Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXIII:

Denominationen, "Ketzer", Inquisition


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXIII: Denominationen, "Ketzer", Inquisition / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2005-01-20. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen33.htm   

Erstmals publiziert: 2004-06-14

Überarbeitungen: 2005-02-14 [Ergänzungen]; 2005-01-20 [Ergänzungen]; 2004-12-16 [Ergänzungen]; 2004-10-19 [Ergänzungen]; 2004-07-29 [Ergänzungen]; 2004-06-25 [Ergänzungen]

©opyright: Abhängig vom Todesdatum der Autoren

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


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Text und Melodie: Joseph Mohr(1834 - 1892), 1877

1. Ein Haus voll Glorie schauet
Weit über alle Land',
Aus ew'gem Stein erbauet
Von Gottes Meister Hand.

Gott! wir loben dich;
Gott! wir preisen dich;
O laß im Hause dein
Uns all' geborgen sein!

2. Gar herrlich ist's bekränzet
Mit starker Türme Wehr,
Und oben hoch erglänzet
Des Kreuzes Zeichen hehr.
Gott! wir loben . . . .
 
  3. Wohl tobet um die Mauern
Der Sturm in wilder Wut;
Das Haus wird's überdauern,
Auf festem Grund es ruht.
Gott! wir loben . . . .

4. Auf! eilen liebentzündet
Auch wir zum heil'gen Streit:
Der Herr, der's Haus gegründet
Uns ew'gen Sieg verleiht.
Gott! wir loben . . . .

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/spiritua/einhausv.html. -- Zugriff am 2005-01-20]


1494



Abb.: Ketzerverbrennung und Judenverbrennung. -- In Hartmann Schedl: Weltchronik  -- 1494 (Dieser Holzschnitt kommt in der Weltchronik an drei Stellen vor)


1654


Friedrich von Logau (1604 - 1655):  Religion. -- 1654

Was geht es Menschen an, was mein Gewissen gläubet?
Wann sonst nur christlich Ding mein Lauf mit ihnen treibet.
Gott gläub ich, was ich gläub; ich gläub es Menschen nicht;
Was richtet dann der Mensch, was Gott alleine richt?


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Die Herzens-Kirche. -- 1654

Man kann zwar alle Kirchen schließen;
Doch nie die Kirchen im Gewissen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Gottes Wort. -- 1654

Wann Gottes Kirche man weist in gewisse Schranken,
Wo, wie Gott wohnen soll, fürwahr, so gibt's Gedanken!


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Glauben. -- 1654

Luthrisch, Päbstisch und Calvinisch, diese Glauben alle drei
Sind vorhanden; doch ist Zweifel, wo das Christentum dann sei.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Gottesdienst ist ohne Zwang. -- 1654

Wer kann doch durch Gewalt den Sinn zum Glauben zwingen?
Verleugnen kann zwar Zwang, nicht aber Glauben bringen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Glaubenszwang. -- 1654

Den an Apostels Statt bekehren die Pistolen,
Glaubt anders offenbar, glaubt anders dann verhohlen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Verfolgung. -- 1654

Dieweil Religion bestehet im Gemüte,
Wie dass man sie dann sucht mit Eisen im Geblüte


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Der heilige Glaube und weltliche Glaube. -- 1654

In dem Glauben für den Höchsten will man Ketzern nichts gestehen;
In dem Glauben für den Nächsten lässt man alle Falschheit gehen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Abfall. -- 1654

Es ist ein Wunderding, der durch zehn, zwanzig Jahre
Und länger nicht gewusst, was rechter Glaube war,
Wann der vom ersten tritt und nimmt den andren an,
Dass der bald alles weiß und andre lehren kann.
Mich dünkt Gunst, Ehre, Macht, Gemach und gute Bissen
Die stärken ihm das Hirn, nicht aber das Gewissen.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Bild-Stürmer. -- 1654

Will Kirchen-Bilder wer zum Ärgernis anziehn,
Den ärgern Bilder nicht, die Augen ärgern ihn;
Drum lass er jene stehn und reiße diese hin.


Friedrich von Logau (1604 - 1655): Bilder. -- 1654

Wo Bilder in der Kirch ein Ärgernis gebären,
So muss man Kirchen-gehn auch schönen Weibern wehren.

Erläuterung:

"Der Bildersturm der Reformationszeit

Einige Reformatoren des 16. Jahrhunderts wirkten auf ihre Anhänger ein, Kunstwerke mit Darstellungen von Gott und so genannten Heiligen zu zerstören, da es sich dabei teils um Götzenbilder teils um eine Missachtung des 2. Gebots, 2.Mose (Exodus) 20,4-6, handele.

Vor allem gemäßigte Reformatoren im Umfeld von Martin Luther erlaubten Bilder im Sinne einer Laienbibel als Alternative für das leseunkundige Volk; demgegenüber traten andere wie etwa Andreas Karlstadt und Thomas Müntzer für ein totales Bilderverbot ein. Martin Luther hat Bilder nicht generell verboten, sprach sich aber gegen Götzen aus Stein und Holz, die man anbetet, und gegen den Glauben an "wunderkräftige" Bilder aus.

Huldrych Zwingli und Johannes Calvin plädierten für ein totales Bilderverbot in Kirchen, denn sie wollten die Gebäude im Sinne der Reinheit des christlichen Glaubens gemäß der reformierten Verinnerlichung und Anbetung umgestalten. Zwingli hat alle Bilder verboten, die in Kirchen verehrt und beweihräuchert werden und auf denen Gott, Christus oder Heilige dargestellt sind. Calvin verdammte die christliche Kunst, weil sie von der Predigt ablenkt, zum Götzendienst verführt und den Menschen ein falsches Bild von Gott vermittelt.

In England ließ Heinrich VIII. zwischen 1535 und 1540 die Klöster auflösen und deren Kunstschätze in Frankreich versteigern."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Ikonoklasmus. -- Zugriff am 2004-09-17]


1679


Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679): Poetische Grabinschrift eines Juden. -- 1679

Die Christen wollten mich in keinen Zünften leiden /
Ich sollte Kaufmannschaft und allen Handel meiden.
Die Wahrheit bringet mir itzt wenige Gefahr /
Man hasste mich darum weil ich beschnitten war


1731


Joseph Schaitberger (1658 - 1733): Exulantenlied. -- 1731 (Keine Satire, sondern bitterer Ernst: Vertreibung der Protestanten aus Salzburg, eines der vielen Beispiele "christlicher Barmherzigkeit")


Abb.: Melodie

Ich bin ein armer Exulant,
also muss ich mich schreiben.
Man tut mich aus dem Vaterland
um Gottes Wort vertreiben.

Doch weiß ich wohl, Herr Jesu mein,
es ist dir auch so gegangen.
Jetzt soll ich dein Nachfolger sein;
mach´s Herr, nach deinem Verlangen.

Ein Pilgrim bin ich auch nunmehr,
muss reisen fremde Strassen,
drum bitt ich dich, mein Gott und Herr,
du wollst mich nicht verlassen.

Ach steh mir bei, du starker Gott,
dir hab ich mich ergeben,
verlass mich nicht in meiner Not,
wann´s kosten soll mein Leben.

Den Glauben hab ich frei bekennt,
des darf ich mich nicht schämen.
Ob man mich einen Ketzer nennt
und tut mir´s Leben nehmen.

Ketten und Banden war mir eine Ehr,
um Jesu Willen zu dulden,
denn dieses macht die Glaubenslehr
und nicht mein bös Verschulden.

Ob mir der Satan und die Welt
all mein Vermögen rauben,
wenn ich nur diesen Schatz behalt:
Gott und den rechten Glauben.

Herr, wie du willst, ich geb mich drein,
bei dir will ich verbleiben.
Ich will mich gern dem Willen dein
geduldig unterschreiben.

Muss ich gleich in das Elend fort,
so will ich mich nicht wehren,
ich hoffe doch, Gott wird mir dort
auch gute Freund bescheren.

Nun will ich fort in Gottes Nam´
 - alles ist mir genommen,
Doch weiss ich schon,
die Himmelskron
werd ich einmal bekommen.

So geh ich heut von meinem Haus,
die Kinder muss ich lassen.
Mein Gott, das treibt mir Tränen aus,
zu wandern fremde Strassen.

Ach führ mich Gott in eine Stadt,
wo ich dein Wort kann haben,
damit will ich mich früh und spat
in meinem Herzen laben.

Soll ich in diesem Jammertal
noch lang in Armut leben,
Gott wird mir dort im Himmelssaal
eine bessere Wohnung geben.

Wer dieses Liedlein hat gemacht
der wird hier nicht genennet,
des Papstes Lehr hat er veracht
und Christum frei bekennet. 


1775


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Der Geier und der Rabe. -- 1775

Der Hain des Gotts zu Delphi war
Die Wohnung eines alten Raben,
Dem Elster, Kauz und selbst der Star
Das stolze Lob der Weisheit gaben.
Einst fragt ihn seiner Enkel Schar,
Was doch der Vogel Phönix wäre?
Ein Unding, Kinder, eine Mähre,
Vom Aberglauben ausgeheckt,
War der Bescheid. Gerechte Götter!
Kein Phönix? Ha, verruchter Spötter,
Rief hier ein Geyer, der versteckt
Dem Patriarchen aufgepasset,
Mich nimmt nur Wunder, dass Apoll,
Der doch gewiss die Ketzer hasset,
In seinem Hain sie dulden soll.
Doch ich will seine Schande rächen
Und dieser Brut die Hälse brechen.
Er tut's und ist der erste nicht,
Der, eigne Leidenschaft zu stillen,
Dem Redlichen, um Gottes willen,
Den Mordstahl in den Busen sticht.


1785


Johann Heinrich Voss (1751 - 1826): Grenzen der Duldung. -- 1785

Unduldsam heißen wir, weil uns der Päpstler Lehre,
Wir andern sein verdammt, wenn sie uns nicht bekehre,
Abscheulich dünkt? Du irrest weit.
Wir dulden alles gern; drum nicht Unduldsamkeit.


1786


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736 - 1809): Die Kirchenvereinigung. -- 1786
In einer griechischen Abtei
Am Fuß des hohen Tabors, nährte
Der Prior einen Papagei,
Den er das Ave singen lehrte.
Er sang die Hymne so geschickt,
Dass ihn das fromme Volk, entzückt,
Mehr als Sankt Rochus Hund verehrte.
Der Prior starb. Die Reislust wacht
Im Virtuosen auf; er kehrte
Mit leisem Flug, bei dunkler Nacht
Ins alte Vaterland zurücke.
Er stellte sich dem Hofe dar.
Der Adler der zu gutem Glücke
Ein Freund der edlen Tonkunst war,
Erhob, als er in der Kapelle
Sich hören ließ, ihn auf der Stelle
An des verstorbnen Mufti Platz.
So hohe Würden hatte Matz
Sich auch im Traume nicht versprochen.
Doch Ehre bläht, Gewalt macht kühn;
Das neue Haupt des Sanhedrin
Gebar gleich in den ersten Wochen
Die Grille, seine Psalmodie
Bey allen Vögeln einzuführen.
Der frohe König billigt sie;
Der Waldgesang, die Liturgie
Des Herzens konnt ihn nicht mehr rühren,
War für sein Ohr Kakophonie:
Und zudem ist ja reformieren
Der Fürsten Steckenpferd. Sogleich
Ließ er in seinem ganzen Reich
Den neuen Canon publizieren.
Nun schützte zwar der Vögel Chor
Die hergebrachten Rechte vor;
Allein da half kein Protestieren.
Der Mufti drohte mit dem Bann:
Der Sultan sprach vom Strangulieren,
Und kurz, das neue Lied begann.
Die Sänger wetzten sich den Schnabel
Und orgelten mit Angst und Pein
Das tollste Wirrwarr durch den Hain,
Das seit der Symphonie von Babel
Auf unserm Erdenrund erscholl.
Den Vorsang führten andachtsvoll
Der Storch, der welsche Hahn, die Eule,
Die Gans, der Kuckuck und der Pfau:
Sie kollerten sich braun und blau
Und füllten, durch ihr Klaggeheule,
Das Land auf eine halbe Meile.
Ein weiser Rabe, lahm und grau
Vor Alter, saß bei dem Monarchen
Und schwieg. Mit zornigem Gesicht
Sprach der Despot zum Patriarchen:
Rebelle, warum singst du nicht?
Weil dein Gebot mein Herz empöret,
Versetzt der Alte: glaube mir,
Der Schöpfer hat ein jedes Tier
Sein eigenes Gebet gelehret,
Das ihm gefällt. Ein Lobgesang,
Den Furcht erpresst, ist Übelklang,
Ist Lästerung, die ihn entehret.
Befiel nun meinen Tod. Er schwieg.
Der Sultan auch: wie Meereswogen,
So schäumt sein Blut. Noch wankt der Sieg;
Doch schnell rief er: ich ward betrogen!
Heil dir o Freund! du zogst ihn ab,
Den Schleyer, der mein Aug umgab.
Und ihr, empfangt die Freiheit wieder,
Ihr Vögel singet eure Lieder
In eurem angebornen Ton!
Itzt drangen sie in dichten Kreisen
Entzückt um des Monarchen Thron
Und lobten Gott nach tausend Weisen.
Der majestätische Choral
Steigt wallend in die lichten Sphären.
Der Sultan staunt. Zum erstenmal
Hört er, was keine Muftis hören,
In der verschiednen Melodie
Die feierlichste Harmonie.

1808


Karl Müchler (1763 - 1857): Die Strafe. -- 1808

Zu einem Geistlichen von Luthers Glauben
Kam Hinz, der Küster: Unser Organist,
Herr Pastor, rief er, ist ein Calvinist;
Das werdet Ihr doch nimmermehr erlauben?
Nein, strafen will ich den Verräter,
Versetzt der Pfarrer, ein Papist
Ist Stoll, der Invalide, wie Ihr wisst,
Den geb' ich ihm zum Bälgetreter.+


1817


Achim von Arnim (1781 - 1831): Die Polizei und der Vielgläubige. -- 1817

Polizei.

Welcher Glaube ist der deine,
Nenn' uns heute die Gemeine.

Vielgläubige.

Ich hoffe auf den Glauben
Und habe ihn noch nicht,
Ich wart' auf reife Trauben
Mit sauerem Gesicht;
Bald war ich jetzt katholisch,
Bald wieder Protestant,
Das macht mich melancholisch:
Ich glaub' an allerhand.

Polizei.

Jeder muss sich hier bekennen,
Wie wir ihn beim Glauben nennen.

Vielgläubige.

Nun freilich ich benannte
Mich erst ein Protestant,
Ich hatte viel Verwandte
Die sich dazu bekannt;
Dann sah ich Prozessionen
Und einen Wallfahrort,
Da, meint' ich, sei gut wohnen,
Ich schwor auf Papstes Wort.

Polizei.

Vaterland und Vaterglauben,
Ließest du vom Schein dir rauben.

Vielgläubige.

