Religionskritisches von Ludwig Anzengruber

Der Pfarrer von Kirchfeld (1870)

von

Ludwig Anzengruber


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Anzengruber, Ludwig  <1839 - 1889 >: Der Pfarrer von Kirchfeld : Volksstück mit Gesang in vier Akten. -- 1870.  -- Fassung vom 2004-12-02. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/anzengruber01.htm        

Erstmals publiziert: 2004-12-02

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: László  Frecskay (1844 - 1916): Ludwig Anzengruber. -- 1887

"Anzengruber, Ludwig, namhafter Schriftsteller, geb. 29. Nov. 1839 in Wien als Sohn eines kleinen Staatsbeamten, gest. daselbst 10. Dez. 1889, besuchte die Volks- und Unterrealschule seiner Vaterstadt, trat 14jährig bei einem Buchhändler in die Lehre, wurde 1858 Schauspieler, besaß wenig Talent und erlebte das ganze Elend der kleinen Wandertruppen, kehrte als Literat nach Wien zurück und erhielt hier 1869 die Stelle eines Kanzlisten bei der Polizeidirektion. Den ersten durchschlagenden Erfolg erlebte sein antiklerikales Volksstück »Der Pfarrer von Kirchfeld« (10. Aufl. 1899), das, wie andre Werke, unter dem Pseudonym L. Gruber herausgegeben, 5. Nov. 1870 im Theater an der Wien ausgeführt wurde. Die epochemachende Bedeutung von Anzengrubers Dramen liegt darin, dass er, an die guten Überlieferungen des Wiener Lokalstückes anknüpfend, volkstümliche und zeitgemäße Probleme in Lebensbildern von unverfälschter Wirklichkeitstreue packend darstellte; doch hielt er eine lehrhafte Tendenz nicht fern. Die Figuren aus dem Volke sind ihm durchweg gelungen, während die Personen vornehmen Standes durch ihr gespreiztes Wesen befremden. Die glänzenden Vorzüge seiner Kunst verriet vor allem das tragische Meisterwerk »Der Meineidbauer«, dessen Hauptfigur psychologische Tiefen erschließt, in die nur die größten Dichter hinabschauen. Fast noch bedeutender ist Anzengruber im Lustspiel, von dem er freilich ernstere Züge nicht ganz fern hält; hierher gehören »Die Kreuzelschreiber« (1872) mit der herrlichen Figur des Steinklopferhans, »Der G'wissenswurm« (1875), »Der Doppelselbstmord« (1875), »Das Jungferngift« (1878); ihnen folgte »Das vierte Gebot« (1878), die Tragödie des schlechten Elternhauses. Im November 1878 erhielt Anzengruber zugleich mit Wilbrandt und Nissen den Schillerpreis. 1882-85 war er Redakteur des Wiener Familienblattes »Heimat«, dann redigierte er den Wiener »Figaro«. Für das Volksstück »Heimg'funden« (1887) erhielt er den Grillparzerpreis. Die tragischen Volksstücke »Stahl und Stein« und »Der Fleck auf der Ehr'« (1889), Dramatisierungen von zwei Erzählungen Anzengrubers, verraten die abnehmende Kraft. Wenn der Dichter als hochbedeutender Vollender volkstümlicher Traditionen der deutschen Bühne anzusehen ist, so hat er als Erzähler und Romanschriftsteller gleichfalls Ausgezeichnetes geleistet, ohne jedoch neue Bahnen einzuschlagen. Außer durch seine »Kalendergeschichten« (seit 1876) und »Dorfgänge« (1879), unter denen wirksame Schwänke, wie »Der gottüberlegene Jakob«, »Wenn einer es zu schlau macht«, u. tragische Darstellungen, wie »Gottverloren«, »Der Einsam'« u.a., hervorzuheben sind, machte er sich durch den Roman »Der Schandfleck« (Wien 1876; umgearbeitete Ausg., Leipz. 1884, 6. Aufl. 1901) und die ausgezeichnete realistische Dorfgeschichte »Der Sternsteinhof« (das. 1885, 5. Aufl. 1901) in weitern Kreisen bekannt. Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde dem Dichter 1893 ein Denkmal (modelliert von J. Scherpe) errichtet. Seine »Gesammelten Werke« erschienen Stuttg. 1890 in 10 Bdn. (3. Aufl. 1897). Eine treffliche Biographie verfasste A. Bettelheim (»Ludwig Anzengruber«, 2. Aufl., Berl. 1897), der auch Anzengrubers Briefe herausgab (Stuttg. 1902, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

Zum "Pfarrer von Kirchfeld" schrieb am 1870-11-23 in  "Neue Freie Presse" der Schriftsteller und ehemalige Direktor des Wiener Burgtheaters,  Heinrich Laube (1806 - 1884) zu Beginn einer Rezension:

"Das ist ja eine gar merkwürdige Aufführung, welche da allabendlich im Theater an der Wien stattfindet, die Aufführung des Volksstückes "Der Pfarrer von Kirchfeld"!

Ästhetisch merkwürdig und politisch merkwürdig. Ästhetisch, weil da feine, tiefliegende Gedankengänge und Charakterzüge dem Volksstücke einverleibt werden und weil neben unverarbeiteten Abstraktionen Szenen von blutvollem, echtem Talente zum Vorschein kommen. Durch diese talentvollen Szenen werden Übergänge ermöglicht, welche kein Verstand der bloß Verständigen zu finden wüsste und welche eben nur dem kräftigen populären Naturell erreichbar sind.

Politisch, weil hier die empfindlichsten, mit der Religion zusammenhängenden Fragen eines Parlamentes auf einmal schon in Fleisch und Blut vor dem großen Publikum schlankweg auftreten und von diesem Publikum mit einem Verständnisse begleitet werden, dass man sich erstaunt umschaut, nach den oberen Galerien hinaufblickt. Man fragt sich: sitzen denn da oben die alten, fast verschwundenen Habitués [= Stammgäste] des Burgtheaters, welche die nur erste leise berührte Pointe jeder Szene auf der Stelle verstehen und die ganze Szene schon, wie der Börsenmann sagt, eskomptieren [= diskontieren], ehe sie noch enthüllt ist? Nein, es ist wirklich das sogenannte Volk, welches da oben sitzt und sich so verständnisinnig wie rasch verstehend äußert, wo nur von gemischter Konfession, von gemischter Ehe und von einer aufdämmernden Notwendigkeit der Priesterehe die Rede ist. Noch mehr: Es bedarf nicht der Rede; eine Pause, ein Blick, das unscheinbarste mimische Zeichen genügt diesen Galerien, sie sprechen die Sachen aus, ehe sie auf der Bühne ausgesprochen werden.

Zweierlei tritt einem dabei jählings vor Augen: zuerst, dass diese politisch-religiösen Fragen, oder richtiger diese politisch-kirchlichen Fragen im Volke nicht nur lebendig, sondern schon vollständig erwachsen sind. Wenigstens in diesem Volke auf diesen Galerien. Und zweitens, dass die oft gebrauchte Phrase von der Macht des Theaters keine bloße Phrase ist und dass die Bühne eine unmittelbare Macht ausübt, wie sie selbst der Schrift kaum erreichbar sein mag.

Diese Macht der Bühne ist natürlich da am größten, wo ein Stück die Gegenwart darstellt und Gedanken, Fragen, Wünsche der Gegenwart berührt, ja behandelt."

[Quelle: Anzengruber, Ludwig  <1839 - 1889 >: Gesammelte Werke / hrsg. von Carl W. Neumann. -- Leipzig : Reclam. -- 3. Band. -- o.J. -- S. 350f.; dort auf S. 350 - 354 die ganze Rezension]


Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld : Volksstück mit Gesang in vier Akten

Mit Verlaub, lieber Leser!

Das soll keine Vorrede sein, sondern ich habe nur wenige Worte im Vorbeigehen jenen Lesern zu sagen, welchen dieses Stück schon von der Bühne herab bekannt ist, und sollte dies etwa dein Fall sein, lieber Leser, so verweile dich ein wenig bei diesen Zeilen.

Wer mit der Darstellung dieses Stückes schon vertraut ist, wird auf verschiedene Stellen stoßen, welche für ihn den Reiz der Neuheit haben werden (ob auch einen anderen, erlaube ich mir nicht zu entscheiden); dieses Plus an Worten und Gedanken ist dadurch entstanden, dass ich, unbekümmert um die Striche, welche die Zensur und die Theaterregie angebracht haben, das Werk so, wie es niedergeschrieben wurde, in Druck legen ließ.

Indem ich mich solchergestalt von dem Leser auf der Schwäche literarischer Eitelkeit ertappen lasse, kann ich es ihm um so weniger ersparen, meinen Charakter an einer anderen Stelle in den sanften Lichtern der Entsagung und des Dankes glänzen zu sehen.

Weder den Nachlesern, die das Stück schon von der Bühne her kennen, noch den Nurlesern, die es nie aufgeführt gesehen haben, wollte ich das liebe Lied: »Darf ich 's Büberl liab'n?« entziehen; die ersteren hätten es gewiss sehr vermisst, die anderen wird die Zugabe sicherlich freuen. Dieses Lied, wie alle im Stücke vorkommenden Gesänge von dem verdienstvollen Kapellmeister Adolf Müller sen. allerliebst in Musik gesetzt, ist nach der Bühnensprache eine »Einlage«; es ist nicht von mir und ferne davon, mich mit fremden Federn schmücken zu wollen, gebe ich bekannt, dass der treffliche steiermärkische Schriftsteller P.K. Rosegger es ist, welcher dieses Gedicht ersonnen und zum Frommen aller verliebten »Diandln« von der höchsten Instanz, »'n Herrgott«, die bejahende Erledigung der Frage, ob 's Büberl geliebt werden darf, erwirkt hat.

Über den ersten Punkt war ich dem Leser, über den zweiten mir die Aufklärung schuldig; ich darf nun wohl schweigen und dem »Pfarrer von Kirchfeld« es überlassen, seine Sache selbst zu führen; möge er das, was er von der Rampe herab Tausenden gesagt, jetzt vor dem Einzelnen im traulichen Lesezimmer wiederholen, und wenn dann für alle, alle um ihr Herz Betrogenen, mögen sie nun mit wahrer Entsagung den Gott der Liebe lehren, oder auf steilen Höhen nach Wurzeln graben, das Mitleid erwacht, dann will ich mich gerne bescheiden, dass die Furcht weggeblieben und aus der halben Tragödie — ein Volksstück geworden.

Der Verfasser.


Personen.

Graf Peter v. Finsterberg.
Lux, dessen Revierjäger.
Hell, Pfarrer von Kirchfeld.
Brigitte, seine Haushälterin.
Vetter, Pfarrer von St. Jakob in der Einöd.
Anna Birkmeier, ein Dirndl aus St. Jakob.
Michel Berndorfer.
Thalmüller-Loisl.
Der Schulmeister von Altötting.
Der Wirt an der Wegscheid.
Sein Weib.
Hannsl, beider Sohn.
Der Wurzelsepp.
Landleute von Altötting und Kirchfeld.
Kranzeljungfern.
Musikanten.


Erster Akt.


Jagdfanfaren, bevor der Vorhang aufgeht, schließen die Ouvertüre.

Dekoration: Gebirgslandschaft; Kulisse: vom Hintergrunde ansteigende Felsen, in die Seite verlaufend und praktikabel, links ein kleines Haus, durch Aushängzeichen als Wirtshaus kenntlich gemacht, ein Tisch vorne rechts nahe an der Kulisse.

Erste Szene.

Die Jagdfanfare setzt, während der Vorhang aufgeht, noch einmal und während die Szene frei ist und Graf Finsterberg und Lux im Hintergrunde auf den Felsen erscheinen, das zweite und letzte Mal verhallend ein.

LUX rauher alter Weidmann, militärische Haltung, in die Szene links weisend. Excellenzherr, dort drüben ist ein kapitaler Stand, da wechselt das Wild gerne.

FINSTERBERG graues Haar, in der Mitte gescheitelt, glattes Gesicht, hohe Binde, steif, trocken aber aristokratische Manieren, Jagdkleid, gleichfalls in die Szene links deutend. Das dort vor uns ist wohl Kirchfeld?

LUX. Zu dienen, Excellenzherr.

FINSTERBERG vorkommend. In dem Pfarrsprengel wirtschaftet ja der Hell?

LUX folgt in respektvoller Entfernung. Hm, halten zu Gnaden, aber Betonend. unser hochwürdiger Herr heißt Hell!

FINSTERBERG hustet. Ja, ja, ganz gut! Ist er Ihm auch ins Herz gewachsen, Lux?

LUX. Mir? Halten zu Gnaden, ich bin Weidmann — Forstmann — ich geb' eigentlich auf keinen was, der da in einem gemauerten Häuschen was reden will von dem, der die weite Welt erschaffen hat.

FINSTERBERG rasch sich gegen Lux wendend. Lux, was soll das gottlose Reden?

LUX. Ist nicht gottlos, halten zu Gnaden, mag wohl bloß so aussehen; in so einem Gemäuer wird mir angst und bang, wenn da einer Gott und Welt 'neinsperren will und hat kaum eine Gemeinde drin Platz, da 'raus sollten sie kommen in grünen Wald, ho, da würden sie anders reden und der hochwürdige Herr Hell, das wär' so ein Waldprediger nach meinem Herzen — halten zu Gnaden!

FINSTERBERG lächelnd. Na ja, ja, Er Waldbär! — Ihm hält man manches zu gute, nur trag' Er das nicht unter die Leute mit den Welt- und Waldpredigern und bedenk' Er, dass der Satan, wenn ihm's um Seine Seele zu tun ist, auch einen grünen Rock anzieht, und drum hol' Er sich immerhin alle Sonntag sein Stück Christentum in dem gemauerten Haus da drüben.

LUX. Tu's ohnedem, Excellenzherr, verdrießt mich auch nicht, von wegen dem hochwürdigen Herrn Pfarrer dort, dem Hell, der sagt: »Sei du brav und geh ehrlich deiner Wege, so sind's Gotteswege.«

FINSTERBERG hustet erregt. Lux, tu' Er mir das neumodische Reden ab! Merk' Er's, das leid' ich nicht! Weg und Weg das ist ein Unterschied, auf Gottes Wege glaubt jeder hinzutraben und 's gibt doch Wege, wo er vor Hindernissen nicht hingelangen kann zu ihm und mag er sonst noch so wacker ausschreiten. — Bleib' Er hübsch auf dem, den man Ihm von Kind auf gewiesen hat, und dank' Er Gott dafür, dass Ihm dies Glück geworden ist.

LUX. Tu's ohnedem — halten zu Gnaden — nur mein' ich ...

FINSTERBERG strenge. Lux, solche Leute wie Er haben nichts zu meinen; sobald sie das anfangen, hat alles Auskommen mit ihnen ein Ende. Ihr habt nichts zu meinen! Wir meinen auch nichts, wir nehmen die göttliche Weltordnung, wie sie da ist, mit allen ihren Vorteilen einerseits und all der schweren Verantwortung anderseits.

LUX hingeworfen. Ungeschaut!

FINSTERBERG. Und zu der letzteren gehört auch, dass wir die Leute, die wie Er sind, führen zu ihrem eigenen Besten, — das »Obenhinauswollen« führt zu nichts und vorgesorgt muss werden, dass ihr im alten guten Geleise bleibt, denn sieht Er, Lux, die göttliche Weltordnung bestand schon lange, länger als wir es denken können, und wird bestehen, solange es Menschen gibt. Wer sich dagegen auflehnt, dem wird's bald in seiner eignen Haut nicht wohl — warum? Er sieht, das Gebäude steht fest und ändern kann er's nicht, wie er auch dran rüttelt, und wer die andern dazu verführt, den muss man wegrücken aus deren Gemeinschaft.

LUX. Glaub's ohnedem!

FINSTERBERG nickt vor sich hin. Dabei bleib' Er, Lux, und wir bleiben die Alten! Zieht seine silberne Dose, greift bedächtig nach einer Prise. Die göttliche Weltordnung, Lux Klopft ihm gnädig auf die Achsel. die ist wie sein Wald, ganz so, da ist nichts gewaltsam gemacht, da ist alles geworden und da kann auch nichts gewaltsam davon abgetan werden. Da stehen die gewaltigen vielhundertjährigen Stämme, die durch die Sonne Gottes großgezogen worden sind, da stehen sie weit gebreitet auf dem Boden, der ihnen gehört, da sie in ihm wurzeln, und dehnen sich durch den ganzen Raum, der ihnen zur Entfaltung verliehen ward, und das ist ihr Recht, denn den brauchen sie, aus dem stehen sie — weiß Er nun, Lux, warum das Unterholz ihnen nicht über den Kopf wachsen kann?

LUX. I natürlich, weil sie ihm den Raum dazu vorwegnehmen. Wenn der Regen vom Himmel fällt, so nehmen die Kronen das meiste weg und das Unterholz mag sich getrösten; wenn's nicht regnet, so tröpfelt's doch; und in der Erde rücken sie mit starken Wurzelästen die schwachen Fäserchen beiseit'.

FINSTERBERG jetzt erst mit Befriedigung schnupfend. Sieht Er, Lux, so ist's, das ist die Weltordnung, das ist der Ständeunterschied; wie die großen Waldbäume das Unterholz vor dem Sturm, so schützen wir die Leute, wie Er ist, vor den bösen Gewitterstürmen der Neuzeit! Plötzlich launig. Sag' Er mal, Lux, wenn so ein Unterholz über die andern hinausschießt, dass Er befürchten muss, es fährt Seinen alten Kernstämmen mit den Ästen in die Quere, was tut Er da?

LUX. Versetzen, Excellenzherr, natürlich, versetzen den Waldverderber.

FINSTERBERG nickt lächelnd. Ja, ja, dass ihm der »Hochhinaus« die anderen Unterhölzer nicht verdirbt, durch die böse Lockung, versetzen, versetzen! Und wenn er das nicht verträgt?

LUX. Zehrt er ab, verdirbt. Ist aber kein Schade!

FINSTERBERG nickt für sich. Ja, ja, kein Schade, versetzen!

LUX nachdenklich. Halten zu Gnaden, Excellenzherr, das ganze Gleichnis, so gleichsam, vom Wald und Unterholz leuchtet mir schon ein, aber das vom Versetzen?!

FINSTERBERG. Wart' Er's nur noch ein Weilchen ab, Lux, dann wird's Ihm schon klar werden. Forstwirtschaft, Alter, die Er eben vorher nicht versteht.

LUX. Will schon aufpassen, Excellenzherr!

FINSTERBERG. Wer kommt denn da den Weg von Kirchfeld her?

LUX. Mein Seel', das ist der hochwürdige Herr!

FINSTERBERG. Der Hell?

LUX. Er selber, Excellenzherr! Wie der Wolf in der Fabel, nur mit dem gewaltigen Unterschied, dass er kein so gefährlicher Gesell ist.

FINSTERBERG. Hm, sag' Er das nicht so voreilig. Kleine Pause. Lux, Winkt ihm zu gehen. lass Er mich allein!

LUX. Excellenzherr!

FINSTERBERG unwillig. Marschier' Er!

Lux ab.

FINSTERBERG allein. Er läuft mir in den Schuss, wir wollen ihn aufs Korn nehmen; wenn er klug ist, so gewinnt er uns beizeiten noch die Witterung ab — wär' mir lieb, gäbe mir ein rechtes Ansehn das. St. Peter, mein heiliger Patron, nannte sich einen Menschenfischer [Matthäusevangelium 4,19], will heute auch einmal die Flinte aus der Hand legen und Menschenjäger werden. Weidmannsheil Nickt für sich nachdenklich, indem er zur Dose greift. ja, ja, werd' mir zu teil. Wendet sich gegen den Kommenden.

Zweite Szene.

Voriger, Hell von links.

FINSTERBERG grüßend. Gelobt sei Jesus Christus!

HELL dankt. In Ewigkeit! Will vorüber.

FINSTERBERG vertritt ihm den Weg. Ich habe vielleicht noch die Ehre, gekannt zu sein?!

HELL ihn erkennend und sich verbeugend. Excellenz, Herr Graf von Finsterberg?! O, gewiss kenne ich den Mann, dem mich einst mein Gönner, der Propst von Elfkirchen, so warm empfahl und dessen großmütiger Fürsprache und Verwendung ich einzig meine Stellung verdanke. Ich darf wohl hoffen, dieser Verwendung bis nun keine Unehre gemacht zu haben?

FINSTERBERG. Hm, hm, Unehre?! Unehre, nein, jedoch verzeihen Sie, dass ich Ihnen kein Gegenkompliment machen kann, das verbietet, offen gesagt, die Aufrichtigkeit. Ihre Seelsorge wäre vielleicht gedeihlich in friedlichen Zeiten, wir leben aber in kritischen Tagen und ein Mann der streitenden Kirche sind Sie nicht.

