Religionskritisches von Friedrich Engels

Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft <Auszug> (1878)

von

Friedrich Engels


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft <Auszug>.  -- 1878. -- Fassung vom 2004-12-27. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/engels01.htm 

Erstmals publiziert: 2004-12-27

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Geschrieben: September 1876 bis Juni 1878.

Erstmals erschienen in:

 »Vorwärts«. -- 1878.

Die erste Buchausgabe erschien 1878 in Leipzig.
Der vorliegende Text entspricht der letzten (dritten) von Friedrich Engels durchgesehenen und vermehrten Auflage von 1894 (Stuttgart).


Kritische Ausgabe:

Marx, Karl <1818 - 1883 >;  Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Werke / herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. --  Berlin: Dietz-Verlag. -- Bd 20. --  1962. --  S. 293 - 295



Abb.: Russisches Plakat: Marx, Engels, Lenin

"Engels, Friedrich, Sozialist, geb. 28. Nov. 1820 in Barmen als Sohn eines Fabrikanten, gest. 5. Aug. 1895 in London, war 1838 Volontär in einem Geschäft in Bremen und übernahm dann die Filiale des väterlichen Geschäfts zu Manchester, die er bis 1845 leitete. Schon in früher Jugend literarisch tätig und sozialistischen Ideen zugeneigt, wurde er durch seinen Aufenthalt in England angeregt zur Veröffentlichung des Werkes »Die Lage der arbeitenden Klassen in England« (Leipz. 1845; 2. Aufl., Stuttg. 1892; engl. Übersetzung, mit Nachtrag, von Wischnewetzky, New York 1887). Nachdem er bereits 1844 für die von A. Ruge und K. Marx herausgegebenen »Deutsch-französischen Jahrbücher« Beiträge geschrieben, ward er 1844 in Brüssel mit Marx persönlich bekannt, dem er fortan in treuer Freundschaft anhing. Mit ihm verfasste er gemeinsam die gegen Bruno Bauer gerichtete Schrift »Die heilige Familie«, ebenso 1847 im Auftrag des internationalen Kommunistenbundes das »an die Proletarier aller Länder« gerichtete kommunistische Manifest. E. war damals erst in London, später in Brüssel Sekretär des Zentralausschusses des genannten Bundes. 1848-49 beteiligte er sich als Mitarbeiter an der von Marx in Köln redigierten »Neuen rheinischen Zeitung«, dann nahm er an den Aufständen in der Pfalz und in Baden teil und flüchtete nach deren Niederwerfung nach England, wo er nach Gründung der »Internationale« für diese und überhaupt für Verbreitung sozialistischer Ideen wirkte. Von 1850-69 war er wieder im väterlichen Geschäft in Manchester tätig und lebte seit 1869 in London. Eine Reihe von seinen im »Vorwärts« veröffentlichten Abhandlungen erschien 1878 u. d. T.: »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft« (4. Aufl., Stuttg. 1901); andre Schriften sind: »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« (Zür. 1884; 8. Aufl., Stuttg. 1900); »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« (das. 1888, 3. Aufl. 1903); »Die Entwickelung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« (4. Aufl., Berl. 1881). Auch gab er den von Marx im Manuskript hinterlassenen 2. und 3. Band des Werkes: »Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie« (Hamb. 1885) heraus und besorgte die 3. und 4. Auflage des 1. Bandes. Gesammelte Schriften aus dem Nachlass wurden zusammen mit denen von Marx und Lassalle von Mehring herausgegeben (Stuttg. 1901 ff.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Herrn Eugen Dührings1 Umwälzung der Wissenschaft2: 3. Abschnitt: Sozialismus,  V. Staat, Familie Erziehung <Auszug>

|S. 293| Dies »solide und kritische Gedankenreich« gleicht aufs Haar den verschiednen Himmelreichen der verschiednen Religionen, in denen der Gläubige immer das verklärt wiederfindet, was ihm sein irdisches Leben versüßt hat. Und Herr Dühring gehört ja dem Staate an, wo »jeder nach seiner Fasson selig werden kann«3. Was wollen wir mehr?