Ich hab's auch bald bereuet,
Beim ersten Fasttag schon,
Wie da der Magen schreiet,
Als prellt' ich ihn ums Lohn;
Mit Milch und Mehl und Eiern
Vertrage ich mich nicht,
Soll ich den Fasttag feiern,
Verlang' ich Fleischgericht.

Polizei.

Wer das »A« gewagt zu sagen,
Muss das »O« und »W« ertragen.

Vielgläubige.

Ich könnt' es nicht ertragen,
Ich aß als Protestant,
Da hab' ich's mit dem Magen
In rechter Tief' erkannt;
Ich lacht' in starkem Mute,
Wenn einer Katholik,
Da drang zu meinem Blute
Ein schöner Himmelsblick.

Polizei.

Endlich, endlich kommt die Gnade,
Denn es war um euch doch schade.

Vielgläubige.

Ein Mädchen kam gegangen,
Ein fromm katholisch Kind,
Die hat mein Herz gefangen
Und wandt' es gar geschwind;
Sie schwur, mich zu vermeiden,
Weil sie die Ketzer scheu',
Ich schwor mit tausend Eiden:
Dass ich katholisch sei.

Polizei.

Ei, wer wird so fälschlich schwören,
Schöne Mädchen zu betören.

Vielgläubige.

Ich hatte wahr geschworen
Der Jungfrau klar und rein,
Sie hatte mich erkoren,
Der Glaube war nun mein;
Ich könnt' andächtig knieen,
Es tat kein Knie mir weh,
Auch fastend mich erziehen,
Sie nahm mich zu der Eh.

Polizei.

Wenn's nur wäre von Bestande,
Wäre Glaub' aus Lieb' nicht Schande.

Vielgläubige.

So ward ich an dem Tage
Vermählt und Katholik;
Bald lernte ich die Plage,
Vergaß gar bald mein Glück.
Denn hinter heil'gen Augen
Trug sie ein Alltagspaar,
Und Worte, scharf wie Laugen
Gab sie das ganze Jahr.

Polizei.

Nun, du bist nicht zu beneiden,
Denn der Tod kann euch nur scheiden.

Vielgläubige.

Das musste ich vernehmen
Als ich um Scheidung bat;
Ich musste mich bequemen
Und folgte gutem Rath;
Weil Protestanten schieden,
Glaubt' ich mich Protestant,
So wechselt stets hienieden
Mit Glauben Unbestand.

Polizei.

Nein, das heißt zu viel changieren,
Wird dich nicht zum Glauben führen.

Vielgläubige.

Ja wohl! Die Protestanten -
Woll'n all' was Eignes sein! -
Schnell aus der Kirche rannten
Und ließen mich allein;
Selbst Prediger und Küster
Lief aus der Kirche gleich,
Die leere Kirch' ist düster,
Ich bring' die Schlüssel euch.

Polizei.

Lauf nur nach, zu der Gemeine,
Frag' sie, wie ihr das erscheine?

Vielgläubige.

Ich kann sie nicht erreichen,
Mir geht der Atem aus;
Ihr müsst zum Lerchenstreichen
Mit einem Netz heraus;
Sie hassen das Gemeine,
Entliefen gern der Welt,
Doch tragen ihre Beine
Sie nicht ins Himmelszelt.

Polizei.

Unbegreiflich, dass wir Alle
Nichts gewusst von diesem Falle.

Vielgläubige.

Sie sind in sich verzücket,
Wie hinter einem Wall,
Und haben nichts erblicket,
Als ihrer Verse Fall;
Sie fangen an zu pred'gen
Und wissen nicht den Text,
Sie müssen sich entled'gen,
Als wären sie behext.

Polizei.

Nun, die sollen schön bezahlen,
Wenn sie sich so töricht prahlen.

Vielgläubige.

Sie wollen nicht bezahlen,
Als mit dem Wörterhauch,
Sie glauben, dass sie strahlen,
Ich sehe lauter Rauch;
Sie können prophezeien,
Doch hört noch Keiner zu,
Sie müssen drum so schreien,
Gott gebe ihnen Ruh.

Polizei.

Bis wir die Gemeine fassen,
Bist du vom Gericht entlassen.


1819


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Die Andersdenkenden. -- 1819

Dein Bruder meint's, du Lieber,
Mit Gott und Menschen gut.
Sonst, sage mir, wie hüb er
So fröhlich Aug und Mut?

Lass denn die bösen Namen
Auf -aner, -ist und -at1!
Sie streun des Bösen Samen
Und dämpfen Rat und Tat.

Die Summe der Vereinung:
Der Gegner sei geehrt!
Verfolgt sei nur die Meinung,
Die freie Meinung stört.

Erläuterung:

1 z.B. Lutheraner, Papist, Demokrat


Johann Heinrich Voß (1751-1826): Inschrift für mein Gartenhaus. -- 1819

Redlicher Katholik,
tritt herein.
Du, der die Vernunft abschwur,
neumystischer Papist,
Bleib draußen.


1830/1850


Anastasius Grün (1808-1876): Kreuzzug

Einst auf dem Esel thronend ritt ein Eremit durchs Land,
Schnöde Heiden zu bekämpfen, hat er Tausende entflammt,
Jetzt auch schwingt sich mancher Pfaffe zornig auf sein Eselein,
Um den Kreuzzug wider Ketzer, die er hasset, auszuschrein.

Doch die Schafe sind gescheiter als der Hirte der sie führt,
Und der Pfaffe wird verspottet, wird verlacht, wie sichs gebührt.
Sie, da fasst er, schier verzweifelnd, seinen Esel an den Schwanz,
Da verzweifelt auch der Esel, welch ein wunderbarer Tanz!

Ruhig, Pfäfflein, schon den Esel, er ist gar ein gutes Tier,
Esel waren ja noch immer deines Ordens höchste Zier!
Wenig hast du noch verloren, leiht das Volk dir nicht sein Ohr,
Ei, so reit zu seinen Meistern, die sind stärker als das Rohr!

Betend trifft der Pfaff die Meister, doch er donnert ihnen zu:
Weggeworfen die Breviere1, schnell erwacht aus eurer Ruh!
Scheiterhaufen lasst errichten, weckt die heilge Hermandad2,
Alle Ketzer sollen schmoren, so ertönt mein frommer Rat.

Dieser Rat wird schnell verworfen, nicht aus lauem Sinn und Stolz,
Nein, die vielen Scheiterhaufen kosten allzuvieles Holz,
Auch zu vieles Licht verbreiten würde ihre heilge Glut,
Welch ein ungeheurer Nachteil für das allgemeine Gut!

Doch das Pfäfflein wird entsendet auf dem frischen Eselein,
Rasch die Geistlichkeit im Reiche zum Konsilium zu schrein,
Sieh, da eilen die Prälaten eifernd in die Metropol,
Um die Ketzer zu vernichten zu der wahren Kirche Wohl.

Sprecht, was haben sie geraten? Gegen alle Ketzer Krieg?
Nein, sie wissen, steuern müssten sie entsetzlich viel zum Sieg,
O sie lieben ihren Keller, und der Kirche reiches Gold,
Deshalb einem bessern rate waren die Prälaten hold.

Die Gesetze, welche Joseph3 mit zum Schutz der Ketzer gab,
Sollten ferner zwar bestehen, aber kraftlos, wie das Grab,
Mit dem Krummstab haut der Klerus kräftig auf die Toleranz,
Nicht verzweifelnd reißt das Pfäfflein seinen Esel mehr am Schwanz.

Erläuterungen:

1 Brevier: das gesetzliche Andachtsbuch der römisch-katholischen Geistlichkeit bei den vorgeschriebenen Gebetstunden

2 Hermandad:

"Hermandad (span.), »Bruderschaft«, vor allem die Bündnisse der kastilischen Städte im Mittelalter zu gegenseitigem Schutz und zur Durchführung politischer Zwecke. So verband sich 1282 eine Anzahl von Städten mit Sancho IV. gegen Alfons X., und dieser Bund wurde 1295 erneuert, als Sanchos Tod neue Unruhen hervorrief. Besonders interessant ist die Heine von 1315, durch die sich die Städte verbanden, um dem minderjährigen Alfons XI. die Krone ungeschmälert zu erhalten. Eine andre Hermandad in den Jahren 1465-73 unter dem schwächlichen Heinrich IV. hatte vorwiegend den Schutz der Städte gegen die Übergriffe des Adels zum Zweck und besaß bereits eine sehr sorgfältige Organisation. In der H. spielt immer die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit eine Hauptrolle. Unter dem Namen der heiligen Hermandad schufen Ferdinand und Isabella 1476 eine politischmilitärische Organisation, die alle kastilischen Kronländer umfasste und kurze Zeit auch auf die aragonischen Länder ausgedehnt wurde. Sie war fast einer ständischen Vertretung gleich, bewilligte Abgaben, hob Truppen aus und hat wesentlich zur Unterwerfung Granadas beigetragen. In Aragonien wurde sie 1498 wieder aufgehoben, in Kastilien aber nur ihrer politischen Funktionen entkleidet und hat als polizeiliche Einrichtung noch lange fortbestanden. Aus ihr ist die unter dem Namen guardia civil bekannte Polizeitruppe hervorgegangen. Obwohl auch religiöse Bruderschaften, wenn auch seltener, als Hermandad bezeichnet werden, ist die Hermandad doch nur aus Missverständnis mit der Inquisition in Beziehung gebracht worden."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Gesetze, welche Joseph: Toleranzedikt Josephs II. (österreichischer Kaiser) von 1781, das den Protestanten Religionsfreiheit gewährt.

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 72f.]


Cäsar von Lengerke (1803 - 1855): Der rechte Glaube

Ich sah ihn die Synagoge betreten;
Am Sonntag ist er guter Christ;
Er würde mit Türken freitags beten,
Falls eine Moschee geöffnet ist.

"Ich wäre" — so spricht er — "für alle Fälle
Gern Jude, Muselmann und Christ:
Man weiß doch nicht, was an oberster
Stelle
— Im Himmel — der rechte Glaube ist."

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 159.]


Heinrich Hutten: Ketzerlied.

Lass mich, o Herr, ein Ketzer bleiben,
Ein Ketzer sonder Furcht und Graun.
Lass nichts als Ketzerei mich treiben,
Und darin dein Geheimnis schaun.

Gib mir von allen Menschensöhnen
Das reinste volle Ketzerblut,
Und um die Pfaffen zu verhöhnen,
Gib mir den rechten Ketzermut.

Gib, dass ich keinem Glauben fröne,
Was es für einer immer sei,
Nein, dass ich's Wahre, Gut' und Schöne
Nur finde in der Ketzerei.

Gib mir in meinem Mund Satire
Und echte Ketzerironie,
Dass jedermann es gleich verspüre,
Hie ist ein echter Ketzer, hie.

Und reiße meine rasche Rede
Zu steten Ketzereien fort,
Und gib in jeder Pfaffenfehde
Mirs letzte, schärfste Ketzerwort.

Gib mir stets echte Ketzergedanken
Und immer echte Ketzertat,
Und lass mich nie als Ketzer schwanken
In Wort und Werken früh und spat.

Gib, dass ich meine scharfe Feder
Nur führ in echtem Ketzergeist,
Und dass mein Haupt, Herz und Geäder
Sich nur als ketzerisch erweist.

Gieß Ketzerei in meine Weine,
Back Ketzerei mir in das Brot,
Gib mir mit deinem Sonnenscheine
Nur Ketzerglück und Ketzernot.

Lass mich als Ketzer zu dir beten
Und ehren dich auf Erden hier,
Und auch als Ketzer vor dich treten,
Nimmst du mich einstens auf zu dir.

Ja, lass mich leben, lieben, sterben,
Als Ketzer vor Gerichte stehn,
Und mich, soll ich den Himmel erben,
Nur in den Ketzerhimmel gehn.

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 124f.]


1831


Anastasius Grün (1808-1876): Die ledernen Hosen. -- 1831

Hoch auf seiner Burg in Östreich haust ein lust'ger Rittersmann,
Hold des frommen Manns Lutheri neuen Lehren zugetan,
Die aus dumpfen Klostermauern frei und leuchtend einst entstiegen,
Wie aus schwarzen Felsgeklüften Scharen weißer Tauben fliegen.

Und sie flogen bald auch siegreich über Östreichs Fluren hin,
Die Verwegnen sah mit Zürnen Kaiser Ferdinandus1 ziehn,
Und Edikte ließ zermalmend über sie vom Thron er fallen,
Wie von hohen Felsenhorsten Geier mit den scharfen Krallen.

Sonntags früh, als die Gemeinde Glockenklang zur Kirche ruft,
Wallt im grünen Forst der Ritter, freuend sich an Laub und Duft:
»Wer den Herrn nicht kann im Walde, kann ihn auch im Dom nicht ehren,
Und wen nicht die frommen Blumen, wird kein Pfäfflein auch bekehren.«

Sieh, da rauscht' aus Busch und Dickicht stolz ein Edelhirsch empor,
Doch es streckte schnell zu Boden ihn des Ritters Feuerrohr:
»Wer da zu Mittag des Sonntags seinen Braten will genießen,
Ei, der wird dazu das Wildbret doch wohl auch sich dürfen schießen.«

Als der Ritter kehrt zum Schlosse, steht der Pfarrer vor dem Tor,
Stolz, wie im Triumphe, haltend hoch ein Pergament empor:
»Wer des Sonntags, statt der Messe, Feld- und Waidwerks sich beflissen,
Soll's mit hundert Golddukaten in den Schatz des Kaisers büßen!

Während ihr in Wäldern Hirsche, oder Böcke schießt vielmehr,
Ward verkündet von der Kanzel dies Edikt so inhaltschwer.
Mögt verzeihen, edler Ritter, wenn ich's euch bedauernd sage,
Dass das Mess- und Predigtschwänzen selten goldne Früchte trage!«

»Diesmal,« sprach der Ritter lächelnd, »trug's doch Gold, wenn auch nicht mir!
Doch mir bleibt die Haut des Hirsches: im Edikt steht nichts von ihr!
Heil dem übergnäd'gen Kaiser, der uns doch die Haut will lassen!
Seht, vielleicht zu einem Wamse oder sonst was kann sie passen!«

Einst nach Jahren, als der Kaiser heim von ernster Fahrt gekehrt,
Lud er vor den Thron zu Hofe seine Edlen, treu und wert:
Jeder mög' in seinem Kleide dann des Landes Farben führen,
Oder sonst mit seinem schönsten, köstlichsten Gewand sich zieren!

In dem Kaisersaale wimmelt's von Gewändern, rot und weiß,
Samt und Perlen, Gold und Demant glühn und strahlen rings im Kreis,
Drüberhin mit Wohlbehagen scheint des Kaisers Aug' zu wallen,
Aber plötzlich ernst und zürnend lässt auf Einen er es fallen.

