Religionskritik

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXV:

Berliner Wespen (1868 - 1888)


kompiliert und herausgegeben von Alois Payer

(payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXV: Berliner Wespen (1868 - 1888)  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- Fassung vom 2004-11-09. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen35.htm  

Erstmals publiziert: 2004-10-29

Überarbeitungen: 2004-11-09 [Ergänzungen]

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library



Abb.: Titelleiste

Berliner Wespen : illustriertes humoristisches Wochenblatt. - Berlin : Brigl   1.1868 - 21.1888,2

"Die "Berliner Wespen" waren - neben "Ulk" und "Kladderadatsch" - eine der führenden Satirezeitschriften des deutschen Kaiserreichs. Sie erschienen seit 1868 wöchentlich, waren getrennt abonnierbar, aber auch verschiedenen Zeitungen ("Tribüne", "Berliner Börsencourier" und "Freisinniger Zeitung" Eugen Richters) beigelegt.

Für den Inhalt verantwortlich zeichnete Julius Stettenheim (1831-1916), einer der größten Satiriker und Humoristen seiner Zeit. Aus seiner Feder stammten auch viele der Artikel, insbesondere die Beiträge stehender Figuren wie des Kriegskorrespondenten "Wippchen", des ebenso breitmäuligen wie hintersinnigen Berliners "Muckenich", des "Interviewers" oder des reaktionären und stets regierungsfreundlichen "Dr. Reptilius". 

Die Karikaturen kamen zumeist von Gustav Heil. Die Artikel der "Berliner Wespen" waren fast nie namentlich gekennzeichnet, sodaß eine Zuordnung zu den Redakteuren (zeitweise z. B. Feodor Wehl und Alexander Moszkowski) schwierig ist. Politsch standen die "Berliner Wespen" der Deutschen Fortschrittspartei und später der Freisinnigen Partei nahe."

[Quelle: http://www.berliner-wespen.de/Einfuehrung/index.htm. -- Zugriff am 2004-10-29]


1868



Abb.: Zum Schleiermacher-Fest: Was man jetzt in Berlin unter Schleier-Macher versteht. -- In: Berliner Wespen. -- 1868-11-08

Erläuterung: Anlass ist der 100. Geburtstag von  Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (1768 - 1834), dem Bahnbrecher der neuern protestantischen Theologie.

[Bildquelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 196]


1869


Lesefrüchte aus dem theologischen Garten. -- In: Berliner Wespen. -- 1869-09-19

Gibt es in Preußen Klöster? o ja!
An Männerklöster genau 97, drin wohnen . . .
an Mönchen 740 und nach authentischen Notizen
an Laienbrüder und Novizen 236; also zusammen 976,
auf 14 Orden verteilt.
In 30 Klöstern mollig warm weilt der Franziskaner,
Priester 182, verstärkt durch 113 Laienbrüder;
Dagegen gibt's nur 4 Dominikanerklöster,
drin wohnen munter 21, da ist der Tomaschek schon drunter.
Jesuiten haben 14 Klöster mit 133;
daneben 4 Redemptoristenklöster mit 63 Redemptoristen . . .
Nonnenklöster gibt's in Preußen 736 mit 5947 Nonnen.
Manche, die nach Liebe fragt, wird mit zwanzig eingemauert.
Die Nonnen verteilen sich auf 31 Orden . . .

[Quelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- S. 128.]


1871



Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): Die Nacht am Rhein: Lieb Vaterland, magst ruhig sein???. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 11. -- 1871-03-17

Erläuterung: Anspielung auf das patriotische Lied "Die Wacht am Rhein" von Max Schneckenburger (1840), dessen Refrain lautet:

Lieb Vaterland magst ruhig sein;
fest steht und treu die Wacht
die Wacht am Rhein!

Für Melodie "Die Wacht" hier drücken

[Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/Lieder/esbraust.html.  -- Zugriff am 2004-10-21]

[Bildquelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 514]


In: Berliner Wespen. -- Nr. 11. -- 1871-03-17

Der Feind! In schwarzen Massen
Rückt er schon schleichend an,
Den müsst ihr furchtlos fassen!
An die Gewehre! Rrrran!
Vorwärts! Auf dass er weiche,
Der schon sich nistet ein,
Die Wacht im Deutschen Reiche,
Sie folge der Wacht am Rhein!

[Quelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 513]


1872


Vom alten Fritz <Auszug>. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 22. -- 1872-05-22

Auf den fiktiven Einwand, Friedrich der Große habe doch auch Jesuiten in seinem Staat gelitten:

Da hatte noch kein Syllabus1
Vernunft und Freiheit geächtet;
Noch hatte kein Konzilsbeschluss
Den Menschengeist geknechtet2.

Erläuterungen:

1 Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). Siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm. -- Zugriff am 2004-10-29

2 Konzilsbeschluss: Erklärung der Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma durch das Erste Vatikanische Konzil 1870

[Quelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 516]


1873



Abb.: Karikatur auf die Wahl Mac Mahon's zum Präsidenten der französischen Republik. -- In: Berliner Wespen. -- 1873

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 103.]

