nur die Armut und dass jeder ein Luxusleben haben will! In unserem Amt geben sie auch sehr niedrigen Lohn, ich kriege 1500 Rs., nach 4 Jahren Dienst kriege ich das! Mit 600 oder so habe ich angefangen, jetzt geben sie mir 1500 wie kann ich davon leben, sagen Sie mir? Wenn Sie mir mehr Geld geben, dann vergesse ich den Rest, nicht mal einen einzigen Paisa [1/100 Rupie]  werde ich nehmen! Entscheiden Sie, wieviel Sie mir maximal zahlen können -- ich will ja nicht jeden Tag mit dem Flugzeug fliegen oder mit dem Taxi zur Arbeit fahren -- und ich bin bereit, ehrlich zu arbeiten!

Rajiv Gandhi ist ein dynamischer Führer, er ist sehr klar und ehrlich, nicht? Aber wenn er was gegen Korruption machen will, ich weiß nicht, wie weit diese Leute ihm das erlauben werden, die Politiker sind ja selbst so korrupt! Sie werden ihn nicht unterstützen. Sie sind verrückt nach Geld, d. h., für Geld tun sie alles, alle die Politiker! Und nicht nur Geld, sie ändern auch ihr Gewissen, wie sie wollen! Gehalt? Was für Gehälter haben sie? 500 Rs. offiziell, aber inoffiziell, wieviel kriegen Sie da? Lakhs von Rupies! Innerhalb einer 5-Jahresperiode! Wie sie das Geld kriegen, das erzähle ich Ihnen: Nehmen Sie an, Sie wollen hier ein Gebäude aufbauen, dann müssen Sie die Erlaubnis von der Stadtverwaltung kriegen, und das Geld dafür wird dann von den lokalen Abgeordneten bewilligt, sagen wir mal, das Gebäude kostet eine Million Rupies, also werden sie diskutieren. O. k., wir können das Haus für 2 Millionen bauen, sie genehmigen das Geld, aber tatsächlich geben sie nur 400000 aus, 1600000 werden sie aufteilen zwischen den Abgeordneten, den Beratern, Baufirmen und allen solchen Leuten! Und jeder weiß das!"

[Menschen in Bombay : Lebensgeschichten einer Stadt / [hrsg. von] Barbara Malchow ; Keyumars Tayebi. -- Reibeck : Rowohlt, ©1986. -- (rororo aktuell ; 5918). -- ISBN 349915918X. -- S. 200 - 203]


11. Angola: der Krieg ist ein lukratives Geschäft



Abb.: Karte von Angola (©MS-Encarta)

