Religionskritische Gedichte

von Heinrich Heine


Ausgewählt und herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Heine, Heinrich <1797 - 1856>: Religionskritische Gedichte. -- Fassung vom 2004-12-01. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/heine02.htm      

Erstmals publiziert: 2004-06-12

Überarbeitungen: 2004-12-01 [Ergänzungen]; 2004-07-02 [Ergänzungen]

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Siehe auch:

Heine, Heinrich <1797 - 1856>: Disputation.  -- 1851. -- Fassung vom 2004-06-11. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/heine01.htm


1819 - 1822


Bang hat der Pfaff sich in der Kirch verkrochen,
Der Herrschling zittert auf dem morschen Thrönlein,
Auf seinem Haupte wackelt schon sein Krönlein
Denn Rousseaus Namen hab ich ausgesprochen.

Doch wähne nicht, das Püpplein, womit pochen
Die Mystiker, sei Rousseaus Glaubensfähnlein,
Auch halte nicht für Rousseaus Freiheit, Söhnlein,
Das Süpplein, das die Demagogen kochen.

Sei deines Namens wert, für wahre Freiheit
Und freie Wahrheit kämpf mit deutschem Sinne:
Schlag drein mit Wort und Schwert, sei treu und bieder.

Glauben, Freiheit, Minne sei deine Dreiheit,
Und fehlt dir auch das Myrtenreis der Minne,
So hast du doch den Lorbeerkranz der Lieder.

Bonn, den 15. Sept. 1820

Erläuterung:

"Rousseau, Jean Jacques, geb. 1712 in Genf, gest. 1778 in Ermenonville bei Paris.

Rousseau, dessen Hauptbedeutung auf literarisch-kulturellem Gebiete liegt, und dessen politische Anschauungen in der französischen Revolution (Robespierre) zur Geltung gekommen sind, gehört teils der Aufklärung an, teils ist er ein Gegner derselben, nämlich des in ihr liegenden Intellektualismus und Rationalismus. Diesem gegenüber betont er das Recht des Gefühls, die Ansprüche des Gemütes und des schlichten, natürlichen Menschenverstandes. Er ist ein Lobpreiser des Natürlichen. Die Preisaufgabe der Akademie zu Dijon beantwortet er dahin, dass die Wissenschaften und Künste zur Verbesserung der Sitten gar nichts beigetragen haben. Die Kultur mit ihrer Künstlichkeit und Unnatur hat den Menschen verdorben, der mit guten Anlagen aus der Natur hervorgegangen ist: »Tout est bien sortant des mains de l'auteur des choses, tout dégenère entre les mains de l'homme«. Das Ideal ist, sich dem Naturzustande möglichst zu nähern, alles fernzuhalten, was den Menschen verbildet. Unter dem Einfluss Lockes stellt Rousseau im »Emil« sein Erziehungsideal auf: naturgemäße Entfaltung der Anlagen des Individuums, Fernhalten von allem Zwang, von allem, was die von Natur gut gerichteten Kräfte der Individualität hemmen oder verbilden kann.

Im vierten Buche des »Emil« bringt Rousseau seine deistische Weltanschauung zum Ausdruck. Die immer weitergehende ursächliche Reihe der Bewegungen in der Natur weist schließlich auf einen Willen hin, der alles bewegt, und die Materie verrät durch ihre Gesetze eine Weltintelligenz. »Ich glaube also, dass ein Wille das Weltall bewegt und die Natur beseelt.« »Weist die bewegte Materie einen Willen nach, so deutet die nach bestimmten Gesetzen bewegte Materie auf einen Verstand hin.« Gottes Wesen erkennen wir nicht, aber seine Existenz gibt sich uns im Gemüte kund. »Ich glaube demnach, dass die Welt von einem mächtigen und weisen Willen regiert wird; ich sehe es oder empfinde es vielmehr.« Gott ist das Wesen, welches das Weltall bewegt und alle Dinge ordnet. Gott hat Macht, Willen und Güte. Der Kultus der Gottheit ist mir von der Natur selbst eingegeben, er entspringt Gefühlen der Liebe und Dankbarkeit. Sicher steht auch meine Willensfreiheit als Freiheit, das zu wollen, was mir heilsam ist. Der Mensch ist in seinen Handlungen frei und von einer immateriellen Seele beseelt, welche unsterblich ist. Gott ist die absolute Anschauung, er sieht alles, was ist und sein kann in Einem. Je weniger ich Gott begreife, desto mehr bete ich ihn an. Alles, von dem mir mein Gefühl sagt, dass es gut ist, ist auch wirklich gut. Das Gewissen ist die Stimme der Seele, es täuscht, uns niemals. In der Tiefe der Seele liegt ein angeborenes Prinzip der Gerechtigkeit und Tugend, ein angeborenes Gefühl für das Gute, welches unabhängig von der Vernunft ist. Das alles sind Grundsätze der natürlichen Religion, Gott verlangt als Kultus nur den Dienst des Herzens. Es gibt keine Religion, die von den Pflichten der Moral entbindet, diese macht das eigentliche Wesen der Religion aus. Von zwei Extremen muss man sich fernhalten: »Die hochmütige Philosophie führt zur Freigeisterei, wie blinde Frömmigkeit zum Fanatismus«. Darauf kommt es an, dass der Mensch hienieden seine Pflichten erfüllt (vgl. Kant).

Im »Contrat social« zeigt R., wie die Unmöglichkeit der Erhaltung des Naturzustandes zu einem (stillschweigenden, fiktiven) Gesellschaftsvertrage führt, durch welchen die Gesamtheit der Wollenden ihre Freiheit auf einen Gesamtwillen (»volonté générale«) überträgt. Die persönliche Freiheit ordnet sich so der Gemeinschaft unter (einem »corps moral et collectif«), dem Staate als dem Organe des Volkswillens, der allen gleiche Rechte gewähren muss. Das Wohl der Individuen ist der Zweck der Gesellschaft: Freiheit und Gleichheit sind der Zweck staatlicher Gesetzgebung. Die Souveränität, die legislative Gewalt gehört dem Volke, welches der Regierung die exekutive Gewalt verleiht.

Der Einfluss Rousseaus war ein nachhaltiger. In Deutschland haben von ihm Herder, Hamann, Goethe, Kant, Schiller u. a. Einwirkungen erfahren."

[Quelle: Eisler, Rudolf <1873-1926>: Philosophen-Lexikon : Leben, Werke und Lehren der Denker. -- Berlin : Mittler, 1912. -- 889 S. -- S. 613f.]


Ich glaub nicht an den Himmel,
Wovon das Pfäfflein spricht;
Ich glaub nur an dein Auge,
Das ist mein Himmelslicht.

Ich glaub nicht an den Herrgott,
Wovon das Pfäfflein spricht;
Ich glaub nur an dein Herze,
'nen andern Gott hab ich nicht.

Ich glaub nicht an den Bösen,
An Höll und Höllenschmerz;
Ich glaub nur an dein Auge,
Und an dein böses Herz.


Mir träumt': ich bin der liebe Gott,
Und sitz im Himmel droben,
Und Englein sitzen um mich her,
Die meine Verse loben.

Und Kuchen ess ich und Konfekt
Für manchen lieben Gulden,
Und Kardinal trink ich dabei,
Und habe keine Schulden.

Doch Langeweile plagt mich sehr,
Ich wollt, ich wär auf Erden,
Und wär ich nicht der liebe Gott,
Ich könnt des Teufels werden.

Du langer Engel Gabriel,
Geh, mach dich auf die Sohlen,
Und meinen teuren Freund Eugen
Sollst du herauf mir holen.

Such ihn nicht im Kollegium,
Such ihn beim Glas Tokayer;
Such ihn nicht in der Hedwigskirch,
Such ihn bei Mamsell Meyer.

Da breitet aus sein Flügelpaar
Und fliegt herab der Engel,
Und packt ihn auf, und bringt herauf
Den Freund, den lieben Bengel.

Ja, Jung, ich bin der liebe Gott,
Und ich regier die Erde!
Ich habs ja immer dir gesagt,
Dass ich was Rechts noch werde.

Und Wunder tu ich alle Tag,
Die sollen dich entzücken,
Und dir zum Spaße will ich heut
Die Stadt Berlin beglücken.

Die Pflastersteine auf der Straß,
Die sollen jetzt sich spalten,
Und eine Auster, frisch und klar,
Soll jeder Stein enthalten.

Ein Regen von Zitronensaft
Soll tauig sie begießen,
Und in den Straßengössen soll
Der beste Rheinwein fließen.

Wie freuen die Berliner sich,
Sie gehen schon ans Fressen;
Die Herren von dem Landgericht
Die saufen aus den Gössen.

Wie freuen die Poeten sich
Bei solchem Götterfraße!
Die Leutnants und die Fähnderichs,
Die lecken ab die Straße.

Die Leutnants und die Fähnderichs,
Das sind die klügsten Leute,
Sie denken, alle Tag geschieht
Kein Wunder so wie heute.


 Almansor


Abb.: Kathedrale in der ehemaligen Moschee von Cordoba

1.

In dem Dome zu Cordova
Stehen Säulen, dreizehnhundert,
Dreizehnhundert Riesensäulen
Tragen die gewalt'ge Kuppel.

Und auf Säulen, Kuppel, Wänden
Ziehn von oben sich bis unten
Des Korans arab'sche Sprüche,
Klug und blumenhaft verschlungen.

Mohrenkön'ge bauten weiland
Dieses Haus zu Allahs Ruhme,
Doch hat vieles sich verwandelt
In der Zeiten dunkelm Strudel.

Auf dem Turme, wo der Türmer
Zum Gebete aufgerufen,
Tönet jetzt der Christenglocken
Melancholisches Gesumme.

Auf den Stufen, wo die Gläub'gen
Das Prophetenwort gesungen,
Zeigen jetzt die Glatzenpfäfflein
Ihrer Messe fades Wunder.

Und das ist ein Drehn und Winden
Vor den buntbemalten Puppen,
Und das blökt und dampft und klingelt,
Und die dummen Kerzen funkeln.

In dem Dome zu Cordova
Steht Almansor ben Abdullah,
All die Säulen still betrachtend,
Und die stillen Worte murmelnd:

»Oh, ihr Säulen, stark und riesig,
Einst geschmückt zu Allahs Ruhme,
Jetzo müsst ihr dienend huld'gen
Dem verhassten Christentume!

Ihr bequemt euch in die Zeiten,
Und ihr tragt die Last geduldig;
Ei, da muss ja wohl der Schwächre
Noch viel leichter sich beruh'gen.«

Und sein Haupt, mit heiterm Antlitz,
Beugt Almansor ben Abdullah
Über den gezierten Taufstein,
In dem Dome zu Cordova.


1822 - 1824


Den König Wiswamitra,
Den treibts ohne Rast und Ruh,
Er will durch Kampf und Büßung
Erwerben Wasischtas Kuh.

O, König Wiswamitra,
O, welch ein Ochs bist du,
Dass du so viel kämpfest und büßest,
Und alles für eine Kuh!

Erläuterung: bezieht sich auf einen indischen Mythos:

"Auch der Heilige Vasischtha, der übermenschliche Seher in mythischer Frühzeit, besaß solch eine Wunderkuh, und König Vischvamitra kam auf der Jagd zu seiner Einsiedelei, wie Kartavirya zu Jamadagni, er wurde wie jener wunderbar bewirtet und wollte die Kuh rauben. Der Heilige konnte seiner Gewalt nicht mit Gewalt begegnen, sowenig wie Jamadagni dem Minister, der ihn ohne Gegenwehr erschlug, denn gewaltlose Hoheit ist Richtschnur und Waffe der Heiligen und Brahmanen. Aber auch Vischvamitra gelang es nicht, die Kuh zu entführen: die Sanfte wehrte sich rasend, in ihrem Zorne sprühte sie Krieger aus ihrem Leibe, ganze Heere fremder Völker, die das Gefolge des Königs überwältigten. Da wich Vischvamitra, er sah die Ohnmacht seiner Herrlichkeit als Fürst und Krieger, gemessen an der magischen Gewalt des Heiligen; da ging er in die Wildnis und ergab sich glühender Askese, um das Unerreichbare zu erzwingen. Darauf geht Heines Vers:

»O König Vischvamitra,
Was für ein Ochs bist du,
Daß du tust singen und beten,
Und alles für eine Kuh.«

Aber es war — trotz Heine — eine Kuh, um die zu ringen sich lohnte; im Besitz der Heiligen, schließlich auch bei Indra selbst erscheint sie als riesiges »Tischlein-deck-dich« oder »Wunschsäckel«, aber ursprünglich war sie, als alter Besitz des Regen und Blitze sendenden Gottes die göttliche Himmelskuh selbst: der Himmel als Lebensmilch triefende Kuh, wie Alt-Ägypten sie gemalt hat und wie die Veden sie als »Scheckige« erinnern, die den Wind- und Sturmgöttern das Leben gab. Sie hat sich sacht vom Firmament gelöst, ist zum freischwebenden mythischen Requisit geworden, aber sie entschwebt gen Himmel und scheint damit zu sich selber heimzukehren, zu ihrem angestammten Wesen. Als Gabenquell des schenkenden Indra ist die Wunderkuh mit ihrer Milch, die wahlweis alle erwünschte Gestalt annimmt, leibhafte Erscheinung seiner Mayakraft, Phantasmagoricn hervorzuzaubern, die den davon Bezauberten als Wirklichkeit befangen. So verkörpert auch die Wunderkuh beim Asketen Jamadagni die Zauberkraft seiner Glutgewalt: eine ganze Palaststadt entsteht im Nu — am anderen Morgen ist es ein leerer Fleck im Dschungel."

[Quelle: Zimmer, Heinrich´<1890 - 1943>: Maya : d. ind. Mythos / Heinrich Zimmer. Hrsg. u. eingeleitet von Friedrich Wilhelm. -- Frankfurt am Main : Insel-Verlag1978. -- 504 S. : 12 Ill. --  Erstdruck in d. Dt. Verlags-Anst., Stuttgart, Berlin 1936. -- 3-458-05881-8. -- S. 226f.]


Ich rief den Teufel und er kam,
Und ich sah ihn mit Verwundrung an.
Er ist nicht hässlich und ist nicht lahm,
Er ist ein lieber, scharmanter Mann,
Ein Mann in seinen besten Jahren,
Verbindlich und höflich und welterfahren.
Er ist ein gescheuter Diplomat,
Und spricht recht schön über Kirch und Staat.
Blass ist er etwas, doch ist es kein Wunder,
Sanskrit und Hegel studiert er jetzunder.
Sein Lieblingspoet ist noch immer Fouqué.
Doch will er nicht mehr mit Kritik sich befassen,
Die hat er jetzt gänzlich überlassen
Der teuren Großmutter Hekate.
Er lobte mein juristisches Streben,
Hat früher sich auch damit abgegeben.
Er sagte, meine Freundschaft sei
Ihm nicht zu teuer, und nickte dabei,
Und frug: ob wir uns früher nicht
Schon einmal gesehn beim spanschen Gesandten?
Und als ich recht besah sein Gesicht,
Fand ich in ihm einen alten Bekannten.

Erläuterung:

"Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843):

Friedrich de la Motte Fouqué zählte neben Freunden wie E.T.A. Hoffmann und Heinrich von Kleist zu den bedeutendsten Dichtern der deutschen Romantik. Der einer alten Hugenottenfamilie Entstammende griff in seinen Werken vor allem auf Sagen-, Märchen- und Ritterstoffe zurück. Besondere literarische Bedeutung kommt Fouqué hinsichtlich des Nordens zu. Den Auftakt bildete seine auf altnordischen Quellen fußende Dramentrilogie Der Held des Nordens (1808). Noch Richard Wagner nutzte diese Bearbeitung als Vorlage fär seine weltbekannte Operndichtung Ring des Nibelungen (1857)."

