herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)
Zitierweise / cite as:
Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Herrn Buffey in der Zaruck-Gesellschaft. -- 1843. -- Fassung vom 2004-09-20. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/glassbrenner04.htm
Erstmals publiziert: 2004-09-20
Überarbeitungen:
©opyright: Public Domain
Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik von Tüpfli's Global Village Library
Ursprünglich erschienen:
Brennglas, Adolf: Herrn Buffey in der Zaruck-Gesellschaft. --1845. -- (Berlin wie es ist und — trinkt ; 16)
Wieder abgedruckt in:
Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Unterrichtung der Nation : ausgewählte Werke und Briefe in drei Bänden ; mit zeitgenössischen Illustrationen / Adolf Glassbrenner. Hrsg. von Horst Denkler ... -- Köln : Informationspresse Leske, 1981. -- 3 Bde. -- Bd. 1. -- ISBN 3-434-00431-9. -- S. 192 - 215
Reprint:
Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Berlin, wie es ist und - trinkt. -- Vollständiger Nachdruck der Ausg. Leipzig, 1835 - 1850 (H. 1 - 30 = alles Erschienene) / mit e. Vorw. von Paul Thiel. -- Berlin : Arani, 1987. -- 2 Bde. Lizenz d. Zentralantiquariats d. Dt. Demokrat. Republik, Leipzig. - In Fraktur. -- 3-7605-8595-7. -- Bd. 2
Abb.: Herr Buffey in der Zaruck-Gesellschaft
Personen:
Herr Buffey.
Schatten, Präsident der Gesellschaft.
Stutenthal, Secretair und Archivar.
Mitglieder der rechten Seite.
Krahnich
Juchtejernow
Schafskopp
Dunkelinsky
Wedelwitz
Fürchter
Kriechling
Mitglieder des Centrums:
Duckmäuser,
Teutscheken,
Nicke,
Düse,
Sumpfer,
Stilleman,
Mitglieder der linken Seite:
Worum
Aufwärter:
Kies,
Waffe,
———
Kies (stopft Pfeifen). Du, Waffe, ick wollte, die langweilige politische Jesellschaft heute Abend wäre schon wieder vorbei, un wir könnten in de Tabajie jehen! Eijentlich sind et doch lauter Schwabbjochens, die Kerrels, un des is reeneVerstellung, det man een Schafskopp drunter is. 'Ne politische Jesellschaft mag det sind, aber politsch sind se nich. Det wird lange dauern, ehr die mit ihr Schwadroniren Europa ändern!
Waffe (mit der Beleuchtung beschäftigt). Det kann man
nich wissen. Aliens, wat wirklich da is, des is wirklich da. Insofern muss es
seine Bewejung haben, un was sich bewegt: ändert was.
Kies. Man hört et doch immer, det du bei'n Philosophen Stiebelputzer
bist.
Waffe. Ick besorje sein Nicht-Ich.
Kies. Det scheint mir nichtig. Uberjens soll ja heute en Neuer ufjenommen
werden. Wie heeßt er doch jleich? Ach ja: Buffey! Wat mag'n an Den sind? Kennst
Du'n?
Waffe. Das Individuum is mir bekannt. Es is ein echter Berliner Bürjer
niederer Bildung, aber er hat einen jesunden Kopp. Sein Vater war ein Hebeammer.
Kies. Wieso?
Waffe. Wie so?? Kürze des Ausdrucks scheint Dir nich verständlich. Sein
Vater hatte keen Jeschäft, sondern lebte von Des, was seine Frau, eine Hebeamme,
verdiente. Dies is nämlich philosophisch jedacht. Denn wenn ein Jeheimerrath,
oder ein Oberst, oder ein Docter der Weltweisheit heirath't, so is seine Frau,
ohne det sie wat dhut, eine Jeheimeräthin, eine Oberstin un eine Doctern der
Weltweisheitin. Wenn also ein Mann nischt dhut, un lässt sich von seine Frau
heirathen un ernähren, so tritt der umjekehrte Fall ein, un so wird der Jemahl
einer Baronesse: Baronässer, einer Hofdame: Hofdamer, einer Rentjere: Rentjerer,
und einer Hebeamme: Hebeammer.
Kies. Na denn wer' ick die Jouvernante hier oben heirathen, denn wer' ick
Jouverneur. Det jeht schon.
Waffe. Du denkstnich lojischt. Du bist blos Jouverneur, wenn Du
Jouverneur bist!
Kies. Det is allerdings lojischt. Wenn Du Det noch 'ne Weile in Stroh
legst, denn wird et en Jedanke.
Waffe. Wenn Du aber nischt bist un heirath'st eine Jouvernante, so wirst
Du ein Jouvemanter. (Er nimmt eine Prise) Des is Kürze des Ausdrucks.
Kies. Na hör' mal, wenn Du aber Jeden Deinen kurzen Ausdruck so
auseinandersetzen musst, bis er ihn versteht, wie mir, denn wird die Kürze sehr
länglich.
Waffe. Wir Philosophen haben des Jlück, dess wir nich verstanden werden;
denn so wie wir verstanden werden, so sind wir keene Philosophen mehr: alsdenn
is die Zeit philosophisch.
Kies. Det is schlimm, det die Philosophen keenen Verstand
finden können.
Waffe. Wir leben vor der Zukunft.
Kies. Vor der Zukunft? Donnerwetter! Da seid Ihr ja noch zukünftiger als
die Zukunft!
Waffe. Für der Zukunft, meent' ich.
Kies. Ach so für ihr? Na, man zu! Ick lebe für mir, det nährt besser.
Waffe. Hier uf den Ständer fehlt noch Öl zu zwee Lampen.
Kies. Det schad't nischt. Wenn sich die Zarucker nachher
über Düsterheit beklagen, denn sage man: die beeden Lampen uf den Ständer
brennen für der Zukunft. - Oder ick will Dir wat sagen: steche eenen Landständer
an! Aber der brennt wieder nich, un jibt keen Licht.
Waffe (indem er sich die Schürze löst). Schafskopp! Ick hole Öl, wenn
Eener nach mir fragt. (Er geht hinaus.)
Kies (ihm nachrufend). Schafskopp? Du, Waffe, Du hast
durch die Kürze des Ausdrucks die Bejriffe verwechselt! Ick bin nich Mitjlied
der Zaruck-Jesellschaft!
Herr Buffey (tritt rückwärts mit abgezogenem Hute zur Thür ein, dreht den
Kopf um und wirft forschende Blicke durch den Saal). Keiner nich hier? (Er
bemerkt Kies) Ach so, des is was Anders! Sie entschuldjen: es dreescht draußen.
Wo kann ich'n woll meinen Paraplie hinstellen? Einen rothseidnen Rejenschirm
nennt man des? Er muss nämlich auf jespannt bleiben, weil er sehr feucht
jeworden is, damit er austrockent.
