Religionskritik

Iusiurandum contra errores modernismi = Antimodernisteneid (1910)

von

Pius X.


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Pius <Papa, X.> <1835 - 1914>: Iusiurandum contra errores modernismi = Antimodernisteneid (1910-09-01). -- Fassung vom 2004-04-12. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm

Erstmals publiziert: 2004-04-12

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Einleitung



Abb.: Der Glaube. -- Heiligenbildchen. -- Frankreich, 19. Jhdt.

Am 1. September 1910 hat Papst Pius X. mit dem Motu proprio "Sacrorum antistites" für alle Priester, Bischöfe und Theologieprofessoren den Antimodernisteneid vorgeschrieben. Bis 1967 mussten diesen alle Angehörigen der genannten Gruppen ablegen. Das bedeutet, dass fast alle heute (2004) lebenden Priester, Bischöfe, Kardinäle und Theologieprofessoren, die ca. 60 Jahre und älter sind, diesen Eid geschworen haben. Dieser Eid ist nicht nur ein Beleg für das reaktionäre Wesen des Katholizismus, sondern auch ein Beispiel für die Unwahrhaftigkeit und Neigung zum Meineid in vielen Christentümern. Ich (Alois Payer) konnte 1962 bis 1965 beobachten, mit welcher Leichtigkeit katholische Theologen bereit waren, diesen Eid zu leisten, auch wenn er ihren Überzeugungen voll widersprach. Diese Bereitschaft zum Meineid und zur Falschaussage ist alle´rdings kein Spezifikum des Katholizismus: man sehe nur auf den unbekümmert-leichtfertigen Umgang mit Glaubensbekenntnissen, Bekenntnisschriften, Amtseiden u. dgl. durch Funktionäre der verschiedensten Kirchen, vor allem auch lutherischen und reformierten. Jeden Sonntag sprechen unzählige Kirchenbesucher Glaubensbekenntnisse ("Ich glaube ..."), an deren Inhalt  sie in keiner Form glauben. Ein großer Teil der protestantischen Geistlichkeit glaubt nicht an den Inhalt der Bekenntnisschriften, die sie aber ihrem Amtseid zugrundelegen. Die meisten Kirchen sind ein Ausbund an Unwahrhaftigkeit und Heuchelei, obwohl sie sich als Hüter der Moral ausgeben.


Abb.: ""Dö Instrumenterl sollt'n ma no haben, nacha waar's besser um unsern heiligen Glaub'n b'stellt.". -- Karikatur von Wilhelm Schulz. -- In: Simplicissimus. -- 1904


1.1. Über Pius X.


"Pius X.

Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Pius X. - bürgerlicher Name Giuseppe Sarto - war Papst von 1903 bis 1914.

Er wurde am 2. Juni 1835 in Riese, Provinz Treviso, geboren. 1858 wurde er zum Priester geweiht, 1875 wurde er Domherr in Treviso, 1884 Bischof von Mantua, 1893 Patriarch von Venedig. Am 4. August 1903 wurde er zum Nachfolger von Papst Leo XIII. gewählt, nachdem ein Veto Österreichs die Wahl von Kardinal Rampolla nichtig machte.

Pius X. war ausgesprochen konservativ. Er verurteilte den Modernismus in zahllosen Veröffentlichungen, unter anderem 1907 in dem Dekret Lamentabili und in der Enzyklika Pascendi. 1910 führte er den Antimodernisteneid ein.

In sein Pontifikat fallen Auseinandersetzungen mit europäischen Staaten, so wurden die diplomatischen Beziehungen zu Spanien und Frankreich abgebrochen und 1905 das Konkordat mit Frankreich (von 1801) aufgehoben.


Abb.: "Rupture du Concordat" (Bruch des Konkordats): den Republikanern unter der Führung Clemenceaus steht Pius X. und sein Staatssekretär. Merry del Val gegenüber.  -- Karrikatur von Jules-Felix Grandjouan(1875 - ). -- In: L'Assiette au Beurre. -- Heft 176 (1904-08-13)

[Bildquelle: Bilderwelten. -- Dortmund : Cramers Verlagsanstalt. -- Teil: 2., Satirische Illustrationen im Frankreich der Jahrhundertwende : 7.3. - 8.5.1986, Museum für Kunst u. Kulturgeschichte d. Stadt Dortmund / [Katalog u. Ausstellungskonzeption: Sepp Hiekisch-Picard. Übers.: Catherine Nozière ; Dominique Picard. Graph. Gestaltung: Christiane Bauert]. -- 1986. -- 240 S. : überwiegend Ill.. -- ISBN 3-924302-17-0. -- S. 172]

Pius X. starb am 20. August 1914 in Rom und ist im Petersdom beigesetzt. Sein Nachfolger war Papst Benedikt XV. Pius X. wurde durch Papst Pius XII. im Jahr 1951 selig- und im Jahr 1954 heiliggesprochen. Er ist der bisher letzte heilig gesprochene Papst.

Werke

  • Apostolisches Rundschreiben E Supremi Apostolatus, 4. Oktober 1903. "Alles in Christus erneuern"
  • Apostolisches Rundschreiben Iucunda Sane, 12. März 1904. Zum 13000 jährigen Jubiläum des Heimganges von Papst Gregor I., dem Großen.
  • Apostolisches Rundschreiben Pascendi Dominici Gregis, 8. September 1907. Über die Lehren der Modernisten.
  • Motuproprio Praestantia Scripturae, 18. November 1907. Über die Exkommunikation der Modernisten.
  • Apotolisches Rundschreiben Editae Saepe Dei, 26. Mai 1910. Zur Dreihundertjahrfeier der Heiligsprechung des heiligen Karl Borromäus. "

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pius_X.. -- Zugriff am 2004-04-10]

Über das Wirken als Papst aus einer Heiligenbiographie Pius' X.:


Abb.: Pius X. in Pontifikalgewand

"SEIN WERK

Erst zögerte und zauderte der neue Papst, ob er den Namen Benedikt wählen solle. Dann entschied er sich für Pius. Mehrere Päpste dieses Namens hatten gelitten und gestritten. Auch dem zehnten Pius sollte ein vollgerütteltes Maß von Leid und Kampf beschieden sein. Die innere Qual, die er wegen des, menschlich gesehen, unerträglich schweren Amtes ausstand, ließ ihn an einem der ersten Tage seines Pontifikates in Ohnmacht fallen. Einem Prälaten, der in diesen ersten Zeiten dem tief bekümmerten Papst begegnete, ward die Antwort zuteil: «Eine Gondel zu führen, ist etwas anderes, als ein Kriegsschiff zu steuern.» Eine Antwort, die den tiefsten Grund der Besorgnis Pius' X. aufzeigte. Doch mit jenem unerschütterlichen Glauben und mit jener wahren Frömmigkeit, die ihm stets eigen waren und die auch sein ganzes Pontifikat kennzeichneten, vertraute Papst Pius auf die Kraft und Erleuchtung von oben.

Zunächst rief er einen Mann an seine Seite, der zu einem seiner engsten und treuesten Mitarbeiter werden sollte. Noch am Abend des vierten August, dem Tag seiner Erwählung, bat er den Sekretär des Konklave, Monsignore Merry del Val, «bei mir zu bleiben». Mit diesen schlichten Worten ernannte er seinen Staatssekretär. Merry del Val zählte erst achtunddreißig Jahre, war von Geburt Spanier, doch in England erzogen worden und - nicht einmal Kardinal. Pius X. brach also mit einem jahrhundertealten Brauch, der nur Italiener und ausschließlich Kardinäle zu diesem hohen Amte zuließ. Über so viel selbständiges Vorgehen waren nicht wenige Purpurträger überrascht, fühlten sich übergangen und waren beleidigt. Der neue Papst aber zeigte durch diese Ernennung, dass er gesonnen war, seine Entschlüsse unabhängig zu treffen. Außerdem bewies er erstaunlichen Scharfblick in der Wahl dieses jungen Prälaten, mit dem er am Tage zuvor erstmals ins Gespräch gekommen, dessen guten Kopf und Zuverlässigkeit er aber allsogleich erkannt hatte.