Was wir wollen mögen, ist indes hier gleichgültig. Es kommt darauf an, was Herr Dühring will. Und dieser unterscheidet sich von Friedrich II.3 dadurch, dass im Dühringschen Zukunftsstaat keineswegs jeder nach seiner Fasson selig werden kann. In der Verfassung dieses Zukunftsstaats heißt es:

|S. 294| »In der freien Gesellschaft kann es keinen Kultus geben; denn von jedem ihrer Glieder ist die kindische Ureinbildung überwunden, dass es hinter oder über der Natur Wesen gebe, auf die sich durch Opfer oder Gebete wirken lasse.« Ein »richtig verstandnes Sozialitätssystem hat daher ... alle Zurüstungen zur geistlichen Zauberei und mithin alle wesentlichen Bestandteile der Kulte abzutun«.

Die Religion wird verboten.

Nun ist alle Religion nichts andres als die phantastische Widerspiegelung, in den Köpfen der Menschen, derjenigen äußern Mächte, die ihr alltägliches Dasein beherrschen, eine Widerspiegelung, in der die irdischen Mächte die Form von überirdischen annehmen. In den Anfängen der Geschichte sind es zuerst die Mächte der Natur, die diese Rückspiegelung erfahren und in der weitern Entwicklung bei den verschiednen Völkern die mannigfachsten und buntesten Personifikationen durchmachen. Dieser erste Prozess ist wenigstens für die indoeuropäischen Völker durch die vergleichende Mythologie bis auf seinen Ursprung in den indischen Vedas zurückverfolgt und in seinem Fortgang bei Indern, Persern, Griechen, Römern, Germanen und, soweit das Material reicht, auch bei Kelten, Litauern und Slawen im einzelnen nachgewiesen worden. Aber bald treten neben den Naturmächten auch gesellschaftliche Mächte in Wirksamkeit, Mächte, die den Menschen ebenso fremd und im Anfang ebenso unerklärlich gegenüber stehn, sie mit derselben scheinbaren Naturnotwendigkeit beherrschen wie die Naturmächte selbst. Die Phantasiegestalten, in denen sich anfangs nur die geheimnisvollen Kräfte der Natur widerspiegelten, erhalten damit gesellschaftliche Attribute, werden Repräsentanten geschichtlicher Mächte.(9) Auf einer noch weitern Entwicklungsstufe werden sämtliche natürlichen und gesellschaftlichen Attribute der vielen Götter auf Einen allmächtigen Gott übertragen, der selbst wieder nur der Reflex des abstrakten Menschen ist. So entstand der Monotheismus, der geschichtlich das letzte Produkt der spätern griechischen Vulgärphilosophie war und im jüdischen ausschließlichen Nationalgott Jahve seine Verkörperung vorfand. In dieser bequemen, handlichen und allem anpassbaren Gestalt kann die Religion fortbestehn als unmittelbare, das heißt gefühlsmäßige Form des Verhaltens der Menschen |S. 295| zu den sie beherrschenden fremden, natürlichen und gesellschaftlichen Mächten, solange die Menschen unter der Herrschaft solcher Mächte stehn Wir haben aber mehrfach gesehn, dass in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft die Menschen von den von ihnen selbst geschaffnen ökonomischen Verhältnissen, von den von ihnen selbst produzierten Produktionsmitteln wie von einer fremden Macht beherrscht werden. Die tatsächliche Grundlage der religiösen Reflexaktion dauert also fort und mit ihr der religiöse Reflex selbst. Und wenn auch die bürgerliche Ökonomie eine gewisse Einsicht in den ursächlichen Zusammenhang dieser Fremdherrschaft eröffnet, so ändert dies der Sache nach nichts. Die bürgerliche Ökonomie kann weder die Krisen im ganzen verhindern noch den einzelnen Kapitalisten vor Verlusten, schlechten Schulden und Bankrott oder den einzelnen Arbeiter vor Arbeitslosigkeit und Elend schützen. Es heißt noch immer: der Mensch denkt und Gott (das heißt die Fremdherrschaft der kapitalistischen Produktionsweise) lenkt. Die bloße Erkenntnis, und ginge sie weiter und tiefer als die der bürgerlichen Ökonomie, genügt nicht, um gesellschaftliche Mächte der Herrschaft der Gesellschaft zu unterwerfen. Dazu gehört vor allem eine gesellschaftliche Tat. Und wenn diese Tat vollzogen, wenn die Gesellschaft durch Besitzergreifung und planvolle Handhabung der gesamten Produktionsmittel sich selbst und alle ihre Mitglieder aus der Knechtung befreit hat, in der sie gegenwärtig gehalten werden durch diese von ihnen selbst produzierten, aber ihnen als übergewaltige fremde Macht gegenüberstehenden Produktionsmittel, wenn der Mensch also nicht mehr bloß denkt, sondern auch lenkt, dann erst verschwindet die letzte fremde Macht, die sich jetzt noch in der Religion widerspiegelt, und damit verschwindet auch die religiöse Widerspiegelung selbst, aus dem einfachen Grunde, weil es dann nichts mehr widerzuspiegeln gibt.

