Religionskritisches von Aloys Blumauer

Glaubensbekenntnis eines nach Wahrheit Ringenden (1782)

von Alois Blumauer


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Blumauer, Aloys <1755-1798>: Glaubensbekenntnis eines nach Wahrheit Ringenden. -- 1782. -- Fassung vom 2004-09-22. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/blumauer01.htm

Erstmals publiziert: 2004-09-22

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


"Blumauer, Alois, österreichischer. Buchhändler, Schriftsteller, geb. 21./22.12.1755 Steyr, gest. 16.3.1798 Wien

Blumauer trat 1772 in den Jesuitenorden ein, begann aber nach dessen Auflösung 1773 ein Studium an der Philosophischen Fakultät in Wien; dort lernte er u.a. Joseph von Sonnenfels kennen. Blumauer, der seit 1780 in der Hofbibliothek tätig war, gab 1781-94 zusammen mit Joseph Franz Ratschky den "Wiener Musenalmanach" heraus und redigierte 1782-84 die aufklärerische "Realzeitung". 1782 erhielt er eine Stelle als k.k. Bücherzensor und übernahm 1786 die Buchhandlung Rudolph Gräffers. Der in der folgenden Zeit vor allem als Lyriker tätige Blumauer wurde 1787 auf Reisen nach Weimar und Berlin u.a. von Christoph Martin Wieland und Friedrich Justin Bertuch empfangen. Seit 1791 arbeitete er als Antiquar und gab regelmäßig Bücherverzeichnisse heraus. Sein Hauptwerk Virgils Aeneis travestiert (3 Bde., 1784-88) enthält eine Apologie der josephinischen Kirchenreformen."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]


Glaubensbekenntnis eines nach Wahrheit Ringenden

Zwei Kräfte sind es, die den Menschen lenken,
Sie leiten ihn bald süd-, bald nordenwärts;
Natur gab ihm Verstand, um recht zu denken,
Um recht zu handeln gab sie ihm das Herz.

Und zwei so schwachen Kräften untertänig,
Wie schwer wird oft dem Sterblichen das Ziel!
O der Verstand hienieden weiß so wenig,
Und ach, das Herz wünscht, ahnet, glaubt so viel!

Im Wahn, der Wahrheit selber nachzufliegen,
Jagt oft der Geist nach einer Wolke bloß:
Im Wahn, der Tugend selbst im Arm zu liegen,
Liegt oft das Herz dem Laster in dem Schoß.

Und sind nicht diese Führer auf den Wegen
Des Glücks oft mit sich selbst im Widerspruch?
Ist nicht oft das, was die Vernunft als Segen
Erkennt und billigt, der Empfindung Fluch?

Glaubt nicht das Herz oft Tugend da zu finden,
Wo der Verstand nur Irrtum, Täuschung sieht?
Beweist nicht die Vernunft mit ihren Gründen
Oft Rechte, die das Herz als Laster flieht?

Kann uns ein Licht, das jedes Wölkchen trübet,
Wohl zeigen, wo die helle Wahrheit sei?
Bleibt ein Gefühl, das auch den Irrtum liebet,
Wohl stets der reinen, wahren Tugend treu?

D'rum meinen Viele, die's bequemer finden,
Sich einer fremden Hülfe zu vertrau'n:
Man müsse, wo die Wahrheit zu ergründen
So schwer ist, nur auf fremden Glauben bau'n.

Allein ist glauben sicherer als wissen?
Gehorsam besser als das Selbstgefühl?
Und bringt ein Licht, das wir entlehnen müssen,
Uns leichter als das eigene zum Ziel?

Ist nicht der Funke, der im Menschen flimmert,
Ein Licht, so gleich verteilt als allgemein?
Und wird die Sonne, die hier Land's uns schimmert,
In andern Zonen ohne Flecken sein?

Ist's sich'rer, sich die Augen zu verbinden,
Um an des andern Stab' einherzugehn?
Gab die Natur uns Augen zum Erblinden,
Und Füße, um nicht selbst darauf zu stehn?

Und dennoch ist in manchen Prüfungsstunden
Das Herz so gern dem Glauben untertan,
Und oft schlägt ihm die strenge Wahrheit Wunden,
Die nur allein der Glaube heilen kann.

Ja, auch dem Glauben ist sein Reich beschieden,
So gut wie der Vernunft; allein wer kennt
Die Linie, die sein Gebiet hienieden
Von dem Gebiete des Verstandes trennt?

Nur da, wo die Vernunft mit ihren Blößen
Nicht hinreicht, fängt das Reich des Glaubens an.
Doch wer hat des Verstandes Arm gemessen,
Und wer bestimmt, wie weit er reichen kann?

Muss nicht der Glaube bloß zum Mantel dienen,
Den stets der Geist um seine Blößen warf?
Und darf der Sterbliche sich auch erkühnen,
Noch mehr zu denken, als er wissen darf? —

O du, der mir den Geist voll Durst nach Wahrheit
Und ein so weiches Herz zum Glauben gab,
Dir leg' ich hier am Throne deiner Klarheit
Ein frei Bekenntnis meines Glaubens ab.