Kies. Parole?
Herr Buffey (verwundert). Parole??
Kies. Na ja, die Parole!
Herr Buffey. Wer is die Parole? Ich? Halten Sie mir für ein Frauenzimmer?
Ich kenne die Parole nich; sie is mir nich bekannt
Kies. Denn derf ick Ihnen ooch nich reinlassen, denn sind Sie kein
Zarucker.
Herr Buffey (erzürnt). Hat sich was zu zaruckern! Ich bin weder Zarucker
noch Zucker! Sie sind woll verrückt? Ich bin Herr Buffey, hatte früher eine
kleine Tebajie und ein noble jeu du Billard mit etwas Jartenverjnügen hinten, un
seit virzehn Jahren leb' ich von meine Intressen, Renten heißt des! Inwiefern
kommen Sie auf Zaru .... ach, entschuldjen Sie! Zarucker von Zaruck meinen Sie?
So, dess ich Mitjlied von die Zaruck-Jesellschaft bin? Daran hab' ich jar nich
jedacht! Nein, Sie entschuldjen, ich bin noch nich Mitjlied; ich soll erst heute
aufjenommen werden, was man Candidat nennt. Zwei Dhaler kost't es monatlich,
wovor man so viel Pfeifen drinken un Weißbier rauchen kann, wie man will, wollt'
ich sagen: Pfeifen drinken und Weißbier rauchen will, wie man kann, (ärgerlich)
kann, wie man will! Und alle Monat is eine Stiftungsfeier oder sowas, wo man für
sich und einen Freund zwei Couvertse frei hat.
Kies. Wenn Sie Herr Buffey sind, dessen Vater Hebeammer
war, denn ....
Herr Buffey. Hebe—
Kies. Denn können Sie näher treten.
Herr Buffey. Ja, näher treten! Aber erst wollten Sie mir ja sagen, wo ich
meinen Paraplie .... Herrjees, na, des is noch hübscher! Nu hab' ich vorher im
Ärjer abjeknappst, un nu is der Schirm zusammenjeklappt, un hat hier einen
jroßen Puhl vor de Dhüre jemacht! Kotz Schock Schwerebrett, nu is es hier janz
nass vor de Dhüre; nu müssen die Mitglieder, die Zarucker, erst durchbaden, ehr
sie in die Versammlung kommen! Ich empfehle mir jut, des muss ich jestehen! Des
is aber immer so; mein erstes Entree, mein erster Eintritt, is immer pechöse.
(Sehr hitzig) Sie entschuldjen: wollen Sie mir nu vielleicht sagen, wo ich
meinen Paraplie ufspannen kann?
Kies. Jeben Sie nur jefälligst her, wenn Sie Zarucker
sind, so schad't es nischt, dess Sie hier einen Puhl jemacht haben. (Er nimmt
den Schirm und spannt ihn am andern Ende des Saales auf.)
Herr Buffey. Wollen Sie vielleicht auch die Jewogenheit haben, meinen Hut
zu nehmen? Herrjees, des is doch aber ooch Aliens pladdernass an mir! Des macht,
der Dreesch war zu jroß, als dess ihm mein Rejenschirm abhalten könnte. Ich
hätte mir können eine Droschke nehmen, aber ich fand nämlich keine.
Kies. Ja, des stört, wenn man in eine Droschke fahren
will un find't keene. Des stört oft so sehr, dess man zu Fuße jehen muss.
Herr Buffey (für sich). Des is ein curioser Mensch, dess er so was extra
bemerkt, was sich von selbst versteht, (laut) Sie sind woll kein Zarucker; Sie
sind woll hier weiter nischt als....
Kies. Ne, ich bin ein Vorwärtser.
Herr Buffey. Was heeßt denn das eigentlich: Zarucker? Ich bin so zu die
Jesellschaft jekommen, ich weeß eijentlich nich wie. Mein Jevatter, der
Horndrechsler Teutscheken, der ooch Jedichte macht, der Mitjlied is, machte mir
drauf aufmerksam un fragte mir, ob ich denn nich ooch endlich mal vor das Wohl
Europa's mitsorgen wollte; es war' doch anjetzt an der Zeit. Un da ich lange ein
Bedürfniß fühlte, so entschloss ich mir. Denn der Bürjer is anjetzt dazu da,
dass er vor seine Mitmenschen sorgt, und an der Verfassung des Staats Theil
nimmt. Außerdem kostet es man zwei Dhaler Courant monatlich, un des kann ich:
ich habe es dazu; meine Verhältnisse erlauben es mir, heißt des! Aber, wie
jesagt, was Zarucker bedeut't, des weeß ich noch bis diese Stunde nich. Wie?
Kies. Ich derf es Ihnen ooch nich verrathen; des is den Präsidenten seine
Sache.
Herr Buffey. So? Hör'n Se mal, der Präsident, des is woll ein sehr
vornehmer Mann? Is er Exellenz?
Kies. Ne: Strumpfwirker. Hier will er aber mehr wirken
als Strümpfe.
Herr Buffey (sehr verwundert). Strumpfwirker? I is es möglich! Un
Präsident! Ne, ich sage! (Er sieht sich im Saale um) Sagen Se mal, des is wohl
die Tribüne, wo die Reden jehalten werden?
Kies. Ja, un die Zuhörer unjehalten.
Herr Buffey (betrachtet die Tribüne näher). Einfach, aber janz hübsch un
bequem jemacht. Kienholz, nich wahr?
Kies. Die Tribüne? ja. Aber die Reden sind bloß hölzern,
nich kühn.
Herr Buffey. Hör'n Se mal, Sie scheinen mir en Jejner von der politschen
Jesellschaft zu sind?
Kies. Nein, bitte: ich bin blos Aufwärter. Ich warte auf Vernunft.
Herr Buffey. Ach so! Des hab' ich mir jleich jedacht! Wie heißen Sie'n?
Kies. Ich habe en sehr jesuchten Namen: Kies.
Herr Buffey. Kies? (lächelnd) Denn sind Sie mein Sklave, denn ich besitze Kies. Des ist ein sehr gutes Bonmot. Sagen Se mal, Kies, warum sind denn die Mitjlieder noch nich hier? Es is doch schon Sieben vorbei, un Teutscheken sagte mir, Punkte Sieben jinge es an?
Kies. Et war festgestellt, dess es immer um halb achte
anjehen sollte, un deshalb wurde Punkt Sieben anjesetzt, weil es vornehmer is,
wenn man 'ne halbe Stunde später kommt. Um Verjebung, werden Sie ooch Reden
halten?
