Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXIV:

Martin Disteli (1802 - 1844)


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXIV: Martin Disteli (1802 - 1844)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2004-11-05. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen34.htm  

Erstmals publiziert: 2004-11-05

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Quellen für das Folgende, soweit nichts anderes angegeben, sind:

Wälchli, Gottfried (1899 - ): Martin Disteli, 1802-1844 : Zeit, Leben, Werk. -- Zürich : Amstutz, Herdeg & Co., ©1943. . -- IV, 230 S. : Ill. ; 30x25 cm.

Martin Disteli, 1802-1844 : ... und fluchend steht das Volk vor seinen Bildern / Lucien Leitess, Irma Noseda, Bernhard Wiebel.  -- Olten : Kunstmuseum, ©1977.  -- 119 S. : Ill. ; 30 cm.

Martin Disteli <1802-1844>: Romantische Tierbilder zu Fabeln und Versen von A. E. Fröhlich, J. W. Goethe, A. Hartmann, F. Krutter und G. Rollenhagen / Eingeleitet und hrg. von Dr. Gottfried Wälchli ...  -- Zürich [u.a.] : Amstutz & Herdeg, 1940. -- 122 S. : Ill. ; 30x26 cm.



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Selbstbildnis. -- Um 1840

Gottfried Keller (1819-1890): Auf Martin Distelis Tod. -- 1845

Sie haben Ruh, die Kutten braun und schwarz,
Die Flattermäuse, Eulen, blauen Kröpfe,
Die Spieße, die Philister und die Zöpfe,
All das verbrannte, zähe Pech und Harz!

Er hat sie scharf gepeitscht und arg gegeißelt
Die faulen Bäuche und die krummen Rücken,
Er hat aus tausend giftgeschwollnen Mücken
Sich gar ein seltsam Monument gemeißelt!

Schaut her, ihr draußen, denen im Genick
Geharnischte Tyrannen tödlich lasten,
Schaut dies Gewimmel ohne Ruh und Rasten,
Den Bodensatz in einer Republik!

Solch einen Abschaum wohlgemut zu zeichnen,
Braucht es fürwahr ein gutes, starkes Herz!
Ihm lohnt es auch des Vaterlandes Schmerz,
Und seinen Namen wird es dankbar eignen!

In der Ausgabe letzter Hand, Gesammelte Gedichte (1883), lauten die zwei letzten Zeilen:

Nun warf er hin den Stift, nahm Stock und Hut,
Und fluchend steht das Volk vor seinen Bildern.

"Martin Disteli

Olten 1802-1844 Solothurn

Sohn eines Baumwollfabrikanten, der 1814 seine Frau und in den 1820er Jahren sein ganzes Vermögen verliert. Vom Kollegium Solothurn mit seinen jesuitischkonservativen Lehrern wechselt Disteli ans liberalere Gymnasium von Luzern. Hier beteiligt er sich an einer studentischen Demonstration gegen die royalistische Einweihung des Löwendenkmals von Thorwaldsen. 1821 beginnt er an der Universität von Freiburg im Breisgau ein philosophisches Studium, das er in Jena fortsetzt. Dort tritt er dem geheimen revolutionären Jünglingsbund bei und exponiert sich an einer Demonstration gegen Goethe. Um sich einer Bestrafung zu entziehen, flüchtet er in seine Heimat. Nach Ölten zurückgekehrt, findet er Anschluss an liberale Kreise und arbeitet als Illustrator und Zeichner. Nach dem Künstlerlexikon von Nagler und nach Wilhelm Füssli, seinen Zeitgenossen, soll er - wohl um 1825 - in München studiert haben und durch sein Talent dem Maler Peter von Cornelius aufgefallen sein. Seit 1834 in Solothurn; er wird Zeichenlehrer am Solothurner Kollegium, organisiert einen Freischarenzug nach Baselland, wirkt als Offizier, kann sich als Revolutionär jedoch in keine Ordnung integrieren. Seit 1839 gibt er den «Schweizerischen Bilderkalender» heraus. Seine politische Leidenschaft hat ihn zu drei Motivkreisen, zur Tierfabel, zur politischen Karikatur und zum Historienbild, geführt. Daneben malt er auch Porträts und Altarbilder. In der Geschichte der politischen Karikatur nimmt Disteli auch in europäischer Perspektive einen hohen Rang ein."

[Quelle: Ich male für fromme Gemüter . zur religiösen Schweizer Malerei im 19. Jahrhundert.  -- Luzern : Kunstmuseum, 1985. -- ISBN 3-276-58-5 [!]. -- S. 298]


1829



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Himmelsschlüssler. -- In: M. Distelis Umrisse zu Abraham Emanuel Fröhlichs Fabeln". -- Aarau. -- 1829

Himmelsschlüssler / von Abraham Emanuel Fröhlich (1796 - 1865)

Bei seines Waldes Leuten
den Glauben zu verbreiten,
der einzig selig macht,
sang Uhu seinem Chor,
durchwachend manche Nacht,
die Trauerpsalmen vor.

Allein beim besten Willen
war ihres Uhus Lahr'
den Vögeln allzu schwer.
Sie duldeten im Stillen
und ließen ihren Sang
den ganzen Winterlang.

Doch wie das neue Licht
in junge Waldung bricht,
wird von den tausend Zungen
auch tausendfach gesungen:
"Wie sich die Baumgestalten
zu Einem Kranz entfalten,
soll auch in allen Weisen
Gesang den Höchsten preisen!"


um 1833



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Die Fuchsbeichte. -- Um 1833

Die Fuchsbeichte (gekürzt)  / von Abraham Emanuel Fröhlich (1796 - 1865)

Der Fuchs hält sonst nicht viel vom Glauben,
er trachtet jetzt der Freiheit nach
und widmet in den Rebenlauben
vorzüglich sich der guten Sach'.
Denn dass die Dachse gehn auf Trauben
entzündet seine ganze Rach';
er will mit Lorbeer sich umlauben,
den Berg befrein von solcher Schmach.

Doch als die Dachse er vertrieben
und dann in seiner Region
die Hühnervormundschaft verschrieben
vornehmlich sich und seinem Sohn,
da ist ihm nur noch übrig blieben,
Ansehn zu geben seinem Thron,
da hat er wiederum getrieben
auch etwas von Religion.

Im Kloster bei den Hühnernonnen
kehrt viel als Kastenvogt er ein;
Das Hamsterstift wär' fast gewonnen,
ihm Kapitale anzuleihn;
und der noch jüngst so wild gesonnen,
den Pfaff als Dachsen zu verschrein,
hat eine Pilgerfahrt begonnen
und sucht sich Beicht- und Ablassschein.

Da steht die kleine Feldkapelle,
sie ist nach jener Kirch' erbaut,
wo durch das Dach der Himmel helle
auf den bemoosten Boden schaut.
In seines Beichtstuhls grüner Zelle
sitzt der Kaplan und scheint erbaut,
was, knieend auf der harten Schwelle,
das fromme Beichtkind ihm vertraut.

Er selber ist nach allem Scheine
ein ausgemachter Ordensmann,
das weiße Chorhemd zeiget Reine
und unbefleckten Wandel an;
zum Schlafe hat in der Gemeine
die Augen nie er zugetan,
die Ohren gehn ins Ungemeine,
das macht ihn ganz zum Beichtkaplan.

Der Fuchs verschweigt mit feinem Adel
der Kleinigkeiten Missetat
und deckt das Hühnlein mit dem Wadel,
das er mit sich genommen hat.
Doch weh, da schreit vom Dach mit Tadel
des nahen Klosters Seelenrat:
„Entführt hat aus dem Nonnenstadel
der Kastenvogt mir eine Magd!"

