Religionskritische aus der SED

SPD und politischer Klerikalismus (1960)


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

SPD und politischer Klerikalismus. -- 1960. -- Fassung vom 2004-12-19. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/SED01.htm  

Erstmals publiziert: 2004-12-19

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Dies ist kein offizieller Text der SED, wohl aber ein offiziöser. Ursprünglich erschienen in:

Wegweiser zum Atheismus : Vom Jenseits zum Diesseits / Hrsg.: Günter Heyden, Karl A. Mollnau ; Horst Ullrich.  -- Leipzig ; Jena : Urania-Verl. -- Bd. 2., / [Mitarb.: Alfred Arnold u.a.]. -- 1960. -- 223 S.  -- S. 176 - 185


SPD und politischer Klerikalismus

Die rechten Führer der deutschen Sozialdemokratie haben mit dem Godesberger Parteiprogramm1 aus dem Jahre 1959 auch die letzten Reste fortschrittlicher Traditionen und Ziele über Bord geworfen. Das betrifft alle wesentlichen Fragen der Arbeiterbewegung, darunter auch eine solche wie das Verhältnis der Sozialdemokratie zur Religion und zu den Kirchen. Eine Erklärung, wie sie in diesem Grundsatzprogramm zu finden ist, dass die Sozialdemokratie „den besonderen Auftrag" der Kirche achtet und dass sie zu einer Zusammenarbeit mit den Kirchen „im Sinne einer freien Partnerschaft... stets bereit" sei, erhellt den Weg, den die deutsche Sozialdemokratie unter ihren rechten Führern geht.2


Abb.: Umschlagtitel des Godesberger Programms

Es war eine festgefügte Tradition in der deutschen Sozialdemokratie auch noch in der Zeit der Weimarer Republik, dass sie die verschiedensten Formen der atheistischen Propaganda und die entsprechenden Organisationen aktiv unterstützte. Es sei hier nur an den Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung3 und an den Sozialdemokratischen Freidenkerverband erinnert, die wirkliche Massenorganisationen darstellten. Die Gründung von sogenannten weltlichen Schulen gehörte in das Programm vieler sozialdemokratisch regierter Verwaltungen. Das beruhte zu einem großen Teil auf der Arbeit sozialdemokratischer Funktionäre und sozialdemokratisch geführter Verwaltungen. Schon ein kurzer Blick in die westdeutsche Wirklichkeit zeigt, welch große Wandlung sich hier vollzogen hat, denn die ähnlichen Einrichtungen und Organisationen, die heute in Westdeutschland existieren, fristen ein mehr als kümmerliches Dasein. Heute sehen die rechten sozialdemokratischen Führer ihre Hauptaufgabe im Kampf gegen den Kommunismus und in der Unterstützung des klerikalen Militarismus. Voller Stolz auf die Unterordnung der Arbeiterinteressen unter die des politischen Klerikalismus rief der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Fritz Steinhoff4, auf dem Stuttgarter Parteitag der SPD 1958 aus: „Unsere Regierung hat unter der Ministerpräsidentschaft eines Sozialdemokraten in der kurzen Zeit ihrer Tätigkeit drei große Kirchenverträge abgeschlossen. Einen mit der katholischen Kirche zur Gründung des Bistums Ruhrgebiet mit dem Sitz in Essen5 und zwei Verträge mit den evangelischen Kirchen, wodurch die Arbeitsmöglichkeiten dieser Kirchen verbessert und die Aufwendungen wesentlich erhöht werden konnten."

Der neue Ruhrbischof6 betrieb sofort aktive Wahlpropaganda für die CDU und erklärte, dass die atomare Aufrüstung Westdeutschlands in Einklang mit der katholischen Lehre stehe. Die Niederlage der SPD bei diesen Wahlen war dann die Quittung für ihre Politik. Wir würden uns jedoch täuschen, wenn wir den äußeren Schein, den Bruch mit alten Traditionen der Sozialdemokratie im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Religion und zu den Kirchen in der Zeit der Weimarer Republik, verabsolutieren und nicht den inneren Zusammenhang sehen würden, der in diesen Fragen zur Politik der heutigen SPD-Führer besteht.

Die marxistische revolutionäre Arbeiterbewegung führt den Kampf gegen die Religion immer nur als einen Teil des Kampfes zur Befreiung der Arbeiterklasse und ordnet ihn diesem unter.

