Religionskritik

Merkwürdige Begegnungen (1925)

von

Hans Otto Henel


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Henel, Hans Otto  <1888 - >: Merkwürdige Begegnungen. -- 1925.. -- Fassung vom 2004-05-19. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/henel.htm     

Erstmals publiziert: 2004-05-19

Überarbeitungen:

©opyright: je nach Todesdatum des Verfassers

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Diese Satire ist erstmals erschienen in Nr. 4 (1925) der Zeitschrift

Das Stachelschwein / Hrsg.: Hans Reimann. -- Berlin : Verl. "Die Schmiede". -- 1924 - 1929,Jan./Febr.

Wieder abgedruckt in:

Bis fünf nach zwölfe, kleine Maus : Streifzug durch satirische Zeitschriften d. Weimarer Republik / hrsg. von W. U. Schütte. -- Berlin : Der Morgen, 1972. -- 307 S. : Ill. -- S. 184f.


Hans Otto Henel wurde 1888 geboren, ist Mitarbeiter an linken Zeitungen und Zeitschriften. Sein Todesjahr konnte ich nicht eruieren.

Folgende selbständigen Publikationen von Henel konnte ich bibliographisch nachweisen:


Graf Hermann Keyserling, alleiniger Inhaber der Weisheit einer Schule in Darmstadt, sprach vor einiger Zeit wieder einmal in Leipzig. Was in ganz Leipzig sich zu tout Leipzig rechnet, war dabei - also gegen 200 Personen. Alle politischen Parteien, denen das noblesse oblige kein leerer Wahn ist, waren mit ihren philosophischen Köpfen vertreten, von Prof. Hans Driesch ganz links bis zur äußersten Rechten, die Herbert Hübner vom Stadttheater mimt. Hauptsächlich aber mit Köpfinnen, denn Graf Keyserling ist nicht nur der Duzbruder Rabindranath Tagores, sondern auch ein Philosoph, der sich sehen lässt. Und er verdient die Beachtung der Damen, denn er hat Lebensart, ist soviel Aristokrat, dass er um nichts in der Welt etwa in der spänebedeckten Schürze des Philosophen-Handwerkers vor ein Auditorium träte.

Er versteht es im Gegenteil vortrefflich, den Buddha-Nabel außerhalb der täglichen acht Meditationstunden unter einem soignierten Cut zu verbergen. Es war also wirklich ein gesellschaftliches Ereignis, als der Graf unter dem Beifall der Damen feststellen konnte, wie recht doch Thales von Milet mit seinem Spruch habe: „Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss", und dass Heraklits des Dunkeln Beobachtung „Panta rhei!" immer noch zu Recht bestünde. Das Ganze, reichlich mit den Worten Buddha, Laotse und Harmonie der Sphären durchschossen, verbreitete helles philosophisches Licht und wurde unter dem Titel „Tod und Wiedergeburt" von den Erleuchteten bejubelt.

Ich aber entging nur mit Mühe der Lynchung durch zwei vor mir sitzende ältere Damen, weil ich fröhlich lachte, als mir mein Freund ins Ohr flüsterte: „Tod und Wiedergeburt" sei gräflicherseits eigentlich „wieder eine Totgeburt". Nun, wir verstanden es, unterzutauchen, als sich tout Leipzig vor der Garderobe zusammendrängte, und uns zum Ausgang zu retten.

Dort aber erwartete uns wiederum ein Philosoph, - auch einer, der die Menschen ergründet hat und das Leben von der profitablen Seite zu nehmen weiß, und zwar weiblichen Geschlechts. Den Hörern Keyserlings gingen noch Buddha, Kungfutse, Thales und Anthroposophie im Kopfe herum, als sich ihnen aus der Nische des Toreinganges die Hand einer graubekapuzten Gestalt entgegenstreckte und ihnen mit diskretem „Pst!" ein Kärtchen in die Finger drückte. Ein Kärtlein, auf welchselbigem, überstrahlt von einem gummigedruckten Dreiauge Gottes, zu lesen war:

Graphologie / Chiromantie / Astrologie
Leipzig, Südstr. 15
Honorar mäßig

War das nicht ein Witz, wert der lautesten Belächelung? Und ich lachte, lachte so laut, dass mein Gelächter von der gegenüberliegenden Synagoge als Echo zurückkam. Aber erst, nachdem ich noch vernommen hatte, wie die eine der beiden hinter mir gehenden Damen zur anderen sagte: „Südstraße? Aber das ist ja ganz in unserer Nähe! Was meinst du, Bertha, gehen wir morgen nach der Sitzung im ,Frigga-Bund' mal hin? Astrologie und Chiromantie - das ist ganz modern."
Im Lichte der nächsten Laterne drehte ich mich um. Ich war neugierig, wie die Damen wohl aussähen, die fortgesetzt hinter mir hertuschelten, dass die Männer von heute doch furchtbar flach seien und alles Hohe und Tiefe im profanen Gelächter erstickten. Siehe da, es waren die beiden Keyserling-Enthusiastinnen, die mich oben im Saale am liebsten gelyncht hätten. Mein Lachen floss aufs Neue, und erst der Anblick eines Schupomannes gab mir die Besinnung, lieber keine Anzeige wegen ordnungswidrigen Gebarens zu riskieren.


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