[Quelle: http://www.fouque-gesellschaft.de/fou1.html. -- Zugriff am 2004-06-12]

Hekate ist in der griechischen Mythologie die Göttin der Zauberkunst und der Wegkreuzungen.


1824 - 1826


Einem Abtrünnigen
O des heilgen Jugendmutes!
O, wie schnell bist du gebändigt!
Und du hast dich, kühlern Blutes,
Mit den lieben Herrn verständigt.

Und du bist zu Kreuz gekrochen,
Zu dem Kreuz, das du verachtest,
Das du noch vor wenig Wochen
In den Staub zu treten dachtest!

O, das tut das viele Lesen
Jener Schlegel, Haller, Burke —
Gestern noch ein Held gewesen,
Ist man heute schon ein Schurke.

Erläuterung:

"SCHLEGEL, (Karl Wilhelm) Friedrich von, Philosoph und Dichter, * 10.3. 1772 in Hannover als jüngster Sohn des Generalsuperintendenten Johann Adolf Schlegel; Bruder von August Wilhelm Schlegel, seit 1804 verh. mit Dorothea Veit, + 12.1. 1829 in Dresden. »In meinem Leben ist ein beständiges Suchen nach der ewigen Einheit (in der Wissenschaft und in der Liebe) und ein Anschließen an ein äußeres, historisch Reales oder ideal Gegebenes; zuerst Idee der Schule und einer neuen Religion der Ideen — dann Anschließen an den Orient, an das Deutsche [...], endlich an die Kirche, da sonst überall das Suchen nach Freiheit und Einheit vergeblich war. — War jenes Anschließen nicht ein Suchen nach Schutz, nach einem festen Fundamente?« (Tagebucheintrag von 1817) Schlegel selbst tritt mit dieser Äußerung Deutungskonzeptionen vehement entgegen, die sein Leben und Schaffen durch den 1808 erfolgten Übertritt zur katholischen Kirche in zwei Hälften zerfallen sehen: hier das theoretisierende Genie der Frühromantik, dort der dem Katholizismus anheimgefallene alternde Philosoph im Dienste Metternichscher Restauration. Die Suche nach dem festen Fundament durchzog tatsächlich Schlegels ganzes Leben; nicht zu übersehen bleibt hingegen die Diskrepanz zwischen dem hohen Bekanntheitsgrad und der weitreichenden Wirkung seines früheren Schaffens und der demgegenüber nur in sehr viel geringerem Maße erfolgten Rezeption seiner philosophischen Systeme der späteren Jahre. — Bereits der äußere Lebenslauf zeigt sich geprägt von steter Wanderschaft und Suche. Nach einer abgebrochenen Kaufmannslehre widmete sich der schwierige Knabe dem Studium und eignete sich mit hoher Auffassungsgabe vor allem die alten Sprachen an sowie Geschichte, Literatur und Philosophie des Altertums. Diese Art philologisch-philosophischen Grundlagenstudiums betrieb er neben dem der Jurisprudenz in Göttingen (1790/91) und Leipzig (1791-1793) intensiv weiter. 1793 entsagte er der Rechtwissenschaft und versuchte unter dem Einfluss Caroline Böhmers, sich als freier Schriftsteller zu etablieren. Auf zwei Jahre in Dresden folgte 1796/97 ein erster Aufenthalt in Jena, schließlich seit Juli 1797 die Berliner Zeit, in der er u.a seiner späteren Lebensgefährtin und Frau Dorothea Veit, der ältesten Tochter Moses Mendelssohns, Friedrich Daniel Schleiermacher und Ludwig Tieck nahetrat. Als eigentlicher Höhepunkt im Leben und Schaffen Schlegels sind wohl die Jahre von 1798 bis 1801 anzusehen. Der Übersiedlung nach Jena im Herbst 1799 war im Jahr zuvor die Begründung der Zeitschrift »Athenäum« zusammen mit dem Bruder August Wilhelm vorausgegangen. Neben den Gebrüdern Schlegel versammelte sich mit deren wesentlichen Mitarbeitern zugleich der Kern der frühromantischen Schule in Jena zu gemeinsamem Leben und literarischem Schaffen: Caroline Böhmer und Dorothea, Friedrich von Hardenberg (Novalis), mit Schlegel seit den Leipziger Studienjahren eng befreundet, Ludwig Tieck; hinzu gesellten sich die Philosophen Fichte und Schelling. Kaum zwei Jahre dauerte freilich diese Jenaer Symbiose. Bereits 1800 musste das »Athenäum« mit dem dritten Jahrgang sein Erscheinen einstellen; Novalis starb im März 1801, August Wilhelm ging nach Berlin. Schlegel, in permanenten Existenznöten, versuchte vergeblich, sich in Jena als Privatdozent für Philosophie zu etablieren, und verließ die Stadt nach diesem Misserfolg im April 1801. In den folgenden Jahren äußerer wie innerer Wanderungen, die Schlegel zunächst wieder nach Dresden, dann, 1802, nach Paris führten, dehnte er seine »Suche nach dem festen Fundament« auf andere Gebiete aus. Mythologie und Mystik, bildende Kunst und Geschichte besetzten zunehmend die entscheidenden Positionen seines Denkens. Umfangreiche Sanskritstudien legten in den Paris den Grund zum späteren Werk über »Sprache und Weisheit der Indier« (1808). Noch in Paris heiratete er im Frühjahr 1804 Dorothea — gleichfalls ein Hinweis auf eine veränderte Lebensanschauung — , um schließlich auf eine Einladung der Gebrüder Boisserée hin, denen er 1803/04 ein Privatissimum über die Geschichte der europäischen Literatur gehalten hatte, nach Köln überzusiedeln. Auch dort wartete aber weder eine eigentliche Stelle noch ein ausreichendes Einkommen auf ihn. Erst nachdem er 1808 die lange geplante Konversion zum Katholizismus vollzogen hatte, gelang es August Wilhelm, ihn nach Wien zu vermitteln. 1809 erhielt Schlegel eine Anstellung als Hofsekretär. Von 1815 bis 1818 diente er als österreichischer Legationsrat beim Bundestag in Frankfurt. Allerdings litt seine Tätigkeit auf dem Felde der Diplomatie ebenso unter mangelndem Sinn für die Erfordernisse real-alltäglicher Politik wie seine politische Publizistik, die der geschichtsphilosophischen Spekulation zu viel Raum ließ und wohl auch zu katholisch und zu wenig österreichisch war, um den Anforderungen Metternichs genügen zu können. Seit 1818 wieder zurück in Wien widmete sich Schlegel fortan unermüdlicher Arbeit an seinen eigenen Denkgebäuden, insbesondere der Ausarbeitung großer philosophischer Systeme in Form von Vorlesungszyklen. Auf einer Vortragsreise starb er im Januar 1829 in Dresden. — Fand Schlegel im Zyklus von Vorlesungen die eigentliche Ausdrucksform seines Spätwerkes, so verdichtete sich im Fragment das weltanschauliche Substrat seiner frühen Jahre. Beides verbindet freilich die Neigung zur essayistischen Abhandlung, zum Aufsatz, zur Kritik, zum »Gespräch« als literarischer Form sowie die Publikation im Rahmen von »Zeitschriften«. Um die »größten Tendenzen des Zeitalters«, wie er sie im Athenäumsfragment 216 benannte, die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes »Meister«, bewegt sich — cum grano salis — inhaltlich das Denken des jüngeren Schlegel Hatten bereits seine Studien zur Literatur des Altertums die Frage nach Freiheit und Schönheit gestellt, die Erscheinungen künstlerisch autonom, frei schaffender Individuen innerhalb dieser Literatur verfolgt sowie die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit ihr dargelegt (v.a. Vom ästhetischen Wert der griechischen Komödie; Über das Studium der griechischen Poesie; Über die Diotima), so versuchte er nun, diese Erkenntnisse in Zusammenhang mit den drei »größten Tendenzen« zu einer Theorie des schöpferischen Menschen als höchster Ausprägung des Menschlichen zu integralisieren. »Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein« (Lyceums-Fragment 115). Dem Künstler und seiner autonomen schöpferischen Potenz eigne »Willkür«, die »kein Gesetz über sich leide«. Im »Republikanismus« andererseits liege das Wesen der neuen Poesie. »Die Poesie ist eine republikanische Rede, eine Rede, die ihr eignes Gesetz und ihr eigner Zweck ist, wo alle Teile freie Bürger sind und mitstimmen dürfen« (Lyceums-Fragment 62). In der Definition romantischer Poesie als »progressiver Universalpoesie« im 116. Athenäumsfragment fand Schlegel zur klassischen Formulierung dieser Bestrebungen; im gemeinsamen Wirken des frühromantischen Jenaer Kreises schien zumindest zeitweise jene angekündigte »ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste« anbrechen zu können, »wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde, dass es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehre sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten« (Athenäums-Fragment 125). — Schlegels einziges dichterisches Werk von langanhaltender Nachwirkung, der Roman »Lucinde« (1799), versuchte auf andere Weise, diese poetologischen Vorgaben umzusetzen. Seine Berühmtheit datiert jedoch weniger von daher, sondern resultiert vielmehr aus skandalsüchtigen Reduktionen des in ihm thematisierten Verlangen Schlegels nach der »ewigen Einheit [...] in der Liebe« auf die Ebene des rein Sinnlichen sowie deren Verknüpfung mit den zweifellos vorhandenen autobiographischen Rückbezügen des Romans auf das Verhältnis Schlegels und Dorotheas. Die kunstvoll gedrechselten Verskaskaden des Trauerspiels »Alarcos« (1802) schließlich fielen, obwohl von Goethe in Weimar aufgeführt, unmittelbar der Vergessenheit anheim. — Nach dem Auseinanderbrechen des Jenaer Kreises teils infolge zwischenmenschlicher Spannungen, teils infolge der Unvereinbarkeit der jeweiligen persönlichen Interessen und Fähigkeiten, galt für Schlegel die Suche nach dem festen Fundament im Sinne einer »Idee der Schule« sowie »einer neuen Religion der Ideen« als gescheitert. In den Mittelpunkt seines Denkens rückte zunehmend die Frage einer veränderten inhaltlichen Füllung seines Religionsbegriffes sowie — seit 1800 eigentlich schon (»Ideen«-Fragmente des dritten Athenäum-Bandes, »Rede über die Mythologie« im »Gespräch über die Poesie«) — das Bemühen um eine »Mythologie« als neuem geistigen Kern seiner Poetik. »Das Zentrum der Poesie ist in der Mythologie zu finden und in den Mysterien der Alten« (»Ideen«-Fragment 85). Vom subjektiven Idealismus kehrte Schlegel damit zurück zum Studium konkreter geistesgeschichtlicher, letztendlich aber auch geschichtlicher Erscheinungen im allgemeinen. Die philologischen Studien seiner Pariser Jahre eröffneten ihm indische Philosophie und Mythologie ebenso wie die provenzalische Literatur des Mittelalters. Wichtiger noch für die Wendung zum Katholizismus sowie Schlegels damit untrennbar verbundene Entdeckung des mittelalterlichen Kaiserreiches sowie des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation als eines geschichtspolitischen Modells erscheint aber die ebenfalls in Paris begonnene Auseinandersetzung mit der christlichen Malerei des Mittelalters und der Renaissance, deren Ergebnisse er in Form von Gemäldebeschreibungen in seiner Zeitschrift »Europa« (1803-1805) publizierte. Mit diesen wie auch mit dem Aufsatz »Reise nach Frankreich«, der 1803 das »Europa«-Projekt eröffnete, trat Schlegel in jene Phase seines Schaffens ein, die als sein »Spätwerk« gilt und die, vom »Anschließen an das Deutsche [...], endlich an die Kirche« geprägt, ein deutlich konservativ-katholisches Weltbild auf der Basis religions-, sprach- und geschichtsphilosophischer sowie politischer Reflexion entwickelt. Das geplante universale »System der christlichen Philosophie« konnte Schlegel jedoch nicht mehr vollständig ausarbeiten; als dessen Eckpfeiler erscheinen die Kölner Vorlesungen über Universalgeschichte von 1805/06, von Schlegel in seinem letzten vollständigen Vorlesungszyklus von 1828, »Philosophie der Geschichte«, wieder aufgegriffen (veröffentlicht 1829), die »Philosophie des Lebens« (1828), schließlich die »Philosophie der Sprache und des Wortes«, über deren Abfassung Schlegel in Dresden verstarb. Wenn er dagegen mit den Wiener Vorlesungen über neuere Geschichte von 1810/11 sowie mit dem »Concordia«-Aufsatz von 1820/23 eher vordergründig-tagespolitische Zielsetzungen verfolgte, so fügen sich doch auch diese als sinnvolle Ergänzungen in das System ein. Leben insgesamt sowie, als dessen besondere Ausformungen, Geschichte und Sprache, begreift Schlegel in den philosophischen Vorlesungen als Kampf des Menschen um die Wiederherstellung des verlorengegangenen Bewusstseins der Gottebenbildlichkeit. Die Möglichkeit einer »vollendeten religiösen Wiederherstellung des Staates und der Wissenschaft« als des vollständigen Sieges der »Sache Gottes und des Christentums [...] auf Erden« (Philosophie der Geschichte, 18. Vorlesung) rückt ihm als eine Art Ziel der so verstandenen Menschheitsgeschichte zwar in den Blick, auch unter Anspielung auf die restaurativen Tendenzen der »Heiligen Allianz« seiner Zeit; andererseits verharrt er jedoch bewusst in der Schwebe einer Mystik, welche Hoffnung weckt und Erfüllung verheißt, ohne aber eine Erlangung des Heils definitiv zu verkünden. Präzisere Vorstellungen geschichtspolitischer Art entwickelte Schlegel demgegenüber in den Vorlesungen über neuere Geschichte, die sich mit dem zentralen Gedanken, dass Österreich im Ganzen der »vorzüglichere« Teil Deutschlands sei, dem die führende Rolle bei Deutschlands Erhebung gegen den Usurpator Napoleon zufalle, an das Wiener Publikum wenden. Zehn Jahre später knüpfte er hier wieder an und entwarf im Aufsatz »Signatur des Zeitalters« ein katholisch-ständestaatlich geprägtes Staatsideal, das gleichfalls an den in den Vorlesungen zur neuere Geschichte dargelegten »österreichischen Grundsätzen« (11. Vorlesung) zu orientieren sei. Wenn er auch mit diesem Konzept der aufkommenden Idee des modernen Nationalstaates de facto wenig entgegensetzen konnte, so legte er doch mit seinen philosophischen Systemen insgesamt »die Grundlagen einer neuen Form der christlichen Philosophie« (Behler), die konservatives, insbesondere katholisch-konservatives Denken über Staat und Geschichte im 19. Jh. intensiv mitprägen sollten. Nicht nur dem jungen F. Schlegel — durch seine zentralen Beiträge zu einer spezifisch »romantischen« Weltsicht — , sondern auch dem späteren gelang es also, die verschiedenen Stadien seiner »Suche nach dem festen Fundament« über ein rein persönliches Bemühen hinaus zu allgemeiner und impulsgebender Bedeutung sowie sich selbst in den Rang eines der einflussreichsten Wegweiser der europäischen Geistesgeschichte des 19. Jh. zu erheben. "

[Quelle: Thomas Brechenmacher . -- http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/schlegel_k_w_f.shtml. -- Zugriff am 2004-06-12]

"HALLER, Karl Ludwig von; als der »Restaurator« bekannt gewordener Schweizer konservativer Staatstheoretiker und Publizist; * 1.8. 1768 Bern, † 20.5. 1854 Solothurn.

