Religionskritik

Thüringer Gottesgnade (1926)

von

Hans Otto Henel


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Henel, Hans Otto  <1888 - >: Thüringer Gottesgnade. -- 1926.. -- Fassung vom 2004-05-27. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/henel3.htm     

Erstmals publiziert: 2004-05-27

Überarbeitungen:

©opyright: je nach Todesdatum des Verfassers

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals erschienen in

Henel, Hans Otto  <1888 - >: Thron und Altar ohne Schminke : vergessene Historien und Histörchen. -- Leipzig-Lindenau : Freidenker-Verlag, ©1926. -- S. 116 - 122


Thüringer Gottesgnade.

Vielleicht werden wir auch in Thüringen bald lächeln dürfen über die letzten Zuckungen einer ohnmächtig werdenden Reaktion, wie wir heute lächeln über die Verrücktheiten früherer Machthaber. Die Zeugnisse einstiger Unsinnigkeiten begegnen uns gerade in Thüringen reichlich, aber sie mahnen uns, dass der Mensch doch langsam vorwärtskommt. Aber noch begegnet man bei Wanderungen durch dieses schöne Land vielfachen Zeugnissen, die an die tollen Stücklein erinnern, die sich fürstliche Machthaber in Großväterzeiten leisten durften.


Abb.: Dornburg [Bildquelle: http://www.recht.uni-jena.de/s01/kolloquium_neu.htm. -- Zugriff am 2004-05-27]

Wie freut man sich z. B. über die verträumte Dornburg, die das Saaletal abwärts bis Camburg, aufwärts bis Jena beherrscht. Oder über das liebliche Belvedere in der Weimarer Gegend. Beide Schlösschen sind architektonische Perlen in einer bezaubernden Landschaftsfassung, und wir Fabrikmenschen von heute sind begeistert bei ihrem Anblicke, sind so hingerissen, dass wir gar nicht daran denken, dass einer oder der andern unsrer bäuerlichen oder proletarischen Vorfahren sie vielleicht mit seinem Leben errichten half.


Abb.: Ernst August I., Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (1688-1748) [Bildquelle: http://www.mdr.de/geschichte/schauplaetze/116936-hintergrund-133119.html. -- Zugriff am 2004-05-27]

Sie sind nämlich erbaut aus den Geldern, für die der Weimarer Herzog Ernst August seine Untertanen in fremde Kriegsdienste verkaufte. Aus seinem kleinen Herzogtum mit den paar tausend Einwohnern verschacherte er gleich nach seinem Regierungsantritt 700 Mann Infanterie und eine Reiterschwadron an Sachsen-Polen, und an den Kaiser zum Kriege gegen die Franzosen zwei starke Regimenter. Eine aus jungen Adligen gebildete Schwadron brauchte nicht in den mörderischen Krieg zu ziehen, sondern durfte den Herzog bei seinen Soldatenspielereien unterstützen. Wie alle die kleinen Despoten der damaligen Zeit versuchte er nämlich Friedrich den Großen nachzuahmen. Für seine Person scheint er aber bei schlechtem Wetter den Krieg tatsächlich im Saale abgehalten zu haben, denn in Bernoullis Archiv von 1750 befindet sich der Bericht eines Augenzeugen, der

„den großen Saal im zweiten Stock der Wilhelmsburg zu Weimar gesehen, darin der Herzog seine Pferde gemustert und Kanonen heraufbringen lassen, davon der Saal zu sinken angefangen; für die Pferde habe er eine eigene Treppe von Pflastersteinen bauen lassen."

Dieser Herzog war von ausgiebigem Selbstherrscherwahn besessen. Adelige durften sich ihm jederzeit vorstellen, während, wie der Tourist v. Pöllnitz schreibt, „den Leuten aus den niederen Ständen nur alle Montage erlaubt ist, ihre Bittschriften dem diensttuenden Sekretär zu übergeben, der sie sodann dem Herzoge zustellt." Das Volk ließ er also nicht an sich heran.

Nur in einem Falle scheute er den näheren Verkehr mit ihm nicht. Außer zwei adligen Damen, die er „seine Ehrenfräulein" nannte, mussten nämlich auch immer drei bürgerliche Mädchen als Kammerfrauen um ihn sein, ein Ausdruck, der bei dem unverheirateten Manne ganz eindeutig war. Mit diesen fünf Weibern und einigen Offizieren setzte er sich täglich zum Mittagsmahle zusammen, das vier bis fünf Stunden dauerte und bei dem tüchtig gesoffen wurde. Die Gespräche dieser Tischgesellschaft wurden berüchtigt.

