Religionskritik

Die geistlichen Hosenträger (1926)

von

Hans Otto Henel


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Henel, Hans Otto  <1888 - >: Die geistlichen Hosenträger. -- 1926.. -- Fassung vom 2004-05-25. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/henel2.htm     

Erstmals publiziert: 2004-05-25

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©opyright: je nach Todesdatum des Verfassers

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals erschienen in

Henel, Hans Otto  <1888 - >: Thron und Altar ohne Schminke : vergessene Historien und Histörchen. -- Leipzig-Lindenau : Freidenker-Verlag, ©1926. -- S. 51 - 58


Die geistlichen Hosenträger.

Heute, da bezeichnenderweise in Bayern das Pfaffentum beiderlei Schattierungen nach dem Konkordatserfolge wieder den Versuch; unternimmt, das freie Denken mit seinem Weihrauch zu benebeln, ist es Pflicht jedes Menschen, der mehr als ein blind seinem Metzger folgendes Kalb sein will, sich über den Ursprung der Konfessionen und die Rolle, die sie in der menschlichen Geistesgeschichte spielen, klar zu werden. Die Religionen haben ihren Ursprung in der Furcht der Menschen vor Dingen, die sein ungeschulter Verstand nicht fassen konnte. Die Wissenschaft hat heute die Religion abgelöst, denn ihre Untersuchungsmethoden sind so exakt geworden, dass sie uns mühelos Dinge als natürlich erklären kann, die vordem als göttliche Wunder galten. Nun stehen wir zwar erst am Anfang einer Epoche großartigster Aufklärung, am Beginn der Entgottung der Erde, aber die erreichten Resultate sind schon so überwältigend, dass es undenkbar scheinen möchte, wie immer noch Menschen den Kirchen mit ihrer durchsichtigen Machtspekulation anhängen. Aus Bequemlichkeit und Trägheit? Sie wagen der endlich erschlossenen (zugegeben: oft genug missbrauchten) Wahrheit nicht ins Auge zu sehen. Sie sind so an das Dunkel gewöhnt, dass sie vom Licht geblendet werden. Und wenn sie die Landeskirchen meiden, so sind Theosophen, Anthroposophen, die Künder der Christian science und hundert andrer Sekten bereit, sie nur tiefer in das Dunkel einer blinden Gläubigkeit zu führen. Nur nicht zur hellen Wissenschaft und Wahrheit, denn die haben die Seelenhirten aller Religionen jederzeit als gefährlich für ihre Schafe hinzustellen gewusst. Wie gefährlich das für den Befreiungskampf der Menschheit ist, beweist die Geistesgeschichte Bayerns. Als eines der letzten Länder hat es die absolute Bevormundung der Pfaffen abgeschüttelt, da es aber der Kirche eine unverhältnismäßige Macht beließ, ist es auch das erste, in dem Pfaffenvormundschaft neuen Boden zu gewinnen sucht.


Alternatives Dunkelmännertum: Okkultismus, Spiritismus, New Age usw. "der Kausalkörper des Meisters". -- In.: Der sichtbare und der unsichtbare Mensch : Darstellung verschiedener Menschentypen, wie der geschulte Hellseher sie wahrnimmt / C. W. Leadbeater. Aus d. Engl. von A. V. Ulrich. -- Leipzig : Theosoph. Verlagshaus, [1908] . -- Originaltitel: Man visible and invisible

