Religionskritisches von John Henry Mackay

Die Selbstfindung (1889)

von John Henry Mackay


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Mackay, John Henry <1864 - 1933: Die Selbstfindung.  -- 1889. -- Fassung vom 2004-10-06. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/mackay01.htm      

Erstmals publiziert: 2004-10-06

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals erschienen in:

Mackay, John Henry <1864 - 1933: Sturm. -- 2. Aufl. -- 1890.


"Mackay, John Henry, auch: Sagitta, * 6. 2. 1864 Greenock/Schottland, † 16. 5. 1933 Berlin; Grabstätte: Stahnsdorf, Südwestkirchhof. - Lyriker, Erzähler.

Nach dem Verlust des Vaters ( †1866), eines schottischen Versicherungsmaklers, wuchs Mackay in Deutschland auf. Das Vermögen der 1873 wiederverheirateten Mutter, einer Hamburger Kaufmannstochter, erlaubte ihm den Abbruch von Buchhändlerlehre (in Stuttgart) und Studium (Philosophie, Kunst- u. Literaturgeschichte, zuletzt in Berlin). Mackay unterhielt lose Kontakte zum Verein »Durch« und zum Friedrichshagener Kreis. Mit den Novellenbänden Schatten (Zürich 1887) und Moderne Stoffe (Großenhain 1888) verband er den Anspruch, der naturalistischen Prosaform den Auftakt gegeben zu haben. Aufgrund des Sozialistengesetzes wurde sein »soziales Gedicht« Arma parata fero (Zürich 1887) bei Erscheinen verboten. Nähe zur Vormärzlyrik verrät auch der von revolutionärem Impetus getragene Band Sturm (Zürich 1888). Mackays Lyrik (1897 als Gesammelte Dichtungen im Züricher Verlag seines Freundes Karl Henckell veröffentlicht) kennt außer Weltanschauungspathos auch elegante u. dionysisch-hymnische Tonlagen. Auf die Nachwelt kam sie vornehmlich durch Vertonungen von Richard Strauss (als Teil der Liederzyklen op. 27 u. 32). Die 1887/88 in London zugebrachte Zeit resultierte in Mackays Hinwendung zu einem Individualanarchismus Stirnerscher Prägung. Nach der Wiederentdeckung des fast vergessenen »Einzigen« im British Museum u. Jahren intensiver Beschäftigung publizierte Mackay eine Max Stirner-Monographie und die Ausgabe von dessen Kleinen Schriften (beide Berlin 1898). Ablehnung bürgerlicher Zwänge und jeglicher (staatlicher wie revolutionärer) Gewalt ist auch der Tenor seines halbfiktiven »Kulturgemäldes aus dem 19. Jahrhundert« Die Anarchisten (Zürich 1891). Der Roman integriert eine bedrückende Sozialreportage in programmatischen Reden u. Diskussionen des Londoner Sozialisten- und Anarchistenkreises (mit dem Protagonisten Auban als Mackays Alter ego). Im Selbstverlag erschien 1921 in Berlin - (mit Unterbrechungen) Mackays Wohnsitz seit 1892 - als Folgeband Der Freiheitssucher, der die Entwicklung zum Stirnerianer beschreibt.Zur Herausbildung des Genres Sportroman trug Der Schwimmer (Berlin 1901) bei. Weitgehend frei von bei Mackay sonst üblichem rhetorischem Ballast und psychologisch stimmig beschreibt er den im Freitod endenden Identitätsverlust eines zum Profisportler gewordenen Arbeiterkindes. Pseudonym und zum Teil im Ausland ließ Mackay seine Verteidigungsschriften zu Pädo- und Homophilie (u.a. Die Bücher der namenlosen Liebe. 2 Bde., Paris 1913) erscheinen. - Das Andenken des lebenslangen Außenseiters - in Holz' Schlüsselkomödie Sozialaristokraten (1896) als pedantisch korrekter, stotternder Bellermann karikiert, in Hesses Nachruf (Neue Zürcher Zeitung, 28. 5. 1933) als »glühender Gegner der Schablone, des Toten, der Mechanisierung« gewürdigt - bewahrt die 1974 neugegründete Mackay-Gesellschaft in Freiburg i. Br. (u.a. mit Neudrucken aller Hauptwerke)."