Vier Monate nach seiner Krönung gab Papst Pius X. in der Enzyklika «E supremi apostolatus cathedra» sein Regierungsprogramm bekannt: Alles in Christus erneuern. Diesen Plan geistiger Erneuerung bestätigte er kurz darauf in einer Ansprache, in der er unerschrocken kundtat: Er werde die Wahrheit und Christi Gesetz verteidigen, die Grundsätze der Ordnung, der von Gott eingesetzten Gewalt und der Gerechtigkeit verfechten; sein Vorsatz sei, alle Menschen wieder auf den Weg von Recht und Billigkeit zurückzuführen, im öffentlichen wie im privaten Leben, auf politischem wie auf sozialem Gebiet. Das Pontifikat Papst Pius' X. mit seinen bis auf den Grund religiös erfassten und durchdrungenen Wegen und Zielen ist der Ausdruck des unbeugsamen Willens, alles zu Christus zu führen, um Christus den Vorrang in der Welt einzuräumen, der Ihm gebührt. Ursprung und Beweggrund der einzelnen Handlungen dieses Papstes findet man deutlich in seiner Persönlichkeit verankert, und deren grundlegende Keime sind in den Ämtern, die er vordem innehatte, zu suchen. Wie als Bischof, so nahm er auch als Papst das Priestertum zur Grundlage aller geistigen Erneuerung. Der Priester ist in erster Linie gemäß seiner Auserwählung und Berufung der Mann, der Gott gehört. Darum muss er ein Mann der Tugend sein. Nur so kann der Priester sein hohes und schweres Amt, die Menschen zu Christus hinzuführen, voll und ganz und würdig ausüben. Dieser Auffassung und Überzeugung entsprechend ordnete Pius X. für die werdenden Priester eine lange und gründliche Vorbereitung durch Studium, geregeltes Seminarleben und Gebet an. Er gab den Priesterseminarien neuen Auftrieb und gründete in Italien Regionalseminarien. Für die Aufnahme von Priesteramtskandidaten und für die Wahl von Professoren an die Priesterseminare stellte er strenge Bestimmungen auf. Den Empfang der heiligen Priesterweihe machte er von der Erfüllung strengster Bedingungen abhängig. Die ersten sechs Jahre seines Pontifikates widmete der Papst zu einem großen Teil dieser Sorge um den Priesterstand. Zu Anlass des 50-Jahr-Jubiläums seiner eigenen ersten heiligen Messe schrieb er eigenhändig einen Aufruf an seinen Klerus. Die Heiligkeit ist eine Frucht der Gnade und des Gebetes, mahnt Papst Pius X. in diesem Sendschreiben, dem er aus reicher Erfahrung heraus Anordnungen voll tiefer Weisheit beifügte. Mit Worten zärtlicher Liebe, die im Gebet des Heilandes: «Vater, heilige sie!» ihren erhabensten Ausdruck findet, endet das Schriftstück. Ohne sich dessen bewusst zu sein, zeichnete Pius X. in diesem Dokument sich selbst für die Nachwelt.

Pius' X. überragendes Verwaltungstalent kam auch der äußern Leitung der Kirche zugut. Beweis dafür ist unter anderem die von ihm im Jahre 1908 festgelegte Neuordnung der Kurie. Die ursprüngliche Form der römischen Kongregationen, denen die einzelnen Belange der Kirche anvertraut sind, hatte sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Zudem bezogen sich mehr als die Hälfte der damals bestehenden Kongregationen auf die Verwaltung der Stadt Rom und des ehemaligen Kirchenstaates. Fünf Entwürfe, deren erste Zeilen alle von der Hand des Papstes geschrieben waren, befassten sich mit der Neuregelung. Reine Verwaltungsangelegenheiten wurden scharf getrennt von Fragen rechtlicher Natur. Die Befugnisse des Staatssekretariates wurden erweitert, die Obliegenheiten jeder kirchlichen Behörde genau und unmissverständlich umschrieben. «Ignis ardens», das brennende Feuer will alles vernichten, entsetzten sich gewisse Köpfe in der Kurie. Trotz ihrem Sichsträuben wurden die neuen Gesetze ausgearbeitet und in Kraft gesetzt, und sie bewährten sich. Im Jahre 1904 nahm Pius X. ein Werk von ungleich weittragenderer Bedeutung ungeachtet größter Schwierigkeiten in Angriff: Die Kodifikation des Kirchenrechts. Alles kirchliche Recht sollte in einem Gesetzbuch zusammengefasst werden. Auch in diesem Bereich hatte sich im Laute der Zeit so vieles und auch Nutzloses, Überholtes und Nichtmehrgültiges angehäuft, dass es nicht verwunderlich war, wenn viele vor lauter Gesetzen und Vorschriften das Recht nicht mehr sahen. Aus diesem Grunde blieb denn auch manche gesetzliche Regelung unwirksam und unbeachtet. Es galt also, in sorgfältigster, mühsamer und gewissenhaftester Arbeit veraltete Gesetze auszuscheiden, andere, die durch Gewohnheit Rechtskraft erlangt hatten, sinngemäß zu formulieren und unvollständige oder ungenaue Gesetzesbestimmungen zu ergänzen oder neu zu fassen. Papst Pius' X. angeborener, ausgeprägter Ordnungssinn, gepaart mit dem Talent zu praktischer Regelung, legte die Grundlagen und förderte die Schaffung eines Werkes, das heute als kirchliches Gesetzbuch, als Codex iuris canonici, die Bewunderung prominentester Fachleute findet. All diese Neuerungen betrafen jedoch mehr die äußere Ordnung, sozusagen das Gerüst der Kirche. Für Pius X., dessen ganzes Wesen auf das Übernatürliche eingestellt war, durften sie nicht die Hauptsache darstellen. Das Hauptanliegen, zu dem ihn sein Herz als Vater der Christenheit trieb, war: nach Mitteln zu suchen, um die Menschen für Christus zu gewinnen. Allen Gläubigen den Zugang zu jener Hilfe, die uns durch die Sakramente zuteil wird, weit zu öffnen, war dem Seelsorger Pius X. innerste Herzensangelegenheit. Er überwand insbesondere die verbohrten Widerstände jansenistischer Färbung gegen den häufigen Empfang der heiligen Kommunion. Kraft seines obersten Hirtenamtes ermahnte er nicht nur die Erwachsenen, sich öfters, ja täglich von dieser göttlichen Speise zu nähren. Er führte auch die Kinder hin zum eucharistischen Heiland, sobald sie in das Alter der Vernunft traten. Und siehe: in den Reihen der Kinder erblühte die Heiligkeit, und in einer zusehends heidnischer werdenden Welt fand das Kind durch die Frühkommunion den wirksamsten Schutz seiner Reinheit und Unschuld.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass in den Menschen die christliche Wahrheit immer mehr sich verdunkelt, weil die religiöse Unwissenheit groß ist, veröffentlichte der Papst eine Reihe von Anweisungen über die Belehrung in Fragen der Religion. Seine größte Aufmerksamkeit galt dem Katechismusunterricht. Nicht nur stellte er dafür Richtlinien auf, er selber arbeitete einen Katechismus für die italienischen Schulen aus, dessen endgültiger Text zwei Jahre vor dem Tode des Papstes vollendet vorlag.

Seit Beginn seiner priesterlichen Laufbahn liebte Giuseppe Sarto die Kirchenmusik und war dieser Form gottesdienstlicher Handlung besonders zugetan. Papst geworden, setzte er sich energisch für die Erneuerung des liturgischen Gesanges ein. Er tat alles, um den schönen, alten gregorianischen Kirchengesang wieder zu Ehren zu bringen. Sein Motu Proprio «Tra le sollecitudine » vom 22. November 1903 zeugt dafür.

Als Pius X. mit fester Hand das Steuer des Schiffleins Petri ergriff, war der Sturm gegen die katholische Kirche bereits im Anzug. Seit geraumer Zeit waren kritisch sich gebärdende Geschichtsforscher und Religionsphilosophen an der Arbeit, um das Glaubensgut der katholischen Kirche als unecht, überholt oder gar irrig zu erklären. Kein Werkzeug war ihnen für diese niederreißende Arbeit zu schlecht, und oft genug waren leider auch Priesterhände daran beteiligt. Aus den bibelkritischen Angriffen gegen die Heilige Schrift wurden Angriffe gegen die Gottheit Christi und gegen die Existenz Gottes. Es war fürwahr Gottes Fügung, dass in dieser Zeit auf dem Felsen Petri ein Mann der Vorsehung stand, der zeit seines Priesterlebens ein treuer Hirte des christusgläubigen Volkes war. Der erfahrene Pfarrer und Bischof in Giuseppe Sarto ermaß sofort und klar die große Gefahr für die Seelen, die von Glaubensfeinden, die sich «Modernisten» nannten, drohte. Der Nachfolger des Apostels erwies sich als ein unerschütterlicher Bekenner und Bewahrer des wahren, unverfälschten Glaubens. In einem Kampf, der fünf Jahre währte, wies der Papst jeden zurück, der sich unberufen in das religiöse und geistliche Leben der Kirche einmischen wollte. Mit einer Unerschrockenheit, die ihn historischen Päpsten würdig an die Seite stellt, verurteilte er am 3. Juli 1907 durch das Dekret «Lamentabili sane exitu» und am 8. September 1907 durch die Enzyklika «Pascendi dominici gregis» die Irrlehre des Modernismus.