Und er ruft dann halb mit Lächeln, halb mit droh'ndem Ungestüm:
»Seht, ihr Herrn, doch dort den Bauer und sein Hosenungetüm!
Traun, die gelben Lederhosen reichen fast ihm bis zum Kragen!
Freund, warum willst du des Landes oder meine Farb' nicht tragen?«

»Herr, weil ihr zu oft sie wechselt!« spricht der Ritter drauf mit Mut,
»Doch des Landes Farben passen für uns Bauernvolk nicht gut!
Vor dem roten grellen Kleide würden scheu uns alle Stiere,
Und das zarte Weiß stets fürchtet, dass es Gras und Laub beschmiere.

In den teuersten Gewändern, Herr, beschied man uns heran,
Drum die köstlichste und schönste meiner Hosen zog ich an,
Denn mit hundert goldnen Füchsen musst' ich sie euch selbst bezahlen.
Wer noch kann mit solcher Hose und mit solchem Schneider prahlen?« -

Wackrer Ritter, aus dem Himmel blickst du nun auf ird'schen Kram,
Wo so gänzlich aus der Mode deine Lederhose kam,
Wo in Seid' und Samt wir prunken! - Lächelnd doch siehst du die Gecken
Unbewusst, bis an den Kragen, tief in Lederhosen stecken.

Erläuterung:

1 Ferdinand I. (1503 - 1564), 1558 bis 1564 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, seit 1521 Erzherzog der österreichischen Länder, Gegner der Reformation


1832


Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832): aus Faust II, 1. Akt. -- 1832

KANZLER.

Natur und Geist so spricht man nicht zu Christen.
Deshalb verbrennt man Atheisten,
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr missgestaltet Zwitterkind.
Uns nicht so! Kaisers alten Landen
Sind zwei Geschlechter nur entstanden,
Sie stützen würdig seinen Thron:
Die Heiligen sind es und die Ritter;
Sie stehen jedem Ungewitter
Und nehmen Kirch' und Staat zum Lohn.
Dem Pöbelsinn verworrner Geister
Entwickelt sich ein Widerstand:
Die Ketzer sind's! die Hexenmeister!
Und sie verderben Stadt und Land.
Die willst du nun mit frechen Scherzen
In diese hohen Kreise schwärzen;
Ihr hegt euch an verderbtem Herzen,
Dem Narren sind sie nah verwandt.


1834


August von Platen (1796-1835): Lessings Nathan1. -- 1834

Deutsche Tragödien hab ich in Masse gelesen, die beste
Schien mir diese, wiewohl ohne Gespenster und Spuk:
Hier ist alles, Charakter und Geist und der edelsten Menschheit
Bild, und die Götter vergehn vor dem alleinigen Gott.

Erläuterung:

1Bezieht sich auf Gotthold Ephraim Lessing's (1729-1781) Drama  Nathan der Weise (1779)


Adelbert von Chamisso (1781-1838): Chassané und die Waldenser1. -- 1834

Geschichtlich.

1540

Der heil'gen Kirche waren zwei Pilaster
Von Arl' und Aix die würdigen Prälaten,
Ankämpfend wider Ketzerei und Laster.
Das Unkraut auszujäten aus den Saaten
Der Wahrheit und zu werfen in die Glut,
Bezweckten unablässig ihre Taten.
Waldenser wird genannt die Otterbrut.
Auf jener Antrieb hat zu Recht erkannt
Das Parlament, verfemet ist ihr Blut.
Es gilt für Recht: lebendig wird verbrannt,
So Weib als Mann, so viele ihrer sind,
Die zu dem falschen Glauben sich bekannt;
Mit ihrer Asche spielen soll der Wind;
Es fällt dem Schatze zu, was sonst ihr eigen,
Nebst Hab und Gut auch das unmünd'ge Kind;
Wo blühend ihre Städt und Dörfer steigen,
Soll ebnen, Schutt und Asche, sich der Grund,
Und da die Wildnis fluchbelastet schweigen.
Solch Urteil sprach der Richter strenger Mund;
Vollziehen lassen soll's der Präsident,
Den Schergen wird durch ihn ihr Blutamt kund.
Die Feder schon berührt das Pergament,
Da fühlt er leise sich den Arm gehalten,
Und einer tut's, den er von Jugend kennt.
Alenius spricht: »Sei drum nicht ungehalten,
Wirst, Chassané, noch immer Zeit genug
Zu deines Namens Unterschrift behalten.
Dein Blutwerk, mein ich, duldet den Verzug;
Ich will aus deiner eigenen Geschichte
Dir ins Gedächtnis rufen einen Zug;
Du bist mir Zeuge, dass ich's nicht erdichte:
Einst kamen her die Bauern und verklagten
Die Mäuse vor dem geistlichen Gerichte;
Die Mäuse, die das liebe Korn zernagten,
Und, wie der Böse nur es stiften kann,
Sie sonder Zahl auf Feld und Tenne plagten.
Die Bauern trugen auf Vergeltung an,
Die Mäuse, die so vieles doch verbrochen,
Zu strafen mit der Kirche Fluch und Bann.
Den Mäusen ward ein Anwalt zugesprochen, -
Wer war der Anwalt, hätt ich dich zu fragen,
Der Ketzer, denen ihr den Stab gebrochen? -
Der Advokat der Mäuse, wollt ich sagen,
Tat an den Tieren redlich seine Pflicht,
Und wehrte klug den laut erhobnen Klagen:
'Die Mäuse sind von Gott, vom Bösen nicht;
Da lasse nicht der Mensch den Mut erschlaffen
Und ziehe nicht den Schöpfer vor Gericht.'
Er kämpfte siegreich mit des Rechtes Waffen,
Es wurde frevelnd nicht geflucht den Wesen,
Die Gott in seiner Weisheit auch erschaffen.
Du, Chassané, du bist es selbst gewesen,
Den Gottes ewige Gerechtigkeit
Zur Abwehr dieser Sünde hat erlesen.
Die Mäuse hast vom Bannfluch du befreit;
Als Mäuse zu verteid'gen es gegolten,
Da kannte doch dein Herz Barmherzigkeit.
Ich will nicht glauben, Richter unbescholten,
Dass Menschen, die zum Scheiterhaufen wallen,
Es Stein in deinem Busen finden sollten.
Du unterschreibst nicht? lässt die Feder fallen!
Hab Dank!« Sie drückten schweigend sich die Hand;
Der Ketzer Sache sollte so verschallen.
Doch die Prälaten! Nach vier Jahren stand
Es wieder anders, da erhellten fern
Die Scheiterhaufen das erschreckte Land,
Und jene sangen: »Lobet Gott den Herrn!«

Erläuterungen:

1 Waldenser

"Waldenser ist die Bezeichnung für eine vorreformatorische kirchliche Laienbewegung, die sich von dem Lyoner Kaufmann Petrus Valdes herleitet. Als die "Armen von Lyon" wenden sie sich predigend und wohltätig den Armen der Gesellschaft zu. Sie verstehen sich als bewusste Glieder der katholischen Kirche, deren Missstände sie offen anprangern.

1184 werden die Waldenser - speziell wegen der Laienpredigt - auf dem Konzil von Verona von Papst Lucius III. exkommuniziert.

Später, 1252 belegt Papst Innozenz IV. in seiner Bulle ad extirpanda die Waldenser mit den Worten Cataros,...Valdenses, ... et omnes Hereticos ... perpetue damnamus infamia (für immer verurteilen wir die Katharer, Waldenser und alle Häretiker zur Infamie) mit der Kirchenstrafe der Infamie.

Die Waldenser sind im 14. Jahrhundert in unterschiedlichen, teilweise zerstrittenen Gruppierungen weit über Europa verbreitet. Sie werden von der Inquisition bedrängt, 1487 erfolgt durch Papst Innozenz VIII. ein Kreuzzug gegen die Waldenser. Einige Gruppierungen schließen sich den Hussiten an - daraus geht die Böhmische Brüdergemeinde hervor, andere der Reformation von Calvin.

In Italien gründen die Waldenser 1532 unter Einfluss der Reformation eine reformierte Kirche in den Cottischen Alpen.

Nach 1698 bildeten sich nach der Vertreibung von Waldensern und Hugenotten aus Piemont auch in Südhessen und Württemberg waldensische Gemeinden. Obwohl sich die württembergische Siedlung als die dauerhaftere erwies, ging auch sie im 19. Jahrhundert in der evangelisch-lutherischen Landeskirche auf.

1848 wird ihnen die bürgerliche und Glaubensfreiheit zugestanden. 1855 entsteht in Torre Pellice eine theologische Fakultät, welche schließlich 1922 nach Rom verlegt wird.

Heute zählt ihre Gemeinschaft in Italien ca. 29.000 Mitglieder, wo sie in enger Beziehung mit der methodistischen Kirche leben. Sie gründeten u.a. das Dorf Agape bei Turin. Im Ausland, besonders Argentinien und Uruguay leben ca. 14.000 Waldenser.

Motto: Lux lucet in tenebris (lateinisch für: "Licht leuchtet in der Finsternis")"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Waldenser. -- Zugriff am 2004-09-16]


1838



Abb.: Totenbildchen. -- Meran. -- 1838-02-10

"Lieber sterben, als noch länger in Meran unter dem immermehr eindringenden Luthertum leben!"

Worte des Verstorbenen auf dem Sterbebette (ernst gemeint)

[Bildquelle: Fontana, Josef <1937 - >: Der Kulturkampf in Tirol. -- Bozen : Verlagsanstalt Athesia, 1978. -- 528 S. : Ill. ; 19 cm. -- (Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes ; Bd. 6). -- ISBN 88-7014-049-0. -- S. 64]


1840


Georg Herwegh (1817-1875). -- 1840

Wie Jakob1 hab' ich oft mit Gott gerungen,
Oft fühlt' ich meinen Glauben zweifelnd stocken,
Und oftmals haben eure Kirchenglocken,
Ich leugn' es nicht, verdrießlich mir geklungen.

Ich habe gern mein eigen Lied gesungen,
Gesponnen gern von meinem eignen Rocken,
Bin nie nach eines Priesters schmalen Brocken,
Ein hungeriger Zionsheld, gesprungen.

Doch scheint auch ihr mir nicht vom besten Stempel,
Und so verschmerz' ich euer pfäffisch Schnauben
Und euere für mich Verschlossnen Tempel.

Wär' ich wie Schlangen klug und fromm wie Tauben2,
Würd' ich ein Heiliger gar zum Exempel
Ihr steinigtet mich wohl um meinen Glauben!

Erläuterung:

1 Siehe Genesis 32, 23 - 30: "Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok, nahm sie und führte sie über das Wasser, sodass hinüberkam, was er hatte, und blieb allein zurück.Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst."

2 Matthäusevangelium 10, 16: "Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben."


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Rechts und links. -- 1840

Ich finde diese Rede voll Verstand,
Wiewohl mich Griechenland nicht auferzogen.
Aus den Phönizierinnen des
Euripides nach Schiller.

Norden, Süden, Wein und Bier,
Plattdeutsch dort und Hochdeutsch hier,
Katholik und Protestant,
Mancher Fürst und manches Land

Wer das nicht vergessen kann,
Ist fürwahr kein deutscher Mann;
Wenn er's gut mit dir auch meint,
Vaterland, er ist dein Feind!

Das bedenket jeder Zeit,
Wenn ihr strebt nach Einigkeit,
Deutsche Fürsten, deutscher Bund,
Deutsche Lai'n und Pfaffen, und


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Herrnhuter in beiderlei Gestalt. -- 1840

Melodie Nachtigall, ich hör dich singen.

Für Melodie "Nachtigal ..." hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/nachtiga.html. -- Zugriff am 2004-09-24]

Nie wollt ihr des Herrn vergessen,
Nicht beim Trinken noch beim Essen,
Und ihr tunkt in roten Wein
Ein biscuiten Lämmlein ein.

So erfüllt ihr Gottes Willen
Im Geheimen und im Stillen,
Und es isst auf Christi Tod
Euer Nachbar trocken Brot.

Erläuterung:

"Die Herrnhuter Brüdergemeine ist eine aus dem Pietismus und der tschechischen Reformation stammende christliche Glaubensbewegung innerhalb der staatlichen protestantischen Kirche ("Kirchlein in der Kirche"), die heute in der Regel den Freikirchen zugordnet wird; sie wurde gegründet von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Herrnhuter_Br%C3%BCdergemeine. -- Zugriff am 2004-09-24]


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): Die lateinischen Gläubigen. -- 1840

Denn es hörete ein jeglicher, dass sie mit seiner Sprache redeten.
Apostelgeschichte 2, 6.

Ihr singt und betet in Latein!
Will Gott kein Gott der Deutschen sein?
In unsres Feindes Sprache sollen
Wir Dank und Preis dem Höchsten zollen?

Ist Ihm nicht jedes Volk und Reich,
Ist Ihm nicht jede Sprache gleich?
Ihr wollt mit fremden, toten Tönen
Ihn den Lebendigen versöhnen?

Zu Gott empor, du deutsches Herz,
Deutsch bet' und sing' in Freud' und Schmerz!
Die Sprache, die mit dir erschaffen,
Ziemt nur vor Gott den Lai'n und Pfaffen.

Erläuterung: bezieht sich auf die lateinische Gottesdienstsprache der Katholiken (bis 1965 vorgechrieben)


1841


Georg Herwegh (1817-1875): Protest. -- 1841

Solang ich noch ein Protestant,
Will ich auch protestieren,
Und jeder deutsche Musikant
Soll's weiter musizieren!
Singt alle Welt: Der freie Rhein!
So sing' doch ich: Ihr Herren, nein!
Der Rhein, der Rhein könnt' freier sein -
So will ich protestieren.

Kaum war die Taufe abgetan,
Ich kroch noch auf den Vieren,
Da fing ich schon voll Glaubens an,
Mit Macht zu protestieren,
Und protestiere fort und fort,
O Wort, o Wind, o Wind, o Wort,
O selig sind, die hier und dort,
Die ewig protestieren.

Nur eins ist not, dran halt' ich fest
Und will es nit verlieren,
Das ist mein christlicher Protest,
Mein christlich Protestieren.
Was geht mich all das Wasser an
Vom Rheine bis zum Ozean?
Sind keine freien Männer dran,
So will ich protestieren.

Von nun an bis in Ewigkeit
Soll euch der Name zieren:
Solang ihr Protestanten seid,
Müsst ihr auch protestieren.
Und singt die Welt: Der freie Rhein!
So singet: Ach! Ihr Herren, nein!
Der Rhein, der Rhein könnt' freier sein,
Wir müssen protestieren.
 


Georg Herwegh (1817-1875): Was man nicht lassen kann. -- 1841

Ob sie katholisch geschoren, ob protestantisch gescheitelt,
Gleichviel: immer gerät man den Gesellen ins Haar.


1844


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874): In majorem Dei gloriam1. -- 1844 (?)