[Quelle: Arno Matschiner. -- In: Literaturlexikon : Autoren und Werke deutscher Sprache / [hrsg. von] Walter Killy. -- Berlin : Directmedia Publ., 2000. -- 1 CD-ROM  -- (Digitale Bibliothek ; 9). -- Lizenz des Bertelsmann-Lexikon-Verl., Gütersloh. -- ISBN 3-89853-109-0. -- s.v.]


John Henry Mackay (1864 - 1933): Die Selbstfindung : zur zweiten Auflage von "Sturm". -- 1889

Glut war mein Geist und meine Seele Brand
In jenen Tagen, da dies Buch entstand.

Ein Sturm ergriff mich. Und der Sturm ward Wort.
Das Wort riss Andere im Sturme fort.
Ich ließ mich treiben durch den weiten Raum.

Wunsch ward mein Geist und meine Seele Traum.

Dann stieß mein Fuß. Ich schlug das Lid empor
Auf Bergeshöhn stand ich im Nebelflor.
Die Nebel teilten sich. Und ob der Welt
Sah ich verlassen mich dahin gestellt.
Zu meinen Füßen quoll ein Wolkenmeer

Leer ward der Raum und meine Seele leer.
Was ich ersehnt, erhofft, was ich geglaubt,
Des letzten Haltes sah ich mich beraubt.

Wo war ich? Und wo fand ich Unterkunft?

Still ward die Seele und mein Geist Vernunft!
Die Woge meiner Jugend war verbrandet,
An meinem Strand war ich - als Mann - gelandet.

Und langsam fand ich mich. Ein Jahr zerrann
in letzten Kämpfen, bis ich mich gewann..
Von Nebelschleiern war ich dicht umhüllt
Von Rufen aus der Tiefe wild umbrüllt
Von Lockungen der Höhen süß umklungen
Höhen und Tiefen habe ich bezwungen!

O Mensch, du bist Ahasver, der verflucht
Die Welt durchmisst und seine Heimat sucht!
Weil er an Gott noch und die Menschen glaubt,
Erlahmt sein Fuß und wird sein Haar bestaubt
Kann er nicht sterben!

Einst stand er zu Gott.
Dann ward ihm Gott Erkennen, Hass und Spott.
Nun, glaubt er an den Menschen. Und er sucht
Und sucht und findet nie und bleibt verflucht:

Und ewig wandert Ahasver... Und blickt
Er je zurück, er vor sich selbst erschrickt
Und weiter irrt er sucht und schwankt verloren
Dem Lichtbild zu, das ihn zum Spiel erkoren!
Fata Morgana ist sein Glaube, Saat,
Die in der Frucht verdorrt, wenn er sich naht.

Herb wird sein Herz; aufschreit ein fahler Mund.

Erlösung heißt der Felsen, an dem wund
Der Glaube seine müden Flügel stößt.
Erlöst wird Der nur, der sich selbst erlöst!

Ahasver-Mensch, wann endest du dein Wandern?
Wenn du verlorst den Glauben an die Andern!

Jedoch du hoffst und irrst und liebst und glaubst,
Bis du dir selbst den letzten Glauben raubst.

Ahasver-Mensch, dein wirrer Lebenslauf
Schlägt wie ein Buch sich heute vor mir auf:

Betäubt vom Dunsthauch einer toten Zeit,
Sehnend dein Herz nach der lebendigen schreit.
Wie ein Geheimnis wallt ihr Vorhang vor
Dem feuchten Blick, der sich zum Licht verlor.

Und wie dein Fuß fortstrauchelt, lockt ein Licht:
Du wankst ihm zu dem Lügenlicht der Pflicht!

Jahrtausende, sie sinken schweigend nieder.
Den blutgepeitschten Nacken hebst du wieder...
Und wie er sich in wilden Krämpfen hebt
Vor deinem Wutgebrüll die Erde hebt,
Dem Schreien des Enttäuschten, der verkauft
In Fetzen das Gewand der Lüge rauft!