Geschichtlicher Hintergrund: "Seit dem 15.ÿJahrhundert gewann Portugal in Angola besonders durch die Mission Einfluss. Bis ins 19.ÿJahrhundert, in dem Angola seine heutigen Grenzen erreichte, betrieben die Portugiesen Sklavenhandel (besonders nach Brasilien). Im 20.ÿJahrhundert suchte Portugal Angola (seit 1951 Überseeprovinz) wirtschaftlich zu erschließen. Nach der Entlassung Angolas in die Unabhängigkeit (1975) entwickelte sich ein Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen, ab 1951 im Kampf gegen die portugiesische Kolonialherrschaft entstandenen Befreiungsbewegungen, besonders zwischen dem marxistischen Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA) und der União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA). Gestützt auf militärtechnische Hilfe der UdSSR und Kubas, rief die MPLA am 11.ÿ11. 1975 unter ihrem Führer A. Neto die »Volksrepublik« Angola aus und errichtete eine Staats- und Gesellschaftsordnung nach marxistisch-leninistischem Muster (Verstaatlichungs- und Kollektivierungsprogramm, Einparteiensystem, enge Verflechtung von Partei- und Staatsführung). Ab November/Dez. 1975 durch die Stationierung kubanischer Truppen in Angola militärisch abgesichert, setzte sich die MPLA 1976 endgültig gegenüber den von der Republik Südafrika unterstützten konkurrierenden Befreiungsbewegungen militärisch durch. Nach dem Tod Netos (1979) übernahm J.ÿE. Dos Santos dessen Nachfolge als Staatspräsident und Führer der MPLA (seit 1977 MPLA/PT, mit dem Zusatz Partido de Trabalho). In den 80er-Jahren unternahmen südafrikanische Truppen Vorstöße nach Südangola gegen dort gelegene SWAPO-Stützpunkte (Namibia). Am 22.ÿ12. 1988 schlossen Angola, Kuba und die Republik Südafrika unter Vermittlung der USA sowie unter Einschaltung der UN ein Abkommen über die Unabhängigkeit Namibias und den Abzug der südafrikanischen und kubanischen Truppen aus Angola. Nach verschiedenen Anläufen zur Beendigung des Bürgerkrieges zwischen der Regierung Dos Santos und der UNITA unter J.ÿSavimbi schlossen beide Seiten am 31.ÿ5. 1991 ein Friedensabkommen. Nach den ersten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 1992 (auf der Grundlage eines 1991 beschlossenen Mehrparteiensystems), bei denen Präsident Dos Santos im Amt und die MPLA/PT als stärkste Kraft im Lande bestätigt wurde, setzte die UNITA die Kämpfe mit der Regierung weiter fort. Nach wechselvollen Kämpfen schlossen die Bürgerkriegsparteien im November 1994 erneut ein Friedensabkommen, in dem unter anderem der UNITA eine Regierungsbeteiligung zugesagt wurde. Der Friedensprozess schritt 1997 mit der Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung«, der auch die UNITA beitrat, zunächst voran. Nachdem die angolanische Armee bereits 1997 im Bürgerkrieg in der Republik Kongo interveniert hatte, kam es 1998 und 1999 zu weiteren Interventionen angolanischer Truppen in der Demokratischen Republik Kongo sowie 1999 erneut zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und Einheiten der UNITA." 

[Angola. -- In: Der Brockhaus multimedial 2001. -- Premium. -- Mannheim : Bibliographisches Institut, ©2000. -- 5 CD-ROM. -- ISBN 3411069058. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]

"Der Sieg über Savimbi eilt nicht : in Angola ist der Krieg ein lukratives Geschäft: 

Angola produziert täglich gegen 800 000 Fass Rohöl, aber das daraus resultierende Einkommen verschlingt weitgehend der Krieg. Eine Elite in Regierung und Armee hat Teile der Rüstungsbeschaffung und Kriegsführung privatisiert, um daraus Gewinn zu schlagen. Das Sozialwesen wird fast ganz der ausländischen Hilfsindustrie überlassen.

Der Passkontrolleur im internationalen Flughafen von Luanda scheint es nicht sonderlich eilig zu haben. Streikt der Computer, der die Kontrolle über Ein- und Ausreise erleichtern soll? Oder sind etwa die Papiere nicht in Ordnung? Schließlich lässt der Beamte die Katze aus dem Sack. Er habe Durst, erklärt er, ob ihm der Ausreisewillige nicht zehn Dollar für ein paar Flaschen Bier geben könne? Dem «Durstigen» kann geholfen werden, aber zehn Dollar für diese plumpe Variante staatlicher Wegelagerei scheint zu viel zu sein, zumal der Mann keinen Spesenbeleg ausstellt. Mal sehen, ob's auch mit fünf Dollar geht. «In God we trust» steht auf dem Schein, der diskret hinübergeschoben wird. Tatsächlich, die fünf Dollar heben die Hand, die den ersehnten Stempel in den Pass drückt, und der Ausreise steht nichts mehr im Weg.