"Mac Mahon (spr. mack ma-óng), Marie Edme Patrice Maurice de M., Herzog von Magenta, Marschall von Frankreich. geb. 13. Juni 1808 in Sully bei Autun aus einer altirischen Familie, die nach dem Sturz der Stuarts nach Frankreich auswanderte, gest. 17. Okt. 1893 auf Schloss La Forêt, zeichnete sich 1837 bei dem Sturm auf Konstantine aus, wurde 1848 zum Brigadegeneral ernannt und mit der Verwaltung der Provinz Oran und später der Provinz Konstantine betraut. Seit 1852 Divisionsgeneral, kehrte er 1855 nach Frankreich zurück, erhielt den Befehl einer Division in der Krim und nahm am Sturm auf den Malakowturm 8. Sept. teil, worauf er die Senatorwürde erhielt. Nachdem er 1857 gegen die Kabylen gefochten und ihm 1858 der Oberbefehl über die Land- und Seemacht Algeriens übertragen worden war, befehligte er im italienischen Kriege das 2. Armeekorps und nahm mit ihm 4. Juni 1859 an dem Siege bei Magenta rühmlichen Anteil. Noch auf dem Schlachtfeld ward er zum Marschall und zum Herzog von Magenta ernannt. Auch in der Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) kämpfte er. 1864 ward er Pélissiers Nachfolger als Gouverneur von Algerien. 1870 erhielt er das Kommando des 1. Korps, schlug (6. Aug.) mit großer Tapferkeit die blutige Schlacht von Wörth (s. d.), ward jedoch besiegt und zum Rückzuge genötigt. M. sammelte die Überreste seines Korps hinter den Vogesen und führte sie mit großer Schnelligkeit nach Châlons, wo ihm der Oberbefehl über die dort nach und nach vereinigten Korps: 1,5 und 7, die notdürftig reorganisiert wurden, und das neuformierte 12. Korps zufiel. Er erhielt von der Regentschaft in Paris den Auftrag, mit dieser etwa 120,000 Mann zählenden Armee nach Metz aufzubrechen, um dem dort eingeschlossenen Bazaine die Hand zu reichen und den Krieg in den Rücken des Gegners zu spielen. Er begann 23. Aug. den Marsch auf Metz, aber so unentschlossen und langsam, dass die deutschen Armeen die berühmte Rechtsschwenkung machen und ihn nach der belgischen Grenze drängen konnten. Er wurde auf Sedan geworfen und hier 1. Sept. angegriffen. Früh am Morgen durch einen Granatsplitter am Schenkel verwundet, musste er die Leitung der Schlacht an Ducrot abgeben, wodurch ihm die schmerzliche Pflicht, die Kapitulation zu unterzeichnen, erspart blieb. Er geriet mit der übrigen Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach Abschluss des Waffenstillstandes wurde er mit dem Oberbefehl der »Armee von Versailles« betraut, um die Kommune in Paris niederzuwerfen. Auch nach glücklicher Unterdrückung dieses Aufstandes (vgl. seinen Bericht: »L'armée de Versailles depuis sa formation jusqu'à la complete pacification de Paris«, Par. 1871) behielt er das Kommando der Armee von Versailles und Paris. Sein geachteter Name und seine kirchliche Gesinnung verschafften ihm von Seiten der monarchisch-reaktionären Parteien nach Thiers' Sturz 24. Mai 1873 die Würde des Präsidenten der Republik. Indes trotz aller Unterstützung von Seiten des neuen Präsidenten misslang die Restauration des Königtums infolge des Starrsinns des Grafen Chambord, und M. sicherte sich nun eine starke Exekutive durch die von der Kammer 20. Nov. 1873 bewilligte Verlängerung seines Präsidiums auf sieben Jahre, das sogen. Septennat. Als er aber 16. Mai 1877, von seiner reaktionären Umgebung bewogen, das gemäßigte Ministerium Simon fortschickte und durch Broglie und Fourtou antirepublikanische Neuwahlen betreiben ließ, verlor er sein Ansehen. Die Neuwahlen fielen gegen ihn aus, und im Zwiespalt mit dem ihm aufgenötigten liberalen Ministerium nahm er 30. Jan. 1879 seine Entlassung und zog sich in das Privatleben zurück. Eine Bildsäule wurde ihm in Paris errichtet, eine andre 1895 auf dem Schlachtfelde von Magenta feierlich enthüllt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]



Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): Die beiden Auguren (nach Gérôme) können immer noch nicht das Lachen verbeißen, wenn sie sich begegnen. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 36. -- 1873-09-05

Erläuterung:

"Der Illustrator benutzt die Redewendung vom Augurenlächeln, jenem wissenden Lächeln Eingeweihter über einfältige Gläubige, mit dem sich schon im alten Rom die Priester zu begrüßen pflegten. Ein stillschweigendes Einverständnis zwischen den Vertretern beider Konfessionen wird durch diese Zeichnung veranschaulicht.

Vorbild ist ein damals berühmtes Werk des Pariser Modemalers Léon Gérôme [Jean-Léon Gérôme (1824 - 1904)] »die lachenden Auguren« (1866. Der lutherische Superintendent (links) kommt aus der Kirchenkonferenz; seine Bibel hat er vor Lachen zu Boden fallen lassen. Der katholische Bischof (rechts) grüßt grinsend und weist auf die strittigen Dogmen hin, die der regierende Papst Pius IX. verkündet hatte (Unbefleckte Empfängnis Marias, 1854; Unfehlbarkeit des Papstes, 1870). Zu Füßen des Bischofs liegt der 1871 vom Zentrum im Reichstag eingebrachte Adressentwurf. Er forderte den Schutz des deutschen Kaisers für den Papst und rief den Spott der meisten Abgeordneten und Journalisten hervor."

[Quelle für Bild und Erläuterung: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 524]


1874


Dem roten Kaulbach1. -- In: Berliner Wespen. -- 1874-04-10

Gleichwie den Feind das Schwert des Helden trifft,
Vernichtend, tödlich, also traf dein Stift
Die finstern Heuchler und die Pfaffen.
Und spräch' die Kunstgeschichte nicht,
Dass jedes Werk, das du geschaffen,
Den ew'gen Lorbeerkranz dir flicht,
So sagte es der Fluch, den die Zeloten2
Nachrufen dir in das Reich der Toten.

Erläuterungen:

1 Kaulbach: Wilhelm von Kaulbach (gestorben am 1874-04-07): zeichnete gelegentlich antiklerikale Karikaturen für die Münchner Leuchtkugeln

"Kaulbach, Wilhelm von, geb. in Arolsen den 15. Oktober 1805, gest. in München den 7. April 1874. Aufgewachsen unter dem Einfluss von Cornelius, dem er 1825 nach München folgte, wurde er der beliebteste und meistbeschäftigte Freskenmaler Deutschlands, in dessen repräsentativem Schaffen Erotik kaum Platz zu haben scheint. Und doch ist sie selbst hier zu finden, freilich nicht unverhüllt, aber in gelegentlichen Andeutungen, die in ihrer versteckten Lüsternheit das bildnerische Seitenstück zur Literatur Claurens bilden. Ausgesprochen und ganz ungehemmt erotisch gibt er sich aber nur in Gelegenheitsarbeiten, die neben seiner »großen« Kunst entstanden, meist Zeichnungen, wie die Darstellung einer Amme mit entblößten Riesenbrüsten (in der Sammlung Pachinger-Linz) und das sehr derbe Blatt: »Wer kauft Liebesgötter?«, eine Art Parodie auf die Darstellung Rambergs (s. d.), auf der die Amoretten durch geflügelte Phalli ersetzt sind, die mehr geleitet als abgewehrt die erogenen Zonen der Frauen aufsuchen. Ob auch ein Ölbild, das Phallus und Scheide in Vereinigungs-Stellung zeigt und unter seinem Namen geht, wirklich ihm gehört, ist allerdings zweifelhaft. Auch die witzigen Zeichnungen zu den »Galanten Exerzitien des Pater Benedikt« (s. d.) werden ihm zugeschrieben, wenngleich ein zwingender Beweis hiefür nicht vorliegt. - Fb."

[Quelle. Bilderlexikon der Erotik. -- Wien, 1928 - 1932: Bilderlexikon der Erotik. -- Berlin : Directmedia Publ., 1999. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; Bd. 19). --ISBN 3-932544-24-2. -- s.v.]

2 Zeloten: Eiferer, Fanatiker

[Quelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- S. 73]



Abb.: Der Fuldaer Konferenz Ende: Das Fuldaer Kreisblatt bestätigt gegenüber der "Germania", dass auf der Bischofskonferenz Friedensvorschläge erörtert, aber in der Minderheit geblieben sind: "Alles beim Alten". -- In: Berliner Wespen. -- 1874-07-10

[Bildquelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- Abb. 1.]