 Der Enkel des »großen« Albrecht von Haller (1708-1777), dem die bernische Patrizierfamilie Ruhm und Ansehen verdankte, und zweitälteste Sohn des Staatsmannes, Historikers, Numismatikers und Herausgebers der »Bibliothek des Schweizergeschichte«, Gottlieb Emanuel von Haller (1735-1786), besuchte in seiner Heimatstadt Bern die Akademie. Die finanzielle Lage und der frühe Tod seines Vaters ließen den Besuch einer Universität nicht zu, so dass er in wissenschaftlicher Hinsicht wesentlich Autodidakt geblieben ist. Mit kaum 16 Jahren trat er in den Dienst der stolzen Republik Bern, des damals größten Stadtstaates nördlich der Alpen, kam in seiner Karriere dank seines Namens und seiner Fähigkeiten rasch voran und konnte sich berechtigte Hoffnungen auf höchste Ämter machen. Als Zwanzigjähriger war er bereits Kommissionssekretär, wirkte in verschiedensten politischen Angelegenheiten mit und veröffentlichte eigenständige Denkschriften. Im Juli 1790 lernte er auf einer Reise nach Paris die Französische Revolution aus eigener Anschauung kennen. Einem guten Dutzend Kommissionen und Gesellschaften gehörte er als umtriebiger Sekretär oder aktives Mitglied an, hielt vielbeachtete Reden und verfasste unzählige Abhandlungen, Memoranda, Zeitschriften- und Zeitungsartikel. Als Legationssekretär beteiligte er sich aktiv, auch mit eigenen Schriften, an der bernischen Außenpolitik. So begleitete er diplomatische Missionen nach Genf (1792), Ulm (1795), Norditalien (wo er Napoleon begegnete) und Paris (1797), auf den Kongress von Rastatt (1797/98) und schließlich auch nach Payerne (1798), wo mit Brune, dem General der in die Eidgenossenschaft einrückenden französischen Truppen, verhandelt wurde. Die Reformversuche des bernischen Regiments, in deren Rahmen Hallers an sich zukunftsweisendes, liberales »Projekt einer Constitution für die Schweizerische Republik Bern (März 1798) entstand, kamen zu spät. Am 6. März 1798 zogen die Franzosen in Bern ein: das Ende des alten Bern und der alten Schweiz, die nun als »Helvetische Republik« ein französischer Satellitenstaat wurde. Aus dem Staatsdienst gedrängt, bekämpfte er das revolutionäre System mit seiner Zeitschrift »Helvetische Annalen«, sorgte damit für einen handfesten Presseskandal und entzog sich der bereits angeordneten Verhaftung durch die Flucht nach Süddeutschland, wo er sich zunächst den Schweizer Emigranten um Nikolaus Friedrich von Steiger, den letzten Schultheißen des souveränen Bern, anschloss. Die Kriegswirren ließen ihn nie lange am gleichen Ort bleiben, umso bemerkenswerter ist seine damalige literarische und propagandistische Produktivität. Im März 1799 fand er Beschäftigung in der Kriegskanzlei im Hauptquartier von Erzherzog Karl in Friedberg, mit dessen Armee er im Juni die erste, siegreiche Schlacht von Zürich miterlebte, nach der verlorenen zweiten Schlacht von Zürich aber den Rückzug antreten musste, sich wieder bei den Schweizer Emigranten aufhielt, bis er im Juni 1801 als Hofkriegskonzipist in der Präsidialkanzlei des Erzherzogs Karl in Wien angestellt wurde. Der 1803 zum Hofkriegssekretär beförderte Flüchtling wurde — nach der Wiederherstellung der Kantonssouveränität unter der Mediations-Verfassung — 1805 als Professor des Staatsrechts an die neu gegründete Akademie nach Bern berufen, musste aber vor den angreifenden französischen Truppen zunächst nach Agram (Kroatien) fliehen, bevor er nach seinem Ausscheiden aus dem österreichischen Staatsdienst Ende Februar 1806 endlich in Bern ankam und seine Stelle antreten konnte. Im gleichen Jahr verheiratete er sich mit der Patrizierstochter Katharina von Wattenwyl und wurde — neben zahlreichen anderen neuen Ämtern — Zensor und Prorektor der Akademie in Bern. Er trat dieses letzte Amt mit einer Inaugurationsrede »Über die Notwendigkeit einer andern obersten Begründung des allgemeinen Staatsrechts« an und hielt im folgenden Jahr eine Rede »Über den wahren Sinn des Naturgesetzes, dass der Mächtige herrsche«. 1808 veröffentlichte er sein »Handbuch der allgemeinen Staatenkunde«, die Grundlage für seine Vorlesungen, das seine Gedanken über den Staat, besonders über Wesen und Entstehung der staatlichen Gemeinschaft, zum erstenmal systematisch zusammenfasste und als Vorläufer der »Restauration der Staatswissenschaft« angesehen werden kann. Das Werk trug ihm Bekanntheit und Anerkennung, aber auch Ablehnung und Feindschaft ein. In Schwierigkeiten brachte den, besonders im Vergleich zu seinem hauptsächlichen Konkurrenten Samuel Schnell, erfolglosen Hochschullehrer auch seine skandalös eigennützige Interpretation des Amts als Zensor, das er 1809 wieder abgeben musste. Er wurde trotzdem weiter mit Ämtern überhäuft (u.a. Mitglied des Großen Stadtrats von Bern 1810, Wahl in den kleinen Stadtrat 1811). In seiner bemerkenswerten Schrift »Politische Religion oder biblische Lehre über die Staaten« (1811) versuchte er den Nachweis zu erbringen, dass sich seine neuen staatspolitischen Ideen mit den Lehren der Bibel vollständig deckten. Immer wieder und scheinbar unermüdlich war Haller aktiv als politischer Wühler, Intrigant und Denunziant, so bei der durch seine perfide anonyme Rezension in den »Göttingischen gelehrten Anzeigen« gegen Pestalozzis Lebenswerk angestifteten Hetze, so im Kreis der Berner Unbedingten, wohl auch in noch ungeklärter Rolle im »Waldshuter Komitee«, unzweifelhaft auch bei den Unruhen in Nidwalden, wofür er zu Arrest verurteilt, schließlich begnadigt , aber doch vom Präsidenten des Kleinen Rates zurechtgewiesen wurde. Dem von Haller bejubelten Durchzug der Alliierten in Bern (23. Dez. 1813) und der durch Staatsstreich gestürzten Mediationsregierung folgte die Restaurationsregierung. Als Propagandaschriften für seine Wahl in den Großen oder Souveränen Rat der Republik Bern (12. Jan. 1814) hatte er zwei programmatische Broschüren »Was sind Untertanenverhältnisse?« und »Was ist die alte Ordnung?« veröffentlicht. Er war Koautor der neuen Berner Verfassung von 1815 und Mitglied der Kommission für die wegen des Anschlusses des Juras nötig gewordene Verfassungsrevision. 1816 wurde er in den Berner Geheimen Rat gewählt, wo er allerdings mit seinen reaktionären Vorschlägen nicht durchzudringen vermochte. Am 3. Jahrestag der Schlacht bei Leipzig (Vorrede datiert vom 18. Okt. 1816) beendete er den ersten Band seines epochemachenden (und der Epoche ihren Namen gebenden) Hauptwerks: Restauration der Staatswissenschaft, das am 18. Okt. 1817 auf dem Wartburgfest, mit einem angehefteten Zettel: »Der Gesell will, dass Deutschland keine Verfassung habe.«, ins Feuer geworfen werden sollte. Die weiteren Bände dieses monumentalen Werks (2: 1817; 3: 1818; 4: 1820; 5: 1834; 6: 1825) erreichten allerdings bei weitem nicht mehr die Resonanz des ersten, auch wenn der 1817 »in allen Ehren« von seiner Berner Professur zurückgetretene, immer noch in wichtigen Staatsämtern tätige Haller kurz darauf wieder negativ in die Schlagzeilen geriet. Seine Schrift »Über die Constitution der spanischen Cortes«, in welcher er die königlichen Rechte leidenschaftlich gegen das usurpatorische Regiment der Cortes-Verfassung verteidigte, wurde von dem mit ihm befreundeten Zensor durchgelassen, durch Beschluss des Kleinen Rats von Bern aber verboten. Haller, »cet extravagant«, machte sich zunehmend unbeliebter. Das enfant terrible der bernischen Politik galt damals, verstärkt noch durch sein Wirken in der sogenannten »Olry-Hallerschen Clique«, nicht nur in Bern, sondern in der ganzen Schweiz als Ultrareaktionär. Der größte Skandal, der das Fass zum Überlaufen brachte, stand noch bevor. Am 17. Oktober 1820 legte der protestantische Berner Patrizier, der später bekannte, im Herzen schon seit 1808 katholisch gewesen zu sein, auf dem Landgut der Familie de Boccard in Jetschwil bei Freiburg i.Üe. im Geheimen das katholische Glaubensbekenntnis ab. Während eines Aufenthalts in Paris wurde seine Konversion bekanntgemacht. Sofort trat Haller die Flucht nach vorne an und veröffentlichte unter dem Titel »Brief an seine Familie, worin er ihr seinen Übertritt zu der katholischen Religion anzeigt« eine Rechtfertigungsschrift, die in über 70 Auflagen und zahlreichen Übersetzungen verbreitet wurde und eine Flut von Schriften pro und contra auslöste. Die Ereignisse erregten ungeheures Aufsehen und verursachten einen Sturm in der europäischen Presse. Auf Antrag des Kleinen Rats und nach stürmischen Debatten suspendierte der Große Rat von Bern Haller mit überwältigender Mehrheit von allen seinen Ämtern und schloss ihn — verfassungsmäßig zumindest fragwürdig — für alle Zeit aus dem Großen Rat aus. Haller war damit in Bern zum zweiten Mal — und diesmal endgültig — erledigt. Nach vergeblichen Versuchen, in österreichische, preußische oder spanische Dienste aufgenommen zu werden, machte er seine Abschiedsbesuche in Freiburg, Bern, Genf und Erlach und zog im Mai 1822 mit seiner Familie (ohne die beiden Söhne, die bis 1823 ihr Studium in Gottstadt fortsetzten) nach Paris, wo er im Kreis von Gesinnungsgenossen (Bonald, Lamennais u.a.) gut aufgenommen wurde, Beiträge zu ultraroyalistischen französischen und konservativen deutschen Blättern lieferte und im Juli 1824, nach dem Rücktritt Chateaubriands, eine Stelle als Publiciste attaché au Ministère des Affaires étrangères antreten konnte. In Paris fand er auch Zeit, seine Familie auf unglaubliche Art so zu bearbeiten, dass der Reihe nach seine Tochter Cäcilie, die im Haushalt lebende Julie Mathilde von Erlach, der zweite Sohn Albrecht (später Weihbischof von Chur), der erste Sohn Carl Ludwig (später Publizist und Politiker in Solothurn) und schließlich auch seine Ehefrau zum Katholizismus übertraten. Bereits 1828 kaufte Haller in Solothurn das heutige bischöfliche Palais, erwarb 1829 das Solothurner Bürgerrecht und zog kurz nach der Julirevolution endgültig von Paris nach Solothurn. Hier stellte er sich an die Spitze der Ultrakonservativen und war 1834 bis 1837 (nicht wiedergewählt) Mitglied des Großen Rates. In fieberhafter Tätigkeit und rascher Folge ließ der schon im Pensionsalter stehende Pamphletist seine Kampfschriften gegen die unheilvollen Bewegungen seiner Zeit an die Öffentlichkeit treten. 1833 entwarf er das Programm eines »Bundes der Getreuen zum Schutz der Religion, der Gerechtigkeit, und der wahren Freyheit«, der eine internationale Kampftruppe gegen den Liberalismus, die Freimaurerei und das »revolutionäre System überhaupt« werden sollte. In »Satan und die Revolution« (1834) legte er die aus dem Bösen schöpfenden Kräfte der Revolution bloß. In der »Geschichte der kirchlichen Revolution oder protestantischen Reform« (1836) entlarvte er die Reformation als zweiten Sündenfall, als soziomentalen Umsturz und damit als tiefere Ursache und Vorläuferin der Großen Revolution. Die Schriften gegen die Freimaurerei (1840/1) sollten die »Wurzel-Lüge«, aus der die falschen Lehren und Grundsätze der verderblichen »Sekte« hervorgingen, in ihrer Nacktheit darstellen und Heilmittel zu ihrer Bekämpfung angeben. Hinter allen revolutionären Strömungen in der Schweiz witterte er die Geheimgesellschaft mit ihren Ideen der Gleichmacherei, der »Indifferenz gegen alle Religion«, »ausschließendem Hass gegen die katholische Religion und Kirche«, »Abschaffung jeder Oberherrschaft« und »Befreyung von jeder höheren Macht«. Dem Kampf gegen die Revolution, der bei ihm ausschließliche und obsessive Züge annahm, dienten auch unzählige journalistische Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften wie den »Historisch-politischen Blättern«, der »Schweizerischen Kirchenzeitung«, dem »Waldstätter Boten«, dem »Echo von Solothurn«, der »Freiburger Union«, dem Regensburger »Herold«, der Kölner »Volkshalle«, dem »Berliner politischen Wochenblatt« oder der Berliner »Kreuzzeitung«. Er unternahm auch mehrere Reisen (1840 Süddeutschland, bes. München; Freiburg i.Ue., Luzern, Schwyz, Kienzheim im Elsass) und pflegte dabei persönliche Kontakte, durch seine ausgedehnte Korrespondenz auch briefliche Beziehungen zu allem, was in Europa Rang und Namen hatte unter den Katholiken, Konvertiten, Ultramontanen, Konservativen und Reaktionären. Die u.a. von den Jesuiten und noch mehr von Hallers Werk genährte, von Antiprotestantismus, Traditionalismus und Legitimismus bestimmte politische Kultur gab in der Schweiz den Nährboden für eine religiös-politische Ausrichtung weiter Kreise, welche die Spannungen im Vorfeld des Sonderbundskriegs von 1847 entscheidend verschärfte. Die Niederlage der katholisch-konservativen, überwiegend ländlichen Kantone gegen die protestantisch-liberalen Stadtkantone und die europäische Revolution von 1848 erlebte der greise Kämpfer als persönliche Niederlage und als völlige Entwertung seines Lebenswerks. Im gleichen Jahr starb Hallers seit Jahren leidende Frau, er selber erlag am 20. Mai 1854 einer Lungenentzündung und wurde drei Tage später auf dem Friedhof St. Katharina in Solothurn beigesetzt. Der Friedhof wurde unter dem radikalen Regime eingeebnet, so dass dort nichts blieb, was an den unerbittlichen Kämpfer erinnert, der sein ganzes Lebenswerk gegen seine eigene Zeit gerichtet hatte. — Erfüllt von prophetischem Sendungs- und Selbstbewusstsein, der Schlange des Jakobinismus den Kopf zu zerschmettern, entwickelte Haller seine restaurative, »natürlich-gesellige« Staatstheorie als Gegensatz zu Rousseaus »künstlich-bürgerlicher« Lehre vom Gesellschaftsvertrag. Der rein spekulativen »Chimäre« wollte er die aus Schöpfung und Offenbarung gewonnene, wissenschaftlich untermauerte, ein für allemal und absolut gültige Wahrheit entgegensetzen. — Haller sieht den Ursprung des geselligen Verhältnisses im Naturgesetz, dass der Stärkere herrsche, der Schwächere diene: »Der Mächtige herrschet, ob er will oder nicht, wie der Schwache dient, ob er will oder nicht.« Gegen die »konstruierte«, gleichmacherische Philosophie der Revolution setzt er die von ihm neu »gefundenen« Grundsätze der »ewigen unveränderlichen Ordnung Gottes«: Ungleichheit, »wohltätige Verschiedenheit« der »Kräfte und Bedürfnisse«, Überlegenheit der Stärke. Macht und Herrschaft beruhen auf ineinsgesetztem natürlichem, göttlichem und positivem Recht zugleich. Hallers Doktrin wurde deshalb als »brutal, materialistisch und utilitaristisch« hingestellt, da sie den »Triumph des Starken über den Schwachen feiere und auf die Verherrlichung der Gewalt, vielleicht sogar des `Übermenschen' hinauslaufe« oder — konsequent weitergedacht — zur Anarchie führe. — Der Staat ist für ihn eine ins Unendliche erweiterte Familie, ein großes Hauswesen, eine Summe übereinandergeordneter Herrschaftsverhältnisse rein privatrechtlichen Charakters, die »höchste Gradation der natürlichen Dienst- und Sozietatsverhältnisse«: Das Staatsrecht wird durch ein »Aggregat unendlich verschiedener freyer Privat-Verträge« ersetzt, bzw. Staatsrecht und Privatrecht sind identisch. Folglich existiert im Staat auch »kein gemeinschaftlicher Zweck, sondern nur eine Menge sehr verschiedener Privat-Zwecke«. Der Staat dient damit ausschließlich der Erhaltung des gottgewollten bestehenden Zustandes und garantiert nach Haller die wahre Freiheit, die Freiheit der Vorrechte, die natürliche Ungleichheit. Diese individualistische, letztlich den Staat in seine Atome auflösende Auffassung steht in direktem Gegensatz zu der sich gerade damals durchsetzenden Idee des Staates und der Nation. — Natürliches Fundament von Herrschaft und Macht ist Grundbesitz. Der Landesherr ist nichts anderes als »der größte dieser Eigentümer«, der Staat sein »patrimonium«. In diesem »Patrimonialstaat« (eine Erfindung und Wortschöpfung Hallers) — ein ständischer Obrigkeitsstaat — ist der Fürst einzig Gott verantwortlich und seine Gewalt wird nur durch Vertrag und Recht, Eigentum und Autonomie der Untertanen und das naturgegebene moralische Gesetz (Gerechtigkeit, die das Böse verhindert, und Liebe, die das Gute befördert) beschränkt. Die konkrete Freiheit jedes Menschen ist bestimmt durch die in Abstufungen relative Macht, die jedem an seinem jeweiligen sozialen Ort in Herrschaft und Dienstbarkeit zukommt. Unabhängigkeit ohne Dienstbarkeit ist die Souveränität des Fürsten und höchste Stufe menschlichen Glücks, die diesen zu Gerechtigkeit und Güte verpflichtet. Die als selbstverständlich hingenommen Ansicht, dass nur der Schwache seine Macht missbrauche, hat Haller den Vorwurf der »moralischen Naivität« eingetragen. — Hallers ehrgeiziges Vorhaben einer »Totalerklärung der gesamten Wirklichkeit« ist der Versuch einer nachträglichen, verspäteten und — trotz Bemühen der religiösen und kirchlichen Autorität als Bollwerk gegen die Revolution — rationalistischen Legitimation des Ancien Régime, das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln untermauerte, fundamentalistische Programm der Gegenrevolution und eine Kampfansage an die Moderne. — Trotz der starren Systematik, der offenkundigen Realitätsfremdheit und des schon zu seiner Zeit empfundenen Anachronismus hat Hallers politische Theologie, wenn auch nur für kurze Zeit, eine gewaltige Ausstrahlungskraft besessen. Die z.T. geradezu gläubige Verehrung Hallers (z.B. durch den jungen Achim von Arnim) löste in Deutschland die Autorität von Adam Müllers »Elementen der Staatskunst« ab und beeinflusste — neben Bonald und de Maistre — auch die Staatslehre des politischen Katholizismus. Das unhistorische, rationalistische Staatsbild des »Restaurators« wurde in den Kreisen des preußischen Junkertums begeistert aufgenommen und wirkte stark auf die Konservativen im spätromantischen Berlin, vor allem auf den Christlich-germanischen Kreis um die Brüder Gerlach und auf den »Romantiker auf dem Königsthron«, Friedrich Wilhelm IV., denen Hallers Idee vom ständischen Patrimonialstaat auf religiöser Grundlage bis in die fünfziger Jahre als zu verwirklichendes Vorbild erschien. Hallers Einfluss auf den preußischen Konservativismus wurde erst durch Stahl überwunden. Hallers »Restauration« stieß auch in Wien auf lebhafte Zustimmung. In der Schweiz blieb sein Einfluss eher gering, wenn auch einzelne Anhänger in seinem Sinne weiterwirkten. In Frankreich, den Niederlanden, in Italien (besonders im Kirchenstaat) und in Spanien bekannten sich führende Persönlichkeiten des geistigen und politischen Lebens zu Hallers System, was sich nicht nur durch zahlreiche öffentliche Stellungnahmen, sondern auch durch die an ihn verliehenen Orden und Auszeichnungen und aus seinem ausgedehnten Briefwechsel belegen läßt. — Die Wirkung von Hallers Versuch, die geistigen Voraussetzungen der Revolution durch eine Antitheorie in den Wurzeln zu treffen und das Rad der Zeit zurückzudrehen, war von kurzer Dauer. Die demokratischen, liberalen und nationalen Kräfte schritten bald rücksichtslos über Haller hinweg. »Restauration« wurde vom Kampfruf zum Schimpfwort, der »Restaurator« ideologisch isoliert und als Verlierer der Geschichte weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen. Nichtsdestotrotz bleibt der einst ebenso leidenschaftlich als »politischer Luther« und »Bonald helvétique« gefeierte wie als schlimmster der »Renegaten des Protestantismus« bekämpfte Berner eine schweizerische Persönlichkeit von europäischem Format, einer der bedeutendsten und eigenständigsten konservativen Köpfe seiner Zeit, von dem »starke und wichtige Anregungen auf fast alle der führenden konservativen Politiker, Denker und Publizisten seiner Epoche« ausgingen. "