Aufblickt der Fuchs jetzt mit Verlangen
und beichtet lauter als zuvor:
er sei schon oft in Klee gegangen,
in Kabisköpfe1 vor dem Tor.
So konnt' er Ablass gleich empfangen,
da Klee und Kabis er verschwor,
und hat darauf den Hahn gefangen,
den beichtend er sich auserkor.

Erläuterung:

1 Kabis (schweizerdeutsch): Kohl



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Heuschreckenpredigt. -- Um 1833

Heuschreckenpredigt  / von Abraham Emanuel Fröhlich (1796 - 1865)

Heuschreckenheere kamen hergeflogen,
Unübersehbar siedeln sie in Auen,
und Lager sind an Lagern rings bezogen,
wo irgend Laub und Gras war zu erschauen.
Die Saaten wurden und die Rebenbogen
von ihrer Sichel sogleich abgehauen.
Bald finden sie kein Halmchen mehr zu zehren
und müssen dann in neue Länder kehren.

Jetzt wird nach Übung regulierter Scharen
gehalten früh und spät Versammlungsstunde.
Sie kommen aufmarschiert daher in Paaren
und stehn nach dem Kommando in die Runde.
Dann tritt ein Männchen mit gesalbten Haaren
in ihre Mit? und mit gesalbtem Munde,
und steigt zu einem Stein hinauf und dorten
lässt hören er sich in studierten Worten:

„Heuschrecken, ihr vom Schicksal auserkorne,
die Vögel- und die Blumenwelt zu strafen;
wie viele Leiden auch vom hohen Zorne
seither die Abergläubigen betrafen;
noch erbt die Sünde fort, die angeborne,
noch wollen auf dem Sündenpfühl sie schlafen.
Dass wir gesandt zu ihrem Seelenheile,
zeig ich im ersten und im andern Teile.

Wir kommen zahllos, gleich dem Meeressande,
aus Wüsteneien sind wir aufgebrochen,
wo wir uns lang in düsterm Bußgewande
und fastend hatten in den Staub verkrochen,
wo uns der Sonne Pfeil im glühnden Lande
den nackten Schädel hatte wundgestochen.
Da scholl der Ruf: „Auf, auf, mit Heersgewalten
müsst ihr die Welt bekehrn und umgestalten!''

Da haben wir die Rüstung angezogen,
den Mantel auf die Reise umgehangen.
Bald sahen wir der Schlemmer Saaten wogen,
des Taumelweines lange Halden prangen,
die Vögelscharen, die mutwillig flogen,
und hörten wie des Leichtsinns Lieder klangen.
Und, eine sonnverfinsterende Wolke,
trug uns der Siegessturm von Volk zu Volke.

Wenn wir die üpp'gen Ernten nicht verzehrten,
der Kronen nicht beraubeten die Bäume,
die Kränze nicht zerrissen und nicht leerten
die Becher, überfüllt von gift'gem Seime,
und nicht durchwühlend schon im Grund verheerten
der neuen Aussaat allererste Keime:
In Lüsten würde alle Well versinken,
am Taumelkelche sich zu Tode trinken.

Jetzt aber ist auch hier uns Sieg gelungen:
Gehüllet sind in Sack und Asch' die Lande,
die Vögel, so auf grünen Zweigen sungen,
verstummet schmachtet jetzt die freche Bande;
den Blumen, die im Tanze sich geschwungen,
im purpurnen und goldenen Gewande,
ist von uns ab gestreifet Samt und Seide,
nichts blinkt von ihrem vorigen Geschmeide.

So wiederum erkennt man sich auf Erden,
so fühl'n wir Frommen wieder uns zu Hause,
so muss jedwedes Land bekehret werden,
das jetzt noch sitzt an einem ewigen Schmause:
Des freuet euch, ihr auserkornen Herden,
dass unser Siegesflug bald wieder sause,
und haltet an, kasteiet eure Glieder,
zu neuen Fahrten macht sie flüchtig wieder.

Bald werden so die bessern Zeiten kommen,
dass wir die Herrscher sind in allen Landen,
dass keine andre Weise wird vernommen
als die in unsrer Wüste wir erfanden;
just daher kommt der Segen zu uns Frommen,
dass wir uns nie zu anderm Dienst verstanden,
dass wir auf andre Freuden ganz verzichten,
die Armen stets verbleiben und die Schlichten.

Und ihr, die mit uns längst im treuen Bunde,
du Fledermaus, Hornkäfer und Nachtfalter,
die unser Glück ihr preist mit Herz und Munde,
bleibt unsers Reiches tätige Statthalter,
bei Nacht und Tag und oben und im Grunde
des Glaubens unerschrockene Erhalter!"
So hat der Mann der wohlgesetzten Predigt
den Heuschrecken erbaulich sich entledigt.



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Reinecke auf der Wallfahrt. -- Um 1833

Dachs und Fuchs (gekürzt) / von Abraham Emanuel Fröhlich (1796 - 1865)

Die Chronik meldet: Um Gallustag1,
als rot schon waren der Wald und Hag
und Äpfel und Birnen eingebracht
und auch der Trauben goldne Pracht
und sich kein Obst mehr im weiten Land
und nur noch die weiße Rübe fand,
hat sich Dachsfelden mitsamt dem Abt
noch der warmen Sonne erlabt
und ist gesessen zur Vesperzeit
noch vor dem Tore; dort sahen sie weit
von ferne kommen ein seltsam Ding,
das langsam hinkend auf Krücken ging.
Sie rieten, was es wohl möchte sein,
ob ein Gespenst oder Fleisch und Bein,
ob gar der Böse, der mannigfalt
verlarvt und verkleidet vorüberwallt;
und da es nicht, wie sie hofften, wich,
so fassten sie Mut und besegneten sich.
Und als es näher und näher kam
und deutlicher man zu sehen bekam
das spitze Gesicht, der Augen Paar,
den roten Bart und das rote Haar,
am Halse des weißen Hemdes Rand,
das rötliche langgestreifte Gewand,
da sagten alle: „Fürwahr, das ist
der alte Reinhard; welch neue List
fiel wieder dem alten Schelme ein;
da gilt es, wohl auf der Hut zu sein! ''

Er grüßte sie: „Venerabiles2,
fürwahr, Euch wundert wie billig des,
warum auf Krücken ich hinke heran,
Ihr fragt, was wohl ich habe getan?
Ob ich mit diesem rechten Fuß,
den ich verbunden nachschleppen muss,
in eine der Fallen geraten sei,
ob's etwa im Sprung mir gebrochen entzwei,
ob ich gefangen im Turm und Zwing,
mich losgemacht von Ketten und Ring
und mich verletzt, oder ob ich sei
begrüßet worden mit Pulver und Blei?
Hochwürden glaubet, das ist es nicht,
ich gebe Euch wahrhaften Bericht,
und käme es Euch unglaublich vor,
doch ist es so, dies Bein verlor
ich Euretwegen, ich stritt und litt
für Euch, Hochwürden; ich teil Euch mit,
wie dies geschehen, wenn Ihr's erlaubt
und es gerade Euch Zeit nicht raubt;
denn weiter kann ich nun wahrlich nicht
und werde ein Opfer der Freundespflicht. ''

„Nein", sagte der Abt, mitleidig gemacht,
„du kannst hier bleiben und übernacht!"

Und Reinhard dankte und hinkte hinein
und wollte nicht essen, nur ruhig sein
und ging zu Bette, doch als das Haus
entschlafen er merkte, dann wieder hinaus
und raubte, was eingespeichert war,
und vor dem Tore der Seinen Schar,
die trugen's von dannen. Und wie zum Hohn
ließ stehn er die Krücken und war davon.