Abb.: Katholisch oder protestantisch? [Bildquelle: http://www.oznet.ksu.edu/edtech/TeamServices/clippig.htm. -- Zugriff am 2004-10-15]

Ein echt katholisch Vollblut lob ich mir,
Das sich nicht mischen mag mit Ketzerherzen,
Und überall, wos sitzt bei Wein und Bier,
Das schöne Paradies nicht will verscherzen.

Verloren geht das Glück der Welt,
Das Reich der ewgen Seligkeiten,
Wer sich nicht fern von Ketzern hält
In unsern irrtumsreichen Zeiten.

Ein Irrtum ists und Sünde obendrein
Und von der heilgen Kirche schwer verboten,
Macht man mit Protestanten sich gemein,
Mit den lebendigen wie mit den Toten.

Seht euch nach Ketzern gar nicht um!
Rein haltet euere Gemeinde!
Katholisch sind in Augsburg drum
Und protestantisch selbst die Schweine.*)

*) Seeblätter vom 11. September 1844 (Nr. 119): In Augsburg z.B. bestehen katholische und protestantische Herbergen für die verschiedenen Zünfte und Handwerker. — Doch mehr werden sich unsere Leser wundern, wenn sie hören, dass in der altberühmten Stadt katholische und protestantische Schweineställe sich befinden! Und das ist buchstäblich wahr. Es besteht nämlich in Augsburg die polizeiliche Verordnung, dass während des Sommers keine Schweine innerhalb der Stadt gehalten werden dürfen, weshalb die Züchter dieses Geflügels [!] genötigt sind, Ställe außerhalb der Mauern zu halten. — Fragt ein Fremder wegen der großen Sammlung dieser Ställe an einem Orte, so erwidert ihm der Lohndiener: das sind die katholischen und das die protestantischen Schweineställe!

Erläuterung:

1 In majorem Dei gloriam = Zur größeren Ehre Gottes

[Quelle: Wider Pfaffen und Jesuiten, Wider Mucker und Pietisten! : Eine Anthologie aus der Blütezeit der politischen Dichtkunst in Deutschland 1830-1850 / Hrsg. von Politicus. -- Frankfurt a. M. : Neuer Frankf. Verl., 1914. -- 224 S. -- (Bibliothek der Aufklärung). -- S. 116.]


1856


Franz Grillparzer (1791-1872).  -- 1856

Die spanische Inquisition
Taugt nicht in unsern Tagen,
Ihr müsst euch begnügen schon,
Die Andersgläubgen sonst zu plagen.


1857


Friedrich Hebbel (1813-1863): Der Jude an den Christen. -- 1857

Ich sank zu deinen Füßen, bleich und blutend,
Ich zeigte stumm auf die Vergangenheit;
Ich rief, im Sterben selbst mich noch ermutend :
Sei du mein Heiland, jüngste, stolze Zeit!

Du standest still vor mir, mich ernst betrachtend,
Dein Blick, umwölkt zwar, schien doch mitleidvoll,
So dass mein Herz, bisher verzweifelnd schmachtend,
Zum erstenmal von sanfter Hoffnung schwoll.

Doch ach! Du zähltest schweigend nur die Wunden,
Die langsam mich bis auf den Kern zerstört,
Du fandest schaudernd alle unverbunden
Und wandtest dich, im Innersten empört.

Nun prägt mich, allen Zeiten zu beweisen,
Dass mich kein Mensch mehr Bruder nennen kann,
Dein Griffel, Zug um Zug, in Stein und Eisen;
Dann wiederholst du streng den alten Bann.

Oh, zerr es nur aus dunklem Tabernakel
Hervor, mein Bild, zerrissen und entstellt!
Oh, stell es nur mit jedem seiner Makel
Im Glanz der Sonne auf vor aller Welt!

Was war in eurer Märt'rer Leib zu lesen,
Wenn man zerfetzt hervor sie stieß ans Licht?
Doch nur, wie hart die Folterbank gewesen -
Für Sünden hielt man ihre Wunden nicht!


1867



Abb.: André Gill (1840 - 1885): Ernest Renan. -- In: La Lune. -- 1867-05-11

Erläuterung:

"RENAN, Ernest, Religionswissenschaftler, Orientalist und Schriftsteller, * 27.2. 1823 in Tréguier + 2.10. 1892 in Paris. - Zum Priesterberuf bestimmt, kam Renan 1838 an das Seminar Saint-Nicolas-du-Chardonnet in Paris, 1841 wechselte er an das Seminar von Issy, wo er sich mit philosophischen Fragen beschäftigte und die schottische und deutsche Philosophie kennenlernte. 1843 wurde er in das Grand Séminaire de Saint-Sulpice aufgenommen, wo er Hebräisch und Deutsch studierte. 1844 erhielt er die niederen Weihen, verließ aber das Seminar im Oktober 1845 weil sein Glaube durch die historische Kritik zerstört war. Sein Bruch mit der Kirche war jedoch nicht ein Akt der Revolte, sondern vollzog sich »dignement et gravement«. Wie seine erst später veröffentlichten »Travaux de jeunesse« und »L'Avenir de la Science« (1848) zeigen, waren sein Glaube an die Wissenschaft und den Fortschritt der Vernunft ausschlaggebend gewesen. Das Christentum blieb ihm allerdings als Religion die höchste mögliche Entwicklungsstufe, doch war ihm der Katholizismus für die freie Entwicklung seines Geistes zu dogmatisch. In bescheidenen Verhältnissen lebend, beendete er sein Studium an der Sorbonne und dem Collège de France; mit seinem Essay über die semitischen Sprachen erhielt er 1847 den Prix Volney. »De l'origine du langage« (1848), »Averroés et l'averroïsme« (1852) und die »Histoire générale des langues sémitiques« (1855) öffneten ihm die wissenschaftliche Karriere. 1849/50 machte er im Auftrag des Institut de France eine archäologische Reise nach Italien. 1851 bekam er eine Stelle an der Bibliothèque Nationale und wurde Mitarbeiter der Revue des Deux-Mondes. 1860/61 führte ihn eine weitere archäologische Exkursion nach Palästina, Syrien und den Libanon, wo er das Konzept seines Vie de Jésus entwarf. Nach der Ernennung zum Professor am Collège de France 1862 brachte ihm seine Antrittsvorlesung, in der er Jesus als unvergleichlichen Menschen bezeichnet hatte, die Feindschaft der katholischen Kirche. Sein ein Jahr später erschienenes »Vie de Jésus« beruhte nicht nur auf wissenschaftlicher Kenntnis sondern auch auf einem ästhetischen Nachempfinden und zeigte einen Jesus, wie er in Galiläa gelebt hatte. Das gut vorbereitete Erscheinen des Buches war eine Sensation und führte dann 1864 zu seiner definitiven Abberufung. In den Augen der Öffentlichkeit war er damit ein Opfer des bonapartistischen Regimes. 1870/71 wurde doppelt bedeutend für ihn: der Sturz Napoleons III. und die Errichtung der Republik ebneten ihm den Weg zum Ruhm, der Krieg mit Preußen/Deutschland und die Annexion von Elsass-Lothringen verunsicherten ihn tief. Renan hatte die deutsche protestantische Theologie und Philosophie geschätzt und besaß gute Beziehungen zu deutschen Wissenschaftlern. Das schien nun zerstört und darüberhinaus der Glaube an den Fortschritt der Menschheit, denn die Annexion musste unweigerlich den Gedanken der Revanche ins Leben rufen und implizierte Hass und neue Kriege. Die Republik berief ihn 1870 wieder an das Collège de France und 1883 zu seinem Administrator. 1878 erfolgte die Aufnahme in die Académie française und 1888 wurde er zum Grand Officier de la Légion d'Honneur ernannt. Seine mit dem Leben Jesu begonnene Erforschung der Ursprünge des Christentums setzte er fort und wandte sich dann der Geschichte des Volkes Israel zu (1887-1893). Auf das Thema Deutschland ging er 1882 noch einmal ein in seinem berühmten Vortrag an der Sorbonne »Qu'est-ce qu'une nation?«. Ausgelöst durch die Frage nach der Berechtigung der Annexion von Elsass-Lothringen, stellte er dem deutschen Nationsbegriff mit seiner Berufung auf Sprache und Abstammung mit der Metapher »l'existence de la nation est un plébiscite de tous les jours« seine eigene Definition der Nation als demokratische Willensgemeinschaft gegenüber.

Das Werk von Renan mit seinem Zentralthema Christentum und Judentum war nicht frei von Gefühlen und romantischen Zügen, dadurch besaßen seine Schriften literarische Qualitäten. Nach 1945 geriet Renan unter den Verdacht, Antisemitismus und Rassismus Vorschub geleistet zu haben. Vor allem sein Frühwerk ist nicht frei von Äußerungen, die in diesem Sinn gedeutet werden können. Sein Glaube an die Entwicklungsfähigkeit und den Fortschritt der Menschheit reduziert zudem das Judentum auf eine Vorstufe des Christentums. Wenn Renan »race« und »races« verwendet, gebraucht er diese Begriffe jedoch nie in einem biologisch-deterministischen Sinn. Zudem beruht für ihn die Entwicklung der Menschheit gerade auf der Vermischung, so dass die »Rassen« immer mehr an Bedeutung verlieren. Gegen den nach 1870 aufkommenden Antisemitismus und Rassismus hat er sich mit Entschiedenheit ausgesprochen. In Renan personifiziert sich das liberale Denken Frankreichs seiner Zeit. Sein Idealismus und Glaube an den Fortschritt war durchzogen von skeptizistischen und pessimistischen Zügen. Heute werden in Frankreich vor allem seine Erinnerungen noch gelesen, in jüngster Zeit sind auch wieder Teilsammlungen kleinerer Schriften erschienen."

[Quelle: Hans-Otto Binder. -- http://www.bautz.de/bbkl/r/renan_e.shtml. --  Zugriff am 2005-02-14]

[Bildquelle: Die Karikatur zwischen Republik und Zensur : Bildsatire in Frankreich 1830 bis 1880, eine Sprache des Widerstands? / Hrsg. und Red.: Raimund Rütten ... Unter Mitarb. von: Gerhard Landes ... -- Marburg : Jonas-Verl.,1991. -- 502 S. : zahlr. Ill. ; 29 cm. -- ISBN: 3-922561-97-7. -- S. 409]


1909



Abb.: Los von Rom! / von Heinrich Kley (1863 - 1945). -- In: Skizzenbuch. -- 1909

"Los-von-Rom-Bewegung, die kurz vor der letzten Jahrhundertwende in Österreich von anti-kirchlichen und antiklerikalen Kreisen eingeleitete und energisch geförderte Abfallsbewegung von der römisch-katholisch Kirche.

Vorbereitet wurde sie durch das Linzer Programm der österreichisch Deutschnationalen (1882); eingeleitet durch den 1893 gegründten antikatholischen und antisemitischen „Alldeutschen Verband", der die Eingliederung Deutsch-Österreichs in das Deutsche Reich und die Protestantisierung der österreichischen Katholiken als ersten Schritt zur Gründung einer Religion für alle „Deutschrassigen" anstrebte und dadurch die Entwicklung zu den späteren Deutschen Christen und der Deutschreligiösen Bewegung einleitete.

Ausgelöst wurde sie durch die Sprachenverordnungen des tschechenfreundlichen österreichisch Ministerpräsidenten K. Badeni (1897). Auf dem deutsch-nationalen Volkstag in Wien erhob am 12. 12. 1897 der Medizinstudent Th. Rakus erstmals die Forderung: „Los von Rom!"

Von dem Wuppertaler Kaufmann G. A. Schlechtendahl wurde der „Evangelische Bund" auf die aus politischen. und nationalen Ursachen entstandene Los-von-Rom-Bewegung aufmerksam gemacht, der 1898 begann, die rein negative Losung „Los von Rom!" durch die positive „Hinein ins Evangelium!", d. h. in den Protestantismus, zu ergänzen.

Der Zwickauer Superintendent F. Meyer organisierte die Arbeit des Evangelischen Bundes in Öerreich, wohin von Deutschland aus Vikare entsandt wurden, um die neu entstandenen prot. Gemeinden zu betreuen. Vom Politisch-Nationalen her war in der Los-von-Rom-Bewegung bes. G. von Schönerer führend, der in seiner Zeitschrift „Unverfälschte deutsche Worte" (1890—1912) Gedanken des späteren Nationalsozialismus vorwegnahm, während der Evangelische Bund grundsätzlich die Unterordnung der nationalen und politischen. Fragen unter die religiösen betonte.

Günstige Umstände für den Erfolg der antikathoöischen Hetze und protestantischen Propaganda bot die reformbedürftige kirchliche Lage in der katholischen Donaumonarchie. Übergroße Diözesen in Böhmen machten eine geordnete kirchliche Verwaltung ebenso schwierig wie zahlenmäßig übergroße Pfarreien in Deutsch-Österreich eine zeitgemäße Seelsorge. Spannungen und Spaltungen, aus nationalen oder politischen Gegensätzen hervorgehend, schwächten die katholische Abwehr (in deutschen Pfarreien waren wegen Priestermangels vielfach tschechische Seelsorger angestellt; die alpenländische „Katholische Volkspartei" paktierte mit den Slawen gegen die deutsche Minderheit in Böhmen und Mähren, als diese sich gegen die Verordnungen von Badeni auflehnte).

Bei vielen Akademikern und Lehrern und weithin auf den höheren Schulen herrschte ein Antiklerikalismus, der, durch liberale jüdische Zeitungen, besonders „Die Neue Freie Presse", gefördert, das christliche Denken bei vielen ganz ersterben ließ.

Dem einfachen Volk fehlte es an religiöser Durchbildung und an Mut zu energischem Handeln. So wuchs die Los-von-Rom-Bewegung schnell an, besonders in Böhmen, Kärnten und der Steiermark. 1898—1913 erfolgten 76192 Übertritte von Katholiken zur Evangelischen Kirche, wofür bis zum Beginn des 1. Weltkrieges mit Hilfe des Gustav-Adolf-Vereins 110 Gotteshäuser und 220 Predigt- und Unterrichtsstellen errichtet wurden. Die Jahre 1914—18 brachten 19560 Übertritte katholischer Christen zum Protestantismus, die Jahre seit 1918 jährlich über 3000 im Nachkriegs-Österreich.

Als Zentrum z. Förderung der ev. Bewegung war schon früh die Stadt Innsbruck ausgesucht, wo der „Ulrich-Hutten-Bund" entstand, der antikatholische Blätter, Broschüren, Traktate und Pamphlete (darunter die Schmähschriften des Buchhändlers R. Graßmann über die katholische Beichte und die Moral des Alfons von Liguori [Stettin 1894 u. ö.]) in großer Zahl in die Massen warf. Seit 1902 erschien als eigenes Organ „Die Wartburg".

Die Los-von-Rom-Bewegung führte auch zu einem starken Anwachsen der Altkatholiken in Österreich und ließ dort die Zahl der religiös-kirchlich Desinteressierten sowie der Konfessions- und Religionslosen im Lauf der Zeit stark anwachsen. Unter den Nachwirkungen der Los-von-Rom-Bewegung leidet der österreichische Katholizismus bis heute."

