Religionskritik

Die deutschen Professoren (1840)

von

Georg Herwegh


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Herwegh, Georg <1817 - 1875>: Die deutschen Professoren. -- 1840. -- Fassung vom 2004-09-17. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/herwegh01.htm  

Erstmals publiziert: 2004-09-17

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstdruck in: Deutsche Volkshalle. - Constanz   1839,1(1.Sept.) - 1841,51(30.März). -- 1840


Abb.: Jesuitenkolleg Stella Matutina, Feldkirch, ein Hort der Reaktion und Unfreiheit

Gewidmet denjenigen meiner Professoren 1954 bis 1962 im Jesuitengymnasium Stella Matutina in Feldkirch (Vorarlberg), die sich in Herweghs Text wiedererkennen müssten.

Alois Payer


"Georg Herwegh 1817-1875


Abb.: Georg Herwegh, DDR-Briefmarke, 1967

Der Revolutionsdichter des 19. Jahrhunderts wurde am 31. Mai 1817 als Sohn einfacher Gastwirtsleute in Stuttgart geboren.

1835 begann Georg Herwegh, dessen dichterisches Talent bereits während seines Seminaraufenthaltes in Maulbronn entdeckt worden war, das Theologiestudium an der Universität Tübingen, von der er jedoch nach einem Jahr wegen eines Regelverstoßes verwiesen wurde. Das darauf folgende Jurastudium brach Georg Herwegh aus freien Stücken ab und lebte als Autor und Übersetzer in Stuttgart. Sein Militärdienst beim Württembergischen Militär endete vorzeitig mit Suspendierung und Kerker wegen Offiziersbeleidigung. Einer erneuten Einberufung entzog sich Georg Herwegh 1839 durch Flucht in die Schweiz, wo er sich im Kanton Thurgau niederließ und in Zürich Vorträge über moderne Literatur hielt.

Sein erstes Buch "Gedichte eines Lebendigen", das 1841 erschien, rückte ihn in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses. Die brisant formulierten Verse politischen Inhalts verschafften ihm die Sympathien vieler Intellektueller sowie die Zustimmung einer großen Leserschar, die sich mit Herweghs Wettern gegen bestehende Verhältnisse und der Forderung des Umsturzes der politischen Systeme durchaus identifizierten. Die überwältigende Resonanz auf sein Werk veranlasste Georg Herwegh, die Herausgabe einer politischen Monatsschrift mit dem Titel "Der deutsche Bote aus der Schweiz" zu planen. Zu Werbezwecken für diese Zeitschrift begab er sich 1842 auf eine Deutschlandreise. Während dieser wurde er in fast allen großen Städten von seinen Zuhörern begeistert gefeiert. In Berlin traf er unter anderem mit dem preußischen König Wilhelm IV. zusammen, was die verhängnisvolle Folge für ihn hatte, des Hochverrats verdächtigt und aus Preußen ausgewiesen zu werden. Andere deutsche Staaten folgten Preußens Beispiel und erklärten Georg Herwegh zur unerwünschten Person.

Er kehrte daraufhin in die Schweiz zurück, ließ sich in Basel-Land nieder, erwarb die Schweizer Bürgerrechte und heiratete 1843 Emma Siegmund, die er in Berlin kennen gelernt hatte.

Im selben Jahr erschien sein zweiter Band "Gedichte eines Lebendigen", der jedoch nicht den Anklang des ersten Bandes erreichte.

Georg Herwegh und seine Frau zogen für einige Jahre nach Paris, wo sie sich rasch mit den Literaten aus aller Welt anfreundeten. Während der Februarrevolution 1848 in Paris wurde Georg Herwegh der Führer der in Paris lebenden Deutschen und gründete die Pariser Deutsche Demokratische Legion, welche die revolutionäre Bewegung in Deutschland unterstützen wollte und deshalb mit knapp 4000 Mann an den Rhein marschierte, um den badischen Aufständischen zu helfen. Diese waren jedoch bereits besiegt worden. Auch Herweghs Freischärler ereilte dieses Schicksal. Er selbst floh, lebte wieder in Paris und danach in der Schweiz.