Abb.: Das Jubel- oder Ablass-Jahr: Es wird fortgesündigt. -- In: Berliner Wespen. -- 1874-08-28

Erläuterung: Jubeljahr

"Jubeljahr (lat. Annus jubilaei oder Jubilaeum, eigentlich Jobeljahr, v. hebr. jobel, Art Horn oder Posaune; in Luthers Übersetzung [3. Mos. 25,8ff.] Halljahr, Erlassjahr), bei den Hebräern nach siebenmal sieben Sabbatjahren (s. d.) jedes 50. Jahr, das am 10. Tischri (am Versöhnungstag) unter Posaunenschall in Palästina verkündigt ward. Während desselben musste alle Feldarbeit ruhen, die hebräischen Knechte wurden frei, veräußerte Grundstücke (Häuser in ummauerten Städten und dem Heiligtum gelobte Äcker ausgenommen) kamen ohne Kaufschilling wieder an den ursprünglichen Besitzer oder seine rechtmäßigen Erben zurück, und alle Schulden wurden erlassen. Der Hauptzweck dieser Einrichtung war, die von Moses beabsichtigte Gleichheit unter den Güterbesitzern zu erhalten und eine soziale Wiedergeburt des Staates zu bewirken.

Das Jubeljahr (Jubiläum) in der römisch-katholischen Kirche ist aus der immer mehr wachsenden Neigung der Gläubigen, nach Rom zu den Gräbern der Apostel zu wallfahrten, entstanden. Die um die Jahrhundertwende 1300 besonders gesteigerte Wallfahrtssucht benutzte Papst Bonifatius VIII., um den Pilgern, wenn sie 15, den Einheimischen, wenn sie 30 Tage lang die Basiliken der Apostelfürsten Petrus und Paulus besuchten, vollkommenen Ablass (s. d.) zu verheißen und alle 100 Jahre Wiederholung in Aussicht zu stellen. Der große Erfolg, welcher der päpstlichen Kasse und der Stadt Rom zugute kam, veranlasste schon Clemens VI., diese Frist auf 50 Jahre, Urban VI., sie auf 33 Jahre herabzusetzen. Durch Paul II. wurde sie auf 25 Jahre festgesetzt. So wurde das J. 1350, 1390, 1423, 1450, 1475, 1500 etc. gefeiert. Zu den genannten Kirchen waren inzwischen die Lateranbasilika und Santa Maria Maggiore hinzugekommen. Nachdem bis 1825 die Jubiläen regelmäßig gehalten worden waren, entstand eine Pause bis 1900, wo Leo XIII. das Jubeljahr  mit besonderm Pomp gefeiert hat. Die Feier beginnt am Christabend. Der Papst lässt die bisher vermauerte heilige Pforte (Jubelpforte, Goldene Pforte) der Peterskirche unter mannigfachen Zeremonien (s. Hammer, S. 702) öffnen, und Papst und Klerus ziehen in feierlicher Prozession in die Kirche. Am 24 Dez. des folgenden Jahres wird die Pforte unter entsprechenden Zeremonien wieder vermauert. Drei Kardinäle als Legaten des Papstes vollziehen den gleichen Ritus in den andern Kirchen.

Von den Jubiläen sind die außerordentlichen Jubiläumsablässe (indulgentiae ad instar jubilaei, plenariae in forma jubilaei) zu unterscheiden, welche die Päpste bei besondern, das allgemeine Wohl der Kirche betreffenden Anlässen ausschreiben und die auch in der Heimat gewonnen werden können. Solche Jubiläen fanden unter Leo XIII. 1879, 1881 und 1886 statt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Bildquelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- Abb. 13.]



Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): Ein komischer Kauz: Seine Euligkeit der Bischof Ketteler am Abend des 2. September 1874. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 36. -- 1874-09-05

Erläuterungen:

Der 2. September ist "Sedantag" zur Erinnerung der Kapitulation der französischen Armee im Deutsch-französischen Krieg am 2. September 1870. Bischof Wilhelm Ketteler hat am 1874-08-22 in einem Erlass den Geistlichen der Diözese Mainz jede Art kirchlicher Teilnahme an den Sedanfeiern untersagt.

"Ketteler (Kettler), Wilhelm Emanuel, Bischof von Mainz, geb. 25. Dez. 1811 in Münster, gest. 13. Juli 1877, wurde in der Jesuitenanstalt zu Brig in der Schweiz erzogen, studierte die Rechte, war 1834-38 Referendar in Münster, schied aber infolge des Kölner Bischofstreites aus dem Staatsdienst, studierte in München und Münster Theologie, erhielt 1844 die Priesterweihe und wurde 1846 Pfarrer. 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, erregte er Aufsehen durch eine freimütige Rede, die er am Grabe des ermordeten Fürsten Lichnowski hielt. 1849 Propst an der Hedwigskirche in Berlin geworden, im Juli 1850 auf den Bischofssitz zu Mainz berufen, verfolgte er konsequent das Ziel, die Staatsgewalt zur Dienerin der Kirche zu machen. Durch Einführung von Schulbrüdern und Schulschwestern, die Errichtung von katholischen Waisen- und Rettungshäusern, eines Priesterseminars und Knabenkonvikts brachte er die Jugenderziehung in die Gewalt des Klerus, durch Stiftung klösterlicher Institute, auch einer Jesuitenniederlassung in Mainz (1858), und mannigfaltiger religiöser Vereine erzog er die Bevölkerung in ultramontanem Geiste. Die rechtlichen Zustände in der oberrheinischen Kirchenprovinz bekämpfte er in der Schrift »Das Recht und der Rechtsschutz der katholischen Kirche in Deutschland«. Von der katholischen Großherzogin unterstützt, errang er von dem reaktionären Minister Dalwigk in einer geheimen Konvention vom 23. Aug. 1854 bedeutende Zugeständnisse: der Staat verzichtete auf seine Patronatsrechte, seine Mitwirkung bei der Besetzung des Bistums, das Placet, das Aufsichtsrecht über das katholische Vereinswesen und die geistlichen Lehranstalten, überließ dem Bischof die Heranbildung des Klerus allein (die katholisch-theologische Fakultät in Gießen ging ein), gestattete freien Verkehr mit Rom und die Herstellung einer geistlichen Gerichtsbarkeit. Daneben suchte K. durch eine vielseitige Beteiligung an der sozialen Bewegung (z. B. »Die Arbeiterfrage und das Christentum«, 4. Aufl., Mainz 1890) dem Einfluss der Kirche auf den Arbeiterstand die Wege zu bahnen. Auch fügte er sich rasch und mit Geschick in die 1866 in Deutschland eingetretene Wendung der politischen Verhältnisse (»Deutschland nach dem Krieg von 1866«, 6. Aufl., Mainz 1867). Als treuer Anhänger des Papsttums wohnte er 1854 der Publikation des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis in Rom bei, feierte im Juni 1855 mit großem Pomp das 1100jährige Säkularfest des heil. Bonifatius und war 1860 und 1867 wieder in Rom. Auf dem Konzil 1870 bekämpfte er das Unfehlbarkeitsdogma als nicht zeitgemäß, tat noch 15. Juli einen (vergeblichen) Fußfall vor Pius IX., unterwarf sich aber schon im August und verteidigte das Dogma in verschiedenen Hirtenbriefen. Seitdem stand er an der Spitze der ultramontanen Partei im Kampfe gegen das Deutsche Reich und die preußische Kirchengesetzgebung, ward 1871 in den deutschen Reichstag gewählt, legte aber sein Mandat bald zugunsten seines Domkapitulars Moufang nieder. An den Versammlungen der preußischen Bischöfe in Fulda nahm er regelmäßig teil und vertrat hier die Politik des unbedingten Widerstandes gegen die staatliche Gesetzgebung, untersagte 1874 sogar in den Kirchen seiner Diözese die Feier des Sedantages und nannte den Rhein einen katholischen Strom. Er starb auf der Rückreise von Rom im Kloster Burghausen in Oberbayern. K. besaß bedeutende Gelehrsamkeit, große geistige Begabung, Gewandtheit und Schlagfertigkeit im mündlichen wie schriftlichen Gebrauch der Rede und hielt als hartköpfiger Westfale zäh an seinen Zielen fest, bis er sie erreichte. Von seinen zahlreichen Schriften sind noch zu erwähnen: »Freiheit, Autorität und Kirche« (7. Aufl., Mainz 1862); »Die wahren Grundlagen des religiösen Friedens« (3. Aufl. 1868); »Die Katholiken im Deutschen Reiche, Entwurf zu einem politischen Programm« (5. Aufl. 1873); »Das allgemeine Konzil und seine Bedeutung« (5. Aufl. 1869); »Die Zentrumsfraktion auf dem ersten deutschen Reichstage« (Mainz 1872). Kettelers »Predigten« (Mainz 1878, 2 Bde.), »Briefe von und an W. E. Freih. v. K.« (das. 1879) und »Hirtenbriefe« (das. 1904) gab Raich heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Bildquelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 527]


