herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)
Zitierweise / cite as:
Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Herr Buffey im Tugendverein. -- 1846. -- Fassung vom 2004-09-21. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/glassbrenner06.htm
Erstmals publiziert: 2004-09-21
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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik von Tüpfli's Global Village Library
Ursprünglich erschienen als Heft 24 von: Berlin wie es ist und — trinkt. -- Leipzig: Jackowitz, 1846
Wieder abgedruckt in:
Glaßbrenner, Adolf <1810 - 1876>: Unsterblicher Volkswitz : Adolf Glassbrenners Werk in Auswahl / Hrsg. von Klaus Gysi u. Kurt Böttcher unter Mitarb. von J. Schubert. Mit Ill. von Theodor Hosemann [u.a.]. -- Berlin : Das neue Berlin, 1954. -- 2 Bde. -- Bd. 1. -- S.
Abb.: Herr Buffey im Tugendverein
Herr Buffey im Tugendverein
Herr Buffey (tritt mit seinem Sohn Wilhelm zur Tür herein; sehr laut).
Bin ick hier recht in de Tugend?
Mehrere Stimmen. Still!
Herr Buffey (sehr laut). Wieso? Ick frage man bloß, ob des hier die preuß'sehe
Tugend is, die protestant'sche, von die ick so viel gehört habe? Ich muss mir
doch als Bürjer, der mit seine Zeit fortschreiten will, orjenticren, nennt man
des! (Pause.) Na, keene Antwort?
Vorsteher Ibikus (mit feiner, halb singender Stimme). Der soeben eingetretene
Bruder wird ersucht, sich ruhig und in Demut zu verhalten, zu tun, was wir tun:
sein Herz ausschütten in reuevoller Erkennung seiner grenzenlosen
Sündhaftigkeit!
Herr Buffey. Wer? Als wie ich? (Heftig.) Des is ja beleid'jend! Wie können Sie
denn, anonym nennt man des, von meine jrenzenlose Sündhaftigkeit reden? Sie
kennen mir ja jar nich! Wer Ihnen des gesagt hat, dess ich jrenzenlos sündhaft
bin, des is jefälligst en Esel! Ick zahle meine Steuern, jebe an die Armen, due
nischt Böses un intressiere mir vor den Staat, vor den Fortschritt, heeßt des,
was man so nennt! Wieso is des jrenzenlose Sündhaftigkeit? Wenn Sie sich des
noch mal unterstehen, zu mir als Bürjer zu sagen, denn können Sie jefälligst
einen Katzenkopp jenießen! Ick bin hier nich herjekommen, um Jrobheiten zu
hören, ick will weiter nischt als die vaterländsche Tugend kennenzulernen, weil
es meine Schuldigkeit als Staatsmitjlied is, alle Kulturspitzen, nennt man des,
kennenzulernen, persönlich!
Vorsteher Ibikus (wie oben). Der neue geliebte Bruder ist noch nicht von der
Demut durchdrungen, welche die Hauptzierde des wahren und echten Christen,
welches die himmlische Tochter der Tugend ist. Der geliebte Bruder lasse seinen
miserablen Körper...
Herr Buffey (ihn unterbrechend, sehr heftig). Wat sagen Sie? Mein Körper
miserabel?
Vorsteher Ibikus (ruhig fortfahrend). ...lasse seinen miserablen, staubigen
Körper auf eine jener Bänke nieder und lerne in unsrer frommen und mäßigen
Gesellschaft, in unserm jlaubenssüßen Verein diejenigen Formen, welche der
ewige, engelreine und unantastbare Inhalt erfordert, oder er kehre die Füße
seines miserablen, staubigen Körpers um und trage denselben hinaus in die
Verdammnis der lauten, verbrecherischen Welt, welche da ist voll gemeiner
sinnlicher Liebe, voll sogenannter geistvoller und poetischer Schriften, voll
des Weines und Schnapses, voll der Schauspiele und Lustbarkeiten und Greuel
aller Art! Aber bemerken müssen wir dem geliebten Bruder, dass er künftighin
nicht kommen darf mit dem Erben seiner Sünde, da dieser
noch nicht das rechte Maß hat, das Maß der Erkenntnis seiner irdischen
Nichtswürdigkeit und Verflachung.