Herr Buffey. Nachdem meine Stimmung is, un ich mir anjeregt fühle, des
heeßt von den Jejenstand nämlich, von des Subjcct, worum es sich handelt, (nach
der Thür blickend) Ah, da kommt woll ein Zarucker!
Kies. Ne, des is mein Colleje Waffe.
Waffe. Ich bin Ich un hole jetzt Weißbier aus'n Keller.
Kies. Hören Se, Herr Buffey, wie jelehrt er spricht? Er is nämlich Aufwärter von Charakter, un als Nebenjeschäft treibt er Weltweisheit. Er putzt Stiebeln mit Ideen.
Präsident Schatten (auf der Tribüne). Ich frage also die ehrenwerthe
Versammlung der Zarucker statutenmäßig noch mal, ob irjend Einer etwas jejen die
Aufnahme des Herrn Rentier Buffeg .. .
Herr Buffey. Sie entschuldjen: Buffey! Fey, nich feg!
Schatten. Ach so: Buffey? Ihr Vorschlager, das
ehrenwerthe Mitjlied Teutscheken, hat den Schnörkel hinten bei Ihnen drüber
verjessen. Ob also irjend Einer etwas jejen die Aufnahme des Herrn Rentier
Buffey, alt 52 Jahr, evangelischer Confression, Confession, aus Berlin jebürtig,
einzuwenden hat? (Pause) Alles schweigt, mithin erkläre ich, kraft meines Amtes,
den Rentier Herrn Buffey von dieser Minute an als Zarucker. Nehmen Sie meinen
herzlichsten Glückwunsch! (Er reicht ihm die Hand.) Alle (stehen auf und
bewillkommnen Herrn Buffey). Wir gratuliren herzlich!
Herr Buffey (tief bewegt). Bitte, meine Herren Zarucker, Sie sind
außerorndtlich jütig! Des is sehr hübsch von Ihnen, sehr hübsch! Ich sage Ihnen
meinen janz jehorsamsten Dank; ich bin wirklich sehr erfreut, dess sie mir so
herzlich empfangen, un mir als Zarucker huldijen, wiewohl ich nich weiß .... (Er
geht zum
Präsidenten) Dürft' ich vielleicht bitten, dess Sie die Jewojenheit hätten, mir
jehorsamst zu sagen, was ich nu als Zarucker bin?
Schatten. Sehr jern! Sie sind Mitjlied einer bedeutungsvollen politischen Jesellschaft, die es sich zur Aufjabe jestellt hat, die neuerungssüchtige, jlaublose, forteilende und nach züjelloser Freiheit strebende Zeit aufzuhalten, und also zur alten Sitte, zur alten Ordnung und zur alten Frömmigkeit zurückzubringen. Der Name unserer Jesellschaft ist den Jensd'armen entnommen, die, wenn sie das Volk von irgend einem interessanten Jejenstande fortdrängen, sich des Ausrufes »Zaruck!« bedienen.
Herr Buffey. Janz recht, ich erinnere mir. Sie müssen hier zaruck! schreien sie immer.
Schatten. Also! Unsere Statuten der Einrichtung nun sind
Ihnen durch das ehrenwerthe Mitjlied, Herrn Teutscheken, bereits vorjelegt; ich
habe Ihnen also nur noch mit folgende bekannt zu machen: Sobald Sie in diese
unsere Verrammlung, Versammlung treten, oder irjend einem Mitjliede auf der
Straße oder sonstwo bejejnen, so rufen Sie, das zweite Mal stärker als das
erste, und das dritte Mal stärker als das zweite Mal: Zaruck! Zaruck!! Zaruck!!!
Das ist unsere Parole, unser Wahlspruch: wir wollen durchaus keinen
Fortschritt, sondern nur Rückschritt. (Herr Buffey scheint etwas erstaunt). Und
wenn Sie nun janz im Jeiste des Jründers dieser Jesellschaft denken, und sich
durch Rede und That thätig beweisen wollen, so sind Sie Mitjlied der rechten
Seite und setzen sich also dort rechts hin; — sind Sie dajejen auch nur mit ein
Bestreben der neueren Zeit einverstanden, so jehören Sie dort in der Mitte dem
Centrum, und sollten Sie, was ich nicht jlaube, sojar Vorliebe für mehrere
Tendenzen der verderbten Jejenwart empfinden, so treten Sie unter die Mitglieder
der linken Seite, welche bis jetzt, Dank dem Himmel, nur aus Einem bestehen,
nämlich aus dem ehrenwerthen Herrn Worum, (wischt sich den Schweiß ab) Wir
erwarten also Ihre politische Niederlassung.
Herr Buffey. Schön! (Er geht, während ihm die Augen sämmtlicher Zarucker
folgen, zum Aufwärter Kies, lässt sich eine Pfeife geben und anzünden, und nimmt
dann, zu allgemeiner Verwunderung, seinen Platz auf der äußersten Linken ein.)
Stutenthal (besteigt langsam, gesenkten Blickes, die
Tribüne, hält auch während seiner Rede die Augen geschlossen, und spricht mit
dünner, schneidender Stimme). Im Namen des Herrn: Zaruck! Zaruck!! Zaruck!!!
Herr Buffey (leise zu Worum). Der sieht ja — Sie entschul-dijen, dess ich
Ihnen anspreche — der sieht ja wie en Marder aus, der uf'n Fang jeht.
Worum. Es ist der fromme Herr Stutenthal, als Verbreiter allgemeiner
Dummheit hier angestellt; wer Licht verbreiten will, wird abgesetzt.