[Quelle: Albert Portmann-Tinguely  -- http://www.bautz.de/bbkl/h/haller_k_l.shtml. -- Zugriff am 2004-06-12

"Edmund Burke (* 1. Dezember 1729 in Dublin, † 9. Juli 1797 in Beaconsfield) war Schriftsteller, Staatsphilosoph und Politiker. Er gilt heute als „geistiger Vater des Konservatismus“.

Der Literat

Burke studierte klassische Literatur und Geschichte am Dubliner Trinity-College von 1743-1750. Ein begonnenes Rechtsstudium beendete er nicht. Seine schriftstellerisches Wirken begann 1756 mit einer Satire.

[
Der Politiker

Er arbeitete als Privatsekretär von Lord Rockingham, „First Lord of treasury“ von 1765–1766. Seit 1765 war Burke für verschiedene Wahlkreis Abgeordneter des englischen Unterhauses. Burke profilierte sich als scharfsinniger Vordenker und brillanter Rhetoriker. Ein zusammenhängend geschriebenes politisches Werk gibt es von ihm nicht. Sein Werk setzt sich aus Kampfschriften und –reden zusammen:

  • „Thoughts on the case of the present discontent“, 1770 (Politisches „Programm“ der oppositionellen „Whigs“ gegen vermeintliche Verfassungsverstöße des Königs)
  • Mehrere Schriften gegen die Steuer- und Kolonialpolitik der englischen Regierung in Amerika.
  • Sein wichtigstes Werk: „Reflections on the Revolution in France“, 1790.
  • Weitere Schriften richten sich gegen die Politik des Generalgouverneurs in Indien
Der Staatsphilosoph

Menschenbild

Burke sieht den Mensch als unvollkommenes Wesen, welches erst in der Gemeinschaft, im Staat sein volles Menschsein erlangt. Der Mensch ist geprägt durch seine Vernunfts- und Gefühlsnatur. Seine Vernunft ist allerdings begrenzt und auch innerhalb der Menschheit unterschiedlich ausgeprägt. Die Menschen sind nicht gleich. Nur im gegliederten Staat ist es möglich die Vernunft zu vervollkommnen. Burke lehnt das unbegrenzte Vertrauen der Aufklärer in die unbegrenzte Vernunft des einzelnen Menschen ab.

Staatsvorstellung

Sein Menschenbild relativiert die Gesellschaftsvertragstheorien der Aufklärer. Die Hierarchie eines Staates ist natur- und gottgegeben. Der Ursprung des Staates liegt somit hinter einem „heiligen Schleier“. Der Staat mit seiner Ordnung und Gliederung gleicht und wächst mit der Gesellschaftsstruktur. Er sieht die Regierungsmitglieder als Vertraute (Trustees) des Volkes. Statt revolutionärer Umwälzungen bevorzugt Burke den permanenter Wandel der Verfassung. Wichtig ist ihm ein historisch langsames Wachsen und Verändern. In der Dreiteilung von Krone, Ober- und Unterhaus sieht er den besten Schutz vor Despotismus aber auch vor der Herrschaft des Pöbels. Das freies Mandat des Abgeordneten dient als Schutz vor weitergehender Demokratisierung. In politischen Parteien (hier nur in Fraktionsform) sieht er einen wirksame Eindämmung der Monarchie.

Vater des Konservatismus

Diese Bezeichnung steht für die heute noch gültigen, von ihm klar umrissenen, Maximen der Konservativen in all ihren Facetten. Für den Konservativen existiert eine göttliche Weltordnung. In seinen Vorstellungen ist der Mensch unvollkommen und sündig. Es gibt eine körperliche und geistige Ungleichheit unter den Menschen. Eigentum und das Recht darauf ist im Sinne des Konservativen ein wichtiger Eckpfeiler einer funktionierenden Gesellschaftsform. Der Konservative erkennt die Kehrseiten des Fortschritts und weiß den Mensch an Tradition und Verfassung gebunden."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Edmund_Burke. -- Zugriff am 2004-06-12]


Die Götter Griechenlands

Vollblühender Mond! In deinem Licht,
Wie fließendes Gold, erglänzt das Meer;
Wie Tagesklarheit, doch dämmrig verzaubert,
Liegts über der weiten Strandesfläche;
Und am hellblaun, sternlosen Himmel
Schweben die weißen Wolken,
Wie kolossale Götterbilder
Von leuchtendem Marmor.

Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken!
Das sind sie selber, die Götter von Hellas,
Die einst so freudig die Welt beherrschten,
Doch jetzt, verdrängt und verstorben,
Als ungeheure Gespenster dahinziehn
Am mitternächtlichen Himmel.

Staunend, und seltsam geblendet, betracht ich
Das luftige Pantheon,
Die feierlich stummen, graunhaft bewegten
Riesengestalten.
Der dort ist Kronion, der Himmelskönig,
Schneeweiß sind die Locken des Haupts,
Die berühmten, olymposerschütternden Locken.
Er hält in der Hand den erloschenen Blitz,
In seinem Antlitz liegt Unglück und Gram,
Und doch noch immer der alte Stolz.
Das waren bessere Zeiten, o Zeus,
Als du dich himmlisch ergötztest
An Knaben und Nymphen und Hekatomben;
Doch auch die Götter regieren nicht ewig,
Die jungen verdrängen die alten,
Wie du einst selber den greisen Vater
Und deine Titanen-Öhme verdrängt hast,
Jupiter Parricida!
Auch dich erkenn ich, stolze Juno!
Trotz all deiner eifersüchtigen Angst,
Hat doch eine andre das Zepter gewonnen,
Und du bist nicht mehr die Himmelskönigin,
Und dein großes Aug ist erstarrt,
Und deine Lilienarme sind kraftlos,
Und nimmermehr trifft deine Rache
Die gottbefruchtete Jungfrau
Und den wundertätigen Gottessohn.
Auch dich erkenn ich, Pallas Athene!
Mit Schild und Weisheit konntest du nicht
Abwehren das Götterverderben?
Auch dich erkenn ich, auch dich, Aphrodite,
Einst die goldene! jetzt die silberne!
Zwar schmückt dich noch immer des Gürtels Liebreiz
Doch graut mir heimlich vor deiner Schönheit,
Und wollt mich beglücken dein gütiger Leib,
Wie andere Helden, ich stürbe vor Angst —
Als Leichengöttin erscheinst du mir,
Venus Libitina!
Nicht mehr mit Liebe blickt nach dir,
Dort, der schreckliche Ares.
Es schaut so traurig Phöbos Apollo,
Der Jüngling. Es schweigt seine Leir,
Die so freudig erklungen beim Göttermahl.
Noch trauriger schaut Hephaistos,
Und wahrlich, der Hinkende! nimmermehr
Fällt er Heben ins Amt,
Und schenkt geschäftig, in der Versammlung,
Den lieblichen Nektar — Und längst ist erloschen
Das unauslöschliche Göttergelächter.

Ich hab euch niemals geliebt, ihr Götter!
Denn widerwärtig sind mir die Griechen,
Und gar die Römer sind mir verhasst.
Doch heilges Erbarmen und schauriges Mitleid
Durchströmt mein Herz,
Wenn ich euch jetzt da droben schaue,
Verlassene Götter,
Tote, nachtwandelnde Schatten,
Nebelschwache, die der Wind verscheucht —
Und wenn ich bedenke, wie feig und windig
Die Götter sind, die euch besiegten,
Die neuen, herrschenden, tristen Götter,
Die schadenfrohen im Schafspelz der Demut —
O, da fasst mich ein düsterer Groll,
Und brechen möcht ich die neuen Tempel,
Und kämpfen für euch, ihr alten Götter,
für euch und eur gutes, ambrosisches Recht,
Und vor euren hohen Altären,
Den wiedergebauten, den opferdampfenden,
Möcht ich selber knieen und beten,
Und flehend die Arme erheben —

Denn immerhin, ihr alten Götter,
Habt ihrs auch ehmals, in Kämpfen der Menschen,
Stets mit der Partei der Sieger gehalten,
So ist doch der Mensch großmütger als ihr,
Und in Götterkämpfen halt ich es jetzt
Mit der Partei der besiegten Götter.

Also sprach ich, und sichtbar erröteten
Droben die blassen Wolkengestalten,
Und schauten mich an wie Sterbende,
Schmerzenverklärt, und schwanden plötzlich.
Der Mond verbarg sich eben
Hinter Gewölk, das dunkler heranzog;
Hochaufrauschte das Meer,
Und siegreich traten hervor am Himmel
Die ewigen Sterne.


Doña Clara

In dem abendlichen Garten
Wandelt des Alkaden Tochter;
Pauken- und Drommetenjubel
Klingt herunter von dem Schlosse.

'Lästig werden mir die Tänze
Und die süßen Schmeichelworte,
Und die Ritter, die so zierlich
Mich vergleichen mit der Sonne.

Überlästig wird mir alles,
Seit ich sah, beim Strahl des Mondes,
Jenen Ritter, dessen Laute
Nächtens mich ans Fenster lockte.

Wie er stand so schlank und mutig,
Und die Augen leuchtend schossen
Aus dem edelblassen Antlitz,
Glich er wahrlich Sankt Georgen.

Also dachte Doña Clara,
Und sie schaute auf den Boden;
Wie sie aufblickt, steht der schöne,
Unbekannte Ritter vor ihr.

Händedrückend, liebeflüsternd
Wandeln sie umher im Mondschein.
Und der Zephir schmeichelt freundlich,
Märchenartig grüßen Rosen.

Märchenartig grüßen Rosen,
Und sie glühn wie Liebesboten. -
»Aber sage mir, Geliebte,
Warum du so plötzlich rot wirst?«

»Mücken stachen mich, Geliebter,
Und die Mücken sind, im Sommer,
Mir so tief verhasst, als wären's
Langenas'ge Judenrotten.«

»Lass die Mücken und die Juden«,
Spricht der Ritter, freundlich kosend.
Von den Mandelbäumen fallen
Tausend weiße Blütenflocken.