Herr Buffey. Wie meenen Sie? Ick dachte, dess des jrade hier vor Kinder wäre, un
da ich als Eltern von des Wurm die Verpflichtung habe, ihn - wie soll ich sagen?
- mit alle Klugheiten un Dummheiten der Welt bekanntzumachen, so hab' ich 'n
hier ooch mit herjenommen. Überjens aber, wenn es Ihnen intressiert, jeliebter
Bruder! dess mein Sohn nich bei sein soll bei die Tugend hier, denn kann er
künftig zu Hause bleiben un auf seine eijne Hand tugendhaft sind. Sonst,
jebrauchen können Sie ihn: dumm is er, davor kann ick Ihnen als Vater bürjen,
mithin, wenn er was lernen könnte, so wäre des keene Verschwendung.
Vorsteher Ibikus. Einfalt ist gottgefällig.
Herr Buffey. Ja, un staatsjefällig ooch.
Vorsteher Ibikus (zu allen). Lassen Sie uns, fortfahren, geliebte Brüder!
(Tiefe Stille. Alle bewegen leise die Lippen.)
Herr Buffey (sieh verwundert umschauend, für sich). Was is'n des?? — Die raten
woll Rebusse? - Ach herrjeh, ne, nu versteh' ick erst! I, i! Des wird ja hier
förmlich fabrikmäßig bedrieben. (Er schickt sich an, ein gleiches zutun.) Na,mitjefangen, mitjehangen! (Er bemerkt,
dass sein Sohn Wilhelm die Decke des
Saales betrachtet und gibt ihm einen Stoß gegen den Kopf, wodurch dieser sich
ungemein tief neigt.) Wülste woll jleich tugendhaft sind, dummer Junge! Wovor
bist 'n hier, Schafskopp? Jleich bewegste de Lippen!
Klempner Schwemmke. Hör'n Se mal, mein Herr, Ruhe is de erste Bürjerpflicht.
Herr Buffey. Ne, des is bloß in Kriegszeiten; im Frieden is Bewejung die erste
Bürjerpflicht.
Mehrere Stimmen. Ruhe!
Klempner Schwemmke (zu Buffey). Sehn Se, wat hab' ick Ihnen
gesagt?
Herr Buffey (Schwemmke ins Ohr). Sagen Se mal, jeht denn des
hier nu immer so weiter? Wie?
Klempner Schwemmke. So ziemlich bleibt sich des janz einjal hier. Denn hernach,
wenn des Lippenbewejen vorbei is, denn wird Nachweis über die Tätigkeit des
Vereins jejeben - ungefähr so, wie über die Finanzen, Sie verstehen mir - und
denn wird ooeh eine sehr erbauliche Rede jehalten, und denn noch eene, un denn werden da aus die jroßen Kasten
bei de Tribüne Erbauungsschriften verteilt, und zwischen dieses allens durch
wird Wasser jedrunken, wer jrade Durscht hat.
Herr Buffey (ihn mit höchst wissbegieriger Miene betrachtend). Un des
zusammenjenommen, des is denn der Verein vor die Tugend?
Klempner Schwemmke. Det schmeichelt sich unsere Tugend zu sind.
Herr Buffey (nachdenkend). Hm! Hör'n Se mal - wat ick sagen wollte - amüsant
scheint mir die Tugend nich sehr zu sind? Wie?
Klempner Schwemmke. Nu ne, jrade amüsant kann man se nich nennen. Aber, ich will
Ihnen sagen, es is doch immer eine Vereinijung von Herren un Damen, un es kommt
dabei immer uf die Empfindung an.
Herr Buffey (immer noch seinem Nachbarn ins Ohr flüsternd). Wieso?