Papst Pius zeigte sich auch dem Staat gegenüber als furchtloser, nie wankender Verteidiger der Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche. Eine Fehde, die ihn am meisten betrübte, musste er mit Frankreich, der «erstgeborenen Tochter der Kirche», ausfechten. Die französische Regierung verlangte von den Geistlichen des Landes die Zustimmung zu einem kirchenfeindlichen Statut, das der Einmischung weltlicher Instanzen in das religiöse und kirchliche Leben Tür und Tor geöffnet hätte. Dieses Statut zurückweisen, hieß die Enteignung kirchlicher Vermögen und Güter und damit die Verarmung des Klerus in Kauf nehmen. Frankreichs radikale Regierung glaubte, mit einem einstigen Landpfarrer leichtes Spiel zu haben. Er wird, so berechnete sie, nach Bauernart auf irdische Güter großes Gewicht genug legen, um sie nicht dieses Statutes wegen in Gefahr zu bringen. Wer so spekulierte, übersah eines: Dieser arme Landpfarrer auf dem Stuhle Petri hielt Herz und Sinn so unverrückbar auf das Übernatürliche gerichtet, dass kein irdischer Wert ins Gewicht fallen konnte, wo es um das Heil der Seelen ging. Und so erklärte denn Pius X.: «Ich verlange nicht die Güter, sondern das Gute für die Kirche!» Im Einverständnis mit dem Klerus Frankreichs ertrug er die widerrechtliche Beraubung, um die Freiheit der Kirche und der Seelen zu retten. Im Jahre 1905 brach die französische Regierung die Beziehungen zum Heiligen Stuhl ab.

Die Politik, die Pius X. verfolgte, war die Politik der Rechtlichkeit, die von Verstellung nichts wusste und sich einfach und gerade nach Gott richtete. So stand Papst Pius X. als Hirte und Lehrer, als Vater und Oberhaupt der Kirche untadelig vor seinen Zeitgenossen. Dieser heilige Lenker eines geistigen Reiches erregte Aufsehen durch die außergewöhnliche Kraft, mit der er der Welt gegenüber für göttliches Recht, Wahrheit und Gerechtigkeit eintrat."

[Quelle: Matt, Leonard von [Fotos] ; Vian, Nello [Text]: Pius X. -- Zürich : NZN Buch-Verlag, ©1954.  -- 240 S. : Ill. -- S. 163 - 168]


1.2. Zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des Antimodernisteneids


"Die Interventionen Roms

Die feierliche Verurteilung des Modernismus erfolgte erst im Jahre 1907; doch fehlte es schon in den Vorjahren nicht an Warnzeichen, die den bevorstehenden päpstlichen Bannstrahl erwarten ließen. Bereits in den ersten Monaten des Pontifikats, am 16. Dezember 1903, waren Loisys Hauptwerke auf den Index gesetzt worden. Einige Monate später hatten die Enzykliken »Ad diem illum« (2. 2. 1904) und »Iucunda sane accidit« (12. 3. 1904) eindringlich vor den »novarum rerum molitores« gewarnt, die mit Hilfe von großem wissenschaftlichem Aufwand die Geschichte der Anfänge des Christentums wieder in Frage stellen wollten. Im Dezember des gleichen Jahres ermahnte der Papst die Bischöfe zur unnachgiebigen Härte gegenüber den Seminaristen mit zu freizügiger Geisteshaltung, die es an der gebührenden Achtung vor »der von unseren großen Lehrern, den Kirchenvätern und den Kirchenlehrern, Interpreten der geoffenbarten Lehre, abgeleiteten Wissenschaft fehlen lassen«. Ähnliche Warnungen enthielten Anfang des nächsten Jahres auch ein Brief an den Rektor des Institut catholique von Paris und eine Ansprache an die Schüler des Französischen Seminars in Rom, die eine ziemlich deutliche Anspielung auf Loisy enthielt. Im Herbst 1904 waren zwei hervorragende Exegeten, P. Genocchi vom Römischen Seminar und P. Gismondi von der Gregoriana, als Professoren von zwei Männern abgelöst worden, die eine Anwendung der kritischen Methoden auf die Texte der Heiligen Schrift grundsätzlich ablehnten. Der eine von ihnen, P.A. Delattre, hatte kurz zuvor P. Lagrange und die »neue Exegese-Schule« schärfstens angegriffen. Im August 1905 wurde P. Fleming als Sekretär der Bibelkommission durch Dom L. Jannsens ersetzt, einen Theologen scholastischer Prägung, der über keine besondere Kompetenz auf dem Gebiet der Exegese verfügte, während ausgesprochen konservative neue Konsultatoren das ursprünglich vorhandene Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Richtungen beseitigten. Die Folgen dieser Veränderungen machten sich auch bald recht deutlich bemerkbar: Während die beiden ersten Stellungnahmen der Kommission, nämlich über die in der Bibel enthaltenen eigentlichen Aussagen (13. 2. 1905) und über die biblischen Berichte, die nur scheinbar historisch sein sollten (23. 6. 1905), das Problem mit Mäßigung angingen, waren die darauf folgenden Antworten über die mosaische Authentizität des Pentateuch (27. 6. 1906) und über die johanneische Authentizität des 4. Evangeliums viel reaktionärer abgefasst. Von den beiden Schulen, die, sogar in Rom, mehr oder weniger einander aufhoben, weil die eine Toleranz und Geduld empfahl, um den Weizen nicht mit dem Unkraut auszureißen, die andere dagegen Strenge predigte, wobei sie die radikalsten Stellungnahmen groß herausstellte, konnte die letztere mehr und mehr das Vertrauen des Papstes für sich in Anspruch nehmen, zumal diesen die Unvorsichtigkeiten mancher italienischer Verbreiter der neuen Gedanken schließlich zu der Überzeugung brachten, die Rechtgläubigkeit, für die er die Verantwortung trage, sei ernsthaft bedroht, obwohl er andererseits anerkennen musste, dass auf dem Gebiet der Exegese eine umsichtige Aufgeschlossenheit durchaus angebracht sei.

In Rom war bereits von 1904 ab ein heftiger Kampf gegen Blondel und Laberthonnière geführt worden war, unter anderem von dem Schweizer K. Decurtins. Bis Ende 1905 hatten hier jedoch vor allem Loisy und die progressistischen Exegeten die Aufmerksamkeit des Heiligen Stuhles auf sich gezogen. Aber die Welle der Reformbewegung, die in Italien immer weitere Kreise zog, vergrößerte den Katalog der dringenden Anliegen und lenkte die Aufmerksamkeit auch auf andere Probleme, die allmählich immer offener erörtert wurden. Im Dezember 1905 veröffentlichten die Bischöfe der Provinzen Turin und Vercelli einen gemeinsamen Hirtenbrief, in dem zum ersten Mal in einem kirchlichen Dokument das Wort »Modernismus« auftauchte, und die darin enthaltenen Warnungen wurden dann auch von vielen anderen Bischöfen übernommen. Das nächste Jahr brachte weitere Maßnahmen: Während die Index-Kommission am 4. April den Roman »Il santo« von Fogazzaro und die - schon mehrere Jahre alten - Bücher von Laberthonnière verdammte, wurde unter Führung von Msgr. De Lai und Kardinal Gennari eine systematische Kontrolle der italienischen Seminare durchgeführt. Verschiedene Professoren wurden von ihren Lehrstühlen abberufen, ohne dass ihnen auch nur Gelegenheit zu ihrer Verteidigung geboten worden wäre. So entwickelte sich in Rom eine schwüle Atmosphäre von Verdächtigungen. Allenthalben spürte man das Herannahen des Gewitters.