«Die da oben» sind keine Vorbilder

Die Korruption in Luanda hat viele Gesichter. Im Fall des Grenzbeamten tarnt sie sich als Bettelei. Beim Taxichauffeur, der steif und fest behauptet, der vom Taxameter angezeigte Betrag beziehe sich nicht etwa auf die inflationäre Lokalwährung Kwanza, sondern auf Dollars, erscheint sie als dreiste Bauernfängerei. Beim Hotelier, der für ein paar Stunden am Tag den hoteleigenen Stromgenerator abgestellt, die Zimmer aber ausdrücklich als «klimatisiert» anpreist, schlüpft sie ins Kleid einer simplen Sparmassnahme. Es sei, schreiben die Anti-Korruptions-Kämpfer der britischen Organisation Global Witness [Webpräsenz: http://www.oneworld.org/globalwitness/index.html. -- Zugriff am 2001-02-22] in ihrem Bericht mit dem Titel «Böses Erwachen» [A Crude Awakening. -- URL: http://www.oneworld.org/globalwitness/reports/angola99/cover.htm. -- Zugriff am 2001-02-22] , nahezu unmöglich, in Angola irgendein Geschäft zu betreiben, ohne Bestechungsgelder bezahlen zumüssen. Global Witness führt die Allgegenwärtigkeit der Korruption darauf zurück, dass die Gehälter im Staatsdienst viel zu gering seien und oft nicht pünktlich ausbezahlt würden, dass Staat (Bürokratie) und Regierung viel zu eng miteinander verknüpft seien und dass es keine wirklich unabhängige Rechtsprechung gebe.


Abb.: Titelblatt von A crude awakening

Die Regierung selber scheint kein Interesse an einer wirksamen Korruptionsbekämpfung zu haben. «Die Korruption beginnt beim Staatsoberhaupt», schreibt Global Witness. Präsident dos Santos führt laut der Organisation eine «Oligarchie der Unberührbaren» an, der Minister, Diplomaten, Generäle und Geschäftsleute angehörten und deren Aktivitäten alles andere als geeignet seien, Frieden, Transparenz beim Umgang mit Staatsgeldern und eine verantwortungsvolle Regierungsführung zu fördern. Die britischen Anti- Korruptions-Kämpfer nennen diesen Kreis nach dem Namen des Präsidentenpalastes, Futungo de Belas, «Futungo-Clique». Das ist insofern ungenau, als dos Santos inzwischen in die historische Cidade alta Luandas umgezogen ist, in den Palast der früheren portugiesischen Gouverneure, den er sich nach einer Meldung der Lissabonner Tageszeitung «Publico» für 100 Millionen Dollar hatte herrichten lassen.


Abb.: Präsident José Eduardo dos Santos (geb. 1942), Wahlplakat 1992

Wirrwarr der Regierungsfinanzen

Kein Außenstehender weiß genau, wie viel die Haupteinnahmequelle der Regierung, die Ölförderung, genau abwirft und wozu das Geld im Einzelnen verwendet wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der sich auf Zahlen des Finanzministeriums sowie eigene Schätzungen beruft, gibt die Steuereinnahmen aus dem Ölsektor für das Jahr 1999 mit 2,38 Milliarden Dollar an -- 88 Prozent aller Einnahmen. Wieviel 1999 die Unterschriftenboni -- Zahlungen, die ausländische Ölgesellschaften entrichten müssen, um überhaupt die Lizenz für die Ausbeutung eines Ölfelds zu bekommen -- eingebracht haben, geht aus der Tabelle des IWF nicht hervor. Global Witness behauptet, allein die 1999 erfolgte Vergabe der Rechte für die (im Meer vor der Küste gelegenen) drei Ölfelder 31, 32 und 33 habe Unterschriften-Boni von insgesamt 900 Millionen Dollar eingebracht, wovon ein großer Teil, möglicherweise bis zu 500 Millionen Dollar, unter Umgehung des Budgets direkt ins Präsidentenamt geflossen und mehrheitlich für den Ankauf von Waffen verwendet worden sei.