Vorsteher Ibikus (den Kopf erhebend und die Hände zusammenschlagend). Lasset
uns, geliebte Brüder, jetzt jeder ein Glas Wasser trinken!
Herr Buffey (laut, dem Vorsteher zurufend). Kann man nich vor Jeld un jute Worte
en Jlas Weißbier haben? Ich drinke des Abends nie Wasser, des is meine
Anjewohnheit! (Sich zu seinem Sohne umwendend.) Willst du en Jlas Wasser drinken,
Willem?
Wilhelm. Ne, Vater, mir durschtert nich!
Herr Buffey (zum Vorsteher hinaufrufend). Meinen Sohn Willem durschtert ooch
nich!
Abb.: Im Tugenverein
Schneider Peese (zu Herrn Buffey). Hören Se mal, Sie machen sich hier etwas
unbequem! Wenn Sie so fortfahren, denn können Sie teilweise rausjeschmissen
werden!
Herr Buffey (höchlich verwundert). Man nich! Is des hier ooch möglich?
Schneider Peese. Ach, möglich is hier in den Tugendverein allens! Da jibt et jar
nischt, was hier nich möglich wäre. Ich rate Ihnen, jehen Se nach den Disch hin
un drinken Se teilweise en Jlas Wasser. Des beruhigt die Tujendjemüter, die
jejen Ihnen ufjeregt sind.
Herr Buffey. Na, wenn Sie meinen, dess des Wasser beruhigt, denn soll es mir uf
en Jlas nich ankommen. (Nimmt seinen Sohn bei der Hand.) Komm, Willem, der
Tugendverein setzt uns uf en Jlas Wasser.
Wilhelm. Mir durschtert aber nich, Vater!
Herr Buffey. Des schad't nischt, dummer Junge. Vor de alljemeine Tugend
muss man
was verschlucken, det hilft nischt. (Er zieht seinen Sohn nach dem Tische mit
sich fort.)
Vorsteher Ibikus (sein Glas hinsetzend und die Augen dankbar aufschlagend). Ach,
welch ein herrliches, gesegnetes Getränk!
Herr Buffey. I nu, ich will Ihnen sagen: Wasser, als Waschinschtitut, nennt man
des, zieh' ich es den Rebensaft vor, aber indessen als Jedränk kann ick dem
letztern seine Verdienste nich nehmen. Drinken Sie denn nu zum Beispiel nischt
als Wasser?
Vorsteher Ibikus. Niemals einen Tropfen der schmachvollen, die Welt
vernichtenden Spirituosa; nichts als Wasser!
Herr Buffey. Na hören So mal, da wundert mir, det Ihnen nich de Brunnenkresse
aus 'n Mund wächst. Wovor lässt denn nu aber der liebe Jott den Wein wachsen?
Vorsteher Ibikus (mit frommen, dankbaren Augen). Damit wir ihn entbehren können!
- Das ist ja die unendliche Weisheit unsres allmächtigen Vaters! Wüchse kein
Wein, so wäre es keine Tugend, ihn zu entbehren. (Man drängt sich um diese
Gruppe und hört dem Vorsteher aufmerksam zu.) Denn Tugend ist Entbehrung - auf
diese Wahrheit gründet sich unser Verein. Das Wasser hier ist das Symbol all
unsrer geistigen Tätigkeit. Denn unsre menschliche Aufgabe ist es, hier auf
Erden zu entbehren, damit uns dereinst die Seligkeiten des Himmels werden. Alle
Lust, alle Freude, aller Genuss ist Sünde. Wie wir denn also unsere verlangende,
tierisch-begierige Kehle durch Wasser besänftigen und uns eben dadurch über das
Tier erheben, ebenso besänftigen wir unsern nach Freiheit und Wissen
verlangenden Geist durch jene Schriften, durch das Festhalten an dem uns
Gegebenen, durch Verachtung aller Forschung und Reformierung, und indem wir auf
diese Weise die echten und wahren Untertanen, die Grundpfeiler des Staates sind,
sind wir zugleich auch die des Glaubens und die alleinigen Kandidaten des
Himmels. Ich bezeichnete vorher das Wasser als das Symbolum unseres
Tugendvereines. Soll ich euch, geliebte Brüder, dies noch erklärlicher machen,
so richte ich eure Gedanken auf die Sündflut. Mit dieser schwemmte Gott, wie
geschrieben steht, die Sünde von der Welt.