Stutenthal. Wenn ich heut' meine Stimme zu Ihnen erhebe, so ist sie von
der freudigen Hoffnung bewegt, Ihnen bald von dieser Tribüne herab melden zu
können, dass in Europa, Amerika, und so weit das beseligende Christenthum
reicht, sämmtliche Theater und andere öffentliche Lusthäuser für immer
geschlossen sind. Besonders aber sind es die Bühnen, auf die wir unsere Blicke
richten und gegen welche heidnische Institute wir die schärfsten Waffen
gebrauchen müssen, soll die Welt nicht ganz in dem Schlamme der Verworfenheit
untergehen, in welchem sie bereits seit vielen Jahren steckt. Der Mensch ist
nicht zur Freude, zur Erholung, zur geistigen Aufregung, sondern nur zum Beten,
zur Arbeit, zur tiefsten Unterwürfigkeit gegen die weltlichen Herrscher
erschaffen. Man hat zwar gesagt, die Bühne sei eine moralische Anstalt, weil sie
vor dem Laster erschrecken lasse, und die Herzen für die Tugend gewinne; weil
sie, als die wirksamste Kunst, durch das Schöne zum Guten führe; weil sie die
Thorheiten lächerlich mache, und den Menschen aus der monotonen Erbärmlichkeit
seines prosaischen Lebens in idealere Kreise führe und so weiter, aber ich
möchte fast den Himmel um Vergebung bitten, solche sündigen Worte, wenn auch in
edelster Absicht, nachgesprochen zu haben. Die Bibel ist und bleibt, die Bibel
sei die einzige Erholung und geistige Erbauung des Erdenwurmes! Wie, das
Theater, das sündige Menschen beleben, soll uns belehren, soll uns bessern
können? Das Theater, von welchem herab die Sinne und die Sinnlichkeit gereizt,
aufgeregt werden; auf dem man mit dem zügellosesten Leichtsinn über die
ehrwürdigsten, heiligsten Dinge spricht, ja, auf welchem man es sogar wagt, die
Gemüther für die schlichte Biederkeit und den gesunden Geist des Pöbels
einzunehmen, und — ich zittere, indem ich dies ausspreche — hochstehende
Personen, ja sogar regierende Häupter als dumm und nichtswürdig darzustellen,
wie wir es von den jämmerlichen, verworfenen Dichtern: Shakspeare, Schiller,
Goethe, Kotzebue, Iffland, und wie die Bösewichter alle heißen, täglich erleben
müssen!? Nein, ein echter Zarucker kann diese Gräuel nicht länger mit ansehen
und wird mir gern jede weitere Erörterung solcher profanen, gottvergessenen
Dinge erlassen. Mein Antrag lautet folgendermaßen: »Sämmtliche Theater Europa's,
Amerika's und derjenigen Länder, wo das Christenthum herrscht, sind vom ersten
Januar 1843 ab für immer zu schließen.« (Murren auf der linken Seite und im
Centrum.)
Herr Buffey. Wollen Sie nich jefälligst bis Ostern warten? ich bin bis
dahin abbornirt.
Worum. Gegen solchen Unsinn muss man gar nicht auftreten. (Da sich kein
Redner weiter meldet, erfolgt die Abstimmung durch Kugeln. Der Antrag
Stutenthals wird mit 12 Stimmen gegen 5 angenommen. Gerade in diesem Moment hört
draußen der Regen auf, und die Abendsonne wirft einen hellen Strahl auf den
Redner.)
Dunkelinsky (besteigt die Tribüne). Meine Herren Zarucker! Als Zinnjießer
un Bürjer Berlins seit virundzwanzig Jahren hab' ick meine Erfahrung, un kann en
Wort mitsprechen, wenn es ooch, was den Stylum betrifft, bei mir nich so jut
jeht, wie bei des vorije jelehrte Mitjlied. Ick habe nich jejen den Antrag uf
Theaterschluss in Europa un die andern christlichen Länder jestimmt, weil et
immer jut is, wenn man erseht een Jutes hat; (mit erhöhter Stimme) obgleich mir
der Antrag unvollkommen erscheint. (Hört! Hört! HerrBuffey: »Nanuu?«
)Denn, ehrenwerthe Zarucker, wat nützt det Theatersperren, so lange die
Schriftsteller existiren, die des nichtswürdig-freijeistigste Zeigs, un Spott un
Hohn drucken lassen, un des Volk mit Jedichte un Romane un Schurnale un
Zeitungen verführen, verrückt machen, jejen dieRejierung, die immer det Beste
haben will, (Stimme zur Linken: »Ja!«) — was jewiss jeder Bürjer weeß, ufputscht
und in Jrund un Boden verdirbt? Ick sehe davon ab, dass jetzt sojar von
Pressfreiheit jequatscht wird, solche Onarchie wird nich werden! aber ick
behaupte als Zinnjießer seit virunzwanzig Jahren, det ooch die Censur nischt
nützt, weil sie janz unmöglich Aliens zurückhalten kann, sondern wat durchjehen
lässt, was diese oder jene Rejierung in Übeln Jeruch bei't Volk bringen kennte.
Sehen Se mal zum Exempel: Hannover. Da —
Mehrere Stimmen. Stille von Hannover!
Präsident Schatten. Ich muss dem Redner bemeckern, bemerken, dass es zur außerordentlichsten Ehrfurcht vor den Rejierangen, rungen, jehört, ihren Namen hier nie zu nennen, selbst im juten Sinne nich, den ich allerdings bei den Reder vorauszusetzern habe. Es is eine unser, den echten Zaruckern würdige Scheu und Demuth, ein Land blos ahnen zu lassen.
Dunkelinsky. Ja uf det Ahnenlassen bin ick mit mein
Sprachvermöjen nich recht zujeschnitten. Ick brauche aber ooch keen Beispiel, da
ich jenug für meinen Antrag jesagt habe, un das Verderben der Schriftstellerei
zu klar uf de Hand ligt. Junge Männer werd'n durch ihr demojajisch; Frauen
versäumen durch ihr ihre Wirthschaft; junge Mädchen werden verführt, so dess sie
sich....
Schatten (den Finger hochhebend). Der ehrenwerthe Redner wird nochmals
erinnert, bei allen zarten Anjelejenheit blos ahnen zu lassen.
Dunkelinsky. So dess sie sich.....(er sieht bei diesen Worten zufällig
auf Herrn Buffey)
Herr Buffey. Wer? ich?
Dunkelinsky. Ne doch, die jungen Mächens! So dess sie sich mehr um die
Liebe als um die Reljon un um ihre kleenern Jeschwister bekümmern. Meine Herren!
Wenn ick det nu Aliens zusammenfasse, wat ick als Zinnjießer seit virunzwanzig
Jahren jejen die Schriftstellerei jesagt habe, so erlauben Sie mir, dess ich
Ihnen was aus China .... (sich gegen den Präsidenten wendend) Is es erlaubt:
China zu nennen, oder soll ick China ooch blos ahnen lassen?
Schatten (sieht Stutenthal fragend an; dieser macht eine halb bejahende
Pantomime). Sie dürfen China aussprechen.
Dunkelinsky. Sehr wohl! (Er zieht ein Buch aus der Tasche und blickt hinein) Hier in des Buch, Mittheilungen des enjlischen Missionärs Medhwurst, ne: Medhurst über China, da steht, dess ein Kaiser, Namens Schi-hoang-ti, zweehundert Jahre vor Christi, eine Dy-naß-ti, Dynastie bejründen wollte, die sich vom Anfange bis zum Ende aller Zeiten erstrecken sollte. Da durfte natürlich keene Jeschichte existiren, un so ließ er alle Schriften im janzen Lande sammeln und verbrennen, und außerdem 460 Literaten lebendig bejraben.
Stutenthal. Ein erhabenes Beispiel des energischen
Absolutismus.
Dunkelinsky. Wer?
Stutenthal. Fahren Sie ruhig fort!
Dunkelinsky. Jut! Wenn nu ooch jejenwärtig nich die Zeit is, wo man die
Schriftsteller lebendig bejraben kann ....