Dass im «Bermuda-Dreieck» zwischen Nationalbank, Präsidentenamt und der staatlichen Ölgesellschaft Sonangol, der «obligatorischen» Partnerin der ausländischen Ölfirmen, nicht alles zum Besten bestellt ist, geht auch aus Empfehlungen des IWF an die Adresse der angolanischen Regierung im August letzten Jahres hervor. Darin ist von der Notwendigkeit die Rede, Transparenz und Effizienz des öffentlichen Sektors zu steigern. Es müsse sichergestellt werden, dass das nationale Budget sämtliche Einnahmen und Ausgaben verzeichne, denn nur so könne überhaupt ein Überblick über die Regierungsfinanzen gewonnen werden. Der Fonds begrüßte die Bereitschaft der Regierung, einen externen Wirtschaftsprüfer mit einer Finanzanalyse des Ölsektors zu beauftragen. Inzwischen hat die Regierung den Auftrag vergeben, dabei aber die Richtlinien so eng gesteckt, dass jetzt offiziell nur noch von einer «diagnostischen Studie» die Rede ist. Vor allem ist es dem Londoner Buchprüfer KPMG verwehrt, die in früheren Jahren geflossenen Geldströme des Ölsektors zu untersuchen.

Interessenkonflikte

Global Witness macht auf eine weitere potenzielle Bereicherungsquelle der politischen und militärischen Elite aufmerksam: die Rüstungsbeschaffung und die Führung des Krieges gegen die Guerilla der União Nacional para a Independência Total de Angola (Unita). Die britische Nichtregierungsorganisation spricht von einem erheblichen Interessenkonflikt, denn die Politiker, die eigentlich dem Frieden zu dienen hätten, und die kriegführenden, den baldigen Sieg über die Unita propagierenden Generäle hätten auch ein Interesse an der Fortsetzung des Krieges. Sie nennt Präsident dos Santos als Eigentümer der auf den britischen Jungferninseln domizilierten Companhia Angolana de distribuição alimentar, einer Gesellschaft, welche beauftragt worden sei, die Streitkräfte mit Lebensmitteln zu versorgen. Auf einen Interessenkonflikt deuten auch die Berichte hin, nach denen Offiziere der Sicherheitskräfte direkt und indirekt von den chaotischen Verhältnissen, die in den Diamantenschürfgebieten herrschen, profitieren. Wie Christian Dietrich, ein Mitarbeiter des Institute for Security Studies in Pretoria, herausgefunden hat, werden die beiden größten privaten angolanischen Sicherheitsfirmen, welche unter anderem Diamantenfelder und -minen gegen Angriffe der Unita schützen, von hohen Offizieren der angolanischen Sicherheitskräfte und ihren Verwandten kontrolliert.

Laut Dietrich setzten einige an der Front eingesetzte Offiziere Armeesoldaten zum Schürfen von Diamanten ein. Es gebe sogar, vor allem in den beiden Lunda-Provinzen, so etwas wie eine «Integration der Volkswirtschaften», wobei örtliche Kommandanten der Regierungstruppen «Steuern» auf Gütern erhöben, die Händlerinnen dann in die von der Unita kontrollierten Zonen transportierten. Umgekehrt schürften Guerilleros der Unita oder von ihnen kontrollierte Garimpeiros (Schürfer) Diamanten, die in Garnisonen der Streitkräfte abgesetzt würden; mit dem Erlös beschaffe sich die Unita Gebrauchsgegenstände, die ebenfalls die Garnisonen lieferten. Die Londoner Zeitschrift «Africa Confidential» [Webpräsenz: http://africa-confidential.com/. -- Zugriff am 2001-02-22] bestätigt im Wesentlichen diese Darstellung. Sie spricht von einer «jahrelangen fruchtbaren Kooperation» und von Nichtangriffspakten zwischen Armeegenerälen und der Unita in den Diamantenabbaugebieten in Lunda Norte; die Schwäche der Regierungsarmee sei zumindest zum Teil auf derartige Deals zurückzuführen. «Africa Confidential» meldet denn auch Zweifel an der Behauptung der Regierung an, man unternehme alles, um des Unita-Führers Savimbi habhaft zu werden.