Herr Dühring dagegen kann es nicht abwarten, bis die Religion dieses ihres natürlichen Todes verstirbt. Er verfährt wurzelhafter. Er überbismarckt den Bismarck4; er dekretiert verschärfte Maigesetze4, nicht bloß gegen den Katholizismus, sondern gegen alle Religion überhaupt; er hetzt seine Zukunftsgendarmen auf die Religion und verhilft ihr damit zum Märtyrertum und zu einer verlängerten Lebensfrist. Wohin wir blicken, spezifisch preußischer Sozialismus.

Nachdem Herr Dühring so die Religion glücklich vernichtet,

»kann nun der allein auf sich und die Natur gestellte und zur Erkenntnis seiner Kollektivkräfte gereifte Mensch kühn alle Wege einschlagen, die ihm der Lauf der Dinge und sein eignes Wesen eröffnen«.

...

|S. 303| Man gestatte uns, von unserm Gegenstand, der sicher oft trocken und trist genug war, in versöhnend-heiterer Weise Abschied zu nehmen. Solange wir die einzelnen Fragepunkte abzuhandeln hatten, war das Urteil gebunden durch die objektiven, unbestreitbaren Tatsachen; es musste nach diesen Tatsachen oft genug scharf und selbst hart ausfallen. Jetzt, wo Philosophie, Ökonomie und Sozialität hinter uns liegen, wo das Gesamtbild des Schriftstellers vor uns steht, den wir im einzelnen zu beurteilen hatten, jetzt können menschliche Rücksichten in den Vordergrund treten; jetzt wird es uns gestattet, manche sonst unbegreifliche wissenschaftliche Abirrungen und Überhebungen zurückzuführen auf persönliche Ursachen, und unser Gesamturteil über Herrn Dühring zusammenzufassen in den Worten: Unzurechnungsfähigkeit aus Größenwahn.


Anmerkungen von Engels:

(9) Dieser spätere Doppelcharakter der Göttergestalten ist ein von der vergleichenden Mythologie, die sich einseitig an deren Charakter als Reflexe von Naturmächten hält, übersehener Grund der später einreißenden Verwirrung der Mythologien. So heißt bei einigen germanischen Stimmen der Kriegsgott altnordisch Tyr, althochdeutsch Zio, entspricht also dem griechischen Zeus, lateinisch Jupiter für Diespiter; bei andern Er, Eor, entspricht also dem griechischen Ares, lateinisch Mars.


Erläuterungen:

1 Eugen Dühring (1833 - 1921)

"Dühring, Eugen, geb. 1833 in Groß-Zehlendorf bei Berlin, 1863 Privatdozent in Berlin, verlor die venia legendi wegen seiner Angriffe auf verschiedene Professoren.