HELL unruhig. Excellenz, wenn Tadel in diesen Worten liegen soll, so sei es aufrichtig gestanden, dass ich denselben nicht zu fassen weiß. Sie setzen mir da einen Zweifel in die Seele, der keinen Namen hat, denn bisher glaubte ich nur meine Pflicht getan zu haben.

FINSTERBERG wiegt den Kopf. Ja, ja, der Beruf ist der verantwortlichste und der Hauptfehler junger Leute liegt darin, sie wollen andere leiten und sich nicht leiten lassen; und da braucht's eine feste Hand, die unbarmherzig die wunden Stellen ihrer eitlen Selbständigkeit berührt, die ihnen zeigt, wie sie daran gehen, sich unmöglich zu machen und ihre schöne Stellung samt aller Aussicht für die Zukunft um Flitter und Tand in die Schanze zu schlagen. Fast väterlich. Ich habe Ihnen einst die Hand zu Ihrem Emporkommen geboten, als ich Sie nicht gekannt, jetzt kenne ich Sie, weiß, was Ihnen nottut, werden Sie nun den Rat, den ich Ihnen zu Ihrem Fortkommen biete, zurückweisen?

HELL. O gewiss nicht! Ich bitte Sie vielmehr inständigst darum, Herr Graf.

FINSTERBERG. Ja, ja, mein guter Hell, da Sie darum bitten, so sollen Sie meinen Rat haben, so warm als er aus meinem ehrlichen alten Herzen kommt. Lächelnd. Brühwarm sollen Sie ihn haben! Hähähä ... So treten Sie doch näher.

Hell tritt langsam näher.

FINSTERBERG. Sehen Sie, ich habe früher gesagt, Sie seien kein Mann der streitenden Kirche, jetzt sag' ich Ihnen noch obendrein, Sie sind auch kein Mann der herrschenden Kirche! — Na, nur nicht verzagt, mein Sohn, ich habe Sie niedergestreckt, ordentlich niedergestreckt, aber mit diesen Händen will ich Sie wieder aufrichten ... hähähä! ... lacht nicht; Sehr jovial. lacht nicht, der Tausendelementer — hähähä! Warum nicht?

HELL. Nun, ich dächte, die Sache wäre eben zu ernst, wenn Sie über meine Zweifel mich dadurch hinausführen wollen, dass ich Sie entweder dumm oder dreist verlache, dann bin ich der Mann nicht, den Sie je aufrichten, ich bin weder zur Gleichgültigkeit, noch zur Heuchelei angetan.

FINSTERBERG verbirgt seine Verlegenheit hinter ein groteskes Gesicht, pfeift vor sich. Hüh, ist das ein ernster Ritter und noch so jung. Nun gut! Legt plötzlich das Gesicht in ernste Falten. Also, bester Herr Pfarrer, halten Sie die zwei Begriffe fest: herrschende und streitende Kirche, das führt Sie zu dem Begriffe strenger Subordination, führt Sie zu dem Begriffe eines Oberhauptes, das diese Kirche beherrscht, das sie in stürmischen Zeiten befehligt.

HELL. Ich muss gestehen, ich habe den ersten Ausdruck stets nur im Sinne der Demut und den andern im Sinne geistigen Kampfes genommen; die Macht der Kirche ist doch der Glaube und der wohnt im Menschenherzen, hier herrscht die Kirche als Friedensfürstin und hier auch ist ihr Kampfgefild gegen die finstern Leidenschaften und Laster.

FINSTERBERG. Lieber Hell, nur nicht mit Phrasen und Bildern spielen, das mag bei Ihren Bauern taugen, doch unter uns bleiben wir hübsch auf dem Boden der Wirklichkeit; die Welt ist wirklich und Gott ist wirklich. Nehmen Sie auch ja nicht bildlich, was ich spreche.

HELL. Ich habe nie noch etwas bildlich genommen, das sich nicht wirklich verwerten lässt; bei unsern heiligen Büchern, die selbst die Bildersprache führen, hab' ich mich nie bedacht, das Bild im größeren Sinne zu nehmen; denn die Deutungen, sie müssen mit den Zeiten wachsen, sonst geht's dem Okzident wie dem weiten Orient, der regungslos nun vor uns liegt wie ein über seinen Bildern eingeschlafnes Kind.

FINSTERBERG für sich. Spricht famos. Das gäbe einen Frauenprediger! Laut. Vortrefflich! Nur begreif' ich nicht, wenn Sie so denken, warum Sie nicht einen Schritt weiter gehen, dann stünden Sie ja mitten auf unserem Boden, auf dem Boden der Wirklichkeit! Wer, wie Sie es im Bilde taten, Herz und Mensch trennt, erhält eben zwei Begriffe; wir lassen sie beisammen und haben es daher mit wirklichen Menschen zu tun, die fügen sich, oder fügen sich nicht, die werden daher beherrscht oder bekämpft.

HELL im Eifer ausbrechend. Also hinweg mit allen Bildern — ich meine nicht den Bilderdienst, der auch dem Volke Greifbares bietet — hinweg damit, es spricht sich wirklich ohne sie viel leichter! Wenn's Menschen sind, die einerseits beherrscht werden oder bekämpft, so hat man anderseits nur wieder zwei Begriffe nicht zu trennen: die Kirche und die Priester — die sind eins und man hat es daher mit wirklichen Menschen zu tun, die herrschen oder bekämpfen.

FINSTERBERG erstaunt, mit freundlichem Kopfnicken. Ihr seid gelehriger, als ich sonst einen in Eurer Lage gefunden habe. — Ei, freilich, das ist die richtige Fährte. Menschen, wahrhafte Menschen sind auf beiden Seiten: die herrschenden und die beherrschten, die kämpfenden und die bekämpften.

HELL. Also Menschen auf beiden Seiten? Und jetzt erlaubt, wie halten wir denn von all diesen vielen einzelnen Personen den Irrtum ab? Bei seinem Herzen anfragen, das darf nun keiner, das ist nur ein Begriff — wo frägt er sonst nun an, und wenn ja einer ohne Irrtum wäre ...

FINSTERBERG lächelt, gewichtig. Den frägt man, eben den!

HELL. Ist der so bei der Hand? — Ich fürchte, dann fangen wir erst an die Begriffe ganz zu trennen! Wenn dort ein Herz nach Trost schmachtet, wenn hier ein Herz in wilder Leidenschaft mit sich ringt, und ich darf nicht Trost noch Frieden spenden, frei aus eigner Hand, muss erst Nachfrage halten: darf ich's auch, so wie ich's meine? Ei, dann, Herr Graf, dann könnt' es leicht geschehen, dass ohne Trost das Herz bricht, dass ohne Hilfe das Herz verdirbt — und, Herr Graf, ganz wirklich ist dann mit dem Begriff der ganze Mensch gestorben und verdorben!

FINSTERBERG trocknet sich den Schweiß. Mit Euch, lieber Pfarrer, spricht sich's doch verteufelt schwer. Ihr kommt doch immer wieder auf die Bilder zurück und Ihr malt grell. Ob Ihr trösten, ob Ihr helfen, beispringen dürft, das zu entscheiden ist in der Wirklichkeit nicht gar so schwer; Ihr müsst nur fragen, ob es auch der Sache, der heiligen Sache dient, ob Ihr so tut oder so.

HELL. Gut, aber man muss doch bei Personen fragen, ob's der Sache dient.

FINSTERBERG fährt wieder mit dem Tuche über die Stirne. Wir werden uns leichter verstehen, wenn wir uns ganz auf den Boden der Wirklichkeit begeben. Es geht nicht anders. Wenn ich mir erlauben dürfte, Sie auf Fehler aufmerksam zu machen, die Sie bisher in Ihrer Amtstätigkeit gemacht, das dürfte Ihnen vielleicht besser frommen, als mein theoretischer Kurs.

HELL. Ei, ganz gewiss.

FINSTERBERG. Da ergibt sich ganz von selbst ein kleines Normale, denn durch Schaden wird man klug.

HELL. Jawohl, jawohl; doch dünkt mich das noch immer besser, als man wird — durch Nutzen dumm! Ich bitte, meine Fehler!

FINSTERBERG. Ja, ja, lassen Sie mich nur besinnen!

HELL. Sind ihrer so viele?

FINSTERBERG. Das nicht, das nicht, hähähä! Für sich. Mir scheint, der schraubt mich. Trocken belehrend. Ich will bei Ihrem größten Fehler, weil unverzeihlichsten, beginnen, wenn auch die andern gerade nicht die kleinsten sind. Jetzt, wo rings im Lande die fromme Stimmung im schönsten Flusse ist, wo das Volk zu den Versammlungen wallfahret, warum halten Sie Ihre Gemeinde davon ab?

HELL. Das tu' ich, ja, und heut und morgen tu' ich's und immer wieder. Das ist eine selbstmörderische Bewegung gegen das sich verjüngende Vaterland.

FINSTERBERG. Was Vaterland — mit solchen Gesetzen? Herr, dort ist unser Vaterland, jenseits Weist gegen die Berge, verbessert aber rasch die Richtung des Armes gegen den Himmel. das heißt dort, dort ist unser Vaterland, jenseits! Was wollen Sie? Die Gesetze der Kirche und die Gesetze des Staates dürfen nicht miteinander in Kollision geraten!

HELL. Sonst heben sie sich gegenseitig auf, das war auch meine Furcht, darum handelte ich so und anders nicht!

FINSTERBERG. Schreckt Sie der Kampf? Pah, die Kirche hat dabei nichts zu fürchten, die Kirche ist ewig!

HELL. Der Mensch jedoch ist's nicht, sollen alle Segnungen und Tröstungen der Kirche für diese und vielleicht für mehrere Generationen sistiert werden — und warum? Um Sturm zu laufen gegen das Vaterland? Herr, das kann niemand fordern!

FINSTERBERG. Man kann's, man wird's! Glaubt Ihr, umsonst ist jetzt die ganze Christenheit zu Rom versammelt? [nämlich zum 1. Vatikanischen Konzil] Von dort wird Euch der Tagbefehl und, Hell, ich rat's Euch gut, dem gehorcht!

HELL schmerzlich. Also doch?! Wie oft schon lag wie hier das Morgengrau, eine nahende, neue Zeit, über der schweigenden Erde, da traten sie zur Kirche heran, die vorwärtsdrängenden Gestalten, da bot Calvin, da bot der Wittenberger Mönch [= Luther] die Hand, jedoch die Hand ward nicht erfasst, der Schritt ward vorwärts nicht getan; in dem Entsetzen, das die Lenker fasste, geschah er stets zurück! Zum Himmel. Und doch, die Sonne neuer Zeit, sie fand noch immer deine Kirche, o lass sie jetzt doch nimmermehr sündigen auf ihre Ewigkeit!

FINSTERBERG. Das ist Gefasel, junger Mann; wer sündigt je durch festes Vertrauen auf eine heilige Verheißung! Aufrecht muss sie erhalten werden, die alte Ordnung mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, das fordert diese Zeit; gestützt, gestachelt müssen die Schwachen, genährt die Feuergeister werden, das hat man als notwendig erkannt. Wisst Ihr vielleicht es besser, was der Herde frommt, als die, die deren Hirtenstäbe führen?

HELL. Und sind sie denn darüber so einig, alle, alle wie ein Mann?! Und warum, warum frag' ich Euch, könnt' ich es nicht am Ende besser wissen, als wie ein anderer, der meinen Sprengel nie mit Augen sah? Warum gerade sollen wir nicht wissen, was da nottut, wir, die wir dem gläubigen Volke unvermittelt, unvertreten bei Tag und Nacht, in Frost und Glut zur Seite stehn? Wir trösten sie auf ihren Sterbelagern, wir stehen an den Wiegen ihrer Kinder, wir segnen sie am Traualtare, wir nehmen unters Beichtsiegel, was sie reuzerknirscht in unsere Ohren flüstern — und wir, wir sollten es nicht wissen, was in des Volkes Herzen pocht und hämmert?! Wenn's sonst in der Welt gestürmt hat und getobt, wenn's rings von Zwiespalt und von rauhen Kämpfen widerhallte, da konnten die Bedrängten noch zur Kirche flüchten, da standen die zwei gewaltigsten Gedanken Wacht, die je ein sterblich Gehirn erfasste, die Ewigkeit, der Gottgedanke, in ihrer Größe schmolz die Zeit und alle Not und Sorge, wie Schnee auf den Gebirgen vor der Maiensonne, und Frühling ward's in den kummervollen Herzen! — Nun lasset die Beladnen kommen! — Nun setzt sich in der Kirche fort der Kampf des Tages, das heilige Buch ist von der Kanzel ganz verschwunden und wie wenn er sie als Verlobte verkündigen wollte, wirft der Prediger den Glauben und die Politik von der Kanzel unters Volk. Wollt Ihr der Sorge und der Not ihr heiliges Asyl, die Kirche, rauben? O, seht doch zu, was Ihr beginnt! Ich hab's zum öftern gesagt nach der Schrift: »Der Obrigkeit sollt ihr gehorchen.« Soll ich nun sagen: Der Obrigkeit sollt ihr nicht gehorchen? Ich hab' gesagt, für eure Feinde sollt ihr beten — sag' ich nun das Gegenteil? Soll ich statt Trost den Zweifel bieten, statt Friede Zwiespalt säen? Und was nun, wenn sie kommen fragen: Sind meine Eltern selig, die dort auf dem kleinen Friedhof ruhn? Was sag' ich, sag' ich ja oder nein? Sag' ich ja, so werden sie erwidern: Die haben all das nicht geglaubt, was du uns nun sagst und sind doch selig, so brauchen wir es auch nicht zu glauben! Sag' ich nein, so treff' ich sie ins Herz und sie werden fragen, warum man denn nach Christi Geburt schon 1800 schreibt, da der Erlöser heut doch erst gekommen und niemand früher selig werden konnte?! Und die, die gar nicht fragen kommen, die haben wir wohl nötiger, wie sie uns, ganz wirklich, Herr, nicht bildlich gesprochen.

FINSTERBERG verbissen. Wie Ihr bei solcher Ansicht noch in unserer Gemeinschaft bleiben mögt, begreif' ich nicht.

HELL. Das ist's, so war's noch immer! Wenn einem sein Gewissen höher galt, als Euer Meinen und heiliger sein Beruf, als Euer Vorteil, da saht Ihr zu, wie er mit Geschick wohl zu verlieren war, dann hieß es: Er war ein Apostat! Mit Denkenden unter Euch könnt Ihr nur in zwei Arten rechnen, als Gleichgültige oder Abtrünnige löst Ihr sie auf; ich bin weder zu dem einen noch zu dem andern zu gebrauchen, ich bleibe, wie ich bin!

FINSTERBERG. Dann hütet Euch vor der Exkommunikation [= Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft]!

HELL auffahrend. Ausstoßen aus der Gemeinschaft, der ich nach bestem Wissen und Gewissen diene?! Man schleudert heutzutag den Bannstrahl nicht so leicht, man weiß es, der Verlorene lacht des Pfeiles, der matt ihm von der Brust abprallt, und nur die treuen Herzen trifft er schmerzvoll, unverdient; das beste Werkzeug würfe man zerbrochen so beiseite, um mit stumpfen zu arbeiten? Ausschließen mich? Ihr macht mich lachen! Aus welcher Gemeinschaft denn, aus Eurer? Der gehöre ich doch nicht an. Und Euch für eins zu halten mit jener Gemeinschaft, deren Heiligkeit ich anerkenne, der ich mit allen meinen schwachen Kräften diene, so weit werdet Ihr doch wohl Euren gnädigen Scherz, für welchen ich nunmehr mit kaltem Blute diese Unterredung halte, nicht treiben wollen.

FINSTERBERG wütend. Und wenn ich Euch den Ernst zu Gemüte führe, dass Euch die Augen übergehen, wenn ich Euch beweise, dass ich eins bin mit jener Gemeinschaft und was ich in derselben zähle.

HELL ruhig. Das ist nicht wahr!

FINSTERBERG. Bei St. Peter, meinem Patron, es ist!

HELL wie oben. Münchhausen, St. Münchhausen, wollt Ihr sagen, denn Ihr gebt mir eine Lüge mit auf den Weg!

FINSTERBERG toll. Herrgott!

HELL geht. Gott befohlen!

FINSTERBERG nachschreiend. Verblendeter, zittre vor den Folgen!

HELL sich im Gehen wendend. Ich erwarte, was Ihr beginnt!

FINSTERBERG knirschend. Du nimmst den Kampf auf?

HELL schon an der Kulisse. Der ist Eure Sache, meine ist die Pflicht! Ab links.

FINSTERBERG allein. Element, das hat mir noch keiner gesagt, so ist mir noch keiner gekommen! Lux — verdammt — Lux, keinen sichern Schuss hab' ich für heute in der Büchse, so zittert mir die Hand vor Aufregung! Ho, er soll an mich glauben! Lux — der Millionenhund lässt sich nicht sehen, dem will ich einstweilen seinen Waldprediger eintränken! Stürzt rechts ab.

Schon nach dem Abgange Hells beginnt die Musik pianissimo einzelne Stellen des Wallfahrerchors und Hochzeitreigens, beide Tonstücke zugleich wie in Tönen herübergeweht, zu spielen.

Dritte Szene.

Nach dem Abgange Finsterbergs von links der Wirt und die Wirtin, mit Rechen und Kreunze auftretend, welche sie vor der Hütte ablegen, dann Hannsl. Zuletzt Wallfahrer, Schulmeister, Loisl, Michel.

WIRT. Horch, wie's der Wind 'rüberweht, 's muss a Musik in der Näh' sein!

WIRTIN. Ich hör's schon die längste Zeit, i hab' unsern Hannsl auskundschaften g'schickt.

WIRT. 's liegt in der Luft wia a Kirchlied und a Schnaderhüpfel.

HANNSL kommt gelaufen von links. Voda, Muada, i weiß schon, was's gibt!

WIRTIN. Na, was denn?

WIRT. Na, so lass den Bub'n nur Luft schöpfen!

HANNSL deutet nach rechts. Von da oben kommen die Altöttinger, die nach Matrey zur Volksversammlung ziehn; i hab's gleich kennt an ihnere Kirchfahnen, und von da auffa Zeigt nach links. kommen die Kirchfelder mit einer Hochzeitsmusik.

WIRTIN. Die Kirchfelder? Ja, was tun denn die da, heirat' 'leicht eine weg vom Ort?

HANNSL gewichtig. Alle zwei heiratens außer 's Ort!

WIRT. Dummer Bub, eins muss doch ins Ort g'hör'n.

HANNSL lacht. Leicht nöt! Alle zwei g'hör'ns ins Ort.

WIRT. Du bist a Lapp, nachert brauchen s' ja nit außerm Ort sich kopulier'n z'lassen!

HANNSL stemmt die Arme in die Seite, belehrend. Ja wohl, denn sie gehen aufs Bezirk und lassent sich dort kopulier'n, weil die Braut lutherisch is. Wisst's, es is a Zwifil-Ehe [= Zivilehe]!

WIRT. Nöt möglich!

HANNSL beteuernd. Na, wenn ich's sag', so is's a Red'! Der Thalmüller-Loisl heirat' die lutherische Bernbrunner-Franzl.

WIRTIN. Da könnt' man schon irr' werd'n, was s' heuttags für neue Bräuch' aufbringen.

HANNSL stößt den Wirt an. Voda, die Muada wird am Neuchen irrsinnig, das heißt man »reaktionnarrisch«.

WIRT. Jetzt werd' i dir aber gleich, kecker Bub —

Forte. Musik.

WALLFAHRERCHOR hinter der Szene, von oben rechts.

O stärk uns, Herr, an Seel' und Leib,
Auf dass wir rüstig kämpfen,
Des Satans höllisch Sündenreich
Und seinen Hohn zu dämpfen!

WIRT lässt den Schopf Hannsls fahren. Da sein's schon!

HANNSL. Dös is g'scheit!

HOCHZEITSREIGEN hinter der Szene, von Seite links.

Heirassa, Hochzeit is,
Das is recht schicklich,
Heirassa, brave Leut'
Werd'n all'mal glücklich!

HANNSL. Juhu, da sein die a, jetzt kann's was setzen!

Während die beiden Züge sichtbar werden, nach und nach die Wege herauf- und hinabmarschieren, singen sie da capo, doch gleichzeitig, jeder einen Chor. Der Gesang bricht momentan ab, wie der Schulmeister sein »Halt« schreit; der Zug der Wallfahrer hat dem Hochzeitszug den Weg zu verlegen; sobald beide Züge also stehen, ruft.

SCHULMEISTER. Halt! Was für profane Töne schlagen an unsere Ohren?!

MICHEL Zugführer des Brautzuges, geputzt mit Bändern und Blumen, eine große Stange tragend, ebenfalls mit Blumen aufgeputzt, an deren Ende ein riesiger Strauß. Na, was gibt's? Lassts uns ruhig vorbeipassier'n und gehts euern Weg.