Die sozialdemokratisch geführten atheistischen Organisationen lösten jedoch den Kampf gegen die Religion vom Kampf gegen den Kapitalismus und ordneten ihn nicht dem Ziel des proletarischen Klassenkampfes unter. Damit wurde die Befreiung der Arbeiterklasse von Ausbeutung und Unterdrückung auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben, denn solange Kapitalismus existiert, bestehen auch die sozialen Wurzeln für Aberglauben und Religion. Die atheistische Propaganda außerhalb der Aufgaben des Klassenkampfes sehen, heißt nichts anderes, als bürgerliche Erziehung an einem abstrakten Menschen zu betreiben und damit Handlanger derjenigen gesellschaftlichen Klasse zu sein, die an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus interessiert ist. Aber gerade in der Aufrechterhaltung des Kapitalismus bestand der soziale Inhalt der Politik der rechten Führer der SPD während der Weimarer Republik. So besteht ein wesentlicher, innerer Zusammenhang in dieser äußerlich so verschiedenen Politik der rechten Führer der SPD, denn auch die Behandlung dieser Fragen während der Weimarer Republik war ein Zeichen dafür, dass sie einige Traditionen der ehemals marxistischen Sozialdemokratie nur scheinbar fortführten, in Wirklichkeit jedoch die Massen vom Kampf um den Sozialismus ablenkten. Das Erfurter Parteiprogramm7 aus dem Jahre 1891 forderte: „Erklärung der Religion zur Privatsache. Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen und religiösen Zwecken. Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen."8

Heute zeigt sich die Unterstützung der Politik des westdeutschen Monopolkapitals gerade in den Versuchen, die westdeutsche Arbeiterbewegung dem klerikal-militaristischen Regime unterzuordnen. Nach der totalen Niederlage des deutschen Faschismus im zweiten Weltkrieg tarnen sich die deutschen Imperialisten und Militaristen mit einer christlichen Larve. Sie bedienen sich in zunehmendem Maße bestimmter Teile der kirchlichen Hierarchie beider Konfessionen zur Durchsetzung ihrer antinationalen Ziele. Dabei wird der Versuch unternommen, das gesamte gesellschaftliche Leben zu klerikalisieren. Die rechten Führer der Sozialdemokratie haben das Wiedererstarken des westdeutschen Imperialismus in den verschiedenen Etappen seiner Entwicklung unterstützt, indem sie vor allem die Einheit der Arbeiterklasse verhinderten, keinen konsequenten Kampf zur Entmachtung der großen Monopole führten und alle Massenbewegungen in Westdeutschland gegen Militarismus und Atomaufrüstung auf die verschiedenste Weise sabotierten. Heute sind sie Schrittmacher des klerikalen Einflusses auf die Arbeiterbewegung. Da aber heute die klerikale Ideologie eines der wesentlichsten Mittel zur Faschisierung Westdeutschlands ist, leisten sie damit objektiv den reaktionären Plänen des westdeutschen Imperialismus und Militarismus Vorschub. Politisch wird diese Tatsache mit der Behauptung verbrämt, es handele sich darum, die Kirchen davon zu
überzeugen, dass ein guter Christ, insbesondere ein guter Katholik, auch Mitglied der SPD sein könne, ohne an seinem Glauben Schaden zu erleiden. Gegenüber den alten Mitgliedern und Funktionären der Partei beteuern die rechten Führer der SPD, dass sie auf diese Weise der CDU ihre Basis entziehen könnten und so die erforderlichen Stimmen für die nächste Bundestagswahl für die Bildung einer sozialdemokratisch geführten Regierung erhalten würden. Die rechten Führer der SPD stellen die Dinge hier ganz offensichtlich auf den Kopf. Heute besteht die dringende Notwendigkeit der Zusammenarbeit aller demokratischen und antimilitaristischen Kräfte, um den westdeutschen Militarismus zu bändigen. Nicht zuletzt muss dabei der Einfluss der CDU/CSU und ihre Diktatur gebrochen werden. Davon ausgehend, ergibt sich die dringende Notwendigkeit der Einheitsfront aller patriotischen Kräfte unabhängig von ihrer Weltanschauung. Es zeigt sich, dass die westdeutsche CDU die christlichen Gefühle vieler Menschen missbraucht und für ihre antinationale Politik ausnutzt. Das haben schon viele Christen erkannt, deshalb kämpfen sie aktiv in der westdeutschen Friedensbewegung mit. Aber das Gegenteil von dem, was notwendig ist, tun die rechten Führer der SPD. Sie arbeiten gerade mit dem reaktionären Klüngel innerhalb der kirchlichen Hierarchie zusammen, der der Adenauer-CDU die Möglichkeit gibt, religiöse Gefühle auszunutzen und sie für die Atomkriegspolitik des westdeutschen Imperialismus zu missbrauchen. Diese Politik kann nicht dazu führen, dass die Basis der CDU schmaler wird, sondern dazu, dass viele ehrliche Menschen überhaupt keine echte Alternative (Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten) mehr sehen und resignieren. Eine solche Klerikalisierung der SPD wird nur die Macht und den Einfluss der CDU stärken. Eine offensive, kämpferische Politik gegen den westdeutschen Militarismus und seine Kriegspläne dagegen bildet die Grundlage für eine Sammlung aller demokratischen und antimilitaristischen Kräfte.