Der Respekt, der ihm bislang entgegengebracht worden war, war bereits stark gesunken und verflog gänzlich, als Herwegh wegen einer Liebschaft mit der Frau eines Freundes seine Familie verließ. In Zürich, wo er sich einige Jahre niedergelassen hatte, traf er auf Franz Liszt und Richard Wagner. Von Ferdinand Lassalle (1825-1864), dem Präsidenten des 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins wurde er im selben Jahr zum Bevollmächtigten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in der Schweiz bestimmt. Für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein dichtete Georg Herwegh im Jahr 1864 das Bundeslied.

1866 kehrte Georg Herwegh nach einer allgemeinen Amnestie in Deutschland mit seiner Frau, mit der er sich mittlerweile versöhnt hatte, und den beiden Söhnen nach Deutschland zurück und ließ sich in Baden-Baden nieder. Möglicherweise waren die Kontakte, die er in Paris zu Künstlern wie z.B. zu Pauline Pauline Viardot-Garcia und Iwan Turgenjew, die damals in Baden-Baden lebten, gepflegt hatte, ausschlaggebend für diese Entscheidung.

Politisch betätigte er sich nicht weiter, obwohl es in Baden-Baden auch einen Arbeiterverein gegeben hat. Er machte Übersetzungen und schrieb weiter Gedichte. Wegen des deutsch-französischen Krieges 1870/71 schrieb er einen "Epilog zum Kriege".

Die Familie, die in der Stadt kaum Kontakte pflegte, zog mehrfach in Baden-Baden um und wohnte zuletzt in der Sophienstraße 21. Dort starb Georg Herwegh am 7. April 1875 an einer Lungenentzündung. Seine letzte Ruhestätte sollte "in seiner Heimat freier Erde", wie auf seinem Grabstein zu lesen ist, sein. Seinem Wunsch entsprechend wurde er in der Schweiz, in Liestal, beigesetzt.

In Baden-Baden erinnert eine Gedenktafel an seiner letzten Wohnstätte an Georg Herwegh."

[Quelle: Rika Wettstein. -- http://www.bad-bad.de/gesch/herwegh.htm. -- Zugriff am 2004-09-17] 


Die deutschen Professoren

Eine zoologische Abhandlung

Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben.
Hiob 12,2.

Eine zoologische Abhandlung; ich werde sie anders benennen, sobald man mir beweist, dass ein Professor dem Staate je einen Menschen erzogen hat. Ausgenommen sind die Herren Professoren Schelling, Schiller, Fichte, Hegel, überhaupt die jungen und alten Zelebritäten unserer Nation, die das Unglück hatten, diesen traurigen Namen als Aushängeschild gebrauchen zu müssen. Es ist das schöne Vorrecht unseres Jahrhunderts, dass es eine Wahrheit nur dann als Wahrheit anzuerkennen hat, wenn sie aus dem Munde eines Patentierten, eines Angestellten kommt. Glaube, Liebe und Hoffnung sind offiziell geworden, und Gott selbst existiert nur, so lange nicht die Menschheit, sondern ein Professor es behauptet. Mein Charakter als Bürger, als vernünftiger Mann berechtigen mich heutzutage nicht mehr, ohne Hindernisse zu meiner Nation zu reden. Will ich mir einen Einfluss nicht nur auf die guten, sondern auch auf die bösen Geister erobern, so muss ich mich zur Annahme irgendeines Titels oder Ranges bequemen; ich muss einen Laufpass vom Staate haben, wenn die liebe Jugend, die eine Karriere zu machen gedenkt, mir zuhorchen soll.

Von zehn Untugenden, die ich besitze, habe ich immer neun einem Professor zu danken. Wenn ich trotz meinen hochverehrten Lehrern ein Mensch geworden bin, so preise ich dafür meinen Genius, der sorgsam über die ihm anvertraute Seele gewacht hat. Mein Feind wird es mir nicht nachsagen können, dass ich einem Professor eine Schuld abzutragen hätte. Ich bin heute auf hundert Sachen stolz, für die ich in der Schule Schläge, auf höheren Anstalten Verweise bekommen habe. Der unvertilgbare Spott der deutschen Jugend, den sie über ihre Lehrer, allerdings oft recht unhöflich ausgießt, ist wahr, unendlich wahr. Von dreißig Schülern stehen in der Regel zwanzig moralisch hoch über ihrem Professor.