Als er erfuhr, dass dem Volke an seiner Regierung manches nicht gefiel, erließ er eine Verordnung:

„Das vielfältige Räsonieren der Untertanen wird hiermit bei halbjähriger Zuchthausstrafe verboten und haben die Beamten solches anzuzeigen, maßen das Regiment von uns und nicht von denen Bauern dependirt und wir keine Räsoneurs zu Untertanen haben wollen."

Dass es bei diesem Menschen, der mit Gut und Leben seiner Untertanen schalten konnte, wie er wollte, nicht richtig im Kopfe war, sieht man aus dem Befehl, den er als untrügliches Mittel zum Löschen bei Feuersbrünsten herausgab:

 „In allen Städten und Dörfern sind hölzerne Teller mit einem Feuerpfeile, nach beigesetzter Zeichnung versehen, anzuschaffen und diese Teller Freitags bei abnehmendem Monde zwischen 11 und 12 Uhr mit frischer Dinte und neuer Feder mit den Worten zu beschreiben: An Gottes Allmacht liegts — consummatum est (es ist vollbracht). Die Teller sind bei vorfallender Feuersbrunst im Namen Gottes ins Feuer zu werfen."

Es ist zu bezweifeln, dass die Weimarer Erfolge mit dieser Löschmethode erzielt haben. So dumm dieser Gottesgnädling auch war, so verstand er in Gelddingen doch stets für sich zu denken. Als die Landschaft die Beamtenbesoldungen aus den Steuererträgen regeln wollte, dekretierte er:

„Da uns als Landesfürsten die Disposition der Landeseinkünfte zusteht und wir Uns von keinem Minister, Rath oder Dames maitrisieren (beraten) lassen. . . ."

Und er verteilte die Einkünfte nach seinem Gutdünken. Seine Nachkommen und Standesgenossen in der deutschen Republik finden diese Art des Vermögenserwerbes so rechtlich, dass sie darum prozessieren, prozessieren um die Raubbeute ihrer Vorfahren, und zwar gegen die Republik. Damals waren allerdings die Untertanen noch so naiv, dass sie ihren verwitweten Landesvater anflehten, doch ja wieder zu heiraten, damit das Ländchen bei der Dynastie bleibe.

Und dieser verrückte Mensch heiratete eine notorisch geistesschwache Prinzessin und zeugte mit ihr noch eine Menge Kinder.

Da regierte ein paar Stunden weiterhin, im idyllischen Saalfeld, ein Herr, der aus viel feinerem Holze geschnitzt war, Herzog Christian Ernst [von Sachsen-Saalfeld-Coburg, 1683 - 1745], einer der Stammväter der Koburg-Gothaer. Der reiste schon als Erbprinz zu dem Begründer der pietistischen Herrnhuter Gemeinde, dem Grafen Zinzcndorf, und ließ sich von dem einen „Regierungsplan" machen. Als Christian Ernst zur Regierung kam, wurde dieser Plan nicht nur sofort verwirklicht, sondern das Ländchen wurde auch mit den muckerischen Kreaturen Zinzendorfs überschwemmt.


Abb.: Herrnhuter Brüdergemeinden in Deutschland [Bildquelle: http://www.ebu.de/. -- Zugriff am 2004-05-27]

Der Hallenser Professor Semler, selbst ein Anhänger Zinzendorfs, gibt in seiner Selbstbiographie zu verstehen, dass die wahre Triebfeder des pfäffischen Regierungsplanes Zinzendorfs gewesen sei, auf feine Weise über Fürsten, Hof und Volk zu herrschen. Die Saalfelder Prediger hielten förmliche Register über den Seelenzustand jedes einzelnen Gemeindemitgliedes, und ihr Superintendent war Beichtvater des frommen Herzogs. Sonntags abends wurden im Schlosse, nachdem schon Früh-, Vormittags- und Nachmittagspredigten, sowie eine Betstunde abgehalten waren, Erbauungsstunden eingerichtet. Der Andrang dazu war beträchtlich, denn Ämter und Posten, Kundschaft für Krämer und Handwerker wurden dort an die Frommen vergeben, und vor allem galt diese Vereinigung zu stiller Andacht als idealer Heiratsmarkt.