SCHULMEISTER. Halt, sag' ich! Seh' ich recht? O, langmütiger Himmel! Altöttinger, hier seht ihr den ganzen Greuel des Unglaubens, der mit der sogenannten neuen freien Zeit über die Welt, ja selbst über unsere friedlichen, frommen Täler hereingebrochen ist! Während wir zu unserer Erbauung nach Matrey ziehen, seht ihr hier die Kirchfelder, aufgeputzt wie die Schalksnarren, unter Sang und Klang den breiten Pfad der Sünde wandeln; diese Gemeinde schickt keinen einzigen Mann nach Matrey! Warum nicht? Weil sie einem öffentlichen Sünder das Geleite geben muss!

MICHEL. Das gang dich und ganz Altötting ein' Teufel an; aber weil d' dich gar so kratzt, wo's dich doch nicht juckt, so kannst auch wissen, warum wir nicht nach Matrey gehen; weil unser Herr Pfarrer g'sagt hat, wir sollen's sein lassen, die Herren dorten könnten alles, was sie reden, recht gut meinen, aber wir könnten's falsch verstehn!

SCHULMEISTER hustet verlegen. So, so, der Herr Pfarrer, hm, hm!

MICHEL. Ja! Und was ich weiß, das is, dass uns in Matrey und anderswo nur g'sagt wurd', die neuen G'setz' sei'n nix nutz — von den nämlichen Leuten, die ehnder es nit der Müh' wert g'funden hab'n, uns aufz'klär'n, warum grad die alten was hätten taug'n soll'n!

SCHULMEISTER. Schweig du und lass mich reden! Thalmüller-Loisl, öffentlicher Sünder, tritt vor, ich beschwöre dich, tritt vor! Siehst du nicht in dieser wunderbaren Begegnung, die ist, als ob sich dir die Heerscharen des Himmels selbst entgegenwürfen, einen Fingerzeig des Himmels?! Noch ist es Zeit, lass die unheilvolle Hand der Ketzerin fahren! Willst du der erste sein, der unserm Lande das verdammungswürdige Beispiel einer solchen Ehe gibt?

LOISL verlegen. Aber, Schulmeister, einer muss doch anfangen!

SCHULMEISTER. Lästerung! Keiner darf anfangen! Hast du auch den Schritt wohl überlegt, wie willst du mit der Haus- und Kinderzucht aufkommen? Dein Weib haltet nichts auf deinen Glauben und lacht dich hinter deinem Rücken aus — und was kannst du auf ihren Glauben geben, ohne selbst den deinen zu verleugnen? Was aber willst du deinen Kindern einst sagen, wenn sie so klug geworden sind und dich fragen: Wer glaubt denn recht von euch beiden, du oder die Mutter?

LOISL kratzt sich hinterm Ohr. Das werd'n die kloan Sakra doch net frag'n!

SCHULMEISTER triumphierend. Das werden sie, verlass dich drauf, das werden sie gewiss.

MICHEL schlägt Loisl auf die Achsel. Zerstudier dich net, sag ihnen das, was man uns vor Zeiten g'sagt hat, wann wir ung'leg'n g'fragt haben: »Halts es Maul!«

SCHULMEISTER. So redest du? Begreiflich, sehr begreiflich, du hast uns ja selbst enthüllt, dass ihr Kirchfelder einen reißenden Wolf im Schafspelze zum Pfarrer habt!

LOISL. Unsern Pfarrer verschimpf uns nit, du reißend's Schaf im Wolfspelz! Uns dekuraschierst net, wenn du auch noch so herumschreist! Wie wir heut morgen auszog'n sein aus unserm Ort, so sein wir auch am Pfarrhof vorbei. Wer steht an der Tür? Der Herr Pfarrer! Wir grüßen ihn, er lacht freundlich, ich nehm' mir ein Herz, denn denk' ich mir, es ist wegen der G'meind', es gibt ja vielleicht doch manche, die etwa glauben, ich begeh' a Todsünd', weil ich die Franzl heirat', die a Lutherische is — ich geh' also hin mit ihr, wir küssen ihm die Hand und ich sag': »Hochwürden, ich tät' recht schön bitten —« Und verstanden hat er mich, hat ihr die Hand aufs Köpferl g'legt und hat g'sagt: »Der Herr geseg'n und behüt' dich!« In der Kirch'n hat er das freilich nit können, aber unser Pfarrer is a ein Pfarrer außer der Kirchen!

SCHULMEISTER. Und soll es uns denn wundern, wenn da das Verderben hereinbricht?! Die Langmut Gottes ist unendlich —

MICHEL. Aber doch nit so lang wie du, Schulmeister, sonst wär' s' schon lang' ab'brochen! Lachen.

SCHULMEISTER. Du spottest — und ihr lacht?! Lachet nicht!

MICHEL. Jetzt halt 's Maul und red: Willst du uns Kirchfelder ruhig vorbeilassen oder nit? Sag's, nachher wissen wir schon, was wir zu tun haben.

SCHULMEISTER zieht sich furchtsam zurück, hinter ein paar Bauern hervoragierend. Lasst euch vorerst doch sagen, welch eine furchtbare Sünde es eigentlich ist, eine Lutherische zum Weibe zu nehmen!

MICHEL. Lost's zu, das werd' ich euch sag'n! Musikanten, mein Kirtaglandler!

ALLE. Juhu!

Musik.

SCHULMEISTER. Ich protestiere!

MICHEL singt.

Lied mit Chor.

's nimmt einer gar oft a
Rechtglaubige Dirn,
Die nachhert im Ehstand
Tut erst protestier'n!

Doch, wenn ihm in d'Aug'n
A Luthrische lacht,
Kann's sein, dass im Ehestand
Katholisch er s' macht!

Jodler mit Chor, Tanz.

Gehts, schimpfts nöt, gehts, schreits nöt,
Ös ketzrische Bruat,
A lutherisch Derndel
Bußt grad a so gut!

Es is a der Gottseg'n
Bei ihr net verdurb'n,
A lutherisch Weiberl
Kriegt a klane Bub'n!

Jodler mit Chor. Diesmal singen und tanzen die Wallfahrer mit.

SCHULMEISTER wirft sich dazwischen. Vorwärts, vorwärts, fromme Gemeinde von Altötting! Zwar seid ihr auch ein nichtsnutziges Volk und habt eben um das goldene Kalb getanzt und ich sollte euch wie Moses zwei Steintafeln an den Kopf werfen.

MICHEL. Ja, Kehlheimerplatten [= Solnhofer Stein, Material, um Lithographien herzustellen]!

SCHULMEISTER. Aber ich will Nachsicht haben mit eurer Schwachheit, Nachsicht um der Sache willen, der wir heute dienen. Kräht vorsingend. O stärk uns, Herr, an Seel' und Leib!

CHOR einfallend. Auf dass wir rüstig kämpfen u.s.w.

HOCHZEITSCHOR fällt ein und beide Züge ziehen nach entgegengesetzten Seiten, als wo sie gekommen, ab.

WIRT der am Ganzen teilgenommen. Jetzt weiß man erst wirklich net, wer recht hat.

HANNSL lacht dumm.

WIRT. Was lachst denn?

HANNSL. Weil der Voda fragt, wer recht hat, und sie hab'n gar nit g'rauft!

WIRT. Na und was wär' denn dabei 'rauskäma? Recht bleibt Recht.

HANNSL keck. Ja freilich, wer d'Schläg kriegt, hat allemal unrecht.

WIRT. Mir scheint, du wirst aber gleich auch unrecht hab'n!

HANNSL. Das gibt's doch net; ich verkriech' mi hinter d'Muada, bis i so stark bin wie der Voda, donn kimm i schon herfür. Dös »Verkriechen« heißt man Konferenz.

WIRT. Zum Teufel, wer setzt dir denn das Zeugs in Kopf?

HANNSL stolz. Ich hab' doch im Meraner Hotel für Fürsten und Grafen die Teller g'waschen!

Vierte Szene.

Vorige. Wurzelsepp Gebirgstracht, Kniehose und Bergstrümpfe, Gangstecken und Kreunze mit Blätterwerk, der ganze Anzug zerfetzt. Vierziger, finster.

SEPP wirft, ohne zu sprechen, Gangstecken und Kreunze [= Tragekorb, Kraxe] zur Erde und setzt sich an den Tisch.

HANNSL. Grüß dich Gott, Monbua!

SEPP gibt ihm einen Rippenstoß. Willst du 'leicht mit mir anhahneln?

HANNSL weinerlich. Na, aber hundertmal sag' ich so zu dir und du lachst dazu.

SEPP. Heut bin i zu die Dummheiten nit aufg'legt. Bring mir ein' Wein.

WIRT. So zeitlich heut? Willst so früh in die Stadt?

SEPP. I geh' heut nit in d'Stadt.

WIRT. Na und auf die Berg kraxelst a nimmer herum um Kräuter für die Apothek?

SEPP. Mi leidt's heut an keiner Arbeit.

WIRT. Hast g'wiss heut wieder dein süffigen Tag? Schau, Sepp, es ist dir vergunnt, aber ich will's net aufs Gewissen nehmen, dass du dein bissel Geld bei mir sitzen lasst.

SEPP. Was i verlang', wird zahlt, das weißt. Wenn i nücht' bleiben will, brauch' ich dich net, wenn ich aber einmal nix von mir wissen will, gleichwohl ich auf der Welt bin, geht's dich doch nix an.

WIRT. Na, es war nur g'redt, mir kann's ja recht sein, es war ja nit schlecht g'meint.

HANNSL hat Wein gebracht.

SEPP hastig getrunken. Net schlecht g'meint? Das weiß ich, dazu bist du viel zu dumm! Schlägt in den Tisch. Ich sag' dir aber, es is alles eins, ob der Mensch dumm is oder schlecht! Ihr und die ganz G'scheiten, die ein'm Hirn und Herz aus'm Leib herausdisputier'n woll'n, seids doch ein Bandl; wann sich a ehrlicher Bursch amol aufbäumt und sagt: »Lassts mir Hirn und Herz, wie mir s' unser Herrgott in Leib einigeb'n hat!« da seid's ihr bei der Hand und duckts ihn unter, ganz unter, und wenn er euch unter den Fäusten liegen bleibt.

WIRT. Aber Sepp, besinn dich, es tut dir ja kein Mensch was!

SEPP aufseufzend. Jetzt freilich nimmer! Heftig. I bin ein anderer, aber ös seids die Alten!

WIRTIN. Aber du bist heut wieder a Wildling! Und wie du ausschaust!

SEPP. Ahan, fallt's dir schon auf die lüftige Kluft, denkst dir selber, dass i net vom Haus so weg bin. Los' zu, Neugierige, wann's dich verintressiert. Zu Hannsl. Füll' nach!

Kleine Pause.

WIRTIN. Wo warst denn nachher?

SEPP. Lass dir verzählen. Gestern haben s' schon in unserm Nest herumtrommelt wegen dem Thalmüller seiner Hochzeit. Denk' i mir, morgen hast so kein Ruh, die Dirn' werd'n di necken, weil d' ledig bist — dö Gäns, als ob's an mir g'leg'n wär', dass i kein Weib kriegt hab', — i mag a nit dabei sein seit der Zeit bei einer Hochzeit — i mag net — beim Thalmüller schon gar net! Sehr niedergeschlagen. Aber schon gar net, ich weiß warum! Denk' i mir also, den Tag wirst dich 'nunterrackern und nachts wirfst dich aufs Heu und drehst di nit amol im Schlaf um; is auch gut, weißt von nix und willst von nix wissen! Halbnachtig war's noch, wie i mit der Kreunzen aus'm Haus bin, durchs Dorf auf'n Gamskogl zu — kein Hahn hat sich noch g'rührt, kein Hund und selbst der Wind war noch wie verschlafen und hat nur so a bisserl hing'wachelt, kaum dass er a Blatt'l auf'n Baum g'rührt hat — und i bin immer höher und höher hinauf nach'm Gamskogl zu, dass mir warm word'n is, und oben hab' i mi niederg'setzt und hab' ausg'rast' und g'wart', bis die Sonn' über'n Watzmann heraufkommt — sie is heraufkommen, langsam, ganz langsam, rot wie a glühende Kohl'n is s' da vor mir g'hängt; wie i so in die graue Welt g'schaut hab' — und ein G'frier is euch übers Land gangen, dass i mein' Jacken enger an mi anzog'n hab'. Ahan, hab' i mir denkt, die kalte Finstern macht sich noch einmal breit vor ihr'n End'. Aber der Nebel is in Fetzen zerfahr'n und Viertelstund um Viertelstund hat ihn die Sonn' mehr und mehr auf die Seiten druckt, bis er nimmer hat auskönnen — und da 'nein hat er sich in die tiefe Klamm und dorthin in d'Höllschlucht verschlossen. Mir hab'n die Aug'n schon weh tan — und die Sonn' hat so freundlich geschienen und i hab' mir denkt: Was's doch die Sonn' gut hat, sie kann's derwarten, a Neichtel Zeit und sie leucht' halt doch üb'rall hin! Senkt den Kopf.

WIRTIN. Na und nachher?

SEPP. Nachher hab' i ang'fangt Wurzeln ausz'stechen und Kräuter ausz'rupfen, als ob s' mir was antan hätten, und hab' die Zähn' dabei übereinand' bissen — aber der Gedanken is mir net aus der Seel' 'gangen: Der Mensch aber kann's nit derwarten — a Neichtel Zeit und er is selber nimmer! Und dann is's so kummen nacheinander, wie wenn sich's vom Spinnradl abzwirnt, alles, was i erlebt hab', ohne dass i nur a Tipferl hätt' daneben werfen können, wenn i auch mög'n hätt', und da hab' ich 's Grabzeug von mir g'worfen und mich am Rand vom Gamskogl hing'legt und hinunterg'schaut in die weite Welt. — Gradüber auf der Edelwiesen is Altötting g'leg'n und drunt' tief im Tal unser Dörfl, Kirchfeld. — In Altötting hab'n s' mit alle Glocken g'läut' und mit Fahnen sein s' auszog'n — und von Kirchfeld auf amol schallt's so 'rauf, als ob mich einer mit der flachen Hand stad aufs Ohr hauet — da hab'n s' an Pöller [=Böllerschuss] g'löst — und bald darauf hab' ich's auch heraufziehn g'sehn. — Haben sie sich net da 'troffen auf der Bergstraßen?

WIRT. Freilich!

SEPP. Und sein s' so gut auseinander kämma? Dö können nach Matrey und der Loisl nach der Stadt? Is keins derschlag'n word'n?

WIRTIN. Ei beileib!

SEPP wild. So setzt er's doch durch? Möglich is's auf amol, was früher net 'gangen is?!

WIRT. Wer, was?

SEPP abbrechend. Wie i so oben steh' und seh' die Altöttinger hinunter- und die Kirchfelder 'raufwurl'n, net größer wie die Ameisen, da hätt' i mög'n der Herrgott sein, i hätt' 'nunterg'langt und dös Unziefer mit der Faust zerdruckt. — Nimmer g'litten hat's mi oben, mein Gangstecken hab' i gnummen und bin über die steile Wand 'runter ...

WIRTIN. Heiliger Gott!

SEPP. Neben meiner is's losbröckelt vom Stein und 'runterpoltert und hat oft erst langmächtig darnach unt' in der Tiefen aufg'schlag'n — und i alleweil 'runter — und da hab' i mi so zug'richt'!

WIRTIN. Du hätt'st di dabei totkugeln könna!

SEPP. Wär' a nix drang'leg'n!

WIRTIN. Du red'st wie a Heid! Schau, Sepp, is's denn wirklich wahr, was die Leut' von dir red'n?

SEPP. Von mir reden s' gar viel; wann i erst zu allem ja oder nein sagen müsst', tät's mich verdrießen.

WIRTIN. Nur eins möcht' i wissen, in Kirchfeld heißt's, dass man weder di noch dein' Mutter in der Kirch' sieht?

SEPP plötzlich sehr schroff. Weißt, Wirtin, mein' Mutter is ein arms alts Weib, die is nimmer recht bei sich — die kann für nichts, die lassts mir in Fried'.

WIRTIN. Aber du?

SEPP lacht trotzig. Mich lassts auch in Fried'!

WIRTIN. Schau, Sepp, das is net schön von dir, ös habts neuzeit, wie i hör', so ein' lieben guten Herrn Pfarrer; schon dem z'lieb, wann net dir zum Heil!

SEPP wild. Was kümmerst dich um mich? Bin i dir 'leicht auf d'Seel 'bunden? Bist du verantwortlich für mich? G'wiss net! G'sagt hab'n sie's dir, was wir für ein' guten, lieben Herrn Pfarrer hab'n? Glaubst du's, is's gut für dich — ich net! I hab' sie kennen g'lernt und i will amol mit keinem was z' tun haben — weil i net will! Der müsst' erst kummen, der mir saget, was mir g'fallt, der so tut, wie mir recht wär'. Es gibt kein'n, 's kann kein' geb'n und i weiß, wie i dran bin mit allen — mit allen! Sie singen doch ein Lied, der eine grob, der andere fein, dö Wörter sein d'nämlichen.

WIRTIN ängstlich. Also bist wirklich der Dorfketzer von Kirchfeld, wie s' sagen?

SEPP. Besser Dorfketzer, als Dorfhetzer! I kümmer' mich wenigstens um kein' Menschen, was er tut und treibt und trag's nit herum im Dorf und in der Fremd' und hetz' ihm nit die andern auf'n Hals. Trinkt und lüftet sich das Halstuch. Und jetzt lassts den dummen Diskurs, ös verstehts mich net und ich begreif' euch samt eurer Frummheit net, dö sich um den andern Leuten ihr' Seligkeit so viel kümmert! Ös kommts doch nit blind auf die Welt, wie die jungen Hund', aber sehet werds doch euer Lebtag net!

WIRT stößt seine Frau mit dem Ellbogen an. Den bringst du nimmer auf gleich!

SEPP hat den Kopf gesenkt, hebt ihn. Kannst recht hab'n! Herentgeg'n bin i aber a ordentlich verkrüppelt und zermudelt word'n!

Fünfte Szene.

Vorige. Annerl ländlicher Sonntagsstaat, Bündel unterm Arm.

Entreé.

Dö Fischerln im Bach
Und d'Vögerln am Boam,
Dö wissent wo s' hing'hör'n
Und hab'n ihr Dahoam.

Nur 'n Menschen treibt 's G'schick
Oft hinaus in die Fremd',
Wenn er glei vor Hoamweh

Und Herzload derkämmt!

Jodler.

Dahoam hat mi ang'lacht
Beim Bacherl der Steg,
Dö Häuserln im Dörfel,
Jed's Stoanderl am Weg,

Doch weit von dahoam
Schaut jetzt fremd alles her,
Als ob i schon selber
Vergangen lang wär'.

Jodler.

SEPP hebt den Kopf nach ihr. Du Derndl —

ANNERL wendet sich gegen ihn.

SEPP. Hat's dich 'leicht a bei der Falten 's Unglück, weil d' so traurig singst?

ANNERL. 's is ma wohl nie gut gangen, aber hitzt weiß i gar nimmer, was's werden wird.

SEPP bietet ihr den Krug. Trink eins.

ANNERL legt die Hände ans Mieder. I dank' schön, i kann net!

SEPP. Dir verschnürt 's Mieder ja völlig die Red', bist g'wiss g'loffen wie nit g'scheit?

ANNERL. Ah na!

SEPP. Wann d' scho nit trinkst, so setz dich a weng — oder versäumst's?

ANNERL. I soll nach Kirchfeld.

SEPP. So! I bin a Kirchfelder, kann i dich 'leicht weisen?

ANNERL. Dös wär' recht schön von dir, Landsmann, wann d' mit mir gangst. Ich kann dir's net sagen, wie mir is; ich hab' heut mein lieb's Heimatdörfel verlassen und bin 'gangen, 'leicht auf Nimmerwiedersehn. Seit fruh bin i wie träumet die Berg 'raufg'stieg'n und hab' mir nit 's Herz g'nommen, dass i ein' Menschen g'fragt hätt' um den Weg; auf a paar bin i zu'gangen, aber mir is 's Wasser in die Aug'n g'schossen, dass von mir wegg'schwommen sein, und sie war'n a schon weit weg, wann i nachher g'schaut hab'; sie müssen denkt hab'n, i bin a Bettlerin, oder nit recht g'scheit. Du bist der erste, der mich ang'red't hat, i hätt' kein' Red' von mir 'bracht.

SEPP. Ich hätt' dich a nit ang'red't, wann d' net so traurig g'sungen hätt'st; aber dös is halt mein Gusto, andere sein gern dabei, wo's lustig, und i, wo's traurig hergeht.