Erläuterungen:

1 Gallustag: 16. Oktober. Festtag zu Ehren des irischen Mönches Gallus, der 612/613 in einer Einöde die Galluszelle gründete, aus der sich die heutige Abtei Sankt Gallen (Sankt Gallen) entwickeln konnte. Gallus (lateinisch) = Hahn.

2 Venerabiles! (lateinisch): Ehrwürdige!



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Trauung von Hund und Katze. -- Um 1833

Hund und Katz  / von Abraham Emanuel Fröhlich (1796 - 1865)

Der Hase denkt, der Hofkaplan:
„Wie stell ich's nur am End noch an,
dass ich vor Katze und vor Hund
bin frei im Vor- und Hintergrund?
Der Hund, der Oberjäger, spürt
gleich aus, was ich nur angerührt;
kaum dass in Kabis1 und in Klee
ich etwan eins spazieren geh,
werd ich erwittert, und mit Schrein
ist der Verfolger hinterdrein.

Nicht besser meint's die Kammerzof',
und wird mitunter sie am Hof
von meinen Vetterchen gewahr,
gleich liegt sie ihnen auch im Haar.
Brächt' ich nur beide noch dazu,
dass sie sich freien, hätt' ich Ruh.
Ein jedes fände gnug am Schatz,
und ich war' los von Zahn und Tatz'."

So rät der feine Hofkaplan
die Ehe beiden Teilen an.
Der Jungfer preist er an den Schmaus,
der täglich duft' in jenes Haus;
dem Jäger gibt er zu verstehn,
wie Kraft und Gunst vorübergehn;
wie gut, wenn Pflege dann uns reich'
ein Händlein vielgetreu und weich.

Hier wird das Pärchen nun getraut,
das Ja gemiaut von der Braut,
der Bräutigam träumt süße Ruh
und drückt vergnügt die Augen zu.
Die Elster dann, die das gewahrt,
singt prophezeiend in ihrer Art:
„Zu preisen ist des Mannes List,
der so beendigt jeden Zwist,
mit Staatsklugheit sogar den Bund
zustand bringt zwischen Katz und Hund.''
Der Bund besteht so lange Zeit
als seines Stifters Tapferkeit.

Erläuterung:

1 Kabis (schweizerdeutsch): Kohl


1834



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Zelotenpredigt . -- Entwurf zu einem Taschentuch. -- Um 1834



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Gestörtes Liebesabenteuer / Zölibat. -- Entwurf zu einem Taschentuch. -- Olten. -- Um 1834



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Chorgericht. -- Entwurf zu einem Taschentuch. -- Olten. -- Um 1834

Erläuterung:

"CHORGERICHTE. Indem in der Reformation die dieser Bewegung beigetretenen Staaten und Obrigkeiten die bis dahin von den Bischöfen ausgeübte kirchliche Gerichtsbarkeit an sich zogen, fiel ihnen auch die Handhabung der Kirchendisziplin zu. Die damit betrauten Organe sind die sog. Chorgerichte oder Ehegerichte. Sie sind in den evangelischen Orten der Eidgenossenschaft im Gegensatz zum Consistorium in Genf nicht geistliche, sondern weltliche Behörden. Als Vorbild diente die zürcherische Ehegerichtsordnung. Jede Kirchgemeinde hatte ihr Chor- oder Ehegericht, im Kanton. Zürich «Stillstand», in Basel «Bann» genannt. Ihre Befugnisse waren die Sittenpolizei in Fällen von Sonntagsentheiligung, Fluchen, Üppigkeit, Völlerei, Zank, Familienstreit, Paternitätssachen usw. Den Vorsitz führte der Oberamtmann des Bezirks und in seiner Abwesenheit der Statthalter, das Protokoll der Pfarrer. Außer den 6-8 von der Gemeinde erwählten Richtern zählte das Ch. einige Heimlicher, welche die straffälligen Vergehen zur Anzeige brachten. Es versammelte sich, sofern Geschäfte vorlagen, nach dem Gottesdienst im Chor der Kirche. Die Strafbefugnis erstreckte sich auf Verweise, Geldbussen und Gefangenschaft bis drei Tage, in Basel und Biel auch auf Ausschluss vom Abendmahl. In Ehesachen waren die Landchorgerichte erste, die Oberchorgerichte, d. h die Chorgerichte der Hauptstädte, obere Instanz. Während der Helvetik meist nicht mehr einberufen, traten die Chorgerichte seit 1803 wieder in Tätigkeit, verloren aber mit der Zeit jegliche Strafkompetenzen, wurden in Kirchenvorstände umgewandelt, die immerhin noch in einigen Kantonen die ersten Untersuchungen über Paternitäts- und Ehescheidungsfälle zu führen und an die bürgerlichen Behörden weiterzuleiten hatten, bis um 1870 auch diese Befugnisse dahinfielen."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 2. -- 1924. -- S. 571]



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Prof. Alois Fuchs vor dem Ketzergericht. -- In: Republikanischer Kalender. -- 1834

Erläuterung:

Alois Fuchs (1795 - 1855)

"Fuchs, Alois, katholischer Geistlicher, *1795 in Schwyz, † ebenda 28. 2. 1855. Er wurde Spitalpfarrer und Professor an der Lateinschule in Rapperswil und bald auch neben seinem Kollegen Christoph Fuchs einer der Führer des Uznacher Kapitels, das wegen seiner kirchlich reformistischen Richtung in scharfen Gegensatz zum Bischof von Chur-St. Gallen geriet. Am 13. 5. 1832 hielt Fuchs seine aufsehenerregende Predigt Ohne Christus kein heil für die Menschheit in Kirche und Staat, verweigerte den von der Kurie verlangten Widerruf, wurde deshalb 1833 suspendiert, unterzog sich aber 1835 halbwegs, 1842 rückhaltlos. Fuchs war 1833 - 1836 Stiftsbibliothekar und lebte von da an zurückgezogen in Schwyz."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 3. -- 1926. -- S. 353]

Liberale Presse und Volkspetitionen nahmen sich Fuchs' als Opfer geistlicher Despotie an. Die Neue Helvetische Gesellschaft wählte ihn 1833 demonstrativ zum Präsidenten, die St. Galler Regierung verschafft ihm als Ersatz für die verlorene Pfründe die Stelle des Bibliothekars an der Stiftsbibliothek St. Gallen. Man beachte die beiden Bilder an der Wand: Ein Jesuit streut Unkraut in die Saat von Jesus, das andere Bild zeigt geile "zölibatäre" Pfaffen.



 

Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Titelblatt. -- In: Schweizerischer Republikaner. -- 1836


1839



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Der Moses isch der erst gsy und Christus, au der Machomed und der Bonepart sind sini Lüt gsy in dene Stücke. -- In: Schweizerischer Bilderkalender. -- 1839

Erläuterung: Illustration zu "Kurze und fassliche Beschreibung der Lebensgeschichte meines Herrn Vetters" / von Peter Felber (1805 - 1872). Illustration zu"so anerkennt er auch im Grunde nur vier große Männer in der Geschichte, die da sind. Moses, Christus, Mahomed [= Mohammed] und Napoleon."



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Goethe, Faust I: Nordische Walpurgisnacht. -- 1839

Erläuterung: An der Hexenorgie nehmen u. a. teil ein Basler Theologe mit Gattin und ein Kapuziner


1840



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Der 6te Herbstmonat 1839 in Zürich. -- In: Schweizerischer Bildkalender für das Jahr 1840. -- Solothurn, 1840

Erläuterung: In Kloten verlangte eine religiöse Volksversammlung die Abschaffung der Universität Zürich, da diese zu progressiv (liberal) sei. Unter dem Geläute von Sturmglocken zieht ein Haufen vom 8000 Bauern in die Stadt Zürich und eröffnet das Feuer auf die Regierungstruppen. Die Regierung tritt zurück und macht "gemäßigten" Kräften Platz.