Ahasver-Mensch, bist du vom Traum erwacht?
Du wanderst.
Und ein Licht durchbricht die Nacht:
„Es gibt ein unveräußerliches Recht,
Das Keiner sich zu stürzen je erfrecht!
Es ist ein Bleibendes!"

Du jauchzest auf
Und du beflügelst deinen müden Lauf.

Der Mehrheit fugst du der du (stets unschuldig)
Dich schuldig fühltest feig dich und geduldig ...

Jahrtausende, sie schwinden wie ein Traum.
In deiner Seele hat kein Wahn mehr Raum
Der Anderen ewig-untertäniger Knecht
Hat endlich sich zu eigenem Sein erfrecht.

Und weiter gehst du freudig deine Bahn.
Wann langt dein wunder Fuß am Ziele an?
Unselige Sehnsucht kehrt zur eigenen Brust
Den Pfeil noch nicht gestillter Lebenslust.

„Ich habe von der ,Pflicht' mich frei gemacht;
Das ,Recht' der Andern wird von mir verlacht :
Den Glauben an die Menschheit nie verliert
Die Seele ihn, der mich zum Ziele fuhrt!
Die Liebe ist der letzte Stern, der mir
Den dunklen Pfad erhellt. Ich folge ihr!"

Jahrtausende, sie steigen in die Gruft.
er wird dein Weg. Und eisig wird die Luft.

Ahasver-Mensch, hast du dein Ziel erreicht?
Weshalb verstummt dein Mund? Warum erbleicht
Dein Haar? Warum erlischt des Blickes Glut?
Und weshalb senkt die Flügel stumm dein Mut?!

An Allem zweifeln du hast es gelernt!
An Dich zu glauben nicht! Dir selbst entfernt
Hast du dich immer mehr und mehr und mehr,
Und leerer ward es rings, leerer, und leer!

Ruhlos dein Geist die weite Welt durchmisst
Er sucht die Wahrheit, die er selber ist.

So treibt durch die Jahrtausende o Bild
Der Schmach! der mitleidlose Wahn sein Wild:
Bluttriefend, stöhnend, auf der Lippe Schaum
Rast das gehetzte durch den Erdenraum.
Es bricht zusammen rafft sich auf und flieht
Zu leerer Fernen endlosem Gebiet.
Die letzten Schläge schlägt, o Mensch, dein Herz
Dann neigt es sich in unerhörtem Schmerz —
Zum Schweigen sinkt der gelbe Sonnenball
Und Herrscher wird der greise Mond im All..

Ein Tag wird kommen, wo der frevlen Jagd
Des Todes Bote jäh ein Ende macht.

Dann kehrst du dich zu dem Verfolger um
Und bietest ihm zum Todesstoss dich stumm,
Du wartest, während wild dein Herz erbebt

Was hält die Hand, die sich zum Schlag hebt?

Sie zögert. Immer noch? Sie fällt nicht nieder?
Du hebst die staubbedeckten, heißen Lider
Und schauderst Ist es Wahrheit? Ist es Hohn?

Wo ist er hin, vor dem du geflohen ?!

Und leer liegt da die öde, kalte Welt,
Die nun des Sterbenden letzter Fluch durchgellt:
„O Menschheit, jetzt bist du von mir erkannt:
Er floh sich selbst, der jetzt erst selbst sich fand!!"

Ahasver-Mensch, du gingst zur Heimat ein!
Du bist gerettet, denn du wurdest dein

Ich kehrte bei mir ein. Mein ward die Welt,
Seitdem ich über sie mich kühn gestellt.

Und wieder braust mein Sturm jetzt durch die Lande.
Ich weiß: auch diesmal sprengt er stärkste Bande.

Nie kommt der Tag, der alle Menschen eint,
Ob den Entnachteten als Frieden scheint
Wann aber kommt der Tag, der meinen Gruß
Der fliehenden Zukunft windet um den Fuß?
Ich weiß es nicht. Aus meines Lebens Buch
Riss ich das. Blatt des Wahns mir selbst genug.

Geendet ist der Kampf nicht, doch die Qual:
Ich ward mir selbst mein letztes Ideal

Im Frühjahr 1889


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