Dühring, der von Feuerbach, Comte u. a. beeinflusst ist, lehrt einen dem Materialismus zuneigenden Positivismus, eine »Wirklichkeitsphilosophie«, welche nichts anerkennt, als denkend verarbeitete Tatsachen der Erfahrung. Die Philosophie ist aktivistisch zu gestalten, sie soll ein »Prinzip allseitiger Gestaltung des Lebens« sein. Sie ist die »Entwicklung der höchsten Form des Bewusstseins von Welt und Leben«. Sie ist Wirklichkeitsphilosophie, verfolgt das Sein »ausschließlich am Leitfaden der Materialität oder, was dasselbe heißt, am Leitfaden der wahrnehmbaren Kräfte«. »Sie beruft sich nur auf Augen und Ohren und auf Verstandesschlüsse.« Sie ist Realismus und Objektivismus, Gegnerin alles Subjektivismus und Idealismus (Kants u. a.). Denken und Sein sind insofern identisch, als die Gesetze beider einander entsprechen, als das Sein durch das Erkennen nachgebildet wird, so dass alles restlos zu begreifen ist. »Die Naturwirklichkeit muss genau dein Gedanken entsprechen.« Die Empfindungsqualitäten, die Anschauungsformen (Raum und Zeit), die Kategorien (Kausalität usw.) sind objektiv. Letztere sind Schemata, »deren gegenständliche und an sich vorhandene Seite das Grundgerüst des Seins und der Seinsverhältnisse, also die Grundgesetze der Seinsverfassung selbst vorstellt.« Unsere Erkenntnisformen sind durch die ihnen vorausgehenden Seinsformen bedingt, sie sind subjektive Kopien objektiver Verhältnisse. Hingegen sagt das »Gesetz der bestimmten Anzahl« (vgl. auch Renouvier), dass jede gegebene Zahl und Größe als solche endlich sein muss, dass Unendlichkeit also nur in unserer subjektiven Fähigkeit, immer weiter zu zählen, liegt. »Eine abgezählte Unzahl oder Unendlichkeit von Einheiten wäre der völligste Widerspruch.« Das Geschehen (nicht das Sein) hat einen Anfang; es gibt kein objektives Gegenstück zur »subjektiven Schrankenlosigkeit« der Zeit, die Welt ist endlich in Bezug auf Zeit, Raum und Kausalität. Die »Weltschematik« umfasst die für alles Sein geltenden Prinzipien.

Die Denkgesetze haben objektive Korrelate; so gibt es in der Wirklichkeit (wie im richtigen Denken) keinen Widerspruch, nur einen »Antagonismus der Kräfte«. Es gibt eine »innere Logik« der Dinge. Das Geschehen in der Natur ist mechanischer Art, es hat einmal als ein erster Zustand des an sich gleichen Seins angefangen. Beharrung und Entwicklung gehören untrennbar zusammen. Die Substanz des Geschehens ist die Materie, deren Zustand die Kraft ist; die Materie besteht aus Atomen. Ein Produkt des Naturgeschehens ist auch die Empfindung. Eine immaterielle Seele ist ein Unding; die Bewusstseinsvorgänge beruhen auf den Wirkungen besonderer Teile des Gehirns. Die Natur ist auf die Entstehung der Empfindung angelegt, hat diese zum Ziele, indem die Ordnung der Kausalreihe sie notwendig zur Folge hat. Immer höhere Seinsstufen zu produzieren, ist das Ziel der Natur. Trotz der in ihr vorkommenden Störungen ist sie als Ganzes gut (Optimismus). - Die »denkerische« Ethik Dührings ist altruistisch, sie betont die Gerechtigkeit und die vernünftig geleitete Sympathie (Mitleid). In dem »sozietären System« sind Individualismus und Sozialismus vereinigt; die Gleichberechtigung aller ist zu fordern, der Wegfall aller Unterdrückung und Gewalt. Die Religion ist dann überflüssig (Atheismus).

[ Dühring,  Befürworter großdeutscher und ostwärts gerichteter Kolonialpolitik, Gegner von Marxismus u. Bismarck, sah sich im Alter zunehmend auf einsamem Posten. Die größte Wirkung übten seine antisemitischen Werke aus. Er starb 1921 in Nowawes bei Potsdam.]

