Religionskritisches von Christoph Ernst Luthardt

Wirkungen des Kulturkampfes (1880)

von

Christoph Ernst Luthardt


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Luthardt, Christoph Ernst <1823 - 1902>: Wirkungen des Kulturkampfes.  -- 1880. -- Fassung vom 2005-01-24. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/luthardt01.htm       

Erstmals publiziert: 2005-01-24

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erschienen in:

Luthardt, Christoph Ernst <1823 - 1902>: Apologetische Vorträge. -- Leipzig : Dörfling und Franke. -- Teil 4: Die moderne Weltanschauung und ihre praktischen Consequenzen : Vorträge. -- 1880. -- IX, 260 S. -- (Apologie des Christenthums ; 4). -- S. 141ff.

Wieder abgedruckt in:

Geist und Gesellschaft der Bismarckzeit : [1870 - 1890] / [Von] Karl Heinrich Höfele. -- Göttingen ; Zürich ; Berlin ; Frankfurt : Musterschmidt, 1967. --  519 S. ; 8°. -- (Quellensammlung zur Kulturgeschichte ; Bd. 18). -- S. 381 - 383. [Die Wiedergabe folgt diesem Text]


"LUTHARDT, Christoph Ernst, evang.-luth. Theologe, * 22.3. 1823 in Maroldsweisach/Ufr., + 21.9. 1902 in Leipzig.

Luthardt wurde bereits durch seinen Religionslehrer am Nürnberger Gymnasium, Gottfried Thomasius, im Sinne der neulutherischen Erlanger Theologie geprägt. 1841 nahm er als Mitglied der Verbindung Uttenruthia das Theologiestudium in Erlangen auf und hörte u.a. bei Johann Christian Konrad von Hofmann. 1842/3 folgte ein einjähriger Aufenthalt in Berlin, währenddessen Luthardt auch den philosophischen Vorlesungen Leopold Rankes und Friedrich W. J. Schellings beiwohnte. Zurück in Erlangen studierte er bei Adolf G. Chr. von Harleß, Thomasius und Karl von Raumer. 1845 folgte das kirchliche Examen, an das sich die weitere Ausbildung zum Pfarrer im Predigerseminar München und 1846 die Ordination anschlossen. An verschiedenen Gymnasien Münchens wirkte Luthardt als Gymnasialprofessor für die Fächer Religion und Geschichte, bis er 1851 als Repetent an die Erlanger Fakultät zurückkehrte, 1852 mit einer neutestamentlichen Arbeit die Würde eines Lic. theol. erlangte und habilitierte. 1854 wurde er als Professor für Dogmatik und Exegese nach Marburg berufen und 1856 als ordentlicher Professor für systematische Theologie nach Leipzig. Durch Luthardt zog, in Verbindung mit Harleß, Karl Friedrich August Kahnis und Franz Delitzsch die neulutherische Erweckungsbewegung in Leipzig ein. Neben seiner Lehrtätigkeit übernahm Luthardt den Vorsitz der Leipziger Inneren Mission, die Redaktion des sächsischen Kirchen- und Schulblattes und trat außerdem als Prediger in der Universitätskirche auf. Über Leipzig hinaus wurde er berühmt durch seine oft aufgelegten und sogleich in mehrere Sprachen übersetzten apologetischen Vorträge. Er war maßgeblich beteiligt an der Gründung der gegen die preußische Union und den Liberalismus gerichteten Allgemeinen lutherischen Konferenz (1868), begründete und leitete deren Organ, die Allgemeine ev.-luth. Kirchenzeitung (AelKZ). Außerdem gab er die Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches Leben (ZKWL, 1880-89) und das Theologische Literaturblatt (ThLBl) heraus. Ehrungen: Konsistorialrat, Domherr von Meißen, Geh. Kirchenrat, Geheimrat.

Luthardt gehört der neulutherischen konfessionellen Theologie an, mit der er die Leipziger theologische Fakultät über Jahrzehnte prägte und die er kirchenpolitisch wirksam werden ließ. Sein wissenschaftliches Werk lässt keinen über die neulutherisch-konfessionelle Position hinausgehenden originären Standpunkt erkennen; insgesamt darf jedoch die Wirkung Luthardts seinerzeit und auf seine zahlreichen Schüler, sowie auf ganze Generationen von Studenten, die mit seinem dogmatischen Kompendium gearbeitet haben, nicht unterschätzt werden. Seine apologetischen Schriften sind noch nicht hinreichend ausgewertet worden."

[Quelle: Johannes Neukirch. -- http://www.bautz.de/bbkl/l/luthardt.shtml. -- Zugriff am 2005-01-24]  


Wirkungen des Kulturkampfes1

Soll ich offen über diesen Kampf sprechen, so muss ich, so voll und ganz ich den Widerspruch gegen die unerträglichen Prätensionen2 Roms als berechtigt anerkenne, doch die Art und Weise, wie man staatlicherseits diesen Kampf geführt hat, nicht bloß für eine Überschreitung der richtigen Grenzen, sondern, was in der Politik vielleicht schlimmer ist, für einen Fehler erklären. Man hat das Terrain nicht genugsam erkannt, auf dem man den Krieg etablierte; man hat den Feind nicht genugsam gewürdigt, den man bekämpfte; man hat sich in der Tragweite der Waffen getäuscht, die man gebrauchte; man hat in der Weise der Kriegsführung fehlgegriffen, ähnlich etwa, wie wenn man im Krieg gegen Frankreich Steinmetz3 statt Moltke4 zum Chef des Generalstabes gemacht hätte; und man hat vor allem aus dem Krieg zu sehr einen Prinzipienkampf gemacht, statt bloß Fakta zu bekämpfen. Der Staat aber kann nicht gegen Prinzipien kämpfen; man kann, wie Luther sagt, auf Geister nicht mit dem Schwert einhauen, und die Mittel der Gewalt, die dem Staat allein zu Gebote stehen, sind gegenüber Überzeugungen machtlos.

Dem entsprechen nun auch die Wirkungen. Die erste üble Wirkung war eine große Verwirrung der Gemüter. Es ist doch übel, wenn der Staat Handlungen bestraft, welche als rein religiöse und als Gewissensnötigungen gelten, und wenn dadurch die Strafe in den Augen des Volkes den Charakter der Strafe verliert und zum Gegenteil wird. Es ist wenig förderlich für die Autorität des Staates und seiner Strafen, wenn das Gefängnis auch in den Augen vieler Besseren nur einen Anspruch auf um so größere Hochachtung zu verleihen beginnt. Kurz, der Staat kann nicht gegen einen großen Teil seines eigenen Volkes Krieg führen ohne tiefe Schädigung des sittlichen Bewusstseins nach allen Seiten. Das war die erste Wirkung.