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts herrschten in Bayern die katholischen Orden unbeschränkt. Die Jesuiten hatten den Hof und damit Politik und Regierung in ihrer Hand, und Kapuziner, Franziskaner und andre Mönche bearbeiteten das niedere Volk. Der Aberglaube des finstersten Mittelalters war nicht etwa wie anderwärts zum guten Teile schon verdrängt, sondern hielt dank der pfäffischen Praktiken das Volk fester denn je umgarnt. Das vom Kurfürsten Max Joseph 1746 erlassene Verbot „Gegen Aberglauben, Zauberei und Teufelskunst" nützte nichts, sondern gab den Pfaffen nur Gelegenheit, das Volk gegen den Fürsten aufzuhetzen Das Weissagen aus Sternen, Kristallen und Sieben blieb ein viel geübter Brauch. An Kreuzwegen und unter Galgen versuchte man nächtlich Geister zu zitieren. Farrensamen Alraunwurzeln und zu Pulver gebranntes Totengebein wurden als Zaubermittel benutzt. Gerissene Leute fanden Dumme für Schatzgräberei, bannten Gewitter, Ratten und Mäuse, oder trieben einen lohnenden Handel mit wundertätigen Häuten in denen angeblich Kinder zur Welt gekommen waren. Besonders begehrt war der Wundsegen, der hieb- und kugelfest machen sollte und von den Soldaten, besonders aber auch von den Wildschützen des Gebirges viel in Anspruch genommen wurde. Eltern verweigerten die ärztliche Hilfe am Krankenbett ihrer Kinder, wenn das Segnen durch Priesterhand nicht anschlug. Die zahlreichen Klöster erwarben sich Reichtümer über Reichtümer durch ihre geweihten Kräuter Lukaszettel und Brustsäckchen, die gegen Teufel und Hexen Wunder tun sollten. Das Benediktinerkloster Scheyern allein verkaufte durchschnittlich jährlich 40000 Stück, in Zwillich eingenäht an die Armen und in Seide an die Zahlungsfähigen. Besonderen Zulauf hatten die Kapuziner als Vermittler von Stellen, Stifter von Ehen und Erhalter des Hexenmärchens. Sie halten z. B. als bestes Mittel gegen Hexerei in der Ehe den Unsinn aufgebracht, dass der Bräutigam durch den Brautring pisste und die Braut in des Bräutigams Schuhe das tat, wozu man sonst ein verschwiegenes Häuschen aufsucht. Nach dieser unappetitlichen Geschichte, so hatten die Mönche dem dummgläubigen Volke eingeredet, würde die Ehe im ungetrübten Glücke verlaufen. Nichts war so absurd, dass es nicht Gläubige gefunden hätte. Noch 1725) versprach ein Stadtrat demjenigen, der einen Kobold oder eine Nixe lebendig einliefere, 5 Gulden Fanggeld. Am Himmelfahrtsfeste wurde die geistliche Hilfe hauptsächlich gegen den Hagelschlag aufgerufen. Da stürzte man vom Kirchengewölbe eine brennende Lumpenpuppe herab, und das Volk balgte sich um die Fetzen, denn es glaubte fest daran, dass diese, in den Feldern vergraben, Hagel und Schloßen abwenden würden.

Diese Orgie eines blödsinnigen Aberglaubens, die man leicht um Hunderte von Beispielen vermehren könnte, war nicht zu verwundern. An den Schulen und Universitäten durfte kein Buch gelesen werden, das nicht die Zensur der Jesuiten passiert hatte, und nichtakademischem Volke war jedes Hineinsehen in ein wissenschaftliches Buch bei allen möglichen Kirchenstrafen verboten. Von 1700 bis 1750 waren die einzigen Bücher, die Bauern und Handwerkern erlaubt und dank der Nachhilfe der Pfaffen ausschließlich bei ihnen anzutreffen waren, ganze drei Stück. Die „Teufelspeitsche" gab allerlei Hausmittel an, mit denen böse Geister bis zum Eintreffen eines Priesters in Schach zu halten waren, ein anderes, „Christliche Handpistolen", sollte gegen Anfechtungen des Leibes und der Seele schützen, und „Die geistlichen, Leib und Seele zusammenhaltenden Hosenträger" waren die Strippe, an der der Ortspfaffe jeden Haushalt lenkte.

Der Kurfürst Max Joseph, der sich schämen mochte, inmitten der beginnenden europäischen Aufklärung ein so verdummtes Volk zu regieren, gründete trotz des heftigen Protestes der Pfaffen als eine „Stiftung für Ehrgefühl und Bildung" im Jahre 1759 die Akademie der Wissenschaften zu München. Als Antwort legten ihm die Jesuiten ein Verzeichnis aller als Freigeister bekannten und demgemäß zu verurteilenden bayrischen Untertanen vor. Max Joseph warf die Liste ins Feuer mit den Worten: „Das sind ja meine besten Leute. Leer ist das Land, wenn die fehlen". Von diesem Augenblicke an zog sich der sonst durchaus religiöse Fürst die erbitterte Feindschaft der Jesuiten zu. In Landshut führten sie sogar ein Schauspiel auf, in der seine Neuerungen als Pfeile der Hölle wider fromme Seelen dargestellt wurden. Der Verfasser des Stückes wurde landesverwiesen.