Tausend weiße Blütenflocken
Haben ihren Duft ergossen. -
»Aber sage mir, Geliebte,
Ist dein Herz mir ganz gewogen?«

»Ja, ich liebe dich, Geliebter,
Bei dem Heiland sei's geschworen,
Den die gottverfluchten Juden
Boshaft tückisch einst ermordet.«

»Lass den Heiland und die Juden«,
Spricht der Ritter, freundlich kosend.
In der Ferne schwanken traumhaft
Weiße Lilien, lichtumflossen.

Weiße Lilien, lichtumflossen,
Blicken nach den Sternen droben. -
»Aber sage mir, Geliebte,
Hast du auch nicht falsch geschworen?«

»Falsch ist nicht in mir, Geliebter,
Wie in meiner Brust kein Tropfen
Blut ist von dem Blut der Mohren
Und des schmutz'gen Judenvolkes.«

»Lass die Mohren und die Juden«,
Spricht der Ritter, freundlich kosend;
Und nach einer Myrtenlaube
Führt er die Alkadentochter.

Mit den weichen Liebesnetzen
Hat er heimlich sie umflochten;
Kurze Worte, lange Küsse,
Und die Herzen überflossen.

Wie ein schmelzend süßes Brautlied
Singt die Nachtigall, die holde;
Wie zum Fackeltanze hüpfen
Feuerwürmchen auf dem Boden.

In der Laube wird es stiller,
Und man hört nur, wie verstohlen,
Das Geflüster kluger Myrten
Und der Blumen Atemholen.

Aber Pauken und Drommeten
Schallen plötzlich aus dem Schlosse,
Und erwachend hat sich Clara
Aus des Ritters Arm gezogen.

»Horch! da ruft es mich, Geliebter;
Doch, bevor wir scheiden, sollst du
Nennen deinen lieben Namen,
Den du mir so lang verborgen.«

Und der Ritter, heiter lächelnd,
Küsst die Finger seiner Doña,
Küsst die Lippen und die Stirne,
Und er spricht zuletzt die Worte:

»Ich, Señora, Eu'r Geliebter,
Bin der Sohn des vielbelobten,
Großen, schriftgelehrten Rabbi
Israel von Saragossa.«


1837 - 1844


Der neue Alexander1

(3)

»Mein Lehrer2, mein Aristoteles,
Der war zuerst ein Pfäffchen
Von der französischen Kolonie,
Und trug ein weißes Beffchen.

Er hat nachher als Philosoph
Vermittelt die Extreme,
Und leider Gottes hat er mich
Erzogen nach seinem Systeme.

Ich ward ein Zwitter, ein Mittelding
Das weder Fleisch noch Fisch ist,
Das von den Extremen unsrer Zeit
Ein närrisches Gemisch ist.

Ich bin nicht schlecht, ich bin nicht gut,
Nicht dumm und nicht gescheute,
Und wenn ich gestern vorwärts ging,
So geh ich rückwärts heute.

Ein aufgeklärter Obskurant,
Und weder Hengst noch Stute!
Ja, ich begeistre mich zugleich
Für Sophokles und die Knute.

Herr Jesus ist meine Zuversicht,
Doch auch den Bacchus nehme
Ich mir zum Tröster, vermittelnd stets
Die beiden Götterextreme.«

Erläuterung:

1 Der  neue Alexander = Spott auf Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795 - 1861)

2 mein Lehrer = Johann Peter Friedrich Ancillon (1767-1837), der Erzieher des Königs. War zuerst Prediger der französiscehn Kolonie in Bewrlin gewesen und war verantwortlich für die reaktionären Ansichten des Königs.

"ANCILLON, Johann Peter Friedrich (Jean Pierre Frédéric), preußischer Staatsmann und Gelehrter, * 30.4. 1767 in Berlin als Sohn des Louis Frédéric Ancillon und Urenkel des Karl (Charles) Ancillon, † daselbst 19.4. 1837.

Ancillon studierte in Genf Theologie und wurde 1790 Prediger der französischen Gemeinde in Berlin, 1792 zugleich Professor der Geschichte an der Kriegsakademie, 1803 königlicher Historiograph, 1805 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, 1809 Staatsrat im Departement des Kultus, 1810 Erzieher des Kronprinzen, des späteren Königs Friedrich Wilhelm IV., 1814 Legationssekretär im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, 1817 Mitglied des Staatsrats und 1832 preußischer Außenminister.

Seine Schriften sind philosophischen, historischen und staatswissenschaftlichen Inhalts."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/a/ancillon_j_p_f.shtml. -- Zugriff am 2004-07-02]

Heine spielt an auf:

Ancillon, Johann Peter Friedrich <1767-1837>: Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen. -- Berlin: : Duncker & Humblot, 1828 -1831. -- 2 Bde.


Erleuchtung

Michel! fallen dir die Schuppen
Von den Augen? Merkst du itzt,
Dass man dir die besten Suppen
Vor dem Maule wegstibitzt?

Als Ersatz ward dir versprochen
Reinverklärte Himmelsfreud
Droben, wo die Engel kochen
Ohne Fleisch die Seligkeit!

Michel! wird dein Glaube schwächer
Oder stärker dein Apptit?
Du ergreifst den Lebensbecher,
Und du singst ein Heidenlied!

Michel! fürchte nichts und labe
Schon hienieden deinen Wanst,
Später liegen wir im Grabe,
Wo du still verdauen kannst.


Verkehrte Welt

Das ist ja die verkehrte Welt,
Wir gehen auf den Köpfen!
Die Jäger werden dutzendweis
Erschossen von den Schnepfen.

Die Kälber braten jetzt den Koch,
Auf Menschen reiten die Gäule;
Für Lehrfreiheit und Rechte des Lichts
Kämpft die katholische Eule.

Der Häring wird ein Sanskülott,
Die Wahrheit sagt uns Bettine,
Und ein gestiefelter Kater bringt
Den Sophokles auf die Bühne.

Ein Affe lässt ein Pantheon
Erbauen für deutsche Helden.
Der Maßmann hat sich jüngst gekämmt,
Wie deutsche Blätter melden.

Germanische Bären glauben nicht mehr
Und werden Atheisten;
Jedoch die französischen Papagein,
Die werden gute Christen.

Im uckermärkschen Moniteur,
Da hat mans am tollsten getrieben:
Ein Toter hat dem Lebenden dort
Die schnödeste Grabschrift geschrieben.

Lasst uns nicht schwimmen gegen den Strom,
Ihr Brüder! Es hilft uns wenig!
Lasst uns besteigen den Templower Berg
Und rufen: es lebe der König!

Erläuterung:

Häring = Wilhelm Häring (Pseudonym: Willibald Alexis) (1798-1871)

Bettine = Bettina von Arnim (1785 - 1859)


Adam der Erste

Du schicktest mit dem Flammenschwert
Den himmlischen Gendarmen,
Und jagtest mich aus dem Paradies,
Ganz ohne Recht und Erbarmen!

Ich ziehe fort mit meiner Frau
Nach andren Erdenländern;
Doch Dass ich genossen des Wissens Frucht,
Das kannst du nicht mehr ändern.

Du kannst nicht ändern, Dass ich weiß,
Wie sehr du klein und nichtig,
Und machst du dich auch noch so sehr
Durch Tod und Donnern wichtig.

O Gott! wie erbärmlich ist doch dies
Consilium-abeundi!
Das nenne ich einen Magnifikus
Der Welt, ein Lumen-Mundi!

Vermissen werde ich nimmermehr
Die paradiesischen Räume;
Das war kein wahres Paradies —
Es gab dort verbotene Bäume.

Ich will mein volles Freiheitsrecht!
Find ich die gringste Beschränknis,
Verwandelt sich mir das Paradies
In Hölle und Gefängnis.

Erläuterung:

Consilium abeundi: Rausschmiss

Magnificus = Großartiger

Lumen mundi = Licht der Welt


Warnung

Solche Bücher lässt du drucken!
Teurer Freund, du bist verloren!
Willst du Geld und Ehre haben,
Musst du dich gehörig ducken.

Nimmer hätt ich dir geraten,
So zu sprechen vor dem Volke,
So zu sprechen von den Pfaffen
Und von hohen Potentaten!

Teurer Freund, du bist verloren!
Fürsten haben lange Arme,
Pfaffen haben lange Zungen,
Und das Volk hat lange Ohren!


Heinrich

Auf dem Schlosshof zu Canossa
Steht der deutsche Kaiser Heinrich,
Barfuss und im Büßerhemde,
Und die Nacht ist kalt und regnicht.

Droben aus dem Fenster lugen
Zwo Gestalten, und der Mondschein
Überflimmert Gregors Kahlkopf
Und die Brüste der Mathildis.

Heinrich, mit den blassen Lippen,
Murmelt fromme Paternoster;
Doch im tiefen Kaiserherzen
Heimlich knirscht er, heimlich spricht er:

»Fern in meinen deutschen Landen
Heben sich die starken Berge,
Und im stillen Bergesschachte
Wächst das Eisen für die Streitaxt.

Fern in meinen deutschen Landen
Heben sich die Eichenwälder,
Und im Stamm der höchsten Eiche
Wächst der Holzstiel für die Streitaxt.

Du, mein liebes treues Deutschland,
Du wirst auch den Mann gebären,
Der die Schlange meiner Qualen
Niederschmettert mit der Streitaxt.«



Abb.: König Ludwig I. von Bayern steigt vom Thron, um ihm dargebrachte Kunstwerke zu betrachten /
Gemälde von Wilhelm Kaulbach (1805-1874). --  1848 [Bildquelle: http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/phil_Fak_III/Geschichte/Alte_G/roemer/kapitel4/k4_po1.htm. -- Zugriff am 2004-07-02]

Lobgesänge auf König Ludwig [Ludwig I. (1786 - 1868), König von Bayern 1825 bis 1848; dankte u.a. wegen seiner Affäre mit Lola Montez ab]

I

Das ist Herr Ludwig von Bayerland,
Desgleichen gibt es wenig';
Das Volk der Bavaren verehrt in ihm
Den angestammelten König.

Er liebt die Kunst, und die schönsten Fraun
Die lässt er porträtieren;
Er geht in diesem gemalten Serail
Als Kunst-Eunuch spazieren.

Bei Regensburg lässt er erbaun
Eine marmorne Schädelstätte,
Und er hat höchstselbst für jeden Kopf
Verfertigt die Etikette.


Abb.: Die Walhalla bei Regensburg

»Walhallagenossen«, ein Meisterwerk,
Worin er jedweden Mannes
Verdienste, Charakter und Taten gerühmt,
Von Teut bis Schinderhannes.

Nur Luther, der Dickkopf, fehlt in Wallhall,
Und es feiert Ihn nicht der Walhall-Wisch;
In Naturaliensammlungen fehlt
Oft unter den Fischen der Walfisch.

Herr Ludwig ist ein großer Poet,
Und singt er, so stürzt Apollo
Vor ihm auf die Kniee und bittet und fleht:
Halt ein, ich werde sonst toll, o!

Herr Ludwig ist ein mutiger Held,
Wie Otto, das Kind, sein Söhnchen;
Der kriegte den Durchfall zu Athen,
Und hat dort besudelt sein Thrönchen.

Stirbt einst Herr Ludwig, so kanonisiert
Zu Rom ihm der heilige Vater —
Die Glorie passt für ein solches Gesicht,
Wie Manschetten für unseren Kater!

Sobald auch die Affen und Känguruhs
Zum Christentum sich bekehren,
Sie werden gewiss Sankt Ludewig
Als Schutzpatron verehren.


Lobgesänge auf König Ludwig

III

Zu München in der Schlosskapell
Steht eine schöne Madonne;
Sie trägt in den Armen ihr Jesulein,
Der Welt und des Himmels Wonne.

Als Ludewig von Bayerland
Das Heiligenbild erblicket,
Da kniete er nieder andachtsvoll
Und stotterte selig verzücket:

»Maria, Himmelskönigin,
Du Fürstin sonder Mängel!
Aus Heilgen besteht dein Hofgesind,
Und deine Diener sind Engel.

Geflügelte Pagen warten dir auf,
Sie flechten dir Blumen und Bänder
Ins goldene Haar, sie tragen dir nach
Die Schleppe deiner Gewänder.

Maria, reiner Morgenstern,
Du Lilie sonder Makel,
Du hast so manches Wunder getan,
So manches fromme Mirakel —

O, lass aus deiner Gnaden Born
Auch mir ein Tröpflein gleiten!
Gib mir ein Zeichen deiner Huld,
Der hochgebenedeiten!« —

Die Mutter Gottes bewegt sich alsbald,
Sichtbar bewegt sich ihr Mündchen,
Sie schüttelt ungeduldig das Haupt
Und spricht zu ihrem Kindchen:

»Es ist ein Glück, dass ich auf dem Arm
Dich trage und nicht mehr im Bauche,
Ein Glück, dass ich vor dem Versehn
Mich nicht mehr zu fürchten brauche.

Hätt ich in meiner Schwangerschaft
Erblickt den hässlichen Toren,
Ich hätte gewiss einen Wechselbalg
Statt eines Gottes geboren.«


Die schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
»Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpresst,
Und uns wie Hunde erschießen lässt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!«


1844 - 1856



Abb. aus Heine-Luxusausgabe

Im lieben Deutschland daheime,
Da wachsen viel Lebensbäume;
Doch lockt die Kirsche noch so sehr,
Die Vogelscheuche schreckt noch mehr.

Wir lassen uns wie Spatzen
Einschüchtern von Teufelsfratzen;
Wie auch die Kirsche lacht und blüht,
Wir singen ein Entsagungslied:

Die Kirschen sind von außen rot,
Doch drinnen steckt als Kern der Tod;
Nur droben, wo die Sterne,
Gibts Kirschen ohne Kerne.

Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist,
Die unsere Seele lobt und preist —
Nach diesen sehnet ewiglich
Die arme deutsche Seele sich.

Nur wo die Engel fliegen,
Da wächst das ewge Vergnügen;
Hier unten ist alles Sünd und Leid
Und saure Kirsche und Bitterkeit.


Die Engel

Freilich, ein ungläubger Thomas,
Glaub ich an den Himmel nicht,
Den die Kirchenlehre Romas
Und Jerusalems verspricht.

Doch die Existenz der Engel,
Die bezweifelte ich nie;
Lichtgeschöpfe sonder Mängel,
Hier auf Erden wandeln sie.

Nur, genädge Frau, die Flügel
Sprech ich jenen Wesen ab;
Engel gibt es ohne Flügel,
Wie ich selbst gesehen hab.

Lieblich mit den weißen Händen,
Lieblich mit dem schönen Blick
Schützen sie den Menschen, wenden
Von ihm ab das Missgeschick.

Ihre Huld und ihre Gnaden
Trösten jeden, doch zumeist
Ihn, der doppelt qualbeladen,
Ihn, den man den Dichter heißt.


Symbolik des Unsinns

Wir heben nun zu singen an
Das Lied von einer Nummer,
Die ist geheißen Nummer Drei;
Nach Freuden kommt der Kummer.

Arabischen Ursprungs war sie zwar,
Doch christentümlich frummer
In ganz Europa niemand war
Wie jene brave Nummer.

Sie war ein Muster der Sittlichkeit
Und wurde rot wie ein Hummer,
Fand sie den Knecht im Bette der Magd;
Gab beiden einen Brummer.

Des Morgens trank sie den Kaffee
Um sieben Uhr im Summer,
Im Winter um neun, und in der Nacht
Genoss sie den besten Schlummer.

Jetzt aber ändert sich der Reim,
Und ändern sich die Tage;
Es muss die arme Nummer Drei
Erdulden Pein und Plage.