Sie besitzen noch, was der letztere vergeudet und verloren hat, die poetische Mitgift des Lebens ganz und ungeschmälert. Sie haben nicht den Fonds von Kenntnissen, wie er - sehr richtig, so unbedeutend diese oft bei den Lehrern sind; sie haben nicht seine Erfahrungen, - sie mögen sich glücklich schätzen; aber sie haben noch Blut im Herzen statt griechischer Partikeln, und sind noch naiv genug, bei sich anzufragen, was es sie eigentlich interessieren könne, ob ut den Indikativ oder Konjunktiv regiere.

Warum sie die blühende Gegenwart aufgeben sollen, um in eine verwitterte Vergangenheit sich zurückzuversetzen? Warum man ihnen Luft und Sonne stehle, um sie auf die staubigen Bänke der Schule oder des Kollegiums zu bannen? Dass sie es den Nachgebornen einst wieder so machen können? Dass sie ewig nur ein Rad im Kreise drehen? Ist es der Mühe wert, so viel schöne Jahre zu verschleudern, um es endlich nicht weiter zu bringen, als der Herr, der vom Katheder herunter die unfruchtbare Weisheit doziert? Alle Erziehung soll nur darauf hinauslaufen, den Menschen zu einem freien Mann zu bilden, oder vielmehr, da der Mensch so lange frei ist, bis er einem deutschen Professor unter die Hände gerät, die angeborne Freiheit zu erhalten, zu entwickeln, ihr Inhalt und Fülle zu geben. Nicht, dass ich mein Brot erwerbe, nicht, dass ich Jurist, nicht, dass ich Theolog, nicht, dass ich Mediziner werde, ist es zunächst, warum ich lerne, warum ich mir Kenntnisse sammle; ich lerne, ich sammle mir Kenntnisse zunächst, um durch diese Bereicherung meines Geistes mich freier und unabhängiger von den Zufälligkeiten des Lebens zu machen. Der Jüngling denkt früher an das Ideal, als an das Brot; der Professor, wie er sein soll, meistens nur noch an das letztere. Er ist der treugehorsame Diener des Staats, seine erste Pflicht, dem Staat ebenso treue, gehorsame Diener herauszubilden. Welches bessere Mittel findet er zu Erfüllung dieser seiner Obliegenheit, als seine Untertanen, die Schüler, recht bald fühlen zu lassen, dass sie zunächst seine, und so gradatim immer wieder die Sklaven eines Höheren sind bis in das religiöse Gebiet, da auch in diesem Gott stets als ein kleiner Tyrann geschildert wird. Das Altertum ist dem Professor nur vorhanden, um ihm Gelegenheit zu geben, den Kram von Notizen, die er durch Sitzfleisch sich angeeignet, vor den erstaunten Zöglingen recht prunkend auszubreiten; die Schlacht von Marathon findet er hübsch, weil er dabei eine geographische Bemerkung machen kann. Die Reden des Demosthenes patriotisch, weil sie im reinsten attischen Dialekte geschrieben sind. Am lustigsten benehmen sich diese Pygmäen den Männern der Geschichte gegenüber. Für den Kammerdiener gibt es keinen großen Mann. Da ist kein Held, an dem sie nichts auszusetzen wissen, und jedes Phantom von einem Professor wird die geistreiche Phrase anbringen: »wäre Hannibal nach der Schlacht bei Cannä nur gegen Rom aufgebrochen!« Kleiner Hannibal! Großer Professor!

Heinrich Heine hat diese Weltverbesserer himmlisch gezeichnet in dem Verse:

Zu fragmentisch ist Welt und Leben,
Ich will mich zum deutschen Professor begeben,
Der weiß das Leben zusammenzusetzen,
Und er macht ein verständlich System daraus;
Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Lücken des Weltenbaus.