1875



Abb.: Die deutschen Bischöfe schreiben in ihren Fastenbriefen einen kräftigen Stil. -- In: Berliner Wespen. -- 1875

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 110.]



Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): In der Schlangen-Grotte (Nach einem Tableau der "Reise um die Welt in 80 Tagen"): Phileas Fogg-Bismarck: Nur nicht ängstlich!. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 14. -- 1875-04-02

Erläuterung: In 80 Tagen um die Welt (Originaltitel: Le tour du monde en quatre-vingt jours) ist ein Roman von Jules Verne, veröffentlicht 1873, über einen britischen Gentleman, Phileas Fogg Esq., der mit seinem Diener Passepartout aufgrund einer Wette in seinem Herrenclub zu einer Reise um die Welt in 80 Tagen aufbricht und turbulente Abenteuer erlebt.

"Von links nach rechts: die »Fraction Kullmann« und der Journalist Johann-Baptist Sigl, Gründer und Leiter der wiederholt verspotteten klerikalen, preußenfeindlichen Münchner Tageszeitung Das Bayrische Vaterland, sowie das französische Schlagwort »Revanche«. Oben rechts, über Bismarcks Kopf, geifert eine Kreuzotter, deutlich als »Kreuz-Zeitung« gekennzeichnet, die seit dem Bruch Bismarcks mit den Konservativen (1872) Kampfartikel gegen den Reichskanzler schleuderte. Auch die »päpstliche Encyklika« vom 5. Februar 1875, in der Pius IX. die gesamte preußische Kirchengesetzgebung für ungültig erklärte, gehört zu den gefährlichen Schlangen der Grotte. Bismarcks unversöhnlichste Gegner - die »Welfenpartei« (die als Anhängerin der 1866 abgesetzten hannoverschen Dynastie mit dem Zentrum verbündet war), die am »Bischofshut« erkennbare hohe katholische Geistlichkeit sowie Papst Pius IX. persönlich (Schlangenkopf mit Tiara) - zeigen ihre Giftzähne. Nicht zu vergessen {ganz unten) die »Socialdemokratie«, die bald Bismarcks Hauptfeindin werden sollte."

[Quelle von Bild und Erläuterung: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 527]



Abb.: Die neue Hermannsschlacht. -- In. Berliner Wespen. -- 1875-04-30

Hermann-Bismarck zu Marbod-Falk:
"Denn eh' doch, seh ich ein, erschwingt der Kreis der Welt
Vor dieser Mordbrut keine Ruhe,
Als bis das Raubnest ganz zerstört,
Und nichts, als eine schwarze Fahne,
 Von seinem öden Trümmerhaufen weht!"
(Kleist) [Heinrich von Kleist (1777-1811): Die Hermannsschlacht : Drama (1808). -- 5. Akt]

[Bildquelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- Abb. 15.]



Abb.: Ritter, Tod und Teufel (nach Albrecht Dürer). -- In: Berliner Wespen. -- 1875-06-11

[Bildquelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- Abb. 3.]



Abb.: Visionen: Nach dem unmäßigen Kulturgenuss wird auch der Kater nicht auf sich warten lassen. -- In: Berliner Wesepen. -- 1875-06-25

[Bildquelle: Jürgensmeier, Friedhelm <1936 - >: Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900. -- Trier : Neu, 1969. -- XVIII, 265 S. : 6 Bl. Abb. ; gr. 8. -- Zugleich: Diss., Univ. Gregoriana. Rom.  -- Abb. 16.]



Abb.: Abschied vom Beichtstuhl: "Heiliger Gabriel! Was für schöne Sünden habe ich hier absolviert!". -- In: Berliner Wespen. -- 1875

[Quelle: Wendel, Friedrich <1886 - >: Die Kirche in der Karikatur : eine Sammlung antiklerikaler Karikaturen, Volkslieder, Sprichwörter und Anekdoten. -- Berlin : Der Freidenker, 1927. -- 154 S. : Ill. -- S. 136.]


1876



Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): Die Kultur und ihr Führer. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 43. -- 1876-10-27

Der Kosak: "Marsch nach der Türkei!" — Die Kultur: "Um Gottes Willen, — in solcher Begleitung komme ich ja gar nicht lebendig hin!"