Die Stärkung der römischen Kirche war die zweite. Wenn das Vatikanische Konzil5 eine Gefahr für die römische Kirche schien, so haben jene staatlichen Maßnahmen dazu gedient, die Gefahr in ihr Gegenteil zu verwandeln. Sie haben der römischen Kirche die größten Dienste geleistet. Vielleicht niemals ist die römische Kirche in Deutschland so geeint, so fest um ihre Bischöfe und Priester geschlossen, so römisch und ultramontan6 und so selbstbewusst gewesen wie jetzt. Dies ist die Wirkung jenes Kampfes. Der Staat mag immerhin Hunderttausende von Strafgeldern erheben und seinen Willen gegen Bischöfe und Geistliche durchsetzen, er mag in seinem Bereich die äußere Organisation der römischen Kirche zerbrechen — er kann es, denn er hat die Macht; aber wenn ein Krieg die Wirkung hat, den Feind nur mehr zu einigen und zu stärken, so wird man ihn schwerlich siegreich nennen können. Ist die römische Kirche eine Feindin des Staates, wie man sagt, so hat man den Feind nicht geschwächt, sondern erst recht stark gemacht. Und ich fürchte sehr, man wird das noch zu erfahren bekommen, wenn der Friede wieder eintritt und die Bischöfe in ihre Diözesen wieder zurückkehren; denn einmal muss dies doch geschehen. Ich sage das nicht, weil ich etwa ein Freund der römischen Kirche wäre und ihr den Sieg wünschte und gönnte. Im Gegenteil. Ein richtiger Lutheraner wird ein Freund der katholischen Volksgenossen, kann aber kein Freund des römischen Stuhls und seiner Politik sein. Wir wissen, dass das römische System eine schriftwidrige Unwahrheit und dass Rom unserer Kirche und dem Evangelium stets und unversöhnlich feind ist. Aber eben um deswillen und weil wir jenes Resultat voraussahen, eben darum sind wir von vornherein Gegner dieses sogenannten Kulturkampfes und seiner Maigesetze gewesen. Wir wussten, dass die römische Kirche nur den Vorteil davon haben würde.

Und dass die evangelische Kirche den Schaden davon haben würde. Und das ist die dritte Wirkung. Die evangelische Kirche ist nicht darauf eingerichtet, zum Staate im Kriegszustande zu stehen. Sie hat von vornherein sich vertrauensvoll dem Staat in Hut und Pflege gegeben. Wir werden vielleicht sagen dürfen: zu vertrauensvoll. Denn sie hat sich damit allzu sehr der Möglichkeit eigener Initiative und selbständiger Aktion begeben. Wenn daher der Staat sich gegensätzlich zu ihr stellt und seine Gesetze als Kriegswaffen gegen sie handhabt, steht sie dem Staate viel wehrloser gegenüber und hat viel schwerer darunter zu leiden als die römische Kirche, die ihr eigenes Haus bewohnt, das sie nötigenfalls zur Festung einrichten kann, während die evangelische Kirche beim Staat zur Miete wohnt, also von ihrem Hausherrn abhängig ist. Und wie kam sie dazu, in gleicher Weise behandelt zu werden wie jene, da sie doch weder etwas verbrochen noch, wie allen bekannt, dem Staate gefährlich sein kann? Um der Parität willen, sagte man. Es ist aber eine wunderliche Parität, dass der Gehorsame mit dem Ungehorsamen gezüchtigt werden soll, weil er etwa dessen Bruder oder Vetter ist. Hat der Staat gegen die römische Kirche auf der Hut zu sein und reichen die Mittel der Gewalt nicht aus, sondern bedarf er geistiger und moralischer Hilfen, so hat er ja keine bessere Bundesgenossin als die evangelische Kirche. Es ist eine wunderliche Kriegspolitik, den besten Bundesgenossen zu schwächen.


Erläuterungen:

1 Kulturkampf:

"Kulturkampf

1. Vorgeschichte und Ausbruch
2. Stufen des Kampfes
3. Widerspiel der Kräfte und Umschwung
4. Ergebnis

1. Der schon vorher geläufige Ausdruck Kulturkampf wurde durch die am 17.1.1873 im preußischen Landtag gehaltene Rede R. Virchows zum politischen Schlagwort für die Auseinandersetzung des Deutschen Reiches mit der kath. Kirche. Die Sache, d. h. der Zusammenstoß der modernen liberalen Gesellschaft mit den restaurativen Tendenzen des Katholizismus, ist älter und begegnet auch außerhalb Deutschlands. Durch den die freie Forschung bedrohenden Syllabus (1864) und das Vatikanum (1870) fühlte sich der moderne Kulturstaat in seiner Grundlage angegriffen und herausgefordert. Der Konflikt mit dem preußischen Staat in der Mischehenfrage hatte zur Bildung ultramontaner Parteien geführt ( Ultramontanismus). Die vom Liberalismus 1848 errungene Vereins- und Versammlungsfreiheit kam nicht zuletzt der kath. Kirche zugute. Anderseits entwickelte diese gerade jetzt unter Pius IX., bes. unter dem Eindruck der den Kirchenstaat bedrohenden italienischen Einheitsbewegung ( Italien, 5), einen starken Zug zur Erhöhung und Befestigung der kirchlichen Lehrautorität unter scharfer Abweisung aller nationalen, liberalen Strömungen in Gesellschaft und Kultur. Höhepunkt dieser Entwicklung bildete das Vatikanum von 1870. Vorangegangen waren eine Reihe staatsrechtlicher Erfolge (durch den Abschluss von Konkordaten mit Österreich und Spanien und die Wiedererrichtung der Hierarchie in England und Holland). Die außenpolitischen Vorgänge der 60er Jahre hatten allerdings zu einer Reihe von Gegenstößen geführt. Abgesehen von Italien, wo der Kirchenstaat 1870 verlorenging, hatte in Österreich nach der Niederlage von Königgrätz eine liberale Opposition die bisherige Konkordatspolitik abgelehnt, was zu einem Kulturkampf führte, der erst 1874 sein Ende fand. Ähnliche antirömische Bewegungen, wenn auch auf kantonaler Grundlage, entstanden in der Schweiz mit der Tendenz zu einem schroffen Staatskirchenrecht. - In Deutschland ging der erste, zu einer gesetzgeberischen Maßnahme führende Anstoß zu einem Kulturkampf von dem kath. Bayern aus, das streng staatskirchliche Prinzipien vertrat: auf dessen Antrag nahm der Reichstag ein Gesetz über den Mißbrauch der Kanzel an (10.12.1871). Vorstellungen des bayerischen Ministerpräsidenten Hohenlohe zwecks Maßnahmen gegen das Vatikanum wies Bismarck zurück, weil es sich hier um eine innere Angelegenheit der kath. Kirche handele und man abwarten müsse, welche Folgen sich für den deutschen Episkopat daraus ergäben. Erste Schwierigkeiten zeigten sich, als der Fürstbischof von Breslau den Staat um ein Eingreifen gegen einen Theologie- Prof. wegen antikurialer Publizistik ersuchte. Solange mit solchen Beschwerden noch nicht der Vorwurf des Vergehens gegen ein Dogma verbunden war, blieben Kirche und Staat bemüht, einen offenen Konflikt zu vermeiden. Zudem hoffte Bismarck, dass über dem Vatikanum eine größere Krisis innerhalb der Kirche ausbrechen würde, was sich jedoch bald als Irrtum herausstellte. Als der Erzbischof von Köln mit kirchlichen Maßnahmen gegen Professoren der kath.-theol. Fakultät Bonn vorging und vom Staat erwartete, dass er sich ihm anschließen würde, reagierte Bismarck mit Aufhebung der kath. Abteilung im preußischen Kultusministerium. Damit war im Grunde der Kampf eröffnet, der bald eine Verschärfung dadurch erfuhr, dass der Bischof von Ermland dem in Braunsberg als Religionslehrer tätigen, das Vatikanum ablehnenden Kaplan Wollmann die missio canonica entzog und ihn schließlich zusammen mit einem anderen Lehrer exkommunizierte.