Worum. Das geht auch: durch Censur!
Dunkelinsky (fortfahrend) .. so kann man doch überhaupt
diesen schädlichen Stand aus der menschlichen Jesellschaft verbannen, un dess
des Bücherverbrennen nothwendig is, beweis' ick woll am besten dadurch, dess
sojar jetzt viele existiren, wo von de prr .... (er besinnt sich, da ihn der
Präsident scharf ansieht) von unsere Verfassung die Rede is! Verfassung! Wenn
ick det Wort höre, wird mir schon jrün un jelb!
Worum. Ah, darum sind Sie auch so gegen die Verfasser! Das hat
Zusammenhang.
Präs. Schatten. Ich muss das Mitglied der linken Seite daran erinnern,
dass nach unserer Gesetzordnung während der Zaruck-Versammlung jeder Witz, jeder
Scherz streng verpönten, verpönt ist.
Worum (zu Dunkelinsky). Übrigens begreife ich nicht, wie Sie als ruhiger
Bürger Berlins und als vierundzwanzigjähriger Zinngießer gegen die Verfassung
sprechen können, da ja unser Vaterland - ich lasse Preußen ahnen, wie Sie hören
- eine Verfassung besitzt?
Stutenthal. Der Staat, von dem Sie sprechen, ist, Gott sei Dank,
absolut-monarchisch, hat also im Sinne der Zeit keine Verfassung.
Worum. Ich belehre hiermit das äußerst rechte, fromme Mitglied, dass
Preußen (er spricht den Namen sehr deutlich aus) allerdings, wie dies die
betreffenden Cabinetsordren der Jahre 1815-1819 bezeugen,28 eine ....
Stutenthal (heftig). Es ist nicht wahr! Das linke Mitglied schweige! Es
stößt den ganzen Charakter unserer Gesellschaft über den Haufen! Ich bitte den
Präsidenten, mit dem Hammer aufzuklopfen!
Worum. Was ich angab, ist geschichtlich. Was Sie sprechen, ist Unsinn,
oder Falschheit, Fuchsschwänzerei!
Präs. Schatten (klopft mit dem Hammer auf).
Herr Buffey. Des is übrijens wahr, jeschichtlich ....
Präs. Schatten. Sobald ich mit dem Hammer aufklopfe, hat
Niemand eher das Wort, als bis ich's ihm wieder jebe! (zu Dunkelinsky) Vollenden
Sie Ihre Rede!
Herr Buffey (halb für sich). Schwerebrett, det jeht hier scharf her! Ick
dachte, vor meine zwee Dhaler monatlich ....
Präs. Schatten (sehr ernst). Ruhig!
Dunkelinsky. Ick stelle ohne Weiteres meinen Antrag: »Es ist ein
Ausschuss der jelehrtesten Zarucker zusammenzusetzen. Die Ausschusser berathen,
welche Bücher außer de Bibel noch bleiben können. Alle übrijen Bücher werden
verbrennt. Schriftsteller werden künftig nich mehr jeduldet. Die jetzt noch
existirenden sollen von ihre Verlejer eine Pension erhalten.«
Schafskopp (besteigt die Tribüne). Ich erkläre mir mit
dem Antrage des ehrenwerthen Redners Dunkelinsky in allen Punkten vollkommen
einverstanden. (Die rechte Seite und das Centrum ist sehr auf merksam.) Nichts
Verderblicheres als dieSchriftstellerei! Die heiligsten, ehrwürdigsten Dinge
werden durch ihr profanirt. Man wagt es sojar, jejen den Verdienst der Jeburt zu
schreiben!
Wedelwitz. Sollte es möglich sein?
Fürchter. Kaum glaublich!
Düse. Die Frechheit jeht weit!
Nicke. Na det nehm' Einen Keiner nich übel!
Sti1leman. Unerhört, wahrhaftig!
Schafskopp. Ich freue mir, dass diese Mittheilung so viel Erstaunen bei
die ehrenwerthesten Zarucker erregt. Ja, meine Herren, man schreibt sojar jejen
dem Verdienst der Jeburt! Man will das, wie man sich höchst unanständig
ausdrückt, dem in den Windeln machenden Kinde nicht zujeschrieben wissen, was
die Voreltern an Heldenthaten oder Räubereien jethan. Meine Herren, Sie kennen
meine alte Abstammung! Ich will nicht damit prahlen, aber es jab schon im
eilften Jahrhundert Schafsköppe. Soll ich nun mit jedem ordinären Menschen
gleichstehen, der vielleicht nicht mehr als zwei bis drei Väter anjeben kann?
Kriechling. Das ist nicht zu verlangen.
Herr Buffey (lacht).
Präs. Schatten. DasLachen ist den Zaruckern bei der strengmöglichsten
Strafe verboten.
Herr Buffey (halb für sich). I Herrjeeses, ick werde doch woll.... (leise
zu Worum:) Hör'n Se mal, der Redner da uf de Tribüne hat en curjosen Namen, aber
er macht ihm alle Ehre. Det fiel mir in, un dadrüber musst' ich lachen. Ich muss
nämlich immer lachen, wenn mir ein Witz einfällt.
Teutscheken (steht auf und wirft sich in die Brust). Zwar
jeleugnet worden seiend, aber trotzdessen unleugnungsfähig ist's, dess die
Buchdruckerkunst un die Schriftstellerei unter Verderblichbringendem manches
Jute stiftend sich befindet. So zum Beispiel in jüngstester Zeit mit des
jedichtet wordende Rheinlied von Beckern. Det hat uns vor de Franzosen jeschützt
un deutscher Einigkeit werdende Anrejung wieder deutschen Männern jejeben
werdend. Damit soll aber nicht jesagt sein, dass Alles von Typen zu Tage
Förderndes wohljeneigt aufzunehmen sei!
Worum. Diese Deutsch-Bestrebungen unserer Politik ist ihre lächerlichste
Seite. Dieses Hass-Einimpfen gegen fremde, uns in ihren Institutionen
überragende Nationalitäten leiht nur den Machinationen gegen das Volk Vorspann.
Wir sind deutsch genug, im Norden und im Süden. Wer die Zeitungen seit einigen
Jahren verfolgt, wird sich gestehen müssen, dass wir noch ungeheuer deutsch
sind.
Juchtejernow (betrunken). Sie haben Recht, haben Sie! Ich will einen
kalten Staat ahnen lassen. Ich will ahnen lassen! Dem sollten wir uns nähern,
wenn wir . .. weil wir!
Kriechling (besteigt die Tribüne). Meine Herren Zarucker!
Herr Buffey (leise zu Worum). Wer is des?
Worum. Der Handschuhmacher Kriechling.