Da kam ein Schuster und sagte: der Kopf
Der Nummer Drei, der sähe
Wie eine kleine Sieben aus,
Die auf einem Halbmond stehe.

Die Sieben sei aber die mystische Zahl
Der alten Pythagoräer,
Der Halbmond bedeute Dianendienst,
Er mahne auch an Sabäer.

Sie selber, die Drei, sei Schiboleth
Des Oberbonzen von Babel;
Durch dessen Buhlschaft sie einst gebar
Die heilge Dreieinigkeitsfabel.

Ein Kürschner bemerkte dagegen: die Drei
Sie eine fromme Trulle,
Verehrt von unsern Vätern, die einst
Geglaubt an jede Schrulle.

Da war ein Schneider, der lächelnd sprach,
Dass gar nicht existiere
Die Nummer Drei, Dass sie sich nur
Befinde auf dem Papiere.

Als solches hörte die arme Drei,
Wie eine verzweifelte Ente,
Sie wackelte hin, sie wackelte her,
Sie jammerte und flennte:

Ich bin so alt wie das Meer und der Wald,
Wie die Stern, die am Himmel blinken;
Sah Reiche entstehn, sah Reiche vergehn
Und Völker aufsteigen und sinken.

Ich stand am schnurrenden Webstuhl der Zeit
Wohl manches lange Jahrtausend;
Ich sah der Natur in den schaffenden Bauch,
Das wogte brausend und sausend.

Und dennoch widerstand ich dem Sturm
Der sinnlich dunkeln Gewalten —
Ich habe meine Jungferschaft
In all dem Spektakel behalten.

Was hilft mir meine Tugend jetzt?
Mich höhnen Weise und Toren;
Die Welt ist schlecht und ungerecht,
Lässt niemand ungeschoren.

Doch tröste dich, mein Herz, dir blieb
Dein Lieben, Hoffen, Glauben,
Auch guter Kaffee und ein Schlückchen Rum,
Das kann keine Skepsis mir rauben.


Rationalistische Exegese
Nicht von Raben, nein mit Raben
Wurde Elias ernähret —
Also ohne Wunder haben
Wir die Stelle uns erkläret.

Ja anstatt gebratner Tauben,
Gab man ihm gebratne Raben,
Wie wir deren selbst mit Glauben
Zu Berlin gespeiset haben.


Stoßseufzer


Abb. zu Stoßseufzer aus Heine-Luxusausgabe

Unbequemer neuer Glauben!
Wenn sie uns den Herrgott rauben,
Hat das Fluchen auch ein End —
Himmel-Herrgott-Sakrament!

Wir entbehren leicht das Beten,
Doch das Fluchen ist vonnöten,
Wenn man gegen Feinde rennt —
Himmel-Herrgott-Sakrament!

Nicht zum Lieben, nein zum Hassen,
Sollt ihr uns den Herrgott lassen,
Weil man sonst nicht fluchen könnt —
Himmel-Herrgott-Sakrament!


Zur Teleologie


Abb. Zur Teleologie aus Heine-Luxusausgabe

Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben,
Wollte nicht, dass an der Scholle
Unsre Menschheit kleben solle.
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
Gnügte uns ein einzges Bein.

Augen gab uns Gott ein Paar,
Dass wir schauen rein und klar;
Um zu glauben was wir lesen,
Wär ein Auge gnug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide,
Dass wir schauen und begaffen
Wie er hübsch die Welt erschaffen
Zu des Menschen Augenweide;
Doch beim Gaffen in den Gassen
Sollen wir die Augen brauchen
Und uns dort nicht treten lassen
Auf die armen Hühneraugen,
Die uns ganz besonders plagen,
Wenn wir enge Stiefel tragen.

Gott versah uns mit zwei Händen,
Dass wir doppelt Gutes spenden;
Nicht um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen
In den großen Eisentruhn,
Wie gewisse Leute tun —
(Ihren Namen auszusprechen
Dürfen wir uns nicht erfrechen —
Hängen würden wir sie gern.
Doch sie sind so große Herrn,
Philanthropen, Ehrenmänner,
Manche sind auch unsre Gönner,
Und man macht aus deutschen Eichen
Keine Galgen für die Reichen.)

Gott gab uns nur eine Nase,
Weil wir zwei in einem Glase
Nicht hineinzubringen wüssten,
Und den Wein verschlappern müssten.

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppeltmäulig wär,
Fräß und lög er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muss er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

Mit zwei Ohren hat versehn
Uns der Herr. Vorzüglich schön
Ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
So er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
Um von Mozart, Gluck und Hayden
Meisterstücke anzuhören —
Gäb es nur Tonkunst-Kolik
Und Hämorrhoidal-Musik
Von dem großen Meyerbeer,
Schon ein Ohr hinlänglich wär! —

Als zur blonden Teutolinde
Ich in solcher Weise sprach,
Seufzte sie und sagte: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
Kritisieren unsern Schöpfer,
Ach! das ist, als ob der Topf
Klüger sein wollt als der Töpfer!
Doch der Mensch fragt stets: Warum?
Wenn er sieht, Dass etwas dumm.
Freund, ich hab dir zugehört,
Und du hast mir gut erklärt,
Wie zum weisesten Behuf
Gott den Menschen zwiefach schuf
Augen, Ohren, Arm' und Bein',
Wahrend er ihm gab nur ein
Exemplar von Nas und Mund — 

Doch nun sage mir den Grund:
Gott, der Schöpfer der Natur,
Warum schuf er einfach nur
Das skabröse Requisit,
Das der Mann gebraucht, damit
Er fortpflanze seine Rasse
Und zugleich sein Wasser lasse?
Teurer Freund, ein Duplikat
Wäre wahrlich hier vonnöten,
Um Funktionen zu vertreten,
Die so wichtig für den Staat
Wie fürs Individuum,
Kurz fürs ganze Publikum.
Zwei Funktionen, die so greulich
Und so schimpflich und abscheulich
Miteinander kontrastieren
Und die Menschheit sehr blamieren.
Eine Jungfrau von Gemüt
Muss sich schämen, wenn sie sieht,
Wie ihr höchstes Ideal
Wird entweiht so trivial!
Wie der Hochaltar der Minne
Wird zur ganz gemeinen Rinne!
Psyche schaudert, denn der kleine
Gott Amor der Finsternis,
Er verwandelt sich beim Scheine
Ihrer Lamp — in Mankepiss.

Also Teutolinde sprach,
Und ich sagte ihr: Gemach!
Unklug wie die Weiber sind,
Du verstehst nicht, liebes Kind,
Gottes Nützlichkeitssystem,
Sein Ökonomie-Problem
Ist, Dass wechselnd die Maschinen
Jeglichem Bedürfnis dienen,
Den profanen wie den heilgen,
Den pikanten wie langweilgen, —
Alles wird simplifiziert;
Klug ist alles kombiniert:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er seinesgleichen
Auf demselben Dudelsack
Spielt dasselbe Lumpenpack.
Feine Pfote, derbe Patsche,
Fiddelt auf derselben Bratsche,
Durch dieselben Dämpfe, Räder
Springt und singt und gähnt ein jeder,
Und derselbe Omnibus
Fährt uns nach dem Tartarus.


Sie küssten mich mit ihren falschen Lippen,
Sie haben mir kredenzt den Saft der Reben,
Sie haben mich dabei mit Gift vergeben —
Das taten mir die Magen und die Sippen.

Es schmilzt das Fleisch von meinen armen Rippen.
Ich kann mich nicht vom Siechbett mehr erheben,
Arglistig stahlen sie mein junges Leben —
Das taten mir die Magen und die Sippen.

Ich bin ein Christ — wie es im Kirchenbuche
Bescheinigt steht — deshalb, bevor ich sterbe,
Will ich euch fromm und brüderlich verzeihen.

Es wird mir sauer — ach! mit einem Fluche
Möcht ich weit lieber euch vermaledeien:
Dass euch der Herr verdamme und verderbe!


Ewigkeit, wie bist du lang,
Länger noch als tausend Jahr;
Tausend Jahre brat ich schon,
Ach! und ich bin noch nicht gar.

Ewigkeit, wie bist du lang,
Länger noch als tausend Jahr;
Und der Satan kommt am End,
Frisst mich auf mit Haut und Haar.


1851


König David

Lächelnd scheidet der Despot,
Denn er weiß, nach seinem Tod
Wechselt Willkür nur die Hände,
Und die Knechtschaft hat kein Ende.

Armes Volk! wie Pferd' und Farrn
Bleibt es angeschirrt am Karrn,
Und der Nacken wird gebrochen,
Der sich nicht bequemt den Jochen.

Sterbend spricht zu Salomo
König David: Apropos,
Dass ich Joab dir empfehle,
Einen meiner Generäle.

Dieser tapfre General
Ist seit Jahren mir fatal,
Doch ich wagte den verhassten
Niemals ernstlich anzutasten.

Du, mein Sohn, bist fromm und klug,
Gottesfürchtig, stark genug,
Und es wird dir leicht gelingen,
Jenen Joab umzubringen.

Erläuterung:

"JOAB, Feldherr König Davids (Joab = »Jahwe ist Vater«). Nach 1.Sam 26 - 1.Kön 2, bzw. 1Chr 11-21 ist J als einer der drei Söhne der Zeruja König Davids Neffe (1.Chr 2,16). Er wird als der überaus erfolgreiche Hauptmann des Heeres geschildert, der sogar in der Lage gewesen ist, die als uneinnehmbar geltende Jebusiterstadt Jerusalem zu erobern. Obwohl er König David treu ergeben geblieben ist, ihn durch List und Gewalttat in seiner Macht gestärkt hat, gleichwohl ihm auch als kritischer Mahner und politischer Ratgeber (etwa im Zusammenhang der verhängnisvollen Volkszählung nach 2.Sam 24, bzw. 1Chr 21) freimütig entgegentreten konnte, ist er schließlich doch in Ungnade gefallen. Dies nicht so sehr deswegen, weil er den geliebten Königssohn Absalom, der einen Aufstand gegen seinen Vater unternahm, gegen den ausdrücklichen Willen Königs Davids umgebracht hat, sondern vor allem weil er Abner, seinen Gegenspieler und Feldherrn König Sauls, heimtückisch ermordet hat. Davids Sohn und Thronnachfolger Salomo ließ Joab im Auftrage seines Vaters töten, zumal sich Joab in den Wirren um die Thronnachfolge Davids auf die Seite Adonias statt auf Salomos Seite geschlagen hatte."

[Quelle: Hartmut Rosenau. -- http://www.bautz.de/bbkl/j/Joab.shtml. -- Zugriff am 2004-06-12] 


Der Ex-Nachtwächter
Missgelaunt, sagt man, verließ er
Stuttgart an dem Neckarstrand,
Und zu München an der Isar
Ward er Schauspielintendant.

Das ist eine schöne Gegend
Ebenfalls, es schäumet hier,
Geist- und phantasieerregend,
Holder Bock, das beste Bier.

Doch der arme Intendante,
Heißt es, gehet dort herum
Melancholisch wie ein Dante,
Wie Lord Byron gloomy, stumm.

Ihn ergötzen nicht Komödien,
Nicht das schlechteste Gedicht,
Selbst die traurigsten Tragödien
Liest er — doch er lächelt nicht.

Manche Schöne möcht erheitern
Dieses gramumflorte Herz,
Doch die Liebesblicke scheitern
An dem Panzer, der von Erz.

Nannerl mit dem Riegelhäubchen
Girrt ihn an so muntern Sinns —
Geh ins Kloster, armes Täubchen,
Spricht er wie ein Dänenprinz.

Seine Freunde sind vergebens
Zu erlustgen ihn bemüht,
Singen: Freue dich des Lebens,
Weil dir noch dein Lämpchen glüht!

Kann dich nichts zum Frohsinn reizen
Hier in dieser hübschen Stadt,
Die an amüsanten Käuzen
Wahrlich keinen Mangel hat?

Zwar hat sie in jüngsten Tagen
Eingebüßt so manchen Mann,
Manchen trefflichen Choragen,
Den man schwer entbehren kann.

Wär der Maßmann nur geblieben!
Dieser hätte wohl am End
Jeden Trübsinn dir vertrieben
Durch sein Burzelbaumtalent.

Schelling, der ist unersetzlich!
Ein Verlust vom höchsten Wert!
War als Philosoph ergötzlich
Und als Mime hochgeehrt.

Dass der Gründer der Walhalla
Fortging und zurücke ließ
Seine Manuskripte alle,
Gleichfalls ein Verlust war dies!

Mit Cornelius ging verloren
Auch des Meisters Jüngerschaft;
Hat das Haar sich abgeschoren,
Und im Haar war ihre Kraft.

Denn der kluge Meister legte
Einen Zauber in das Haar,
Drin sich sichtbar oft bewegte
Etwas das lebendig war.

Tot ist Görres, die Hyäne.
Ob des heiligen Offiz
Umsturz quoll ihm einst die Träne
Aus des Auges rotem Schlitz.


Abb.: Josef Görres

Dieses Raubtier hat ein Sühnchen
Hinterlassen, doch es ist
Nur ein giftiges Kaninchen,
Welches Nonnenfürzchen frisst.

Apropos! Der erzinfame
Pfaffe Dollingerius —
Das ist ungefähr sein Name —
Lebt er noch am Isarfluss?


Abb.: Ignaz von Döllinger [Bildquelle: http://www.alt-kath.uni-bonn.de/Alt-katholischesSeminar-Dateien/doellinger.jpg. -- Zugriff am 2004-06-12]

Dieser bleibt mir unvergesslich!
Bei dem reinen Sonnenlicht!
Niemals schaut ich solch ein hässlich
Armesünderangesicht.

Wie es heißt, ist er gekommen
Auf die Welt gar wundersam,
Hat den Afterweg genommen,
Zu der Mutter Schreck und Scham.

Sah ihn am Karfreitag wallen
In dem Zug der Prozession,
Von den dunkeln Männern allen
Wohl die dunkelste Person.

Ja, Monacho Monachorum
Ist in unsrer Zeit der Sitz
Der Virorum obscurorum,
Die verherrlicht Huttens Witz.


Abb.: Ulrich von Hutten

Wie du zuckst beim Namen Hutten!
Ex-Nachtwächter, wache auf!
Hier die Pritsche, dort die Kutten,
Und wie ehmals schlage drauf!.

Geißle ihre Rücken blutig,
Wie einst tat der Ullerich;
Dieser schlug so rittermutig,
Jene heulten fürchterlich.

Der Erasmus musste lachen
So gewaltig ob dem Spaß,
Dass ihm platzte in dem Rachen
Sein Geschwür und er genas.

Auf der Ebersburg desgleichen
Lachte Sickingen wie toll,
Und in allen deutschen Reichen
Das Gelächter widerscholl.

Alte lachten wie die Jungen —
Eine einzge Lache nur
War ganz Wittenberg, sie sungen
Gaudeamus igitur!

Freilich, klopft man faule Kutten,
Fängt man Flöh im Überfluss,
Und es musste sich der Hutten
Manchmal kratzen vor Verdruss.

Aber alea est jacta!
War des Ritters Schlachtgeschrei,
Und er knickte und er knackte
Pulices und Klerisei.

Ex-Nachtwächter, Stundenrufer,
Fühlst du nicht dein Herz erglühn?
Rege dich am Isarufer,
Schüttle ab den kranken Spleen.

Deine langen Fortschrittsbeine,
Heb sie auf zu neuem Lauf —
Kutten grobe, Kutten feine,
Sind es Kutten, schlage drauf!

Jener aber seufzt, und seine
Hände ringend er versetzt:
Meine langen Fortschrittsbeine
Sind europamüde jetzt.

Meine Hühneraugen jücken,
Habe deutsche enge Schuh,
Und wo mich die Schuhe drücken,
Weiß ich wohl — lass mich in Ruh!