Die Däumlingsnatur, wie sie sich spreizt und wichtig tut, kann wahrhaftig nicht besser charakterisiert werden. Ja, so sind die Leute, welche das Elend Deutschlands immer größer füttern! - Die Eitelkeit eines Professors ist leider nicht so unschuldig, wie die eines Frauenzimmers, sie ist herrisch, eigensinnig, tyrannisch; sie möchte alles nach sich ummodeln, alles in das Prokrustesbett ihrer jeweiligen, meist ärmlichen Begriffe spannen. Wie manches Talent ist durch die Schuld dieser Herren schon untergegangen! Wie mancher Keim ward durch ihre sublime Torheit schon erstickt! Ein Professor muss ein Steckenpferd haben, und wehe dem, der es nicht mit ihm reitet! Der Professor ist ein Phlegma, und wehe dem, der es nicht mit ihm ist!

Ein junger Mann ist warm und vollblütig, er liebt, das Leben im Prisma der Poesie anzuschauen; zufällig hat er einen Professor der Mathematik, dem seine Erziehung anvertraut ward; er muss ein Stümper in der Mathematik werden, statt dass er es, seiner Anlage nach, vielleicht zum Meister in der Poesie gebracht hätte. Das Talent, Talente zu entdecken, geht einem Professor in der Regel ab. Seine Rute ist meistens eine Birken-, selten eine Wünschelrute. Unsere Jugend wird systematisch zur Lüge erzogen, indem sie das Unglück hat, Köpfen unter die Hände zu fallen, die alles aus ihr machen, nur nicht, zu was sie von Gottes Gnaden berufen ist.

Hass gegen jede schönere, freiere Lebensnatur ist die Mitgift einer echten professorischen Natur. Ich kenne einen Lehrer, der es mir heute noch nicht verzeiht, dass ich in einem Kollegium über Geschichte als den passendsten Kommentar dazu Börnes Briefe aus Paris unter dem Tisch gelesen. Wenn er vollends gewusst hätte, dass die Reden, die beim Hambacher Feste gehalten wurden, in meinem Pulte gewesen wären! Ich schlechter Mensch!

Ein Professor ist ein Allerweltsmann. Er liest mit dem einen Auge den Homer, mit dem andern das Basler Missionsblatt. Unvergesslicher Mann mit der flanellenen Halsbinde, der du mir einst die Tränen des Achilleus kommentiert!

Derselbe Pietist erklärte uns den Sophokles. Durch ihn wäre ich nie zu einer Einsicht in die Ökonomie des griechischen Drama gelangt; ich hätte von Sophokles nicht mehr erfahren, als von Livius und Tacitus, von denen ich lange Zeit nur wusste, dass jener mit einem halben, dieser mit einem ganzen Hexameter anfange.

Ich war gewohnt, bei dem nächtlichen Religionsunterricht mein Licht immer fünf Minuten früher auszulöschen, als mein begeisterter Lehrer das seinige, und so wurde ich bald als ein arger Zweifler bekannt. »Wie steht es mit Ihrem Herzen?« lautete die honigsüße Frage bei der monatlichen Revue. Wie steht es mit Ihrem Herzen? d.h. im pietistischen Jargon: Sind Sie orthodox oder sind Sie vernünftig? O, Deutschland hat noch seine Originale!

Mein Humor verlässt mich, wenn ich an den letzten Teil meiner Abhandlung denke. Zorn, frommer Zorn führt meine Feder. Ein deutscher Professor ist geschworner Feind aller Politik. Er fand das Bestehende vernünftig, noch ehe Schelling und Hegel geboren waren. Untertänigkeit, Kriecherei, Speichelleckerei - ein Wörterbuch, ein Königreich um ein Wörterbuch, in dem das richtige Prädikat steht! Ich hasse jeden Kultus, zu welchem der Schneider am meisten beiträgt; so habe ich mich denn aus Eigensinn in meiner Jugend nie schwarz getragen. Da wurde eines Tages eine allerhöchste Person erwartet. Ich hatte ein graues Röckchen an, mein Professor verzweifelte. Ich tröstete mich mit Napoleon; die allerhöchste Person kam nicht. Wie glücklich war der gute Mann!

Ich hätte für Polen kein Gefühl, für die Edelsten und Unglücklichsten meines Vaterlandes keine Tränen haben dürfen, hätte ich vorher die Erlaubnis eines deutschen Professors nachsuchen wollen. Bete, arbeite und krieche - - es leben die deutschen Professoren!


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