2. a) War für Bismarck jede Einschränkung der Staatsräson an sich schon ein unerträglicher Gedanke, so ist sein Entschluss zum Kampf noch mehr durch die Neubildung der früheren preußischen kath. Fraktion zur Zentrumspartei bestimmt worden. Das Zentrum machte sich zum Sprecher aller durch die Entscheidungen von 1866 und 1870/71 überrannten Volksgruppen und mobilisierte nicht nur Katholiken, sondern auch Welfen und Polen unter Ausnutzung der Verfassung gegen das Reich. In dieser Opposition gegen sein Werk erblickte Bismarck den Aufstand aller Reichsfeinde, und in der Verkoppelung mit dem römischen Katholizismus das Wiedererstehen des »uralten Machtstreites zwischen Königtum und Priestertum«, der ihn an die Zeiten des Investiturstreites erinnerte, auf den er mit den berühmten Worten »Nach Canossa gehen wir nicht!« anspielte. Vor den Abgeordneten erinnerte er sogar an die antike Sage, in der Agamemnon mit seinen Sehern in Aulis stritt, die Tochter opfern musste und die griechische Flotte am Auslaufen gehindert wurde. So steigerte sein leidenschaftliches Temperament den Charakter des Kulturkampfs, indem er ihn auf der dunklen Folie eines säkularen Prinzipienkampfes in unermessliche Perspektiven rückte. Bismarck wusste genau, dass er mit seinem Kampf gegen den politischen Katholizismus auch die »Stimmgabel« in Rom anrühre; das Zentrum sei nur »Vorposten«, das »eigentliche Heer steht hinter den Alpen«. - Entsprechend ihrer Zuständigkeit und der damit ermöglichten Wirkung wurde der Kulturkampf vom Reich und von den Einzelstaaten aus geführt. Zu gesetzgeberischen Maßnahmen kam es auch in den außerpreußischen Ländern (namentlich in Baden und Hessen), aber in Preußen, der Vormacht des deutschen Protestantismus, waren sie bes. einschneidend. Hier trat eine Verschärfung dadurch ein, dass der vorsichtige und zurückhaltende Kultusminister v. Mühler im Jan. 1872 durch Ad. Falk ersetzt wurde. Als Erbschaft übernahm Falk das von Mühler bereits vorbereitete Gesetz über die staatliche Schulaufsicht, das am 11.3.1872 in Kraft trat. Anlass dazu hatten jene Fälle (wie etwa in Braunsberg, s. 1) gegeben, wo Lehrer, die den vatikanischen Beschlüssen nicht zustimmen konnten, deswegen kirchlich gemaßregelt, z. T. sogar exkommuniziert worden waren und von der geistlichen Aufsichtsbehörde an der Ausübung ihres Staatsamtes gehindert wurden. Das Gesetz sah formal keinen Ersatz der geistlichen Schulaufsicht durch eine weltliche vor - »im staatlichen Auftrage« hatte auch bisher die geistliche Schulaufsicht ihre Funktionen ausgeübt -, aber jetzt wurde der Auftrag nur bei staatspolitischer Zuverlässigkeit erteilt. Gegen dieses Gesetz erhoben auch Bismarcks ehemalige Gesinnungsfreunde, die prot. Konservativen, Einspruch; denn aus ihrer traditionellen Auffassung vom Wesen des christlichen Staates vermochten sie die Priorität der ganz weltlich verstandenen Staatsräson nicht anzuerkennen. Bismarck wiederum hat diese »Fahnenflucht« der Konservativen mit besonderem Grimm verfolgt. - Die im Sommer 1872 als Reichsgesetz verfügte Ausweisung der Jesuiten (und der diesen verwandten Orden und Kongregationen) ging wie der erwähnte (s. 1) »Kanzelparagraph« auf einen Antrag Hohenlohes zurück, der in seinem Entwurf noch radikaler war als der verabschiedete Wortlaut des Gesetzes.