 Trotzdem nach biblischem Muster auch der Bettler von der Gasse für diese eine Stunde hoffähig war, wurde dem fürstlichen Range nichts vergeben. Die herzogliche Familie saß nämlich auf Kanapees, die höheren Stände auf Stühlen, und die Plebs musste stehen.

Die Frömmler nannten sich untereinander die „Erweckten" und ihre Zusammenkünfte „das herzliche Vergnügen". Es muss in dem Ländchen wie im Tollhause zugegangen sein. Seniler berichtet u.a.:

„Die Saalfelder Frommen liefen Tag und Nacht im Walde umher, hielten Andacht im Mondenlichte, sangen die neuen Liederchen".

Diese Lieder, in einem umfangreichen Liederbuche gesammelt, waren teilweise von einer drolligen Konfusion, wofür folgende Probe einen Beweis geben möge:

Nichts ist doch freundlicher, als unser Herrchen,
Nichts liebt sich doch so sehr, als seine Närrchen.
Nichts predigt kräftiger, als Wunderpfärrchen,
Nichts singet lieblicher, als Jesu Lerchen.
Drum bleib ich unverrückt im Bund der Närrlein,
Und liebe ewiglich der Närrlein Herrlein.

Diese amüsante Verniedlichung des Herr Jesus-Kultes, dieses bäuerlich-verschmitzte Anbiedern an den Herrn ihres Himmels erhielt eine pikante Würze durch einen starken Schuss Sexualität, der in fast allen Herrnhuter Liedern der damaligen Zeit zu finden ist. Der Hauptgegenstand ihres Kultes war nämlich die Wunde in der Seite, die der Kriegsknecht dem am Kreuze hängenden Christus gestochen haben soll, und dieses „Seitenhöhlchen" gibt ihren Gesängen jene blutrünstige Mischung von Religiosität und Erotik, die irgendwie in allen Religionen zu finden ist. Es mag hier naheliegen, über die heute wieder besonders zutage tretende Rolle der Religiosität als verdrängte Sexualität etwas zu sagen, doch mag es bei der Andeutung sein Bewenden haben. Die ,.Erweckten" sangen z.B.:

Doch übers Seitrevier
Da zappelts Herze mir!
Ich sehs noch, wie der Kriegsknecht stach
Das allerliebste Seitenfach,
Gottlob für diesen Speeresstich,
Du Kriegsknecht, ich bedanke mich.

Oder:

Seitenhöhlchen, Seitenhöhlchen,
Wie verwünsch ich mich hinein.
Alle diese liebe Seelchen,
Alle diese Hüttelein.
Ach, mein Seitenhöhlchen,
Blut auf diese Seelchen,
Und du noch unzugespundt,
Erste Wundt,
Spar du ihren Leib gesundt,.

Mag man das noch als eine bis zum Widerlichen getriebene Plattheit oder Geschmacklosigkeit erklären, so ist der folgende Vers fast unverhüllte Erotik:

Aber wenn das Herz zu Loch gekrochen,
In das Wündlein, das der Speer gestochen,
Da zu hausieren,
Mags der Eheherr selbst caressiren.

Der Herzog war der Anführer dieser Torheiten. Die wirkliche Verrücktheit ließ denn auch nicht lange auf sich warten und steckte das ganze Land an. Man veranstaltete Massen-Wallfahrten nach dem Auslande, nämlich nach dem benachbarten Ebersdorf im Reußischen. Gewaltsame Bekehrungen, Teufelsaustreibungen und sonstiger Unfug machten sich breit.

Bezeichnend bleibt, dass die Frommen, auch hier der Herzog an der Spitze, einen Hauptteil ihres Hokuspokus auf Gewinnung irdischer Güter richteten. Das Volk versuchte sich in Schatzgräberei, der erweckte Herzog aber ließ im Schlosse ein Gewölbe einrichten, in dem die Teufelskunst, das große Elixier herzustellen, fleißig geübt wurde. In diesem Punkte verließ man sich nicht ohne weiteres auf Gottes Hilfe.

Der Nachfolger des Herzogs war ein energischer Herr, der den nur wegen ihrer Frömmelei angestellten Muckern einfach erklärte, dass er Gottesfurcht als keine bezahlenswerte Arbeit ansehe, und wem das nicht passe, der möge verschwinden. Das hatte zur Folge, dass die berufsmäßigen Augenverdreher und Leisetreter bald aus dem Lande gingen. Leider blieb von dem Aberglauben, den sie dem Volke eingeimpft hatten, so viel hängen, dass man heute noch die Spuren davon in entlegenen Dörfern findet.