Erklärung: Bezieht sich auf den von Russland geschürten Serbisch-Türkischen Krieg

"1875 brach in der Herzegowina, angeblich durch Steuerdruck hervorgerufen, ein Aufstand aus. Durch zwei befestigte Lager hielt die Pforte Serbien in Schach und schnitt die Insurgenten von Montenegro ab; Ignatiew erzwang jedoch eine Verlegung der türkischen Truppen von der montenegrinischen Grenze. Da wurden in Saloniki 6. Mai 1876 der deutsche und der französische Konsul von fanatischen Mohammedanern, nicht ohne Verschulden der Behörden, ermordet. Die Pforte wurde rasch den strengen Genugtuungsforderungen der Mächte gerecht; doch ihre Isolierung stieg. Russland erlangte von den beiden verbündeten Kaiserhöfen die Zustimmung zu dem sogen. Gortschakowschen Memorandum, das die Schuld an dem Nichtgelingen der Befriedung der Herzegowina lediglich dem Sultan beimaß und unter Androhung wirksamerer Maßregeln einen zweimonatigen Waffenstillstand verlangte, um mit den Insurgenten wegen des Friedens zu unterhandeln.

Alle Schichten der osmanischen Nation waren überzeugt, dass Russland auf das Verderben der Pforte sinne, und dass Eigennutz und Unverstand den Großherrn und seinen ersten Wesir dem Erbfeind als Gehilfen zuführten. Am 10. Mai 1876 forderten bewaffnete Softas (theologische Studenten) Entlassung Mahmuds, Entfernung Ignatiews und Krieg gegen Montenegro. Umsonst suchte der Sultan durch Berufung Mehemed Rüschdis auf den Posten Mahmuds sich aus der Verlegenheit zu ziehen. Am 29. Mai vereinigte sich der neue Großwesir mit dem Kriegsminister Hussein Avni und Midhat Pascha, den ältesten Sohn Abd ul Medschids, Murad V., auf den Thron zu erheben. In der Nacht zum 30. Mai ward die Palastrevolution ohne Blutvergießen durchgeführt. Abd ul Asis wurde 4. Juni in dem Palaste Tschiragan auf Befehl der Minister ermordet; man gab vor, er habe sich durch Aufschneiden der Pulsadern selbst getötet. Am 15. Juni wurden zwei Minister, darunter der energische Hussein Avni, im Hause Midhats von einem tscherkessischen Offizier ermordet.

Unterdessen war 4. Mai der von Russland vorbereitete Ausrottungskrieg der Bulgaren gegen ihre in der Minderzahl befindlichen mohammedanischen Mitbürger ausgebrochen, doch bald blutig gedämpft. Nunmehr überschritt Serbien 2. Juli die Grenze, um den aufständischen Nachbarprovinzen den Frieden wiederzugeben, durch Russland mit Geld, Waffen, Munition und Mannschaften unterstützt. Siege bei Alexinatz (Ende Oktober) eröffneten jedoch den Türken den Weg in das Herz Serbiens; aber ein Telegramm Alexanders 11. aus Livadia vom 30. Okt. 1876 legte ihnen unter Androhung sofortigen diplomatischen Bruches binnen 24 Stunden Einstellung ihrer Operationen auf. Inzwischen war Murad V. wahnsinnig geworden (gest. 29. Aug. 1904); 31. Aug. 1876 folgte ihm sein Bruder Abdul Hamid II. Er unterzeichnete 31. Okt. die Waffenstillstandsakte, berief seine Truppen zurück und gewährte Serbien 28. Febr. 1877 einen Frieden unter Herstellung des Status quo ante.

Gleich nach dem Abschluss des serbisch-türkischen Waffenstillstandes hatte England eine Konferenz vorgeschlagen, die unter Wahrung der Integrität des Osmanenreiches für die slawischen Balkanprovinzen eine selbständige Verwaltung feststellen sollte. Bei ihrem Zusammentritt in Konstantinopel ließ Midhat Pascha, seit 22. Dez. 1876 Großwesir, den Sultan seinem Reich eine Verfassung oktroyieren, die, 23. Dez. 1876 publiziert, die völlige Rechtsgleichheit aller Pfortenuntertanen verkündete. Die Konferenz endigte ergebnislos."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. "Türkisches Reich"]

[Bildquelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 635]


1877


Über Kultur und Zivilisation. Rede aus dem Russischen. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 1. --1877-01-05

Europa! Wir, die Machthaber des ewigen Russlands, rüsten uns diesen Augenblick, die Kultur in das Land der Barbarei, welches die Türkei heißt, zu führen. Denn länger darf die Türkei nicht dastehen, ein Aschenbrödel, in der von Humanität durchleuchteten und durchwärmten Welt. 

Wir müssen die Kultur wie ein Blitz aus heiteren Wolken auf die Türken niederfahren lassen, und wenn wir sie alle niedermetzeln sollten. Sträuben sie sich, die Kultur aus unseren Händen zu empfangen, so darf kein Türke und sei er noch so gebrechlich, sei er noch so jung, am Leben bleiben! Kann die Türkei denn noch so weiter existieren, versunken in geistiger Nacht? Nein, tausendmal, nein! 

(Redner lässt die Frauen, welche an dem nihilistischen Putsch vor der Muttergottes Kirche von Kasan beteiligt waren, bevor sie nach Sibirien transportiert werden, durchpeitschen.) Sieh, Europa, so machen es die Türken! Denn wo Kultur fehlt, da fehlt auch die Achtung von dem weiblichem Geschlecht, und ich lasse bloß die Weiber peitschen, um zu zeigen, wie scheußlich das ist! 

(Redner gestattet allen russischen Beamten, sich bestechen zu lassen.) Und nun wenden wir uns zu diesem widerlichen Schauspiel, an welchem Du siehst, wie fürchterlich es ist, wenn der Reiche das Gesetz beugen und brechen darf und der Arme mit Fußtritten von der Gerechtigkeit ausgeschlossen wird! Die siegende Kultur wird ein derartiges Drama unmöglich machen, und wir werden deshalb in der Türkei für sie kämpfen und ihr den Sieg verschaffen! 

(Redner befiehlt, mehrere Dörfer im Kaukasus dem Erdboden gleichzumachen und alle ihre Bewohner zu massakrieren. Während dies geschieht, schließt er seine Rede.) Und nun wirf einen Blick auf diese haarsträubende Szene, Europa, die in der Türkei nicht zu den Seltenheiten gehört. Mit blutendem Herzen haben wir sie arrangiert, um Dir zu zeigen, wohin Unkultur zu führen vermag. Du wirst aufatmen, wenn wir erst die Türkei aus ihren Krallen befreit und mit den Segnungen der Zivilisation erfüllt haben. Kein Wort der Entgegnung, oder Du bist eine Leiche!

[Quelle: http://www.berliner-wespen.de/1877/Cultur_und_Civilisation.htm. -- Zugriff am 2004-10-29]

Erläuterung: Anlass ist der unmittelbar bevorstehende neunte russische Türkenkrieg (1877/1878), den Alexander II. am 24. April 1877 "um die Lage der Christen auf der Balkan-Halbinsel zu erleichtern" erklärt.