Vor allen Dingen geht es den rechten Führern der SPD darum, von der katholischen Hierarchie eine eindeutige Erklärung darüber zu bekommen, dass die Verurteilung, die Papst Pius XI.9 in der Enzyklika „Quadragesimo anno" auch über den sogenannten demokratischen Sozialismus ausgesprochen hatte, für die heutige SPD nicht mehr zutreffend sei. Papst Pius XI. hatte 1931 geschrieben: „... der Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung, auch nachdem er in den genannten Stücken (gemeint sind Klassenkampf und kapitalistisches Eigentum an den Produktionsmitteln — d. Verf.) der Wahrheit und Gerechtigkeit Raum gibt, bleibt mit der Lehre der katholischen Kirche immer unvereinbar — er müsste denn aufhören, Sozialismus zu sein: Der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung ist unüberbrückbar ... religiöser Sozialismus; christlicher Sozialismus sind Widersprüche in sich; es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein."10

Im Sinne der Überwindung von „Missverständnissen", der „Klärung" der Standpunkte, führten die rechten Führer der SPD eine Vielzahl von Diskussionen und Tagungen mit Vertretern der kirchlichen Hierarchie, besonders der der katholischen Kirche durch. In diesen Diskussionen ging es keineswegs darum, die christlichen Arbeiter für einen gemeinsamen Kampf mit allen anderen friedliebenden Kräften gegen den Atomkrieg zu gewinnen, wie das die KPD im Interesse der deutschen Nation immer wieder fordert, sondern diese Aussprachen sollten das gemeinsame Anliegen der rechten Führer der SPD und bestimmter klerikaler Kreise im Kampf gegen den Kommunismus und ihre gemeinsame Grundeinstellung demonstrieren.

Solche Gemeinsamkeiten bestehen jedoch nicht nur in der antikommunistischen Plattform, sondern, das zeigt das Godesberger Grundsatzprogramm sehr deutlich, auch in solchen Fragen wie der unbedingten Anerkennung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln und in der unbedingten Treue zum gegenwärtigen Bonner Staat. In einer vom SPD-Vorstand herausgegebenen Broschüre „Der Katholik und die SPD"11 wird sogar von einer „ausgesprochenen Bundesgenossenschaft" der Ideologie des „demokratischen Sozialismus und des Katholizismus" gesprochen. Seitenlange Zitate aus der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno" werden mit dem Godesberger Programm verglichen, um nachzuweisen, dass zwischen beiden in allen grundsätzlichen ideologischen, politischen und wissenschaftlichen Fragen Übereinstimmung besteht, über diese „Gemeinsamkeiten" hinaus verlangt der politische Klerikalismus von den rechten Führern der SPD die völlige Unterwerfung unter die Weisungen der klerikalen Hierarchie.

Auf einer Tagung der sogenannten Bodensee-Internationale12, die die sozialdemokratischen Parteien Westdeutschlands, der Schweiz und Österreichs vereinigt, sagte der Jesuitenpater Simmel13 im September 1959 zu den rechten Führern der Sozialdemokratie: „Wenn Sie nicht mehr Sozialisten im Sinne der Enzyklika .Quadragesimo anno sind, bestehen keine Hindernisse mehr für eine Verständigung. Es wird für Sie nicht leicht sein, die gefügte Lehrmeinung der Kirche zu überzeugen, weil unsere unaufgebbaren Wahrheiten respektiert werden müssen. In der konkreten Politik freilich wird manches weniger hart sein, weil wir in der Ehrlichkeit und sachlichen Arbeit aneinander Gefallen gefunden haben" (SPD-Organ „Vorwärts" vom 18. September 1959). Solche Gespräche werden geführt, bestimmte „Gemeinsamkeiten" werden hervorgehoben, obwohl eine Reihe klerikaler Politiker und Moraltheologen, von denen einige auch an solchen Aussprachen teilnahmen, einige Zeit vorher sehr eindeutig festgestellt hatten, dass die atomare Bewaffnung nicht notwendig der sittlichen Ordnung widerspräche und nicht in jedem Falle Sünde sei. Damit zeigen die rechten Führer der SPD aber auch sehr eindeutig, was sie eigentlich beabsichtigen.