Kriech1ing. Ick bitte um Ihrer janzen Aufmerksamkeit. Wo sind wir hinjerathen? frag' ick! Sind des echte Zarucker, die sich Fragen un Anträje stellen, die von allgemeiner politscher Wichtigkeit sind? Ne, meine Herren, nischt wenijer als dieses! Un wenn diese Anträge ooch zehn Mal im Zaruck-Sinne sind, so is des ja viel zu viel Freiheit, die wir uns nehmen ....
Teutscheken. Dies Wort, jebraucht werdend, ist jejen
unsere Statuten anstoßend!
Präs. Schatten. Ich ersuche das ehrenwerthe Mitjlied Kriechling ein
anderes Wort zu wählen.
Kriechling. Ick habe eben des Wort Freiheit jewählt, um Sie, meine
Herren, Ihre janze Verirrung un Abweichung recht fühlbar zu machen. Wir sind
keine echten Zarucker, wenn wir uns um Dinge bekümmern, die wirklich bedeutend
sind. (Stimmen zur Rechten und im Centrum: »Wahr! Wahr!«) Ick behaupte, det wir
uf Abweje jerathen sind, un dess wir durch solche Besprechungen jrade des
bewirken, wat wir abwenden wollen. (Allgemeine Aufregung.) Un sonach trag' ich
druf an, dess über den Antrag des ehrenwerthen Mitgliedes Dunkelinsky jar nich
abjestimmt wird, un dess wir ein Jesetz jejen Wilddieberei berathschlagen.
(Lauter, anhaltender Beifall. Der Redner wird, als er die Tribüne verlässt, von
seinen Freunden glückwünschend umringt.)
Kies (überreicht ihm einen kleinen Fisch). Ick habe heite diesen
Steckerling jefangen, der will Ihnen ooch huldigen.
Schafskopp. Ich bin nicht damit einverstanden! Ich wollte der Jesellschaft erst noch einen Antrag vorlejen, dass das herrliche Ritterthum wieder einjeführt werden solle.
Krahnich. Und ich wollte noch beantragen, dass der
Weinbau und die Wein-Einfuhr verboten werde, und dass alle Personen bis zum
hohen Bürjerstande hinauf nur Wasser trinken dürfen.
Duckmäuser. Mein heut'jer Antrag sollte dahin jehen, des europä'sche Volk
noch ein'je Steuern aufzulejen, da es offenbar in zu jroßen Wohlstande lebt, was
die vielen Feste beweisen. Dass denn doch die jrößere Einnahme mit die Ausjaben
stimmt, des kann doch jemacht werden.
Präs. Schatten. Ich stimme im Wesentlichen dem ehrenwerthen Zarucker
Kriechling bei und kann daher nur darauf antragen, dass der frühere und
sämmtliche spätere Anträge zurückjewiesen werden. Da aber die Jesellschaft auf
Beschlatragung, Beratschlagung eines Jesetzes jejen Wilddieberei nich
vorbereitet ist, so ersuche ich den ehrenwerthen Herrn Kriechling, seinen Antrag
dahin zu mofidiciren, modificiren, dass fernerhin über keine wichtije
Angelegenheiten bei uns verhandelt werden darf, da dies dem Charakter der
Zaruck-Jesellschaft zuwider. (Stürmischer Beifall. Der Präsident verbeugt sich,
wischt den Schweiß von der Stirn und verläßt die Tribüne.)
Viele Stimmen. Zur Abstimmung! Zur Abstimmung!
Herr Buffey. Ich bitte um's Wort!
Stimmen zur Rechten. Zur Abstimmung!
Worum. Herr Buffey muss das Wort bekommen! Nach unsern Statuten hat ein neues Mitglied sogar die Verpflichtung, sich in der ersten Sitzung auszusprechen.
Nicke. Des is die Wahrheit.
Stilleman. Ja!
Stimmen im Centrum. Herrn Buffey jehört das Wort!
Präs. Schatten. Herr Buffey hat das Wort!
Herr Buffey. Schön! (Er will die Tribüne besteigen, stolpert aber auf der ersten Stufe und fällt nieder. Gelächter.)
Präs. Schatten. Es darf nicht gelacht werden! (Während die Ruhe hergestellt wird, säubert sich der Redner vom Staube.)
Meine Herren Zarucker! Ich betrete zum ersten Mal in meinen
janzen Leben die Öffentlichkeit un stolpere schon uf de unterste Stufe: so was
fällt aber vor! Davor kann man nich! Indessen hab' ich mir durch meine Erziehung
einer Tochter und einem Knaben, der schon bald Jüngling is, un durch meine
dreizehnjährige Ehe mit meine verstorbene Frau, jeborne Ladebecken, so an das
Reden jewöhnt, dess sie, dess ich, dess ich bestehen werde. Zuvörderst hab' ich
Ihnen nu meinen Dank vor die Aufnahme unter Ihnen zu danken: ich danke janz
jehorsamst! Indessen hatte ich bisher, nämlich bis heute, des Politsche nich
viel jedrieben, obschon ich die Staatszeitung mit meine Miether zusammenhalte,
un so verstand ich nämlich den Herrn ehrenwerthen Präsidenten nich, wie er des
von die politische Niederlassung anjedeutet wurde; wie mir des von die
politische Niederlassung anjedeutet wurde. Ich setzte mir uf die linke Seite,
weil es da rechts zieht, weil en Fenster ufsteht, un ich refmatisch bin! Ick
sage Ihnen, hier oben von die Schulter an hab' ich zuweilen so einen stechenden
Schmerz bis janz runter, der mir, dess ich denke, der mir sehr weh dhut. Mein
Docter, der Medezinalrath Kaltmacher, is en sehr jeschickter Mann, un es is en
Jlück, dess ich den habe, un er hat mir auch schon oft was aus de Apotheke
dajejen verschrieben, aber es half nischt. So setzte ich mir denn uf'n .. .
Präs. Schatten. Sie sitzen schon! Weiter!
Herr Buffey. Ne, jejenwärtig steh' ich. Ich bitte Überjens, mir jehorsamst nich zu unterbrechen, weil mir des confuse macht, un ich mir dann nich wieder in meinen Faden finde, was man orjentiren nennt! (Er schnauzt sich sehr langsam.) Ich setzte mir also uf'n linken Platz, un .. . .
Präs. Schatten. Auf die linke Seite!