SCHRIFTEN: De tempore, spatio, causalitate atque de analysis infinitesimalis logica, 1861. - Waffen, Kapital, Arbeit, 2. A. 1906. - Natürliche Dialektik, 1865. - Der Wert des Lebens, 1865; 6. A. 1902. - Krit. Grundlegung d. Volkswirtschaftslehre, 1866. - Krit. Geschichte d. Philos., 1869; 4. A. 1891. - Krit. Geschichte d. Nationalökonomie u. d. Sozialismus, 1871; 3. A. 1879. - Krit. Gesch. d. allgem. Prinzipien d. Mechanik. 1873; 3. A. 1887. - Kursus der National- u. Sozialökonomie, 1873: 2. A. 1876. - Kursus d. Philosophie,. 1875. - Logik u. Wissenschaftstheorie, 1878; 2. A. 1905. - Sache, Leben u. Feinde, 1882; 2. A. 1902. - Der Ersatz der Religion durch Vollkommeneres, 1883; 3. A. 1906. - Gesamtkursus d. Philos., 1894 ff. - Die Judenfrage, 1901. - Wirklichkeitsphilos., 1895. - Soziale Rettung durch wirkl. Recht, 1907. - Vgl. VAIHINGER, Hartmann, Dühring u. Lange, 1876. - FR. ENGELS, Herrn Dührings Umwälzung d. Wissenschaft. 1878; 5. A. 1904 (»Anti-Dühring«). - DRUSKOWITZ, E. D., 1889. - S. POSNER, Abriß d. Philos. E. D.s, 1906."

[Quelle: Eisler, Rudolf <1873-1926>: Philosophen-Lexikon : Leben, Werke und Lehren der Denker. -- Berlin : Mittler, 1912. -- 889 S. -- S. 140ff.]

2 Anti-Dühring

" „Anti-Dühring" - unter dieser Bezeichnung ging Friedrich Engels' klassische Arbeit „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft" in die Geschichte ein.

Dieses Werk entstand im Ergebnis des ideologischen und politischen Kampfes innerhalb der sozialdemokratischen Partei und der Arbeiterbewegung Deutschlands der siebziger Jahre.

Zum erstenmal wurden Marx und Engels auf den Berliner Privatdozenten Eugen Dühring aufmerksam, als dieser 1868 in einer Zeitschrift, den „Ergänzungsblättern zur Kenntniß der Gegenwart", Dritter Band, Heft 3, mit einer Rezension des ersten Bandes von Marx' „Kapital" auftrat. Eine Reihe von Briefen, besonders aus den Monaten Januar bis März 1868, widerspiegeln ihre kritische Einstellung zu Dühring, die sich bei ihnen bereits zu dieser Zeit gegen den Prediger eines verwaschenen, kleinbürgerlichen und pseudowissenschaftlichen Sozialismus, als den er sich bald erweisen sollte, herausgebildet hatte.

Dührings Einfluss und der seiner Anhänger nahm in der Folgezeit bedeutende, in der Mitte der siebziger Jahre zum Teil gefährliche Ausmaße an. Als die aktivsten Dühring-Jünger erwiesen sich Eduard Bernstein, Johann Most und Friedrich Wilhelm Fritzsche. Kurze Zeit unterlag selbst August Bebel dem Einfluss Dührings. Von Bebel erschienen im März 1874 im „Volksstaat" (siehe Anm.2) zwei anonyme Artikel über Dühring unter der Überschrift „Ein neuer Kommunist", die Marx und Engels dazu veranlassten, bei Wilhelm Liebknecht, dem Redakteur des „Volksstaats", gegen die Veröffentlichung dieser Artikel entschieden Einspruch zu erheben. Als dann 1875 die zweite Ausgabe von Dührings Buch „Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus" und seine Schrift „Cursus der Philosophie..." erschienen waren, wurden die Dühring-Anhänger immer dreister. Besonders in der erstgenannten Schrift trat Dühring mit scharfen Angriffen gegen Marx und mit Entstellungen der Marxschen Theorien auf, so dass Wilhelm Liebknecht schließlich am 21 .April 1875 in einem Brief an Engels Alarm schlug und ihm schrieb: „Du wirst Dich entschließen müssen, dem Dühring aufs Fell zu steigen." Um die Dringlichkeit eines solchen Eingreifens noch einmal zu unterstreichen, sandte Liebknecht am 1. November 1875 Engels einen von der Redaktion des Volksstaats abgelehnten Artikel, in dem Abraham Enß den „Herrn Dr. E.Dühring in Berlin" als „unsern eifrigsten, entschiedensten und fleißigsten Vorarbeiter auf dem Gebiete der Wissenschaft" pries. Als Engels am 16.Mai 1876 von Liebknecht eine ähnliche Lobpreisung Dührings, die Johann Most zum Verfasser hatte, erhielt, hatte er allerdings schon den ersten Streich gegen Dühring geführt, und zwar in seinem Artikel „Preußischer Schnaps im deutschen Reichstag", der am 25. und 27.Februar sowie am 1. März in Nr.23, 24 und 25 des „Volksstaats" veröffentlicht worden war.