Die Politik des politischen Klerikalismus gegenüber der SPD wird von der Erkenntnis bestimmt, dass die deutsche Arbeiterklasse die stärkste Kraft gegen die Atomkriegspläne der westdeutschen Militaristen darstellt. Seine Politik ist darauf gerichtet, eine totale Integration der westdeutschen Arbeiterbewegung in den westdeutschen klerikal-militaristischen Obrigkeitsstaat zu erreichen. Dazu dient einmal die klerikale Unterwanderung der westdeutschen Gewerkschaften und die ideologische und politische Einflussnahme auf die SPD. Bei der außerordentlich schmalen Basis der klerikalen „Standesorganisationen" innerhalb der westdeutschen Arbeiterklasse, können sie diesen Einfluss nicht ohne die Hilfe rechter SPD- und Gewerkschaftsführer bekommen. Auf der anderen Seite wissen die Vertreter des politischen Klerikalismus zwar, dass die rechten Führer der SPD wirklich und absolut dem Sozialismus abgeschworen haben, aber nichtsdestoweniger wissen sie auch, dass die rechten Führer der SPD in einem bestimmten Umfang den Forderungen und dem Kampf der Massen ihrer Mitglieder für Frieden und Demokratie Rechnung tragen müssen; Bewegungen, die dann allerdings von den rechten SPD-Führern um so besser in für den Militarismus ungefährliche Bahnen abgelenkt werden. Jeder Schritt nach rechts, den die rechten SPD-Führer tun, wird zwar von den politisch-klerikalen Kräften begrüßt, aber mit weiteren Forderungen verbunden. Außerdem wird erklärt, dass die Katholiken nach wie vor außerhalb der SPD zu bleiben haben. Man verlangt die absolute Anerkennung der „katholischen Kirche als Lebensprinzip der Gesellschaft", das „Bekenntnis zu den Prinzipien des Naturrechts und zum Auftrag der Kirche, das Naturrecht authentisch zu interpretieren". In welcher Weise das thomistische Naturrecht14 für die Militarisierung Westdeutschlands benutzt wird, dafür liefert gerade die Diskussion um die Atombombe ein sehr anschauliches Beispiel. Mit einem Wort, die Selbstaufgabe der Arbeiterbewegung und ihre absolute und völlige Eingliederung in den westdeutschen Monopolkapitalismus, das ist das Ziel des politischen Klerikalismus in der Arbeiterbewegung. Die rechten Führer der SPD unterstützen durch ihre Politik der Annäherung an den politischen Klerikalismus diese Absichten. In zunehmendem Umfang wächst jedoch innerhalb der westdeutschen Arbeiterbewegung die Erkenntnis, dass nur durch ein geschlossenes Auftreten der westdeutschen Arbeiterklasse der deutsche Militarismus gebändigt werden kann. Mit vollem Recht heißt es deshalb in dem Entwurf eines Beschlusses zur Parteikonferenz der KPD: „Die christlichen Arbeiter stehen ihren sozialdemokratischen und kommunistischen Kollegen in den Betrieben tausendmal näher als den Monopolgewaltigen in der Führung der CDU, die eine Politik der sozialen Abrüstung und der militärischen Aufrüstung betreiben. Die Interessen der christlichen Werktätigen stimmen auch nicht mit denen des hohen Klerus überein, der für die NATO-Politik und die atomare Bewaffnung eintritt. Wir wollen nicht, dass es zwischen Arbeitern wegen Glaubensfragen Streit gibt. Wir sind dafür, dass Christen und Kommunisten ihre Weltanschauung frei vertreten können. Wir achten die religiösen Gefühle der christlichen Werktätigen. Wir schätzen die aus christlicher Überzeugung entspringenden Impulse für den Kampf um die soziale Gerechtigkeit und für den Frieden."

Literatur

Neuckranz: Die Wechselbeziehungen zwischen politischem Klerikalismus und Rechtssozialismus. In: Konjunktur — Krise — Krieg. Auszüge aus der Diskussion, Berlin 1959.

Neuckranz: Der Kampf der Arbeiterklasse um freie, demokratische Gewerkschaften gegen die Spaltungstätigkeit des politischen Klerikalismus. In: Katholische Soziallehre — klerikaler Volksbetrug. Berlin 1960.

Stier: Die rechten Führer der Sozialdemokratischen Partei zum Verhältnis von Partei und Weltanschauung. In König/ Stier: Zwischen zwei Parteitagen der SPD. Berlin 1959.


Erläuterungen:

1 Godesberger Programm

"Das so genannte Godesberger Programm war das Parteiprogramm der SPD von 1959 bis 1989. Es wurde am 15. November 1959 von einem SPD-Parteitag in Bad Godesberg (heute Teil von Bonn) verabschiedet.

Es vollzog auch programmatisch den praktisch längst vollzogenen Wandel der SPD von einer marxistischen Arbeiterpartei hin zu einer pragmatischen Volkspartei. Es hat in seinen Grundzügen bis heute Geltung. Vorgänger des Programms war seit 1925 das Heidelberger Programm, das bereits 1946 durch die Politischen Grundsätze der SPD abgeschwächt wurde. Das Godesberger Programm wurde 1989 durch das Berliner Programm abgelöst.

Es vollzog auch programmatisch den praktisch längst vollzogenen Wandel der SPD von einer marxistischen Arbeiterpartei hin zu einer pragmatischen Volkspartei. Es hat in seinen Grundzügen bis heute Geltung.

Entstehung

Die Sozialdemokratie befand sich nach der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus in einem Umbruch. Die Erfahrungen, die sich durch Jahre der Regierungsverantwortung und Scheitern sowie über ein Jahrzehnt in Verfolgung und Exil, sollten sich auch programmatisch niederschlagen. Nach heftigen, mehrere Jahre andauernden, Kontroversen legte der Vorsitzende der Programmkommission Willi Eichler einen Entwurf vor.

Im Programm kommen vor allem der Einfluss von Eichler, Carlo Schmid, Waldemar von Knoeringen und Fritz Erler zum Ausdruck. Als entscheidend für die erfolgreiche Annahme gilt der Schwenk Herbert Wehners zur Befürwortung liberal-demokratischer Grundsätze im Parteiprogramm.

1960 verkündete Herbert Wehner auch eine Wende in der Außenpolitik der SPD, weg von einem anvisierten gesamtdeutschen Neutralitätskonzept zur Westbindung der Bundesrepublik.