b) Den Höhepunkt erreichte der Kulturkampf durch die sog. preußischen »Maigesetze« von 1873, die, ergänzt durch die auf ihnen fußenden Strafbestimmungen von 1874-75, wesentlich das Werk Falks waren. Ob er damit seinen Auftrag erfüllt hat, die Rechte des Staates der Kirche gegenüber »mit möglichst wenig Geräusch« wiederherzustellen, muss im Blick auf die Wirkung bezweifelt werden. Anderseits ist der spätere Vorwurf Bismarcks, Falk habe »die juristischen Einzelheiten psychologisch nicht richtig gegriffen«, ebenso ungerechtfertigt wie die Selbstverteidigung, dass er (Bismarck), körperlich ermattet, Ende 1872 das Ministerpräsidium vorübergehend an den Kriegsminister v. Roon abgetreten, zumeist auf seinem pommerschen Gut geweilt und die Gesetze ungelesen unterschrieben habe. Tatsächlich hat er sie, trotz seiner geschwächten Gesundheit, nicht nur durchgearbeitet, sondern auch ohne Beanstandung kontrasigniert. Sie griffen tief in das Eigenleben der Kirche ein. Als Auftakt wurden die kirchenpolitischen Artikel der Grundrechte der preußischen Verfassung (die das Zentrum 1870 in die Reichsverfassung übernommen wissen wollte) außer Kraft gesetzt oder mit abschwächenden Zusätzen versehen und bald ganz aufgehoben. Damit waren die Voraussetzungen für die nachfolgenden Gesetze geschaffen. Ihre wesentlichen Bestimmungen waren: Die Ausbildung der Geistlichen sollte nur auf staatlichen Schulen und Universitäten erfolgen, ihre Anstellung nach dem theologischen Examen von dem Bestehen eines sog. »Kulturexamens« abhängig gemacht werden. Die von der Kirche Disziplinierten sollten das Berufungsrecht an einen staatlichen Gerichtshof haben; diesem stand zugleich das Recht zu, Geistliche abzusetzen, deren Amtstätigkeit den öffentlichen Frieden störe. Überhaupt sollte die geistliche Disziplinargewalt nur von deutschen kirchlichen Behörden ausgeübt werden, Straf- und Zuchtmittel allein dem religiösen Gebiet angehören. Für die Anstellung jedes Geistlichen bestand Anzeigepflicht beim zuständigen Oberpräsidenten. Schließlich sah ein weiteres Gesetz Erleichterungen über den Kirchenaustritt vor, der künftig vor einem Amtsgericht erklärt werden konnte. Die weiteren Gesetze der Jahre 1874-75 bezogen sich wesentlich auf die Auswirkungen der Maigesetze und enthielten Strafbestimmungen bis zur Sperrung der Staatszuschüsse und der staatlichen Vermögensverwaltung. Das für das ganze Reich gültige Ausweisungsgesetz vom 4.5.1874 war eine Antwort auf die Erklärung der preußischen Bischöfe, die sich weigerten, den Gesetzen nachzukommen, und »das Prinzip des heidnischen Staates, dass die Staatsgesetze die letzte Quelle alles Rechtes seien«, verwarfen. Grundsätzlich galten die Gesetze für beide Kirchen. Das Gesetz über die obligatorische Einführung der Zivilehe (9.3.1874), dem 1875 als Reichsgesetz die Bestimmung über die Einrichtung von staatlichen Standesregistern zur Beurkundung des gesamten Personenstandes folgte, traf ungleich schwerer die ev. Kirche, weil es gleichsam mit einem Schlage, bes. in den Großstädten, den Fortschritt in der Entkirchlichung der Massen enthüllte.

3. a) Bismarck hat den Kampf mit der vollen parlamentarischen Unterstützung des Liberalismus geführt, der auch publizistisch zum eigentlichen Träger des Kampfes in der deutschen Öffentlichkeit wurde, wobei der freisinnige Flügel in der Polemik auch seinen atheistischen und materialistischen Fortschrittsglauben und einen naiven Wissenschaftsoptimismus allem kirchlichen Wesen gegenüber aufbot. Die Nationalliberalen waren in der Sprache zurückhaltender und sachlicher. H. v. Treitschke, der in seinen Preußischen Jahrbüchern den Kulturkampf zustimmend kommentierte, hob sich von dem Ton der »Presskosaken« ausdrücklich ab, meinte aber in seiner Verteidigung der Maigesetze, dass »die altprot. Scheu vor der unergründlichen Schlauheit der Ultramontanen heute, da wir die Richtung näher kennengelernt, endlich überwunden sein sollte« (vgl. Deutsche Kämpfe II, 18973, 92). Wie immer jedoch im einzelnen die Argumentation lautete, der doktrinäre Zug war so wenig zu übersehen wie der Widerspruch in der Bejahung der Zwangsgesetze zum sonst vertretenen Prinzip der Freiheit. Ohne Zweifel unterschied sich Bismarck weltanschaulich von den Motiven der Liberalen. Aber die Glut seiner zornigen Leidenschaft riss die antikonservativen, von einem nationalen Staatsenthusiasmus erfüllten Kräfte des liberalen Besitz- und Bildungsbürgertums mit. Dass er sich wesentlich auf sie stützte, war jedoch rein politischer Opportunismus, weil sich ihm die Konservativen versagten. Diese schon seit 1866 in sich gelockerte Partei ist über dem Kulturkampf fast völlig zersprengt worden. Gerade die Kritik, die er von seinen altkonservativen Standesgenossen erfuhr (z. B. Kleist-Retzow, M. v. Blanckenburg, L. v. Gerlach, der als Hospitant sogar zum Zentrum hinüberschwenkte), hat Bismarck in seinem Kampf letztlich nur gestärkt. Seine Motive waren mannigfach, aber in der Tiefe zusammengehalten durch das von ihm mit Eifersucht bewachte Prinzip der Staatsräson. Die kath. Kirche wollte er nie treffen, aber er wollte sie auch nicht als Teilhaberin der Macht anerkennen, am wenigsten in der Form einer politisch-parlamentarischen Vertretung. So berührten manche Gesetze, die auch bestehengeblieben sind (Schulaufsicht, Zivilstand), seine grundsätzlichen kirchenpolitischen Ziele, in denen er mit den Auffassungen von Fr. Fabri übereinstimmte. Am liebsten hätte Bismarck auch den ev. Summepiskopat aufgehoben, wenn er hier nicht auf den unnachgiebigen Widerstand des Kaisers gestoßen wäre, der den Kulturkampf ohnehin nur seufzend duldete und dauernd unter höfischen und orthodoxen Einflüssen stand, aus denen ihn Bismarck immer wieder herauslöste. Der Kulturkampf, der Bismarck vereinsamte, hat seinem persönlichen prot. Christentum fortan einen politischen Akzent gegeben.

b) Am unerschüttertsten blieb in den Jahren des Kulturkampfs das Zentrum, auf dessen Zertrümmerung es Bismarck wesentlich abgesehen hat. Von Haus aus historisch-legitimistisch und konservativ, in seinem Führungsstab aus den Besiegten von 1866 gebildet, besaß es in Männern wie Windthorst, Reichensperger und Mallinckrodt Politiker, die sich dem unitarischen Zug des von Preußen gelenkten Staates entgegenstemmten. In der Frage der Anerkennung des Vatikanums bestand innerhalb der Partei anfänglich durchaus keine Einmütigkeit. Aber Bismarcks Hoffnung, dass durch Abspaltung der Altkatholiken eine kath. nationalkirchliche Bewegung entstehen werde, wurde in dem Augenblick zunichte, als er mit der Eröffnung des Kulturkampfs zum Schlag gegen die »Reichsfeinde« ausholte. Jetzt musste er erleben, dass hinter der parlamentarischen Opposition auch seelische Kräfte standen, die mit den Mitteln des Polizeistaates nicht zu bewältigen waren. Die Wahlen von 1873 und 1874 brachten einen ungeahnten Anstieg des Zentrums, das im Reichstag beinahe die Stimmenzahl der Nationalliberalen erreichte. Auch die Kampfgesetze erwiesen sich mitsamt ihren harten Strafbestimmungen als eine stumpfe Waffe. Von dem angeordneten »Kulturexamen« machten nur ev. Kandidaten Gebrauch. Die Absetzung, Inhaftierung und Verbannung von Priestern (auch die Erzbischöfe Ledochowski von Posen und Melchers von Köln wanderten ins Gefängnis oder ins Exil) blieb auf die kath. Bevölkerung ohne Wirkung; sie stellte sich hinter die Gemaßregelten und mied die Gottesdienste der »Staatspfaffen«. Von 12 Bistümern in Preußen waren 1877 nur noch vier nach kanonischem Recht besetzt. Das misslungene Attentat des kath. Böttchergesellen Kullmann auf Bismarck in Kissingen zeigte, wie stark die Erregung angestiegen war. Auch die Kurie blieb unbeweglich. Bismarcks Depesche vom 14.5.1872 an die europäischen Regierungen, sich über die nächste Papstwahl zu verständigen, blieb ohne vernehmbares Echo, was die oft erörterten außenpolitischen Motive Bismarcks für den Kulturkampf hinreichend charakterisiert. Um 1875 war zweifellos zu erkennen, dass der Versuch Bismarcks gescheitert war, gegen Rom eine Einheitsfront herzustellen. Dennoch hat es noch eine Zeitlang gedauert, bis der Kanzler aus dieser schweren Niederlage die Konsequenzen zog.