Zu der Zeit, als Goethe schon in Weimar, Schiller in Jena lebten und in Paris die große Revolution begann, herrschten in dem kleinen Meiningen unter dem Herzog Georg noch Zustände, die um hundert Jahre zurück waren und durch einen Hieratischen Streit bekannt wurden. Der berühmte Hamburger Tourist Ludwig v. Heß hatte Meiningen besucht und wahrheitsgetreu darüber berichtet. Am Tore hatte man ihn anfänglich nicht einlassen wollen, wenn er keine Empfehlung für den Hof habe. Das sei Befehl des Herzogs, und wer zuwider handele, habe Prügelstrafe zu gewärtigen. Zu gleicher Zeit hatte man ihn aber im Namen dieses Herzogs um eine Gabe für die Ortsarmen angebettelt.

Heß war schließlich doch in die Stadt gekommen und hatte sich bei den Einwohnern über den sonderbaren Empfang befragen wollen, aber

 „niemand wollte sich über die Rechtmäßigkeit oder Unartigkeit des Verfahrens auslassen, um nicht einen schwer zu ahndenden Hochverrat zu begehen. Denn der Herzog von Meiningen hat sehr gehorsame Untertanen, denen der Zweifel nicht beifällt, ob sie um seinetwillen oder er um ihretwillen da ist. Sein Wille regiert allein, und dem Vergehen folgt die Strafe auf der Ferse nach. Dabei geht es ganz kurz und barsch zu. Wer in seinem neuangelegten englischen Garten, der von handhohen Stauden strotzt, ein Zweiglein abbricht, der kommt ohne Gnade ins Zuchthaus. Was er fordert, muss pünktlich geschehen. Wenn sein Schneider mit den bestellten Kleidungsstücken eine Viertelstunde über die bestimmte Minute; ausbleibt, so muss er in die Wache und erhält fünfundzwanzig Stockprügel. Wenn seine Pferde oder Hunde beim Jagen ein Versehen machen, schießt er sie zur Strafe tot... Titelsüchtig ist man hier in hohem Grade. Leinenkrämer und Tabakshändler sind Räte . . . Die meisten Menschen leben vom Hofe, daher ist alles sehr ehrerbietig; man spricht immer in Respektsausdrücken: unser gnadiger Herr! Der Durchlauchtige Herr Herzog! Unser souveräner Fürst und dergleichen mehr."

Kaum war die Heßsche Reisebeschreibung mit den Schilderungen dieser Zustände erschienen, da traten die Meiningcr Gelehrten für ihren Fürsten auf den Plan. Der erste hatte auch Glück, denn er konnte Heß eine Unwahrheit nachweisen. Während dessen Anwesenheit hatte nämlich nicht der Hofschneider Stockprügel bekommen, vielmehr hatte es sich um den Leibschuster gehandelt, der die Schuhe zu spät gebracht hatte. Die Prügelei selber konnte nicht abgestritten werden und wurde in ganz Deutschland lebhaft diskutiert. Darauf schrieb im „Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung", die zu Jena unter Fichtes, Goethes und Schillers Augen erschien, der Geheimrat Walch:

„Wenn es sich der Mensch von seinem Fürsten ebenso gut wie von seinem Gotte denken kann: er denkt und sorgt auch für mich — dann folgt er jenem so bereitwillig, , wie er diesem folgt. In diesem glücklichen Falle befindet sich der Herzog von Sachsen-Meiningen."

Also auch früher schon gab es Professoren, die den Mächtigen zuliebe die Wissenschaft prostituierten. Kein Wunder, dass das Volk noch viel mehr im Untertanengeist befangen war. Als der Herzog bei der Taufe seiner Tochter das Volk zur Patenschaft aufforderte, meldete man sich in Massen, und wenn irgendwo ein herzogliches Gebäude niederbrannte, fuhren die Untertanen kostenlos und unaufgefordert Baumaterialien herbei. Darum sehnen sich die Fürsten nach der Zeit zurück, wo sie über Toren herrschten und — möchten für die entgangenen Vorteile entschädigt sein. Gibt es noch Untertanen?


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