Der Orientierungsrahmen 85 von 1975 galt als Fortschreibung und Überarbeitung des Programms. Endgültig abgelöst als Grundsatzprogramm der SPD wurde das Programm am 20. Dezember 1989 durch das Berliner Programm.

Inhalt

Das Programm ersetzt viele marxistische Forderungen durch eine Befürwortung der liberalen Demokratie. Die Forderung nach Planwirtschaft wurde durch ein allgemeines Bekenntnis zur Marktwirtschaft abgelöst. Anstelle der Forderung nach Ablösung bürgerlicher Klassenherrschaft steht die Akzeptanz privaten Eigentums an Produktionsmitteln.

Zentrale Forderungen des Programms sind der Rechtsstaat, die Soziale Marktwirtschaft und die freie Entfaltung des Menschen.

Der erste Satz des Programms lautet:

Die Sozialisten erstreben eine Gemeinschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich ist am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann.

Zum Selbstverständnis der SPD heißt es:

Der Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe - Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren.

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Weblink: http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/DieZuspitzungDesKaltenKrieges_programmGodesbergerProgramm/. -- Zugriff am 2004-12-19. -- [Gesamter Text]"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Godesberger_Programm. -- Zugriff am 2004-12-19]

2 Das Godesberger Programm zu Religion und Kirche

"Religion und Kirche

Nur eine gegenseitige Toleranz, die im Andersglaubenden und Andersdenkenden den Mitmenschen gleicher Würde achtet, bietet eine tragfähige Grundlage für das menschlich und politisch fruchtbare Zusammenleben. Der Sozialismus ist kein Religionsersatz. Die Sozialdemokratische Partei achtet die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz.

Zur Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft ist sie stets bereit. Sie begrüßt es, dass Menschen aus ihrer religiösen Bindung heraus eine Verpflichtung zum sozialen Handeln und zur Verantwortung in der Gesellschaft bejahen.

Freiheit des Denkens, des Glaubens und des Gewissens und Freiheit der Verkündigung sind zu sichern. Eine religiöse oder weltanschauliche Verkündigung darf nicht parteipolitisch oder zu antidemokratischen Zwecken missbraucht werden."

3 Verein für Freidenkertum und Feuerbestattung

"Glaubt man den wenigen überlieferten Geschichtsquellen, so kamen im Februar 1905 zwölf Sozialdemokraten, darunter eine Frau, in Berlin zusammen, um einen Verein ins Leben zu rufen, der die Idee der Feuerbestattung propagieren sollte. Nicht von ungefähr waren diese Personen Berliner Freireligiöse, die sich für die Feuerbestattung engagierten. Schon 1890 hatte die Freireligiöse Gemeinde beim Berliner Magistrat – ohne Erfolg – die Genehmigung und Erbauung eines Feuerbestattungsofens zur Leichenverbrennung beantragt. Auch Petitionen an den Deutschen Reichstag und den Bundesrat wurden abschlägig beschieden. Um die Sache nicht ganz fallen zu lassen, gründeten die zwölf Gemeindemitglieder im Februar 1904 den „Sparverein für Freidenker zur Ausführung der Feuerbestattung“. Die Verhandlungen mit dem Amtsgericht wegen der Eintragung des Vereins in das Genossenschaftsregister verliefen zwar positiv, doch hielten es die Gründungsmitglieder für sinnvoll, vor der Registrierung erst noch eine größere Anzahl von Mitgliedern zu werben, um den Verein leistungsfähig zu machen.

In Paragraf 3 der Satzung regelte der Verein, dass nur Freidenker Mitglied werden konnten. Damit brachte er nicht nur seine Nähe zur entstehenden Freidenkerbewegung in Deutschland zum Ausdruck, sondern erhoffte sich zudem, „alle Differenzen mit Kirchenbehörden zu vermeiden, die Sammlung derjenigen Freidenker zu bewirken, welche sich noch nicht ihren Gesinnungsgenossen angeschlossen hatten, und auch somit der freidenkerischen Sache zu nützen.“

Als Vereinslokal wählte man das Restaurant Ostrowski, Schillingstraße 24. Vorträge wurden gehalten und 2.000 Plakate aufgehängt. Auf der Generalversammlung im Januar 1907 konnte der Vorsitzende Lehmann berichten, dass der Verein aufgrund abgeschlossener Verträge eine Bestattung bei gleicher Leistung kostengünstiger als Bestattungsinstitute ausführen könne. Um die Beschaffung von Totenautomobilen werde man sich bemühen. Und auch die Sammlung freidenkerischer Bestattungslieder, so Lehmann stolz, umfasse schon 51 Lieder und Tonmeister komponierten neue Melodien.

1910 zählte der Verein allerdings erst 39 Mitglieder. Erst die Verabschiedung des Feuerbestattungsgesetzes 1911 eröffnete dem Verein die Möglichkeit, über die bloße Propagierung einer fortschrittlichen Idee hinaus seine Ziele in der Praxis zu realisieren. Auf einer öffentlichen Mitgliederversammlung im November 1914 gab der Kassierer den Mitgliederbestand von 770 Personen bekannt. Zur Aufnahme meldeten sich am selben Abend weitere elf.