Ende Mai 1876 fasste Engels den Entschluss, seine Arbeit an der „Dialektik der Natur" zu unterbrechen, um der neuaufgetauchten „sozialistischen Lehre" und dem „Regenerator des Sozialismus" eine Abfuhr zu erteilen und den Marxismus als die wahre Weltanschauung der proletarischen Partei gegen alle Anfeindungen zu verteidigen und ihm in der sozialdemokratischen Partei uneingeschränkt Geltung zu verschaffen. In seinem Brief an Marx vom 24. Mai 1876 fragte er, „ob es nicht an der Zeit sein wird, unsere Stellung vis-a-vis diesen Herrn in ernstliche Erwägung zu ziehn". Marx antwortete am Tage darauf, „dass »Stellung vis-a-vis dieser Herrn nur genommen werden kann, indem ohne alle Rücksicht Dühring kritisiert wird". Engels machte sich sofort an die Arbeit und entwickelte schon in seinem Brief vom 28. Mai an Marx den allgemeinen Plan und den Charakter seiner Schrift.

Engels arbeitete an dem „Anti-Dühring" fast zwei Jahre: von Ende 1876 bis Anfang Juli 1878.

Der erste Abschnitt wurde im wesentlichen von September 1876 bis Januar 1877 geschrieben und als Artikelserie unter der Überschrift „Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Philosophie" im Hauptblatt des „Vorwärts" (siehe Anm.2) vom 3. Januar bis 13.Mai 1877 veröffentlicht, und zwar in ...

In diesem ersten Abschnitt sind auch die ersten beiden Kapitel enthalten, die später, von der ersten Buchausgabe an, als selbständige allgemeine Einleitung zu allen drei Abschnitten gebracht wurden.

Der zweite Abschnitt wurde von Juni bis August 1877 geschrieben. Das Kapitel X: „Aus der »Kritischen Geschichte" wurde von Marx verfasst - den ersten Teil schickte er bereits am 5. März 1877 an Engels, während er den zweiten Teil, der die Analyse des „ökonomischen Tableaus" von Quesnay beinhaltet, am 8. August 1877 Engels zukommen ließ. Unter der Überschrift „Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der politischen Ökonomie" wurde der zweite Abschnitt teils in der Wissenschaftlichen Beilage, teils in der Beilage des „Vorwärts" vom 27. Juli bis 30. Dezember 1877 veröffentlicht: ...

Als Entstehungszeit des dritten Abschnitts kann mit ziemlicher Sicherheit die Zeitspanne von Anfang August 1877 bis Ende März/Anfang April 1878 angenommen werden. Am 30.April 1878 schrieb er an Bracke: „Mit Herrn Dühring bin ich nun - abgesehen von der Revision der letzten Artikel - glücklich fertig und wünsche mir in dieser Welt nichts mehr von seinem werten Umgang..."

Die Veröffentlichung des dritten Abschnitts erfolgte in der Beilage des „Vorwärts" unter der Überschrift „Herrn Eugen Dühring's Umwälzung des Sozialismus" in der Zeit vom5.Mai bis7.Juli 1878 in ...

Sofort nach der Veröffentlichung der ersten Artikel im Januar 1877 schieden sich die Geister. Zeugnissen heller Begeisterung standen Zeichen ohnmächtiger Wutausbrüche der Dühring-Anhänger gegenüber; die Entscheidung fiel auf dem Kongress der Partei in Gotha (27.-30.Mai 1877). Mosts Antrag, „Artikel, wie beispielsweise die in den letzten Monaten von Engels gegen Dühring veröffentlichten Kritiken ... haben künftighin aus dem Zentralorgan fernzubleiben", verfiel der Ablehnung, nachdem zuerst Bebel einen Antrag eingebracht hatte, „die Veröffentlichung der Artikel Engels' contra Dühring im Hauptblatt einzustellen und als Broschüre zu veröffentlichen" und Wilhelm Liebknecht daraufhin den Zusatzantrag stellte, die Artikel Engels' in der Wissenschaftlichen Beilage des „Vorwärts" zu veröffentlichen. So modifiziert wurde dann Bebels Antrag angenommen, der den massiven Vorstoß Mosts zunichte werden ließ.