Herr Buffey (sehr ernst). Aber hör 'n Se, der Vater Noah, der alleene jerettet
wurde, der soff doch sehr anständig Wein!
Vorsteher Ibikus. Eben weil die Sünde sich wieder einstellte und bis zu ihrer
jetzigen furchtbaren, grauenhaften Größe anwuchs, sind die Mitglieder des
Tugendvereines gleichsam jeder eine kleine Sündflut, indem sie mit dem Genüsse
des Wassers und der Entbehrung aller Freude und aller Forschung und aller
Freiheit die Sünde der verderbten Welt nach und nach wegschwemmen und sie
dadurch vor einem zweiten gleichen Unglücke, vor ihrem gänzlichen Untergänge
bewahren.
Herr Buffey. Denn könnte sich also eijentlich der Tugendverein Sündflut nennen?
Vorsteher Ibikus. Mit großem Rechte, geliebter Bruder!
Frau Kiezel (zu Frau Lehmann). Sehn Se, Jevattern, nu wird et mir klar, warum
hier viele drunter sind, die so wucherhaft pumpen.
Herr Buffey (ein Glas Wasser ergreifend). Na denn will ich Ihnen des nich
abschlagen; uf en bissken Sündflut soll et mir nich ankommen. (Er trinkt.)
Na nu
war' ick aber wirklich neujierig zu wissen, wem ick in diesen Oogenblicke seine
Sünde fortgeschwemmt hätte?
Vorsteher Ibikus (immer mit frommer Miene und in halb singendem Tone). Oh, mein
geliebter Bruder, wieviel der Sünden magst du noch aus deiner eignen Seele
fortzuschwemmen haben!
Herr Buffey (etwas beleidigt). Na, ick jloobe, bei Ihnen is ooch noch nich
allens reene abgewaschen! So'n kleener Fettfleck von Neid, Verleumdung,
Kriecherei un Sinnlichkeit wird woll Ihre Seele ooch noch uf't Chemisette haben.
(Sich umwendend.) Willem, da haste en Jlas Wasser! Nu sündflute mal los!
Wilhelm. Ne, mir durschtert nich, Vater!
Herr Buffey. Schafskopp, durschtern soll dir ja ooeh jar nich! Wenn dir
durschterte, denn war' et keene Kunst, keen Verdienst, keene Tugend, wenn de
Wasser dränktetest, dränktest! Denn kann jeder Ochse saufen, wenn er Durscht
hat, aber der Mensch muss eben ooch saufen, wenn er keenen Durscht hat! - Haste
denn nich jehört, wat ick dir jesagt habe? Sündfluten sollste! Wenn das Wasser,
was du jetzt 'runterwürjen musst, wenn de keenen Katzenkopp haben willst -wenn
des wieder zum Vorschein kommt, denn hat es 'ne Menge Sündenteile in sich, was
man mineralisch nennt.
Generalin von X. (zur Geheimrätin). Na, das ist wirklich ein merkwürdijer
Mensch. (Die Nase rümpfend.) Wie man solch Objekt hier dulden kann, das is mich
unerklärlich. Nicht wahr, liebe Q.? Das ist ja ein pipoyables Sujet!
Geheimrätin Q. (hält sich Wohlriechendes unter die Nase). Ordineer! In den
Tugendverein kommt auch nachjrade Krethi und Plethi. (Sie betrachtet Herrn Buffey durch ihre Lorgnette.)