ANNERL. Es wär' mir recht lieb, wann d' mi weisen wollt'st, so brauch' i kein' Menschen mehr Red' z' stehn als am Ort, da muss's freilich sein und i fürcht' mi schon drauf.

SEPP. Wo willst denn hin?

ANNERL. Zu euern Pfarrer.

SEPP. So. Was willst ihm?

ANNERL. Unser Pfarrer — i bin von St. Jakob in der Einöd' — legt a guts Wörtl bei ihm ein, dass er mich aufnehmet in Dienst.

SEPP. Schau.

ANNERL. I bin völlig verzagt, wenn i denk', dass i dienen soll.

SEPP. Hast recht, und schon gar a so a Dienst! Pfarrknecht wär' a 's letzte, an was i denket.

ANNERL. Du machst ein'm aber a 's Herz recht schwer, Landsmann.

SEPP. Na, du brauchst auch grad nit verzagt z' sein. Bei euch Weibsleut' is a anders, ös seids ja allweil die Frummern und Vertraglichern — vielleicht g'fallt dir der Dienst noch recht gut und is's dir recht, geht's eigentlich kan andern was an.

ANNERL. Na, könnt'st du nit leicht a frumm und vertraglich sein?

SEPP. I glaub' kaum, dass i's zuweg'n bringet.

ANNERL. Bist 'leicht euern Pfarrer feind? Schau, da tätst nit recht!

SEPP aufstehend. Mein' liebe Dirn, man stift aften a nix Rechts, wann man ein'm z'gut is!

WIRT zieht Sepp beiseite. Wer is denn das Derndl?

SEPP. Zu unsern Pfarrer woll'ns dö lebfrische Dirn schicken, grad als ob s' ihm's z' Fleiß täten.

WIRT. Du hast 's gottloseste Maul von der ganzen Gmoan!

ANNERL ist aufgestanden und hat das Bündel wieder genommen. Gehn wir 'leicht schon?

SEPP. Gleich, Derndl. Gibt dem Wirt Geld.

WIRT schiebt das Geld ein. Richtig! Aber nit richtig, was du dir Sündigs denkst, gleichwohl das Dirndl mordsauber is.

SEPP. Wirt, frag doch über fünf Wochen, ob die Kirchfelder ihr'n Pfarrer noch für ein' Heiligen halten?! Wendung zum Gehen.

Vorhang fällt. Musik fällt mit einem kurzen Allegro ein.

Verwandlung.

Freundliches Gemach, einfach, aber nett möbliert, Mittel- und Seitentüre links, ein Fenster ganz vorne rechts, vor diesem ein Sekretär. Mitte der Bühne ein kleines gedecktes Tischchen mit Morgenimbiss für zwei Personen, zwei Gedecke, eine Bouteille, kleine Gläser. Ein Fauteuil mit hoher Lehne, ein Rohrsessel, nächst dem Sekretär eine Etagère [= Gestell] mit Rauchrequisiten.

Sechste Szene.

Vetter, ein Greis mit kahlem Kopf und an den Schläfen herabfallenden langen weißen Haarflechten, Priestergehrock, Gewandung etwas abgetragen, sitzt behaglich in dem Fauteuil; er hat eine Serviette übergebunden, die er während der ganzen Szene nicht ablegt; er ist durchweg sein humoristisch aufzufassen. Hell ein junger rüstiger Mann in der Soutane, sitzt ihm gegenüber auf dem Stuhl.

HELL gerade im Begriffe das Glas seines Gastes nachzufüllen.

VETTER deckt die Hand über das Glas und wehrt mit der andern die Bouteille [= Flasche] ab. Nein, nein, ich danke, aber wahrhaftig, es wird sonst zu viel, ich bin es ja nicht gewöhnt.

HELL setzt die Flasche zurück. Sie rauchen?

VETTER. Ja, das heißt — allerdings wohl —

HELL. Ich finde nichts Auffälliges daran, wenn Sie rauchen.

VETTER. Das ist sehr freundlich, manche wollten es mir übelnehmen.

HELL. Ich selbst rauche zwar nicht, aber wenn Sie erlauben — ich halte für meine Gäste ein gutes Kraut — so offeriere ich Ihnen ein Pfeifchen. Erhebt sich.

VETTER erhebt sich gleichfalls. Aber ich bitte, Sie bemühen sich zu viel um mich alten Mann, ich werde mich wohl selbst bedienen können.

HELL hat ihn auf den Sitz zurückgedrückt. Aber bleiben Sie doch, Sie bringen sich ja aus Ihrer Behaglichkeit. Geht nach der Etagère und holt das Erforderliche.

VETTER faltet vor sich die Hände. Ach ja, es war mir wohl schon lange nicht so behaglich.

HELL stellt das Gebrachte auf den Tisch. Bedienen Sie sich.

VETTER unter folgendem richtet sich eine Pfeife und raucht. Wenn Sie es erlauben! Wie Sie es doch gut haben, Herr Amtsbruder! Hm, wie hier alles so freundlich und behaglich ist, so recht wohlgefällig und lebensfreudig, so — gottesfriedlich! Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren und sind noch so jung, haben noch so viel vor sich — Sie haben wohl auch Protektion gehabt.

HELL. Nun, das wohl, der Propst von Elfkirchen ist mein Gönner, er kam oft in unser Haus, ich verdanke ihm viel, aber — Gott ist mein Zeuge — ich habe seine Protektion nicht gesucht, ich habe nicht versucht, irgend wen von seinem Platze zu verdrängen, um mich besser zu situieren.

VETTER. Hm, das ist doch wohl keine Sünde, das geschieht ja täglich an allen Orten und ich mag es Ihnen wohl gönnen! Ich bin schon ein alter Mann und zu wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben in Eis und Schnee, ich habe mir das freilich nie gedacht, dass es so kommen würde, nun ist es eben so geworden. Gesprächig. Ich bin der zweite Sohn armer Bauersleute und Sie wissen, man hat es gern, dass das kleine Erbe für den ältesten beisammen bleibe, da hat man mich denn zum Priester gemacht. Ich habe, als ich das Seminar verließ, viele hinter mir gelassen, die jetzt gar hohe Kirchenfürsten sind — freilich waren sie meist schon von Haus aus von hoher Familie und manch andere, die sich geschickt in weltliche Dinge zu mischen wussten, wenn es der Vorteil der Kirche wollte, haben auch ihren Weg gemacht; nun, ich taugte eben nicht zu derlei, so haben sie mich denn von Pfarre zu Pfarre geschoben und endlich kam ich da hinauf. Es ist wahr, ich brauche wenig, aber die Leute dort oben brauchten doch einen, der mehr ist als ich; mein Trost sind meine weißen Haare und jeder Tag, der vorübergeht, macht mich die wenigen noch übrigen geduldiger ertragen, aber damit tröstet man doch nicht diese armen Leute, die noch recht rührig sind und — oft wie gerne! — leben wollen!

HELL der in Nachdenken versunken. Wie heißt doch Ihre Pfarre?

VETTER. St. Jakob in der Einöd', Herr Amtsbruder. Ein Dorf, in welchem Sie nicht fünf Menschen finden werden, nicht fünfe, denen es so recht wohl und friedlich erginge. Alles herabgebracht vom Elend.

HELL. Das ist traurig, sehr traurig! Wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts, gar nichts dawider tun können!

VETTER. Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl, ich lebe ja wie sie, fast schlechter, einige, die es haben, leben jedenfalls besser als ich, ich neide es ihnen nicht — nur einem geht's gar elend, das ist der Schulmeister: winters über plagt er sich mit den Kindern, sommers laufen die ins Feld und er könnte sich wohl selbst zur Feldarbeit verdingen, wenn er es tun wollte, aber er will nicht. Ein eigener Mann, der Schulmeister, hat so überspannte Ansichten, will die Erde nicht recht als Prüfungsort gelten lassen und glaubt, die Menschen werden doch einmal ein Paradies daraus machen und der Herr seinen Segen dazu geben! — Hehehe! — Aber sonst ein braver Mann, der Schulmeister; sitzt aber seit Jahren nun da oben, ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft, hofft noch immer, ich weiß nicht auf was.

HELL ergriffen, fasst über den Tisch mit beiden Händen die Rechte Vetters. Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so mutlos, so resigniert?

VETTER. Ach nein, ich war ja auch jung, aber wir werden doch alle so, der Esprit du corps [= Korpsgeist], möcht' ich sagen, lehrt uns das Auffällige meiden und das Gute, das sich im bescheidenen Kreise tun lässt, drängt sich von selbst auf; da kommen die Ortsarmen, da kommen die Beichtkinder und zu den Sterbenden geht man hin, und im übrigen läuft die Welt so nebenher, ohne dass wir ihrer achten.

HELL fährt sich mit der flachen Hand über den Scheitel und sagt dann rasch, wie um auf ein anderes Thema zu kommen. Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht?

VETTER. Nun, früher ist's wohl leidlich gegangen, da konnte ich sie zu manchem Guten anhalten; aber jetzt, letztere Zeit, kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschlagen und schreien und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Eines hat freilich bisher immer als letztes Mittel geholfen und würde es wohl noch; das war, dass ich sagte: ich würde nun mich ganz von der Seelsorge zurückziehen, gehen, und im Priesterhause meine Tage beschließen und sie könnten dann sehen, wie sie mit einem neuen Pfarrer auskämen, der wohl, wie alle jüngeren, auch in weltlichen Gemeindeanliegen wird mit raten und taten wollen! Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluss gefasst, zu gehen, es wollte schon eine Zeit her nicht mehr recht fort mit mir, ich bin nicht wie der Schulmeister, der hofft Näher rückend. und, Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich; er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht — wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben — so steh' ich denn allein und wenn ich heut oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen, darum bin ich nun ernstlich entschlossen und lass' jetzt die — wie es die Politiker nennen — die Kabinettsfrage aus dem Spiel, denn ob die Gemeinde nachgeben würde oder nicht, ich würde ja doch gehen und ich will ihr auch nicht einen frommen Betrug spielen. Weil ich das nicht wollte, haben sie diesmal in einer Angelegenheit wenig nach mir gefragt und weil ich das Drohen sein ließ, muss ich mich jetzt aufs Bitten legen und das tue ich bei Ihnen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen.

HELL. Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut.

VETTER. Die Sache ist die. Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte mit ihrer Hände Arbeit und dabei recht christlich ihr einzig Kind, ein Mädchen, erzog, das wuchs so heran, half bei der Arbeit, und so ging's denn Jahr für Jahr, ein mühselig, einförmiges Leben! Fiel dann einmal eine Krankheit die Alte oder das Mädel an, nun so musste obendrein geborgt werden und so ward das wenige liegende Eigentum, die Hütte und ein paar Joch Äcker richtig ganz verschuldet. Vorige Woche nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen, was vorhanden war, in Beschlag und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern; das arme Kind steht jetzt obdachlos, ganz einsam und verlassen auf der Welt. Wie ich bemerkte, ich konnte diesmal mich nicht so ins Mittel legen, dass es fruchten mochte, denn es ist viel, von diesen Leuten zu verlangen, dass sie entsagen, wo sie selbst kaum das Nötigste haben, das verhärtet das Herz; da hab' ich denn den Sarg der Alten aus Eigenem bezahlt und wegen der Jungen den Gang zu Ihnen gemacht. Ich weiß wohl, Sie haben die alte Brigitte, die haushält, aber die seufzt auch schon, wie ich höre, dass es ihr schwer ankomme, unserem Schulmeister hat sie ihre Not geklagt, er ist mit ihr verwandt; da dachte ich mir, ich wag' es, Sie zu bitten, dass Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben.

HELL. Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen.

VETTER. Nun, das ist recht christlich. Es ist ein recht braves, gescheites, anstelliges Dirndl; ich habe sie hieherbestellt, dass Sie sie sehen können; gefällt sie Ihnen etwa nicht, nun dann kann ich sie ja wieder mit mir nach Einöd nehmen und sie dort bei irgend einem Bauer als Magd — freilich nicht so gut, als ich es mit ihr meine — unterbringen.

HELL. Ihre Empfehlung genügt. Die Sache ist abgemacht. Gibt ihm die Hand.

VETTER schüttelt ihm die Hand. Ich danke Ihnen recht sehr!

Siebente Szene.

Vorige. Brigitte durch die Mitte.

BRIGITTE. Es ist ein Dirndl unt', das mit'n hochwürdigen Herrn aus Einöd reden möcht'.

VETTER. Das ist sie schon!

HELL. Führe sie nur herauf. — Das dürfte wohl deine Gehilfin werden, Brigitte!

BRIGITTE schon an der Türe, wendet sich um. So? Na, das wär' mir schon recht. Das Dirndl ist recht nett und sauber und net a bissel aufdringlich. I hol's gleich! Ab.

HELL lächelnd zu Vetter. Ei, Ihr Schützling tritt unter günstigen Aspekten ins Haus. Sie müssen wissen, was das heißt, wenn die Brigitte das Lob eines jungen Mädchens singt, sonst weiß sie ihnen wenig Gutes nachzusagen und ist gegen alle, die sie nicht kennt, sehr misstrauisch.

Achte Szene.

Vorige ohne Brigitte. Annerl bleibt unter der Mitteltür mit stummem Knicks stehen.

VETTER ihr entgegen, indem er sie bei der Hand nimmt und vorführt. Komm nur, ich habe schon für dich gesprochen.

ANNERL hat ihm die Hand geküsst.

VETTER. Und der hochwürdige Herr hat mir bereits die Hand darauf gegeben, dass er dich aufnehmen will.

ANNERL. Vergelt's Gott! Küsst dem Hell die Hand.

HELL indem er ihr die Hand entzieht und ihr dieselbe auf den Scheitel legt. Wie heißt du, mein Kind?

ANNERL. Anna Birkmeier.

HELL. Also ... Anna, ich heiße dich in meinem Hause willkommen. Du weißt wohl selbst, dass Dienen kein leichtes Brot ist; indessen will ich dafür sorgen, dass dir von niemand dein Stand schwerer gemacht wird, als er es für dich ohnedies schon sein mag.

ANNERL. Ich fürcht' mich nimmer vorm Dienst. Oben auf der Bergstraßen hab' ich ein' Kirchfelder getroffen, der g'sagt hat, dass er dein Feind is, hochwürdiger Herr, und der sich am Weg her alle Müh' geb'n hat, dir was Schlechtes nachz'reden und hat doch nix vorz'bringen g'wusst. Da hab' ich mir denkt: was du für ein Herr sein musst, wenn dir selbst die, die dir übel wollen, net zukönnen! Da bin ich um so couragierter auf'n Pfarrhof zugangen, jetzt hab' ich dich g'sehn und g'hört, wie gut und freundlich als d' bist, jetzt tät's mir fast weh, wann d' mir dir net dienen lassest!

HELL. Gewiss, du sollst bleiben!

ANNERL. Es schreckt mich auch nit, dass d' für ein' geistlichen Herrn noch so viel jung bist.

HELL. Dass ich jung bin?

ANNERL. Ich denk', besser kann a brave Dirn ninderscht aufg'hob'n sein, als bei dir.

HELL. Gewiss, Anna.

VETTER. Also, Herr Amtsbruder, lassen Sie sich das Kind recht empfohlen sein.

HELL zu Annerl. Du denkst brav.

ANNERL. I weiß's nit, aber recht wird's wohl sein.

VETTER stärker. Herr Amtsbruder!

HELL. Recht und brav! Drückt ihr die Hand und sie stehen schweigend in Gruppe.

VETTER. Herr Amtsbruder! Kleine Pause — ängstlich beiseite. O du lieber Gott, rechne mir's nicht an, wenn ich da etwa eine Dummheit gemacht haben sollte — du weißt es ja, ich habe es ... nach bestem Wissen und Gewissen getan!

Gruppe steht.


Zweiter Akt.


Dekoration: Der Garten des Pfarrhofes, den Hintergrund bildet das einstöckige Gebäude, an der Seite rechts läuft ein niederer Zaun hin, links vorne ist eine offene Laube mit Tisch und Stühlen.

Erste Szene.

An der rechten Seite des Tisches auf einem Stuhle, das Spinnrad vor sich, sitzt Brigitte, an der linken Annerl, vor sich auf dem Tische einen Sack mit Linsen, aus dem sie eine Handvoll nach der andern herausnimmt, klaubt und dann in ein sogenanntes »Schwingerl«, das ihr zu Füßen steht, hinabstreift.

ANNERL singt.

Lied.

Zwei kirschrote Backerln,
Zwei Aeugerln wie d'Stern,
A Naserl, a Göscherl,
Das z'samm' macht a Dern!

Und kimmt zu dem allen
A Schnurrbart dazua,
Und ins Maul a Pfeifa,
So is's halt a Bua!

Jodler.

BRIGITTE. Schau, was du für Lied'ln kannst!

ANNERL. Vom letzten Einöder Kirtag hab' ich mir's g'merkt. Ich kann noch a narrischers.

Singt.

Mein' Schatz muss i g'raten,
Dös macht mich verzagt,
Weil er brinnrote Hosen
Fürs Vaterland tragt;

Er kann mich jetzt nimmer
Hoamsuchen, o Gott,
Derglengt ihn der Jodel,
Er stößet mir'n tot!

Jodler.

BRIGITTE. Das sein schon rare Schelmliedeln. Weißt 'leicht noch eins?

ANNERL. Ah, da schau, wer schimpft, der kauft!

Singt.

Von Oetting der Lehrer
Und mänicher Mann,
Schimpft jeder auf d'Welt
Was 'r fürbringen kann,

Da hat der Gott Vater
'en Teufel sich b'stellt:
»Geh, hol mir dö Lumpen,
Dö schimpfen mein' Welt!«

Jodler.

BRIGITTE. Dö müssen a bissel a übermütigs G'sindel sein, die Buben von Einöd.

ANNERL. Na, das sein so Lied'ln, mit dö s' die Derndln und sich untereinand' und alle Welt aufziehn. Auf'n Kirtag sein s' immer so ausg'lassen, weil's 's ganze Jahr hart abegeht, sonst is schon ausz'kämma mit ihnen.

BRIGITTE. Na und dir fall'n 'leicht dö Schnaderhüpfeln a ein, weil dir's jetzt d' ganze Wochen so hart abegeht!

ANNERL lacht. Ah na, mir fallen s' ein, weil i übermütig bin wie a verhätschelte Stadtmamsell. Die reichste Bäuerin im ganzen Land schind't sich im Vergleich zu mir und a Stadtfräul'n kann net schöner faulenz'n.

BRIGITTE. Na, ich werd' dir schon 'n Brotkorb höher hängen, wart nur, bis d' eing'schossen bist in d'Wirtschaft, dann werd' ich d'Stadtmamsell und d'reich' Bäuerin spiel'n und du kannst dazuschau'n, wie d' alles in Ordnung haltst!

ANNERL. Ich fürcht' mi net drauf! Kann's 'leicht eine schöner hab'n? Ich glaub', wenn ich 's ganze Land abg'loffen wär', so a Platzl hätt' ich nindascht 'troffen. Du bist die gute Stund' selber.

BRIGITTE. Na, na, na, bau nur nit z' stark auf mein' Gutheit.

ANNERL. Ich bleib' dabei, du bist die gute Stund', wie s' die Glocken vom Turm gibt; wenn du ausbrummt hast, is auf a sechzig Minuten wieder a Fried'. Und dann der hochwürdige Herr, das is a Mann, um den z' sein is a wahre Freud'; ich glaub', bei dem müsst' der ärgste Sünder wieder a rechter Mensch werd'n!

BRIGITTE. Na, du machst dir's aber a z' nutz!

ANNERL stolz. Das will ich meinen.

BRIGITTE. Aber von weiten!

ANNERL. Geh, du frotzelst mich.

BRIGITTE. Laufst etwa nit von wo d' stehst und hebst dich net vom Sitz, wenn d' sein' Stimm' oder nur sein' Tritt in der Näh' hörst?

ANNERL verlegen. Das is doch g'wiss net so, das hat dir auch nur g'träumt!

HELL hinter der Szene von links. Brigitte!

ANNERL fasst hastig den Sack, rafft das »Schwingerl« vom Boden. Es weht schon die Abendluft, ich werd' unser Sach hineintrag'n. Will gehen.

BRIGITTE. Möchtst nit bleib'n!

ANNERL wendet sich. Was tun?

BRIGITTE. Mir aus'm Traum helfen, Annerl!

Zweite Szene.

Vorige. Hell von links aus dem Garten, ein Buch unter dem Arme.

HELL. Ah, da seid ihr ja beide. Brigitte, da, trage das Buch auf mein Zimmer. Gibt ihr dasselbe.

BRIGITTE nimmt das Buch und das Spinnrad auf und geht in das Haus ab.

ANNERL steht an dem Stuhle, den Brigitte verlassen hat, und blickt in die Szene links.