Abb.: Pater Joseph Gaßner (1727 - 1779) treibt den Teufel aus

Die Männer der neuen Akademie waren sich ihrer Pflicht als Wissenschaftler bewusst und traten bald nachdrücklich gegen die bodenlose Dummheit, die in Bayern herrschte, auf. Den ersten Erfolg errangen sie, als sie den berühmten Pater Gaßner entlarvten. Dieser, ein Graubündener Pfarrer, war wegen des Rufes seiner Wundertätern von dem Erzbischof von Regensburg nach der Probstei Ellwangen berufen worden. Hier empfing ihn eine Riesenmenge von Hilfsbedürftigen. Über 20000 Menschen waren an Krücken und in Kutschen herbeigeströmt, um dieses Glaubensmannes Kraft- und Segenswort: „Cesset, fahre aus!" zu empfangen und — gesund heimzukehren. Der Akademiker Don Ferdinand Sterzinger, selbst ein Kleriker, konnte dem verdummten Volke beweisen, dass der Wundertäter die Rolle der Kranken in vielen Fällen von Gesunden spielen ließ. Die andern, wenn sie wirklich gesundeten, werden dem in einer solchen Bewegung liegenden suggestiven Zwange, einer Massenpsychose, wie wir heute sagen, erlegen sein. Peter v. Osterwald, ein anderes Mitglied der Akademie, veröffentlichte eine Schrift, worin er darlegte, dass die Kirchen und Klöster einem Staate, dessen Schutz sie genössen, auch Steuern schuldig seien. Der Bischof von Freising ließ das Buch sofort in allen Kirchen seines Sprengels als Teufelswerk verdammen. Max Joseph hingegen ließ das Verdammungsurteil abreißen und nahm den Autor in seinen Schutz. Es ist wahrscheinlich, dass diese kühne Handlung des Kurfürsten im Zusammenhang mit seinem Tode steht.

Am meisten wurde von den zahlreichen Klöstern aus das Volk gegen die aufklärerischen Maßnahmen des Kurfürsten aufgehetzt, weil er die neben ihrer Geisterverdummung hergehende geschäftliche Ausbeutung des Volkes unterband.

Als Probe sei ein Bericht der „Vossischen Zeitung" vom 29. August 1766 hierher gesetzt:

„Se. Churfürstl. Durchlaucht von Bayern, welche bey der preißwürdigsten Sorgfalt für das Wohl Dero Unterthanen allen einschleichenden Mißbräuchen und Unordnungen abhelfen wollen, haben ohnlängst ein allgemeines Edict in Dero Churlande ergehen lassen, kraft dessen alle und jede in den Städten sowohl als auf dem Lande von den Geistlichen eigenmächtig und unbefugter Weise anfänglich, wie sie vorgeben, zu ihrem selbsteigenen Gebrauch errichtete, nachher aber zu jedermanns Kauf offenstehende Klosterapotheken als ein schädlicher und den Ruin privilegirtcr Apotheken nach sich ziehender Mißbrauch bey 100 Ducaten Strafe auf das ernstlichstc verboten und inhibirt werden, inmassen von dergleichen klösterlichen Apotheken von gut präparirten Medicamenten um so minder etwas zu erwarten wäre, als bey den meisten derselben nur unwissende Leute, in den Frauenklöstern hingegen nur unerfahrne Schwestern zur Bereitung der Arzeney gebraucht würden, welche vorher in einer Officin etwa a Jahre lang zur Lehre der Apolhekerkunst das Geschirre gewaschen, den Mörser stoßen, und einige leichte Medicamente vermischen gelernt, in der Hauptsache selbst aber gar nichts schickliches erlernet haben; zumal da ein dergleichen Eingrif in die Rechte der bürgerlichen Apotheken ohnehin per Canones eine den geistlichen Statuten zuwider laufende Sache und als ein Wucher und landesschädlicher Mißbrauch anzusehen sey."