Aber erst in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg vollzog sich der stürmische Aufschwung des Sparvereins zu einer mitgliederstarken Kulturorganisation. Die Jahre der Stärke bis 1933 Im Juni 1919 erfolgte die Eintragung in das Vereinsregister als „Verein für Freidenkertum und Feuerbestattung.“

Parallel zu der großen Kirchenaustrittsbewegung in Preußen bemühte sich der Verein, die dem Christentum entfremdeten Arbeiter aufzunehmen. Atheistisch-weltanschauliche Aktivitäten traten stärker in den Vordergrund. Die solide finanzielle Grundlage des Vereins wurde allerdings durch die Inflation von 1923 schwer erschüttert. Auch dem organisatorischen Geschick des seit 1922 amtierenden Geschäftsführers Max Sievers, der später auch zum Vorsitzenden gewählt wurde, war es zu verdanken, dass der Verein sich sanieren und in der Folge selbst Darlehen an Kommunen zum Bau von Krematorien geben konnte. Ein eigenes Sägewerk und eine Sargfabrik halfen, die Feuerbestattung noch billiger zu machen.

Trotz des Widerstands der Kirchen stieg die Zahl der Feuerbestattungen ständig. Die Mitgliederzahl des mittlerweile auf das ganze Reich ausgedehnten Vereins wuchs kontinuierlich. Im Jahr 1929 gab es 1.851 Ortsgruppen und 24 Bezirksgeschäftsstellen. Seit 1925 wurde das Vereinsorgan „Der Freidenker“ in einer Auflage von 431.000 Exemplaren herausgegeben.

Im Jahr 1927 erfolgte die Verschmelzung des Vereins mit der „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ zum „Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung“.

Mit der letzten Umbenennung 1930 in „Deutscher Freidenker-Verband“ vollzogen die organisierten Freidenker endgültig den Schritt zu einer Weltanschauungsgemeinschaft.

Die kulturelle Arbeit des Verbandes fand in diesen Jahren großen Anklang bei der konfessionslosen Bevölkerung: Naturwissenschaftliche Vorträge, Filmvorführungen, Konzerte, freigeistige Feierstunden in allen Ortsgruppen und Bezirken und vor allem die Jugendweihen zeugten von der Attraktivität des Verbandes, der 1932 über eine halbe Million Mitglieder zählte.

Ende der 20er-Jahre geriet der Freidenker-Verband in die politische Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, die 1930 zur Abspaltung von etwa fünf Prozent der Mitglieder und zur Gründung einer eigenständigen kommunistischen Freidenker-Organisation führte. Durch eine Notverordnung wurde dieser „Verband proletarischer Freidenker Deutschlands“ bereits 1932 verboten. Ein im gleichen Jahr im Preußischen Landtag von den Nazis eingebrachter Verbotsantrag gegen den Deutschen Freidenker-Verband fand keine Mehrheit, bestärkte den Verbandsvorstand aber in seiner Überzeugung, dass mit Hitler das Ende des organisierten Freidenkertums bevorstehen würde. Als einzige Organisation der Arbeiterbewegung bereitete sich der Verband deshalb auf eine mögliche nationalsozialistische Herrschaft vor, indem finanzielle Mittel auf ausländischen Banken deponiert und internationale Kontakte verstärkt wurden.

Als im März 1933 das dem Verband gehörende Haus in der Kreuzberger Gneisenaustraße, in dem sich die Zentrale befand, von der SA in einer wilden Aktion besetzt wurde, bedeutete dies faktisch das Ende einer 28jährigen Aufbauarbeit zur bedeutendesten Weltanschauungsgemeinschaft in Deutschland. Der Deutsche Freidenker-Verband wurde als staatsfeindlich eingestuft und verboten, Vermögen und Immobilien beschlagnahmt. Die Angestellten wurden auf die Straße gesetzt, Verbandsfunktionäre eingesperrt oder in die Emigration getrieben."

[Quelle: http://www.humanismus.de/downloads/zukunftlesen.pdf. -- Zugriff am 2004-12-19]

4 Fritz Steinhoff

"Fritz Steinhoff (* 23. November 1897, 20. Oktober 1969) war Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen.

Fritz Steinhoff wird 1897 als Sohn einer Bergarbeiterfamilie geboren und arbeitet wie seine Eltern unter Tage. Während der NS-Zeit überlebt Steinhoff mehrere Aufenthalte in Konzentrationslagern. Nach dem Krieg wird er wieder politisch tätig und wird Oberbürgermeister von Hagen.