Der Orientalische Krieg. (Originalberichte vom Kriegsschauplatz.). -- In. Berliner Wespen. -- Nr. 18. -- 1877-05-04
Vorbemerkung der Redaktion.

Das große und gerechtfertigte Misstrauen, mit welchem das in Zeitungen blätternde Publikum den Briefen aus Hauptquartieren etc. entgegenkommt, hat auch uns veranlasst, einen unserer ownsten Korrespondenten, Herrn Wippchen, der bereits mehrere Eröffnungen des Bockbierausschanks und zwei Generalversammlungen einer Baugesellschaft mitgemacht hat, auf den Schauplatz der orientalischen Frage abzusenden.

Kaum war diese Absicht ruchbar geworden, so meldeten sich auch bereits vier Direktoren von renommierten Lebensversicherungs-Instituten, welche sich bereit erklärten, das Leben unseres Wippchen gegen jede im Kriege drohende Gefahr unter den billigsten Bedingungen zu versichern.

Gestern nun ist unser Herr Wippchen, vom herrlichsten Wetter begünstigt, um 11 Uhr Vormittags abgereist. Abends hatten wir schon seinen ersten Bericht aus Bernau, den wir hier folgen lassen:

I.

Bernau, 3. Mai 1877.
 
W. Nach zweistündiger Fahrt bin ich hier angekommen und fand in diesem freundlichen Hussitenstädtchen eine fern vom Geräusch der Eisenbahn gelegene Wohnung, wo ich mich mit Muße meiner Aufgabe widmen zu können hoffe. Ich gedenke, Ihnen täglich eine größere Schlacht zu liefern. Die Lage Bernaus, das steht fest, ist eine dem Unternehmen durchaus günstige, da es möglich ist, von hier aus täglich zwei Mal nach dem Kriegstheater abzureisen, aber noch häufiger nach Berlin zu schreiben.

Schon auf der Eisenbahn sprach man viel davon, dass die Würfel gefallen seien und der Janustempel wohl so bald nicht wieder in die Scheide gesteckt werden würde. Darüber war man sich auch am Abend vor meiner Abreise im "Kaiserhof" bereits ganz einig geworden.

Leider bin ich nicht mit den nötigen Karten versehen. Mein Stieler, nach welchem ich in der Schule Geographie lernte, ist doch veraltet, auch fehlt darin die Karte von der Türkei fast gänzlich. Indes höre ich, dass in Bernau die Kölnische Zeitung und die Neue freie Presse gehalten werden, mit deren Hülfe ich hoffe, mich leicht orientalisieren zu können.

Vortrefflich war die Idee, mich abreisen zu lassen. Denn ein Kriegsberichterstatter, das steht fest, darf nicht fortwährend in der Stadt, in welcher seine Berichte gedruckt erscheinen, gesehen werden.

Das Wichtigste für heute ist, dass der gegenwärtige orientalische Krieg nicht der erste ist. Es haben, das steht fest, schon mehrere stattgefunden, deren keiner mit der Vernichtung Russlands, oder der Türkei geendet hat. Beide erhoben sich stets wieder wie Aphrodite aus der Asche. Dass der Halbmond ein kranker Mann ist, kann ich nicht zugeben. Im Gegenteil glaube ich, dass er gesund ist wie ein Karpfen in Bier, -- würde er wohl sonst die Vielweiberei bis zur Bigamie treiben können?

Freilich, freilich, Russland behauptet jetzt, der Bart des Propheten müsse vom Erdboden rasiert werden, weil die Türkei die Christen verfolge und quäle. Wie aber, wenn nun plötzlich die Türkei sagte, auch in Russland seufzten die Christen unter dem Prokustesbette, und es müsste deshalb den Russen die Kultur auf die Brust gesetzt werden, -- was dann?

Und England! Es wird, das steht fest, nicht dulden, dass sich Russland nach Außen vergrößert. Aber eine Erweiterung im Innern wird es doch mit seiner Armada nicht verhindern können.

Wo ist der Ariadnefaden, der uns aus der Scylla dieses Augiasstalles herausleitet?
Ich schreibe nunmehr meinen ersten Bericht vom Kriegsschauplatz, lege denselben bei und bitte Sie, mir gleich einige von den neuen goldenen Fünfmarkstücken zu senden, auf welche man in Bernau sehr neugierig ist.

  

Leowa, den 24. April
.
W. Die rosenfingerige Eos hatte kaum fünf geschlagen, als ich mich von meiner nackten Erde erhob und an den Pruth eilte, um die russischen Truppen denselben überschreiten zu sehen. Es mochten, das steht fest, 13,000 Mann sein: Tschetschenzen, Svanetier, Ingeschen, Zaporopische Kosaken, Lesghiern, meist erwachsene Leute, welche auf Glatz marschierten. Sie sangen ein Lied, welches ich "die Wacht am Pruth" nennen möchte. Als der General Strobelew mich sah, erklärte er, ich sei ein Spion und verurtheilte mich zu lebenslänglicher Knute. Ich drehte ihm natürlich den Rücken zu, lag aber während dessen schon auf der Regimentsbank, und zwei Kosaken erhoben die Knute des Damokles schon im Todesstreich, als der General erklärte, ich sollte diesmal noch mit blauem Auge davonkommen. Ein Kosak schlug mir ein solches, und der General drückte mir dann die Hand mit der Versicherung, bald sollte in der Türkei kein Christ mehr seufzen. Ich grüßte, indem ich zwei Finger meiner rechten Hand an das Auge legte, und der General setzte seinen Weg fort.

Die Rumänier, welche herbeigeeilt waren, um dem Pruthübergang mit beizuwohnen, fluchten unter weithinschallenden Hurras und schwenkten mit geballten Fäusten die Hüte.

Ich eilte nach Kars, wo ein Scharmützel stattfand.
 
 

Batum, den 26. April.
 
 W. Die Russen und die Türken waren in der Nähe von Batum aneinandergeraten. Ich stand auf einem Leichenhaufen und konnte Alles genau beobachten. Die Türken hieben so furchtbar ein, dass bald ihre sämtlichen krummen Säbel völlig schlank gehauen waren. Die Russen ließen sich dies nicht zweimal sagen und schonten gleichfalls nichts. Der Kanonendonner war schrecklich. Bumm! Bumm! Aber viel lauter! Einmal geriet ich zwischen einen Russen und einen Türken, und Beide schossen zugleich auf mich. Da bückte ich mich rasch, und Beide sanken, Jeder von der mir vom Andern zugedachten Kugel getroffen, entseelt zu Boden. Ich kann von Glück sagen. Charons Sense hat mich wie durch ein Wunder geschont.

Stundenlang wogte das Gefecht. Endlich blieb es unentschieden. Die Russen sowohl, als auch die Türken haben gesiegt. Ermattet von Strapazen und Courage schlief ich endlich auf einer Trommel ein und erwachte erst, als ein Russe einen Wirbel auf mir schlug. C'est la guerre!

Nächstens mehr.