c) Die eigentlich von allen Seiten erwünschte Neuorientierung im Sinne einer Aufweichung der erstarrten Fronten führten verschiedene Umstände herbei. Am meisten drängte der Kaiser; ihm war Falks liberaler Kurs, der auch in einer entsprechenden Führung des Ev. Oberkirchenrats spürbar war, von Anfang an zuwider. Eine Vertrauenskrise wurde 1877 noch einmal beseitigt, indem Falk einer Umbesetzung des Oberkirchenrats im Sinne der orthodoxen Richtung zustimmte. Auch auf kath. Seite trat eine Ermattung ein, als von den schärfsten Opponenten Mallinckrodt und Bischof Ketteler durch den Tod ausschieden. Entscheidend aber wirkte der Wechsel im Pontifikat. Der im Februar 1878 Papst gewordene Leo XIII. bewies dadurch, dass er Wilhelm I. seine Inthronisation anzeigte und anlässlich der Attentate auf den Kaiser diesem sein Beileid aussprach, dass er gewillt sei, die von seinem Vorgänger abgebrochenen Beziehungen zu Preußen wieder aufzunehmen. Auch Bismarck selbst war zum Einlenken bereit, wenn das Zentrum für die geplante Änderung seiner Wirtschaftspolitik stimmte, die das Ende der liberalen Ära einleiten sollte. Die Zertrümmerung der Nationalliberalen, die sich der konservativen Wendung des Kanzlers nicht beugen wollten, brachte nach den Wahlen von 1878 ganz neue Mehrheitsverhältnisse, bei denen Konservative und Zentrum den Ausschlag gaben. Wenn das Zentrum der ersten Versuchung, dem Sozialistengesetz zuzustimmen, geschickt ausgewichen war, so stimmte es der Zoll- und Finanzpolitik der Regierung zu. Dennoch bestanden noch viele Schwierigkeiten, die Partei auch zum Einlenken in der Kirchenpolitik zu bewegen. »Extra Centrum nulla salus« sagte Windthorst auf einem im Mai 1879 von Bismarck gegebenen Bierabend. Die ersten diplomatischen Fühlungnahmen mit dem Vertreter der Kurie und folgende, von beiden Seiten mit größter Zurückhaltung geführte Verhandlungen zeigten, dass man den Vatikan nicht gegen das Zentrum ausspielen könne. Aber auch Bismarck gab unzweideutig zu erkennen, dass die Forderung der Wiederinkraftsetzung der s. Z. aufgehobenen kirchenpolitischen Verfassungsartikel für die Regierung unannehmbar sei. So gerieten die Verhandlungen ins Stocken und kamen auch durch den unabweisbar gewordenen Rücktritt Falks (Ende Juni 1879) nicht in Fluss. Da tat der Papst den ungewöhnlichen Schritt, indem er an Bismarck am 18.12.1879 einen persönlichen Appell richtete, »die Eintracht zwischen Priester- und Kaisertum« wiederherzustellen. Dieser verstand die Bedeutung des Anrufs. Indem er den sich als Gefangenen im Vatikan betrachtenden Papst durch die souveränen Monarchen gebührende Anrede »Sire« ehrte, schuf er auch formal die Vorbedingungen zu einer fruchtbaren Annäherung und brachte in seiner Antwort zum Ausdruck, dass der Weg zur praktischen Regelung einzelner Fragen, ohne grundsätzliche Lösungen anzustreben, frei wäre, wenn sich die Kurie z. B. mit der vom Staat geforderten Anzeigepflicht bei der Besetzung geistlicher Stellen einverstanden erkläre. Der Papst war damit zunächst einverstanden, das Zentrum allerdings entsetzt. Abermals kam es zu einem Stillstand. Jetzt ergriff Bismarck die Initiative, indem er von 1880 bis 1887 in fünf »Kirchenpolitischen Novellen« die Kampfgesetze »revidierte«. Die diplomatischen Beziehungen zum Hl. Stuhl wurden durch die Entsendung Kurd v. Schlözers wieder aufgenommen. Den bisweilen wegen der Renitenz des Zentrums noch zögernden Papst wusste Bismarck u. a. dadurch zu gewinnen, dass er ihn bei der Besetzung der Karolinen als Schiedsrichter zwischen dem Reich und Spanien anrief. In Erinnerung daran, dass das Papsttum einst im Zeitalter der Entdeckungen die koloniale Welt zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt hatte, fällte Leo XIII. ein salomonisches Urteil: formal blieb Spanien Besitzer der Inseln, aber das Reich erhielt die wirtschaftlichen Nutzungsrechte. Bismarck erhielt als erster Protestant (neben dem leitenden spanischen Minister) vom Papst als Auszeichnung den Christusorden mit Brillanten, der Kardinalstaatssekretär Jacobini von Wilhelm I. den Schwarzen Adlerorden. Ein entscheidender Vermittler in der Beilegung des Kulturkampfs wurde der Fuldaer Bischof Georg Kopp. Einer anlässlich des 90. Geburtstages des Kaisers nach Berlin kommenden päpstlichen Gesandtschaft war es zu danken, dass das Zentrum seinen Widerstand aufgab.