1949 wird Steinhoff Landesminister für Wiederaufbau in Nordrhein-Westfalen, von 1956 bis 1958 ist er Ministerpräsident dieses Bundeslandes. In dieser Zeit führt er die erste Sozial-Liberale Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Steinhoff. -- Zugriff am 2004-12-19]

5 Bistum Essen

"Bistum Essen. Die Geschichte des Bistums

Durch die päpstliche Bulle Papst Pius’ VII. “De salute animarum” (Zum Heil der Seelen) wurden 1821 die Diözesangrenzen in Deutschland neu geordnet. Doch erst 100 Jahre später gab es Überlegungen für ein Bistum an der Ruhr, “damit die Kirche den arbeitenden Menschen in dem ständig wachsenden Ballungsraum näher komme und tiefer verwurzelt werde”, wie es hieß. Verhandlungen mit der preußischen Regierung scheiterten jedoch, und es kam 1929 nur zur Gründung der Bistümer Aachen und Berlin. Die kommunale Neuordnung im selben Jahr sprach jedoch weiterhin dafür, möglichst bald ein neues Bistum “Ruhrgebiet” zu errichten. Denn inzwischen verliefen die Diözesangrenzen quer durch die Städte Duisburg, Oberhausen und Gelsenkirchen.

1951 wurden die alten Pläne zur Gründung eines neuen Bistums wieder aufgegriffen. Die Verhandlungen zwischen Vatikan und Land Nordrhein-Westfalen führten am 19. Dezember 1956 zu einem Vertrag über die Errichtung des Bistums Essen.

Danach traten das Erzbistum Köln zehn Dekanate mit 100 Gemeinden und 520.000 Katholiken, das Bistum Münster zehn Dekanate mit 82 Gemeinden und 450.000 Katholiken sowie das Erzbistum Paderborn neun Dekanate mit 91 Gemeinden und 370.000 Katholiken an das Ruhrbistum ab. Bischofskathedrale wurde die alte Stiftskirche, das 1100jährige Münster am Hellweg. Die Randgebiete dreier Bistümer hatten nun eine neue Mitte.

Zum ersten Bischof des neuen Bistums ernannte Papst Pius XII. am 18. November 1957 den Paderborner Weihbischof Dr. Franz Hengsbach. Mit seiner feierlichen Inthronisation am 1. Januar 1958 durch den Apostolischen Nuntius in Deutschland, Aloisius Muench, war das Bistum errichtet."

[Quelle: http://www.bistum-essen.de/geschich.htm. -- Zugriff am 2004-12-19]

6 Bischof Franz Hengsbach (1910 - 1991)

7 Erfurter Programm: die im Oktober 1891 auf dem Kongreß zu Erfurt vorgenommene Revision des 1875er Gothaer Programms der deutschen Sozialdemokratie.

8 Forderungen im Erfurter Programm:

5. Erklärung der Religion zur Privatsache. Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu religiösen und kirchlichen Zwecken. Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen.

6. Weltlichkeit der Schulen. Obligatorischer Besuch der öffentlichen Volksschulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehrmittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksschulen sowie in den höheren Bildungsanstalten für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeit zur weiteren Ausbildung als geeignet erachtet werden.

[Quelle: http://www.marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1891/erfurt.htm. -- Zugriff am 2004-12-19]

9 Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO: Seine Heiligkeit Papst Pius XI. (1931) An die Ehrwürdigen Brüder, Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und die anderen Oberhirten, die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben, und an alle christgläubigen Katholiken des Erdkreises, über die Gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem Heilsplan der Frohbotschaft zum 40. Jahrestag des Rundschreibens Leo's XIII. "Rerum novarum" [Voller Text in Deutsch: http://198.62.75.1/www1/overkott/quadra.htm. -- Zugriff am 2004-12-19]

10 Quadragesimo anno:

117. ... Unserer väterlichen Hirtensorge Genüge zu tun, erklären Wir: der Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung, auch nachdem er in den genannten Stücken der Wahrheit und Gerechtigkeit Raum gibt, bleibt mit der Lehre der katholischen Kirche immer unvereinbarer müßte denn aufhören, Sozialismus zu sein: der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung ist unüberbrückbar.

120. Enthält der Sozialismus - wie übrigens jeder Irrtum - auch einiges Richtige (was die Päpste nie bestritten haben), so liegt ihm doch eine Gesellschaftsauffassung zugrunde, die ihm eigentümlich ist, mit der echten christlichen Auffassung aber in Widerspruch steht. Religiöser Sozialismus, christlicher Sozialismus sind Widersprüche in sich; es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein.

11 Der Katholik und die SPD. -- Bonn : Vorstand d. SPD, 1959. --  41 S. ; 8°

12 Seit über 100 Jahren vertritt die Sozialistische Bodensee-Internationale (SBI) in einem vielfach konservativ-katholischen Umfeld sozialdemokratisches Gedankengut. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wirken mit der SBI auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene mit an der Entwicklung der «Euregio Bodensee».  Webpräsenz der SBI: http://www.bodensee-internationale.org/. -- Zugriff am 2004-12-19