Erläuterung: Anlass ist der neunte russische Türkenkrieg (1877/1878), den Alexander II. am 24. April 1877 "um die Lage der Christen auf der Balkan-Halbinsel zu erleichtern" erklärt hatte.

[Quelle: http://www.berliner-wespen.de/Wippchen/Orientalischer_Krieg_I.htm. -- Zugriff am 2004-10-19]


Über den heiligen Krieg.. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 22. -- 1. Juni 1877- 07-01
 

Nach den kanonischen Gesetzen des Islam braucht der heilige Krieg der "Dschihad", nicht vom Scheikh-ul-Islam, sondern kann, wie die Korankommentatoren schon im 8. Jahrhundert erklärten, von jedem Schriftkenner und im Notfalle sogar von jedem Moslem erklärt werden.

Über die nähere Ausübung dieses höchsten Majestätsrechts seitens des Durchschnittstürken haben uns Quellenstudien im Koran folgendes ergeben:

Sobald der gemeine Moslem sich von einer auswärtigen Großmacht nahegetreten fühlt, ernennt er sich zum vortragenden Rat und dann zum Großwesir und lässt sich als solcher von Ersterem die Sache objektiv vortragen, während er subjektiv zuhört.

Je nach Bedürfnis tritt er dann in diplomatische Verhandlungen mit der Großmacht, oder er erlässt ein Ultimatum an dieselbe. Erhält er wider Erwarten umgehend keine Antwort, so erklärt er ihr den Dschihad und lässt sich die Fahne des Propheten waschen und rollen.

Alsdann verleiht er sich den Medschidjeh-Orden erster Klasse mit krummen Säbeln und lässt sich zum Generalissimus (Serdar Ekrem) aufrücken, worauf er in die feindlichen Gefilde wie ein Heuschreckenschwarm einfällt.

Hat er die feindlichen Heersäulen aufgerollt, wozu er nach dem Koran verpflichtet ist, da ein Dschihad programmmäßig mit der Vernichtung des Gegners enden muss, so verzichtet er großmütig auf Kontributionen und Annexionen, geht heim, degradiert und entflittert sich wieder und tut, als ob Nichts vorgefallen wäre.

[Quelle: http://www.berliner-wespen.de/1877/Heiliger_Krieg.htm. -- Zugriff am 2004-10-29]


1878



Abb.: "An der Himmelspforte". -- Karikatur. -- In: Berliner Wespen. -- 1878

"Wer bist Du?"
"Ich bin der Unfehlbare."
"Du irrst. Es gibt nur Einen Unfehlbaren, und der ist schon seit Ewigkeiten hier. Doch irren ist menschlich, — tritt ein!"

[Quelle: Humor aus zwei Jahrhunderten : das Beste aus illustrierten Blättern für Satire, Witz und Humor / hrsg. u. eingeleitet von Petra Eisele. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1977. -- 208 S. : Ill. -- ISBN: 3-502-30017-8. -- S. 61]


1879


Zahlen beweisen! Aus der "Germania"1. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 39. -- 1879-09-26  
Des leeren Wortgefechtes müde und die Unmöglichkeit erkennend, auf dem abstrakten Boden der Logik, Religion und Metaphysik zu allgemein überzeugenden Resultaten zu gelangen, haben wir, die Redakteure der "Germania", der Zeitung für das deutsche Volk, beschlossen, uns in Zukunft einer strikteren Beweisführung zu bedienen. Wir werden fortan lediglich auf statistischen Quellen fußen, mit der Zahl operieren und dadurch unsere Schlüsse bis zur Evidenz, mathematischer Lehrsätze erheben. Im Kampfe gegen die Juden soll künftig die Addition unser Panzer, die Subtraktion unser Schild, die Multiplikation unser Panier und die Division unser Schwert sein. Mit den vier Spezies wollen wir sie umstellen, mit Regel de tri zusammenschließen, und auf Logarithmentafeln werden wir Halali blasen!

Schon in einer der letzten Nummern unseres Blattes haben wir aus dem Umstande, dass innerhalb der letzten fünf Jahre 196 per Mille Juden, dagegen nur 240 per Mille Katholiken nach Berlin zugezogen sind, bewiesen, dass die jüdische Zuwanderung die relativ bedeutendste ist. Ohne die Anziehung statistischen Materials wäre uns dies natürlich unmöglich gewesen.

Schreiten wir auf diesem Wege fort und betrachten wir die Zustände in anderen Städten! Welche ein schaudervolles Bild entrollt sich da vor unseren Augen! In einer schlesischen Kleinstadt, die wir speziell zu diesem Zweck untersucht haben, stellt sich nach amtlichen Quellen das Verhältnis etwa so: Die Einwohnerzahl betrug 15,000, darunter 12,000 Protestanten, 6000 Katholiken und 300 Juden. In dieser Stadt gibt es mithin dreimal mehr Juden als Protestanten, fünfmal mehr Juden als Katholiken, also fast siebenmal mehr Juden als Protestanten und Katholiken zusammengenommen. Rechnet man die Garnison des Ortes zu etwa 1100 Mann, so ergibt sich das erschreckende Factum, dass in dieser deutschen (!) Stadt auf je einen Christen 13, sage dreizehn, Semiten kommen.

Hierzu rechne man die unglaubliche Fruchtbarkeit jenes Stammes. Von fünf eigens zu diesem Zwecke statistisch untersuchten jüdischen Ehepaaren hatten zwei eine Nachkommenschaft von je drei, eines eine solche von zwei Kindern, während zwei Paare kinderlos waren. Mithin stellt sich der durchschnittliche Kindersegen der Juden auf 11 Stück pro Familie. Ließe man jene 5 Paare sich ungehindert fortentwickeln, so würden sie bereits in der vierten Generation zu der enormen Menge von acht Trillionen Menschen angeschwollen sein und schon lange vorher alle Christen in den Ocean gedrängt haben. Die elementare Pflicht der Selbsterhaltung gebietet mithin, dem Zustandekommen jener Progression bei Zeiten durch Ausrottung einen Riegel vorzuschieben.

Es erscheint dies um so notwendiger, als die Methode des Gelderwerbs bei den Juden mit der Zeit zu den größten Unzuträglichkeiten führen muss. Der Normaljude verdient -- was bei der Schlauheit der Rasse eher zu niedrig gegriffen ist -- eine halbe Mark in der Minute, wovon etwa 45 Pf. auf unlauteren Erwerb entfallen. Rechnet man den Tag zu nur 5000 Minuten, so ist Jener nach einem Monate bereits Millionär. Ließe man eine der oben erwähnten Familien ungestört fortmanövrieren, so würde sie nach Verlauf eine Schaltjahres die erste Kubikmeile Gold besitzen; die folgende Generation würde aus der Goldmenge bereits eine Kugel zu bilden im Stande sein, innerhalb deren der Mond seine Wanderung um die Erde bequem ausführen könnte. Also seid auf dem Posten, Germanen!