Erläuterung (nur der in unserem Zusammenhang wichtigen Namen):

"GÖRRES, Johann Joseph von, Publizist, Historiker, bedeutender Repräsentant des deutschen politischen Katholizismus. * 25.1. 1776 in Koblenz, † 29.1. 1848 in München. - Von 1786 bis 1793 besuchte Görres das ehemalige Jesuitengymnasium zu Koblenz, in dem er mit aufklärerischen Ideen in Berührung kam. Danach bildete er sich autodidaktisch in der Medizin, den Naturwissenschaften und Geschichte. In den 90er Jahren sympathisierte Görres mit den im Rheinland verbreiteten revolutionären republikanischen Strömungen und begrüßte den Anschluss seiner Heimat an die französische Republik. In dieser Zeit brach er mit der katholischen Kirche und widmete sich der politischen Publizistik (Der allgemeine Friede ein Ideal, 1798; Beiträge in den Zeitschriften Das Rothe Blatt, 1798/99; Der Rübezahl, 1799). - Nach seinem Aufenthalt in Paris, wo er 1799/1800 im Auftrag der Koblenzer Patrioten weilte, distanzierte sich Görres, enttäuscht von der Revolution und ihrem Despotismus, von seiner früheren Begeisterung für Frankreich und gab die publizistische Tätigkeit auf. Seit 1800 arbeitete Görres als Lehrer der Naturwissenschaften an der Sekundärschule in Koblenz, von 1806-1808 als Privatdozent an der Universität Heidelberg, danach wiederum in Koblenz. — Zwischen 1814 und 1816 gab Görres die Tageszeitung Rheinischer Merkur heraus, in der er gegen Napoleon für die nationale Freiheit und ein einiges Deutschland eintrat. In dieser Zeit pflegte Görres Kontakte zum Freiherrn von Stein, Ludwig und Wilhelm Grimm und Friedrich Karl von Savigny. Sein Eintreten für die nationale Freiheit und eine freiheitliche Verfassung führte zum Verbot des »Rheinischen Merkur«, Görres selbst musste nach dem Erscheinen seiner Schrift »Teutschland und die Revolution« (1819) nach Aarau und Straßburg fliehen. In die Zeit des Exils fiel die Aussöhnung Görres' mit der katholischen Kirche (1824), als deren sichtbares Zeichen seine Mitarbeit an der 1821 von Andreas Räß und Nikolaus Weis gegründeten, streng kirchlich-römisch ausgerichteten Zeitschrift »Der Katholik« gilt. In Straßburg veröffentlichte Görres mit den Schriften »Der Heilige Franziskus von Assisi«, ein Troubadour« (1826) und »Emanuel Swedenborg« (1827) die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit der christlichen Mystik. — 1827 berief ihn Ludwig I. von Bayern als Professor für Allgemeine und Litterärgeschichte an die neugegründete Universität München. Hier entstand in den Jahren 1836-1842 das vierbändige kompilatorische Werk »Die christliche Mystik«, das allerdings wegen seiner schwer verständlichen Sprache wenig Beachtung fand. In seinem Münchner Haus bildete sich ein christlich-konservativer Kreis, dem später so bedeutende Persönlichkeiten wie der Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger, Bischof Wilhelm Emanuel von Ketteler, der Sozialphilosoph Franz von Baader und der »Gesellenvater« Adolph Kolping angehörten. Sprachrohr des Görreskreises waren die Zeitschrift »Eos« und seit 1838 die »Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland«, die sich später zum wichtigsten literarischen Organ der sich formierenden großdeutsch ausgerichteten politischen Freiheitsbewegung der deutschen Katholiken entwickelten. — Die Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Freiherr von Droste zu Vischering im Jahr 1837 wegen seiner Haltung im Mischehenstreit nahm Görres zum Anlass, 1838 mit der Streitschrift »Athanasius« in die politische Kontroverse einzugreifen, womit er dem »Kölner Ereignis« die eigentliche Öffentlichkeits-Resonanz verlieh. Die ca. 150 Seiten starke Schrift, die im gleichen Jahr die vierte Auflage und eine Gesamtzahl von 10000 Exemplaren erreichte, bot Ansatz für den politischen Katholizismus in Deutschland. In seinem Alterswerk »Die Wallfahrt nach Trier« (1854) wandte sich Görres gegen Rationalismus und Deutschkatholizismus und trat für ein friedliches Zusammenleben der getrennten Konfessionen ein. — Görres starb am 29. Januar 1848 in München und fand dort seine letzte Ruhestätte. Seine wissenschaftliche Hinterlassenschaft ist noch wenig erschlossen. "

[Quelle: Ursula Olschewski. -- http://www.bautz.de/bbkl/g/goerres_j_j.shtml. -- Zugriff am 2004-06-12] 

"DÖLLINGER, Johann Joseph Ignaz von, der bedeutendste kath. Theologe seiner Zeit, Kirchenhistoriker, einer der Hauptgegner des Unfehlbarkeitsdogmas, * 28.2. 1799 in Bamberg als Sohn eines o. Professors der Medizin, † 10.1. 1890 in München. — Döllinger verlebte seine Kindheit und Jugend in Würzburg, wohin sein Vater, der später so berühmte Anatom und Physiologe Ignaz Döllinger (1770-1841), nach Aufhebung der Bamberger Universität 1803 berufen worden war. 1816 bezog er die Universität und widmete sich dem Studium der Geschichte und mit gleichem Eifer auch der Philologie und den Naturwissenschaften, wandte sich aber 1817 der Theologie zu und setzte im Herbst 1820 seine Studien am Bamberger Lyzeum fort als Alumne des dortigen geistlichen Seminars. Döllinger empfing an 22.3. 1822 in Würzburg die Priesterweihe und kam im November 1822 als Kaplan nach Markt Scheinfeld (Mittelfranken). Im November 1823 wurde er Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts am Lyzeum in Aschaffenburg und im Herbst 1826 ao. und 1827 o. Professor an der neugegründeten Universität München und las auch über Dogmatik und neutestamentliche Exegese. Döllinger schloss sich an Joseph von Görres eng an und entwickelte sich auf wissenschaftlichem, journalistischem und parlamentarischem Gebiet immer mehr zum Vorkämpfer der neuen, strengkirchlichen Richtung des deutschen Katholizismus. Er verteidigte die Kniebeugungsordre von 1838, nach der bei Militärgottesdiensten alle Teilnehmer zur Verehrung der Hostie während der Konsekration niederknien sollten, und zeigte sich als Gegner des Protestantismus besonders durch sein tendenziöses Werk »Die Reformation«. Döllinger war seit 1839 Kanonikus und wurde am 1.1. 1847 zum infulierten Propst des Hofkollegiatstifts St. Cajetan ernannt. Durch die Lola Montez-Affäre verlor er am 27.8. 1847 seine Professur, die er erst am 24.12. 1849 zurückerhielt. Als Mitglied des Frankfurter Parlaments 1848/49 kämpfte Döllinger für das Recht der Kirche auf Freiheit und Autonomie und vertrat 1848 auf der Würzburger Bischofsversammlung und auf der Generalversammlung der katholischen Vereine 1849 in Regensburg und 1850 in Linz das Ideal einer deutschen Nationalkirche. In den fünfziger Jahren widmete er sich kirchengeschichtlichen Forschungen und schriftstellerischen Arbeiten, während sich in seiner kirchlichen und wissenschaftlichen Richtung allmählich ein Umschwung vollzog, der ihn in den sechziger Jahren in wachsenden Gegensatz zu der immer stärker werdenden ultramontanen, jesuitischen Richtung brachte. Döllinger bestritt 1861 in einem Vortrag die Notwendigkeit des Kirchenstaates als Grundlage der päpstlichen Souveränität. Am 28.9. 1863 eröffnete er mit seiner berühmten Rede »Die Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie« in der Münchener Benediktinerabtei den katholischen Gelehrtenkongress. Dieser vergrößerte nur noch die Kluft zwischen den Vertretern der Neuscholastik, die die in Thomas von Aquino gipfelnde mittelalterliche Scholastik als die einzig adäquate kirchliche Wissenschaft proklamierten, und den Vertretern der bisherigen deutschen Theologie als einer den übrigen ebenbürtigen Wissenschaft. Döllinger verwarf das durch die Bulle »Ineffabilis Deus« vom 8.12. 1854 verkündigte Dogma der »immaculata conceptio«, der Unbefleckten Empfängnis der Maria, ebenso den Syllabus vom 8.12. 1854, das Verzeichnis, in dem 80 Irrtümer in Fragen der Religion, der Wissenschaft, der Politik und des Wirtschaftslebens verdammt wurden. Durch anonyme Zeitungsaufsätze führte er einen leidenschaftlichen Kampf gegen den Ultramontanismus. Nachdem die römische Jesuitenzeitschrift »Civiltà Cattolica« vom 9.2. 1869 nähere Angaben über die geplanten Verhandlungsgegenstände des Vatikanischen Konzils gebracht hatte, veröffentlichte Döllinger in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« Aufklärungsaufsätze, aus denen das Buch »Der Papst und das Konzil« entstand, das unter dem Pseudonym Janus noch 1869 erschien. Den Verlauf der Verhandlungen in Rom suchte er zu beeinflussen durch seine »Erwägungen für die Bischöfe des Konzils über die Frage der Unfehlbarkeit«. Aus dem ihm aus Rom ununterbrochen zugehenden Material redigierte Döllinger für die »Augsburger Allgemeine Zeitung« 69 »Briefe vom Konzil«, deren Berichte man mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte. Am 18.7. 1870 wurde auf dem Vatikanischen Konzil das Dogma von der Unfehlbarkeit päpstlicher Lehrentscheidungen ex cathedra beschlossen. Döllinger verweigerte die Anerkennung dieses Dogmas und wurde deswegen durch den Münchener Erzbischof Gregor von Scherr am 17.4. 1871 exkommuniziert. Er hielt keine theologischen Vorlesungen mehr und gab auch seine geistlichen Funktionen auf, stellte aber seine Lehrtätigkeit an der Universität, deren Rektor er 1871/72 wurde, erst 1873 ganz ein. Döllinger betrachtete sich und alle Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas weiterhin als rechtmäßige Glieder der katholischen Kirche und war darum gegen Abhaltung eigener Gottesdienste und Bildung »altkatholischer« Gemeinden, während der erste Altkatholikenkongress vom 22. bis 24.9. 1871 gegen seinen Widerspruch die Anbahnung der Selbständigkeit beschloss. Döllinger nahm an dem Werden und der Entwicklung der »altkatholischen Kirche« regen und beratenden Anteil, ohne ihr jedoch als Mitglied beizutreten. Er bemühte sich 1872 durch Vorträge und 1874/75 auf Unionskonferenzen in Bonn eifrig, aber ohne Erfolg um die Wiedervereinignng der christlichen Kirchen. Ludwig II. ernannte ihn 1873 zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, der er seit 1837 als ao. und seit 1843 als o. Mitglied angehörte. Unversöhnt mit der Kirche, starb Döllinger und wurde von Johannes Friedrich nach altkatholischem Ritus beerdigt. "

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/d/doellinger_j_j_i.shtml. -- Zugriff am 2004-06-12]

"Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurum virorum), Sammlung von fingierten satirischen., gegen kirchliche. Autorität und entartetes Mönchtum gerichteten Briefen, absichtlich. in schlechtem Latein geschrieben (1. Teil von Crotus Rubianus 1515, 2. Teil von Ulrich von Hutten 1517). Die Dunkelmännerbriefe erwiesen sich als schärfste Waffe des Humanismus im Kampf gegen die Scholastik."

[Quelle: http://www.infobitte.de/free/lex/allgLex0/d/dunkelmaennerbriefe.htm. -- Zugriff am 2004-06-12]