"Choräle singend zieht das Landvolk nach Zürich und eröffnet auf dem Münsterplatz das Feuer gegen die Regierungstruppen. Die Truppen halten stand, doch die Regierung löst sich auf.

Auf dem Bilde sind mehrere Portraits. Unter dem Militär erkennt man im Hintergrund den Oberst Hirzel. Vor ihm, etwas rechts für den Zuschauer, den Oberstlieutenant Sulzberger mit der Habichtsnase. Mehr links, in Mitten seiner wackern Dragoner, erblickt man den braven Major Übel.

Hart unter dem Gitter des links im Vordergrunde stehenden Hauses zeigt Hr. Hürlimann-Landis dem Publikum die Zähne. Rechts, fast am Rande des Bildes, nimmt Rahn-Escher eine sichere, keineswegs lebensgefährliche Stellung unter seinem Haufen ein. dieses Gesicht zeichnet seinen Mann, ohne dass das Brandmal darauf nötig wird. Es reicht hin, dass die Züribauern dieses Gesicht sehen, um sich nicht ein zweites Mal von ihm belügen zu lassen. — Weg von diesem!—Aber jetzt will ich dir Einen zeigen, lieber Leser, Einen, der Christum predigt, Christum, der die Menschen Liebe lehrte, Einen, der am 6. September dem Volke zurief: «Im Namen Gottes schüßed,» Einen, der von sich öffentlich gesagt: «dass er den Tag zuvor 3 Stunden sich und dieses sein (brudermörderisches) Vorhaben vor Gott geprüft und der nach dieser Prüfung gefunden, dass der Erfolg sicher, aber sicher auch der Untergang des Anfangenden sei.» Das ist der Pfarrer Hirzel von Pfäffikon! Wo ist er, der Held und Märtyrer, der sein Leben zum Opfer brachte, der seinen sichern Untergang voraussah? Liegt er erschlagen, ein zweiter Zwing/i bei Kappe/? Links geschaut, christlicher Leser, und du erkennst leicht den Mann mit der Brille, wie er sich niederduckt mit dem Kopfe und den ersten besten Nebenmann als Schild vor sich hinstellt, um ihm die Ehre des Märtyrtums und sichern Untergangs zu gönnen! Verwundere dich nicht, mein christlicher Leser, der Mann kennt seine Bibel: «Seid einfältig wie die Tauben, sagt er zu seinen Bauern, und — klug wie die Schlange, das bin ich.» Es sind aber nicht bloß einzelne Portraits vorhanden: das ganze Bild ist ein Portrait und stellt aufs treuste die kalte, besonnene militärische Pflichterfüllung gegenüber der wirren Begrifflosigkeit der Massen dar. Und wirklich fand man bei dem armen betrogenen Volke nichts als Widersprüche. Niemand wusste recht, was man wollte. Die Einen zogen für den Heiland nach Zürich, die Andern für die Verfassung, die Meisten meinten, man könne nicht dulden, dass (wie allgemein geglaubt wurde) die Regierung fremde Truppen in 's Land berufe. Man stößt mitunter wohl auf alte Ex-Schulmeister, wie wir da rechter Hand dicht vor uns ein Exemplar vor Augen haben. Der kleine Dicke da in der Ecke, der so wacker verproviantiert ist, als wenn 's über die Beresina ginge, ist ein Jäger, dem das neue Jagdgesetz nicht gefällt. Einigen Andern sieht man die Gesinnung an den Hosen ab."

Disteli-Kalender 1840



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): General Buser: "Ja, ja! —die schwarzen Vögel! — die haben uns viel Wust gemacht." -- In: Schweizerischer Bilderkalender. -- 1840

Erläuterung:

General Buser:

"Buser, Johann Jacob, * 5. IV. 1768 in Sissach. Zunächst Landwirt, dann Weinhändler. Führte die Post zwischen Sissach u. Aarau und wurde 1790 von der Basler Regierung zum Salzauswäger gewählt. 1798, beim Einbruch der französischen Revolutionsarmeen in die Schweiz, beginnt Busers politische Laufbahn. Als «Freiheitswirt» in Sissach nimmt er an allen Unternehmen gegen die Basler Regierung, oft als Führer, teil. Während der Ereignisse von 1798, besonders bei der Aktion gegen das Schloss Farnsburg, tätig, agitiert er in der Mediationszeit gegen den Zehnten und die Grundzinse, was ihm Haft in Basel, Geldbuße und Entzug des Wirtschaftspatentes eintrug. Dadurch noch populärer, wurde er in den Grossen Rat und später in das Ehegericht gewählt. Während der Trennungswirren der 30er Jahre wurde Buser von der Regierung Basels verfolgt, so dass er als Flüchtling ein unstetes Wanderleben in den Kantonen. Solothurn, Aargau, Luzern und Bern antreten musste. Überall vom Landvolk gegen die Polizei geschützt, konnte er schließlich den unsichern Boden der Schweiz verlassen und ins Elsass entkommen, wo er sich in Mülhausen und St. Ludwig aufhielt. Als die Landschaft eine eigene Regierung erhalten hatte, kehrte Buser wieder in seine Heimat zurück, um von neuem in die politische Bewegung einzugreifen. Beim sog. Reigoldswilerzug gegen das baslerisch gesinnte Reigoldswilertal und bei der Einnahme von Gelterkinden übernahm er die Führerrolle, was ihm den Spitznamen «General » eintrug und schrieb hierauf zu seinen eigenen Ehren ein Kriegslied. 1832 präsidierte er als Alterspräsident den neugewählten basellandschaftlichen Verfassungsrat und feuerte hierauf die jungen Landschäftler zum Endkampf gegen die Stadtbasler an (August 1833). Nachdem die Landschaft das Ziel vollständig erreicht und Buser durch seine politische Betätigung sein Vermögen verloren hatte, wurde er wieder «Freiheitswirt », diesmal in Liestal, um in seiner Wirtschaft den basellandschaftlichen Freiheitskämpfern ein Stelldichein zu ermöglichen. + 5. V. 1844. — Vergl. Denkwürdigkeiten aus General Busers politischem Lebenslaufe. — Szenen aus der Lebensgeschichte des Generals Buser (in Distelikalender 1840. Gallerie berühmter Schweizer II)."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 2. -- 1924. -- S. 459]



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Altermatt und Pfaffe. -- Um 1840

Erläuterung: Man beachte die devote Haltung des Honoratioren Altermatt gegenüber dem Pfaffen!