HELL. Nach was blickst du denn aus, Anne?

ANNERL. Ich schau', wie die Sonn' untergeht.

HELL tritt hinzu. Wir sehen das Tag für Tag und es bleibt doch schön.

ANNERL. Recht schön!

HELL. An was denkst du? Du hast feuchte Augen.

ANNERL. Ich weiß nit, ich war erst recht lustig — aber wie ich da so schau', fall'n mir auf einmal alle ein, die mir recht nah' gangen sein und jetzt die Sonn' nimmer untergehn sehn.

HELL. Unsere Heimgegangenen! Der Herr lasse sie ruhen in Frieden!

ANNERL. Amen!

HELL. Die letzte meiner Familie, die ich zu beweinen hatte, war meine Schwester.

ANNERL sich zu ihm wendend. Die war g'wiss kreuzbrav!

HELL. Brav, klug und schön! Sie und die Mutter, beide lebten, als ich noch Student war, und das spornte nicht wenig meinen Fleiß; ich wollte ihnen alle Freude machen und ich dachte mir das so recht hübsch, wenn ich eine Pfarre bekäme, wie wir da immer beisammen leben und bleiben wollten. Eine Familie haben, ja nur ihr angehören, ist doch etwas Schönes.

ANNERL. Nicht wahr? Oft hab' ich mir's schon gedacht, selbst im Himmel kommt erst die heilige Familie und dann die einschichtigen heiligen Männer und Jungfrau'n.

HELL lächelnd. Meinst du?

ANNERL kleinlaut. Bin ich 'leicht fürwitzig?

HELL. Nein, Anne.

ANNERL. Aber ich bin so viel an meiner Mutter g'hängt und mit ihr hab' ich auch mein' Vater selig in Erinnerung g'habt und so bin ich — wenn ich heut a rechtschaff'nes Dirndl heiß — es niemanden schuldig als ihnen! Kinder, dö so zur Welt kommen, ohne dass's oft Vater und Mutter wissen, sein doch recht traurig dran; sie machen niemand so a herzliche Freud', wenn s' brav sein, und kein Herzleid, das s' ihnern Liebsten antun könnten, bringt s' vom Bösen ab — und nachher wundert sich d'Welt, wenn s' keine rechten Leut' werd'n!

HELL. Das denkst du fromm und klug.

ANNERL sieht zu Boden. Wie d' mich aufg'nommen hast, hochwürdiger Herr, hast mich brav g'heißen, jetzt nennst mich klug — wann d' mir noch eins sagst, so hast mir alle guten Wort' geb'n, wie deiner Schwester selig.

HELL fasst ihre Hand. Wie meiner Schwester? Ja, ganz recht, brav, klug und — schön. Regt sich doch die Eitelkeit ein wenig bei dir?

ANNERL hebt den Kopf. Na, ich bin g'wiss net eitel.

HELL. Ich habe doch eine kleine Eitelkeit an dir bemerkt.

ANNERL. O mein Gott! Sag's, hochwürdiger Herr, ich werd's g'wiss nimmer blicken lassen.

HELL. Neulich, als du mein Zimmer in Ordnung brachtest, lag auf meinem Sekretär ein Kreuzchen mit einer Kette; du hattest es in die Hand genommen — ich habe deine Gedanken wohl erraten, wenn ich meine, dass du es für dein Leben gern gehabt hättest.

ANNERL leise. Ja, hochwürdiger Herr, weil — weil alle Dirndln da um Kirchfeld solchene Kreuzeln trag'n.

HELL. Ich wollte dir eine Freude machen, ich habe das Kreuzchen zu mir gesteckt Zieht es aus der Tasche. ich will es dir schenken.

ANNERL. Mir? Was du gut bist — aber das Kreuzel is ja schwer Gold.

HELL. Du sollst eben nicht denken, dass es von Gold, als vielmehr, dass es ein Kreuz ist.

ANNERL. Ich denk' auch nur dran deswegen, weil du mir's schenken willst.

HELL. Nimm nur! Gibt es ihr. Es ist ein Geschmeide meiner verstorbenen Mutter.

ANNERL erschreckt. Von deiner Mutter selig? Na, da behalt's nur, das bin ich nit wert.

HELL. Ich wüsste niemanden, in dessen Händen ich es lieber sehen würde, als in den deinen.

ANNERL verwirrt und errötend. Du musst mir aber doch recht gut sein, weil d' mir das Kreuzel gönnst?

HELL. Das kannst du noch fragen, Anne?

ANNERL sinkt mit ihrem Gesichte auf seine Hände, schluchzend. O du mein Gott und Herr!

HELL. Was ist dir, Anne?

ANNERL erhebt sich. Nichts, gar nichts!

HELL. Ich habe es dieser Tage gedacht: wenn mir nun meine Schwester am Leben geblieben wäre, wer weiß, wäre sie noch bei mir? Ein braver Mann hätte sie vielleicht von mir weg in sein Haus geführt — und da dachte ich denn auch an dich, ich dachte mir, da du dich einmal zu dienen entschlossen hast, da dir hier nichts abgehen wird, dass du bei mir bleiben wirst, dass du mich nicht verlassen wirst!

ANNERL gibt ihm die Hand. Mein Lebtag net! Kleine Pause, sie zieht ihre Hand aus der seinen. Gute Nacht, Hochwürden!

HELL. Gute Nacht!

ANNERL zurückkehrend. Und darf ich das Kreuzel offen tragen vor ganz Kirchfeld?

HELL. Gewiss! Warum fragst du?

ANNERL. Ich hab' nur g'fragt, dass ich weiß, was dir recht ist! Nach allem andern frag' ich nimmer! Recht, recht gute Nacht! Ab.

HELL. Gute Nacht, Anne!

Dritte Szene.

HELL allein. Sei mir gegrüßt, du heiliger Hauch des lange verlorenen Familienlebens, das wieder mit diesem Kinde in mein Haus gezogen ist! Wieder, wie einst in den Tagen, wo ich eifrig über meinen Studien saß, wird eine helle freundliche Stimme an mein Ohr schlagen, wieder, wenn ich das Auge von meinen Büchern hebe, werde ich in ein frisches, heiteres Antlitz blicken — und wieder werde ich wissen: ich bin nicht allein, ich muss auf der Hut sein vor mir selbst, muss jedes Fleckchen, das vielleicht dem Entfernteren unbemerkbar ist, aber in der Nähe doch übel auffällt, sorgfältig in all meinem Denken und Handeln löschen — und jenes Leben, das immer auf andere vorab Rücksicht nimmt, muss mir wieder zur zweiten Natur werden und nur wer so lebt, versteht dich, du Gott der Liebe! Und nur der, der ein Herz in den engen Grenzen seines Hauses recht erfasst und verstehen lernt, der weiß sie alle zu fassen, alle zu verstehen, die Herzen, die in der weiten Welt pochen und hämmern, denn was auch die Welt an ihnen gesündigt, aus der Hand des Schöpfers sind sie doch gleichgeartet hervorgegangen — eine schwache zitternde Magnetnadel, über die die Ströme des Lebens hinziehen und sie vielfach ablenken, die sich aber doch nicht irre machen lässt und ihren Norden sucht ... die ewige Liebe!

Vierte Szene.

Hell. Wurzelsepp schwingt sich über den Zaun.

HELL durch das Geräusch aufmerksam gemacht, wendet sich. Wer ist da?

SEPP eine kurze Pfeife schmauchend, kommt vor. Guten Abend!

HELL. Du, Sepp!!!

SEPP immer demütig, bis die ändernde Anmerkung kommt. Ich hab's ja g'wusst, dass d' mich doch kennst, wenn ich auch in kein' Kirchen komm!

HELL. Was führt dich noch so spät hierher?

SEPP. Ich bin eigentlich schon lang da — seit nachmittag schleich' ich da um'n Pfarrhof und seit einer Viertelstund' lieg' ich da hinterm Zaun.

HELL. Du horchtest, spioniertest? Pfui!

SEPP. Aus Zeitlang!

HELL gelassen. Wenn ich das gelten lasse, was weiter führt dich dann zu mir?

SEPP. Nichts — nichts — nur bedanken will ich mich, weil ich mich da hinterm Zaun so gut unterhalten hab'!

HELL. Du hast dich auf krummen Wegen, mit hinterlistigen Worten an mich herangeschlichen ... Sepp, du hast nichts Gutes im Sinn.

SEPP auflachend. Haha! Du bist schlau!

HELL. Als Freund der offenen Tat und der offenen Rede fasse ich dich denn gerade an, wo ich dich treffe und frage dich: Warum beobachtest du mein Tun und Lassen heimlich und versteckt? Was kommst du wie ein Dieb in der Nacht in mein Haus?

SEPP gehässig. Weil ich dein Feind bin!

HELL. Mein Feind? Du irrst!

SEPP. Ich weiß recht gut, wen ich mein' — und ich sag' dir's ja, dass ich dich mein'!

HELL. Mein Feind! So habe ich denn einen Feind? Ich hätte das nicht gedacht! Was für Ursache habe ich dir je gegeben, mein Feind zu sein? — Sepp, du tust unrecht, auch dann unrecht, wenn du — wie ich fürchte — nur der Feind des Kleides bist, das ich trage.

SEPP. Drüber woll'n wir nit streiten, du tragst es ja ein mal doch das G'wand.

HELL. Das Kleid macht nicht den Mann — und nicht darauf kommt es an im Leben, was wir sind, sondern wie wir es sind.

SEPP. Das glaub' ich selber! Mit dem G'wand aber musst du das sein, was ich mein' und so bin ich schon recht! Mit Schadenfreude. Ja, Pfarrer, du musst's sein — musst, wenn d' gleich nit wolltest — musst, ob dir's jetzt 's Herz abdrucken will, oder ob du in Boden 'neinstampfst ... du musst!

HELL. Mensch, was liegt auf dem Grunde deiner Seele? Woher dieser gehässige, feindselige Jubel?

SEPP. Weil mich's freut. Ein' von euch da zu sehn, wo ich vor zwanzig Jahren mich g'wunden hab' wie ein Wurm. Damals bin ich auf die Knie g'leg'n vorm Pfarrer und hab' g'sagt: Herr! Das Derndl is mir in d'Seel' g'wachsen, wann's a a Lutherische is; unser Herrgott, der mir 's Herz in d'Brust geb'n hat, wird wissen, wie das hat g'schehn können. Gebts mich z'samm' mit ihr! Die Höll' hat er ledig auf mich loslassen — 's ganze Dorf aufg'hetzt wider mich — und mein' eigene Mutter von mir abg'red't — na, und wie die kommen is und g'sagt hat: »Sepp, tu's um mein' Seel'nruh net!« da hab' ich's sein lassen. Freilich hat 's Herz in mir aufg'schrien: »So is's Gotts Will net, dass der Mensch elend sein soll!« — aber ich hab' ihm g'sagt, es soll still sein, und seit der Zeit hat's nindascht mehr dreing'red't. Recht stad is's in mir word'n, ich hab' mein G'werk auf'n Nagel g'hängt, bin da 'naufkraxelt auf die Berg', recht hoch, wo's a so still und kalt is und bloß, dass ich mein' Gedanken auskomm', hab' i mir a Arbeit g'macht und Wurzel und Kräuter g'sammelt und so is aus'm Gerber- der Wurzelsepp word'n; — mein' Mutter hat den Jammer mit ang'schaut, helfen hat s' net könna, das hat s' g'wusst; sie hat g'wart' und g'wart', ob ich nit amol doch mit ein' freundlichen G'sicht hoamkomm' vom Gebirg. »Lachst denn gar nimmer, Sepp?« so hat s' g'fragt in die erst' Wochen a paarmal, dann mit der Zeit all' Tag und so fragt s' noch heut — nach zwanzig Jahr'n — sie hat sich hintersinnt. Fährt sich mit dem Aermel über die Augen, dann heftig. Weg'n mir 'leicht? Ich denk', das alles g'hört auf ein' andern sein Konto! Seit damals bin ich in keiner Kirch'n mehr g'wes'n und mein' Mutter — die erst aus Angst um mich und dann von selb'n z' Haus blieb'n is — geht a in keine und so sein wir a recht ordentliche Familie word'n! Freilich, a Müh' kost's schon, bis's einer so weit bringt, aber ich hab's so weit 'bracht, und jetzt, jetzt probier's du auch, Pfarrer!

HELL ergriffen. Du bist unglücklich! Sepp, du magst in der Absicht gekommen sein, mich zu beleidigen; ich weiß von diesem Augenblicke an von nichts, als dass du unglücklich bist.

SEPP heftig. Ich brauch' dein Mitleid net!

HELL. Biete ich dir denn Mitleid allein? Sollte dir, dir allein unter Tausenden, der Trost so ganz ferne liegen, den ich dir bieten kann? O, wecke in dir nur ein Fünkchen Vertrauen! Glaube nur das, dass ich auch jenen gerne dienen will, die sich meine Feinde nennen!

SEPP. Haha, was ziehst denn so sanfte Saiten auf? — Gott bewahr' mich, dass ich je ein' Dienst von dir erbetteln müsst'! So weich du jetzt auch tust, wo du mich fangen willst — du würdest mir's doch eintränken, du würdest mir's doch nit vergessen, wo ich dich heut nacht g'habt hab'!

HELL. Rede offen, deute nicht immer an! Wo hast du mich denn heute, wo ich nicht schon gestern zu haben war? Um was bin ich über Nacht schlechter geworden in deinen Augen? Ich verstehe dich nicht.

SEPP wild. Laugn'st vielleicht, dass du der Dirn — der Ann' gut bist!

HELL sieht erschreckt auf Sepp.

SEPP kleine Pause. Du kannst's laugnen; aber du wirst's schon g'spür'n!

HELL erregt. Ich stehe deiner Verunglimpfung, solange sie mich — mich allein — betrifft, aber dies ehrliche Mädchen lass aus dem Spiel, es erfasst mich ein heiliger Zorn —

SEPP einfallend. Is mir auch lieber, wenn d' herumschreist, dein sanfter Diskurs taugt mir schon lang nit — nur weck d'Nachbarsleut' nit, 's Dorf wird's noch zeitlich g'nug erfahr'n!

HELL. Keiner denkt im Dorfe wie du!

SEPP. Das mag sein, aber sie werd'n bald alle denken wie ich; ich fürcht' mich nit drauf, ich darf nur sagen, dass du der Ann' gut bist und sie glauben's, ohne dass s' weiter fragen, 's sein ja lauter gute Christen, ihr habt s' ja mehr 'n Satan, als unsern Herrgott fürchten g'lernt und so glaub'n s' auch eher 's Böse als 's Gute von ihr'n Nebenmenschen! Und wird mich 'leicht eins von euch Lug'n strafen? Die Anne, die mit ihr'n goldigen Kreuzel durchs Dorf statzt, g'wiss net und du, kannst du's? Dir klingt die Stimm' von dem Dirndl im Ohr wie der helle G'sang von an Waldvögerl, du schaust von deine Bücher auf nach ihrem frischen G'sichterl, du schenkst ihr das Kreuzl von deiner Mutter selig und gleichwohl du's nit haben kannst, das Dirndl, gönnst du's doch kein' andern! Du willst's halten und nit lassen für dein Lebtag! Und dö Dirn soll dir gleichgültig sein?

HELL gepresst. Ich habe nichts mehr zu sagen — bist du zu Ende?

SEPP. Nein, mir hat's noch nit die Red' verschlag'n! — Weißt, ganz gleich hätt's ma sein können, ob du die Dirn gern oder ungern siehst, aber du warst ja im Land als ein Ausbund von Frummheit verschrieen — ich hab' an dich so wenig 'glaubt, wie an ein andern, und die Kirchfelder hab'n mir's übel g'nommen. Wahr is's, du bist der Best' g'wes'n, den s' noch in Kirchfeld g'sehn hab'n, vielleicht im ganzen Land! Du hast a wahr's Christentum in d'Gmeind' bracht, du hast ohne Schlüssel die Dorfschenk unter Tag g'sperrt, du hast den Raufteufeln auf die Tanzböd'n die Arm 'bunden, die ärgsten Lumpen haben sich g'schämt, dir und der G'meind' a Schand' z' machen und haben a öften vorm Lockteufel »kehrt euch« g'macht, du hast die Schul' brav g'halten, ja du hast die Kirchfelder dahin 'bracht durch dein Wort und durch dein' Red', dass selb'n drüber zu denken und reden ang'fangt hab'n, ich red' nix von dein' Beispiel, ich red' nix von deine Wohltaten für die arm' Leut', ich red' nix, wie du manchem Bauer an d'Hand 'gangen, dass er mit seiner Wirtschaft vom Fleck kämma is, und keins hat g'wusst, woher d' nimmst! Soweit warst du der Erst' und der Letzt'! Aber glaubst, deswegen haben die Kirchfelder aufg'hört, die frühern zu sein? Die Lumpen sein dir aufsässig und passen dir schon lang, ob s' dir nix abg'winnen können; die dir Dank schuldig sein, die schamen sich, dass s' dich braucht hab'n und machten's gern wett, und den Frummsten bist du 'leicht noch z' streng! Kenn du die Bagasch, wie ich sie kenn'! Jetzt aber bist du da, wo ich's den Kirchfeldern unter die Nasen reiben kann, dass du nit besser bist als ein anderer, und jetzt derleb ich's, dass all das, was d' so mühselig aufbaut hast, dir über'n Kopf z'samm'purzelt, wie a Kartenhaus!

HELL. Nein, nein, nein!

SEPP. Ich bin nit so dumm, wie ich ausschau'! Und ich kenn' mich aus! Hilft dir alles nix, die Dirn is dein Unglück! Ich weiß, du planst dir jetzt tausend Ausweg, wie d' sie bei dir halten könnt'st — aber du hast nur zwei Weg' und die führ'n dich dorthin, wohin ich dir g'sagt hab', und die kann ich dir nennen! Du kannst die Dirn entweder in Unehr'n halten, dann bist du den Kirchfeldern ihr Mann nimmer, oder du kannst s' mit Herzleid fortziehn lassen, dann is dir Kirchfeld und die ganze Welt nix mehr! Du hast dein ganzes G'werk alleinig aufrecht g'halten und ob dir jetzt die andern 's G'mäuer auseinand'werfen, ob du selber die Händ' z'ruckziehst — es fallt z'samm'! Und es fallt z'samm', sag' ich dir!! Entweder in Unehr'n halten, oder mit Herzleid fahr'n lassen, kein' dritten Weg hast net! Siehst, Pfarrer, da hab' ich dich und hab' dich so sicher, dass ich dich nit einmal z' halten brauch'! Und jetzt — b'hüt dich Gott! Schwingt sich über den Zaun.

HELL ist auf einen Stuhl gesunken und hat den Kopf auf die Tischplatte gesenkt — kleine Pause — dann sich ermannend, steht er langsam auf. Und keinen dritten Weg, keinen dritten?! Geht gegen das Haus. O, diese Nacht wird kein Ende nehmen! Plötzlich innehaltend. Wie alles in mir tobt und wallt, wie mir das Blut gegen Herz und Hirn strömt! Nein! Stürzt zu einem Fenster und pocht. Brigitte, Brigitte!

BRIGITTE erscheint am Fenster. Hochwürden!

HELL. Schnell meinen Rock, meinen Hut! Dann kannst du das Tor schließen, ich komme erst mit Morgen wieder!

BRIGITTE. Um Gottes will'n, is 'leicht eins im Sterben?

HELL mit abwehrender Bewegung. Nein!

BRIGITTE. Aber, hochwürdiger Herr, du wirst doch nit jetzt in der Nacht spazier'n gehn? Denk das G'red' im Dorf, wenn dich 'leicht doch wer sieht!

HELL mit wiedergewonnener Ruhe. Nun, Alte, dann hat er einen schwachen, aber ehrlichen Mann gesehen, der sich selbst aus dem Wege geht!


Dritter Akt.


Zimmer wie im ersten Akt Verwandlung, nur Tisch und Stühle in der Mitte wegzulassen.

Erste Szene.

Annerl, nach dem Lied Brigitte.

ANNERL singt.

Lied. (Der Verfasser dieses auf Wunsch der ersten Darstellerin des Annerl als Einlage aufgenommenen Liedes ist P. K. [Petri Kettenfeier] Rosegger [1843 - 1918].)

A Derndl is verwichen
Hin zum Pfarrer g'schlichen:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
Untersteh di net, bei meiner Seel',
Wie du 's Büaberl liebst, so kommst in d'Höll'!

Is drauf voll Verlanga
Zu der Muada ganga:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
O, mein lieber Schatz, es is no z' fruah,
Nach zehn Jahrl'n war's a Zeit no gnua.

War in großen Nöten,
Hat 'en Vatern beten:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
Nit dran denken, sagt er, bitt' mir's aus,
Jag' dich auf der Stell' in d'Welt hinaus!