Abb.: Jonas Savimbi, Führer der UNITA

Aber selbst wenn Geldgier und Geschäftssinn der Elite in Regierung und Armee sehr viel kleiner sind als von Global Witness, dem Institute for Security Studies und «Africa Confidential» behauptet - mit militärischen Mitteln allein lässt sich ein Sieg über die Unita wohl nicht herbeiführen. Wie in jedem Guerillakrieg ist auch in Angola die militärische Auseinandersetzung von geringerer Bedeutung als der Kampf um die Gunst der Bevölkerung. In dieser Hinsicht zeichnet sich die Regierung von Präsident dos Santos nicht aus, im Gegenteil. Die Kriegsführung der Regierungstruppen ist so wenig wie diejenige der Gegenseite dazu angetan, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Es gibt Zwangsrekrutierungen, Zwangsvertreibungen und Repressalien gegen Zivilisten, die der Kollaboration mit der Unita verdächtigt werden. Die sozialen Bedürfnisse der Zivilbevölkerung sind der Regierung wenig wert, wie ein Blick auf die IWF-Version des angolanischen Budgets von 1999 zeigt. 41 Prozent aller Ausgaben wurden für Kriegszwecke aufgewandt und nur 9,4 Prozent für Soziales.

Das Dilemma der Hilfsindustrie

So wie sie den Krieg zum Teil privatisierte -- in ein Feld für private geschäftliche Aktivitäten verwandelte --, hat die Regierung Teile des Sozialwesens internationalisiert: Sie überlässt die Erledigung zahlreicher Aufgaben, etwa die Hungerhilfe und die Betreuung von Vertriebenen, aber auch die Versorgung von Provinzspitälern mit Medikamenten, der ausländischen Hilfsindustrie. Diese sieht sich vor das Dilemma gestellt, sich mit ihren Aktivitäten zur Erfüllungsgehilfin eines Regimes zu machen, das ein schweres Legitimitätsdefizit aufweist - oder aber sich aus Angola zurückzuziehen und die Not leidende Zivilbevölkerung im Stich zu lassen. Die Hilfsorganisation Médecins sans frontières [Webpräsenz: http://www.paris.msf.org/. -- Zugriff am 2001-02-22] hat ihrem Unbehagen über diese Dilemma unlängst in einem freimütigen Bericht unter dem Titel «Hinter der Fassade der Normalisierung» Luft gemacht. Darin heißt es: «Zum Bild eines armen Entwicklungslandes mögen Spitäler ohne Medikamente, der Mangel an qualifiziertem medizinischem Personal und Hungerlöhne (im Gesundheitswesen) gehören. Aber Angola verfügt über beträchtliche Öl- und Diamanten-Ressourcen. Die USA importieren zurzeit mehr Erdöl von Angola als von Kuwait. Die angolanische Ölproduktion beläuft sich auf täglich gegen 800 000 Fass, aber für die Generatoren in den angolanischen Spitälern -- oft die einzigen Stromquellen - bleibt kein Tropfen Dieseltreibstoff übrig. Es ist offensichtlich, dass die angolanische Bevölkerung nicht von diesem Reichtum profitiert.»"

[ach: Der Sieg über Savimbi eilt nicht : in Angola ist der Krieg ein lukratives Geschäft. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- Internationale Ausgabe. -- Nr. 44 ( ©2001-02-22). -- S. 4. -- Online unter: http://www.nzz.ch/2001/02/22/al/page-article775G5.html

Offizielle Webpräsenz der Botschaft von Angola in den USA: http://www.angola.org/. -- Zugriff am 2001-02-23


12. Nigeria: ein General als Vertreter von Transparency International



Abb.: Karte von Nigeria (©MS-Encarta)

"Obwohl die Regierung Obasanjo den Kampf gegen die Korruption auf ihre Fahnen geschrieben hat, schneidet Nigeria im internationalen Vergleich weiterhin schlecht ab. Der Chef des nigerianischen Ablegers von Transparency International [Webpräsenz: http://www.transparency.de/welcome.de.html. -- Zugriff am 2001-02-06], der Ex-General Williams, führt den zähesten Kampf seiner Karriere - gegen die Korruption.