[Quelle: Konrad Algermissen <1898 - 1964>. -- In Lexikon für Theologie und Kirche. -- 2. Aufl. -- Bd. 6. -- 1961. -- s.v.]


1922



Abb.: Ohne Worte

[Bildquelle: Beißwanger, Konrad: Illustrierter Pfaffenspiegel : kritisch-historisches Handbuch der Verirrungen des menschlichen Geistes und des Lasterlebens in der christlichen Kirche. -- 2. Aufl. --  Nürnberg: Beißwanger, 1922. -- 420 S. : Ill. -- S. 353]


1938


Walter Lesch (1898 - 1958): Er ist an allem schuld <Auszug>. -- 1938

Aus dem Programm des Cabarets Cornichon, Zürich

Deutsch und römisch und japanisch,
Frisch und fromm und Franco-spanisch
Kann das Volk man nur vernichten
Gibt man ihm was hinzurichten.

Jude oder Kommunist,
Bibelforscher, tapfrer Christ,
Alle können dazu passen,
Dass wir nicht die Richtigen hassen.

Und so bleibt noch etwas Frist,
Bis man selbst am Messer ist.
Und das Volk, wenn auch verraten,
Riecht noch lange nicht den Braten.

Und die Moral für alle Zeit
Bis in alle Ewigkeit:
Wenn der böse Jud nicht wär,
Ach, er fehlte uns doch sehr!


Nicht datiert



Abb.: " Während die Hirten streiten, fressen die Wölfe die Herde". -- Karikatur zum Jansenistenstreit. -- 17. Jhdt.

[Bildquelle: Fülöp-Miller, René <1891 - 1963>: Macht und Geheimnis der Jesuiten : Kulturhistor. Monographie. -- Leipzig : Grethlein,  [1930]. -- 576 S. : Mit 228 Abb. -- Vor S. 127]

Erläuterung: Jansenisten

"Der Jansenismus

Diese Bewegung hat ihren Namen vom niederländischen Gelehrten und Bischof von Ypern, Cornelius Jansen (1585 bis 1638). Er fasste in seinem Buch über den Kirchenvater Augustinus (354 bis 430) dessen Gnadenlehre zusammen. Seit der Reformation hatte die Gnadenlehre des Augustinus auch in der katholischen Kirche an Bedeutung gewonnen und war heiß umstritten. Man war sich uneinig in der Frage, ob der Mensch etwas aus seinem eigenen Möglichkeiten zu seiner Rettung beitragen kann oder ob er ganz von der Gnade Gottes abhängig ist.

Jansen betonte wie Augustinus, dass der Mensch aus eigener Kraft vollkommen unfähig zum Guten ist. Gott allein ist es, der die Menschen erwählt und rettet. Zu seiner Erwählung kann der Mensch nichts beitragen, er kann sich nur Gott völlig hingeben.
Jansens Anhänger, die Jansenisten, legten daher größten Wert auf die innere Haltung jedes einzelnen. Sie strebten eine tiefe persönliche Liebe zu Gott an und waren in moralischen Fragen streng. Die Sakramente wurden erst nach eingehender Gewissenserforschung empfangen.

Diese Haltung brachte sie in Konflikt mit dem Jesuitenorden, der das menschliche Vermögen, gute Werke zu tun, in den Vordergrund rückten. Andererseits waren die Jansenisten die ersten Katholiken, die mit den Kirchen der Reformation ins Gespräch kamen.

Ein besonderes Zentrum jansenistischer Frömmigkeit entstand um das Kloster Port Royal bei Versailles. In dieses Zisterzienserinnenkloster konnten sich die "Frommen von Port Royal" für längere oder kürzere Zeit zurückziehen, um sich der Stille, dem Gebet und der Lektüre der Heiligen Schrift zu widmen. Dieser Gruppe gehörten die größten Geister Frankreichs an, unter ihnen Blaise Pascal (1623 bis 1662).

Konflikte mit Rom führten schließlich zum Untergang des Jansenismus in Frankreich. Bereits 1641 wurde der "Augustinus" des Cornelius Jansen verboten. König Ludwig XIV. ließ 1709 Port Royal militärisch besetzen . Die Nonnen wurden vertrieben und das Kloster dem Erdboden gleichgemacht. 1713 erließ der Papst die Bulle "Unigenitus" - die endgültige Verurteilung des Jansenismus. Viele Jansenisten flüchteten in die Niederlande und beeinflussten die Kirche von Utrecht. "

[Quelle: http://www.altkatholiken.at/jansenismus.htm. -- Zugriff am 2004-09-22]



Abb.: Jesuitisches Spottbild auf die Jansenisten. -- 17. Jhdt.

[Bildquelle: Fülöp-Miller, René <1891 - 1963>: Macht und Geheimnis der Jesuiten : Kulturhistor. Monographie. -- Leipzig : Grethlein,  [1930]. -- 576 S. : Mit 228 Abb. -- Vor S. 139]



Abb.: Das Heilige Offizium

[Quelle: Wolf, Hans-Jürgen: Sünden der Kirche : das Geschäft mit dem Glauben ; Ketzerei, Kreuzzüge, Juden- und Frauenhass, Heiligen- und Reliquienkult, Zölibat, Moral  -- Sonderausg. -- Hamburg : Nikol, 1998. -- 1266 S. : zahlr. Ill.  -- ISBN 3-930656-89-2. -- S. 282]


Abraham Gotthelf Kästner (1719-1800): Wunsch eines protestantischen Virtuosen in Rom

An Hrn. Lessing.

Hier, wo noch wild und stolz der Römer Helden stehn,
In göttlicher Gestalt die Mädchen von Athen,
Möcht' ich Pygmalion1, zugleich auch Perseus2 sein:
Den Bildern gäb' ich Geist, die Pfaffen würden Stein.


Zusatz

Doch wollt' ich, um die Bilder zu beseelen,
Der Pfaffen Geister wählen,
Wird jedes Bildes Antwort sein:
Ich bleibe lieber Stein.

Erklärungen:

1 Pygmalion

"Pygmalion ist ein König von Kypros, der sich in das Elfenbeinbild der Aphrodite verliebte.

Er wollte nicht heiraten, weil sein Herz und seine Sinne von einer schneeweißen Elfenbeinstatue gefangengenommen waren, die die unbekleidete, in ihrer Gestalt vollkommene Aphrodite darstellte. Er selber hatte sie mit so viel Leidenschaft geschaffen, dass die Materie fast lebendig schien. Die sie streichelnde Hand konnte nicht unterscheiden, ob sie aus Elfenbein oder echtem Fleisch war. Pygmalion küsste und umarmte die Statue und glaubte, dass seine Liebe erwidert würde. Nachts legte er sich neben sie, am Tag kleidete er sie an und schmückte sie mit Juwelen. Dann kam das in Zypern so wichtige Fest zu Aphrodites Ehren. Nach den üblichen Opfergaben, näherte sich Pygmalion, seine Ergebenheit bezeugend, dem Altar und bat die Götter scheu, dass sie ihm eine Frau gönnen mögen, die der von ihm geschaffenen ähnelte. Er wagte nicht zu sagen, dass er sich genau so sein Elfenbeinmädchen gewünscht hätte, doch Aphrodite, die bei ihrem Fest anwesend war, verstand das Gebet und erweckte die Statue zum Leben. Aus der Verbindung zwischen Pygmalion und der von der Göttin bewilligten Kreatur ging Paphos hervor."

[Quelle: http://www.mythologica.de/pygmali.htm. -- Zugriff am 2004-09-28]

2 Perseus befreite Andromeda von einem Ungeheuer, indem er es versteinerte.


Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803).

A.: Ob's christlich ist, zu Höllenflammen
Die frommen Heiden zu verdammen,
Den Sokrates, den Seneca, den Marc Aurel und Hadrian?

B.: Wenn's christlich wäre, ganz gewiss, so hätt' es Christus auch getan!


Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809): Die Reformatoren

Zween Weise zogen durch die Welt,
Vorm edlen Trieb gespornt, den Irrtum zu besiegen;
Ein großes Werk! Vom Südmeer bis zum Belt
Herrscht dieser Aftergott. Auf seinen Ritterzügen
Traf das Epoptenpaar1 ein Völklein an,
Das einen Affen göttlich ehrte,
Den es in seinem frommen Wahn
Mit lauter Kokosmark und süßem Rahm ernährte.
Der jüngre Philosoph, als er den Unfug sah,
Erzürnte sich im Geist und rief mit bitterm Spotte
Dem blinden Haufen zu: "Was macht ihr da?
Unglückliche! hinweg mit diesem Gotte!
Der, als ihr wurdet, noch nicht war,
Und, dummer als ihr selbst, euch nicht verstehet,
Der nichts vermag, und eher noch vergehet
Als ihr. Ein Gott ist unsichtbar;
Kein Tierfell schließt ihn ein." Er wollte weiter sprechen,
Allein mit wütendem Geschrei
Drang der erboste Schwarm herbei,
Um seinen Gott und sich zu rächen.
"He Brüder!" sprach der ältere Gespan,
Der bloß durch List den Freund noch retten konnte;
"Ihr seht, der Mensch ist toll, wie stünd' er sonst im Wahn,
Ein Gott sei unsichtbar? Seht dort am Horizonte
Die goldne Sonne schlafen gehn;
Sie wärmt, sie leuchtet euch, sie schmücket Feld und Weisen
Und schenkt euch Überfluss. Nun müsst ihr selbst gestehn,
Das kann ein Affe nicht. Auch richt' ich stets mit Freuden
Mein Dankgebet zu diesem Wunderlicht."
Er sprach es kaum, so lag er auf den Knien,
Und sang mit strahlendem Gesicht
Der Sonne Lob. Gleich Orpheus2 Melodien
Erklang sein hohes Lied. Gerührt, entzückt,
Vom heil'gen Trieb der Andacht hingezogen,
Drängt sich die ganze Schar, wie Meereswogen,
Um den Epopten1 her, und huldigt tiefgebückt
Dem neuen Gott. Der alte ward entlassen
Und in den Hain zurückgeschickt.
"Das heißt doch wohl zu arg mit blinden Heiden spaßen,"
So sprach, als er allein mit seinem Freunde war,
Der jüngre Philosoph. "Du stürzest einen Götzen,
Um einen andern einzusetzen"
"Ganz wohl," versetzt der Freund; "doch warte nur ein Jahr,
So will ich dann das gute Völklein lehren,
Statt des Geschöpfs den Schöpfer selbst zu ehren.
Nur selten wird der Irrtum schnell geheilt,
Der Weise sucht ihn stückweis zu besiegen;
Wer in dem edlen Kampf sich übereilt,
Der wird, so ging es dir, erliegen."

Erläuterungen:

1 Epopten = "(griech. , "Zuschauer"), die in den dritten und letzten Grad der Eleusinischen Mysterien Aufgenommenen und damit zur vollständigen Erkenntnis der heiligen Geheimnisse Zugelassenen; auch spöttischer Name für die, welche sich einer nur wenigen Menschen zugänglichen, geheimern Erkenntnis oder gar einer unmittelbaren Anschauung göttlicher Dinge rühmen; daher auch = Schwärmer." [Meyers Konversationslexikon, 1888]

2 Orpheus = griechischer Sänger und Leierspieler


Eduard Mörike (1804-1875): [Auf einen fanatischen Priester, der aufbegehrte, weil Mörike einen Trauerzug zu grüßen vergaß.]

Armseligster Repräsentant
Der stockkatholischen Priesterwürde,
Sie da! es kommt ein Wolf gerannt
In deiner toten Schäflein Hürde.

Auf schwing dein Fähnlein! Schwere Not!
Wirf deinen Bannstrahl! sei kein Hase!
Weh! des Vollstreckers rote Nase,
Sie schnaubt mich an: schon bin ich tot!

Doch halt! so schlimm ist's nicht. Behend'
Versöhn' ich dich, o hitzig Pfäffchen:
Ich mache dir und deinen Äffchen
Hiemit zum zweitenmal — mein Kompliment


Eduard Mörike (1804-1875): Katholischer Gottesdienst

Siehst du den schmettergoldnen Mariendienst
Mit Baldachinen, Fahnen und Sing-Sang
Den Markt hin prangen? Wie sie räuchern
Und auf dem Turm die Glocken plagen!

Der lange Priester dort, er begegnete
Spazierend gestern in den Alleen mir;
Einsam schritt er vorüber, jenem
Schwarzen ägyptischen Storch vergleichbar.

Mitleidig grüt' er, hämischen Blickes, mich,
Als wenn er sagte: "Trauriger Ketzer du!
Der gläubig statt der süßen Pflaumen
Frisst die unliebsame Frucht des Schlehdorns."


Adolf Glaßbrenner (1810 - 1876): Unsere Vorzüge vor den Tieren <Auszug>

Und welche Greuel hat der Fanatismus verübt! Wie wenigen ist die Religion nur die Richtung des Gemüts zu dem Göttlichen, die tröstende, treue Begleiterin des wildbewegten Lebens, die himmlische Lehre: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst? Um ein unsinniges Zeremoniell, um die schrecklichsten Albernheiten ermordeten sich Millionen von Menschen und sanken auf diese Weise tief, tief unter die Tiere!


Ludwig Pfau (1821 - 1894): An manche Geistliche

Wie? Ihr blitzt und donnert herab auf die Kinder Judäas,
Dass sie geschlagen ans Kreuz, den ihr verstümmelt, den Gott?
Stiege er wieder herab, um eure Nacht zu erhellen,
Würdet als erste ihr schrein: Kreuzige, kreuzige ihn.


Ludwig Pfau (1821 - 1894): Hus

Als der Hus1, der brave Böhme, musst zum Scheiterhaufen gehen,
Liefen alle guten Christen, wollten ihn verbrennen sehen:
Alle frommen Pfaffen liefen, quälten ihn auf dem letzten Gange
Aber Hus bestieg die Scheiter festen Schrittes mit Gesange.

Noch einmal der großen, klaren Welt sah er ins Angesichte,
Labte noch die kerkermüden Augen an dem heilgen Lichte.
Als er sah ins Ewighelle, schon umzuckt vom roten Strahle,
Brach aus ihm des Strebens Flamme also noch zum letzten Male!

"Muss dies Herz in Asche sinken, trieb es tausend junge Ranken;
Mag dies Hirn im Wind verlodern, nicht verbrennen die Gedanken!
Wenn ihr das Gefäß zerschlagen, wird der Geist von dannen sausen,
Fessellos auf Flammenzungen durch die Welt im Sturme brausen.

Meines Glaubens Asche in den Wind gestreut nach allen Enden,
Wird, ein Saatkorn, niederfallen, tausendfältig Keime senden.
Mögt ihr blinden Blender meine Lehre nur mit Feuer taufen!
Neuverjüngt, ein Phönix, steigt die Wahrheit aus dem Scheiterhaufen.