"Altermatt, Johann Baptist. 1764-1849. Letzter des Altburgergeschlechts. Sohn des Josef Bernhard. Überzähliger Unterleutnant im XII. Schweizerregiment 1777, Unterleutnant 1779. Fähnrich im Schweizergarderegiment 1783. Großrat zu Solothurn 1784, demissioniert 1785. Aidemajor im Solothurner Kontingent 1792, Hauptmann und Adjutant seines Vaters, Major des Quartiers Kriegstetten 1793. Großweibel 1796. Ingenieuroffizier und Hauptmann im Generalstab 1797. Nebenbei beschäftigte er sich noch mit Topographie. Seine Carte topographique du Canton de Soleure, faite en 1796-98 musste beim Einmarsch der Franzosen ausgeliefert werden. Aide de camp des Generals Rudolf von Erlach 1802, Organisator der Artillerie und Artillerieoberstleutnant 1804. Mitglied der eidgenössischen Artilleriekommission. Inspektor der öffentlichen Arbeiten 1806, Kantonsrichter, Großweibel und Präsident der Baukommission 1813, Kleinrat 1814. Kommandant des II. Infanteriebataillons im Feldzuge 1815. 1811 dankte ihm die Stadtgemeinde für die Erstellung des Planes der Stadtallmend und Marchbeschreibung. Präsident der Grenzregulierkommission zwischen Frankreich und Solothurn 1816 bis 1818. Ferner dankte ihm der Stadtrat von Solothurn für die verfertigte Karte des Stadtbannes Solothurn 1825, die Regierung des Kantons für die Grenzberichtigungen zwischen Frankreich und Solothurn 1826, der Stadtrat für den Stadtplan von Solothurn 1829 und die Regierung für die Grenzberichtigung zwischen Baselland und Solothurn 1840. Er gab 1837 seine Demission für sämtliche bürgerlichen Beamtungen, der schon 1822 die Demission als Militär vorangegangen war."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 1. -- 1921. -- S. 295]



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Fronleichnamsprozession. -- Olten.  -- Um 1840

Erläuterung:

"Fronleichnamsfest (Sakramentstag, heiliger Blutstag, Prangtag, Festum corporis Christi oder bloß Corpus Christi, franz. la Fête- Dieu), hohes Fest der römischen Kirche zur Feier der Transsubstantiation, d. h. der wunderbaren Verwandlung der gesegneten Hostie in den Leib Christi, deutsch Fronleichnam, d. h. des Herrn (Fron) Leib. Infolge einer Vision, welche die Lütticher Reklusennonne Juliane gehabt, verbreitete sich diese Feier zuerst in den Niederlanden und wurde 1264 vom Papst Urban IV und durch Clemens V. auf dem Konzil zu Vienne 1311 zu allgemeiner Bedeutung erhoben. Johann XXII. befahl 1316 das noch jetzt den Glanz- und Mittelpunkt des Festes bildende Herumtragen des Sakraments in besonders feierlicher Prozession. Das Festoffizium hat nach der Angabe des Papstes Sixtus IV. Thomas von Aquino zum Verfasser. Zum Tage des Festes ist der Donnerstag nach Trinitatis gewählt im Hinblick auf den Gründonnerstag, den ursprünglichen Gedächtnistag des Abendmahls; in Frankreich und Elsass-Lothringen wird jedoch der nächste Sonntag gefeiert. Der Glanz des Festes soll »die Herrlichkeit der katholischen Kirche auch vor den Augen ihrer Gegner offenbaren und deren Seelen erschüttern und gewinnen«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


1841



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Der Abt von Muri macht sich mit einer großen Geldsumme davon und flüchtet sich in das Kloster Engelberg 1835. -- 1841

Erläuterung:

"Mit dem Beginn der [18]30er Jahre trat im Kanton Aargau eine Kulturkampfbewegung auf, die 1835 zur zweiten Bevogtung der Klöster führte. Die sich mehrenden Drohungen gegen Muri veranlassten den Abt Ambrosius Bloch, sich nach Klingenberg und dann nach Engelberg zurückzuziehen, wohin er die ausländischen Schuldtitel des Klosters mitnahm. Auf den 29./30. Nov. des Jahres war von Feinden des Stiftes ein Anschlag gegen Muri geplant, der von dem damals im Kloster einquartierten Kommando der aargauischen Regierungstruppen (die gegen einen angeblich drohenden Aufruhr im Freiamt aufgeboten waren) verhindert wurde. Unterdessen verschärften sich die unaufhörlichen Konflikte Muris mit der Regierung, weil diese bereits über die Klostergüter verfügte. Ihr zweimaliges Ansinnen an die Regierung von Obwalden, den flüchtigen Abt Ambros zum Verhör zu zitieren, wurde abgewiesen. Aber auch die geflüchteten Schuldtitel mussten schließlich geopfert werden, ehe nach dem Tode des gen. Abtes (1838) eine neue Abtwahl stattfinden konnte, aus der dann Adalbert Regli (letzter Abt von Muri) hervorging. Nach der Abstimmung über die neue Verfassung im Aargau 1841 und nach der unmittelbar folgenden Verhaftung des sog. Bünzer Komitees erhob sich der Freiämter Landsturm, den Frey-Herose mit den Regierungstruppen zerstreute. Der aarg. Oberkommandant aber besetzte am 12. Jan. wieder Muri, und am 13. schon wurde im Grossen Rat auf Antrag von Augustin Keller die Aufhebung sämtlicher aargauischen Klöster beschlossen. Am 25. verkündete Frey-Herose diese in Muri, und am 27., resp. 3. Febr., zogen die vertriebenen Konventualen aus. 1843 wurde im verlassenen Kloster eine Bezirks-Schule eröffnet, aber versch. andere Pläne fanden nie Verwirklichung, sodass die Hauptgebäude im wesentlichen leer standen bis 1887, wo man die kantonale Pflegeanstalt hinein verlegte."

[Quelle: Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz / hrsg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz ; unter der Leitung von Heinrich Türler, Marcel Godet, Victor Attinger ; in Verbindung mit zahlreichen Mitarb. aus allen Kantonen ; mit vielen Karten, Bildnissen und Wiedergaben alter Dokumente in und ausser dem Text. -- Deutsche Ausgabe. -- Neuenburg : Administration des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921-1934. -- Bd. 5. -- 1929. -- S. 215]


1842



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Luzerner Staatswagen. -- In Disteli-Kalender. -- 1842

 Erläuterung: Das Luzerner Landvolk lässt sich vor den Wagen der Konservativ-Kirchlichen und der Aristokraten spannen. Der katholische Politiker und Landwirt Josef Leu (1800 - 1845) treibt den Karren mit dem Rosenkranz bergab, die Liberalen versuchen zu bremsen.



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Im Aargau werden die Klöster aufgehoben. Mönche und Nonnen ziehen aus. -- In: Disteli-Kalender. --1842

Erläuterung:

"Als durch eine am 5. Jan. 1841 vom Volke sanktionierte Verfassungsrevision der bisherige Grundsatz der Parität der Konfessionen, der den an Zahl schwächern Katholiken die gleiche Zahl Vertreter im Großen Rate wie den Reformierten sicherte, aufgehoben und die Vertretung nach der Kopfzahl eingeführt wurde, erhob sich in den Freiämtern ein Aufruhr, der indes von den Regierungstruppen nach dem Gefecht bei Villmergen (11. Jan.) rasch unterdrückt wurde. Infolge dieses Aufstandes beschloss der Große Rat, die acht Klöster des Kantons als Herde des konfessionellen Haders aufzuheben und ihr 61/2 Mill. Fr. betragendes Vermögen für Schul- und Armenzwecke zu verwenden (13. Jan.). Die hierin liegende Verletzung der im Bundesvertrag von 1815 ausgesprochenen Klostergarantie gab zu großer Aufregung in der Eidgenossenschaft und langwierigen Verhandlungen in der Tagsatzung Anlass, deren Mehrheit sich 31. Aug. 1843 mit der Wiederherstellung der vier Frauenklöster zufrieden gab, während die nachmaligen Sonderbundskantone nach wie vor auf der Herstellung sämtlicher Klöster bestanden. Von da an stand der A. an der Spitze der antiklerikalen Bewegung in der Schweiz und stellte 1844 auf der Tagsatzung den Antrag auf Ausweisung der Jesuiten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Aargau"]



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Pater Theodosius führt im Jänner 1841 den Aargauer Landsturm an. -- In: Disteli-Kalender. -- 1842

Erläuterung: zum historischen Hintergrund siehe oben. Pater Theodosius treibt bewaffnetes Landvolk in den Bürgerkrieg.