Abb.: Umschlag der offiziellen Biographie von Olusegun Obasanjo [Bildquelle: http://www.patweb.com/amnesty/poc/Obasanjo2.htm. -- Zugriff am 2001-02-24]

["Obasanjo, Olusegun, nigerianischer General (seit 1972) und Politiker, *ÿAbeokuta 5.ÿ5. 1937; in Großbritannien zum Offizier ausgebildet; erzwang mit seinen militärischen Operationen (1969/70) die Kapitulation Biafras; 1975/76 Generalstabschef, 1976 þ 79 Vorsitzender der Militärregierung und Oberbefehlshaber der Streitkräfte; trat 1979 die Regierungsgewalt an eine gewählte Zivilregierung ab; 1995 von der 1993þ99 herrschenden Militärregierung wegen eines angeblichen Umsturzversuchs zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt (1998 entlassen); bei den Wahlen im Februar 1999 zum Staatspräsidenten gewählt." [Der Brockhaus multimedial 2001. -- Premium. -- Mannheim : Bibliographisches Institut, ©2000. -- 5 CD-ROM. -- ISBN 3411069058. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]]

Die Tür zu seinem Büro steht schon aus Trotz und auch aus Prinzip immer offen. So war es auch während seiner Karriere beim Militär gewesen. Jeder sollte sehen können, dass General Williams nichts zu verheimlichen hat und keine dubiosen Geschäfte oder Abmachungen hinter verschlossenen Türen in die Wege leitet, wie das so oft geschieht in diesem Land. Die Organisation Transparency International (TI), die jeweils Geschäftsleute danach befragt, für wie korrupt sie ein Land halten, setzte Nigeria schon mehrfach auf den letzten Platz. Die Milliardeneinnahmen aus dem Erdölgeschäft scheinen auch nach dem vor fast zwei Jahren erfolgten Übergang zur Demokratie zu verlockend zu sein, als dass sich die nigerianische Elite von ihrem alten Geschäftsgebaren verabschieden würde. Das Gesicht von Generalmajor außer Dienst Romeo Olasehinde Ishola Williams bleibt ohne Regung, als er auf Nigerias schlechten Ruf angesprochen wird, denn Williams ist Chef des TI-Ablegers in seinem Heimatland. «Das Ergebnis hat mich nicht sonderlich überrascht», erklärt er in seinem Büro in Lagos. «Mich wundert nur, warum die Nigerianer sich wieder einmal missverstanden fühlen. In Nigeria beschweren sich die meisten Leute über die Korruption. Aber fast alle sind bestechlich oder schmieren.» Dann grummelt der mittelgroße, stämmige Mann in seinen Vollbart, dass auch die neue, demokratische Regierung den Kampf gegen die Korruption nicht ernsthaft aufgenommen habe.

Schleppende Korruptionsbekämpfung

Präsident Obasanjo hat zwar eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um der grassierenden Korruption Herr zu werden. So mussten sich alle Staatsbeamten nach Obasanjos Vereidigung zu einem Verhaltenskodex verpflichten. Auch eine schwarze Liste korrupter Unternehmen vor allem aus dem Ausland soll vor dubiosen Geschäftspartnern warnen. Obasanjo erwirkte außerdem die Zwangspensionierung zahlreicher hoher Offiziere, die sich mit Hilfe unsauber erworbener Lizenzen und Aufträge vom Staat bereichert hatten. Auch holte Obasanjo einen kritischen Bericht über den Zustand der Judikative wieder hervor, den der frühere Militärmachthaber Abacha [Diktator 1993 - 1998] in Auftrag gegeben, dann aber wegen der unerwarteten Schonungslosigkeit ignoriert hatte. Nun plant der Präsident die Entlassung einer Reihe bestechlicher Richter und Staatsanwälte. Speerspitze im Kampf gegen die Korruption soll aber das Antikorruptionsgesetz sein, das als eines seiner stärksten Elemente die Bildung einer Antikorruptionskommission vorsieht. Ihre zehn Mitglieder unter Vorsitz des pensionierten Richters Akanbi haben seit ihrer Einsetzung im September 2000 das Recht, Unterlagen zu beschlagnahmen, Konten zu prüfen und Hausdurchsuchungen vorzunehmen. Aber seit die Arbeit vor vier Monaten begann, erreichten nur 27 Petitionen aus der Öffentlichkeit die Kommission. Und davon wurde noch kein einziger Fall untersucht.