Wusst' nix anzufangen,
Bin zum Herrgott 'gangen:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
Ei ja freili, sagt er, und hat g'lacht,
Weg'n 'en Büaberl hon ich 's Derndl g'macht!

BRIGITTE scheltend. Mach fort, ich hab' noch anders für dich z' schaffen — Schand g'nug, dass man dich zu allem extra einspannen muss!

ANNERL. Ich weiß mich nicht aus mit dir, Brigitt' — sonst warst allweil freundlich und seit heut fruh bist so z'wider!

BRIGITTE. Ah, hat dir das 'leicht wer g'sagt oder merkst's von selber?

ANNERL. Du weißt nit, wie weh du mir mit solchene Reden tust. Wärst allweil so grantig g'wes'n, so hätt' ich mir denkt, du bist wie andre alte Weibsleut oft tramhappert und weißt selb'n nit warum; aber so schmerzt mich's doppelt, weil ich seh', 's ist dein Will', dass d' mi kränkst.

BRIGITTE. Mach fort, sag' ich! Losplatzend. Dich hat a der leidige Teixel ins Haus g'führt!

ANNERL. Wann d' deutsch mit mir redest, gäb' ich dir Red' und Antwort, aber spanisch versteh' ich net.

BRIGITTE. Na, ganz deutsch, musst 's Kreuzel, das dir der hochwürdige Herr zug'steckt hat, gleich vor aller Welt trag'n? Kannst nit g'scheiter sein?

ANNERL stolz. Er hat mir's net zug'steckt, er hat mir's offen g'schenkt und hat mir's derlaubt, dass ich's vor ganz Kirchfeld trag'.

BRIGITTE. Dös hätt' er verlaubt?! Schlägt die Hände zusammen. Annerl, Annerl, ich frag' dich, wohin sollt' das führen?

ANNERL aufrichtig. Ich weiß dir keine Antwort, Brigitt', ich hab' nit danach g'fragt!

BRIGITTE. Du bist 'n hochwürdigen Herrn sein Unglück! Lass mich ausreden! Allzwei seids schon in der Leut' Mäuler! Schon gestern abend muss a Tratschbruder a Brandl g'schürt hab'n, denn 'n Respekt hab'n s' auf einmal auf'n Nagel g'hängt — und g'rauft is worden im Wirtshaus, was nit g'wesen is, seit der hochwürdige Herr auf der Pfarr' is, und heut in der Predigt wirst selb'r g'merkt hab'n, wie alle auf dich g'schaut, sich zublinzelt und wie s' untereinand' plaudert hab'n, während's sonst, wenn der Pfarrer red't, in der Kirch' still war, dass man hätt' können a Mäuserl schliefen hör'n. Jetzt is 's G'red' fertig — der Respekt is fort und ohne den richt' der arme Herr nix — und von heut ab is's, als wär' er verstorb'n und es sitzet a neucher im Pfarr haus, den die Bauern geg'n 'n vorigen über d'Achsel anschau'n. Und was is an all dem d'Schuld? — Das verflixte Kreuzel! Erschreckt. Gott verzeih' mir d'Sünd'!

ANNERL birgt, heftig schluchzend, den Kopf in der Schürze; hervorstoßend. Brigitt', ich bitt' dich um Gott's will'n, denk nix Ungleichs von mir! Ich kann nix dafür, Brigitt'! Fällt ihr schluchzend an den Hals. Ich weiß's nit, wie's so kämma is!

BRIGITTE weint mit. O du mein Gott! O du mein Gott! Macht sich von Anna los. Is das a Jammer! Im Abgehen. Da hat doch der Teixel sein G'spiel! Es sollt' doch wirklich auf der Welt nur Männer oder nur Weiber geb'n, allzwei z'samm' tun nie a Gut! Ab.

Zweite Szene.

ANNERL allein, trocknet sich die Träne, stampft dann mit dem Fuße trotzig. Grausliche Lug'nschippeln sein s' doch alle, die mir die üble Nachred' halten, kerzengrad, ohne z' blinzeln, trau' ich mich jed'n von ihner in d'Aug'n z' schau'n! — Der liebe Gott — zu dem keine Lug' reicht — weiß doch, dass sich keins versündigt hat, dass ich ausg'wichen bin, wo ich können hab', und dass ich ihm ihn net hab' abwendig machen woll'n. Nachdenklich. War's 'leicht doch g'fehlt, dass ich an seiner Gutheit und an dem Kreuzel ein Wohlg'fallen g'funden hab'? G'wiss is, ich hab' ihm nix Gut's g'stift, dass ich als eitle Gredl das Kreuzel zur Parad' mit in d'Kirch' g'nommen hab' — und an mir wär's jetzt, alles wieder gut z' machen, dass ihn kein unb'schaffener Verdacht treffen kann — — aber dazu bin ich mir net g'scheit g'nug; wenn ich gleich rennet, so weit der Himmel blau is, das G'red' bleibet doch in Kirchfeld — geh' ich, wurd's nit besser und bleib' ich, nur schlechter!! Und doch bin ich nit schuldiger, als wie damal'n, wo ich als klein's Madl mit'n Nachbarskind mich in' Wald verirrt hab' — anfangs hab'n wir kein' Arg' g'habt, die Bäum' war'n so stämmig und stolz und von alle Zweig' hat's g'sungen und pfiffen — 's Gras war so frisch und grün und die Bleameln drin so wunderliab — so sein wir weiter und weiter, bis wir auf einmal g'merkt hab'n, dass wir weit abseits vom g'wohnten Weg kämma sein, da war's freilich gleich aus mit aller Herrlichkeit und wir hab'n allzwei zum Flennen ang'fangt, wir hab'n furchtsam um uns g'schaut und die Bäum' sein völlig vor unsere Aug'n in d'Höh' g'schossen und aneinanderg'ruckt, als wollten s' den Himmel verdecken und uns nit durchlassen, und 's Gras is so an uns 'naufgestrichen, als wachset's uns im Handumkehr über'n Kopf — aber ich bin z'erst g'fasst g'wes'n, bin kuraschiert vorgegangen, und hab' richtig heim'troffen! Kein Mensch hat mir damals 'n g'weisten Weg zeigt, kein Mensch zeigt mir'n leicht heut, aber mit der Hilf' Gottes hab' ich mich damal'n z'rechtg'funden, mit der Hilf' Gottes — der nit woll'n kann, dass der rechtschaffene, brave Mann weg'n mir dummen Derndl leiden soll — werd' ich mich auch diesmal z'rechtfinden, und drum will ich kuraschiert vorangehn!

Klopfen.

Dritte Szene.

Vorige. Michel.

MICHEL tritt ein. Guten Tag!

ANNERL erstaunt. Bist du's, Michel?

MICHEL verlegen. Freilich, Freilich!

ANNERL. Willst mit'n hochwürdigen Herrn reden? Er is noch nit z' Haus kämma.

MICHEL. Na, mit dir!

ANNERL. So red!

MICHEL. Gleich — bis mir a g'scheiter Anfang einfallt.

ANNERL. Schau, das g'schieht dir recht, dass d' nix vorbringen kannst, denn du bist a falscher Bua. Allzwei sein wir aus St. Jakob und dort hast mir 's ganze Jahr 's narrisch'ste Zeug vorplaudert, auf einmal bist weg, bist her nach Kirchfeld; wie aber ich nachher daher auf'n Pfarrhof kämma bin, da hast dich net blicken lassen und selb'r in der Kirchen hast mich nit ang'schaut.

MICHEL. Dös kommt — weißt, das is daher kämma, weil ich dich eh' kennt hab'!

ANNERL. Na hörst, du red'st aber jetzt so viel g'scheit, bist 'leicht in Kirchfeld dalkert word'n?

MICHEL. Dös just net, aber a nit g'scheiter!

ANNERL. Du warst doch damal der Pfiffigste; wann d' weißt, dass dir d'Kirchfelder Luft so schad't, was bist nachher hergangen?

MICHEL. Weg'n ein' Dirndl bin ich weg!

ANNERL. Was d' sagst! Das hab' i nit g'merkt!

MICHEL. Eben drum.

ANNERL. Und hast nix g'red't mit ihr?

MICHEL. Freilich, 's narrisch'ste Zeug hab' ich ihr vorplaudert.

ANNERL. Und sie hat dir nix ankennt?

MICHEL. Ka Spur!

ANNERL. Dö muss doch a bissel vernagelt g'wesen sein!

MICHEL. Na, 'leicht war's doch nit um a Tipferl g'scheiter wie du!

ANNERL. Du bist a grober Ding! Bist 'leicht deswegen kommen, um mir Grobheiten z' sagen? Da hätt'st a wegbleiben könna! Weißt sonst nix?

MICHEL. Ah ja, plauder nur fort, es wird schon kämma.

ANNERL. Ich hab' kein' Zeit, lang drauf z' warten, gleichwohl ich wissen möcht', was dich auf einmal für a Wind herweht.

MICHEL. Gestern hab'n s' mich auf dich aufmerksam g'macht und drum bin ich heut da!

ANNERL. So, erst aufmerksam hab'n s' dich machen müssen?

MICHEL. Na ja — weißt, ich — ich hab' dir seither, als ich mit der ein' von St. Jakob 's Malör g'habt hab', alle Dirndeln verschwor'n und bin ihnen aus'n Weg gangen, also dir natürlich vor all'n andern, dös heißt halt mit de andern.

ANNERL. So, und wer hat dich nachher aufmerksam g'macht?

MICHEL. A ganze Menge.

ANNERL. Auf einmal?

MICHEL. Ja und ordentlich!

ANNERL. Ja — wie denn?

MICHEL. Na, g'haut hab'n s' mich.

ANNERL. Warum?

MICHEL. Weil ihrer mehr war'n.

ANNERL. Dös is doch kein Grund?

MICHEL. Dös is der ausgiebigste!

ANNERL. So? Dann bist du also einer von denen, die gestern nacht g'rauft hab'n? Dös is schön! So lang habt's Ruh' g'halten und gestern hat's doch wieder sein müssen? Ihr macht's dem hochwürdigen Herrn a rechte Freud'!

MICHEL. Ah, der hätt' selb'r dreing'haut, wenn er dabei g'wesen wär'!

ANNERL. Freilich, der mengt sich in eure dummen Anhahnlereien!

MICHEL. Na, dösmal is's um was Ordentlichs hergangen!

ANNERL. Das kann ich mir denken!

MICHEL. Na, dös kannst du dir nit denken, sonst wärst nit die, die d' bist, dann müsst' wirklich a anderschte word'n sein, und dann täten mir d'Schläg' leid, die ich für dich eing'steckt hab'!

ANNERL erschreckt. Weg'n mir werdt's doch nit g'rauft hab'n?

MICHEL. Sixt, dass d' noch d'Alte bist und dass mich d'Schläg nit z' reuen brauchen!

ANNERL. Ich bitt' dich um Gott's will'n, ös werdt's doch nit' g'rauft hab'n weg'n dem schlechten G'red', was s' auf einmal über mich hab'n? Michel, 's ist kein wahr's Wörtel dran, das kannst mir glaub'n!

MICHEL. Dös hab' ich auch 'glaubt — das hab' ich auch g'sagt, aber dö Letfeigen hab'n ja nit auf mich g'hört — und da hab' ich in sie 'neing'schrien — da sein dö grob word'n — ich net höflich — dö hau'n her — ich hau' z'ruck — und so hab' ich mein Teil kriegt.

ANNERL kleinlaut. Und du — du warst der einzige, der dem G'red' nit glaubt hat?

MICHEL. Die andern hab'n dich ja doch nicht kennt, wie ich dich kenn'! Ich kenn' dich von klein auf und ich glaub' von dir nichts Schlecht's!

ANNERL. Michel!

MICHEL. U mein!

ANNERL. Du seufz'st? Was hast denn?

MICHEL. Ja weißt, das tu' ich so zu meiner Pläsur — ich pfnaus' mich schön stad aus dabei, b'sonders wann ich ein' weiten Weg 'gangen bin.

ANNERL. Du wirst aber a weit umgangen sein, bis d' in Kirchfeld zum Pfarrhof 'troffen hast.

MICHEL. Ah beileib, ich war heut schon weit von Kirchfeld.

ANNERL. So, wo denn 'leicht?

MICHEL. In St. Jakob!

ANNERL. Geh, in unsern lieb'n Heimatdörfl?

MICHEL. Ja! Weil gestern schon 's G'red' war von ein' g'wissen Kreuzel, das dir der Pfarr' g'schenkt hätt' und das d' heut tragen wurdest, bin ich fruh aus 'n Ort und über die Berg'; in St. Jakob hab' ich richtig mein' Mutter in der Kirch' 'troffen. Du weißt, sie hat — wie s' euer Sacherl nach deiner Mutter ihr'n Tod verkauft hab'n — der ihr Betbüchel mit der silbern' Schließen erstanden, das hab' ich ihr mit vieler Müh' abbettelt Zieht ein Tuch hervor, aus dem er das Gebetbuch wickelt. denn ich hab' mir denkt, du könnt'st 'leicht a geistliche Stärkung brauchen, und wenn dir der Herr Pfarrer 's Kreuzel von seiner seligen Mutter schenkt, so kann ich dir nix G'scheiteres bringen, als a Betbüchel von dein' Mütterl — Gott hab's selig!

ANNERL presst das Buch an die Brust. Michel, du bist a grundguter Bub!

MICHEL. Na, wann d' nur einsiehst!

ANNERL. Wie kann ich dir danken, Michel? Mein' Seel', ich bin's nit wert, dass d' dir all die Müh' nimmst für mich.

MICHEL. O du heiliger Joseph, wann d' nur net so dalket daherredest! I weiß ja eh'nder, dass d' mir nix dafür geb'n wirst, und tat doch alles für dich, wann du's a nit verdienst. I weiß nit, wie's kämma is, aber du bist mir 's Liebst' auf der Welt!

ANNERL. Geh, du tust grad, als ob ich die G'wisse wär'!

MICHEL. Die mich aus St. Jakob vertrieb'n hat, weil s' durchaus nix hat merken woll'n — die mir, weil ich s' in Kirchfeld allweil im Gedanken g'habt hab', anfangs d'Arbeit g'waltig sauer g'macht hat — der ich ausg'wichen bin, gleichwohl s' herkämma is, wie 's brennte Kind dem Feuer — und der ich jetzt zulauf', wo ich denk', dass s' ein' rechten, aufrichtigen Beistand braucht? Ja, ja, Annerl, du bist's — meiner Treu', du warst, bist und bleibst mein Schatz und gleichwohl brauchst nit rot z' werden und nit auf d'Seit' z' schau'n, brauchst, was i dir g'sagt hab', a nit g'hört z' hab'n, ich bin dir drum doch nit harb; in Gott's Nam' will i mi a dreinschicken, wie ich nie was Schlecht's von dir derlebt hab', dass i a nix Lieb's derleb'!

ANNERL fasst seine Hände. Du bist doch mein rechter, aufrichtiger Freund! Michel, das gedenk' ich dir, solang' i leb'!

MICHEL. Das wär' recht schön — wann d' aber heirat'st!

ANNERL. Ich werd' nit heiraten!

MICHEL. Ich auch nit!

ANNERL. Geh, du wirst schon eine finden, die dir taugt.

MICHEL. I mag aber net — ich schau' mich a gar net um, just nit!

ANNERL. Du musst nit so kapriziert sein.

MICHEL. Ich bin eh' nit kapriziert. Sag' ich net: du haltst's, wie d' willst? Und ich a — und mir steht kein' andere an!

ANNERL. Lass g'scheit mit dir reden!

MICHEL verdrießlich. A ja, ich bin grad zu de Dummheiten aufg'legt!

ANNERL. Du bist a guter Bub, wurd'st a rechtschaffener Mann, a jede müsst' dir gut werd'n und könnt' mit dir auskommen!

MICHEL. Wann d' all das so gut weißt, was nimmst mich denn nachher nit selber? — Annerl, meiner Treu', 's Maul hab' ich heut amol auftan und werd's a nit eh'nder zumachen, bis ich dir alles g'sagt hab'! Ja, dir z'lieb' wurd' ich alles, was d' nur verlangst — aber krieg' ich dich net, auf Ehr', bei meiner armen Seel', ich schwör' dir, das kannst mir glauben, ich weiß nit, was aus mir wird! Und, An nerl, sei g'scheit, schau a auf dich, du weißt, wie aufrichtig ich's mit dir mein', ich weiß a, dass d' mir nit feind bist, wir werd'n miteinander recht gut auskämma, und schlagst heut ein, is das ganze G'red' wie wegblasen, du bist mein recht's Weib, schaffst und schalt'st in meiner Hütten, kein Finger deut' mehr nach'n hochwürdigen Herrn und alles, wie's in Ehren war, bleibt a in Ehr'n!

ANNERL ernst. Du meinst's recht!

MICHEL. G'wiss!

ANNERL feierlich, mit ganz wenig Humor, so dass der Effekt nur für den Zuschauer ein klein wenig drastisch wird. Und wann's dein wahr', dein heilig' Ernst und Fürnehma is, so will i a nit die Sünd' auf mich nehmen und ein' ehrlichen Buab'n ablaufen lassen, der leicht Schaden nahm in Zeit und Ewigkeit, wann er kein recht's Weib kriegt; ich will a den Leuten im Ort kein' Ursach' zu mehr G'red' und den Dirndln kein übel Beispiel geb'n, nit a hochnaserte, hoppertatscherte Gredl machen, die sich z' gut halt' für ihr's gleichen. Red mit'n hochwürdigen Herrn und begehr mich von ihm. Gibt ihm die Hand.

MICHEL presst sie an sich. Juhu! Schlägt sich erschreckt auf den Mund. In einer Viertelstund' bin ich wieder da! Jetzt b'hüt dich Gott, herzlieber Schatz! Mir is so leicht und i hab' so viel Kuraschi in mir! B'hüt dich Gott! Halblaut. Jetzt setzt's was!

ANNERL. Michel!

MICHEL an der Tür. Was?

ANNERL. Wohin gehst denn?

MICHEL. A bissel nachschau'n ins Wirtshaus und wann etwa a paar da sein von dö, die mich gestern 'nausg'worfen hab'n, da werd'n wir sehen, wer heut der Stärkere is!

ANNERL. Ich bitt' dich —

MICHEL. 's nutzt nix, die Schandmäuler soll'n mich kennen lernen! G'rauft wird!

ANNERL. Michel, sag' ich.

MICHEL wendet sich. Ja!

ANNERL. Rauf nit, tu mir's z'lieb und rauf nit!

MICHEL. Du bitt'st noch für sie? Grad drum soll's ihnen nit g'schenkt sein! Aber weil du's bist, weil du für sie bitt'st — du bettelst 'n Teufel 'leicht a arme Seel' ab. Zieht sie an sich.

Vierte Szene.

Vorige. Hell tritt à tempo rasch ein, bleibt, wie er die Gruppe sieht, einen Moment stehen und kommt dann langsam nach dem Vordergrund, währenddem kleine Pause.

ANNERL. Es war nix Unrechts, hochwürdiger Herr, wir haben uns versprochen.

MICHEL. Ja, alle zwei miteinander und ich schon gar!

ANNERL. Es war a nix Unüberlegt's!

MICHEL. Dös g'wiss net, ich weiß, wie ich ihr hab' zureden müssen.

HELL schüttelt den Kopf. Du willst fort? Weißt du auch, dass ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüßt habe, weißt du auch, dass sich alle von mir gewendet haben?

ANNERL nickt traurig.

HELL. Und doch! Nun denn, wenn dieser Tag zu Ende geht, so kann ich mein Haupt mit dem Gedanken tief, tief in meine Polster bergen, dass ich keine einzige Seele, dass ich kein einziges Herz mehr zu verlieren habe! Wenn ich doch wüsste, womit ich das um euch verdient habe! Zwar mag es klug sein, von dem zu gehen, den alle meiden; nur dich, Anne, hätte ich nicht für so klug gehalten; und sei es, ich will dir nicht weh' tun, du kennst mich ja nicht so lange, wie sie alle, die ich jahrelang geleitet, die ich zusammen geführt habe zur Eintracht in Leid und Freud', zum freien Ausblick in die weite Gotteswelt und drüber hinaus ins Land der Sehnsucht, sie waren eins unter sich, eins mit mir, sie sollten mich doch kennen! Vor ihnen bin ich offen gewandelt und sie konnten in all mein Tun und Lassen blicken — woher denn nun plötzlich der Zweifel an mir, an allem, was ich bisher getan, doch nur für sie, und nicht nur der Zweifel an mir, auch der Zweifel an alle dem, was ihnen dies Kleid, das ich trage, vor Augen halten sollte!