Herr Buffey (dies bemerkend, ernst zu Wilhelm). Siechste, hier rejardiert schon
eine alte Dame uf uns. Nu zeige dir mal als jalant, als Kavalier! Drinke mal des
Glas auf dieser alten Dame. (Zur Geheimrätin.) Sie entschuldjen, Madame, ich
kenne Ihnen nich, aber des hier is mein Sohn Willem - (diesem einen Stoß
versetzend) - verneije dir! - und der soll jetzt ein Jlas uf Ihre Tugend drinken,
indem er Ihnen Ihre Sünde wegschwemmt. Wenn et nicht reicht, denn drink' ick
hernach ooch noch en Jlas. (Allgemeines Gelächter, das bisher mit Mühe
unterdrückt war.) Na? Was is'n des? Hier wird ooch jelacht?
Geheimrätin Q. (in größter Heftigkeit). Das ist ja ein janz jemeiner Kerl! Herr
Vorsteher, ich verlange, dass Sie dieses Jeschöpf, diesen Plebejer sogleich
entfernen lassen !
Vorsteher Ibikus. Ja, ich finde auch, dass es die Würde unsres Tu...
Herr Buffey (wendet sieh, aufs höchste beleidigt, gegen die Geheimrätin, wobei
er seinem Sohne aus Versehen das Glas Wasser über den Kopf schüttet). Wie sagen
Sie alte Schachtel? Jemeiner Kerl, Jeschöpf, Plebejer? (Zu Wilhelm.) Drookne dir
ab! (Zur Geheimrätin.) Plebejer? Ich? Rentier Herr Buffey! Bürjer von Preußen un
Plebejer? Hör'n So mal, wenn Sie nich zufällig 'ne Dame wären, des heeßt en
Frauenzimmer, denn kann ick Ihnen versichern, dass meine Hände sehr laute und
schlagende Gedanken haben würden! (Zu Wilhelm.) Da haste mein Schnuppduch, wenn
dein's nich reicht! (Zur Geheimrätin.) Jeschöpf, sagen Sie? Ja, ick bin en
Jeschöpf, denn in Deutschland jibt et viele Millionen Jeschöpse un man wenig
Jeschöpfe! Un ich, Madam, ich bin en Jeschöpf, nämlich en Jeschöpf Jottes, was
keenen Menschen über sich erkennt! Plebejer, sagen Sie? Ja, ich bin en Plebejer
un bin stolz darauf! Sie wissen nich, was en Plebejer is, un daher will ich es
Ihnen sagen, denn ich lese Literatur, weil ich Rentier bin un daher nischt zu
dun habe! Plebejer sind Menschen, die natürlich denken un richtig fühlen,
während die Vornehmen un Jebildeten verschroben sind, un Plebejer sind Menschen,
die noch en bissken Leidenschaft un Mut haben, während die andren ausjelutschte,
eijennutzije, bequeme, kriecherische Schufte sind, die, wenn se ihren Bauch voll
haben un mit den Viertelscommsarius jut stehen, die arme Welt loofen lassen wie
se will. Ick
opponiere mir aber, Madame, wo ick wat Schlechtes un Nioderträchtijes sehe, un
wenn ick ooch dabei manchmal ausjelacht werde, so is doch mein juter Wille da,
un ich tröste mir damit, dess jrade die bedeutendsten Menschen verhöhnt un
verfolgt werden, weil — weil
— weil die Ochsen des lächerlich finden,
dess der
Vogel fliegt. (Zu Wilhelm.) Biste trocken, Willem? Hat dir die Sündflut nicht
jeschad't? Biste nu tujendhaft?
Geheimrätin Q. Herr Vorsteher, wenn Sie diesen Menschen nich...
Vorsteher Ibikus (überreicht Herrn Buffey eine Broschüre). Nehmen Sie dieses Traktätlein, verirrtes Schäflein, und wandern Sie hinaus aus diesem Tempel der
Tugend und Mäßigkeit, bis Sie einst reuig und bekehrt zurückkehren und der
Wohltaten zu jenießen fähig sind, die hier jespendet werden.