"HUTTEN, Ulrich von, Humanist, Publizist, Politiker, * 21.4. 1488 Burg Steckelberg b. Schlüchtern (Hessen), † 29.8. 1523 Insel Ufenau im Zürichsee. Hutten entstammte einem alten fränkischen Reichsrittergeschlecht, Sohn des Fuldaer Rats Ulrich v. Hutten (1458-1522) und der Ottilie († 1523), Tochter des Philipp von Eberstein († 1473), hanauer Amtmann zu Steinau. Hutten vom Vater für den Fuldaer Prälatenstand bestimmt, besuchte seit 1498 die Klosterschule Fulda, erhielt das Biennium Studii für Erfurt, wo er bis 1505 als Mentor blieb, studierte in Mainz, Köln und Greifswald und war 1506 Magister in Frankfurt/Oder. Dort erwarb er den artistischen Backaler und zählte zum literarischen Kreis des Bischofs Dietrich v. Bülow. 1508 bis 1509 las er in Leipzig über Humanoria und schrieb in seiner darauffolgenden Zeit in Rostock Gedichte. Hutten geriet in Streit mit dem Greifswalder Lötz und setzte sich mit seinen "Querelen gegen die Lötz" (1510) als lateinischer Dichter durch. Nach seinem Aufenthalt 1511 in Wien bei J. Vadian, wo er mit dem national gesinnten Humanismus in Berührung kam, studierte Hutten 1512/13 in Pavia und Bologna Jura, wurde später aus materieller Not Landsknecht und schrieb Epigramme an Maximilan I., denen ghibellinische Vorstellungen von Kaiser und Reich zugrunde liegen. Hier liegen Anfänge seiner antipäpstlichen Publizistik. 1514 kehrt Hutten nach Deutschland zurück und wurde von seinem ehemaligen Kommilitonen aus Frankfurt Mgf. Albrecht von Brandenburg (später Kf. und Erzbischof von Mainz) aufgenommen. Dieser ermöglichte Hutten die Fortsetzung seines Studiums 1516/17 in Rom bei Hummelberg und Corycius und in Bologna bei Domherr Jakob v. Fuchs und Joh. Cochlaeus. Schon 1514 kam Hutten mit dem mittel- und oberrheinischen Humanismus in Berührung, verteidigte kämpferisch mit dem Gedicht "Triumphus Capinionis" (gedr. 1518) und durch Betrachtungen zu den Dunkelmännerbriefen J. Reuchlin, den die deutschen Dominikaner wegen seines Eintretens für die Erhaltung jüdischer Schriften verfolgten. Hutten lernte Erasmus kennen, der ihn als lateinischen Dichter schätzte und setzte sich für eine moralische Kirchenreform und ein nationales Reich ein. Hutten wendete sich trotz seiner breiten antiken Bildung aktuellen Themen, der "vita activa" und Ereignissen seiner Zeit zu. 1516 schrieb er in Bologna den Zweitband der "Epistolae Obscurorum Virorum", den er mit Crotus Rubenus geplant hatte und der sich nicht gegen Glaube und Kirche sondern ein veraltetes Bildungssystem wendete. 1517 entstand der sich stilistisch an Lukian anlehnende Dialog "Phalarius", in dem er Herzog Ulrich v. Württemberg, der Mörder Huttens Vetter Hans v. Hutten, anprangerte. Seine fünf forensischen Reden gegen den württembergischen Herzog stärkten den politischen Widerstand gegen das Territorialfürstentum. Maximilian I., Hutten wegen der italienischen Feldepigramme verbunden, krönte ihn 1517 auf dem Reichstag zu Augsburg zum poeta laureatus, verlieh ihm die Würde eines Dr. legum und "Eques auratus" und ernannte ihn zum kaiserlichen Orator. Als Sondergesandter des Erzbischofs Albrecht von Mainz ging er bis Januar 1518 an den französischen Königshof und kam in Berührung mit dem französischen Humanismus. Als ständiger Hofrat stand Hutten im Dienst Albrechts, der Mainz zu einem "Main-Florenz der Wissenschaften" ausbauen wollte. In literarischen Dialogen und Streitschriften griff Hutten Rom erneut und schärfer an, gab Laurentius de Vallas Schriften über die Konstantinische Schenkung mit einer höhnischen Vorrede an Leo X. neu heraus und rief im Augsburger Reichstag 1518 Kaiser und Fürsten in der Exhortatio ad principes Germaniae, das ein reichspolitisches Reformprogramm beinhaltete, zum Türkenkrieg auf. Zusammen mit Franz von Sickingen nahm er 1519 an der Vertreibung des württembergischen Herzog Ulrich teil und der Kaiserwahl in Frankfurt. Hutten versuchte vergeblich, seine Reichsreformpläne, die vom Reformkatholizismus geprägt waren und einen Nationalstaat mit gestärkter kaiserlicher Zentralgewalt und Begrenzung der Macht des Territorialfürstentums beabsichtigten, gegen die Kurie durchzusetzen. Hutten wurde von Albrecht seines Dienstes enthoben und baute, jetzt im Dienst Erzherzog Ferdinands in Brüssel, von dem er sich eine Unterstützung seiner Reformpläne erhoffte, systematisch eine nationale Opposition auf. Nach der Leipziger Disputation sah Hutten Luther als die größte politische Kraft für eine Befreiung von Rom an, ohne aber dessen Anhänger zu werden; vielmehr wollte er die lutherische Bewegung für eigene politische Zielsetzungen nutzen. Bis 1521 schrieb Hutten weitere Streitschriften gegen Rom (Febris I und II, Inspicientes, Trias Romana), wegen der die Kurie Hutten, der kein Ketzer war, mit dem Kirchenbann belegte. Von der Inquisition verfolgt, flüchtete Hutten 1520 auf die Ebernburg zum politisch aufsteigenden Franz v. Sickingen und verfasste zahlreiche Schriften — jetzt auch wie Luther in deutscher Sprache — gegen Rom, die Kurie und weltliche Fürsten (Bulla vel Bullicida, Monitor I und II, Gesprächsbüchlein, Reimgedichte, Invekturen). Seine in hoffränkischem Deutsch abgefassten Aufrufe richteten sich an das breite Volk und forderten es zum Aufruhr gegen die Geistlichkeit und die mit ihr verbündeten Landesfürsten auf. Sie erreichten eine politische Bewegung, die beim Wormser Reichstag 1521 einen wirksamen Faktor darstellte. Hutten's Humanismus, vom vatinalen Humanismus Italiens geprägt, verband den Nationalbegriff mit dem humanistischen Bildungsbegriff. Sein politisches Anliegen war nicht neu, sondern unterstrich und verbreitete die Klagen deutscher Nationen gegen das politische Papsttum und prangerte die politische Verflechtung von Kurie und Landesfürstentum als Gefahr für Reich und Nation an. Kaiserliche und päpstliche Diplomatie vermochten Hutten nicht von seinem politischen Handeln abbringen und der Kaiser sah sich genötigt, Huttens und Sickingens Reformforderungen anzunehmen. Als sich dies im Wormser Edikt, das Hutten isolierte, als taktischer Schachzug kaiserlicher Politik erwies, brach Hutten mit dem Kaiser und eröffnete aus dem Untergrund seinen eigenen "Pfaffenkrieg". Die "Trierer Fehde" war der Versuch einer gewaltsamen Änderung der Zustände im Reich, die jedoch fehlschlug und damit das Scheitern Huttens großer politischer Reformkonzeption bedeutete. Zuvor auf Burg Diemstein (bis November 1521) dann auf Burg Wartenberg (bis Mal 1522) versteckt, floh Hutten im Herbst 1522 von Burg Landstuhl nach Basel zu Erasmus, der Hutten jedoch abwies. Hutten erwiderte dies mit seiner Schrift "Expostu latio Erasmo" (1523), auf die Erasmus mit "Sponiga adversus aspergines Hutteni" antwortete. Zwingli nahm Hutten schließlich auf und bot ihm Ufenau im Züricher See als Zufluchtsort an, wo Hutten starb. Aus dem Nachlass erschien 1529 der Dialog-"terminus", ein ungebrochener, vehementer Angriff auf das deutsche Territorialfürstentum. Hutten war der meistgelesene und -gedruckte deutsche Humanist. Weniger wegen seiner deutschen Schriften als wegen der lateinischen Publikationen, die eine langdauernde Wirkung auf die politische, kulturelle und literarische Entwicklung Deutschlands hatten, kommt Hutten als Literat eine hervorragende Bedeutung zu. In seinen politischen kulturkritischen und polemischen Schriften, die aktuelle Zeitfragen behandelten, brachte er Forderungen des Individualismus zum Ausdruck und schaffte für Deutschland erstmalig eine Synthese von Humanismus und Nationalismus. Sein politisches Handeln galt der Verwirklichung einer auf dem Recht beruhenden Lebens- und Staatsordnung der Nation in allen ihren Gliedern. "

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/h/hutten_u.shtml. -- Zugriff am 2004-06-12]


Auferstehung

Posaunenruf erfüllt die Luft,
Und furchtbar schallt es wider;
Die Toten steigen aus der Gruft,
Und schütteln und rütteln die Glieder.

Was Beine hat, das trollt sich fort,
Es wallen die weißen Gestalten
Nach Josaphat, dem Sammelort,
Dort wird Gericht gehalten.

Als Freigraf sitzet Christus dort
In seiner Apostel Kreise.
Sie sind die Schöppen, ihr Spruch und Wort
Ist minniglich und weise.

Sie urteln nicht vermummten Gesichts;
Die Maske lässt jeder fallen
Am hellen Tage des Jüngsten Gerichts,
Wenn die Posaunen schallen.

Das ist zu Josaphat im Tal,
Da steht die geladenen Scharen,
Und weil zu groß der Beklagten Zahl,
Wird hier summarisch verfahren.

Das Böcklein zur Linken, zur Rechten das Schaf,
Geschieden sind sie schnelle;
Der Himmel dem Schäfchen fromm und brav,
dem geilen Bock die Hölle!

Erläuterung:

Tal Josaphat siehe Joel 3, 12: "Die Nationen sollen sich aufmachen und hinabziehen in das Tal Josaphat; denn dort werde ich sitzen, um alle Nationen ringsum zu richten. "


1853/1854


Zum Lazarus 1


Abb.: Titelleiste aus Heine-Luxusausgabe

Lass die heil'gen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen —
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.

Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Ross der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler —
Aber ist das eine Antwort?


Himmelfahrt


Abb. aus Heine-Luxusausgabe

Der Leib lag auf der Totenbahr,
Jedoch die arme Seele war,
Entrissen irdischem Getümmel,
Schon auf dem Wege nach dem Himmel.

Dort klopft' sie an die hohe Pforte,
Und seufzte tief und sprach die Worte:
Sankt Peter, komm und schließe auf!
Ich bin so müde vom Lebenslauf —
Ausruhen möcht ich auf seidnen Pfühlen
Im Himmelreich, ich möchte spielen
Mit lieben Englein Blindekuh
Und endlich genießen Glück und Ruh!

Man hört Pantoffelgeschlappe jetzund,
Auch klirrt es wie ein Schlüsselbund,
Und aus einem Gitterfenster am Tor
Sankt Peters Antlitz schaut hervor.

Er spricht: »Es kommen die Vagabunde,
Zigeuner, Polacken und Lumpenhunde,
Die Tagediebe, die Hottentotten —
Sie kommen einzeln und in Rotten,
Und wollen in den Himmel hinein
Und Engel werden und selig sein.
Holla! Holla! Für Galgengesichter
Von eurer Art, für solches Gelichter
Sind nicht erbaut die himmlischen Hallen —
Ihr seid dem leidigen Satan verfallen.
Fort, fort von hier! und trollt euch schnelle
Zum schwarzen Pfuhle der ewigen Hölle.«

So brummt der Alte, doch kann er nicht
Im Polterton verharren, er spricht
Gutmütig am Ende die tröstenden Worte:
»Du arme Seele, zu jener Sorte
Halunken scheinst du nicht zu gehören —
Nu! Nu! Ich will deinen Wunsch gewähren,
Weil heute mein Geburtstag just
Und mich erweicht barmherzige Lust —
Nenn mir daher die Stadt und das Reich,
Woher du bist; sag mir zugleich,
Ob du vermählt warst? — Ehliches Dulden
Sühnt oft des Menschen ärgste Schulden;
Ein Ehmann braucht nicht in der Hölle zu schmorn,
Ihn lässt man nicht warten vor Himmelstoren.«

Die Seele antwortet: Ich bin aus Preußen,
Die Vaterstadt ist Berlin geheißen.
Dort rieselt die Spree, und in ihr Bette
Pflegen zu wässern die jungen Kadette;
Sie fließt gemütlich über, wenns regent —
Berlin ist auch eine schöne Gegend!
Dort bin ich Privatdozent gewesen,
Und hab über Philosophie gelesen —
Mit einem Stiftsfräulein war ich vermählt,
Doch hat sie oft entsetzlich krakeelt,
Besonders wenn im Haus kein Brot —
Drauf bin ich gestorben und bin jetzt tot.

Sankt Peter rief: »O weh! o weh!
Die Philosophie ist ein schlechtes Metier.
Wahrhaftig, ich begreife nie,
Warum man treibt Philosophie.
Sie ist langweilig und bringt nichts ein,
Und gottlos ist sie obendrein;
Da lebt man nur in Hunger und Zweifel,
Und endlich wird man geholt vom Teufel.
Gejammert hat wohl deine Xantuppe
Oft über die magre Wassersuppe,
Woraus niemals ein Auge von Fett
Sie tröstend angelächelt hätt —
Nun sei getrost, du arme Seele!
Ich habe zwar die strengsten Befehle,
Jedweden, der sich je im Leben
Mit Philosophie hat abgegeben,
Zumalen mit der gottlos deutschen,
Ich soll ihn schimpflich von hinnen peitschen —
Doch mein Geburtstag, wie gesagt,
Ist eben heut, und fortgejagt
Sollst du nicht werden, ich schließe dir auf
Das Himmelstor, und jetzo lauf
Geschwind herein —

                               Jetzt bist du geborgen!
Den ganzen Tag, vom frühen Morgen
Bis abends spät, kannst du spazieren
Im Himmel herum und träumend flanieren
Auf edelsteingepflasterten Gassen.
Doch wisse, hier darfst du dich nie befassen
Mit Philosophie; du würdest mich
Kompromittieren fürchterlich —
Hörst du die Engel singen, so schneide
Ein schiefes Gesicht verklärter Freude, —
Hat aber gar ein Erzengel gesungen,
Sei gänzlich von Begeistrung durchdrungen,
Und sag ihm, dass die Malibran
Niemals besessen solchen Sopran —
Auch applaudiere immer die Stimm
Der Cherubim und der Seraphim,
Vergleiche sie mit Signor Rubini,
Mit Mario und Tamburini —
Gib ihnen den Titel von Exzellenzen
Und knickre nicht mit Reverenzen.
Die Sänger, im Himmel wie auf Erden,
Sie wollen alle geschmeichelt werden —
Der Weltkapellenmeister hier oben,
Er selbst sogar, hört gerne loben
Gleichfalls seine Werke, er hört es gern,
Wenn man lobsinget Gott dem Herrn
Und seinem Preis und Ruhm ein Psalm
Erklingt im dicksten Weihrauchqualm.

Vergiss mich nicht. Wenn dir die Pracht
Des Himmels einmal Langweile macht,
So komm zu mir; dann spielen wir Karten.
Ich kenne Spiele von allen Arten,
Vom Lanzknecht bis zum König Pharo.
Wir trinken auch — Doch apropos!
Begegnet dir von ungefähr
Der liebe Gott, und fragt dich: woher
Du seiest? so sage nicht aus Berlin,
Sag lieber aus München oder aus Wien.«


Der Philanthrop1
Das waren zwei liebe Geschwister,
Die Schwester war arm, der Bruder war reich.
Zum Reichen sprach die Arme:
Gib mir ein Stückchen Brot.

Zur Armen sprach der Reiche:
»Lass mich nur heut in Ruh.
Heut geb ich mein jährliches Gastmahl
Den Herren vom großen Rat.

Der eine liebt Schildkrötensuppe,
Der andre Ananas,
Der dritte isst gern Fasanen
Mit Trüffeln von Périgord.

Der vierte speist nur Seefisch,
Der fünfte verzehrt auch Lachs,
Der sechste, der frisst alles,
Und trinkt noch mehr dazu.«

Die arme, arme Schwester
Ging hungrig wieder nach Haus;
Sie warf sich auf den Strohsack
Und seufzte tief und starb.

Wir müssen alle sterben!
Des Todes Sense trifft
Am End den reichen Bruder,
Wie er die Schwester traf.

Und als der reiche Bruder
Sein Stündlein kommen sah,
Da schickt' er zum Notare
Und macht' sein Testament.

Beträchtliche Legate
Bekam die Geistlichkeit,
Die Schulanstalten, das große
Museum für Zoologie.

Mit edlen Summen bedachte
Der große Testator zumal
Die Judenbekehrungsgesellschaft
Und das Taubstummen-Institut.

Er schenkte eine Glocke
Dem neuen Sankt-Stephansturm;
Die wiegt fünfhundert Zentner
Und ist vom besten Metall.

Das ist eine große Glocke
Und läutet spat und früh;
Sie läutet zum Lob und Ruhme
Des unvergesslichen Manns.

Sie meldet mit eherner Zunge,
Wieviel er Gutes getan
Der Stadt und seinen Mitbürgern
Von jeglicher Konfession.

Du großer Wohltäter der Menschheit!
Wie im Leben, soll auch im Tod
Jedwede deiner Wohltaten
Verkünden die große Glock!

Das Leichenbegängnis wurde
Gefeiert mit Prunk und Pracht;
Es strömte herbei die Menge,
Und staunte ehrfurchtsvoll.

Auf einem schwarzen Wagen,
Der gleich einem Baldachin
Mit schwarzen Straußfederbüscheln
Gezieret, ruhte der Sarg.

Der strotzte von Silberblechen
Und Silberstickerein;
Es machte auf schwarzem Grunde
Das Silber den schönsten Effekt.

Den Wagen zogen sechs Rosse,
In schwarzen Decken vermummt;
Die fielen gleich Trauermänteln
Bis zu den Hufen hinab.

Dicht hinter dem Sarge gingen
Bediente in schwarzer Livree,
Schneeweiße Schnupftücher haltend
Vor dem kummerroten Gesicht.

Sämtliche Honoratioren
Der Stadt, ein langer Zug
Von schwarzen Paradekutschen,
Wackelte hintennach.

In diesem Leichenzuge,
Versteht sich, befanden sich auch
Die Herren vom hohen Rate
Doch waren sie nicht komplett.

Es fehlte jener, der gerne
Fasanen mit Trüffeln aß;
War kurz vorher gestorben
An einer Indigestion2.

Erläuterungen:

1 Philanthrop (griechisch, »Menschenfreund«), beliebter Ehrenname gemeinnütziger Männer im 18. Jahrhundert

2 Indigestion: (lat.) Verdauungsstörung, Verdauungsbeschwerde


Nicht datiert


Die Hexe
»Liebe Nachbarn, mit Vergunst!
Eine Hex, durch Zauberkunst,
Kann sich in ein Tier verwandeln,
Um die Menschen zu misshandeln.

Eure Katz ist meine Frau;
Ich erkenne sie genau
Am Geruch, am Glanz der Augen,
Spinnen, Schnurren, Pfötchensaugen ...«

Der Nachbar und die Nachbarin,
Sie riefen: »Jürgen, nimm sie hin!«
Der Hofhund bellt: »Wau! wau!«
Die Katze schreit: »Miau!«


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