Religionskritisches von Adolf Glaßbrenner

Gähnereien eines Blasierten (1848)

von Adolf Glaßbrenner


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Gähnereien eines Blasierten.  -- 1848. -- Fassung vom 2004-09-20. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/glassbrenner05.htm      

Erstmals publiziert: 2004-09-20

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Ursprünglich erschienen in:

Brennglas, Adolf: Komischer Volkskalender für 1849. -- Berlin, 1848.

Wieder abgedruckt in:

Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Unterrichtung der Nation : ausgewählte Werke und Briefe in drei Bänden ; mit zeitgenössischen Illustrationen / Adolf Glassbrenner. Hrsg. von Horst Denkler ... -- Köln : Informationspresse Leske, 1981. -- 3 Bde. -- Bd. 2. -- ISBN 3-7632-2636-2. -- S. 79 - 83


Aach! Das war der Seufzer der Langenweile. Es war kein Ausruf des schönen Schmerzes, kein Freudenschrei der entzückten Seele: zu solchen frischen Speisen komm' ich nicht mehr, oder kann sie nicht mehr vertragen. Mein Geist ist verdorben durch die Suppe der Alltäglichkeit, die Nerven meiner Gefühlsharfe sind zerrissen... von den Menschen. Der Reiz, der die süßesten, wonnigsten Lieder darauf spielte, ist verschwunden. So lange ich jung war und die Welt, die Menschheit aus der Ferne liebte, war ich glücklich; seitdem ich mit ihr verbunden bin, gähne ich. Nur ein Dummkopf kann es bezweifeln, dass der klügste Mensch zuweilen dumm ist; dass ihn die graue Monotonie, diese staubige Dasselbigkeit des Tages, dieser kleine Jammer erstickt. Unsre Phantasie reicht weit hinüber über das Gegebene, darum ermüdet es uns, und selbst das Werdende hat wenig Reiz, da Alles Tod wird, da eine Existenz die andre auffrisst in diesem großen Leichenschmaus der Ewigkeit. Ich verschlinge und werde verschlungen: das ist der bittre Inhalt, den wir mit Unsterblichkeit überzuckern. Aach! Der letzte Gedanke ist das Gähnen.

Ich lebe – wie man zu sagen pflegt – hier in der Stadt, in diesem Krimskrams des Wuchers, in diesem durcheinanderkrabbelnden Betrug. Es gibt nichts Kleineres als diese sogenannte große Welt. Wenn man ein Paar Hundert Stufen steigt und hinabschaut, ekelt einen diese Ameisenkriecherei mit ihrem Wichtigtun an. Und vor Tausend Jahren so, und nach Tausend Jahren wieder so, und Das soll einen Gott interessieren? An dieser seiner Schöpfungsgrille sollt er noch immer Gefallen finden? In dieser Stabilität Mensch, die mit zwei Beinen aus sich selbst herausgehen will, in diesem aufgeblasenen Staube sollte er sich selbst bespiegeln wollen? Ein arrogantes Tier, der Mensch! Wenn Gott wirklich Sechs ganze Tage zu diesem Spaß gebraucht hat, so hat er sicher keine Sechs Tage gebraucht, um darüber zu gähnen... wie ich. Aach! Im Anfang war die Langeweile.

Oder sind diese Gedanken schon Sünde oder Spott? Wäre diese Nahrung, die einzige, die mir noch schmeckt, verbotene Speise? Dummes, staatskluges Zeug! Wie kann ich spotten, wenn ich denke, wie kann ich sündigen, wenn ich in Gott bin? In alle Dem, was die Pfaffen Spott nennen, ist mehr Geist, also mehr Göttlichkeit, als in dem breitmäuligen, moralischen Pfaffengeschwätz, mit welchem sich die Menschen nun schon seit Zweitausend Jahren ennuyieren lassen – ohne auch nur eine Herzbreite weiter in der Liebe gekommen zu sein, aber Zweitausend Schritt weiter im Hass. Was haben uns diese Diener, die für das Haus Gottes zu reisen vorgeben und in unechter Moral machen, genützt? Wir sind noch böser als früher, denn wir befeinden uns wegen des Glaubens. Wir sind so egoistisch wie Adam und Eva, deren Egoismus sehr zu entschuldigen war; wir lästern, stehlen, betrügen, morden und knechten noch immer; die Sündflut käme alle Tage zu rechter Zeit. Wir haben uns nur dies armselige Leben noch mehr verhunzt, da wir seine ungekünstelten Freuden in's Schuldbuch der Pfaffen schreiben ließen; da wir dem Gemeinen, dem Menschlichen, einen eklen Accent gaben und uns gegenseitig wegen unsrer nicht zu umgehenden Natur widerlich machten. Nur die Schönheit kann uns erheben und kräftigen, nur die Schönheit darf unsere Moral sein; die jetzige Moral mit ihren kleinen Sünden und Tugenden entnervt unsre höchste Natur, verdirbt uns. Sollen wir also dieses nutzlose, schädliche Pfaffengeschwätz noch einmal zwei Tausend Jahre mitanhören? Sollen wir noch ferner dieses verschimmelte Brod und dieses Sumpfwasser genießen, während uns die saftige Frucht und die sprudelnde Quelle des Volksgeistes winkt? Sollen wir diese Monologe der schwarzen und bunten Komödianten noch länger dulden, die, mit demselben Fleisch, mit denselben Trieben wie wir begabt, uns ein dummfrommes, entsagendes Gesicht schneiden und ihren auswendig gelernten Kram abjammern? Aach!... ich möchte gähnen können mit einem Hydrarchos-Rachen.