Herr Buffey. Verirrtes Schäflein? Ne, hör'n Se mal, den Titel verdien' ich man
zur Hälfte, die andere überlass ick Ihnen. Verirrt hab' ick mir allerdings, det
ick als vernünft'jer Mensch hierhergekommen bin, aber was des Schaf betrifft, so
kann ich Ihnen des nich abnehmen. (Gibt ihm die Broschüre zurück.) Un des
Traktätlein behalten Se man ooch, damit lassen sich bloß Schafsköppe traktieren;
ich lese lieber unsre Dichter. An Ihren Tempel hab' ich nischt auszusetzen, aber
ich jloobe, wenn morgen drin jedanzt oder Komedie jespielt wird, denn is er
würdijer wie heute, anständijer nennt man des! Un Wohltaten, meinen Sie, soll
ich hier jenießen? Ich danke Ihnen jehorsamst! Wasser kann ick überall kriejen,
un um Scheinheiligkeit, Heuchelei heeßt des, zu jenießen, da braucht man in
dieser Welt keen besonders dazu injerichtetes Lokal zu besuchen.
Riemer Rempleer (zu Peese). Der wird sehr eeklich, der Rentier. Aber mir jefällt
er.
Schneider Peese. Mir ooch. Des kann dem Vorsteher nischt schaden, wenn ihm
teilweise de Wahrheit jesagt wird. Denn en Fuchs is es, der Ibikus.
Mehrere Stimmen (sich an Buffey drängend). Hinaus mit dem Ruhestörer!
Andere Stimmen. Ne, worum denn? Der Mann sagt bloß seine Überzeugung!
Schneider Peese. Seine Überzeujung muss hier jeder aussprechen können!
Viele Stimmen, Ne, er is en Verspotter, ein Frevler! 'raus mit ihm!
Herr Buffey (leise zu Wilhelm). Willem, nimm deine Mütze un jeh immer voran.
Warte du draußen uf mir; ick werde sehr wahrscheinlich bald nachkommen. (Wilhelm
geht.) Adje, mein Sohn!
Vorsteher Ibikus (zu Buffey). Trotz unserer Demütigkeit fordern wir Sie jetzt
ernstlich auf, verirrtes Schaf, diesen frommen Stall zu verlassen, widrigenfalls
wir uns gezwungen sehen würden, diesen unsern Stall von seinem Schmutze zu
säubern.
Herr Buffey. Det dun Se nich, jeliebter Bruder Schaf, wenn ick Ihnen en Rat
jeben soll. Wenn Sie diesen Stall hier von seinem Schmutze säubern, denn bliebe
vielleicht keener als ich hier zurück, un dazu bin ick zu jraulich, lieber lief
ick mit 'raus. Denn wenn ich Ihnen, Leithammel, meine aufrichtije Meinung über
Ihnen un Ihre Herde mitteilen soll, denn sag' ick Ihnen: Sie doogen alle
zusammen nischt! (Große Bewegung.) Des is nich natürlich, was hier vorjeht! Des
is jar keen menschliches Bedürfnis, nennt man des, dess sich hier so viele
zusammenrottieren, um Wasser zu drinken un de Lippen zu bewejen un fromme
Jesichter zu schneiden! Det is bloß, wenn ick Ihnen meine Meinung sagen soll,
weil et in den Stultus jerne jesehen wird, wenn
recht ville Anstalten für de Dummheit un de Heuchelei erricht't werden, darum is
et! Wuchrer sind Sie alle zusammen hier, denn det bleibt sich jleich, ob eener
darum wuchert oder deshalb! Vorstehen Sie mir?
Mehrere Stimmen, 'raus mit ihm! (Herr Buffey wird angepackt.)