Dieses Gewitter kam dann im Verlauf des Jahres 1907 zum Ausbruch. Immer feierlichere Acta folgten einander im Verlauf von einigen Monaten. Am 17. April wandte sich Pius X. im Rahmen einer Konsistorialansprache, die großes Aufsehen erregte, energisch gegen den »neo-reformismum religiosum«, der sich mit wachsender Kühnheit ausbreite. Ende des gleichen Monats richtete der Präfekt der Indexkommission eine ernste Warnung an die Mailänder Gruppe des »Rinnovamento«. Am 14. Juni sandte Pius X. an den Wiener Professor Commer ein Breve, in dem er ihn dazu beglückwünschte, erneut die Irrtümer von H. Schell, der als einer der Hauptvertreter des Reformkatholizismus galt, zerhackt zu haben. Am 17. Juli wurde das Dekret des Heiligen Offiziums »Lamentabili sane exitu« veröffentlicht, über dem seit mehreren Jahren gebrütet worden war und das als Hauptquelle eine Liste von Behauptungen enthielt, die zwei Pariser Theologen aus den »kleinen Büchern« Loisys ausgezogen hatten. Das Dekret verurteilte 65 Thesen, die die Autorität des kirchlichen Lehramtes, die Inspiration und die geschichtlichen Werte der Bücher der Heiligen Schrift, die Begriffe Offenbarung, Dogma und Glaube, gewisse Aspekte des christologischen Dogmas, das durch die jüngsten Diskussionen in Frage gestellt wurde, den Ursprung der Sakramente, die Konstitution der Kirche und die Natur der christlichen Wahrheit im allgemeinen betrafen. Und schließlich wurde dann am 8. September die Enzyklika »Pascendi« veröffentlicht. Da sie weniger die Gedanken der einzelnen Urheber des Modernismus völlig exakt darlegen, sondern vielmehr die Spiegelung dieses Gedankengutes im Bewusstsein der Gemeinschaft schildern wollte, begann sie mit einer etwas erkünstelten Synthese des Modernismus, wobei sie die verschiedenen gebrandmarkten Irrtümer auf den Agnostizismus zurückführte, der den Wert der rationalen Beweisführungen auf religiösem Gebiet bestreitet, und auf die Immanenzphilosophie, die den Ursprung der religiösen Wahrheit in den Bedürfnissen des Lebens sieht. Diese Philosophie beherrscht und bestimmt eine eigene Theologie: der Glaube ist die Wahrnehmung Gottes, der im menschlichen Bewusstsein wirkt. Dieser Glaube führt zur Entstehung des Dogmas, das sich auf dem Wege der Lebensentwicklung dank der Verstandesarbeit auf der Grundlage dieser Erfahrungstatsache formt. Genauso hat das Bedürfnis, »der Religion einen sinnlich wahrnehmbaren Corpus zu geben«, die Sakramente geschaffen; die Bücher der Heiligen Schrift enthalten die Sammlung der von den Gläubigen Israels und von den ersten Jüngern Christi gemachten Erfahrungen; die Kirche ist eine Frucht des Kollektivbewusstseins, und die einzige Aufgabe der Autorität besteht hier darin, die Empfindungen der Individuen zum Ausdruck zu bringen. Die Enzyklika brandmarkte dann die modernistische Konzeption der Bibelkritik und die rein subjektiven Methoden der Apologetik sowie die Forderungen des Reform-Modernismus. Sie schloss in ihrem dritten, disziplinarischen Teil mit der Aufzählung einer ganzen Reihe praktischer Maßnahmen (»Heilmittel«) zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Übels, vor allem in den Seminaren (erneute Verpflichtung zum Studium der scholastischen Philosophie und Theologie, Überwachung des Schrifttums, Consilia vigilantiae in jedem Bistum).

Mit Begeisterung wurde die Enzyklika in den konservativen Kreisen aufgenommen, die sie sich schon lange gewünscht hatten und die sie sofort mit einem wahren Freudentaumel begrüßten. Viele Gemäßigte bedauerten zwar mitunter den rein negativen Ton der Enzyklika, waren aber doch froh, dass endlich mit Zweideutigkeiten aufgeräumt worden war, die allmählich gefährlich wurden. Bei denen, die in den Bannkreis der Koryphäen des Modernismus geraten waren, war die Reaktion viel weniger scharf, als manche erwartet hatten, obwohl sie fast einhellig die Enzyklika »nicht als ein Bild, sondern als eine Karikatur des Modernismus« (P. Sabatier) betrachteten. Tyrrell hatte gemeint, voraussagen zu können, die Enzyklika, die keinen Unterschied zwischen dem vernünftigen Progressismus und dem »Rendez-vous aller Häresien« auf der Grundlage des Agnostizismus und des Immanentismus, die sie schematisch rekonstruierte, zu machen schien, würde dazu führen, »den rechten Flügel des Modernismus enger mit dem linken Flügel zu vereinigen«. In Wirklichkeit geschah das Gegenteil: Für einige war diese schmerzliche Verurteilung der Prüfstein, der sie die Tatsache bewusst werden ließ, dass sie implicite bereits außerhalb der Kirche standen. Sie brachen nun auch offen mit der Kirche, und zwar mit von Fall zu Fall größerer oder kleinerer Zurückhaltung; und da sie nun die Hoffnung aufgeben mussten, die Kirche von innen heraus reformieren zu können, trieben manche den Radikalismus ihres Standpunkts noch weiter und landeten sehr rasch beim reinsten Rationalismus.

Bei den meisten trug jedoch die loyale Einstellung der katholischen Kirche gegenüber den Sieg davon. So kam es zu einer fast allgemeinen Unterwerfung, die später den Eindruck entstehen lassen konnte, die modernistische Krise sei lediglich eine Angelegenheit einzelner, ziemlich allein dastehender Persönlichkeiten gewesen. Zweifellos war die Masse der Gläubigen von der Welle des Modernismus nicht erfasst worden. Aber zumindest in Frankreich und, in etwas geringerem Maße, in Italien war der Teil des Klerus, der über die Entwicklung der Religionswissenschaften im Bilde war, und eine Reihe junger katholischer Intellektueller sehr stark zu der neuen Bewegung hingezogen worden. Diese Menschen waren mit der damaligen theologischen Ausbildung unzufrieden und sich der Notwendigkeit einer Anpassung an die Zeitumstände bewusst, weshalb sie sich für die Pioniere, die den Weg gebahnt hatten, begeisterten. Im Unterschied zu manchen von diesen Wegbereitern selbst kam es für sie jedoch niemals in Frage, dass sie die Forschungsarbeit außerhalb der Kirche fortsetzten. É. Poulat vergleicht zum Beispiel die Einstellung Loisys mit der Haltung seines jungen Schülers Abbé L. Vénard, der nie daran dachte, ihm in seiner Weigerung,  sich den römischen Verurteilungen zu beugen, zu folgen, und analysiert treffend ihre grundverschiedenen Reaktionen: »Während Loisy mit der Sicherheit des Technikers den Plan (der notwendigen Entwicklung) zeichnet und ihre verschiedenen Etappen vorwegnimmt, will Vénard sich an die Autorität der Kirche anklammern. Für sie geht er auf kühne Spähtruppunternehmen, und zwar als Freischärler, der weiß, dass er nicht die ganze Armee ist und dass er ohne die Armee nichts mehr ist. Loisy arbeitet genau nach dem Entwurf, als Fachmann, dem die Unwissenden auf die Nerven gehen, der lediglich darauf achtet, richtig zu kalkulieren und nichts auszulassen; Vénard dagegen gibt zwar seinem Verstand den Vortritt, passt seinen Schritt jedoch dem schwerfälligen Gang der Kirche an, unterscheidet zwischen berechtigter Kritik und der langsamen Anpassung an ihre Errungenschaften. Loisy konzipiert und analysiert einen historischen Wandlungsprozess, Vénard beteiligt sich an einem Prozess organischer Anpassung. Beide haben möglicherweise die gleichen Vorstellungen, sind jedoch mit der Kirche als äußere Institution nicht gleicherweise solidarisch.«