Herr Buffey. Ne, uf den linken Platz. Ich habe jefunden, dess des
richtijer is, orthojraphscher, weil man sich uf de linke Seite nich setzen kann,
überhaupt uf keene Seite, höchstens lejen. Ich setzte mir also — Überjens muss
ich nochmal bitten, mir janz jehorsamst nich zu unterbrechen, da ich die
Eijenschaft besitze, janz confuse zu werden, wenn mir Einer unterbricht! Ich
setzte mir also uf'n linken Platz, un zwar janz unpolitsch, blos wejen meinen
Refmatismus. Wie ich nun aber... (Hört! Hört!) .... ja, hören Se man zu! .... Wo
war ich doch stehen jeblieben? Ja so, janz recht! Wie ich nu aber an meinen
Collejen Worum merkte, so saß ich ooch politsch, was die Jesinnung, Tendenz
nämlich, betrifft, janz recht. Denn des nehmen Sie mir nich übel, meine Herren,
aber wat Sie vor .... vor born .... vor unterthänije Jesinnungen haben, des jeht
in's Aschjraue! (Lebhafter Beifall auf der linken Seite.) Sie entschuldjen, dess
ich des äußere. Aber von den Standpunkt aus, dess man die Menschen lieben soll
un dess der liebe Jott uns einen freien Jeist jab, den uns kein Schuft in Ketten
lejen derf, von diesen Standpunkt aus, meine Herren, jehören Sie ja zum Satan,
wenn ich mir so ausdrücken derf! (Tumult. Heftiges Murren zur Rechten und im
Centrum; enthusiastischer Beifall zur Linken.)
Präs. Schatten. Der Redner mäßige seine Ausdrücke, wenn
er das Wort behalten will!
Worum. Ich muss vollständige Rede-Freiheit für den höchst ehrenwerthen
Herrn Buffey in Anspruch nehmen. Die Mitglieder der rechten Seite und des
Centrums mögen sich mäßigen; wir können, wir wollen es nicht! Ihre ganze
Richtung, meine Herren, erheischt Zurückdrängung alles Blutes, alles edlen
Eifers und jeder löblichen und schönen Glut der Seele! Auf der linken Seite
aber, meine Herren, sitzt das Herz! Hier ist Blut, Leidenschaft! Hier ist Liebe
für die Menschheit, glühender Eifer für das Wohl derselben, Hass und Fluch gegen
ihre Verfolger! Hier ist eben die Begeisterungs-Fähigkeit, die Ihnen gänzlich
fehlt, ein untrügliches Wahrzeichen, dass sie die rechte Seite ist, die linke,
und die rechte Seite die Seite des Unrechts ist! Sie, meine Herren, mögen in den
Augen der Philister Ihrer Ruhe und Mäßigung wegen oft gebildeter erscheinen —
diesen Beifall gönnen wir Ihnen lächelnd — wir aber fühlen es im Innersten des
Herzens, dass wir edler sind, weil wir uns nicht immer zu mäßigen wissen! Wir
wollen nicht immer bedenken; wir wollen denken! die Schafe sind es, die immer
Be-denken! (Tiefes Schweigen. Herr Buffey ist so hingerissen, dass er vergebens
nach Worten zu suchen scheint.)
Juchtejernow (nach langer Pause zu Worum). Sie sind weit links in der
Politik!
Herr Buffey (höhnisch). Und Sie sind was Rechts!
Präs. Schatten. Ich muss beiden Seiten noch ein Mal und sehr ernstlich bemerken, dass Humor, Witz und dergleichen durchaus unter den Zaruckern verpönt sind. In ruhiger, anständiger Sprache ist eine kleine Opposition erlaubt, sonst nicht.
Worum. Das ist eine Dummheit, dies Gesetz! Dadurch will man nur Schmiererei und Plapperei zu Ansehen bringen, und alle Poesie, alle begeisterte Rede, alles wahrhaft göttliche Talent vernichten! Zum Beweise des früher Gesagten erinnere ich nachträglich an Börne. Er hat dem edlen, heiligen Zorne seines Herzens jede Luft gegeben; er hat geschimpft und gewüthet, und dennoch genießt kein Mann der neuern Zeit solch allgemeine Verehrung wie er! Ihr habt Macht und Waffen, wir nur Worte! Und Eure Mäßigung ist ohnehin nur eine äußerliche: Ihr gebraucht Polizei und Bestechungen aller Art gegen uns und unsere Tendenz; sind das nicht starke Redensarten?
Kriechling. Ich beantrage noch mal, dass wir lieber ein Jesetz jejen Wilddieberei berathschlagen wollen!
Herr Buffey (sich ganz vergessend). Sie sind ein
Schafskopp!
Schafskopp. Das ist nich wahr! Herr Kriechling ist ein ach-tungswerther
Bürger, aber ein Schafskopp ist er nich! Ich kenne meinen Stammbaum!
Herr Buffey. Na hören Se mal, da sind Sie der jrößte Jelehrte, der mir
vorjekommen is! Wenn Sie sich un alle anderen Schafsköppe herzählen können, denn
kann ich eine jewisse Bewunderung vor Ihnen nich unterdrücken, denn erstaun' ich
Ihnen!
Schafskopp. Ich danke Ihnen für ihre Anerkennung.
Herr Buffey. Bitte, es is sehr jern jeschehen. Erlauben Sie mir jetzt fortzufahren, denn wenn Sie mir unterbrechen, denn verliere ich meinen Jedanken! Meine Herren, Sie sind, wie mein ehrenwerther Colleje Worum sich sehr jut bediente, des Ausdrucks bediente: unjeheuer deutsch. Wissen Sie, was des heeßt? Des will ich Ihnen sagen. Neulich, et sind noch keene vierzehn Dage her, da war ick in eine sehr respektable Jesellschaft, wo zufällig von Krebse die Rede war, weil welche jejessen wurden, zum Suppe, nennt man des. So fragt ein sehr lustijer Mensch einen Andern: »Hör'n Se mal, rathen Sie mal, worum die Krebse nich dumm sind.« — So sagt der: »Des weeß ich nich.« — So sagt der Andere: »Des will ich Ihnen sagen. Sehen Se mal, wenn die Köchin die Krebse in einen jroßen Topp schmeißt un jeht weg un verjisst eine Stürze über den Topp zu decken, so krauchen die Krebse oben raus. Des is nich dumm von die Krebse!« (Gelächter.) Aliens lachte, wie Sie, meine Herren, blos der Herr nich, den des Räthsel ufjejeben war. Der sagte mit einen sehr ernsten Jesicht: »Ne, Lieber, die deutschen Krebse nich; die krauchen nich jleich raus. Die deutschen Krebse, die würden erst eine Deputation an die Köchin schicken un jehorsamst anfragen lassen, ob sie vielleicht rauskrauchen dürften.« — Sehen Sie, meine Herren, Des is es, was ich un mein Colleje unter unjeheuer deutsch verstehe. (Tobender Beifall auf der Linken.) Un, meine Herren, die Krebse können Ihnen ooch nich fern liejen, wenn Sie erlauben, denn die Krebse, das sind die wahren Zarucker! (Er verlässt die Tribüne) Sie entschuldjen.