Herr Buffey (sieh losreißend). Sie lassen mir los, oder ick haue zu, det Sie -
en Fünfdalerschein vorn Traktätlein halten sollen. Ick werde sehr störend, sag'
ick Ihnen, wenn ick böse werde! Aus det verirrte Schaf, sag' ick Ihnen, wird zu
Zeiten en verirrter Wolf, der Rindvieh anfällt. Wenn Sie jlooben, ick fürchte
mir, wenn et wo die Wahrheit jilt, denn zappeln Sie uf'n dicken Irrtum, denn
sehen Se de Krebse vorwärts schreiten! Ick bin schon oft Märtyrer jewesen, un
ick märtyreriere immerzu, un wenn ick ooch zuletzt dahin kommen sollte, wo
jetzt die ehrenwertsten Menschen zu finden sind! Meine Meinung is wie jesagt:
der Tempel hier doogt nischt! Ich, Bürjer Buffey, ich bin fromm, weil ich Jott
verehre un des Jute due und vor Recht un Licht un Wahrheit streite un an de
Armen jebo, so viel ick man immer kann! Aber die Frömmigkeit hier, die kennt
man! Die Frömmigkeit vordreht bloß de Oogen un bewegt de Lippen un red't bloß
fromm: duen dut se nischt, so steht et! (Er wird angepackt.) Lassen Sie mir los,
sag' ick! Während überall Not un Kummer is, verschwendt' Ihr Millionen un lasst
Millionen krepieren un schmeißt die ooch noch in't Unjlück, die Edlen, die des
mitteilen, dess es so is! Ihr blickt ewig uf de Erde 'runter oder oben 'ruf, aber
jradeaus, wie der Mensch soll, seht ihr nie! Statt wat zu bessern, speist ihr
den janzen Kummer un den janzen Hunger mit „Helfjott!" ab un vertröst't die
andern uf'n Himmel, weil ihr ihnen uf de Erde allens fortfrisst! Alle Woche kommt
ihr mal hier zusammen un wascht eure in sechs Dagen ufjehäuften Sünden un
Bosheiten mit Wasser ab un sauft Wasser, weil ihr besoffen jewesen seid un euch
den Katzenjammer verdreiben wollt, während euch draußen der janze jroße
Menschenjammer nich bis an de Kneckseln, jeschweige bis an't Herz kommt! So
steht et, ihr doogt nischt! Tugendverein! Ja Kuchen! Lumpenverein, des is der
wahre Ausdruck!
Alle Stimmen, 'raus mit ihm! Hinaus mit ihm!
Herr Buffey (wird von allen Seiten angepackt und hinausgeschoben, er schlägt
wütend um sich). Da! Da! Ick lasse mir 'rausschmeißen, aber da! (er sehlägt bei
diesem Worte immer) nich umsonst! Et kost't Hiebe, eh'r so'n Mann wie ick aus
'ne Düre kommt. Da! un da! Vorwärts, immer vorwärts! Da! Aber alle Hinterdüren
bei des Vorwärts uf,
damit die 'rausjewiesen werden können, die Wahrheit un Ehre im Leibe haben!
(Sehr nahe am Ausgange.) Da! Hör'n Se mal, Sie da! Sie haben eben von mir uf de
rechte Backe 'ne Maulschelle jekriegt; Sie müssen mir Ihre linke herhalten!
Objleich des immer die rechte Backe is, wo Sie 'ne Maulschelle druf kriejen! Ihr
seid Schelme, Scheinheilije, Schufte, Heuchler! Ihr verdientet, dass ihr anje...
(wird hinausgeworfen).
Herr Buffey. (Auf der Straße.) Na, Willem, biste da? Nich wahr, et hat nich
lange jedauert? Ne, wo eener de Wahrheit sagt, da dauert et nich lange mit ihm.
Na nu kann ick mir erst als wirklicher Ehrenmann betrachten.
Wilhelm. Biste schon wieder 'rausjeschmissen, Vater?
Herr Buffey. Jawoll, mein lieber Sohn. Ich danke dir vor deine Anerkennung. Denn
wer alleweile so lebt, dess er nich angefeindet un vorfolgt wird, det is entweder
en Esel oder en Fuchs, verstehste mir? Na nu, komm zu Hause. Nu können wir ruhig
unser Abendbrot essen, denn wir haben unsre Schuldigkeit jedan. Der Dag war
wieder kein verlorner in meinen Leben.
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