Erläuterung:

1 Germania

"Germania, am 1. Jan. 1871 begründete, täglich zweimal in Berlin erscheinende politische Zeitung ultramontaner Richtung, vertritt die Interessen der deutschen Zentrumspartei und des römischen Stuhles unter jesuitischem Einfluß. Eine hervorragende Rolle spielte sie während des Kulturkampfes unter der Leitung Paul Majunkes, der 1878 aus der Redaktion ausschied. Gegenwärtig (1904) ist Chefredakteur H.ten Brink."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Quelle: http://www.berliner-wespen.de/1879/Zahlen_beweisen.htm. -- Zugriff am 2004-10-29]


1880


Muckenichs letztes Wort in dieser Sache. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 30. -- 1880-02-20
Hochverehrter un dreizehnter Leo1!

Wie ick eben von Schnabelkopp höre, -- det is derselbe Schnabelkopp, der mit Henneberg un Hackmeier zusammen bei Klüthe die Jermania mitliest, Sie werden ihn aber trotzdem nich kennen, -- also wie mir dieser Schnabelkopp sagt, haben Sie sich in einem öffentlichen Actenstück jejen die Auflöslichkeit der Ehe ausjesprochen, indem Sie sagen, daß die Ehescheidung die Jesellschaft zerstört. Also es soll nich jeschieden werden, un wenn sich Mann un Frau uf'n Kopp stellen.

Ick nehme an, daß Sie sich noch herumkriejen lassen, indem es ja keene Kunst is, immer auf seine Hinterbeene zu stehen un keene kalte Füße zu kriegen, was nie was Jutes im Jefolge hat. Ick bin nämlich für Scheidung. Denn wenn zwee Leute sich jeirrt haben un sich nich mehr sehen können, oder wenn die Frau ehemannzipirt is un ihren Siegfried hörnt, oder wenn der Jatte heimlich einer Anderen treu is, denn muß man wieder auseinander können. Det sagt Jeder vernünftige Mensch, der seine fünf Sinne zu verzehren hat.

Nehmen Sie zum Exempel an, Ihre jeehrte Frau Jemahlin, die ick ja nich zu kennen das Vergnügen habe, so daß mir der sämmtliche Dolus fehlt, ick sage also, Ihre jeehrte Frau Jemahlin hinterjeht Sie, indem sie mit einem Cardinal, der wie Kind im Vatikan is, hinter Ihrem jeheiligten Rücken allerlei Stelldicheine hat, so daß es schon alle Dompfaffen von die Dächer zwitschern. Oder Ihre jeehrte Frau Jemahlin verschwendet Ihren sauer erworbenen Peterspfennig für den luxuseriösesten Staat, der ja noch immer nich von der Kirche jetrennt is, indem sie, während Sie sich bekanntlich hungrig uf Stroh wälzen, von einem Modeladen in den anderen jeht un Sammt un Seide un Handschuhe mit zwölf echte Knopflöcher trägt. Oder Ihre jeehrte Frau Jemahlin -- ick wiederhole, daß ick sie nich kenne! -- brennt Ihnen böswillig durch, un Sie fühlen sich im Schooße des Cardinal-Collegiums einsam un wollen wieder, wie unser Schiller so schön sagt, den Himmel offen sehen un det Schönste auf den Fluren suchen. Is es in alle diese Fälle nich nöthig wie das liebe Brod, daß Sie jeschieden werden?

Sie werden dies einsehen, verehrungswürdigstes un allerdreizehntstes Oberhaupt, un sich die Sache nochmal reiflich überlejen. Ick bin für Scheidung un jeder Vernünftige jleichfalls un es is ja ooch das Beste. Mit den besten Jrüßen an Ihre jeehrte Frau Jemahlin, die ick, wie jesagt, nich kenne,

Ihr erjebenster
Muckenich.
 
 Nachschrift. Um Jottes Willen, eben sagt mir Schnabelkopp, daß Sie ja als heiliger Vater, Papst un Oberhirte ledig sind und keene Frau haben. Da nehme ick natürlich Allens zurück un finde es sehr natürlich, daß sie jejen die Löslichkeit der Ehe sind. Wie ick Jungjeselle war, habe ick ooch so gesprochen wie Sie!
Der Obige.
Erläuterung:
1 Leo XIII. (1810 1903;  Papst seit 1878)

[Quelle: http://www.berliner-wespen.de/Muckenich/Letztes_Wort.htm. -- Zugriff am 2004-10-29]



Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): Flickwerk: Das Tischtuch, das vor längerer Zeit zwischen Bismarck und dem Papst zerschnitten, wird jetzt wieder zusammengenäht. Da hätte man es doch lieber gar nicht zerschneiden sollen. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 24. -- 1880-06-11

Erläuterung: Anlass ist die Milderung der Kirchengesetzgebung am 1880-07-14 und damit die Beendigung des (1872 begonnenen) Kulturkampfes. Der preußische Kultusminister Robert von Puttkammer serviert eine entsprechende Kirchengesetzvorlage.

"Puttkamer, Robert Viktor von, preuß. Staatsmann, geb. 5. Mai 1828 in Frankfurt a. O., gest. 15. März 1900 auf seinem Gute Karzin in Pommern, studierte die Rechte, trat 1854 in den Staatsverwaltungsdienst, war 1860-66 Landrat in Demmin, 1867-71 vortragender Rat im Bundeskanzleramt, wurde 1871 Regierungspräsident in Gumbinnen und 1874 in Metz. 1873-91 wiederholt Reichstagsmitglied, schloss er sich den Deutschkonservativen an, wurde 1877 Oberpräsident von Schlesien und trat 14. Juli 1879 als Nachfolger Falks an die Spitze des Kultusministeriums, das er in konservativem Sinne verwaltete. Durch Erlass vom 21. Jan. 1880 führte er in den preußischen Schulen eine vereinfachte deutsche Rechtschreibung ein. Nachdem P. 18. Juni 1881 an Stelle des Unterrichtsministeriums das des Innern übernommen hatte, ward er 11. Okt. Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, unter Kaiser Friedrich III. aber 8. Juni 1888 entlassen. Domherr von Merseburg geworden, verwaltete P. 1891-99 das Oberpräsidium von Pommern."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

[Bildquelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 527]




Abb.: Gustav Heil (1826 - 1897): Wenn Berlin unter den Krummstab komt. -- In: Berliner Wespen. -- Nr. 6. -- 1886-02-05

[Bildquelle: Koch, Ursula E. <1935 - >: Der Teufel in Berlin : von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung ; illustrierte politische Witzblätter einer Metropole, 1848 - 1890. -- Köln : Informationspresse Leske, 1991. -- 880 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- (Reihe ilv-Leske-Republik Satire und Macht). -- (ISBN 3-921490-38-3). -- S. 591]


Zu: Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXXVI: Ulk 1872 - 1933

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