Der Jesuitenorden war in den 200 Jahren seines Bestehens eine so ungeheure Macht nicht nur im Staate, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche geworden, dass ihn Papst Clemens Ganganelli im Jahre 1773 aufzuheben gezwungen war. Der Orden zählte die meisten Kommunikanten in Bayern und war außer vielen ansehnlichen Gütern im Besitz von sechs großen Klöstern und acht Kollegien. Bei der Inventarisierung stellte allein das Ingolstädter Kollegium ein Aktivvermögen von 3 Millionen Gulden auf, was damals einen ungeheueren Schatz bedeutete, abgeschoren natürlich den gläubigen Schafen der Kirche.

Die Pfaffen verfolgten den Kurfürsten, der, sicherlich mehr dem Zuge der Zeit als persönlicher Initiative folgend das Volk vom Drucke des Aberglaubens und der Dummheit befreien wollte, mit brennendem Hass. Im Jahre 1777 erkrankte er plötzlich unter merkwürdigen Umständen, wie er zuerst glaubte an den Pocken, vor denen er sein Lebtag Angst gehabt halte. Diese Krankheit behandelte der pfäffisch bigotte, dabei höchst dünkelhafte, alte und grobe Leibarzt Sänfftl, ein Werkzeug des Hofpaters Stadler, dem die Macht seiner Kirche über alles ging. Dieser Dummkopf von Arzt stellte u. a. folgende geradezu klassische Krankheitsberichte aus:

„Ihro chrfrl. Durchl. haben diese Nacht eine bassable Nacht passiert, wie es die dermaligen Umstände erlaubten", oder: „Se. chrfr. Durchl. haben Gott zu Dank eine ziemlich gute Nacht gehabt und würde dieselbe besser gewesen sein, wenn die immer mehr abfallende und das Rückengestell sehr wund machende Bocken den Schlaf nicht gestört hätten".

Diese Leuchte der Wissenschaft gab dem Kranken als letztes und unfehlbares Mittel ein Muttergottesbildchen zu schlucken und rief dem gerade mit den Sterbesakramenten eintretenden Beichtvater triumphierend zu: „E r schluckt!" Der Kopf war aber, wohl infolge hinzugetretenen Brandes, schon so angeschwollen, dass die Züge des Sterbenden nicht mehr zu erkennen waren. Er starb zwei Tage später, nachdem er Vertrauten noch gesagt hatte, dass er seinen vorzeitigen Tod der Dummheit dieses wahrscheinlich von den erbosten Pfaffen gelenkten Arztes zu verdanken habe. In seinen letzten Worten flüsterte er von Vergiftung.

Mit der Errichtung der Akademie war der Bann der gröbsten Verdummung gebrochen. Gänzlich verhindern konnten die Pfaffen die beginnende Aufklärung nicht, zumal von Frankreich her in den achtziger und neunziger Jahren die freiheitlichen Ideen ihre Wellen auch nach Süddeutschland hinüberspielten. Allmählich wurde nämlich selbst in Bayern das Geröll mittelalterlichen Pfaffenwahns etwas beiseitegeschoben. dass es aber nie ganz davon frei wurde und dass die Pfaffen ein Land mit einer im allgemeinen der Wissenschaft abgeneigten Bevölkerung am ehesten für ihre Machtgelüste ausnützen zu können glauben, geht daraus hervor, dass die Kirchen gerade heute in Bayern neue Vorstöße unternehmen, die Herrschaft über die Gemüter wiederzugewinnen. Und gelingt es den Dunkelmännern als Kirche nicht, Dumme zu finden, versuchen sie es unter dem Decknamen der okkulten Sekten, des Spiritismus, der Anthropo- und Theosophie, Gesellschaft ernster Bibelforscher, Christian science und wie diese Feinde einer in der Wahrheit freien Menschheit sich nennen mögen. Immer aber bekämpfen sie Wissen und Wissenschaft und damit — die Wahrheit.


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