1843



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Die Garantie-Erklärung der Luzerner Verfassung durch den Papst. -- In: Disteli-Kalender. -- 1843

Erläuterung: Der Luzerner gibt stiefelleckend dem Papst die Luzerner Verfassung (Constitutio) zur Bestätigung. Der Papst ist der eigentliche Souverän: Der konservativ-katholische Luzerner Große Rat gab, um den Geist des neuen (reaktionären) Regimes zu bekunden Papst Gregor XVI Einsicht in die Luzerner Verfassung von 1841 und bat um seinen Segen.



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Frondienst fürs Jesuitenkollegium in Schwyz. -- In Disteli-Kalender. -- 1843

Erklärung: 1836 übernahmen die Jesuiten das Kollegium Schwyz



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Wir wollen eine vom christlichen Prinzip durchhauchte Schule. -- 1843


1844



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Das luzernische Pressgesetz wird beraten. -- In: Disteli-Kalender. -- 1844

Erläuterung: Pressezensur: Der dumme Volksesel lässt sich das Löwenfell überstülpen und von einem Jesuiten reiten, er kann nicht mehr zurückgehalten werden. Der katholisch-reaktionäre Luzerner Große Rat erließ 1842 ein neues Pressegesetz.



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Vater Unser!. -- In: Disteli-Kalender. -- 1844

Vater Unser!

Vater deiner Kinder,
Vater für dein großes Weltenreich,
Liebst du Keines mehr und Keines minder,
Darum sind auf Erden alle gleich.

Der du bist im Himmel! — Du bist Zeuge,
Wie dein Volk in Schmach und Jammer irrt,
Du bist weise und gerecht, drum zeige
Uns den Weg, der bald zur Freiheit führt.

O geheiligt werde, Herr, dein Name! —
Nicht durch Herrentum und Sklaverei,
Nicht durch Pfaffen, denn sie sind der Same
Der verstocktesten Abgötterei!

Zu uns komme bald dein Reich der Liebe! —
Denn die Brüder hat der Rang getrennt;
Segne du die heilig reinen Triebe,
Die oft nur das arme Volk noch kennt.

Ja, dein Wille, großer Gott, geschehe! —
Der den Menschen unabhängig schuf;
Jeder Sklave fühle und verstehe
Seines Schöpfers Will und ernsten Ruf.

Wie im Himmel, also auch auf Erden! —
Lieget vor uns der Vollendung Bahn;
Doch gelöst muss erst die Fessel werden,
Eh der Geist vollkommen werden kann.

Unser täglich Brot gib uns auch heute! —
Wie einst unsern Vätern, sorgenfrei,
Dass der Arbeit Segen nicht die Beute
Von Betrug und schnödem Wucher sei.

Und vergib uns unsre Schuld! — Wenn rächend
Wir erheben unsre starke Hand,
Und, im Kampf das Sklavenjoch zerbrechend,
Blutig färben unser Bundesband.

Wie wir unsern Schuldigern vergeben! —
Die mit Hohn noch spotten der Geduld,
Dass nicht lange schon in ihrem Leben
Büßen mussten sie die alte Schuld.

Führe uns nicht in Versuchung, Vater! —
Wenn dereinst der große Tag erscheint,
Dass Verblendung an des Abgrunds Krater
Mit der Bosheit seine Kräfte eint.

Sondern, Herr, erlös uns von dem Übel! —
Führe uns zum Siege durch den Streit,
Dass das Unkraut samt der giftgen Zwiebel
Untergehe bis auf Ewigkeit.

Amen.

Erläuterung: Dieses politische Glaubensbekenntnis brachte die Katholiken zum schäumen. Der Bischof verdammt den Disteli-Kalender als "ärgerlich, sittenverderblich, unchristlich und gotteslästerlich." In den katholische Kantonen wird er verboten. Für die liberale Presse ist die Reaktion der Reaktion ein gefundenes Fressen.

"Wir haben auch das Vaterunser  gesehen, über welches mehrere konservative Blätter schon seit Wochen einen Heidenlärm verführt haben. Der Künstler hat dasselbe mit einem Kranz von Bildern (Arabesken) umgeben, die aber nicht karikieren und parodieren, so dass man gar nicht begreift, warum sich der Waldstätterbote und die Staatszeitung, die den lieben Gott alle Augenblicke als ihren Parteimann und den Himmel als ihr Monopol darstellen, im Geringsten zu entrüsten hätten. Über dem Ganzen schwebt das majestätische Bild des Allvaters, thronend, schirmend, umfangend. Unter den zur Seite laufenden Bildern sieht man kleine Kinder, die sich umfangen, auf dass es werde auf Erde wie im Himmel, und nicht wie es der Geiz und der Wucher und die Lüge wollen; man sieht den Arbeiter mit der Schaufel, um das tägliche Brot zu verdienen und den Krieger mit dem Schwerte für seines Landes Recht und so fort. Das wäre also das 'skandalöse Machwerk', auf welches die konservativen Blätter mit andächtigen Mienen den Schwefelregen vom Himmel herunter wünschen. Wir aber denken, in der Schweiz werde der Apostel Paulus immer noch mehr gelten, als der Waldstätterbote, und mit ihm rufen wir: 'Prüfet Alles und das Gute behaltet'."

Solothurner Blatt, 1843-12-23



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Luzerner Pfaffe läutet Sturm. -- In: Disteli-Kalender. -- 1844



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Die Überläufer Fuchs und Siegwart kommen an den Tisch des Nuntius 1843. -- In: Disteli-Kalender. -- 1844

Erläuterung:

Überläufer:

Der katholische Felix Heinrich Christoph Fuchs (1795 - 1846) wurde von der liberalen Luzerner Regierung an die Luzerner theologische Fakultät berufen. Der Bischof von Chur-St. Gallen widersetzte sich aber wegen Fuchs' kirchlich reformistischen Tendenzen. Fuchs leistete im Sept. 1834 eine Art Widerruf und konnte Professor in Luzern werden. 1838 gab er eine Rom befriedigende Erklärung seiner kirchlichen Gesinnung ab und betrieb ab dann die Berufung der Jesuiten nach Luzern, denen er 1845 seine Professur übergab.

Konstantin Siegwart-Müller (1801-1869): War bis Ende der 1830er Jahre Mitglied der radikalen Partei, trat dann aber an die Seite des katholisch reaktionären Joseph Leu und wurde zu einem der Führer der  klerikal-demokratischen Partei Luzerns, mitverantwortlich für die Berufung der Jesuiten nach Luzern.

Der katholische Nuntius residierte seit 1841 wieder in Luzern.