ANNERL. So musst nit denken, du tät'st ihnen und mir unrecht; du musst dir's nit zu Herzen nehmen, dass sie jetzt abwendig tun, wo sie glauben, dass sie sich geirrt haben in dir, das soll dich just stolz machen, denn nit dein Kleid ist's, hochwürdiger Herr, du, du selber bist's, an was sie sich g'halten hab'n, dir sind sie gekommen, dir haben s' vertraut, du bist ihnen alles und drum reden s' und tun s' nit fein, wann s' glauben, dass sich eins zwischen dir und ihnen eindrängen möcht', denn sie wollen, wie bisher, dein' ganze Sorg', dein' ganze Lieb' für sich — es sein rechte Neidteufeln, aber sei ihnen nit bös, sei auch mir nit bös, weil ich geh', weil ich nit möcht', dass sie von mir denken: ich möcht' mich eindrängen. Ich hab' dir zug'lobt, ich werd' dir treu dienen und ich mein' zu Gott, ich kann dir nit treuer dienen, als wann ich jetzt geh' und so geh', wie d' mich da siehst, für immer aus'm Pfarrhof, hinaus auf'n Lebensweg, Hand in Hand mit ein' braven Bub'n, dem ich nit feind sein kann, und nach'm alten Sprüchel: gleich und gleich taugt! Morgen werden wir zwei das ihnen schon sagen und alles sagen, was dir und uns taugt und wie's über Nacht kämma is, was dich kränkt, so soll's a wieder über Nacht 'gangen sein; nur musst mir nit schwer machen, was sein muss, wann du — so a Mann — nit die Stärk' hätt'st, woher sollt' ich's nehmen? Ich bin nur a Weib, aber du bist ja mehr als ich, nur du, hochwürdiger Herr, lass dich's nit anfechten, nur du lass dir nix anhaben, dass was g'schieht, nit umsonst g'schieht. Ausbrechend. Denn sonst, mein' Seel', sonst lasset ich's gleichwohl sein, wann's für nix sein sollt', und haltet treu bei dir aus bis ans End'!

MICHEL stupft sie erschreckt mit dem Ellbogen.

HELL. Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine, euch die eure tragen zu lehren und tragen zu helfen?! Du bist mir wenigstens echt geblieben, Anne. Geh denn mit Gott!

ANNERL. Und noch ein schönes Gebitt' hätt' ich an dich. Nit wahr, du gibst uns selbst vorm Altar z'samm', du schickst uns kein' andern, du bist auch da dabei, wo du nit fehlen darfst?

HELL fährt mit der Hand gegen die Stirne. Davon ein andermal — jetzt — jetzt nicht! Winkt ihnen zu gehen.

ANNERL. Ich geh', aber so schick mich nicht von dir; zeig mir, dass du zufrieden bist mit mir und sag mir auch jetzt zum letzten die lieben Wort', die du mir zum ersten g'sagt hast, wie d' mich aufg'nommen hast bei dir, sag mir, dass ich auch da recht gedacht hab' und brav!

HELL legt ihr erschüttert die Hand aufs Haupt. Recht und brav! Sinkt in den Stuhl.

Annerl und Michel durch die Mitte ab.

Fünfte Szene.

Hell. Brigitte.

BRIGITTE atemlos aus der Mitte. Hochwürdiger Herr, Herr Pfarrer!

HELL. Brigitte, was hast du?

BRIGITTE. O du mein Gott! 's ganze Dorf is in der Höh' — das Unglück — dem Wurzelsepp sein alt' Mütterl hat sich ins Wasser g'stürzt und ist erst weit ober der Mühl' tot herauszog'n word'n!

HELL. Hat man auch alles versucht, sie ins Leben zurückzurufen? Ich will doch selbst —

BRIGITTE. Der Physikus is schon am Ort, alles hab'n s' 'tan frottiert, aderlassen; aber 's hilft nix, das arme alte Leut bleibt tot. Der Wurzelsepp rennt wie narrisch im Ort herum.

Sechste Szene.

Vorige. Die Türe wird aufgerissen, in derselben erscheint bleich, verstört, mit wirrem Haar Wurzelsepp.

BRIGITTE. O du mein, da is er!

SEPP tritt ein und sagt zu Brigitte tonlos. Allein will ich mit'n Pfarrer reden.

HELL zu Brigitte. Geh nur!

BRIGITTE. Aber, Hochwürden —

HELL. Geh, Brigitte, und lass uns allein.

Brigitte ab.

Siebente Szene.

Sepp und Hell. Pause, während welcher Hell einen Stuhl fasst und ihn hinter Sepp rückt.

SEPP scheu. Ich dank', es tat sich net schicken, ich kann schon noch stehn. Ich wollt' nur, ich könnt' mich leichter mit dir reden.

HELL gütig. Erschwere ich es dir?

SEPP. Nein, du hast recht, ich bin selber d'Schuld. Lauernd. Aber du, du hast ja damals g'sagt, du tragst mir nix nach, wann i a — wann i a alles ausplauder'? Ich weiß, du halt'st dein Wort! Aber mir verschnürt's doch die Red', dass ich zu dir kommen muss.

HELL. Fasse dich und rede; wenn du weißt, dass ich mein Wort halte, was ängstigt dich?

SEPP. Ich weiß, wie's auf der Welt zugeht, Dienst um Dienst, und ich möcht' gern wieder mit dir auf gleich werden. Trocknet sich den Schweiß von der Stirne. Du brauchst dich nit um die dummen Bauern zu ärgern, ich kann ja sagen, dass alles derlogen war und ein' Jux draus machen.

HELL ernst. Das lasse, da hast du nichts mehr gut zu machen, das ist vorbei, alles vorbei! Von mir weiter keine Rede, komme auf deine Angelegenheit!

SEPP ängstlich. Ich komm' lieber morgen, heut könnt'st nit aufg'legt sein, mich anzuhör'n, morgen, wenn's ruhiger im Ort worden ist, komm' ich wieder, da hör mich an und sei g'scheit, Pfarrer, denk auf dein' Vorteil, ich — ich hab' schon ein derspart's Sacherl daheim, wann's a nit viel is, denk halt christlich, ich komm' morgen! Wendet sich.

HELL. Halt! Zu zweien Malen, Sepp, bist du in mein Haus gedrungen; das erste Mal geschah es in keiner freundlichen Absicht, das zweite Mal, ich weiß es — bei dieser leidvollen Stunde — geschieht es in keiner schlimmen. Beide Male trat'st du mir nicht offen entgegen, beide Male kamst du lauernd an mich herangeschlichen; hinter lauernde Demut verbargst du deinen Hass, um mir zuzurufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie — und doch, siehe, ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dich! Als ich dies Kleid anzog, hab' ich dem traurigen Anrechte des Hasses, wieder zu hassen, entsagt, dem ewig menschlichen an dem Leid habe ich — konnte ich nicht entsagen; das Leid ist so allgemein wie das Sonnenlicht und wir alle haben oder nehmen teil daran; warum nun verbirgst du hinter lauernde Angst auch dein Leid? Kann dich nicht einmal der Schmerz als Mensch zu Menschen sprechen lehren? Und wenn dir das Misstrauen mit tau send Fasern im Herzen wurzelte, es soll, es muss heraus! Jetzt habe ich dich da, wo ich dich haben wollte, aber ich freue mich nicht darüber, denn mich bewegt's im Tiefsten der Seele, dass ich dich jetzt markten und feilschen sehen muss. Rede mit halben Worten, stammle unter Tränen und ich will dich verstehen, nur rede mir menschlich! Du willst mir erst Dienst gegen Dienst, dann Geld bieten?! Willst du, dass ich eure Hütte aus den Händen der Gläubiger löse, hast du ein Stück Vieh zu verkaufen? Was willst du denn, dass du mir so sprichst zur nämlichen Stunde, da in deiner Hütte der Leib zum letztenmal auf das Lager gebettet wird, der dich getragen, da das Herz stille steht, unter dem du gelegen, da die Augen gebrochen sind, die manche kummervolle Nacht über dich gewacht haben, da die Lippen geschlossen sind, die oft für dich gebetet!

SEPP sinkt laut schluchzend in den Stuhl.

HELL rückt einen Stuhl nahe an den Sepps und legt dann die Hand beruhigend auf dessen Knie. Sepp!

SEPP erhebt sich aus seiner gebeugten Stellung und blickt den Pfarrer an.

HELL. Rede getrost, ich weiß es nun, du wirst mich um nichts bitten, was ich dir versagen kann und darf.

SEPP trocknet sich die Augen und sieht den Pfarrer groß an. Du kannst's! Mir und ein' jeden!

HELL. Was wäre das?

SEPP. Du weißt, mein' Mutter hat ihr'n Leb'n selbst ein End' g'macht, es lasst sich nicht laugnen; ich sag' dir aber, wenn sie auch letzte Zeit nimmer in d'Kirch' kämma is, sie war doch a fromm's Weib, sie hat ihr Lebtag viel g'halten auf a ehrlich's christlich's Begräbnis, sie hat selbst von ihr'n armseligen Spinnverdienst was auf d'Seit' g'legt aufs letzte, was sie sich g'wünscht hat, Ausbrechend. und wenn ich jetzt denk', dass das alles für nix war, dass 's letzte, was sie begehrt, nit sein soll, dass man sie — als Selbstmörderin — außer'n Friedhof, wie ein' Hund, verscharren wird!

HELL fährt empor, Sepps Schultern mit beiden Händen anfassend. Sepp, Sepp, was willst du denn aus mir machen?! Nicht dir, noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seine Toten! O, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, dass du nicht wusstest, bevor du deine Bitte vorgebracht, dass ich nicht nein sagen werde, nicht kann, ja nicht darf, wenn jene Stimme in mir recht hat, die laut aufschreit über diese letzte Barbarei, an dem Wehrlosesten, nicht an dem Toten, an den unser Gericht nicht mehr reicht, nein, an den trauernden Hinterbliebenen, in deren vor Weh erzitterndes Herz wir den glühenden Stachel der Unduldsamkeit drücken! Lass das — davon nichts mehr, Sepp! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.

SEPP sieht ihn groß an. Verzeih mir, Pfarrer, so hab' ich dich nit 'glaubt, du redst viel anders als der frühere; aber die Leut' im Ort denken vielleicht doch noch so wie der! Bitter. Und ich, grad ich, hab's sein müssen, der dir's abg'red't hat!

HELL. Beruhige dich, ich werde ja selbst die Leiche zu Grabe geleiten, ich werde für die Tote sprechen, ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie Amen sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.

SEPP fasst Hells Hände zitternd in seine beiden. So tust du an mir?! — Das vergiss ich dir all mein Lebtag net! Ich dank' dir zu tausend- und tausendmal! Wendet sich.

HELL. Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.

SEPP. Du an mich?

HELL. Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, so wirst du nicht außen bleiben können; du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen; solltest du etwa Stimmen um dich flüstern hören: dass du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, lass dir deinen Schmerz nicht durch ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht mir, dein Kommen bereitet mir keine Freude; du kommst ja auch nicht zurück, denn dir steht es frei, zu gehen und wieder fern zu bleiben, wie früher, als ob du nie gekommen wärest.

SEPP ergriffen. Du redst ein' in die Seel' hinein, als ob d' wüsst', was einer sich z' tiefst drein denkt. O du mein Gott, wann du früher kämma wärst, ich wär' nit a so, wie ich jetzt bin!

HELL. Und musst du denn so bleiben, wie du bist? Sepp, ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen, und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast! Geh darum nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. Ich weiß, dir ist in der Zeit des Leidens der Funke der Hoffnung ausgegangen, wie ein Licht, das die Nacht nicht überdauern kann, und der aufsteigende Qualm verschleierte dir den Glauben. Der göttliche Funke kam von oben und wenn er nimmer in dir glimmt, hab' ich ihn anzufachen keine Macht; du glaubst zurückweisen zu können, was Tausenden zu glauben und zu hoffen Trost bringt, und siehe, ich dringe nicht in dich und rufe: glaube und hoffe! Aber eins, Sepp, kannst du nicht zurückweisen, du bedarfst's — du bedarfst es, du hast es bei mir gesucht mit Bangen und Zagen, du rufst es nun bei allem an, dir bringt es Trost, dass ich keinen Vorwurf, kein hartes Wort für dich habe, dir tut es wohl in deinem Leid, dass das ganze Dorf noch wach und betend auf ist — nenn es, wie du willst, nenn es Teilnahme, Mitleid, Erbarmen, es ist eins: es ist die Liebe — es ist die Menschenliebe! O lass dich halten an diesem einzigen Faden, den ich habe, dich zu binden, lass dich herausführen aus deinen Wildnissen, in denen du selbst verwilderst, heraus wieder zu uns, aus der Vereinsamung in die Gemeine — sei wieder unser! Was verlange ich denn von dir, das ich dir nicht wieder zu geben bereit bin? Sei wieder für alle, damit alle wieder für dich seien! Die Arme nach ihm ausstreckend. Willst du, Sepp?

SEPP mit voller Leidenschaft seine Knie umfassend. Mach du mit mir, was du willst; — du — du bist doch der Rechte!

Gruppe.


Vierter Akt.


In der Tiefe Wald mit mächtigen Föhren, darüber Gebirge. Etwas weiter vorne rechts das Portal der Dorfkirche, die vom Dorfe abseits liegt, dessen letzte Hütten man links rückwärts noch gewahrt, von welchen über einen Bach ein breiter praktikabler Steg schief gegen den Vordergrund rechts führt. Links ganz vorne ein Baum, vor welchem eine Rasenbank. Morgendämmerung.

Erste Szene.

HELL während der Vorhang aufgeht, sieht man denselben über den Steg schreiten; er kommt gedankenvoll nach links — aufatmend. Waldeinsamkeit! Hier erwarte ich den Tag, hier ist es still und ruhig ringsumher, hier will ich mein Inneres durchblättern wie ein Buch, in dem man nach verbot'nen Stellen fahndet! ... Im Dorfe ist mir's schon zu lebendig, dort rüsten sie sich zu dem Ehrentage, dem Ehrentage der Brautleute und meinen, der den Schlussstein auf das lang schon wieder gewonnene Vertrauen der Gemeinde setzt. Wendet sich. Dort liegen die letzten Häuschen des Ortes im Morgengrau und jenes, vor dem ein Hügel Gerberlohe liegt, es ist das Wurzelsepps, aus ihm ist doch der alte Gerbersepp geworden. Kein Misston quält mich mehr, ich habe wieder Herz und Hände frei. Gegen das Dorf. Da drinnen ist alles mit mir in Ordnung, Auf sein Herz. warum denn nicht auch hier? Was ist es denn, das in mir nun auch noch die Anerkennung meiner Obern fordert? Ehrsüchtig war ich sonst doch nie und dachte nie daran, erfüllte Pflicht mir lohnen zu lassen! Ein ander's ist's, ein böser Gast ist bei mir eingekehrt — der Zweifel! Den Keim dazu, den legten Briefe meines Gönners, des Propstes aus Rom, in denen er mir sanft abrät, die Wege zu verfolgen, die ich bisher ging — und vollends großgezogen wurde er, als ich es sehen musste, dass eben jenen Anerkennung und Auszeichnung ward, die nicht meine Wege gingen. Der Propst, er schreibt: bald würde alles klar, denn neue Meilenzeiger würden jetzt zu Rom gesetzt — geh' ich denn in der Irre, ohne es zu wissen? Das alles passt zu dem, was jener Finsterberg mir sagte; macht denn heutzutage Aberwitz uns klug? Schlimm, schlimm, wenn ich an mir selber zweifeln müsste, und schlimmer, müsste ich's an andern —! Da — da — angesichts des schweigenden Waldes und der starrenden Berge, Hell, mach es dir klar, ob je ein Schritt, den du getan, verstoßen hat gegen heil'ge Satzung. — Diese Föhren, diese Berge, an deren Fuße du jetzt der Sonne wartest, sie waren ja schon ein mal — mondbeglänzt — die Zeugen jener Nacht, wo du vor dir selbst geflohen, wo du vor Schmerz verzagend dort in ihrem Schatten saßest — und — Böllerschuss. Echo in den Bergen. Musik. Tusch noch in der Ferne.

Richtet sich empor. Sie kommen — und die Berge haben geantwortet! Hochzeitsmarsch kommt immer näher. Sie gaben das Signal zurück: »Sie kommen!« Sie hallten's drängend siebenfach mir zu! Das heißt: lass die Bedenklichkeiten fahren; jetzt, wo du vor der Tat bei Tag und Nacht, zu jeder Stunde stehst, da sei bereit und lange zu, du darfst nicht auf den Lohn, den lahmen Boten, der immer hinter dem Geschehnen schreitet, warten, wenn du ihn wirklich dir verdienen willst, in einer Stund' der Rast mag er dich einholen und dir um so willkommner sein!

Zweite Szene.

Voriger. Der Hochzeitszug über den Steg. Voran die Musikanten, hinter ihnen Sepp mit einer Stange, worauf ein Blumenstrauß, dann Michel als Hochzeiter, zwischen zwei festlich geputzten Bauernburschen, Bauern hinterher, dann Annerl als Braut, zwischen zwei Kranzeljungfern, Bäuerinnen.

Der Zug geht über die Bühne von links nach rechts und macht dann Halt, Hüteschwenken und Tusch der Musik begrüßt den Pfarrer.

MICHEL holt Annerl aus der Mitte der Kranzeljungfern. Grüß Gott z' tausendmal, hochwürdiger Herr! Da sein wir, zwar rechtschaffen müd', aber munter wie die Fisch'! Die Annerl war seither bei meiner Mutter in Einöd und ich hab' s' auch von da her einholen müssen. Ich kann net viel Wort machen, aber du weißt's eh'nder, wieviel ich alleweil auf dich g'halten hab', ich war a wilder, narrischer Bursch, du hast mich z'rechtbracht, und von dein'm Segen derhoff' ich mir jetzt auch 's Beste!

ANNERL blickt zu Boden. 's is recht schön, dass d' Wort g'halten hast, hochwürdiger Herr!

MICHEL. Na, dös hat sich von eh'nder verstanden: dös war no net da, dass der Pfarrer von Kirchfeld a Wörtl g'sagt hätt', bei dem's net blieben wär' wie beim Amen im Gebet.

HELL. Ihr seid vor der Sonne da!

MICHEL. Wir hab'n dich net warten lassen wöll'n und wir haben's wohl denken können, dass du schon am Platz sein wirst.

HELL zu Annerl gewendet. Du siehst recht schmuck aus.

ANNERL blickt auf ihren Brautstaat, dann vertraulich. Dein goldig's Kreuzl musst heut net bei mir suchen, Pfarr'. Auf die Kranzeljungfern deutend. Schau, die hab'n g'meint, ich soll's umnehmen und 'glaubt, es tat dich beleidigen, wann ich's heut nit traget; aber nit wahr, ich hab' doch recht g'habt? Ich hab' mir denkt, es tat sich net schicken. Ich hab's z' Haus recht gut aufg'hob'n, will's hoch in Ehren halten und nach mein' Ehrentag erst will ich's ganz versteckt unterm Mieder trag'n; und kommt dann — wie's Gott schickt — Herzload oder Herzensfreud', wo ich selber nit aus weiß, wo das Herz mir höher schlagt, und ich press' d'Händ' ans Mieder, da erinnert mich das Kreuzl g'wiss an dich — und denk' ich dann an dich bei dem, was ich tu', ob'st freundlich schauest oder z'wider, so hab' ich sicher 's rechte Fleckel troffen und weiß, was ich tun oder lassen muss. Es soll mir ein rechter Segen werd'n.

HELL. Das walte Gott!

MICHEL unruhig, drängend. Ich denk', wir gehn jetzt gleich vorauf in die Kirch'n.

HELL tritt unwillkürlich einen Schritt von beiden zurück, dann gefasst. Geht diesmal mir voran! Ich folge euch!

MICHEL. Kumm aber fein gleich nach!

HELL. Bald!

Hochzeitsmarsch beginnt wieder, der Zug setzt sich in voriger Ordnung in Bewegung und geht von rechts im Bogen beim Pfarrer vorüber in die Kirche. — Sepp, der seinen Stock militärisch präsentiert, die Musikanten und etliche Bauern bleiben außen; wie die letzten Paare unter dem Portal verschwinden, schließt die Musik. — Das Orchester nimmt piano den Hochzeitsmarsch auf und spielt seine Motive unter der Rede des Hell, bis, wo angedeutet, die Orgel eintritt. — Die Zurückgebliebenen entfernen sich, Sepp an der Spitze, und scheinen sich lebhaft zu besprechen.

Dritte Szene.

Melodramatisch.