13 wahrscheinlich P. Oskar Simmel SJ

14 Thomistisches Naturrecht:

"Thomas von Aquino verbindet an ihm (Traktate de legibus und de iustitia, S. Th. 1/II, q. 90-108; 2/II, q. 57) das augustinische Erbe mit aristotelischem, römisch-rechtlichem, kanonistischem und biblischem Material zum klassischen Gebäude der bis heute wirksamen kath. Naturrechtslehre. An die Stelle der durch den Gedanken der Schöpfung bestimmten Fassung des Naturrechts als ordnender Kraft tritt seine teleologische Bestimmtheit, sein Hingeordnetsein auf Zwecke. Thomas unterscheidet demgemäß 4 Arten von Gesetzen: a) göttliche Gesetze, die auf übernatürliche Zwecke zielen und durch Offenbarung kundgetan werden; b) positive menschliche Gesetze auf Grund c) des Naturrechts aus dem d) Weltgesetz. Das Weltgesetz ist das augustinische Element in der thomistischen Rechtsmetaphysik, das der lex aeterna entsprechende Müssen in der Dingwelt, das nun mit Aristoteles teleologisch interpretiert, dem Menschen gegenüber zu dem im Naturrecht gefassten, rational gegründeten Sollen wird und so den Menschen für Aufgabe und Ziel des Weltgesetzes, die Einhaltung einer vollkommenen Ordnung, beansprucht. Naturrecht ist mithin »Teilnahme am ewigen Gesetz in einem vernünftigen Wesen« und gilt nur für die rationale Kreatur. Das Naturrecht ist so ontologisch begründetes Vernunft-Recht. Im menschlichen Geist gewinnt die lex aeterna als Vernunftvorschrift verpflichtende Kraft. Die Inhalte des Naturrechts sind bezogen auf objektive Wesensverhältnisse, ontologische Wertordnung einerseits, auf das natürliche Verlangen (desiderium naturale) nach dem Gut(en), den Seinsvollkommenheiten der eigenen Person ebenso wie anderer Wesen, andererseits. Das Naturrecht ist der Inbegriff der natürlichen Sittlichkeit gemäß den Seinsschichten der menschlichen Person in organischer Ordnung. Es handelt sich dabei um die Stufung der Gebote des Naturrechts auf Grund des Triebes zur Selbsterhaltung, auf Grund der animalischen Naturhaftigkeit (Erzeugung und Aufzucht von Nachkommen, hier die naturrechtliche Begründung der Monogamie! Ehe: VI) und auf Grund der Vernunftnatur des Menschen (z. B. Recht auf und Pflicht zur Ausbildung des Geistes; Familie: IV). Zu dem darin wirkenden Naturrecht (ius) verhält sich das »natürliche Gesetz« (lex) als Plan bzw. Norm des Rechts. So werden im Rahmen des Naturrechts menschliche Grundrechte auf Leib und Leben, auf Eigentum (: II, 2), Arbeit (: III, 6a), Nachkommenschaft, Gewissensfreiheit (ein Naturrecht der physischen Freiheit kennt Thomas nicht) usw. aufgebaut; ebenso das Naturrecht der Gemeinschaften: Familie, Staat, Kirche. Im Prinzip ist das Naturrecht unveränderlich, allerdings nur in seinen obersten Grundsätzen, aber auch in einigen abgeleiteten Schlussfolgerungen wie z. B. dem Doppelgebot der Liebe und dem Dekalog. Das im AT und NT enthaltene göttliche Gesetz regelt auf dem Hintergrund des Naturrechts die übernatürlichen Lebensordnungen. Seine Moralvorschriften gehören zum Naturrecht. Das positive menschliche Gesetz ist nach dem Fall notwendig zur Auslegung und Anwendung des Naturrechts. - Das Naturrecht dieser Rechtsmetaphysik ist ausgesprochenermaßen Vernunft-Recht, aber es ist nicht rationalistisch. Es ist das dirigierende Sichaussprechen der Weltvernunft Gottes in der Wesenheit der Dinge gegenüber der vernunftgemäßen Rezeptivität und Aktivität der creatura rationalis und für sie. Die Bibel bestätigt und ergänzt es, es gehört aber nur zu geringem Teil zu ihrer »Offenbarung«. Die Einheit der von Augustin übernommenen Dreigliederung wird bei Thomas durch den Gedanken der Teilhabe der lex naturalis an der lex aeterna und der lex humana an der lex naturalis gewahrt. Dazu kommt das verbindende Schema von Natur und Übernatur, Vernunft und Offenbarung und das Prinzip der analogia entis.

In der späteren mittelalterlichen Entwicklung wird dieser Befund nur noch variiert, teils mehr die Seinsordnung betont ( Duns Scotus), teils mehr der souveräne Wille Gottes, der auch eine andere lex aeterna hätte setzen können ( Ockham). Im 14. Jh. beginnt die Verlagerung des Naturrechts in die autonom- schöpferisch gefasste menschliche Vernunft ( Marsilius von Padua) bzw. die Selbstherrlichkeit des Herrschers; oder der Unterschied von menschlichem und göttlichem Recht wird im Selbstbewusstsein des Geistes aufgehoben, in dem Göttliches und Menschliches vereint auch den Urgrund des Rechts bilden ( Nikolaus von Kues)."

[Quelle: Ernst  Wolf (1902 - 1971). -- In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG3). -- Bd. 4. -- 1960. -- Sp. 1361f.]


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