Nur dir, Unendlicher! weil meine Seele
Vor deinem Blick' allein sich nicht verschließt,
Nur dir, weil du allein nur, wenn ich fehle,
Und nicht der Mensch in Rom1, mein Richter bist.

Nur dir, weil du nicht so, wie Menschen, strafen,
Nicht unduldsam wie Menschen zürnen kannst,
Und einen Geist, den du selbst frei geschaffen,
Nicht so wie sie an's Joch des Glaubens spannst.

Und leuchtet nicht mein Geist mit deinem Lichte?
Hast du nicht jeden Strahl ihm zugezählt?
Geht mit dem Mond die Sonne zu Gerichte,
Wenn er nicht, so wie sie, die Nacht erhellt?

So höre denn, und zünde, wenn ich fehle,
Nur einen Strahl von deinem Licht mir an:
Ein Strahl aus deiner Hand in meiner Seele,
Ein Strahl des Heils, kein Strahl vom Vatikan. —

Ich glaube, dass du manchen Lebensmüden
Mit Glauben an die bess're Zukunft lab'st,
Allein ich weiß auch, dass du mir hienieden
Den regen Geist nicht bloß zum Glauben gab'st.

Ich glaube, dass der Glaub' in allen Zeiten
Den schwachen Geist des Menschen aufrecht hielt,
Dass er ihn stärkt in Widerwärtigkeiten,
Und ihn mit süßen Hoffnungen erfüllt;

Allein ich weiß — die Welt hat es erfahren —
Dass selbst der Glaub' in deiner Priester Hand
Mehr Böses tat in siebzehn hundert Jahren,
Als in sechs tausend Jahren der Verstand.

Ich glaube, dass der Mensch in einer Zone
Dem Licht sich mehr, als in der andern naht,
Allein ich weiß, er hat kein Recht zum Lohne,
Weil Rom, nicht Japan, ihn erzeuget hat.

Ich weiß, dass ich den Himmel nicht verdiene,
Und dass du wenig Dank mir schuldig bist,
Weil ich dir, Herr! in einem Tempel diene,
Der meines Vaters Haus' am nächsten ist.

Ich glaube, dass dir eine Art zu dienen
Mehr als die andere gefallen kann;
Allein ich weiß, du hörest den Brahminen2
So gut, als wie den frommen Christen an.

Ich glaube, dass du das Gesetz der Liebe
Auf harten Stein einst für die Menschen schriebst;
Allein ich fühl' es, dass es kraftlos bliebe,
Wenn du's nicht auch in's weiche Herz uns grüb'st.

Ich glaube, dass du uns ein Buch gegeben,
Das manche Spur von deiner Hand verrät,
Dass du darin für unser Erdenleben
Manch' Samenkorn des Guten ausgesä't;

Allein ich kenn' ein Buch, von dir geschrieben,
Und leserlich für jede Kreatur,
Ein Buch, das einzig unverfälscht geblieben,
Das große Buch der heiligen Natur.

Ich glaube, dass du Menschen ohn' Erbarmen
Mit eignem Mund ein gleiches Maß gedroht;
Allein mein Herz hört aus dem Mund des Armen
Viel dringender und lauter dein Gebot.

Ich glaube, dass Geheimnisse dich ehren,
Die nur ein Geist von deiner Größe fasst;
Allein ich weiß, dass du für diese Lehren
Uns keine Geisteskraft gegeben hast.

Ich glaube, dass du auf geweihte Tempel
Und auf Altäre gnädig niedersiehst;
Allein ich weiß, dass nur die Welt dein Tempel,
Und unser Herz dein liebster Altar ist.

Ich glaube, dass du uns zu allen Zeiten
Durch Wunder kund getan, wie stark du bist;
Allein ich seh's, dass dieser Bau der weiten
Und schönen Welt dein größtes Wunder ist.

Ich glaube, dass die schon verklärten Seelen
Dir wert sind, die der Mensch sonst heilig nennt,
Und dass wir gern auf ihren Beistand zählen,
Weil sie von uns kein solcher Abstand trennt;

Allein ich weiß, dass um des Menschen Bitte
Zu prüfen, deine Weisheit keinen Rat,
Und um sie zu gewähren, deine Güte
Nie einen fremden Antrieb nötig hat.

Ich glaube, Herr! dass meiner Seele Schwächen
Mich manchmal ab von deinen Wegen zieh'n,
Und dass ich durch beständige Verbrechen
Wert deines Zorns und deiner Rache bin;

Allein ich weiß, dass meine Bosheit alle
So wenig je dein Herz verbittern kann;
So wenig, als ein kleiner Tropfen Galle
Den unermess'nen, weiten Ozean.

Ich glaube, dass uns Menschen zu erlösen
Ein Werk von drei und dreißig Jahren war;
Doch weiß ich, dass es nur ein Wort gewesen,
Das Millionen Welten uns gebar.