Woran liegt es, dass sich der Mensch nicht aufschwingt aus seiner so hochbegabten Niedrigkeit? Dass sich die Menschen in Wort und Tat belügen, betrügen und knechten, dass sie nicht die Kraft und den Stolz haben, zu sein, sondern nur die erbärmliche Sucht zu scheinen; dass sie nicht leben und schaffen in Liebe und Freiheit, sondern gelebt werden von der Furcht und Gewöhnlichkeit? Die freiesten Völker sind um ein Weniges besser als die geknechtetsten; der kleine, boshafte Egoismus des Individuums wird durch die bloß politische Freiheit nicht vertrieben: er hängt sich nur den Mantel der Menschenliebe um, oder versteckt sich hinter die Nation und wuchert und betrügt in Gemeinschaft. Selbst in den Republiken haben Herrschsucht, Hass und Neid ihre Throne aufgeschlagen. Nirgend sind die Völker in der Schönheit, in der wahren Tugend größer geworden. Was unsere Seele durch Kunst und Wissenschaft gewinnt, verliert sie in dem Schnürleib der Convention und des Glaubens. Dieser Letztere namentlich beschneidet alle Flügel, welche der Menschheit wachsen. Unsre Religionen haben ein falsches Prinzip: den Ernst. Alles, wohin sie geraten, selbst den rosigsten Frühling, machen sie langweilig. Die Blumen vertrocknen, die Nachtigallen gähnen, wenn man den Koran einer Religion in ihrer Nähe bringt. Diese Welt, die wir Erde nennen, ist die Welt des Humors; ihre beiden Pole sind Lachen und Weinen; die Achse, um welche sie sich dreht, ist der Genuss; die Sonne, um welche sie fliegt, die Schönheit, Freiheit oder Liebe, der wechselnde und kalte Mond ihr Verstand, der Frühling ihre Freude, der Winter ihr Schmerz. Den faden, lauen, philisterhaften, langweiligen Ernst, den unsre Welt gar nicht kannte, diesen Krankheitsstoff, mit dem sie noch immer ringt, hat uns die Religion, oder besser gesagt, die Pfafferei gegeben. Um die heitre Schönheit, um die Seligkeit des Genusses, um die Heiligkeit des Scherzes hat sie uns zu Gunsten der Tyrannei betrogen; die holden Götter oder den schönen und nahen Gott, der die Menschen aus allen Sternen anblickte, aus allen Blumen anhauchte, aus dem Sturm und mit dem Donner zur Größe weckte, wenn wir im Kleinlichen eingeschlummert waren, und sich in der süßen Sünde opfern und anbeten ließ: diesen Allgott, der Alles beseelt und lachen macht, hat uns die Pfafferei gestohlen und uns dafür ein fernes, ernstes Phantom, für diese lebendige Unsterblichkeit eine zukünftige, eine Redensart gegeben. An diesem ewigen, unvermeidlichen Ernste, der in ihre Poren gedrungen, geht unsere Welt zu Grunde, wenn sie sich nicht bald von ihm befreit. Man hat gesagt, der Mensch sei eine ernsthafte Bestie. Aber er ist nicht ernsthaft, weil er Bestie ist, sondern er ist Bestie, weil er ernsthaft wurde. Darum sind wir Alle am glücklichsten und herzigsten, wenn wir lachen. Das Gähnen ist die Pest, an welcher die Menschheit stirbt; das Gelehrtentum ist ihre furchtbarste Tyrannei und Inquisition, der Ernst ihre größte Sünde, weil sie ihr nicht mitgegeben wurde. Die Welt kann nur gesund und genial werden, wenn sie den Ernst auslacht. Eh' nicht die Schönheit unser Glaube, die Hässlichkeit Verbrechen, eh' nicht unser Gott lustig wird, eher wird der Mensch, trotz seiner göttlichen Kraft, mit seinen vom Ernste gebundenen Flügeln am Boden der Niedrigkeit liegen und vergebens mit Kunst und Wissenschaft zappeln. Der Ernst ist das Mittelmäßige und das Mittelmäßige ist das Schlechteste, denn es ist langweilig. Zwischen die höchste Erhabenheit und Schönheit, die wir Gott nennen, und dem witzig negierenden Satan haben uns die Pfaffen einen Philister erfunden, der unsre Seele austrocknet. Aach!

Ich will in den Wald, auf die Berge, in meine unverdorbene Natur gehen. Du, Witz, der du das tiefste Gefühl hast, begleite mich.


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