"Aber da das liberale Regiment, das 1830 [in Luzern] zur Herrschaft kam, die Interessen der katholischen Kirche zu verletzen schien, strebte eine klerikal-demokratische Partei unter der Führung des Bauers Joseph Leu von Ebersol und des Staatsschreibers Konstantin Siegwart-Müller dahin, den Sturz desselben mittels einer Verfassungsrevision herbeizuführen. Diese wurde von dem durch Jesuitenmissionen bearbeiteten Volk beschlossen (31. Jan. 1841) und der Verfassungsrat vollständig im Sinne der »Leuenpartei« bestellt. Das neue, 1. Mai angenommene Grundgesetz raubte der (liberalen) Stadt das letzte Vorrecht, indem es die Vertretung nach der Kopfzahl feststellte, gab dem Volk das Veto gegen mißliebige Gesetze, befreite die Kirche von aller staatlichen Hoheit und überlieferte ihr das Unterrichtswesen. Die neue Regierung, deren Haupt Siegwart-Müller war, bezeichnete ihre Stellung, indem sie den Papst um seinen Segen zu dem Werk bat. Die Krönung desselben durch die Berufung der Jesuiten an die höhern Lehranstalten (W. Okt. 1844), die verunglückten Schilderhebungen und Freischarenzüge der Radikalen (8. Dez. 1844 und 30./31. März 1845), die Verurteilung und Flucht des Dr. Steiger, ihres Hauptes, die Ermordung Leus, die Stiftung des Sonderbundes (im Dezember 1845) und dessen Niederwerfung durch die Eidgenossenschaft (im November 1847) gehören der allgemeinen Geschichte der Schweiz (s. d.) an."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Luzern"]



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Neuenburger Konsequenz. -- 1844

Erläuterung: Aristokratie und Kirche tanzen miteinander.

"Die Einführung der Helvetischen Republik 1798 löste das Verhältnis Neuenburgs zur Schweiz, und Friedrich Wilhelm III. trat es 1806 an Napoleon I. ab, der es 30. März als ein Vasallenfürstentum an den Marschall Berthier verlieh. Berthier, der sein Fürstentum nie besucht hatte, verzichtete nach dem ersten Pariser Frieden durch Vertrag vom 3. Juni 1814 gegen eine lebenslängliche Rente von 34,000 Thaler darauf zugunsten des Königs von Preußen. Nach der von letzterm abgegebenen Erklärung, dass Neuenburg ein unveräußerlicher und von der preußischen Monarchie völlig abgesonderter Staat sei, wurde es 12. Sept. 1814 als 21. Kanton in die Eidgenossenschaft aufgenommen, ein Verhältnis, das die Sanktion des Wiener Kongresses empfing. 1830 regte sich auch in Neuenburg der Wunsch nach Umgestaltung der Verfassung. und der König willfahrte demselben, indem er durch den Generalmajor v. Pfuel die alten Landstände in einen »gesetzgebenden Rat« umwandeln ließ, in den der Fürst zehn, das Volk aber die übrigen Abgeordneten wählen sollte. Ein Versuch der Republikaner, durch einen Aufstand die völlige Trennung von Preußen zu erzwingen (13. Sept. 1831), wurde durch eidgenössische Truppen unterdrückt und ein zweiter vom 17. Dez. durch Pfuel erstickt und hart bestraft. 1832 machte Neuenburg sogar den Vorschlag, dass das Fürstentum aus dem Bund austreten und nur an der garantierten Neutralität der Schweiz teil haben solle, wurde aber von der Tagsatzung damit zu rückgewiesen und vom König desavouiert. Zugleich schloss es sich den reaktionären Kantonen auf engste an, und wenn es nicht förmlich am Sonderbund teil nahm, so stimmte es doch mit diesem auf der Tagsatzung und weigerte sich, sein Kontingent zum eidgenössischen Heer stoßen zu lassen, das ihn auflösen sollte. Dafür wurde Neuenburg nach Beendigung des Feldzugs zur Erlegung von 300,000 Franken verpflichtet, die zu einem Pensionsfonds der in eidgenössischem Dienste Verwundeten verwendet werden sollten. Das Jahr 1848 führte indes einen Umschwung aller Verhältnisse herbei. Unmittelbar nach der Februarrevolution brach in Locle und La Chaux- de Fonds ein republikanischer Aufstand aus (29. Febr.); eine Volksversammlung in La Chaux-de- Fonds wählte eine provisorische Regierung, während etwa 1000 bewaffnete Republikaner nach N. marschierten und ohne Widerstand Besitz vom Schloss nahmen, wo sich die provisorische Regierung, an ihrer Spitze der Advokat Piaget, alsbald installierte (1. März)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Neuenburg"]



Abb.: Musegger Umgang. -- In: Disteli-Kalender. -- 1844

Erläuterung: Die Musegg-Wallfahrt war eine konservative nationale Gegendemonstration gegen die eidgenössischen Schützenfeste. Der Umgang selber ist seit 1477 dokumentarisch belegt. Musegg [= Mauseck] liegt in der Stadt Luzern.

"Die Prozession wird gotteslästerlich verzeichnet. Priester und Volk sind als Mäuse dargestellt; auf der Kirchenfahne ist an der Stelle des gekreuzigten Heilandes eine Fledermaus gemalt!"

Staatszeitung der Katholischen Schweiz 1844-01-29



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Illustration zu Gottfried Kellers Jesuitenzug. -- Beilage zur "freien Schweiz". -- Winterthur, 1844-02-03 (zugleich als Flugblatt gedruckt)

Gottfried Keller (1819-1890): Jesuitenzug (auch: Jesuitenlied) 1843

Hussa! hussa! die Hatz geht los!
Es kommt geritten klein und groß,
Das springt und purzelt gar behend,
Das kreischt und zetert ohne End:
Sie kommen, die Jesuiten!

Da reiten sie auf Schlängelein
Und hintendrein auf Drach und Schwein;
Was das für muntre Bursche sind!
Wohl graut im Mutterleib dem Kind:
Sie kommen, die Jesuiten!

Hu, wie das krabbelt, kneipt und kriecht,
Pfui, wie's so infernalisch riecht!
Jetzt fahre hin, du gute Ruh!
Geh, Grete, mach das Fenster zu:
Sie kommen, die Jesuiten!

»Gewissen, Ehr und Treue nehmt
Dem Mann und macht ihn ausverschämt,
Und seines Weibes Unterrock
Hängt ihm als Fahne an den Stock:
Wir kommen, die Jesuiten!«

Von Kreuz und Fahne angeführt,
Den Giftsack hinten aufgeschnürt,
Der Fanatismus ist Profoss,
Die Dummheit folgt als Betteltross:
Sie kommen, die Jesuiten!

»Wir nisten uns im Niederleib
Wie Maden ein bei Mann und Weib,
Und was ein Schwein erfinden kann,
Das bringen wir an Weib und Mann:
Wir kommen, die Jesuiten!«

O gutes Land, du schöne Braut,
Du wirst dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind:
Sie kommen, die Jesuiten!


1846



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Liebet euch. -- 1846


1848


Aus: Stüffels Glück und Verirrungen / Text von Alfred Hartmann (1814 - 1897). Illustrationen von Martin Disteli (1802 - 1844). -- 1848

Der betrogene Heuschreck bekehrt sich und zieht in ein Hummelkloster

Meine Wünsche hatten mich betrogen, meine Hoffnungen mich angelogen, Goldkäferlein, mein verlassenes Gemahl, war in sein selbstgegrabnes Grab gezogen und die schöne Phaläne davongeflogen. Meine Fühlhörner waren abgestumpft, meine glatte Haut zusammengeschrumpft, mein grasgrüner Teint verblichen und mein Jugendmut gewichen. Und ich pilgerte mit müden Gliedern und zerknirschtem Gemüte, getrieben von den Bissen meines Gewissens über die Stoppelfelder und Wiesen, drüber bereits die kühlen Herbstwinde bliesen.

Wo die öden Heiden und Bergweiden sich vom fruchtbaren Tale scheiden, haben die braunen Hummeln, die weit und breit im Gerüche stehen der Heiligkeit, und die Tugend und Religion treiben aus Profession, ein Kloster gebaut und drunter einen Keller gegraben. Summend, fromm Gebete brummend, ziehen sie aus und ein; und die Jungen mit geläufigen Zungen wandern predigend von einer Matte zur andern und forschen den frommen Blümelein, die sie laben mit milden Gaben, das Gewissen aus; und die Alten, die sich die dicken Bäuche halten, verwalten das Haus und bestellen im Keller die Honigzellen.