Das von der Enzyklika künstlich rekonstruierte agnostische und immanentistische System stand übrigens so offensichtlich im Widerspruch zum traditionellen christlichen Glauben, dass es völlig normal war, dass sich viele echte Progressisten offen von ihm lösten und lossagten. Wenn die Unterwerfung unter den Bannstrahl der Enzyklika aber auch in sehr breitem Rahmen erfolgte, so war sie doch recht schmerzlich für viele, die die Hoffnung auf eine bevorstehende Anpassung des Katholizismus an die sich vollziehende geistige Wandlung entschwinden und infolgedessen die Gefahr eines immer tiefergreifenden Bruchs zwischen der Kirche und der intellektuellen Welt des Abendlandes wachsen sahen. Viele teilten die Ansicht des »Erasmus des Modernismus« (J.-M. Mayeur), d.h. Msgr. Mignots, der erklärt hatte: »Es gibt kein christliches Gewissen, das nicht mit der ganzen Energie seines Glaubens sämtliche von der Enzyklika verurteilte Irrtümer zurückweist«, der aber auch schrieb, dass diese Enzyklika doch das Unrecht begehe, »sich auf das Verurteilen zu beschränken, ohne zu sagen, was man glauben kann, ohne Modernist zu sein«. Oder sie dachten wie der Philosoph V. Delbos, ein prächtiger katholischer Laie: »Die Enzyklika hat eine nur allzu sichtbare Lücke: sie besteht in der Vernachlässigung oder in der Unkenntnis der tiefen Ursachen, die die sogenannte modernistische Bewegung ausgelöst haben.«

Auch wenn sich nahezu alle der kirchlichen Autorität unterwarfen, so blieben doch auch einige Widerstandsnester bestehen. Loisy veröffentlichte ein neues Büchlein »Simples réflexions sur le décret Lamentabili et l'encycle Pascendi«, dessen Ton zugleich ironisch und aggressiv war. Um die Bedeutung des Büchleins noch zu unterstreichen, veröffentlichte er zugleich zwei dicke Bände über »Die synoptischen Evangelien«, die viel radikaler waren als seine früheren Studien. Aber gerade diese Entwicklung ließ viele seiner früheren Bewunderer von ihm abfallen, und seine am 7. März 1908 erfolgte Exkommunikation machte ihn dann vollends zu einem Einzelgänger. Das gleiche Schicksal ereilte Tyrrell, der schon Ende Oktober 1907 nach der Veröffentlichung mehrerer Artikel gegen die Enzyklika in der »Times« und in der italienischen Presse von seinem Bischof vom Sakramentenempfang ausgeschlossen worden war. Minocchi beugte sich zunächst und teilte mit, er werde die Veröffentlichung seiner »Studi religiosi« einstellen. Nachdem er aber von seinen Freunden der Servilität beschuldigt worden war, hielt er kurz darauf eine öffentliche Vorlesung über das irdische Paradies und das Dogma von der Erbsünde, die großes Aufsehen erregte, weil er in ihr den historischen Charakter der ersten Kapitel der Genesis verneinte. Nach der suspensio a divinis lehnte er diesmal eine Unterwerfung ab und zog im Oktober 1908 das geistliche Gewand aus. Von nun an strebte er einem sozialisierenden Humanitarismus zu, der im Christentum nur noch eine kontingente Form der Religion des Absoluten sah. Auch in Deutschland und in Österreich protestierten einige Führerpersönlichkeiten des Reformkatholizismus gegen die Enzyklika: Msgr. Ehrhard, Professor an der Theologischen Fakultät von Straßburg, wandte sich gegen die praktischen Maßnahmen, die den letzten Teil der Enzyklika bildeten, da sie nach seiner Meinung jede wissenschaftliche Arbeit unmöglich machten; die Professoren Schnitzer aus München und Wahrmund aus Innsbruck wandten sich noch weit schärfer gegen die Missetaten des Ultramontanismus und des römischen Absolutismus, doch handelte es sich hierbei um ausgesprochene Manifestationen des Universitäts-Liberalismus und nicht um einen doktrinären Modernismus.

Neben diesen offenen Protesten kam es auch zu einer Reihe von anonymen Widersprüchen. Die beiden bemerkenswertesten - übrigens durchweg ziemlich oberflächlichen - Proteste waren in Frankreich die Broschüre »Lendemains d'encyclique«, an der Msgr. Lacroix, der sehr liberale Bischof von Tarentaise, mitgewirkt hatte, und vor allem in Italien »Il Programma dei modernisti - Riposta all'enciclica di Pio X«, eine Schrift, die bereits am 28. Oktober 1907 veröffentlicht und rasch ins Französische, ins Deutsche und ins Englische übersetzt wurde. Msgr. Fracassini hatte an ihr beim biblischen Teil mitgearbeitet, der Hauptautor war jedoch Buonaiuti, der es, im Gegensatz zu anderen führenden Modernisten, vorzog, in der Kirche zu bleiben, um zu versuchen, in ihr selber von innen her das Reformwerk fortzusetzen, das er in Angriff genommen hatte. Ungewiss ist übrigens, wo der wahre Buonaiuti wirklich zu Wort kam, im »Programma«, dessen Ton relativ gemäßigt war, oder in den viel radikaleren »Lettere di un prete modernista«, die er einige Monate später, ebenfalls hinter dem Schleier der Anonymität, veröffentlichte.

Diese, trotz der Unruhe der ersten Monate an sich ziemlich unbedeutenden Widerstandsnester spornten die antimodernistische Reaktion an, die lange sporadisch und vereinzelt geblieben war. Da sich die modernistische Bewegung jedoch auf die Kreise der Intellektuellen beschränkte, hielten es nur wenige Bischöfe für zweckmäßig, ihr einen Hirtenbrief zu widmen. Sie organisierten dennoch - mit Ausnahme von Deutschland - die von der Enzyklika vorgeschriebenen »Consilia vigilantiae«, um die Verbreitung verdächtiger Publikationen im Klerus zu verhindern. Es wurden einige Versuche zur Entlarvung der modernistischen Autoren gemacht, die sich hinter einem Pseudonym verbargen. Das größte Aufsehen erregte hierbei, dass L. Saltet die mit A. Dupin und G. Herzog gezeichneten Artikel gegen die trinitarischen und marianischen Dogmen dem Abbé Turmel zuschrieb. Andererseits befassten sich zahlreiche Theologen mit einer Kommentierung der päpstlichen Dokumente, doch bezogen sich ihre Widerlegungen meist auf den abstrakten Modernismus, wie er in der Enzyklika dargestellt worden war. Nur wenige scheinen die wirklichen Probleme erkannt zu haben, die von den Modernisten ungeschickt aufgeworfen worden waren, und selbst wenn ihre Arbeiten über das Niveau der bloßen Gemeinverständlichmachung hinausgehen wollten, erscheint ihre Argumentation häufig doch als sehr einfältig. Zu den rühmlichen Ausnahmen gehören in Frankreich die Artikel der Jesuiten Lebreton und de Grandmaison wie auch die »Lettres sur les études ecclésiastiques« von Msgr. Mignot, in denen er nachzuweisen suchte, in welchem Maße die Verurteilung des Modernismus der wissenschaftlichen Arbeit neue Berechtigung lieferte; in Deutschland ein Artikel von F.X. Kiefl im »Hochland« und eine Sammlung von etwas später an der Universität Freiburg gehaltenen und unter dem Titel »Jesus Christus« herausgegebenen Vorlesungen.

Die systematische Unterdrückung der nach dem Erscheinen von »Pascendi« noch vorhandenen Restbestände der modernistischen Bewegung war jedoch vor allem das Werk des Heiligen Stuhles selbst, der mehrere Jahre hindurch in einer Atmosphäre der Panik lebte. In immer reaktionärerem Sinn verstärkte sowohl die Index-Kommission wie auch die Bibelkommission ihre Aktivität. Beschlossen wurden ferner neue apostolische Visitationen in den italienischen Seminaren, die unmittelbar der Kurie unterstanden, und ziemlich viele verdächtige Lehrkräfte wurden abgelöst, mitunter lediglich auf Grund von haltlosen Denunziationen. Obwohl sich nach Loisys eigener Erklärung der Modernismus kaum zwei Jahre nach der Verurteilung von 1907 »in völliger Auflösung« befand, machte sich Pius X. noch große Sorgen wegen des Fortbestehens gewisser heimlicher Aktivitäten, die maßlos übertrieben wurden. So war er der Ansicht, die Kirche befinde sich auch weiterhin »im Belagerungszustand«, und hielt es für nötig, eine weitere Maßnahme zu ergreifen. Am 1. September 1910 forderte er mit dem Motu proprio »Sacrorum antistitum« vom gesamten Klerus einen besonderen Eid, den sogenannten Antimodernisteneid. Es handelte sich hierbei um ein den bereits verurteilten verschiedenen Formen des Modernismus angepasstes Glaubensbekenntnis, zusätzlich zu dem von Pius IV. formulierten. Ein erster Teil formuliert in fünf Punkten die Beweisbarkeit der Existenz Gottes, den Wert der Glaubwürdigkeitsgründe, die Gründung der Kirche durch Christus, die Unwandelbarkeit der Dogmen und den intellektuellen Charakter des Glaubensaktes; ein zweiter Teil bringt die Unterwerfung unter das Dekret »Lamentabili« und die Enzyklika »Pascendi« und die Zustimmung zu ihnen zum Ausdruck. Dieser Text fügte den früheren Acta Pius' X. nichts Wesentliches hinzu, bildete jedoch ihre amtliche Zusammenfassung, deren Ziel und Zweck es war, allen Priestern eine ausdrückliche feierliche Zustimmung vorzuschreiben, um die Kryptomodernisten zu entlarven. Der Klerus unterwarf sich ohne größeren äußeren Widerstand. In der gesamten Kirche gab es lediglich rund vierzig Ausnahmen. In Deutschland löste diese Maßnahme allerdings im Namen der wissenschaftlichen Freiheit beträchtliche Unruhe aus, und schließlich wurden - auf Ersuchen des Episkopats - die deutschen theologischen Universitätsdozenten von der Eidesleistung befreit.

