Staatskirchenkritisches aus der FDP

Freie Kirche im freien Staat — Thesen der FDP zum Verhältnis von Staat und Kirche (1974)


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Freie Kirche im freien Staat — Thesen der FDP zum Verhältnis von Staat und Kirche. -- 1974. -- Fassung vom 2004-12-16. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/FDP1974.htm 

Erstmals publiziert: 2004-12-16

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Freie Kirche im Freien Staat : Beschluss des 25. Bundesparteitages der F.D.P. in Hamburg vom 30. September bis 2. Oktober 1974.

Dieser Beschluss ist bis heute in der FDP gültig!


Thesen

  1. Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden über ihre Angelegenheiten unabhängig von staatlichen Einflüssen. Das erfordert, dass der Staat seine verbliebenen Einflussmöglichkeiten (insbesondere die Mitwirkung an der regionalen Gliederung der Kirchen, die Forderung des bischöflichen Treueeides auf die Verfassung, den Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Ämter) aufgibt.
  2. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten. Andererseits wird das Vereinsrecht der Bedeutung der Kirchen und anderer Großverbände nicht gerecht. Es ist daher ein neues Verbandsrecht zu entwickeln, das der Bedeutung der Verbände und ihrem öffentlichen Wirken Rechnung trägt und auch für die Kirchen gilt. Dabei sind religiös und weltanschaulich bedingte Besonderheiten zu berücksichtigen.
  3. Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften regeln die Mitgliedschaft im Rahmen der Religionsfreiheit nach eigenem Recht. Der Austritt erfolgt durch Willenserklärung gegenüber den Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften.
    Die Religionsmündigkeit beginnt wie schon heute in den meisten Bundesländern mit Vollendung des 14. Lebensjahres.
  4. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Diesem Verfassungsgrundsatz ist überall, insbesondere im Personenstandsrecht und im öffentlichen Dienst, Geltung zu verschaffen.
  5. Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Es sind mit den Kirchen entsprechende Verhandlungen über die Modalitäten der Überleitung aufzunehmen und ausreichende Fristen vorzusehen.
  6. Der Verfassungsgrundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates ist auf Länderverfassungen und Gesetze, Regeln und Gebräuche im öffentlichen Bereich anzuwenden. Die Glaubensüberzeugungen einzelner Gruppen dürfen nicht für alle verbindlich gemacht werden. Auf sakrale Formen und Symbole ist im Bereich staatlicher Institutionen wie Gerichten und öffentlichen Schulen zu verzichten. Die Eidesformel ist neutral zu fassen; dem Eidesleistenden muss es freistehen, den Eid durch einen Zusatz im Sinne seiner Weltanschauung zu ergänzen.
  7. Die bestehenden Staatsverträge mit den Kirchen (Kirchenverträge und Konkordate) sind wegen ihres Sonderrechtscharakters kein geeignetes Mittel, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln. Deshalb dürfen solche Verträge nicht neu abgeschlossen werden. Die bestehenden Kirchenverträge und Konkordate sind, soweit sie noch gültig sind, in gemeinsamer Übereinkunft aufzuheben. Ihre Gegenstände sind, soweit erforderlich, durch Gesetz oder Einzelvereinbarungen neu zu regeln.
  8. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind abzulösen. (Wie es Artikel 140 GG und Artikel 138 Abs. 1 WRV vorsehen.)
    Soweit Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber anderen gemeinnützigen Institutionen steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile besitzen, sind diese aufzuheben.
  9. Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben. Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, muss gewährt werden - allerdings ohne Vorrangstellung. Dazu sollen die freien Träger sachgerechte staatliche Zuschüsse erhalten. Die öffentliche Hand muss sicherstellen, dass eine ausreichende Anzahl von Einrichtungen bereitsteht, um den Bedarf an weltanschaulich neutralen, jedermann zugänglichen Einrichtungen zu decken. Soweit Einrichtungen der freien Träger öffentlich gefördert werden, müssen sie allgemein zugänglich sein; Andersdenkende dürfen keinerlei Benachteiligungen oder Zwängen ausgesetzt sein.
  10. Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Der Religionsunterricht ist nach der Verfassungslage ordentliches Lehrfach. Alternativ wird ein Religionskundeunterricht angeboten. Zwischen beiden Fächern besteht freie Wahlmöglichkeit. Das Recht, private Schulen zu errichten und zu unterhalten, bleibt unberührt.
  11. Die Seelsorge in staatlichen Institutionen wie Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Strafvollzug ist in die alleinige Verantwortung der Kirchen zurückzugeben. Die Möglichkeit unbehinderter religiöser Betreuung durch kirchlich bestellte und bezahlte Seelsorger muss sichergestellt sein. Das gleiche Recht gilt für alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
  12. Geistliche und Theologiestudenten sind in ihren staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten, auch im Hinblick auf den Wehrdienst oder seine Verweigerung allen anderen Staatsbürgern gleichzustellen.
  13. Die Vertretung der Kirchen wie auch anderer gesellschaftlicher Gruppen in öffentlichen Gremien (z.B. Rundfunkräte, Schulausschüsse, Jugend- und Sozialausschüsse, Hearings u.a.) ist daraufhin zu überprüfen, wieweit sie der Funktion der Verbände für den jeweiligen Bereich entspricht.

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