4. Von der Kulturkampfgesetzgebung blieben bestehen: die staatliche Schulaufsicht, die Zivilstandsgesetze und das Verbot der Niederlassung der Jesuiten. Von den übrigen Orden sollten nur die der Seelsorge, der Barmherzigkeitsübung und ähnlichen, rein religiös-erbaulichen Zielen dienenden zugelassen werden. Anstelle des Kulturexamens trat die obligatorische Verpflichtung der Abiturientenprüfung. Bestehen blieb die jetzt ihres Kampfcharakters entkleidete Anzeigepflicht geistlicher Stellenbesetzung und die Außerkraftsetzung der kirchenpolitischen Grundrechteartikel in der preußischen Verfassung. - Der Abbau des Kulturkampfs ist allgemein als eine diplomatische Meisterleistung Bismarcks angesehen worden, und auch der kath. Geschichtsschreiber des Zentrums (Bachem) hat von der größten sittlichen Tat in Bismarcks Leben gesprochen. Man wird bei aller Bewunderung des politischen Geschicks bei der Revision des zu spät erkannten Irrtums jedoch nicht übersehen dürfen, welche Zerstörungen der Kulturkampf angerichtet hat. Neben der Verfolgung der Sozialdemokratie (: I) war er der verhängnisvollste Fehlschlag Bismarcks. Er hat im Nationalbewusstsein des kath. Deutschen Wunden geschlagen, die lange Zeit zur Heilung brauchten, und er hat die bestehenden Ressentiments gegen den autoritären, »prot.«-preußischen Polizeistaat vertieft. Anders hat die ev. Kirche den Kulturkampf zu spüren bekommen. R. Kögel sagte auf der Generalsynode von 1879: »Rom hat man befehden wollen und Wittenberg geschlagen.« Die im Zuge der modernen Gesellschaftsentwicklung gewiss nicht aufzuhaltende Einführung des Zivilstandes kam im Blick auf die rückständige Verfassung der ev. Kirche zu überraschend und musste als politische Kampfmaßnahme die ev. Begründung völlig verdecken. Nachhaltiger waren die indirekten Wirkungen. Im Katholizismus erstarkte der Eifer für Organisation und Institution. Das Anliegen der Reformation, auf das man sich wie auf Luther im Kulturkampf berufen hatte, erschien jetzt engstens gekoppelt mit der liberalen Weltanschauung, wodurch das Bild Luthers als des nationalen Helden verzeichnet wurde. Der Triumph der Staatsräson, die sich auch in der Taktik des Rückzugsgefechts behauptete und gleichsam verkörpert war in der Person Bismarcks (in der nachfolgenden Generation galt er vielfach als Prototyp eines christlichen Staatsmanns), hat mit dazu beigetragen, dass das Problem der politischen Verantwortung des christlichen Staatsbürgers aus der kirchlichen Diskussion ausgeschlossen blieb.

[Quelle: Karl Kupisch <1903 - 1982>. -- In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG3). -- Bd. 4. -- 1960. -- Sp 109 ff.]
 

2 Prätension: Anmaßung

3 Steinmetz

"Steinmetz, Karl Friedrich von, preuß. Generalfeldmarschall, geb. 27. Dez. 1796 in Eisenach, gest. 4. Aug. 1877 im Bad Landeck, im Kadettenhaus erzogen, trat 1813 als Leutnant in das 1. Regiment, mit dem er fast alle Gefechte und Schlachten des Yorckschen Korps 1813-14 mitmachte, ward mehrere Male verwundet und erwarb sich das Eiserne Kreuz. 1818 wurde Steinmetz in das 2. Grenadierregiment versetzt, 1820 zur Kriegsschule, 1824 zum topographischen Bureau kommandiert, 1829 Hauptmann geworden, erhielt Steinmetz 1839 als Major das Düsseldorfer Gardelandwehrbataillon und 1841 ein Bataillon Gardereserve in Spandau. Im Kriege gegen Dänemark 1848 in Schleswig führte er das 2. Infanterieregiment, wurde Ende des Jahres Kommandeur des 32. Infanterieregiments, 1849 Oberstleutnant, 1851 Oberst und Kommandeur des Kadettenkorps, 1854 Kommandant von Magdeburg und Generalmajor, 1857 Kommandeur der 3. Gardeinfanteriebrigade, im Oktober der 1. Division in Königsberg, 1858 Generalleutnant, 1862 kommandierender General des 2., 1864 des 5. Korps und General der Infanterie. An der Spitze des 5. Korps im Verbande der zweiten Armee siegte Steinmetz 27. Juni 1866 bei Nachod, am 28. bei Skalitz und am 29. bei Schweinschädel über drei österreichische Korps und erbeutete 2 Fahnen, 2 Standarten, 11 Geschütze und machte gegen 6000 Gefangene. Durch den Schwarzen Adlerorden sowie eine Dotation ausgezeichnet, ward Steinmetz 1867 in den norddeutschen Reichstag gewählt. 1870 erhielt er das Oberkommando der ersten Armee, die den rechten Flügel des deutschen Aufmarsches bildete, entsprach jedoch den gehegten Erwartungen nicht, da er sich eigensinnig dem Operationsplane nicht fügen wollte. Als bei Gravelotte durch seinen unzeitigen Kavallerieangriff bei St.-Hubert die Schlacht verloren zu gehen drohte, wurde Steinmetz danach dem Prinzen Friedrich Karl unterstellt und, da er sich diesem nicht fügte, 15. Sept. zum Generalgouverneur der Provinzen Posen und Schlesien bestellt, aber 8. April 1871 zum charakterisierten Generalfeldmarschall befördert, zu den Offizieren von der Armee versetzt, und lebte darauf in Görlitz. Steinmetz war ein rauher und herber Vorgesetzter, aber ein diensteifriger Offizier von großer Strenge gegen sich selbst. Seit 1889 trägt das westfälische Füsilierregiment Nr. 37 den Namen Füsilierregiment v. Steinmetz"