Aber nicht nur die Deutschen allein fürchteten die verhängnisvollen Folgen der antimodernistischen Unterdrückung für die echte katholische Wissenschaft. Übereinstimmend stellt man heute fest, dass die Erneuerung, die sich unter Leo XIII. angebahnt hatte, hierdurch fast über eine ganze Generation hinweg ernsthaft gehemmt wurde. Vor allem in Italien, wo die Unterdrückung besonders schonungslos erfolgte, wurde durch sie fast der gesamte Klerus von ernsthaften Studien abgehalten, wodurch sich der bedenkliche Rückstand auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kultur, der bis auf unsere Tage eine der großen Schwächen des italienischen Katholizismus geblieben ist, noch weiter vergrößerte. Aber auch anderwärts veranlasste die Befürchtung, die christliche Forschung könne sich möglicherweise in Bahnen bewegen, die von den kirchlichen Autoritäten als abenteuerlich angesehen werden, zahlreiche katholische Theologen dazu, sich auf rein historische Arbeiten zurückzuziehen, oder, was noch schlimmer war, sich auf das Wiederkäuen von Lehrbuchformeln zu beschränken und nur über völlig ungefährliche Randfragen im Rahmen eines ziemlich engherzigen Neuthomismus zu spekulieren.

Die Gesamtbilanz war jedoch weniger negativ, als manchmal behauptet wird. Sogar auf dem Gebiet der Exegese, auf dem, trotz der im Jahre 1909 erfolgten Gründung des Päpstlichen Bibelinstituts, die ernsthafte Arbeit großenteils zur Unfruchtbarkeit verurteilt war, kann man einige anerkennenswerte Ergebnisse verzeichnen: die 1908 erfolgte Gründung der »Biblischen Zeitfragen«, einer weitverbreiteten Sammlung, die 1912 erfolgte Gründung der »Alttestamentlichen und Neutestamentlichen Abhandlungen«, die von J. Nikel bzw. M. Meinertz geleitet wurden, sowie die Veröffentlichungen von »La théologie de S. Paul« von P.F. Prat SJ (1908/12) und des Kommentars von P. Lagrange zum Markusevangelium (1911). Auf dem Gebiet der Patrologie und der Dogmengeschichte kann Frankreich nun nach und nach einige Namen neben die eines Ehrhard, eines Bardenhewer, eines Rauschen stellen: J. Tixeront, ein Schüler Duchesnes, veröffentlichte von 1905 bis 1912 eine »Histoire des dogmes«, die für die damalige Zeit nicht ohne Vorzüge war, und P.J. Lebreton leistete mit seinen »Origines du dogme de la Trinité« (1910) Pionierarbeit. Das gleiche gilt für J. Lebon in Löwen mit seinem »Monophysisme sévérien« (1909). Das wachsende Interesse, das der alten morgenländischen christlichen Literatur entgegengebracht wurde, wird symbolisiert von der 1912 von den katholischen Universitäten von Löwen und Washington übernommenen Fortführung des »Corpus scriptorum christianorum orientalium«, der 1902 von J.-B. Chabot ins Leben gerufen worden war. Im Jahre 1907 eröffnet die Görres-Gesellschaft unter Leitung von Msgr. Kirsch eine »Sektion für Altertumskunde«, deren Ziel die Förderung der Studien über christliche, klassische und morgenländische Archäologie und unter anderem die Erforschung der von der Religionsgeschichte aufgeworfenen Probleme war. Im Jahre 1912 gründete F.J. Dölger an der Universität Münster einen neuen Lehrstuhl für »Allgemeine Religionsgeschichte und Vergleichende Religionswissenschaft« und untersuchte in seinen Vorlesungen, in welchem Maße das christliche Gedankengut und die ursprünglichen christlichen Riten den Einfluss des Umwelt-Heidentums erfahren haben. Ein Jahr zuvor - während in Frankreich unter Leitung von P. Huby das erste katholische Lehrbuch über die Geschichte der Religionen, »Christus«, erschien - hatte P.W. Schmidt SVD, der Begründer der Zeitschrift »Anthropos« (1906), in Löwen in Zusammenarbeit mit P. Bouvier SJ die erste Katholische Woche für religiöse Ethnologie einberufen, und ein anderer Deutscher, J. Schmidlin, hatte die »Zeitschrift für Missionswesen« und das erste katholische »Institut für Missionswissenschaft« gegründet. Die Liturgiegeschichte wurde glänzend vertreten durch den Deutschen Baumstark, die Engländer Bishop und Fortescue, die französischen Benediktiner Cabrol, Férotin und Leclercq. Letzterer brachte 1907 den »Dictionnaire d'archéologie chrétienne et de liturgie« heraus, dem 1912 der »Dictionnaire d'histoire et de géographie ecclésiastiques« folgte. Das Erscheinen neuer Zeitschriften war ein weiteres Zeichen für die wissenschaftliche Aktivität in diesen schwierigen Jahren. Zu nennen sind hier historische Zeitschriften, wie die »Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte« (1907), die »Revue d'histoire de l'Église de France« (1910), das »Archivum franciscanum historicum« (1908) und das »Archive ibero-americano« (1914), aber auch ausgesprochen theologische Zeitschriften, wie »Theologie und Glaube« (1909), Organ der Philosophisch-theologischen Lehranstalt Paderborn, vor allem aber die »Revue des sciences philosophiques et théologiques« (1907) der französischen Dominikaner von Le Saulchoir und die »Recherches de science religieuse« (1910) der Jesuiten der Provinz Paris.

Die Modernisten hatten echte Probleme zur Diskussion gestellt, Probleme, die mit der bloßen Verurteilung des Modernismus nicht gelöst waren. Es handelte sich ja um die Beziehungen zwischen der Theologie und ihren Quellen (Bibel, Dokumente der alten Überlieferung, Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes) und um die Natur ihrer Homogenität mit der göttlichen Offenbarung, bis in ihre technisch ausgefeilteste Form.
Von den wenigen Theologen, die versuchten, eine positive Antwort auf die von Loisy, Tyrrell oder Le Roy aufgeworfenen Fragen zu geben, verdienen zwei besondere Erwähnung: P. de Grandmaison SJ, der in dieser schwierigen Zeit mit seinen gemäßigten und verständigen Artikeln (wie zugleich Blondel und Loisy urteilten) dazu beitrug, die verwirrte öffentliche Meinung durch die Klippen des Modernismus und des Integrismus hindurchzusteuern, ohne den Problemen jedoch ganz auf den Grund zu gehen, und vor allem Professor P. Gardeil OP, der - trotz seiner Grenzen - mehr und mehr als Vorläufer erscheint. Sein Einfluss beschränkte sich zunächst lediglich auf Frankreich, strahlte dann aber, dank seiner Schüler, weit über Frankreichs Grenzen hinaus. Sein Werk erreichte seinen Höhepunkt in zwei Werken apologetischer und theologischer Methodologie, die lange klassisch geblieben sind: »La crédibilité et l'apologétique« (Paris 1908, 2., völlig neu bearbeitete Auflage 1910), ein Buch, das Gegenstand heftiger Kontroversen, vor allem von Blondelscher Seite, wurde, und »Le donné révélé et la théologie« (Paris 1910),eine Arbeit, in der er das Werk Canos in bezug auf die Probleme des Beginns des 20. Jh. wieder aufgreifen wollte. Deutschland und Österreich, die in vorderster Reihe standen, als es sich um die historische Theologie handelte, haben dagegen nicht viel zu diesen methodologischen Diskussionen beigetragen. Das seinerzeit geschätzte Werk des Wiener Professors Commer oder das des Jesuiten Chr. Pesch (unter anderem seine »Theologische Zeitfragen« 6 Bde, 1910/16) erscheinen heute als sehr enttäuschend. Der Beitrag der südlichen Länder war praktisch gleich Null.