Alle diese staatlichen Antikorruptionsmaßnahmen zeigen insgesamt noch keine große Durchschlagskraft. Und speziell die Verzögerungen bei der Arbeit der groß angekündigten Antikorruptionskommission geben Anlass für Kritik auf breiter Front. Schon bezeichnet der Gewerkschaftsführer Oshiomhole die Antikorruptionsbemühungen der Regierung Obasanjo als «One-Man- Show». Das Antikorruptionsgesetz brauchte fast ein Jahr, bis es sämtliche Instanzen durchlaufen hatte und schließlich verabschiedet wurde. Die von Obasanjo eingeleiteten Maßnahmen seien, genauso wie das Verhalten der Parlamentsabgeordneten, nur taktisches Geplänkel, sagt der TI-Chef Williams. «Die Regierung und das Parlament wissen sehr wohl, wo sie ansetzen müssten, um Korruption zu bekämpfen -- nämlich ganz oben. Doch die Mächtigen ziehen es vor, sich über einfache Beamte und Polizisten zu beklagen, die die Hand aufhalten. Diese zu kritisieren ist halt am einfachsten.» Und wenn einmal ein hochrangiger Politiker über Korruptionsvorwürfe stolpere, sagt Williams, dann sei das viel mehr eine ausgemachte Kampagne politischer Rivalen als der Wille zu einem gründlichen Selbstreinigungsprozess, der durch alle Reihen von Regierung und Parlament gehen müsste.

In diesem Licht sieht Williams auch die Bestechungsskandale im Parlament, die in weniger als zwei Jahren bereits zwei Senatspräsidenten das Amt kosteten. Auch die jüngste Regierungsumbildung zählt Williams zu dieser Kategorie. Obasanjo ersetzte zehn Kabinettsmitglieder wegen angeblicher Korruptheit und Unfähigkeit im Amt. Es wurde dem Präsidenten allerdings von nicht wenigen Beobachtern unterstellt, er versuche damit nur sein Image als «Macher» wiederzubeleben, das unter einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stagnation seit seiner Amtsübernahme gelitten habe.

Ungutes Gefühl

Der General kneift beim Nachdenken über die Lage seines Landes die sowieso schon kleinen Augen noch enger zusammen. Das zuvor freundliche Gesicht des 57-jährigen, aus dem Südwesten des Landes stammenden Yoruba, das für einen Ex-Offizier oft gar ein wenig zu liebenswürdig wirkt, bekommt plötzlich die Strenge eines Mannes, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen. Williams ist ein Mann mit Prinzipien. Wenn die staatseigene und von Korruption geschüttelte Telefongesellschaft wieder einmal die Büroleitungen absichtlich stilllegt, um sich die Mehrarbeit für die Entstörung extra bezahlen zu lassen, dann schreibt der Ex-General so lange Briefe an die Direktion, bis das Telefon auch ohne Schmieren wieder funktioniert. Bezahlen würde der während seiner Militärzeit auf Informationstechnik spezialisierte General nie. «Die sagten mir schon, ich sei verrückt. Wenn die Leitung zwei Monate lang tot bleibt, schreibe ich eben noch mehr Briefe.»

