Religionskritisches von Adolf Glaßbrenner

Bilder und Träume aus Wien (1836) <Auszüge>

von Adolf Glassbrenner


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Bilder und Träume aus Wien <Auszüge>.  -- 1836. -- Fassung vom 2004-09-18. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/glassbrenner02.htm      

Erstmals publiziert: 2004-09-18

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Vollständiger Text im Internet:

http://gutenberg.spiegel.de/glassbre/wienreis/wienreis.htm. -- Zugriff am 2004-09-18


Das lärmende Wien


Folge mir, lieber Leser; ich will versuchen, dich so schnell wie möglich in den Schauplatz hineinzuführen, aus dem ich meine Bilder entnehme. Du siehst riesige Häuser, aus denen alte, wunderbare Geschichten sprechen, und die mit ihrer hohen Stirn fast spottend auf das junge, spekulative Leben herunterschauen, das an ihnen vorüberzieht; du siehst große Plätze, in deren Mitte entweder eine Kirche steht, oder ein sprudelnder Brunnen, verziert mit schön gearbeiteten Figuren.

»Fahr'n mer Euer Gnaden?«

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Da ist schon wieder Religion! Ein Kirchendiener trägt die Muttergottes-Fahne, und singend und blökend folgen ihm Männer, Weiber und Kinder; es ist eine Wallfahrt nach Mariazell. Dort, zwei Tagereisen von Wien, befindet sich nämlich ein Marienbild, das unendlich viel Wunder tut, und bei dem lieben Gott in großem Ansehen steht. Es macht Blinde sehend, Schwache stehend, Lahme gehend und Frauen schwanger; es sorgt, dass die Felder blühen und reichen Segen tragen, damit die Bauern ihre Abgaben entrichten können und von den Exekutoren nicht geprügelt werden, wie es denen geschieht, die es nicht liebt; es wischt Sünden aus dem Schuldbuche, das Jesus Christus im Himmel führt, es tut alles mögliche Unmögliche, aber man muss glauben; man muss einen sehr starken Glauben haben. Ohne diesen kann man alle seine Wunder nicht sehen, ausgenommen die Heilung der Jungfrauen; von diesem Übel werden die jungen Mädchen gewöhnlich schon im ersten Nachtlager der Prozession befreit.

»Fahr'n mer Euer Gnaden!« #

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Erster Traum


Es war Nacht, finstere Nacht. Ich sah eine ungeheure Wiege, rings von Bergen eingeschlossen, darinnen lag ein gutes, kräftiges Volk. Und auf einem dieser Berge saß der hohe Beamte und wiegte, und sang eine Hymne, damit das Volk schlafe. Und wann dort oben ein Stern hervorblitzte, so stieg er hinauf und löschte ihn aus, auf dass die funkelnden, lieblichen Strahlen nicht in die Augen der Kinder fielen, und er löschte alle Sterne aus, bis es finster war und ruhig wie im Grabe.

Aber von ferne kamen Wolken gezogen, Wolken mit rosigen Träumen, und drinnen erklangen süße Lieder von Freiheit und Weltliebe; und es war, als ob die Kinder horchten, denn sie bewegten sich und lächelten; und die Lieder klangen immer süßer und wonniger, bis die Kinder erwachten und mit den Händen hinauflangten nach den rosigen Träumen.

Da ward der hohe Beamte zornig und band sie alle fest in der Wiege, und rief viele Männer herbei, die hatten finstere, grauenhafte Gesichter und trugen lange, schwarze Kleider.

Und die finsteren Männer stellten sich rings um die Wiege, jagten die Wolken mit den rosigen Träumen fort, und sagten den Kindern, sie sollten beten und schlafen, und schlafen und beten, denn solches sei der Wille des Herrn, der sie gesendet.

Und die Kinder fürchteten sich vor den schwarzen Gestalten, und machten ihre Augen zu.

Da erhoben die Männer ihre Stimmen, und sangen in dumpfer, geisterhafter Weise:

 

Wir verfluchen die Wissenschaft
Und des Menschen Geisteskraft,
    Wir verfluchen das Licht!
Schlafe und bete du Erdensohn,
Bete für deines Herrschers Thron,
    Fluch! wer die Ketten bricht.

Die Gedanken kommen von Gott,
Aber nicht die voll Hohn und Spott
    Über die Tyrannei!
Ein Gedanke nur ist erlaubt,
Der für des Regenten Haupt.
    Nur der Eine ist frei!

Droben über den schwarzen Höh'n,
Erwartet die ewige Rache den,
    Der hier fröhlich und frei!
Selig, die nicht denken und tun,
Die, wie wir, nur beten und ruh'n,
    Und preisen die Tyrannei!

 

Und die Kinder fürchteten sich immer mehr vor den gespenstigen Männern, drückten ihre Augen fester zu, schliefen wieder ein und träumten von den süßen und wonnigen Liedern. Und als die Männer sahen, dass das Volk schlief, grinsten und lachten sie höhnisch und verspotteten es, und der hohe Beamte wiegte wieder und sang die Hymne.


Die Wiener


Auch der Pietismus, diese geistige Seuche, welche im Norden unzählige Opfer hinrafft und den Gang der Aufklärung hemmt, findet in Wien keine Anhänger. Man sollte freilich Wunder glauben, wie dunkel es noch in allen Köpfen sei, wenn man an einer Kirchtür mit großen Buchstaben die Worte liest: »Hier ist vollkommener Ablass zu haben!« oder wenn man unter den Affichen an einer Straßenecke eine Menge Gebetbücher anpreisen, auf jedem freien Platze Betende knien, die Stellwagen nach dem Gnadenorte Mariazell, oder die pomphafte Prozession am Fronleichnamstage sieht; allein das alles sind Dinge, die dem gemeinen Haufen angehören, Dinge, durch welche man den Schein aufrecht halten will. Den gebildeten Wiener erbauen diese frommen Witze nicht; er fragt wenig nach Zeremonien und findet überall seinen Gott, wo er Genuss und Schönheit findet. Die Welt schmeckt mir noch, ruft er, warum soll ich verhungern?

In einem solchen pantheistischen Lande steht natürlicherweise die christliche Religion mit ihren Entbehrungen und ihrem Vertrösten auf eine jenseitige Belohnung nicht auf starken Füßen, und setzt der Himmel wieder einen so aufgeklärten Fürsten wie Joseph II. auf den Thron Österreichs, so wird es sich zeigen, welch ein großer Fonds zur geistigen Freiheit in diesem Volke vorhanden, wie unendlich gerade dieses Volk von der Natur begünstigt ist.


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