Der Integralismus

Hand in Hand mit der offiziellen Unterdrückung des Modernismus durch die kirchlichen Behörden ging eine Denunziationskampagne, die mit dem zu Ende gehenden Pontifikat immer schlimmer wurde und die Atmosphäre im Laufe der letzten Jahre buchstäblich vergiftete. Es kann als seltsam erscheinen, dass sich diese Kampagne vor allem von dem Augenblick an entfaltete, in dem sich der Modernismus nach den Verurteilungen von 1907 in voller Auflösung zu befinden schien. Einer der aktivsten Vorkämpfer der Rechtgläubigkeit, A. Cavallanti, erklärte dieses Faktum jedoch folgendermaßen: »Wie der Arianismus, der Pelagianismus, der Jansenismus, als sie nach den Verurteilungen durch die Kirche verschwanden, einen ganzen Schweif von noch subtileren und weniger ins Auge fallenden Irrtümern zurückließen, die dann als Semi-Arianismus, als Semi-Pelagianismus und als Semi-Jansenismus bekannt geworden sind, so lässt heute auch der entlarvte und zu Tode getroffene Modernismus bei seinem Abgang andere Irrtümer zurück, die sich wie Keime massenhaft verbreiten und viele gute Katholiken ruinieren oder zu ruinieren drohen ( ...). Ich wiederhole, dass es einen Semi-Modernismus gibt, der zwar nicht so hässlich ist wie sein Vater, der Modernismus als Synthese aller Häresien, dafür aber hinterlistiger und verfänglicher.«

Wo aber begann der »Semi-Modernismus«? Und wo begannen vor allem die »modernisierenden Tendenzen« und »die modernistische Seelenverfassung«, wie sich die »Corrispondenza romana« ausdrückte? Die Gefahr des Missbrauchs war besonders groß, weil die meisten dieser unverantwortlichen Zensoren auf dem Gebiet der Theologie und vor allem auf dem Gebiet der Exegese nur wenig kompetent waren und außerdem zu den Köpfen gehörten, die sich fremden Gedanken gegenüber völlig verschließen. Schon einige Monate nach der Veröffentlichung von »Pascendi« musste Kardinal Ferrari in seinem Fastenhirtenbrief scharf gegen die Auswüchse Stellung nehmen: »Es ist traurig, dass manche sich, sogar öffentlich, zu Exzessen hinreißen lassen und fast überall Modernismus riechen und brandmarken wollen, dass sie zumindest Männer des Modernismus verdächtigen wollen, die weit von ihm entfernt sind.« Es gibt kaum einen einzigen katholischen Gelehrten, der im Verlauf dieser Jahre nicht ihren Angriffen ausgesetzt gewesen wäre, Angriffen, die in vielen Fällen sowohl gegen die Gerechtigkeit wie auch gegen die Nächstenliebe verstießen. Und auch viele verdienstvolle Institutionen wurden Opfer dieser bedauerlichen Polemiken: so die Bibelschule von Jerusalem, die Theologische Fakultät von Fribourg (die Pius X. um ein Haar sogar aufgehoben hätte), das Institut Catholique von Paris, zahlreiche Seminare, die Anstrengungen zur Hebung des Studienniveaus unternommen hatten, und viele andere.


Abb.. Zelotenpredigt / von Martin Disteli (1802 - 1844). -- um 1834

[Bildquelle: Ich male für fromme Gemüter . zur religiösen Schweizer Malerei im 19. Jahrhundert.  -- Luzern : Kunstmuseum, 1985. -- ISBN 3-276-58-5 [!]. -- S. 211]

Diese »Zelanti« sind unter dem Spitznamen »Integralisten« in die Geschichte eingegangen. Sie nannten sich »Integrale Katholiken«: entgegen den Bestrebungen der liberalen Katholiken und der Modernisten (die sie übrigens meistens in ein und denselben Topf warfen), den Katholizismus zu verdünnen, wollten sie »die Integrität ihres Romanismus bekräftigen: der ganze römische Katholizismus (Doktrin und Praktik) und nichts als das«. Wie immer es sich auch mit ihren umstrittenen Methoden verhalten haben mag, bei vielen von ihnen lag jedenfalls, wie anerkannt werden muss, viel mehr vor als bloße Eifersucht von Theologen gegenüber Konkurrenten, die ihnen die Gunst der jungen Generation abspenstig machen wollten: Angesichts der Gefahren, die ihren Glauben zu bedrohen schienen, hielten sie ihren Kreuzzug einfach für eine heilige Pflicht, und die wiederholten Ermutigungen, die sie direkt vom Papst erhielten, mussten sie in dieser Überzeugung noch bestärken."

[Quelle: Roger Aubert <1914 - >. -- In: Handbuch der Kirchengeschichte / hrsg. von Hubert Jedin. -- Freiburg im Breisgau[u.a.] : Herder. -- Bd. VI,2. -- 1971. --  S. 475 - 488]