Diese Sturheit hat Williams auf der Karriereleiter des nigerianischen Militärs weit gebracht. Das Land besitzt eine der größten Armeen in Afrika, aber auch eine der berüchtigtsten. Nach jedem Staatsstreich wurden die ranghöchsten Offiziere schnell zu den vermögendsten Männern im Land. Wer reich werden wollte, ging zur Armee. «Ich bin allerdings nicht wegen des Geldes zur Armee gegangen; ich wollte lediglich ein gesichertes Leben mit Pension, Krankenversicherung und bezahlter Ausbildung für meine Kinder», sagt der Vater von vier Kindern. Obwohl der Ruf der nigerianischen Armee in der Bevölkerung nicht zweifelhafter sein könnte, bereut er seine mehr als 30 Jahre dauernde Karriere beim Militär nicht -- auch wenn er zugibt, dass er schon früh ein ungutes Gefühl bekam. 


Abb.: Sani Abacha (1943 - 1998) mit Papst Johannes Paul II, Nigeria, März 1998 (Bildquelle: Nigeria TV)

Williams ahnte schon vor Abachas Machtübernahme, dass dessen Herrschaftssystem bezüglich Skrupellosigkeit und Raffgier alle bisherigen Militärregime in den Schatten stellen würde. Am Tag, als Abacha putschte, verfasste Williams sein Abschiedsschreiben. «Abacha schrieb mir darauf einen Brief, in dem er sein Bedauern über meinen Austritt aus der Armee äußerte. Ich habe ihm nie geantwortet.» Wenige Monate später begann sich der Ex-General bei TI zu engagieren. In kürzester Zeit wurde er vom Kollegen zum Feind Abachas. Trotz der starken Repression gab er seine neue Aufgabe nicht auf. Auch nach dem Ende des Abacha-Regimes führte er seinen Kampf weiter. Wann immer er eingeladen wird, verbreitet Williams in Vorträgen und Seminaren, an Universitäten, bei Organisationen und Verbänden seine Ideen darüber, was man gegen Korruption und Bestechlichkeit tun kann - meistens übrigens ohne Honorar.

Zähe Aufklärungsarbeit

Hier versucht Williams vor allem, die Politiker zur Annahme des von ihm ausgearbeiteten Ethikkodexes zu bewegen - eine Lobbyarbeit mit bisher bescheidenem Erfolg. TI zählt in Nigeria nicht mehr als 20 Mitglieder. Als Obasanjo an die Macht kam, boomte das Interesse an dem nigerianischen TI-Ableger, denn der Präsident war bis zu seinem Wiedereinstieg in die Politik im Beraterstab von TI in Berlin gewesen. Die nigerianische politische Klasse wollte auf der «richtigen Seite» stehen, falls Obasanjo seine groß angekündigten Antikorruptionspläne wahr machen würde. Aber von den über 100 von Parlamentsabgeordneten angeforderten Beitrittsformularen kam nicht ein einziges vollständig ausgefüllt zurück.

Die Aufnahmebedingungen von TI sind in Nigeria besonders streng. Wer eintreten will, muss sein gesamtes Vermögen und seine Einnahmen offenlegen. Williams hat das getan. Er lebt in einem einfachen Einfamilienhaus in einem nördlichen Vorort der 15-Millionen-Einwohner-Metropole Lagos. Seine Kinder kann er nur deshalb nach Amerika zur Schule schicken, weil Freunde ihn unterstützen. Seine Pension als General außer Dienst beträgt laut seinen eigenen Angaben 42 000 Naira (rund 650 Franken) im Monat, und davon gibt er rund einen Drittel für die Angestellten im TI-Büro aus. Für ausgefallene Hobbies bleibt da wenig Spielraum, doch Williams pflegt dennoch eines. Er ist Präsident des afrikanischen Baseballverbands. Und mit einer schneidigen Handbewegung, mit der er früher wohl sein Generalsbarett zurechtrückte, zieht er seine blaue Baseballmütze ins Gesicht."

[h. ji.: Frontenwechsel eines Generals in Nigeria : ein pensionierter Offizier im Kampf gegen die Korruption. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- Internationale Ausgabe. -- Nr. 46 (©2001-02-24). -- S. 7. -- Online unter:
http://www.nzz.ch/2001/02/24/al/page-article774YP.html]


Zu Kapitel 9: Kulturelle Faktoren: Essen, Trinken, Geselligkeit