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Moltke

"Moltke, Helmuth Karl Bernhard, Graf von, preuß. Generalfeldmarschall, geb. 26. Okt. 1800 zu Parchim in Mecklenburg-Schwerin, gest. 24. April 1891 in Berlin, der Sohn des damaligen preußischen Hauptmanns a. D., spätern dänischen Generalleutnants Viktor von Moltke (gest. 1845) und Henriettens, geborne Paschen (gest. 1837), besuchte 1811-17 die dänische Landkadettenakademie in Kopenhagen, ward 1819 dänischer Leutnant und trat 1822 in das preußische Heer. Zuerst beim 8 Leibregiment in Frankfurt a. O. eingestellt, kam Moltke 1832 in den Generalstab, unternahm 1835 eine Reise in den Orient, die ihn dem Sultan Mahmud nahebrachte, so dass er, für mehrere Jahre beurlaubt, der Ratgeber des Sultans bei den von diesem beabsichtigten militärischen Reformen wurde. Auch an dem türkischen Feldzuge gegen Mehemed Ali (1839) nahm Moltke teil, wo der türkische Oberbefehlshaber, seinen Rat verschmähend, bei Nisib geschlagen wurde. Über den Aufenthalt in der Türkei (vgl. Reinh. Wagner, Moltke und Mühlbach zusammen unter dem Halbmonde 1837-1839, Berl. 1893) schrieb er: »Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835-1839« (das. 1841, 6. Aufl. 1893) und »Der russisch-türkische Feldzug in der europäischen Türkei« (das. 1845, 2. Aufl. 1877). Nach Mahmuds Tod 1839 heimgekehrt, trat Moltke wieder in den Generalstab des 4. Armeekorps, ward 1842 Major und erlangte unterm 21. Okt. 1843 die Erlaubnis, das Freiherrenprädikat fortzuführen, machte jedoch nur selten Gebrauch davon. Seit 1845 Adjutant bei dem in Rom lebenden Prinzen Heinrich von Preußen und nach dessen Tod Ende 1846 Adjutant beim Generalkommando am Rhein, wurde Moltke 1848 zum Abteilungsvorstand im Großen Generalstab ernannt; 1849-55 war er Chef des Generalstabs des 4. Armeekorps und dann Adjutant des Prinzen Friedrich Wilhelm (spätern Kaisers Friedrich). 1858 an die Spitze des Generalstabs der Armee getreten und 1859 Generalleutnant geworden, erwarb er sich um die Ausbildung der Generalstabsoffiziere durch eigne Vorträge wie durch stete Leitung und Überwachung ihrer Arbeiten große Verdienste. Er verfasste großenteils den Operationsentwurf für den deutsch-dänischen Krieg und wurde Ende April 1864 Generalstabschef des Prinzen Friedrich Karl, des Oberbefehlshabers der Alliierten. Im Juni 1866 zum General der Infanterie ernannt, begleitete er den König in den böhmischen Feldzug, wohnte der entscheidenden Schlacht von Königgrätz bei, leitete dann den Vormarsch der Preußen gegen Wien und Olmütz und führte die Verhandlungen in Nikolsburg, denen der Waffenstillstand vom 2. Aug. folgte. Vom König mit dem Schwarzen Adlerorden ausgezeichnet, erhielt Moltke von der Nation eine Dotation. Unermüdlich betrieb er sofort die Beseitigung aller Mängel in der Organisation und Taktik der Armee, die sich namentlich bei der Kavallerie und Artillerie herausgestellt hatten, bereitete zugleich alles für den erwarteten Entscheidungskampf mit Frankreich vor und arbeitete bereits 1868 einen genauen Mobilmachungs- und Feldzugsplan aus, der sich bei dem Ausbruch des Krieges 1870 glänzend bewährte. Die ohne Störung bewerkstelligte Beförderung der Heeresmassen auf der Eisenbahn, der Aufmarsch der drei Armeen am Rhein sowie die Leitung der Kriegsoperationen selbst erfüllten alle Welt mit Bewunderung und Vertrauen in seine Leitung. »Getrennt marschieren, vereint schlagen« war sein leitender Grundsatz. Am 28. Okt. 1870 wurde Moltke in den Grafenstand erhoben, 22. März 1871 erhielt er das Großkreuz des Eisernen Kreuzes und wurde 16. Juni Generalfeldmarschall; er erhielt auch eine bedeutende Dotation, die er zur Stiftung eines Familienfideikommisses verwandte, und ward von zahlreichen Städten zum Ehrenbürger ernannt. Nie verließen ihn aber seine Bescheidenheit und seltene Anspruchslosigkeit. Seit 1867 ununterbrochen dem Reichstag, seit 28. Jan. 1872 dem preußischen Herrenhaus angehörig, erfüllte er mit unermüdlicher Gewissenhaftigkeit seine Pflichten als Abgeordneter. Eine Sammlung seiner parlamentarischen Reden erschien in der »Kollektion Spemann« (Stuttg. 1889). Auf sein dringendes Verlangen 9. Aug. 1888 als Chef des Generalstabs entlassen, wurde er zum Präses der Landesverteidigungskommission ernannt. Sein 90. Geburtstag 26. Okt. 1890 wurde mit besondern Ehren gefeiert. Seine Leiche ward auf seinem Gute Kreisau in Schlesien beigesetzt. Vermählt (aber kinderlos) war er seit 1841 mit der Stieftochter seiner Schwester, Marie v. Burt, geb. 5. April 1825, gest. 24. Dez. 1868 (vgl. Frh. v. Brockdorff, Marie v. Moltke, ein Lebens- und Charakterbild, Leipz. 1893, 2. Aufl. 1901). Der Grafentitel nach dem Rechte der Erstgeburt ist mit dem Besitz des Fideikommisses Kreisau verbunden, ging nach des Feldmarschalls Tod auf dessen ältesten Neffen Wilhelm (geb. im September 1845, gest. 12. Jan. 1905 als Kommandeur der 20. Division in Hannover) und danach auf dessen ältesten Sohn, Graf Helmuth (geb. 1876), über.

Moltkes vielseitige, tiefe und edle Geistesbildung prägt sich auch in seinen Werken aus. Die vom preußischen Generalstab unter seiner Leitung herausgegebenen Werke über den italienischen Feldzug 1859, den Krieg von 1866, den deutsch französischen Krieg 1870/71 und den deutsch-dänischen Krieg sind auch stilistisch mustergültig. Die »Briefe aus Russland« (Berl. 1877, 4. Aufl. 1892) sind eine Übersetzung der 1856 an seine Gattin in Dänemark gerichteten und damals in »Dagens Nyheder« veröffentlichten Tagebuchblätter Moltkes. Das »Wanderbuch« (Berl. 1879, 6. Aufl. 1891) enthält Aufzeichnungen aus Rom, Spanien und Paris, auch eine Karte von Konstantinopel und dem Bosporus und eine der Umgebung von Rom gab er heraus. Die »Gesammelten Schriften und Denkwürdigkeiten des Generalfeldmarschalls Grafen Helmuth v. Moltke«, darunter eine »Geschichte des deutsch-französischen Kriegs 1870/71« und 3 Bände Briefe, erschienen in 8 Bänden (Berl. 1891-93); ihnen folgten die »Militärischen Schriften« (das. 1892 bis 1904), herausgegeben vom Generalstab in drei Abteilungen, I: »Militärische Korrespondenz« (4 Tle. in 6 Bdn.); II: »Die Tätigkeit als Chef des Generalstabes der Armee im Frieden« (2 Tle.); III: »Kriegsgeschichtliche Arbeiten« (2 Tle.). Eine Volksausgabe seiner »Schriften« in 3 Bänden (Berl. 1899) enthält 2 Bände Briefe (auch besonders, 1901) und die »Geschichte des deutsch-französischen Krieges«.  ...