Eine Gans wohl mögt ihr braten, die Euch heut ins Netz gegangen,
Doch ein Schwan2 in hundert Jahren kommt, den werdet Ihr nicht fangen.
Der wird in gewaltgen Tönen euer Schwanenlied3 euch singen;
Und kein Kaiser wird es wagen, ihm zu rupfen seine Schwingen."

Als die hundert Jahr verflossen, kommt die Zeit mit mächtgem Pralle,
Kommt der Schwan und beißt den Pfaffen kecklich ab die eine Kralle;
Hat die Welt schon halb gewonnen — wenn die Vögel sich besinnen,
Wird, woll's Gott! ein Strauß4 jetzt kommen und uns noch den Rest gewinnen.

Erläuterungen:

1 Hus

"Jan Hus (auch Johannes Hus, nach seinem Geburtsort Husinec; gelegentlich 'Huss') (* um 1369/1370 in Husinec, Kreis Prachatitz im Böhmerwald (Süd-Böhmen); † 6. Juli 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen) war ein christlicher Reformator und Märtyrer. Er war Priester und eine Zeitlang Rektor der Universität Prag. Sein Geburtshaus beherbergt heute ein Museum und eine Gedenkstätte. Wahrscheinlich war sein Vater ein Bauer. Die nach Jan Hus benannte Bewegung der Hussiten geht zum Teil auf sein Wirken zurück.

Leben und Wirken

Bildungsweg

Jan Hus besuchte die Lateinschule in Prachatitz und studierte ab 1386 in Prag. Nach dem Studium an der Prager Karlsuniversität erhielt er 1396 den akademischen Grad des Magister Artium.

Die Studentenjahre verliefen bei Hus zunächst wie die seiner Kommilitonen auch: Wein, Radau und Mädchen waren interessanter als die Universität. Doch irgendwann hatte Hus ein Erlebnis, dass ihn von höheren Werten des Lebens überzeugte. Seine Gelehrtenkarriere nahm von da an einen zielstrebigen Verlauf.

Durch Hieronymus von Prag wurde er 1398 mit den Lehren des Oxforder Theologen John Wyclif vertraut, die er begeistert aufnahm. Tschechische Adelige, die seit der Vermählung der Schwester des Königs Wenzel mit Richard II. von England (1382) an der Universität Oxford studierten, brachten von dort Wyclifs Schriften nach Prag, zuerst die philosophischen, später auch die theologischen und kirchenpolitischen. Wyclif forderte aufgrund der sittlichen Verfallserscheinungen des Klerus in England die Abkehr der Kirche von Besitz und weltlicher Macht.

Jan Hus begann Theologie zu studieren und wurde 1400 er zum Priester geweiht. 1401 wurde er zum Dekan der philosophischen Fakultät ernannt. 1402 wurde er Professor, und übte das Amt des Rektors der Prager Universität von 1409 bis 1410 aus. Dort lehrte er Theologie und Philosophie.

Wirkung als Priester und Prediger

Ab 1402 predigte er in tschechischer Sprache in der in der Prager Altstadt befindlichen Bethlehemskapelle (gestiftet 1391) und führte das gemeinsame Singen während des Gottesdienstes ein.

Hus, der zunächst unter Erzbischof Sbinko von Hasenburg großes Ansehen genoss, wurde von diesem mehrfach zum Synodalprediger bestimmt. Er wurde Beichtvater der Königin.

Hus predigte eine strenge tugendhafte Lebensweise und eiferte gegen Zeitgeist und Mode, so dass er gelegentlich auch das Volk, speziell die Schuster, Hutmacher, Goldschmiede, Weinhändler und Wirte gegen sich aufgebrachte.

Beeinflusst durch die Lehren Wyclifs kritisierte er den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht des Klerus und dessen Lasterleben. Dabei soll er häufig die unwürdigsten Vertreter des Klerus als Beispiele herangezogen haben. Er kämpfte leidenschaftlich für eine Reform der verweltlichten Kirche, trat für die Gewissensfreiheit ein und sah in der Bibel die einzige Autorität in Glaubensfragen. Deshalb erkannte er das Unfehlbarkeitspostulat des Papstes nicht an. Von Wyclif übernahm Hus die Lehre der Prädestination und setzte sich für die Landessprache als Gottesdienstsprache ein.

1408 erfuhr der Prager Erzbischof von Hus' Predigten und enthob ihn darauf hin seiner Stellung als Synodalprediger. Das Lesen der Messe und das Predigen wurden ihm verboten. Er hielt sich aber nicht an diese Verbote, predigte weiterhin gegen Päpste und Bischöfe und brachte in kurzer Zeit den größten Teil Böhmens auf seine Seite.

Um den Reformbestrebungen Herr zu werden, unterwarf sich der Prager Erzbischof dem Papst Alexander V, einem der damaligen drei Gegenpäpste, und erwirkte von ihm eine Bulle, welche die Auslieferung der Schriften Wyclifs und den Widerruf seiner Lehren forderte. Außerdem sollte das Predigen außerhalb der Kirchen verboten werden. Nachdem am 9.3.1410 diese Bulle veröffentlicht wurde, ließ der Erzbischof über 200 Handschriften Wyclifs öffentlich verbrennen und verklagte Jan Hus in Rom. Hus, der sich dort erfolglos durch Abgesandte vertreten ließ, wurde darauf hin im Juli 1410 mit dem Kirchenbann belegt. Gegenpapst Johannes XXIII bannte ihn im Februar 1411. Hus wurde exkommuniziert und aus Prag verwiesen. Darauf hin brachen in Prag Unruhen aus.

Aufgrund seiner Beliebtheit, die in Volksdemonstrationen gipfelte, lehrte er unter dem Schutz des Königs zunächst noch ein Jahr weiter. Er verurteilte nun die Kreuzzugs- und Ablassbullen von Papst Johannes XXIII (Gegenpapst in Pisa). Danach musste er fliehen.

Jan Hus und das tschechische Nationalbewusstsein

Böhmen befand sich in dieser Zeit in der paradoxen Situation, dass es als nicht-deutsches Territorium Hauptland des mittelalterlichen Deutschen Reiches war, mit Prag als kaiserlicher Residenzstadt. So lebten in Prag sehr viele Deutsche. Hus, dem es darum ging, nichts als die Sünde anzuprangern, griff in seinen Predigten häufig hohe Kirchenämter an. Dies traf, weil diese eben gerade die hohen Kirchenämter innehatten, häufig Deutsche. Manche sprechen bei Hus und seinen Anhängern von einem regelrechten Hass auf die Deutschen, zumindest habe er nicht klar differenziert.

Als die Prager Karlsuniversität zum Papstschisma Stellung nehmen solle, war Hus Wortführer der Tschechen. Die Universität war nach den vier Nationalitäten Bayern, Sachsen, Polen und Böhmen gegliedert. Trotz der mehrzählig tschechischen Studenten wurde die Universität von deutschen Lehrern geführt.

Hus erreichte zusammen mit Hieronymus von Prag 1409, dass König Wenzel von Luxemburg im Kuttenberger Dekret die Universitätsverfassung änderte. In dem Streit innerhalb der Universität, um die Anerkennung des Konzils von Pisa, sollte eine Mehrheit für die Neutralität gewonnen werden. Der König, der Hus verehrte, beugte sich dem böhmischen Druck. Zum erstenmal spielten bei einem Aufbegehren des Volkes nationalistische Motive eine Rolle. Wenzel erteilte den Tschechen drei Stimmen, den Bayern, Polen und Sachsen zusammen dagegen nur eine. Die Tschechen erklärten sich zusammen mit König Wenzel für neutral, während die Deutschen zusammen mit Erzbischof Sbinko an Gregor XII. festhielten. Darauf hin verließen wenigstens 1000 deutsche Studenten mit ihren Professoren Prag und veranlassten die Gründung der Universität Leipzig. Die nationalen Spannungen an der Prager Universität wurden dadurch verringert.

Der Zorn des Volkes richtete sich jedoch weiterhin gegen hohe Kirchenämter, die nach wie vor von Deutschen besetzt blieben, und vermischte sich mit einem allgemeinen Zorn auf Deutsche, von denen sich die Tschechen dominiert fühlten.

Nach seiner Flucht 1412 lebte Jan Hus bis 1414 auf der Ziegenburg ins Südböhmen und auf der Burg Krakovec in Mittelböhmen. Dort verfasste er mehrere seiner Werke und schuf damit die tschechische Schriftsprache (wie später Luther die deutsche Schriftsprache schuf).

Als der Papst (Johannes XXIII?) einen neuen Kreuzzug gegen den König von Neapel verkündete und jedem „Kreuzträger“ vollkommenen Ablass versprach, wetterte Hus auf öffentlichen Plätzen dagegen. Hus erfuhr dadurch großen Zulauf. In Prag brachen neue Unruhen.

Hus begab sich nun nach Husinec, seinem Geburtsort, wo er Streitschriften verfasste. Er erreichte, dass der mit der Kirche in Widerspruch liegende Teil des deutschen Adels ihn und seine Anhänger schützte. Einige werden sich wohl, im Falle des Erfolgs seiner Ideen, auch Hoffnungen auf den Besitz des Klerus gemacht haben, der nach Wyclifs Lehren bei Unwürdigkeit zu enteignen sei.

Hus durchzog das Land als Wanderprediger. In Massen strömten ihm neue Anhänger zu.

Das Konstanzer Konzil

1413 schrieb Hus De Ecclesia (Über die Kirche). Darin vertrat er die Ansicht, dass die Kirche eine nicht hierarchisierte Gemeinschaft sei, in der nur Christus das Oberhaupt sein könne. Darauf hin wurde er ein Jahr später vor das Konstanzer Konzil zitiert.

König Siegmund sicherte Hus freie Hin- und Rückreise zu und stellte am 18.Oktober 1414 einen Geleitbrief aus. Hus machte sich aber schon vorher auf den Weg, um seine Ansichten vor dem Konzil darzustellen, und erreichte Konstanz am 3. November, wo er sofort festgenommen wurde. Um seine Flucht zu verhindern , setzte man ihn am 28. November in der Wohnung eines Domherrn und am 6. Dezember im Verließ eines Dominikanerklosters gefangen.

Als Sigismund am 24. Dezember 1414 eintraf, war er über die Gefangennahme Hus' erzürnt. Er drohte damit, das Konzil zu verlassen. Man erwiderte ihm, dass es dann aufgelöst würde. Die Geleitszusage Siegmunds wurde für nichtig erklärt, da Hus seine "ketzerischen" Ansichten nicht zurücknehmen wolle und deshalb nicht mehr die weltliche Ordnung für ihn zuständig sei, sondern die kirchliche.

Im März des folgenden Jahres floh Papst Johann XXIII, als dessen Gefangener Hus galt, aus Konstanz Hus wurde dem Bischof von Konstanz ausgeliefert und auf dessen Burg Gottlieben am Rhein gefangen gehalten. Hier durchlebte er eine qualvolle Zeit. Bei Tage wurde er gefesselt und nachts neben einer Kloake mit den Händen an die Wand gekettet. Er wurde schlecht ernährt und war von Krankheit gepeinigt.

Am 4. Mai 1415 verdammte das Konzil Wyclif und seine Lehre, dessen man aber nicht mehr habhaft werden konnte, da er bereits 30 Jahre zuvor eines natürlichen Todes gestorben war.

Hus kam am 5. Juni in das Franziskanerkloster. Dort verbrachte er die letzten Wochen seines Lebens. Vom 5. bis 8. Juni wurde Hus im Refektorium vor dem Konzil verhört.

Ein ausführliche Rechtfertigung gestattete man ihm nicht, sondern verlangte von ihm den öffentlichen Widerruf und die Abschwörung seiner Lehren. Hus lehnte dies ab. Bis Ende Juni versuchte man noch mehrfach vergeblich ihn zum Widerruf zu bewegen.

Am 6. Juli 1415 wurde er in feierlicher Vollversammlung des Konzils im Dom als Ketzer zum Feuertod verurteilt auf Grund seiner Lehre von der Kirche als der unsichtbaren Gemeinde der Prädestinierten.

Der tschechische Reformator Jan Hus wurde am 6. Juli 1415 auf dem Brühl, zwischen Stadtmauer und Graben, zusammen mit seinen Schriften verbrannt. Seine Asche streuten sie in den in den Rhein.

Die Hinrichtung leitete Friedrich VI., der spätere Kurfürst von Brandenburg und Stammvater der preußischen Könige und deutschen Kaiser aus dem Hause Hohenzollern.

In seinem Abschiedsbrief hatte er an seine Freunde geschrieben:

"Das aber erfüllt mich mit Freude, dass sie meine Bücher doch haben lesen müssen, worin ihre Bosheit geoffenbart wird. Ich weiß auch, dass sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihnen Irrlehren zu finden wünschten."

Die Hinrichtung löste die Hussitenkriege (1419 bis 1434) aus. Vier Kreuzzüge wurden gegen die aufständischen Taboriten entsandt. Die Kriege verwüsteten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht nur Böhmen und Mähren, sie griffen auch auf die Nachbarländer über, bis die Hussiten zuerst durch Zugeständnisse, dann durch Zwist und Verrat in eigenen Reihen besiegt wurden.

Die Lehre des Jan Hus

Hus war stark beeinflusst von den Lehren Wyclifs. In seinen überwiegend kompilatorischen Schriften sind Wyclifs Anschauungen zum Teil wörtlich wiedergegeben, was der Schriftstellermanier des Mittelalters durchaus entsprach. Einiges hat Hus von Wyclif auch nicht übernommen. So hielt er an der Messe, der Lehre von der Transsubstantiation, der Lehre vom Fegefeuer und an der Fürbitte der Maria und der Heiligen fest.

In seiner Grundhaltung war Hus, wie später der junge Luther, der Kirche gegenüber loyal gesinnt. Er bemühte sich, kein Ketzer zu sein und lehnte dieses Urteil über sich selbst auch ab.

Der Begriff der Kirche

Nach Jan Hus ist die Kirche die Gesamtheit aller Prädestinierten (der Vorherbestimmten). Ihre Prädestination macht sie zu Mitgliedern der heiligen Kirche. Christus ist das Haupt – und kein Haupt außer ihm – der Kirche, das ihr selbst und jedem einzelnen Mitglied geistliches Leben vermittelt. Es gibt nach Hus von Anfang an nur eine Kirche, deren Mitglieder vorherbestimmt sind und nicht vor dem Tag des Gerichtes Gottes bekannt werden. Für Hus ist der Begriff Kirche vorwiegend ein geistlicher und weniger ein institutioneller.

Hus unterscheidet zwischen Kirchenmitgliedern der Sache und dem Namen nach. Ein Mitglied der Institution Kirche muss nicht zu den Prädestinierten gehören, genau so wie ein Nichtmitglied der Institution Kirche zur geistlichen Kirche der Prädestinierten gehören kann. Ein Mensch zeigt seine Prädestination an seinem Verhalten.