Als ich daher gepilgert kam, da sah ich, wo die hohen Halme sich wölbend biegen, eine gläubige Gemeine auf den Knien liegen, und es predigte eben einer der Hummelväter mit frommem Grimme und donnernder Stimme:


Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Predigt. -- In: Illustrierter Schweizerkalender. -- 1848

„Eitelkeit der Eitelkeiten, und alles ist Eitelkeit! Es bereue und tue Buße, alles was da hüpfet und schlüpfet, was da flieget und kriechet auf den Matten oder im Wälderschatten! Was prangt ihr eiteln Schmetterlinge mit euern bunten Flügeln, statt sie bescheiden zu beschneiden? Was haltet ihr alle Tage in den Blumenkelchen Saufgelage, ihr liederlichen Käfer, ohne zu rasten? Wann wollt ihr beginnen mit Beten und Fasten? Stellt ein, ihr leichtfertigen Heuschrecken, euer Singen und Springen im Sonnenschein und haltet Seelenwasche in Sack und Asche! Denn der Herbst ist im Anzuge und die Tage der Klage kommen im Fluge. Wer aber dahinfährt in seinen Sünden, der wird nimmer Gnade finden, sondern wandern nach den höllischen Gründen, wo auf die Weltkinder warten die ewigen Plagen und über ihren Häuptern die Flammen der Verderbnis zusammenschlagen. So ihr aber abschwört der Welt Eitelkeit und wandelt in Frömmigkeit und wollet gedenken der armen Hummelklöster mit reichlichen Geschenken, dann werdet ihr dereinst schauen die himmlischen Auen, wo ewiger Sommer ist und Honig und Maitau in Bächen fließt und euch weder Schwalbe noch Sperling frisst."


Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Eintritt ins Hummelkloster. -- In: Illustrierter Schweizerkalender. -- 1848

Alsobald nach dieser salbungsvollen Belehrung erfolgte unter Tränen der Zerknirschung meines Herzens Bekehrung. Und zur selbigen Stund' streifte ich mein grünes Heuschreckenröcklein von meinen Gliedern, das mich so oft verleitet hatte zur Eitelkeit; ich hüllte meine Glieder in ein braunes Hummelkleid und bezog auf der Stelle bei den frommen Vätern eine Honigzelle.

Meine Seele habe ich entladen ihrer sündlichen Befrachtung, in mein Herz ist eingezogen der irdischen Dinge Verachtung, und meine Gedanken sind geweiht heiliger Betrachtung. Und fern von jener eitlen Welt, wo wuchert der Sünde Samen, führe ich nunmehr ein erbauliches, beschauliches Leben, wie es Gott gefällt,

AMEN


Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Stüffels Himmelfahrt. -- In: Illustrierter Schweizerkalender. -- 1848

Erläuterungen: Die Bilder zum Heuschreckenepos erschienen erstmals vollständig im Zieglerkalender 1848, da aber mit einem neuen Text von Peter Felber. Der ursprüngliche - hier wiedergegebene -  Text von Alfred Hartmann (1814 - 1897) erschien erstmals in: Martin Disteli <1802-1844>: Romantische Tierbilder zu Fabeln und Versen von A. E. Fröhlich, J. W. Goethe, A. Hartmann, F. Krutter und G. Rollenhagen / Eingeleitet und hrg. von Dr. Gottfried Wälchli ...  -- Zürich [u.a.] : Amstutz & Herdeg, 1940.


Nicht datiert



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Leonz Pfluger im Nonnenkloster

Erläuterung: Leonz Pfluger war ein Solothurner Frauenheld



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844) (?): Zeitgeist: "DiesZ ist mEin gelIebTer Sohn, an dem ich mein WohlGefallen habE". EvangelIST Matthaeus, Kap. 3, Vers 17



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Chorherrenballett. -- Nach 1834

Erläuterung:

"Chorherren, die Mitglieder der weltlichen Dom- und Kollegialstifter (s. Kanoniker) und der regulierten Kanonikatstifter (s. Regulierte Chorherren und Augustiner 1)."
"Kanoniker (lat. Canonici), ursprünglich diejenigen Priester, die nach einer gewissen Regel (Kanon) zusammenlebten. Nach dem Vorbilde des Augustin und des Eusebius von Vercellä (gest. 371) wurde die vita canonica (so genannt, weil sie sich nach den i Ausspruch des Kanons, Apostelgesch. 4,32, richtete), d. h. die klösterliche Vereinigung der Kleriker (Kanoniker), durch die Regel Chrodegangs (s. d.) von Metz für seine Diözese angeordnet und durch das Aachener Konzil von 816 (oder 817) auf alle Kirchen im fränkischen Reich, an denen sich eine Mehrzahl von Geistlichen befand, ausgedehnt (Regula Aquisgranensis). Als diese Form des Zusammenlebens der Geistlichen im sogen. Kapitel schon im 10. Jahrh. ihrer Auflösung entgegenging, indem die dem Kapitel gehörenden Güter unter die Mitglieder verteilt und von letztern eigne Wohnungen bezogen wurden, schieden sich im 11. und 12. Jahrh. die bei der Regel verharrenden als Canonici regulares von den weltförmigen, den Canonici saeculares. Jene bildeten eine neue Klasse von Mönchen. Aber auch unter ihnen immer wieder neu einreißende Verweltlichung rief verschiedene Reformationen des kanonischen Lebens hervor, als deren namhafteste die Prämonstratenserregel von Norbert (s. d.) gilt. Die Kleidung der K. war im 12. Jahrh. ein langer Leibrock, darüber das leinene Chorhemd (Alba); dann das Almutium, eine Mütze von Schaffell, die Kopf, Hals und Schultern bedeckte; dazu ein schwarzer Mantel ohne Kragen und die Kalotte (Käppchen). Die spätern prachtliebenden Chorherren gaben dieser Tracht ein gefälligeres Aussehen und vertauschten namentlich das Käppchen mit dem viereckigen Barett. Jetzt nennt man K. (Kanonikus, Chorherr, Domherr, Domkapitular, Stiftsherr) das Mitglied eines Kapitels (s. d.). Das Ansehen insonderheit der Domkapitel wuchs seit dem 13. Jahrh. zu einem Kollegium mit dem Rechte der Bischofswahl heran, und in demselben Maße wurden die Stellen der K. mit Angehörigen des höhern Adels besetzt."
"Kapitel (Domkapitel) heißt das Kollegium der Kanoniker (Kapitularen, Stifts- oder Domherren) an einer bischöflichen oder erzbischöflichen Kirche, das sich in der Regel aus einem Propst, Dechanten (Dekan), Scholastikus, Kantor, Kustos und einer Anzahl Domherren zusammensetzt und dem Bischof beratend zur Seite steht, bei Erledigung oder Sedisvakanz des bischöflichen Stuhls die auf die interimistische Verwaltung der Diözese bezügliche Jurisdiktion ausübt, bez. durch einen binnen achttägiger Frist von ihm zu erwählenden, aber selbständigen Kapitels- oder Kapitularvikar als Bistumsverweser ausüben läßt, den neuen Bischof wählt etc. und das Hoch- oder Domstift (s. Stift) bildet."
[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Ich hatt' einen Kameraden.



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): Betendes Mädchen und Kapuziner



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist!" [Matthäusevangelium 22,21]


Nicht datiert



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): [Ohne Titel]



Abb.: Martin Disteli (1802 - 1844): [Ohne Titel]


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXV: Berliner Wespen 1868 - 1888

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