Moltkes Namen führt seit 1873 das Fort Nr. 2 (früher Reichstett) von Straßburg, seit Oktober 1887 eine Kriegskorvette, seit 1889 das schlesische Füsilier- Reg. Nr. 38. 

Die ersten Bildnisse Moltkes von Künstlerhand kamen nach dem Kriege von 1866 in die Öffentlichkeit (Lithographien von Süßnapp und Engelbach in Berlin) und wurden dann nach 1870 sehr zahlreich, auch auf größern Geschichtsbildern. Die ersten sind die von A. v. Werner (Moltke vor Paris, Moltke in seinem Arbeitszimmer in Versailles), der später noch die Einzelfiguren von Moltke für das Rathaus in Saarbrücken und Moltke in russischer Generalfeldmarschallsuniform und Moltkes neunzigster Geburtstag (Gruppenbild, für Kaiser Wilhelm II.) gemalt und Moltke auf dem Totenbett gezeichnet hat. Von Einzelbildnissen sind noch die von J. Schrader (gestochen von Hans Meyer) und die zahlreichen von F. Lenbach (darunter auch Moltke ohne Perücke), der am tiefsten in das geistige Wesen Moltkes eingedrungen ist, zu nennen. - Sehr zahlreich sind auch die plastischen Darstellungen, Büsten (von R. Begas in der Nationalgalerie zu Berlin, von A. Donndorf in Stuttgart, von Otto Lessing), Statuetten (von Silbernagel und C. v. Uechtritz) und Denkmäler. Zu Moltkes Lebzeiten wurden ihm Denkmäler in seiner Geburtsstadt Parchim (von Brunow) und in Köln (von Schaper) errichtet. Es folgten später Zerbst (von Fr. Pfannschmidt), Schweidnitz (von E. Seger), Breslau (von C. v. Uechtritz), Mannheim (von Uphues). 1905 wurde das vom deutschen Heere gestiftete Moltkedenkmal in Berlin (ebenfalls von Uphues, s. Tafel »Berliner Denkmäler I«, Fig. 3) enthüllt. Als Nebenfigur erscheint Moltke bei dem Siegesdenkmal in Leipzig (Reiterstatue von R. Siemering) und bei den Kaiser Wilhelm-Denkmälern in Görlitz (von Pfuhl), in Chemnitz (von Ruemann) u. Prenzlau (von Schilling)."

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5 [Erstes] Vatikanisches Konzil

"Vatikanisches Konzil, nach der Zählung der römischen Kirche die 20. ökumenische Kirchenversammlung, tagte vom 8. Dez. 1869 bis 20. Okt. 1870 und brachte die katholische Lehrbildung durch Definierung der päpstlichen Unfehlbarkeit zum Abschluss. Seit dem Scheitern der großen Reformkonzile des 15. Jahrh. war die absolute Bedeutung des Papsttums auch auf dem Gebiete der Lehre tatsächlich entschieden. Sie auch kirchenrechtlich vollzogen zu sehen, gehörte schon lange zu den Lieblingsideen Pius' IX. Seit 1864 war der Entschluss in ihm gereist, zu diesem Zweck ein Konzil zu berufen. Das vage Programm des Einberufungsschreibens vom 29. Juni 1868 unzweideutig auszulegen übernahmen die Jesuiten in der »Civiltà cattolica«. Die in jenem Schreiben erwähnte Heilung der allgemeinen Weltübel sollte durch Bestätigung des Syllabus (s. d.) vom 8. Dez. 1864, durch die Dogmatisierung der Himmelfahrt Marias und vornehmlich der päpstlichen Unfehlbarkeit erfolgen. Dass dadurch das Verhältnis der Kirche zum Staate von dem modernen Rechtsboden wieder auf denjenigen der mittelalterlichen Theorie, wie sie Gregor VII., Innozenz III. und Bonifatius VIII. formuliert hatten, zurückgeführt werde, machte trotz des am 9. April 1869 erlassenen Rundschreibens des bayrischen Ministers v. Hohenlohe den Regierungen wenig Sorge. Aber die Zusammensetzung des Konzils wies ein wenig verheißungsvolles Gepräge auf. Zur Teilnahme berechtigt waren gegen 1050 Prälaten; es erschienen 774, davon viele nur vorübergehend. Darunter befanden sich 276 Italiener, dem Papst meist unbedingt ergeben; dasselbe galt von den 41 Spaniern, 83 Asiaten, 14 Afrikanern, 13 Australiern. Deutsche Mitglieder waren nur 19, österreichisch-ungarische 48, französische 84 vorhanden und auch unter diesen nicht wenige, die zur unbedingt päpstlichen Partei gehörten. Diese letztere setzte sofort eine an den Papst gerichtete Petition um Definierung der Unfehlbarkeit in Umlauf. Für eine Gegenadresse fanden sich nur 137 Unterschriften, und auch innerhalb dieser Minorität war man über den Standpunkt, von dem aus die Unfehlbarkeit zu bekämpfen sei, keineswegs einverstanden. Unter solchen Umständen konnte schon 21. Jan. den Vätern ein »Schema der dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi« zugehen, das über die letzten Absichten der Kurie keine Zweifel mehr ließ. Nun regten sich freilich die Regierungen; aber der im Sommer ausbrechende Deutsch-französische Krieg ließ es zu keinem energischen und gemeinsamen Vorgehen kommen. Die Kurie ihrerseits hatte den Gang der Verhandlungen durch eine neue, die Minorität lahm legende Geschäftsordnung beschleunigt und hierauf dem Konzil 6. März einen Zusatzartikel zu jenem Schema vorgelegt, dass der Papst in Sachen des Glaubens und der Moral nicht irren könne. Nach einigen Redaktionsmanövern wurde 24. April die Konstitution über den katholischen Glauben, 13. Juli die Konstitution über die Kirche Christi genehmigt, jene einstimmig, diese mit 451 unbedingten gegen 62 bedingte Placet und 88 Non placet. Mit dieser Tat war der Mut der Opposition erschöpft, das Schreckgespenst eines drohenden Schismas lähmte ihre letzten Kräfte. Die Opponenten verließen Rom, und in der entscheidenden vierten öffentlichen Sitzung 18. Juli stimmten 533 Väter mit Placet, nur 2 mit Non placet. Das neue Dogma wurde nach und nach auch von den Bischöfen der Opposition in ihren Diözesen verkündigt, der Widerspruch schlug sich im Altkatholizismus (s. d.) nieder."

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6 Ultramontanismus (lat.): diejenige Auffassung des Katholizismus, die dessen ganzen Schwerpunkt nach Rom, also jenseit der Berge (ultra montes), verlegen möchte; ultramontan ist somit das ganze Kurial- oder Papalsystem. Ultramontane Partei = Zentrumspartei


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