Im Juli 1877 wurde der erste Abschnitt der Arbeit von Engels in Leipzig als Sonderdruck unter dem Titel „Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft. I. Philosophie" herausgegeben; im Juli 1878 folgte der zweite und dritte Abschnitt als Sonderdruck mit dem Titel „Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft. II. Politische Oekonomie. Sozialismus". Gleichzeitig erschien Mitte Juli 1878 in Leipzig mit einem Vorwort von Engels die erste Ausgabe des ganzen Werkes unter dem Titel „Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft. Philosophie. Politische Ökonomie. Sozialismus". In den folgenden Ausgaben kam das Buch unter dem gleichen Titel heraus, jedoch unter Weglassung des Untertitels „Philosophie. Politische Ökonomie. Sozialismus". Die zweite Ausgabe wurde 1886 in Hottingen-Zürich herausgegeben und die dritte, durchgesehene und erweiterte Ausgabe 1894 in Stuttgart. Dies war die letzte Ausgabe zu Lebzeiten Engels'.

Der Titel des Buches ist eine Parodie auf den Titel der Schrift „Carey's Umwälzung der Volkswirtschaftslehre und Socialwissenschaft", die Dühring 1865 in München herausgegeben hatte. Diese Schrift ist eine Lobpreisung Careys, der auf dem Gebiete der „Volkswirtschaftslehre'' im Grunde genommen sein Lehrer gewesen war.

Nach dem Erlass des Sozialistengesetzes (siehe Anm.6) wurden der „Anti-Dühring" wie auch andere Arbeiten von Engels verboten.

Im Jahre 1880 arbeitete Engels auf Ersuchen von Paul Lafargue drei Kapitel des „Anti-Dühring" (das I. Kapitel der „Einleitung" und das I. und II. Kapitel des dritten Abschnitts) zu einer selbständigen Broschüre um, die in Paris unter dem Titel „Socialisme utopique et socialisme scientifique" in der Übersetzung von Paul Lafargue erschien. Eine deutsche Ausgabe wurde 1883 in drei Auflagen unter dem Titel „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" in Hottingen-Zürich herausgegeben. Die letzte (vierte) deutsche Ausgabe dieser Broschüre zu Lebzeiten von Engels erschien 1891 in Berlin (siehe MEW, Bd. 19, S. 189-228). Engels erlebte noch die Herausgabe dieser Broschüre in italienischer, englischer, russischer, spanischer, polnischer, dänischer und holländischer Sprache. Diese Arbeit unterscheidet sich von den entsprechenden Kapiteln des „Anti-Dühring" in der Anordnung des Materials; sie enthält ergänzende Einfügungen und einige Änderungen gegenüber dem Text des „Anti-Dühring"."

[Quelle. Marx, Karl <1818 - 1883 > ;  Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Werke / herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. --  Berlin: Dietz-Verlag. -- Bd 20. --  1962. --  S. 307 - 310]

3 Friedrich II. (der Große) von Preußen schrieb  auf den Bericht des Staatsministers von Brand und des Konsistorialpräsidenten von Reichenbach vom 1740-06-22 über die römisch-katholischen Schulen in Preußen, in dem die Frage gestellt wurde, ob solche Schulen weiterhin bestehen sollen, als Randbemerkung: " ... hier muss ein jeder nach seiner Fasson selig werden"

4 Bezieht sich auf den "Kulturkampf" (1872 - 1887) des Reichskanzlers Otto von Bismarcks (1815 - 1898) und seine Religionsgesetzgebung, vor allem die sogenannten Maigesetze:

  1. Gesetz über die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen vom 1873-05-1
  2. Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des Königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vom 1873-05-12
  3. Gesetz über die Grenzen des Rechts zum gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel vom 1873-05-13
  4. Gesetz betreffend den Austritt aus der Kirche vom 1873-05-14

Um die katholischen politischen Kräfte für den Kampf gegen die Sozialdemokratie zu gewinnen, schwächte Bismarck fast alle antikatholischen Gesetze zwischen 1880 bis 1887 ab bzw. hob sie auf.


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