Ich glaube, Herr! dass meines Geistes Kräften
Ein ew'ger Wirkungskreis dort oben winkt;
Allein ich weiß, dass er von den Geschäften
Nur eines Tags schon matt in Schlummer sinkt.

Ich glaube, dass du nur auf einer Bahne
Den Geist des Menschen zur Erkenntnis rufst;
Allein ich weiß, dass du im Ozeane
Des Sternenlichts auch manchen Irrstern schufst.

Ich glaube, dass du Sinne mir gegeben,
Auf die allein mein Geist sein Wissen baut,
Ja, dass du diesen Führern selbst mein Leben
Und alle meine Kenntnis anvertraut;

Allein ich weiß, dass meine beiden Augen,
Durch die geführt, mein Geist so willig geht,
Mir nicht einmal zu unterscheiden taugen,
Ob deine Sonne gehet oder steht.

Ich glaube, dass mein Herz, trotz seinen Schwächen,
Der Tugend nur zum Sitz bestimmet ist;
Allein ich weiß, dass Tugend und Verbrechen
Unmerklich oft in Eins zusammenfließt.

Ich glaub' es kann mein Leiden hier auf Erden
In deinen Augen mir verdienstlich sein;
Allein ich weiß, der Kinder Leiden werden
Nie eines guten Vaters Herz erfreu'n.

Und so, o Herr! dem Widerspruch zum Raube,
Gibt sich mein Geist der Ungewissheit preis:
So stürzt Vernunft das nieder, was ich glaube,
Und so verdammt der Glaube, was ich weiß.

Und ach! in diesen dichten Finsternissen,
Worin mein Geist stets mit sich selber ringt,
Wer sagt mir, ob mein Glauben oder Wissen
Hienieden mich der Wahrheit näher bringt?

Soll ich, o Herr! dem Glauben ganz entsagen,
Weil er den freien Geist tyrannisiert?
Sag', oder soll ich den Verstand verklagen,
Dass er zum Mörder meines Glaubens wird?

Ist's Sünde, nicht auf einen Führer bauen,
Den die Vernunft als einen Irrwisch hasst?
Ist es Verdienst, dem Lichte nicht zu trauen,
Das du mir selber angezündet hast?

Kann ich dein Wort nur in der Bibel lesen,
Steht dein Gebot auf zweien Tafeln nur?
Sprachst du nur dort, und ist's ein ander Wesen
Als du, das mit mir spricht durch die Natur?

Ist das nur Tugend, was ich darum übe,
Weil mich der Glaub' allein es üben lehrt?
Und ist all' das, was der Natur zu Liebe
Geschieht, von dir nicht eines Blickes wert?

Hast du allein an jenem Guten Freude,
Was einem deiner Gläubigen entsprießt?
Und ist dir's völlig Eines, ob der Heide
Ein Titus3 oder ein Thersites4 ist? —

O du, der mir den regen Trieb nach Wahrheit,
Und dieses Herz voll Treu' und Glauben gab,
O sende von dem Sitze deiner Klarheit
Nur einen Strahl auf meinen Geist herab!

Sieh diesen schweren Kampf, den mein Gewissen
Mit dem Verstande kämpft, mitleidig an;
Und lehre mich ein Mittel, wie mein Wissen
Mit meinem Glauben sich vereinen kann.

Und hast du denn von dieser meiner Bitte
Dein gütig Ohr auf immer weggewandt,
So nimm — ich fleh's, o Herr! zu deiner Güte —
Nimm mir den Glauben — oder den Verstand.

Erläuterungen:

1 der Mensch in Rom = der Papst

2 Brahminen = Brahmanen = Angehöriger des geistlichen Standes Indiens

3 Titus

"Titus Tatius: In der röm. Sage König der Sabiner.

Er bemächtigte sich im Kampf gegen Romulus des Berges Quirinal und des Kapitols. Später herrschten sie zusammen über einen gemeinsamen Staat, bis Tatius von Laurentern erschlagen wurde."

[Quelle: http://www.sagengestalten.de. -- Zugriff am 2004-09-22]

4 Thersites

"Thersites: In der griech.-röm. Sage "der Freche". Held vor Troja auf griechischer Seite.

Er war der häßlichste Mann im griech. Heer. Er war schielend, säbelbeinig, auf einem Fuß lahm, und bucklig. Besonders aber war er berüchtigt wegen seiner boshaften Geschwätzigkeit. Deshalb wurde er, als er den Agamemnon lästerte, von Odysseus vor der ganzen Versammlung gezüchtigt.
Nach Sophokles kehrte er wohlbehalten von Troja zurück; nach anderer Sage wurde er von Achilleus durch einen Faustschlag getötet, weil er ihn verleumdet und der Penthesileia mit dem Speer die Augen ausgerissen hatte."

[Quelle: http://www.sagengestalten.de. -- Zugriff am 2004-09-22]

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