Die Kirche teilt Hus in drei Teile ein: Das Volk, die weltliche Herrschaft und den Klerus. Der weltlichen Herrschaft komme die Aufgabe zu, die Diener Gottes zu beschützen und das Gesetz Gottes zu verteidigen. Die Diener Gottes sollen "die Welt verbessern, die Kirche beleben als die Seele derselben und nach allen Seiten Christus am nächsten folgen"

Die Geistlichen

Hus verlangt von einem Geistlichen ein wahrhaftiges und heiliges Leben mit dem Ziel, den Gläubigen zu dienen. Er beklagt, dass die Geistlichen seiner Zeit Gott verachteten und durch Gewinnsucht und Heuchelei die Kirche in Verruf brächten. Statt dem Volke zu helfen – so Hus –, berauben sie es, statt es zu verteidigen, unterdrücken sie es noch grausamer als die weltlichen Herren.

Die Geistlichkeit habe die Aufgabe das Evangelium zu verkünden und dem Volk mit den Sakramenten zu dienen. Auch hier sah Hus den Gegensatz zur damaligen Priesterschaft, welche nach seinen Worten nicht aus "göttlichem Trieb" predige, sondern um des Gewinnes willen. Viele forderten Geschenke oder Geld für Salbung, Taufe, Kommunion, Ordination, Konsekration der Altäre und Begräbnisse. Hus kritisiert den Ablasshandel, erfundene Reliquien, Bilderdienst und erfundene Wunder. Die Gnade Gottes dürfe nicht käuflich sein.

"Die Priester predigen wohl gegen unsere Unzucht und unsere Laster," so beklagt Hus "aber von den ihrigen sagen sie nichts, also ist es entweder keine Sünde, oder sie wollen das Privilegium haben." Die Geistlichen, die im Heer der Gläubigen in vorderster Linie stehen müssen nach seiner Auffassung auch von allen übrigen Gläubigen ermahnt und bestraft werden können, wenn sie irren oder sündigen.

Das Papsttum

Für Hus war der Begriff Papst genauso wenig ein institutioneller, wie sein Begriff der Kirche. Nicht das Amt sondern das Verhalten befähige einen Papst. Es könne nur derjenige ein Stellvertreter Christi genannt werden, der sich so verhält wie der, den er vertreten soll, also wie Christus. Er muss daher Christus in Wandel, Werk und Lehre nachfolgen. Ausgehend von Johannes 3, 34 argumentiert Hus, der sogenannte apostolische Stuhl müsse sich legitimieren, indem er der die Lehre der Apostel lehrt und tut. Seine Vollmachten beschränken sich auf das Lehren des Evangeliums nach der Schrift. Wo er der Schrift widerspricht, ist ihm Widerstand zu leisten. ("Einem irrenden Papst Widerstand leisten ist soviel wie dem Herrn Christus gehorchen")

Hus hielt es für einen Missbrauch des Namens, wenn man die Aufgabe des Papstes darin sehe, Kirchensachen in letzter Instanz zu entscheiden und den Gläubigen vorzuschreiben, was dem Papst beliebt. Er wandte sich gegen Lehren, dass der Papst von unbegrenzter Macht sei, da er alles vermöge, was Christus nach seiner menschlichen Natur vermocht habe, dass er weder Gott noch Mensch sei, sondern ein gemischter Gott, ein irdischer Gott, dass der Papst einen Bischof ohne Grund absetzen dürfe, dass er von apostolischen Vorschriften in der Bibel abstandnehmen dürfe und das ihn niemand hinterfragen dürfe, sondern sein Wille anstelle eines Grundes gelte und dass er somit sündfrei sei, dass er sich nicht irren könne, dass er zur Sünde unfähig sei, dass er auch den Engeln befehlen und die Menschen, die er wolle, retten oder verdammen könne und Ähnliches.

Desweiteren bestritt Hus die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Bezeichnung der heiligste Vater auf den Papst. Nach Hus ist der einzige heiligste Vater Gott, den keine Sünde erreicht. Mit der Einschränkung der heiligste Vater auf Erden könne nur jemand gemeint sein, der auf die heilige Weise lebt, Christus in der Armut, in der Demut, in der Friedfertigkeit, in der Keuschheit und in der Arbeit nachfolgt, nicht aber jemand, der in offenkundiger Habgier, in offenem Hochmut und in anderen Sünden lebt. Auch hier zeigt sich Jan Hus' Grundhaltung, dass sich Inhaber von kirchlichen Ämtern, inklusive des Papstamtes, an den Aussagen und Werten der Bibel messen lassen müssen

Die heilige Schrift

Hus sah die Bibel als "ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit des Menschengeschlechts" an. Sie sei der Maßstab, nach dem sich das Leben richten müsse. Alle religiöse Wahrheit sei in ihr enthalten. Die Schrift sei eine "Waffe" gegen den Teufel, die auch schon Christus gebraucht habe, indem er dem Teufel nicht befahl, sondern argumentierte. Er wandte sich gegen die Praxis, diejenigen, die auf die Schrift verweisen, als Ketzer abzustempeln und gegen die Lehre, dass die Autorität der Kirche über der Bibel stehe. Die so lehrten, wollten sich selbst von Kritik freihalten und das Volk über die Heilige Schrift in Unkenntnis halten, damit es gefügig bliebe. Hus forderte, nichts zu glauben, festzuhalten, zu behaupten und zu predigen, was nicht durch die Aussagen der Bibel begründbar sei. Die Schrift, so Hus, müsse geglaubt werden, sie sei der Zugang zu Himmelreich.

Das Abendmahl

Das Abendmahl gehörte für Hus zu den "tiefsten und geheimsten und höchsten Mysterien unseres Glaubens". Es könne von einem Menschen nicht voll begriffen werden. Die geistliche Erfahrung müsse, als die wichtigere, der sakramentalen Erfahrung immer vorausgehen. Christus habe dieses Sakrament eingesetzt zum Gedächtnis seines Leidens, seines Lebens und Wirkens, seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Dies solle der Priester im Gedächtnis haben, wenn das Sakrament spende. Entgegen der Vorherrschenden Lehre seiner Zeit betonte Hus, dass das Abendmahl in beiderlei Gestalt auch für Laien bestimmt sei. Er könne aus der Schrift eine Einschränkung nicht herauslesen. Das Ziel des Abendmahls sei, "In Christo bleiben und ihn bleibend in sich haben; in Ewigkeit nicht sterben; das ewige Leben haben".

Die Praxis des Abendmahles gehört auch heute noch zu den theologisch diskutierten Punkten innerhalb der Christenheit. Hus betonte zunächst die Notwendigkeit des Glaubens an die Worte Jesu, welcher sagte, das Brot sei sein Leib und der Wein sei sein Blut. Darüber hinaus würden Brot und Wein durch die vom Priester verlesenen Einsetzungsworte geweiht, so dass das Brot in den wahren Leib Christi und der Wein das wahre Blut Christi transsubstanziiert (verwandelt) würden.

Das Ketzertum

Das Ketzertum habe drei Ursachen: Abkehr vom Gesetz Gottes, Lästerung und Ämterkauf. Eine Lästerung sei es, wenn ein Mensch Gott beschuldigt, wenn Gott hartnäckig in Gedanken beleidigt wird indem man ihm seine Macht nicht zutraut oder wenn man das, was Gott allein gebührt, einer menschlichen Kraft oder einer anderen Kreatur zuerkennt. In seiner Schrift über Ketzer und Simonie (Ämterkauf) wies Hus darauf hin, dass auch Jesus als Lästerer beschuldigt und hingerichtet wurde. Besonders heftig stritt Hus gegen den Verkauf von kirchlichen Ämtern, eine Ketzerei, die andere Ketzereien nach sich ziehe, nicht die Fähigsten auf die Posten bringe und die Menschen verderbe.

Würdigung

Zum Gedenken an den Reformator wurde das große Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring (an Stelle einer Mariensäule) in Prag an seinem 500. Todestag eingeweiht. Mit der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei erklärte diese 1925 den 6. Juli zum Staatsfeiertag, worauf der Heilige Stuhl für drei Jahre seine diplomatischen Beziehungen mit dem "Ketzerstaat" unterbrach.

Über eine Rehabilitierung in der römisch-katholischen Kirche wird derzeit diskutiert. 1996 äußerte Kardinal Miloslav Vlk die Meinung, dass das Urteil gegen Hus widerrufen werden müsse. 1999 erklärte Papst Johannes Paul II. anlässlich eines Historikerkongresses über den Reformator:

"Heute [...] fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus und für die daraus folgende Wunde, Quelle von Konflikten und Spaltungen, die dadurch in den Geist und die Herzen des böhmischen Volkes gerissen wurde".

Bis heute ist die Rehabilitierung aber noch nicht erfolgt.

In den protestantischen Kirchen genießt Jan Hus hohes Ansehen als Vorläufer des Reformators Martin Luther, der im folgenden Jahrhundert seine Ideen und Ideale aufgreifen sollte. Vor seiner Hinrichtung soll Hus gesagt haben: „Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan entstehen“ (Hus bedeutet Gans). Später brachte man dies mit Luther in Zusammenhang und machte den Schwan zu dessen Symbol.

Geistes- bzw. Ideengeschichtlich gebührt Jan Hus die Ehre, ein Wegbereiter der uns heute so selbstverständlichen Gewissensfreiheit zu sein."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Hus. -- Zugriff am 2004-11-22]

2 Schwan: Vor seiner Hinrichtung soll Hus gesagt haben: „Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan entstehen“ (Hus bedeutet Gans). Dies bezog man später auf den Reformator  Martin Luther (1483 - 1546).

3 Schwanenlied: Schwangengesang:  letzten Rede jemandes, besonders das letzte Werk eines Schriftstellers, Redners, Dichters, Politikers. Der Ausdruck geht auf einen alten griechischen Mythos zurück, der besagt, das Schwäne vor ihrem Tode noch einmal mit trauriger, jedoch wunderschöner Stimme ein letztes Lied anstimmen.

4 Strauß: David Friedrich Strauß (1808 - 1874), Protestantischer Theologe u. Schriftsteller

"Strauß, David Friedrich

David Friedrich Strauß (* 27. Januar 1808 in Ludwigsburg, 8. Februar 1874 in Ludwigsburg) war ein deutscher Schriftsteller, Philosoph und Theologe.

Leben

David Friedrich Strauß wurde am 27. Januar 1808 zu Ludwigsburg in Württemberg geboren. Er studierte Theologie am Evangelischen Stift zu Tübingen. 1830 wurde er Vikar und 1831 Professoratsverweser am Seminar zu Maulbronn; er ging aber noch ein halbes Jahr nach Berlin, um Hegel und Schleiermacher zu hören. 1832 wurde er Repetent am Tübinger Stift und hielt zugleich philosophische Vorlesungen an der Universität.

Damals erregte er durch seine Schrift Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet

ein fast beispielloses Aufsehen. Strauß wandte in demselben das auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften begründete und bereits zur Erklärung alttestamentlicher und einzelner neutestamentlicher Erzählungen benutzte Prinzip des Mythus auch auf den gesamten Inhalt der evangelischen Geschichte an, in welcher er ein Produkt des unbewusst nach Maßgabe des alttestamentlich jüdischen Messiasbildes dichtenden urchristlichen Gemeingeistes erkannte. Die inhaltlich damit dem schon von Hermann Reimarus Gesagten nahe Schrift sorgte dennoch für eine ungewöhnliche Kontroverse. Die Erwiderungen bildeten eine eigene Literatur, in der kaum ein theologischer und philosophischer Name von Bedeutung fehlte. Seine Antworten erschienen als Streitschriften (1837). Auf Unterscheidung zwischen der historischen Person des Jesus von Nazareth und dem Christus des Glaubens sollten später Martin Kähler und dann Rudolf Bultmann u.a. aufbauen.

Für Strauß selbst war seine Deutung erst einmal die konsequente Anwendung Hegelscher Philosophie. So wurde der Sohn nicht als einzelner Mensch, sondern als die Idee der Menschheit betrachtet. Nach dieser kritischen Bestimmung bezog Strauß hierauf dann die traditionelle Zwei-Naturen-Lehre. Jesus sei der sich seiner Herrlichkeit entäußernde unendliche Geist und der sich seiner Unendlichkeit erinnernde endliche Geist. So konnte Strauß auch die (aber von diesem neuen Standpunkt aus zu betrachtende) Lehre von Christi übernatürlicher Geburt, der Auferstehung und Himmelfahrt und auch die Wunder als "ewige Wahrheiten" durchaus stehen lassen.

Auf den Nachweis anhand der Quellen verzichtete Strauß zur Gänze, eröffnete jedoch den Folgenden gerade hier ein neues Feld. Für das Alte Testament wurde die kritische Forschung v.a. von Julius Wellhausen aufgenommen. Die immense Wirkung Straußens wird aber erst verständlich, wenn die bis dahin vorherrschende Lutherische Orthodoxie betrachtet wird, die (wie Ernst Wilhelm Hengstenberg) jedwede Kritik an den Evangelienberichten als "Betrug" oder "Geisteskrankheit" ablehnte - wie es dann Strauß selbst auch widerfahren sollte.

Von Strauß maßgeblich bestimmt, zerfiel nun auch der Hegelianismus in zwei Lager, die als die als die Hegelsche Rechte und die Hegelsche Linke bezeichnet werden sollten. Strauß, auf den auch diese Benennung zurückgeht, wäre der Linken zuzurechnen gewesen, die dann in Ludwig Feuerbachs atheistischem Materialismus kulminierte und von hier ihren Weg zum Dialektischen Materialismus des Karl Marx fand. In deutlicherem Eklektizismus verharrte hingegen die Rechte, die im Kontext des Straußischen Werkes ihre apologetische Beschäftigung darin fand, die Philosophie Hegels geführten gegen die Vorwürfe der Orthodoxie zu verteidigen. Der zentrale Vorwurf des Pantheismus wurde jedoch (was man übersah) bereits von Hegel selbst erledigt.

Strauß selbst, der noch 1835 von seiner Repetentenstelle entfernt worden war und als Professoratsverweser nach Ludwigsburg versetzt wurde, dann jedoch bald in den Privatstand wechselte, entfernte sich im Laufe seines Lebens immer weiter vom Christentum als solchem. In Stuttgart entstanden 1839 die Charakteristiken und Kritiken, und die Abhandlung Über Vergängliches und Bleibendes im Christentum. Die von einer versöhnlicheren Stimmung geprägt erscheinende 3. Auflage des Lebens Jesu (1838) wurde 1839 in die alte Radikalität zurückgeführt. Der Ruf als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte nach Zürich erregte derart lebhaften Widerspruch, dass Strauß noch vor Antritt seiner Stelle mit 1000 Franken Pension in den Ruhestand versetzt werden musste.