HELL allein, hat den Ellbogen an den Baumstamm gestützt und den Kopf in die Hand gesenkt, aufseufzend. Es wird mir doch schwerer, als ich dachte — vor den Altar zu treten, das entscheidende, ewig bindende Wort ihr abzufordern! Voll Leidenschaft. O, wenn sie stammelte — wenn sie es nicht über die Lippen brächte — Erschreckt. Was dann? Was denn dann, Tor — bringt dir anderer Verlust Gewinn? Pfui, bist du noch nicht dein Meister geworden? Jetzt rasch hin vor den Altar, das sei deine Strafe — ohne Zaudern, ohne Überlegung — ohne Zucken deiner Wimper — ohne Zittern deiner Hände. Macht eine energische Bewegung gegen die Kirche, die Orgel ertönt. Ich komme! Hält stille. Lass noch ein wenig die kühle Morgenluft dir die heiße Stirne fächeln — lass diesen Sturm in deinem Innern erst vorübergehen — lass es ruhig werden in dir — mach dir klar, was du musst, damit du es auch vermagst! Denk dich Aug' in Aug' vor ihr — denk dir, wie du ihr ehrliches Ja hörst — denk dir, wie du ihre Hand fasst und in die eines andern legst. Schlägt die Hände vors Gesicht. O du vermagst es nicht! Lässt die Hände darauf sinken. Du vermagst es nicht, ohne zu zeigen, wie dich's im Innersten erschüttert — und du willst noch von Entsagung jenen ehrlichen Seelen reden, die dich für stärker, für besser hielten, als du bist! Auffahrend. Du musst es können!

Choral mit Orgel.

Die Stimmen der Gemeinde! Sie mahnen mich! Die Hand am Herzen. Was ziehst du dich zusammen, kindisch Herz, um nur für ein Bild Raum zu lassen, Nach der Kirche. wo doch die alle dort in dir ein Fleckchen wollen, das sie beherbergt? O, werde wieder weit, wie ich dich brauche, wie du es immer warst gewesen, wenn es sonst ein Opfer galt, und so wie sonst, wenn es gebracht ist, dann magst du höher schlagen! Nicht in ihr Auge will ich blicken, unverwandt auf die Gemeinde will ich schauen! War doch kein Opfer noch umsonst! O lass dich ganz von Opferfreudigkeit durchdringen, blick über alles aus ins Land der Zukunft und grüße mit vernarbten Wunden die Brüder jener Tage, denen dieses Kleid nicht mehr den Kampf zwischen Schande und Entsagung zur Pflicht macht! — O, wär't ihr jetzt zugegen, ihr, die ihr mir jede Anerkennung weigert — bei dieser Stunde, in der ich mich aus tausend Qualen gerungen — nun solltet ihr mir doch sagen müssen, was ich ja einzig nur zu hören wünsche: Dass ich getan, was man von mir erwartet!

Voller Accord, mit dem Orgel und Choral verstummt.

HELL stark. Ich komme! Rasch ab in die Kirche.

Vierte Szene.

Über den Steg, von wo sie früher abgegangen, Sepp, Bauern, der Schulmeister von Altötting, der eine Tasche an einem Riemen um den Hals trägt, in ihrer Mitte.

SCHULMEISTER noch hinter der Szene. Nur keine Gewalt, ich verwarne euch!

SEPP indem er ruckweise den Schulmeister auf die Szene stößt. Komm nur, fürcht dich net, 's g'schieht dir nix!

SCHULMEISTER. Ich mache die ganze Gemeinde dafür verantwortlich, wie mir mitgespielt wird.

EINIGE BAUERN. Aber Sepp, was hast denn mit'n Schulmeister?

SEPP. Seids nur stad, es kommt gleich! Schon seit gestern siech ich den Lump' da im Dorf bald ums Pfarrhaus und d'Kirch' herumschleichen, bald bei alte Betschwester und Brüder aus- und einschliefen; da hab' ich mir gleich denkt, der führt sicher was gegen 'nen Pfarr' im Schild und — na, er soll euch's nur selber sag'n, was er bringt!

SCHULMEISTER. Gut — gut — das will ich — aber das bitt' ich dich, verirrte Gemeinde, unterbreche mich nicht und bedenke, ich bin hier in höherem Auftrage!

SEPP. Red nit so lange herum, ich weiß schon was d' bringst, du müsst' es nit Weibern auf'bunden hab'n.

SCHULMEISTER. Geliebte, das Reich Antichrists ist nahe ...

SEPP. Red nit vom jüngsten Tag — bleib bei der Stangen — red vom Pfarrer!

SCHULMEISTER. Geliebte! Hört nicht auf diesen Ketzer, hört auf mich! Das Reich des Antichrist ist nahe und die gläubigen Scharen müssen sich zum Kampfe gegen ihn rüsten; überall hat er sich eingeschlichen, er hat hohe Würden im Lande an sich gerissen und setzt sich selbst vor den Augen des verblendeten Volkes auf die Kanzel! Aber die wahrhafte Frömmigkeit erblickt ihn unter jeder Larve und so hat sie ihn denn auch unter euch erkannt.

BAUERN. Unter uns?!

SCHULMEISTER. Unter euch! Und führt ihn darum aus eurer Mitte hinweg, damit er fürder eure Seelen nicht verderbe. Hier in dieser Tasche bringe ich die Formel, die ihn hinwegbannt — ja, Geliebte, ich kann sagen: ich stecke den Antichrist eurer Gemeinde in die Tasche! Der Wolf wird von der Herde hinweggejagt und der Hirte kehrt wieder!

SEPP. Verstehts ös dem sein Vorbeterdeutsch? Einfach in unsrer Sprach' heißt's: unsern Pfarrer jagen s' fort und ein' andern setzen s' uns her, der euch wieder 's Raufen und Saufen um 'n Beichtgroschen derlaubt!

BAUERN. Was, der Pfarrer soll fort?

SCHULMEISTER. So ist es.

JUNGE BURSCHEN auf ihn eindringend. Dös gibt's net!

SEPP indem er den Schulmeister scheinbar gegen die Eindringenden deckt und ihm dabei heimlich Püffe erteilt. Halt, lassts 'n gehn, er steht unter mein' Schutz!

EIN ALTER BAUER. Wir hab'n's allweil denkt, dös kann so in derer Dicken not furtgehn — 's Konsisturi  [= Konsistorium: Beirat des Bischofs]!

MEHRERE ALTE BAUERN gedehnt, unisono. Ja — 's Konsisturi!

SCHULMEISTER. Es wurde zuerkannt, dekretiert und ausgeführt, und mich beauftragte insbesondere ein Befehl des edlen Grafen von Finsterberg, dem Exkommunikanten zu intimieren, dass er vorab seiner Pfarre verlustig, jeglicher priesterlicher Funktion von Stunde ab unfähig und verbunden sei, sich sofort dem Konsistorialgerichte zu stellen, wo ihn für alle seine aufgehäuften Sünden die Sühne und Buße erwartet, welche — wie wir gläubig hoffen wollen — seiner Seele zum Heile gereichen möge!

JUNGE BURSCHE. Das lassen wir nit zu! Dringen wie oben auf den Schulmeister ein.

SEPP benimmt sich wie oben. Fürcht dich net, ich lass' dir nix g'schehn!

DER ALTE BAUER. Na ja, wir hab'n's ja eh'nder allweil g'sagt — 's Konsisturi!

MEHRERE ALTE BAUERN wie oben. Ja — 's Konsisturi!

SEPP. Und glaubst, das lassen wir so hingehn, uns soll's allesamt eins sein, wen s' uns da in die G'meind' setzen, wir soll'n den weglassen, der uns in d'Seel' g'wachsen is? Ich rat' dir's gut, gib dein' Taschen heraus, dein' Papierwisch verbrennen wir und die Aschen kannst wieder mitnehmen, und wann d' 'leicht nicht nachlassen und wieder kummen willst, is's uns a Ehr'! Klopft ihm auf die Achsel. So oft der Stockfisch kommt, soll bei uns Aschermittwoch sein!

SCHULMEISTER. Ketzer, wag das nicht!

JUNGE BURSCHE eindringend. Gib dös G'schrift heraus!

SEPP wie früher. Lassts ihn gehn, ich perschwattier'n schon, dass er's gutwillig hergibt!

SCHULMEISTER. Ich mache die ganze Gemeinde für den projektierten Frevel verantwortlich!!!

SEPP langt nach dem Riemen der Tasche. Gib her!

DER ALTE BAUER fasst den Riemen von der andern Seite. Halt aus, Sepp, bring kein Unglück über die ganze Gmoan, bedenk — 's Konsisturi!

MEHRERE ALTE BAUERN wie oben. Ja, 's Konsisturi!

SEPP zerrt den Schulmeister an sich. Ich gib net nach!

JUNGE BURSCHE fassen an der Seite, wo Sepp den Riemen hält, gleichfalls an. Gib die Taschen! Heraus damit!

DER ALTE BAUER. Aber Buama, seids doch g'scheit, denkts —

MEHRERE ALTE BAUERN wie früher, gleichfalls an der Seite, wo der alte Bauer den Riemen hält, anfassend. 's Konsisturi!

SCHULMEISTER verschwindend unter dem Knäuel, der an der Tasche zerrt. Zu Hilfe! Zu Hilfe!

A tempo.

Fünfte Szene.

Vorige. Aus der Kirche. Hell, hinter ihm Michel und Annerl und alle die früher dahin abgegangen.

HELL im Heraustreten. Wer ruft um Hilfe?

SCHULMEISTER durch das Erscheinen Hells frei geworden, jedoch ist seine Tasche in den Händen Sepps geblieben. Ich habe mir diese kleine Freiheit genommen.

SEPP fast grob zu Hell. O, dass d' auch grad kommen musst, wärst in der Kirch' blieb'n, du hätt'st von all dem nix z' wissen braucht und a nix davon erfahr'n!

HELL ganz vorkommend zum Schulmeister. Was habt Ihr?

SCHULMEISTER. Eine kleine Botschaft, die man mich hier nicht bestellen lassen will, ich bitte in aller Demut, hochwürdiger Herr, verschaffen Sie mir meine Tasche wieder, damit ich meinem Auftrag nachkommen kann.

SEPP. Tu's nit, Pfarrer, tu's nit, glaub mir, die G'schicht geht dich gar nix an, sie betrifft uns, uns ganz allein!

JUNGE BURSCHE. Der Sepp hat recht!

SCHULMEISTER. Dem erlaub' ich mir in Demut zu widersprechen; die Tasche, die man mir genommen hat, enthält ein kleines Dekret für Euer Hochwürden selbst.

HELL. Für mich? — Sepp, gib dem Manne sogleich die Tasche zurück!

SEPP die Tasche an sich ziehend. Nein — nein — ewig net!

SCHULMEISTER zuckt die Achseln. Hochwürden, unter solchen Umständen muss ich jede Verantwortung einer Zustellungsverzögerung von mir weisen und ich halte mich meines Auftrages damit entledigt, dass ich es Euer Hochwürden überlasse, dem Widerspenstigen selbst die Tasche abzufordern. Geht mit hämischer Verbeugung ab.

HELL zu Sepp. Nun, sei nicht kindisch, Sepp, öffne die Tasche und gib mir deren Inhalt.

SEPP sieht ihn erschreckt an. Ich — ich — sollt' dir das — nein, nein. Will die Tasche den Umstehenden aufdrängen, die sich aber weigernd zurückziehen. Da — da, nehmts einer, gebts es dem Pfarrer!

HELL ungeduldig. Sepp, ich denke, ich hätte doch etwas Gehorsam um dich verdient, mach ein Ende, gib das Verlangte, ich will's.

SEPP. Wann du mir so kommst, so muss ich freilich — Will die Tasche öffnen, kann es aber nicht. Zu den Umstehenden. Nestelts mir einer die Taschen auf, mir zittern die Händ'. Es geschieht, zu Hell. O, wenn d' mich auf die steile Wand stellest und sagest: stürz dich kopfüber hinunter, wär' mir gleich auch so lieb g'wesen, aber dass d' siehst, ich folg' dir. Er überreicht ihm das Dekret mit zitternden Händen und abgewandtem Gesicht. Da hast!

HELL ernst werdend. Was ist's denn, das dich so ergreift? Sei nicht töricht. Weißt du denn, was diese Schrift enthält? Es wird nichts von so hoher Bedeutung sein!

SEPP ausbrechend. Nein, nein — nichts — gar nichts, als dass sie dich verfluchen, dass sie dich fortjagen, dass du kein Geistlicher mehr sein darfst und dass du dich beim geistlichen Gericht verantworten sollst.

HELL erstarrt. Unmöglich!! Öffnet langsam das Siegel und dann das Dekret. In der umstehenden Gruppe höchste Bewegung. Alles wahr! Sinkt, den Kopf in die Hände gestützt, auf der Rasenbank zusammen.

ANNERL. Jesus! Stürzt zu seinen Füßen.

Sepp und Michel treten rasch heran.

Lustige Jagdmusik.

Sechste Szene.

Vorige. Ueber den Steg zieht Finsterberg mit Jagdgefolge, das den Hintergrund füllt; der Schulmeister ist an des Grafen Seite.

FINSTERBERG schreitet, ohne von den Anwesenden Notiz zu nehmen, so dass er mit dem Rücken gegen Hell zu stehen kommt, im Gespräche mit dem Schulmeister vor. Also Er hat seinen Auftrag ausgerichtet, Schulmeister?

SCHULMEISTER. Zu dienen, Excellenzherr; wenn Sie einen gnädigen Blick über dero hochwohlgeborene Achsel zu werfen geruhten, würde Sie der Augenschein davon überzeugen.

FINSTERBERG. Gut. Er hat doch meinen besonderen Auftrag nicht vergessen und einer gewissen Trauung nicht vorgegriffen, und dieselbe den letzten Akt der Priesterlaufbahn des Exkommunikanten sein lassen?

SCHULMEISTER. Ich habe mich alleruntertänigst nicht vorzugreifen unterstanden.

FINSTERBERG wendet sich etwas gegen Hell, höhnisch. Gut, dieser letzte Akt war ja eine edle Handlung und man soll uns nicht nachsagen, dass wir eine edle Handlung gehindert hätten. Wendet sich wieder ab. Nun auf zur Jagd! Ich werde heute keinen Fehlschuss tun, ich habe eine sichere Hand!

Jagdmusik, unter welcher Finsterberg samt Gefolge wieder und zwar hinter der Kirche abzieht, Schulmeister mit ab.

Siebente Szene.

Vorige ohne Finsterberg, Schulmeister und Gefolge.

HELL Kleine Pause. Hebt langsam das Haupt. Dieses Opfer — umsonst — und verhöhnt! Steht langsam, aber stramm sich in die Höhe richtend auf. Vorbei alles! Zur Gruppe Wurzelsepp, Michel, Annerl, die ihn zunächst umgibt, plötzlich wie ganz abspringend. Was erzählte man doch kürzlich von dem Kaplan Cyrill?

SEPP sieht ihn verwundert an. Meinst den Kaplan von St. Egydi, den man ertrunken aus'n Bach 'zogen hat? Mein Gott, da reden die Leut' viel; die ein' sag'n, er wär' selber ins Wasser 'gangen, die andern, er wär' verunglückt!

HELL. Auch er sollte sich verantworten; die Wege über die Gebirge sind jetzt gefahrvoll, die Frühlingsluft ist lau, da gehen die Lawinen nieder, das Gestein verbröckelt ... Ihr seid treue Seelen, wenn ihr hören solltet, dass ein Mann, den sein Weg durchs Gebirg' geführt, tot aufgefunden wurde, so sagts nicht wieder — um der »Sache« willen —, dass ihr ihn kennt!

ANNERL fällt sprachlos weinend dem Michel um den Hals.

MICHEL. Annerl, du bist ein grundg'scheit's Weib, verschreck dich net, sei kuraschiert, dös mußt du auf gleich bringen. Geht mit Wurzelsepp zurück. Beide entfernen sich mit den Bauern nach dem Hintergrunde. Hell, in Gedanken versunken, und Annerl im Vordergrunde.

ANNERL fährt sich mit der Schürze über die Augen und tritt dann entschlossen auf Hell zu. Hell — hochwürdiger Herr!

HELL wendet den Kopf. Du, Anne?

ANNERL. Lass mit dir reden! Ich bitt' dich um Himmels willen, hör auf mich! Du hast vom Kaplan Cyrill a Wörtl fallen lassen — himmlischer Vater, willst du's bei dem End' anfassen?

HELL. Lass mich, Anne, frage nicht! Ich stehe niemandem mehr Rede, als dem dort oben!

ANNERL. O, nur so, nur so red nit! Mit steigender Erregung. Du darfst's nit, Pfarrer, du musst das Deine tragen, bei dem, was in derer Stund' zentnerschwer auf mir liegt, du musst! Du weißt, ich hab's auf mich g'nommen, weil ich um dich alles, alles ertragen hätt', nur kein' Fleck auf deiner Ehr'! Ich schau' nit um, ob noch a Weib mir gleich und so stark wär' als ich; ich hab' jetzt nur dich vor Augen, du musst der bleiben, der du gewesen bist, der Mann, dem keiner gleich is, zu dem ich aufschau'n kann in meiner Not wie zu ein' Schutzheiligen, und was mir Gott noch als Prüfung oder die Welt aus Bosheit zulegt, ich will's geduldig und aufrecht erwarten, nur von dir, von dir darf mir nix dazu kommen, nur an dir darf ich nit irr' werd'n, da brechet ich drunter z'samm'!

HELL bewegt. Anne!

ANNERL. O, schau nit so ung'wiss, als ob d' noch nicht wusstest, was d' tun sollst. Solang Kirchfelder leben, die dich kennt hab'n, wird von dir alleweil die Red' sein als von ein' guten, braven, rechtschaffenen Mann, der so vorang'leucht' hat, dass man ihm getrost Tritt für Tritt hat nachgehn können, bis zum letzten — bis zum letzten! Da is's freilich aus, da verschnürt's dann ein' jeden d'Red' und wo man's auch erzählt, die G'schicht vom braven Pfarrer, auf'n Feld, unter'n freien Himmel oder vom Ofenwinkel in der Spinnstub'n, da wird's auf amal ganz stad werd'n; von dö Alten wird keiner weiter frag'n, die haben's nur do noch einmal mit erlebt, dass ein rechtschaffener Mann zu Grund geht und verdirbt, aber die Jungen werd'n fragen, die woll'n, dass d'G'schicht ein' Ausgang und ein' rechten hat. Für dö, dö noch vertrauensvoll in die Welt gucken, taugt die Erfahrung nicht; soll ich den Ausgang 'leicht dazulüg'n, Pfarrer, dös hast uns nit g'lernt, und wie soll'ns hernach 'mal die Alten im Ort ihren Kindern erzählen die G'schicht vom braven Pfarrer von Kirchfeld?

HELL. Die nach uns kommen, die sollen Achtung uns bewahren können, die sollen nicht die Wege rings voll Steine finden, die wir ihnen heut schon ebnen können — die sollen uns nicht faule Knechte schelten — ich halte aus — ich harre aus! Anne, sag, sag einst auch deinen Kindern, nicht bis ans Ende seines Glückes, bis zum letzten Hauche war er sich selbst getreu und hat festgehalten an dem Rechten und dem Wahren. O, du hast die rechte Saite angeschlagen! Lächelnd. Du bist klug.

ANNERL in bäuerischer Freude die Zähne zusammenbeißend und die Hände geballt vor sich gestreckt, fast jauchzend. Und schön und brav, wie dein' Schwester! So hast schon einmal g'sagt: O, jetzt ist alles gut; wenn deine Augen so leuchten, wenn du dich aufricht'st in deiner ganzen Höhen, da bist wieder der alte! Bei diesem Ausbruch des Jubels drängen sich alle aus dem Hintergrunde teilnehmend herzu.

MICHEL. Sie hat's richtig z'weg'n 'bracht!

SEPP. Du bleibst also bei uns, du gehst net fort?

HELL. Ich gehe! Ich gehe hin, wie Luther einst nach Worms. Ich trete meine Strafe an und warte still, was nächste Zeiten bringen, vielleicht ruft eine freie Kirche im Vaterlande mich, ihren treuen Sohn, zurück aus der Verbannung, wo nicht, so will ich dort an Stelle durch eiserne Beharrlichkeit, die sich nicht schrecken noch kirren lässt, sie ahnen lassen, dass denn doch die Ideen, die die Zeit auf ihre Fahnen schreibt, mächtiger sind, als eines Menschen Wille! Kinder, obwohl sie euch gesagt, ich sei kein Priester mehr, so drängt's mich doch, mit einer priesterlichen Handlung von euch zu scheiden — nehmt keiner dran ein Ärgernis — denn wahrlich, ich greife damit nicht in ihre Rechte, denn längst verlernten sie das Wort, das ich nun zu euch von ganzem Herzen spreche: Ich segne euch!

Gruppe: Hell in der Mitte, alles kniet, Michel und Annerl zu beiden Seiten; Wurzelsepp, der sein Haupt in den Händen birgt, etwas zur Seite.

Sonnenaufgang, in der Ferne Jagdfanfare, das Orchester fällt mit Schlussakkord ein.


ENDE


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