Worum (eilt auf ihn zu und umarmt ihn). Sie sind ein
herrlicher Mensch!
Herr Buffey. Bitte, es is meine erste Politik, weshalb Sie erjebenst so
verlieb nehmen müssen. Mit der Zeit wer' ich mir schon reinarbeiten; man muss
man erst wissen, wie un wo.
Stutenthal (springt heflig auf die Tribüne). Ich trage
darauf an, dass die beiden Mitglieder der linken Seite aus unserer sonst
ehrenwerthen Gesellschaft verbannt werden! Herr Buffey (erstaunt). Nanu wird's
Dag! Worum. Nein, nun wird's Nacht!
Präs. Schatten. Ich schlage vor, sogleich, ohne Besprechung, über den
Antrag unseres hochgeehrten Secrewars und Architairs, Secretairs und Archivars,
des frommen Herrn Stutenthal, abzustimmen.
Alle. Zur Abstimmung! Zur Abstimmung!
Duckmäuser. Et fragt sich blos, ob die Herren Worum und
Buffey mitstimmen oder nich? Ick drage uf Mitstimmen an. Mojoretät vor uns is ja
doch jenug, un es sieht denn doch rechtlicher aus, un is es ooch, weil sie
jejenwärtig noch Mitjlieder sind, ehr se verbannt werden.
Präs. Schatten. Die Herren Worum und Buffey haben das Recht, über Ihre
Verbannung mitzustimmen.
Worum (lachend). Sie werden eine große Majorität haben,
meine Herren Krebse; denn sowohl ich, wie Herr Buffey, werden weiße Kugeln
werfen. Ich, der ich mit meiner geringen Bildung Ihnen zu fern stehe, ließ mich
nur in Ihre Gesellschaft, deren Existenz man heutigen Tages bezweifeln sollte,
desshalb aufnehmen, um mich mit eigenen Ohren und Augen zu überzeugen, wie weit
die Verirrungen und Nichtswürdigkeiten einer gewissen politischen Parthei gehen.
(Er wirft eine weiße Kugel.) Jetzt bin ich aber, wie Sie sehen, Ihrer
überdrüssig. (leise zu Buffey:) Was besinnen Sie sich? Sie werden doch
zustimmen, dass wir verbannt werden?
Herr Buffey (ebenfalls leise). Indessen, ich hätte mir doch jerne
manchmal politsch ausjesprochen. Un besonders weil ich Talent, Jabe bei mir
entdeckt habe, zum Reden! Na aber, det wird sich schon wo anders finden. (Laut,
indem er eine weiße Kugel gibt) Die Leute sind mir denn doch hier zu dämlich,
bornirt nennt man des!
Präs. Schatten. Der Antrag des ehrenwerthen Herrn Stutenthal ist
einstimmig angenommen. Die bisherigen Mitglieder Worum und Buffey sind also
daher aus der Zaruck-Jesellschaft verbannt. Indessen dürfen sie heute noch den
Verhandlungen beiwohnen.
Herr Buffey. Ne, wir danken jehorsamst; wenn wir jerne Kälber blöken
hören wollen, det können wir so, da brauchen wir keene zwee Dhaler monatlich zu
jeben. Wo is'n mein Hut? Aha! (Er setzt ihn auf und betrachtet noch ein Mal die
Gesellschaft.) Na, nu wir Beede weg sind, nu vermuth' ick, dess hier künftig
einije Anträge angenommen werden werden. (Er lacht) Sie entschuldijen, es is
zwar nich erlaubt, aber ick muss lachen. Et is ooch nich erlaubt, einen Witz zu
machen, aber wenn mir jetzt jrade einer einfiele, ick machte ihn. Sonst fallen
mir manchmal welche in, aber ... des muss hier an de Atmopsfehre liegen, in
diesen Moment nich. Jetzt könnte mir Eener bieten, wat er wollte, ick sollte en
Witz machen. Nich vor'n rothen A . . . .
Worum (ihn unterbrechend). Kommen Sie!
Herr Buffey. Ja, ick will mir man erst meine Handschuhe anziehen, un mir meinen Überrock orndtlich zuknö'ppen. Denn wenn ick hier aus't Mittelalter plötzlich in Achtzehnhundert Zwee un Vierzig raustrete, so könnt' ick mir erkälten. - Na, jun Nacht, meine Herren! (sich verbeugend) Es is Ihnen sehr anjenehm jewesen, mir kennen jelernt zu haben! Schlafen Sie wohl! (Er verlässt mit Worum den Saal.)
Teutscheken. Ich drücke meine Freude über die ausjestoßen wordenden Mitjlieder aus. Damit will ich aber nicht jesagt haben, dess ich meine Freude über die Mitjlieder, sondern über ihre Ausjestoßen-Wordung ausdrückend bin.
Präs. Schatten. Es lässt sich nich leugnen, dass diejenigen Mitglieder, welche so eben auf den Antrag des ehrenwerthen Zaruckers Stutenbannt verthalt, Stutenthal verbannt wurden, der Tendenz unserer Jesellschaft fremde Elemente waren. Allein verjessen wir nicht zu erwähnen und zu überlejen, dass ohne Kampf kein Sieg, ohne Nein kein eijentliches Ja, ohne linke Seite keine rechte existirt. (Beifall im Centrum) Ich ersuche also, im Interesse unserer janzen Jesellschaft, ein oder zwei Mitjlieder des Centrums, sich auf die linke Seite zu setzen.
Stutenthal. Wir erklären uns wohl ohne Abstimmung Alle damit einverstanden, da dies ja ohnehin eine gemäßigte linke Seite wird, und wir ohne sie gar keine Aufmunterung hätten.
Alle. Wir sind einverstanden!
Stutenthal. Es fragt sich nur, wer das allerdings undankbare Geschäft
einer gelinden Opposition in der Zaruck-Gesellschaft übernehmen möchte.
Duckmäuser. Ick will! Aber ich bitte, dass man mir das ehrenwerthe
Mitjlied Sumpfer, das, wie Sie wissen, niemals spricht, sondern blos murrt un
Beifall klatscht, ooch noch überlässt, damit ich eine Parthei habe, wo ich an de
Spitze stehe.
Präs. Schatten. Ich gebe mit Verjnüjen meine Zustimmung.
Stutenthal. Ich ebenso, und gewiss.... (die Thür geht auf.)
Herr Buffey. Ach, Sie entschuldigen: ich habe meinen Paraplie in Jedanken stehen lassen! (Kies überreicht ihm denselben.) Oder vielmehr: in Jedanken hab' ick ihn nich stehen lassen, denn er war bei Ihnen, meine Herren. Na, schlafen Sie recht wohl, meine Herren! Wir bleiben noch wach.
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