Sein zweites Hauptwerk Die christliche Glaubenslehre, in ihrer geschichtlichen Entwickelung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft dargestellt wurde von 1840 bis 1841 in zwei Bänden veröffentlicht. Es entwickelt eine scharfe Kritik der einzelnen Dogmen in Form einer geschichtlichen Erörterung des Entstehungs- und Auflösungsprozesses derselben. 1841 heiratete Strauß dann die Sängerin A. Schebest, doch wurde die Ehe nach einigen Jahren getrennt. Auf einige kleine ästhetische und biographische Artikel in den Jahrbüchern der Gegenwart folgte 1847 die kleine Schrift Der Romantiker auf dem Thron der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige, eine ironische Parallele zwischen der Restauration des Heidentums durch Julian und der Restauration der protestantischen Orthodoxie durch den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

1848 wurde Strauß von seiner Vaterstadt als Kandidat für das [deutsche Parlament aufgestellt, unterlag jedoch. Die Reden, welche er teils bei dieser Gelegenheit, teils vorher in verschiedenen Wahlversammlungen gehalten hatte, erschienen im selben Jahr unter dem Titel Sechs theologisch-politische Volksreden. Als er dann zum Abgeordneten der Stadt Ludwigsburg für den württembergischen Landtag gewählt wurde, zeigte Strauß wider Erwarten eine konservative politische Haltung, die ihm von seinen Wählern sogar ein Misstrauensvotum zuzog, in dessen Folge er im Dezember 1848 sein Mandat niederlegte. Seiner späteren, teils in Heidelberg, München und Darmstadt, teils in Heilbronn und Ludwigsburg verbrachten Muße entstammten die durch Gediegenheit der Forschung und schöne Darstellung ausgezeichneten biographischen Arbeiten Schubarts Leben in seinen Briefen (1849), Christian Märklin, ein Lebens- und Charakterbild aus der Gegenwart (1851), Leben und Schriften des Nikodemus Frischlin (1855), Ulrich von Hutten (1858) (nebst der Übersetzung von dessen Gesprächen 1860); Herm. Samuel Reimarus (1862); Voltaire, sechs Vorträge (1870), ferner Kleine Schriften biographischen, literatur- und kunstgeschichtlichen Inhalts (1862), woraus Klopstocks Jugendgeschichte etc. (1878) und der Vortrag Lessings Nathan der Weise (1877) gesondert erschienen.

Eine neue, "für das Volk bearbeitete" Ausgabe des Lebens Jesu (1864) wurde in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Einen Teil der hierauf gegen ihn erneuten Angriffe wies Strauß in der gegen Schenkel und Hengstenberg gerichteten Schrift Die Halben und die Ganzen (1865) zurück, in dessen Zusammenhang auch Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte, eine Kritik des Schleiermacherschen Lebens Jesu erschien. In seinem 1872 veröffentlichten Werk Der alte und der neue Glauben vertrat er bereits einen vom Materialismus beeinflussten Monismus. Die Frage, ob "wir" noch Christen seien, beantwortete er offen mit "Nein". Eine sich auf das als gesetzhaft funktionierend verstandene Universum richtende Religiosität sah Strauß zwar für sich nicht, hielt sie aber für eine legitime Alternative zum christlichen Glauben an Gott. Noch einmal erregte Strauß so kurz vor seinem am 8. Februar 1874 zu Ludwigsburg erfolgten Tod Aufsehen. Seine Gesammelte Schriften wurden kurz darauf von Zeller herausgegeben (Bonn 1876-78) in 11 Bänden herausgegeben. Ein zwölfter Band, Poetisches Gedenkbuch, enthielt dann die Gedichte des Jugendfreundes von Eduard Mörike. Die Miniaturbilder wurden später veröffentlicht."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/David_Friedrich_Strauss. -- Zugriff am 2004-11-22]


Ludwig Anzengruber (1839 - 1889): Ob du mich nennen mögest

Ob du mich nennen mögest nur dem alten,
Ob nur dem neuen Testament zulieb,
Du musst dich an die Kodizille1 halten,
Die Gott uns in das Herze schrieb;
Verstehst du diese nicht zu lesen, bist
Du wohl ein Jude oder Christ,
Jedoch — nach Spruch der neusten Spracherfinder —
Ein Mensch "mehr minder!"

Erläuterung:

1 Kodizill:  (lat. Codicillus, Diminutiv von codex) hieß früher eine letztwillige, gewöhnlich nachträglich einem Testament erst beigefügte Verfügung, in der sich keine Erbeseinsetzung, sondern nur die Ernennung eines Vermächtnisnehmers befand.



Abb.: Altkatholisches Stilleben. -- Katholische Karikatur. -- Bayern. -- Nach 1873

Erläuterung: Nach dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) entstanden überall im deutschsprachigen Raum Kirchengemeinden derjenigen katholischen Christen, die die neuen Glaubenssätze (Dogmen) von der Unfehlbarkeit des Papstes und seinem Jurisdiktionsprimat aus ihrem Gewissen heraus nicht annehmen konnten, sondern beim alten Glauben blieben und sich deswegen Altkatholiken nannten. In der altkatholischen Kirche gibt es keinen Zwangszölibat.

[Bildquelle: Dr. Sigl, ein Leben für das Bayerische Vaterland / hrsg. von Rupert Sigl. -- Rosenheim : Rosenheimer, 1977. -- 327 S. : Ill. ; 21 cm. -- (Rosenheimer Raritäten). --  ISBN 3-475-52201-2. -- S. 154]


Abb.: Streit der Konfessionen / von Adolf Oberländer (1845 - 1923)

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 89.]



Abb.: Eine religiöse Handlung.  -- Karikatur auf die Holy-Rollers

"Holly Rollers, amerikanische Sekte, die, oftmals totgesagt, immer irgendwo wieder neufrisiert auftaucht. Ihr Name schreibt sich her von der bei ihnen üblichen Zeremonie des heiligen Walzens, der sich jeder Neuling bei der Aufnahme unterziehen muss. Er hat sich im Versammlungssaal auf den Boden der Länge nach hinzulegen und, sich hin- und herwälzend, sein Sündenregister lückenlos abzubeichten. Bei richtiger Ausführung der Vorschriften pflegt eine völlige Erschöpfung, ja Verlust des Bewusstseins den Schlusspunkt dieser seltsamen Feierlichkeit zu bilden, der die ganze Gemeinde, auf den Knien liegend, beiwohnt. Übrigens wälzen sich gelegentlich auch die schon erretteten Sektenglieder und zwar mit besonderer Vorliebe in halbnacktem Zustand. In San Franzisko schlossen sich kurz vor dem Krieg die Ehemänner der von der Sekte eingefangenen Frauen zu einem Gewaltstreich zusammen, bereiteten dem Sektengeistlichen im nahen Fluss ein unfreiwilliges Bad, teerten und federten ihn."

[Quelle: Bilderlexikon der Erotik. -- Wien, 1928 - 1932.  -- Bd. 4, S. 293]


Ludwig Aub (1862 - 1926): "Der Jude wird verbrannt!"

Es stürmen im germanschen Norden,
Das Volk verhetzend, liebeleer,
Antisemitische Kohorten,
Gar wilde Scharen toll einher.
Ach, mit des Hasses Redeweisen
Verpesten sie das deutsche Land;
Den Ahlwardt-Männer1 gilts zu preisen,
Und nur "Der Jude wird verbrannt!"

Wohl manches Unglück lässt sich wehren,
Eh es vernichtend bricht herein;
Doch wer kann eh's sich schon bekehren,
Bevor er wird geboren sein?
Es ist des Daseins Art und Weise
Ein Zufall nur, den Niemand kennt;
Ihr brüllt doch fort im alten Gleise,
Voll Wut: "Der Jude wird verbrannt!"

Das "wir wie uns den Nächsten lieben"2,
Es ist des Christen schönste Pflicht;
Es steht im frömmsten Buch geschrieben;
Erlöserwort, man folgt Dir nicht!
Und die es Euch verkünden sollen,
Sie haben kalt sich abgewandt;
Statt Nächstenliebe kaltes Grollen
Im Ruf: "Der Jude wird verbrannt!"

O sagt: Blieb in dem letzten Kriege3
Die Brust des Juden unversehrt?
Half er nicht mit zu deutschem Siege,
Hat er nicht tapfer sich gewehrt,
Die heimsche Scholle zu bewahren
Vor Kriegesnot und Feuersbrand?
Jetzt lehrt die Heimat ihn erfahren:
"Umsonst!" "Der Jude wird verbrannt!"

Wo bleibt der Sinn, der streng gerechte,
Der unterscheidet je nach Art,
Der nicht das Gute wie das Schlechte
Verachtet, frei sich offenbart,
Von Fall zu Fall sein Urteil kündet,
Nicht Allen gleich den Bogen spannt,
Das, was er auch verdammt, begründet?
Es bleibt: "Der Jude wird verbrannt!"

Auch Du, Du großer deutscher Dichter,
Du, Heine4, sollst's entgelten schwer
Beim muckerischen Spießgelichter,
Dass Du von Juden stammelst her!
Nur das nicht! Toleranz vereinte
Sich nie mit schwächlichem Verstand,
Und jede Düssel-Dorfgemeinde5
Denkt stets: "Der Jude wird verbrannt!"

O, mög die Zeit Erleuchtung senden,
Der Zukunft lichtvoll brechen Bahn,
Die armen Menschen-Dekadenten
Befreien von dem finstren Wahn,
Auf dass Gerechtigkeitsideen
Nicht trennen Religion und Stand
Und nimmer wir in Geltung sehen,
Den Satz: "Der Jude wird verbrannt!"

Erläuterungen:

1 Ahlwardt:

"Ahlwardt, Hermann, antisemitischer Agitator, geb. 21. Dez. 1846 in Krien bei Anklam, besuchte das Seminar in Oranienburg, ward 1866 Lehrer und 1881 Rektor einer Berliner Gemeindeschule. In Reden und Flugschriften trat er heftig gegen die Juden auf und wurde pensioniert. Dagegen wurde er 1892 und 1893 zum Reichstagsabgeordneten gewählt. Wegen der Beschuldigung (in den beiden Schriften »Judenflinten«, 1892), dass die Löwesche Waffenfabrik den Staat durch Lieferung schlechter Gewehre wissentlich betrogen habe, zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt, setzte er dennoch seine Anklagen gegen die Juden, dass sie das deutsche Volk ausbeuteten, die Behörden schädlich beeinflussten, im Reichstag und in Versammlungen fort. Schließlich ward er von einem Teil der Antisemiten verleugnet und aus der Deutschen Reformpartei ausgeschlossen. Er schrieb noch: »Der Verzweiflungskampf der arischen Völker mit dem Judentum« (Berl. 1890); »Der Eid eines Juden« (1891); »Jüdische Taktik« (1891) u.a."

[Ahlwardt starb 1914]

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Matthäusevangelium 19,19:  "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

3 Im deutsch-französischen Krieg 1870/1871

4 Heine

"Heine, Heinrich, berühmter Dichter und Schriftsteller, geb. 13. Dez. 1797 in Düsseldorf, gest. 17. Febr. 1856 in Paris, war der Sohn unbegüterter jüdischer Eltern, erhielt die ersten und wichtigsten politischen Eindrücke zu der Zeit, als die Rheinlande unter der antifeudalen Herrschaft Napoleons standen (1806-13), besuchte 1808-15 das Lyzeum (Gymnasium) und sollte dann Kaufmann werden. Nach verunglückten Versuchen in dieser Laufbahn (in Hamburg 1816-1819) widmete sich Heine mit Unterstützung seines reichen Oheims Salomon Heine (s. oben) 1819-24 den Rechtsstudien in Bonn, Göttingen und Berlin, doch besuchte er zugleich germanistische und philosophische Vorlesungen mit Eifer. Er trat 28. Juni 1825 zum Christentum über, promovierte 20. Juli d. J. in Göttingen und beabsichtigte hierauf, sich als Rechtsanwalt in Hamburg niederzulassen, unterließ dies jedoch wegen mannigfacher Anfeindungen und lebte abwechselnd in London, München (1828, als Redakteur von Cottas »Politischen Annalen«), Oberitalien, namentlich aber in Berlin und Hamburg, bis er, durch Verdruss und Enttäuschungen niedergedrückt, 1831 nach Paris übersiedelte, dem damaligen Mekka des Liberalismus. In dieser ersten Epoche waren die Herzenserlebnisse, die er durch die unglückliche Liebe zu seiner Cousine Amalie Heine und später zu deren jüngerer Schwester Therese erfuhr, auf seine dichterische Entwickelung von tiefstem Einfluss. Seine lyrischen Bekenntnisse beruhen großenteils auf diesen Erfahrungen. Trotz gelegentlicher Sehnsucht nach Deutschland, die Heine in Paris empfand, war es ihm nicht mehr möglich, wieder dauernd dahin zurückzukehren; er konnte es nur zweimal, im Herbst 1843 und im Sommer 1844, besuchen. Durch den berüchtigten Bundestagsbeschluss vom Dezember 1835, der alle Schriften des sogen. Jungen Deutschland, wozu auch Heine gerechnet wurde, verbot, wurde seine finanzielle Lage sehr gefährdet. Sein Haupteinkommen bestand in einer jährlichen Pension von 4000, seit 1838 von 4800 Frank, die ihm sein Oheim Salomon, der Vater von Amalie und Therese, ausgesetzt hatte. In Paris trat Heine seit Oktober 1834 in leidenschaftliche Beziehungen zu einer schönen, gutherzigen, aber ungebildeten und allzu lebenslustigen Französin, Eugenie Mirat (gest. 19. Febr. 1883 in Passy bei Paris), mit der er sich 31. Aug. 1841 auch kirchlich trauen ließ. Infolge seiner großen Finanznot tat er 1836 oder 1837 den bedenklichsten Schritt seines Lebens, indem er sich um eine Staatspension aus dem geheimen Fonds der französischen Regierung bewarb, die ihm in der Höhe von 4800 Frank jährlich bis zum Sturz der Julimonarchie 1848 gewährt wurde. 1845 befiel ihn ein Rückenmarkleiden, das ihn seit dem Frühling 1848 bis zu seinem Tod an das Krankenlager, die »Matratzengruft«, fesselte. Trotz seines jammervollen körperlichen Zustandes bewahrte er aber eine bewundernswürdige Frische des Geistes, und manche seiner bedeutendsten Schöpfungen in Vers und in Prosa sind hier entstanden: sein Witz verließ ihn nicht, und seine Weltanschauung vertiefte sich unter der schweren Zucht der Leiden. Heines Grab auf dem Friedhof von Montmartre in Paris wurde 1901 mit einer Marmorbüste von Hasselrijs geschmückt, der auch auf Korfu für das Schloss Achilleion der Kaiserin Elisabeth von Österreich ein Denkmal des Dichters errichtet hatte. Dagegen wurde die Errichtung eines solchen in einer deutschen Stadt verhindert, und das von Herter entworfene Standbild fand 1896 in New York einen wenig günstigen Platz."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Düssel = Dusel, Dussel: schläfriger, einfältiger, dümmlicher Mensch. Wortspiel mit Düsseldorf


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXIV: Martin Disteli (1802 - 1844)

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