2. Text des Antimodernisteneids, lateinisch und deutsch


Littera motu proprio "Sacrorum antistites", 1. Sept. 1910: Iusiurandum contra errores modernismi Motu proprio "Sacrorum antistites", 1910-09-01: Antimodernisteneid
Ego N. N. firmiter amplector ac recipio omnia et singula, quae ab inerranti Ecclesiae magisterio definita, adserta ac declarata sunt, prae-sertim ea doctrinae capita, quae huius temporis erroribus directo adversantur. Ich umfasse fest und nehme an alles und jedes Einzelne, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche bestimmt, aufgestellt und erklärt ist, besonders die Hauptstücke ihrer Lehre, die unmittelbar den Irrtümern der Gegenwart entgegen sind.
Ac primum quidem: Deum, rerum omnium principium et finem, naturali rationis lumine "per ea quae facta sunt" [cf. Rom 1, 20], hoc est, per visibilia creationis opera, tamquam causam per effectus, certo cognosci, adeoque demonstrari etiam posse, profiteor. Erstens: Ich bekenne, dass Gott, der Ursprung und das Ende aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der Vernunft durch das, was geschaffen ist, d.h. durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, als Ursache mittels der Wirkung, mit Sicherheit erkannt und auch bewiesen werden kann.
Secundo: externa revelationis argumenta, hoc est facta divina, iix primisque miracula et prophetias admitto et agnosco tan-quam signa certissima divinitus ortae christianae religionis, eademque teneo aetatum omnium atque hominum, etiam huius temporis, intelligentiae esse maxime accommodata. Zweitens: Ich anerkenne die äußeren Beweismittel der Offenbarung, d.h. die Werke Gottes, in erster Linie die Wunder und Prophezeiungen, als ganz sichere Zeichen des göttlichen Ursprungs der christlichen Religion. Ich halte fest, dass sie dem Geist aller Zeiten und Menschen, auch der Gegenwart, auf das beste angepasst sind.
Tertio: firma pariter fide credo Ecc1esiam, verbi revelati custodem et magistram, per ipsum verum atque historicum Christum, cum apud nos degeret, proxime ac directo institutam eandemque super Petrum, apostolicae hierarchiae principem, eiusque in aevum successores aedificatam. Drittens: Fest glaube ich, dass die Kirche, die Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, durch den wahren und geschichtlichen Christus selbst, während seines Lebens unter uns, unmittelbar oder direkt eingesetzt, und dass sie auf Petrus, den Fürsten der apostolischen Hierarchie, und auf seine steten Nachfolger gebaut wurde.
Quarto: fidei doctrinam ab Apostolis per orthodoxos Patres eodem sensu eademque semper sententia ad nos usque transmissam, sincere recipio; ideoque prorsus reicio haereticum commentum evolutionis dogmatum, ab uno in alium sensum transeuntium, diversum ab eo, quem prius habuit Ecclesia; pariterque damno errorem omnem, quo, divino deposito, Christi Sponsae tradito ab eaque fideliter custodiendo, sufficitui; philosophicum inventum, vel creatio humanae conscientiae, hominuum conatu sensui efformatae et in posterum indefinito progressu perficiendae. Viertens: Ohne Rückhalt nehme ich die Glaubenslehre an, die von den Aposteln durch die rechtgläubigen Väter stets in demselben Sinn und in derselben Bedeutung bis auf uns gekommen ist. Deshalb verwerfe ich ganz und gar die irrgläubige Erfindung der Entwicklung der Glaubenssätze, die von einem Sinn zu einem andern übergingen, der abweiche von dem Sinn, den die Kirche einst gemeint habe. Ebenso verwerfe ich jeden Irrtum, der das göttliche, der Braut Christi übergebene Vermächtnis, das von ihr treu bewahrt werden soll, durch eine Erfindung unseres Denkens oder durch eine Schöpfung des menschlichen Bewusstseins ersetzen will, das durch menschliches Bemühen langsam ausgebildet wurde und sich in Zukunft in unbegrenztem Fortschritt vollenden soll.
Quinto: certissime teneo ac sincere profiteor, fidem non esse caecum sensum religionis e latebris subconscientiae erumpentem, sub pressione cordis et inflexionis voluntatis moraliter informatae, sed
verum assensum intellectus veritati extrinsecus acceptae "ex auditu", quo nempe, quae a Deo personali, creatore ac Domino nostro dicta, testata et revelata sunt, vera esse credimus, propter Dei auctoritatem summe veracis.
Fünftens: Als ganz sicher halte ich fest und bekenne aufrichtig, dass der Glaube nicht ein blindes religiöses Gefühl ist, das aus dem Dunkel des Unterbewusstseins im Drang des Herzens und aus der Neigung des sittlich geformten Willens entspringt, sondern dass er eine wahre Zustimmung des Verstandes zu der von außen durch Hören empfangenen Wahrheit ist, durch die wir auf die Autorität Gottes des Allwahrhaftigen hin für wahr halten, was uns vom persönlichen Gott, unserm Schöpfer und Herrn, gesagt, bezeugt und geoffenbart worden ist.
Me etiam, qua par est, reverentia subicio totoque animo adhaereo . damnationibus, declarationibus, praescriptis omnibus, quae in Encyclicis litteris "Pascendi" et in Decreto "Lamentabili" continentur, praesertim circa eam quam historiam dogmatum vocant. In schuldiger Ehrfurcht unterwerfe ich mich mit ganzem Herzen und schließe ich mich an allen Verurteilungen, Erklärungen, Vorschriften, wie sie im Rundschreiben "Pascendi" und im Entscheid "Lamentabili" enthalten sind, besonders, insoweit sie sich auf die sogenannte Geschichte der Glaubenssätze beziehen.
Idem reprobo errorem affirmantium, propositam ab Ecclesia fidem posse historiae repugnare, et catholica dogmata, quo sensu nunc intelliguntur, cum verioribus christianae religionis originibus componi non posse. Auch verwerfe ich den Irrtum derer, die behaupten, der von der Kirche vorgelegte Glaube könne der Geschichte widerstreiten und die katholischen Glaubenssätze könnten in dem Sinn, in dem sie jetzt verstanden werden, mit den Ursprüngen der christlichen Religion, wie sie wirklich waren, nicht in Einklang gebracht werden.
Damno quoque ac reicio eorum sententiam, qui dicunt christianum hominem eruditiorem induere perso-nam duplicem, aliam credentis, aliam historici, quasi liceret historico ea retinere, quae credentis fidei contrfdicant, aut praemissas adstruere, ex quibus consequatur, dogmata esse aut falsa aut dubia, modo haec directo non denegentur. Ich verurteile und verwerfe auch die Auffassung derer, die sagen, ein gebildeter Christ führe ein Doppeldasein, das Dasein des Gläubigen und das Dasein des Geschichtsforschers, als ob es dem Geschichtsforscher erlaubt wäre, festzuhalten, was der Glaubenswahrheit des Gläubigen widerspricht, oder Voraussetzungen aufzustellen, aus denen sich ergibt, dass die Glaubenssätze falsch oder zweifelhaft sind, wenn man sie nur nicht direkt leugnet.
Reprobo pariter eam Scripturae sanctae diiudicandae atque interpretandae rationem, quae,Ecclesiaetraditione, analogia fidei et Apostolicae Sedis normis posthabitis, rationalistarum commentis inhaeret, et criticem textus velut unicam supremamque regulam haud minus licenter quam temere amplectitur. Ich verwerfe ebenso eine Weise, die Heilige Schrift zu beurteilen und zu erklären, die die Überlieferung der Kirche, die Entsprechung zum Glauben und die Normen des Apostolischen Stuhls außer acht lässt, die sich den Erfindungen der Rationalisten anschließt und die Kritik am Texte ebenso unerlaubt wie unvorsichtig als einzige und oberste Regel anerkennt.
Sententiam praeterea illorum reicio, qui tenent, doctori disciplinae historicae theologicae tradendae aut iis de rebus scribenti seponendam prius esse opinionem ante conceptam sive de supernaturali origine catholicae traditionis, sive de promissa divinitus ope ad perennem conservationem uniuscuiusque revelati veri; deinde scripta Patrum singulorum interpretanda solis scientiae principiis, sacra qualibet auctoritate seclusa, eaque iudicii libertate, qua profana quaevis monumenta solent investigari. Auch die Auffassung derer verwerfe ich, die daran festhalten, ein Lehrer der theologischen Geschichtswissenschaften oder ein Schriftsteller auf diesem Gebiet müsse zuerst jede vorgefasste Meinung vom übernatürlichen Ursprung der katholischen Überlieferung oder von einer Verheißung der göttlichen Hilfe zur steten Bewahrung einer jeden geoffenbarten Wahrheit ablehnen. Die Schriften der einzelnen Väter müssten nach rein wissenschaftlichen Grundsätzen erklärt werden unter Ausschluss jeder Autorität und mit derselben Freiheit des Urteils, mit der man jedes außerkirchliche Denkmal der Geschichte erforscht.
In universum denique me alienissimum ab errore profiteor, quo modernistae tenent in sacra traditione nihil inesse divini, aut, quod longe deterius, pantheistico sensu illud admittunt, ita ut nihil iam restet nisi nudum factum et simplex, communibus historiae factis aequandum: hominum nempe sua industria, solertia, ingenio scholam a Christo eiusque Apostolis inchoatam per subsequentes aetates conti-nuantium. Proinde fidem Patrum firmissime retineo et ad extremum vitae spiritum retinebo, de charismate veritatis certo, quod est, fuit eritque semper in "episcopatus ab Apostolis successione"; non ut id teneatur, quod melius et aptius videri possit secundum suam cuiusque aetatis culturam, sed ut "numquam aliter credatur, numquam aliter" intelligatur absoluta et immutabilis veritas ab initio per Apostolos praedicata. Endlich bekenne ich ganz allgemein: Ich habe nichts zu schaffen mit dem Irrtum, der die Modernisten glauben lässt, die heilige Überlieferung enthalte nichts Göttliches, oder, was noch viel schlimmer ist, der sie zu einer pantheistischen Deutung der Überlieferung führt, so dass nichts mehr übrigbleibt als die nackte, einfache Tatsache, die in einer Linie steht mit den gewöhnlichen Geschehnissen der Geschichte, die Tatsache nämlich, dass Menschen durch ihre eigenen Bemühungen, durch ihre Sorgfalt und Einsicht die von Christus und seinen Aposteln begonnene Schule in den nachfolgenden Zeitabschnitten fortsetzten. So halte ich denn fest und bis zum letzten Hauch meines Lebens werde ich festhalten den Glauben der Väter an die sichere Gnadengabe der Wahrheit, die in der Nachfolge des bischöflichen Amtes seit den Aposteln ist, war und immer sein wird, so dass nicht das Glaubensgegenstand ist, was entsprechend der Kultur eines jeden Zeitabschnittes besser und passender scheinen könnte, sondern dass niemals  in verschiedener Weise geglaubt, nie anders verstanden wurde die absolute, unabänderliche Wahrheit, die seit Anfang von den Aposteln gepredigt wurde.
Haec omnia spondeo me fideliter, integre sincereque servaturum et inviolabiliter custoditurum, nusquam ab iis sive in docendo sive quomodolibet verbis scriptisque deflectendo. Sic spondeo, sic iuro, sic me Deus adiuvet et haec sancta Dei Evangelia. Ich gelobe, dass ich das alles getreu, unversehrt und rein beobachten und unverletzt bewahren, dass ich in der Lehre oder in jeder Art von Wort und Schrift nie davon abweichen werde. So gelobe ich, so schwöre ich, so helfe mir Gott und dieses heilige Evangelium Gottes.

ENDE

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