Religionskritisches von Johann Most

Protestantische Finsterlinge (1875)

von

Johann Most


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Most, Johann <1846 - 1906 >: Protestantische Finsterlinge.  -- 1875. -- Fassung vom 2004-12-31. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/most02.htm  

Erstmals publiziert: 2004-12-31

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Protestantische Finsterlinge (1875)

 

Es gibt vielleicht keine zweite Erscheinung in der ganzen Kulturgeschichte, welche fast allgemein so falsch beurteilt wurde wie die sogenannte Reformation1. Dieselbe wird immer als Fortschritt gepriesen und war doch im Gegenteil ein Hindernis des wahren Fortschrittes. Die kirchlichen Zustände im 15. und 16. Jahrhundert waren der Art, dass eine allgemeine Verlotterung auf religiösem Gebiete ganz unausbleiblich, der Zerfall des Christentums gewiss war: Da kommen denn etliche ehrgeizige, heiratslustige und vielleicht auch wirklich bibelgläubige Pfaffen und galvanisieren den absterbenden Organismus ins Leben zurück. Und das soll Fortschritt sein!

 

Wer aufrichtig sein will und nicht mit einem faustdicken Brett vor dem Hirnkasten umherläuft, der wird nicht leugnen können, dass im Grunde genommen zwischen katholischen und protestantischen Pfaffen kein Unterschied besteht und dass zwischen Jesuiten und Muckern2 die Wahl wirklich schwer fällt. Ja, das Muckertum ist sogar noch viel verächtlicher als der Jesuitismus, weil es sich den Staatszwecken ganz und voll dienstbar macht, prinzipienlos ist und eine Art schwarzer Gendarmerie bildet. Im übrigen, nämlich der Wissenschaft und dem modernen Volksleben, gegenüber benimmt sich das Muckertum um nichts weniger unduldsam und reaktionär als jede andere Bonzenschaft. Der Zweck ihres ganzen Daseins ist die Erzeugung von beschränkten Untertanen-Verstandes-Menschen, die Gehirnverkleisterung und der Dummheits-Anbau, und wenn derselbe heutzutage nicht mehr so erreicht werden kann, so wird er doch wenigstens sehr eifrig angestrebt.

 

Aber, fragen die Muckerfreunde, dem Protestantismus kann man doch keine solche Tyranneien zur Last legen, wie sie katholischerseits verübt wurden. Aber gerade diese Ansicht ist die allerdümmste. Ehe man Tyranneien verüben kann, muss man die Macht dazu haben; die Katholiken waren aber gerade durch die Reformation aufgescheucht, zu neuer Organisation genötigt und so innerlich gekräftigt worden, so dass sie nach wie vor in den meisten Staaten am einflussreichsten blieben, während die Protestanten nur da und dort allmählich Oberwasser bekamen. Wo aber Letzteres der Fall war, da kannte die Gewalttätigkeit des Protestantismus auch keine Grenzen. Durch Staatsgesetze wurde die Einwohnerschaft der betreffenden Länder in der brutalsten Weise zum Protestantismus gepresst, genau so, wie in den katholischen Ländern durch die Inquisition der entgegengesetzte Zweck verfolgt wurde.

 

Die Behauptung, als sei protestantischerseits die Auslegung der Bibel freigegeben worden, ist total erlogen, wie schon die Entstehung zahlreicher Sekten zeigt, von denen jede behauptet, sie allein lege diese und jene Stelle richtig aus, alle anderen aber seien mehr oder weniger vom Teufel besessen. In diesen Satansartikeln hat besonders Luther gern gemacht und die schottischen Pfaffen3 haben durch vier- und fünfstündige Predigten über Hölle und Teufel dem Volke so sehr den Kopf verdreht, dass bis tief in unser Jahrhundert hinein die meisten Leute von der Furcht geplagt waren, auf allen Wegen und Stegen irgend einem gehörnten oder beschwänzten Luzifer, Beelzebub oder dergleichen zu begegnen. Ansichten aber, die mit der Bibel überhaupt nicht im Einklang stehen, wie z. B. naturwissenschaftliche Erforschungsresultate, insbesonders bibelwidrige Erklärungen der Entstehung der Erde und der Menschheit, sind jedem Mucker (vermutlich, weil er darin eine Gefährdung seines Handwerks erblickt) der höchste Greuel und die Ausrottung der betreffenden Ketzer wäre für ihn Hochgenuss!

 

Wo der Protestantismus zur ausschließlichen Herrschaft gelangte, hat er – solange solche Bestialitäten eben überhäuft möglich waren, d. h. so lange es eine barbarische Justiz gab — mit Feuer und Schwert getauft, dass es eine Art war. Und wenn nun die heutigen Protestanten mit scheinheiligem Augenverdrehen und sittlicher Entrüstung die spanische Inquisition und Ähnliches gegen die Katholiken ausspielen, so muss ihnen doch einmal der Mund dadurch gestopft werden, dass man ihnen beweist, wie sehr sie es nicht besser getrieben haben, wenn sie konnten. Nur wir, nämlich die Ungläubigen, haben ein Recht, die betreffenden Schandtaten der Vergangenheit zu brandmarken; wer hingegen selbst ein ellenlanges Sündenregister besitzt, muss sich hüten, das anderer Leute entrollen zu wollen, sonst muss er gewärtigen, dass er selbst den Text gelesen bekommt, wie hiermit geschehen soll.

 


Abb.: Johannes Calvin

 

Am entschiedensten gelangte die Muckerei unter Calvin4 zu Genf ans Ruder. Sehen wir zu, wie dieser „Mann Gottes“ verfuhr. Genf hatte zur Zeit Calvins kaum das savoyische Joch abgeschüttelt und stand eben im Begriffe, sich recht demokratisch zu entwickeln, als jener finstere Pfaff erschien und nicht eher rastete, als bis eine Muckergesellschaft installiert war. Calvin errichtete zunächst ein Spioniersystem, durch welches er bis in die einzelnen Familien eindrang und nicht nur die Worte behorchen, sondern auch die Mienen beobachten und sich darüber berichten ließ. Dann brachte er den Rat durch listige Manöver so sehr unter seine Gewalt, dass er förmlich absolut herrschen konnte. So erklärt sich, dass alles, was Calvin wollte, geschah. Einmal beleidigte ihn ein sehr angesehener Mann namens Pierre Ameaux5; sofort ließ er ihn verhaften, und als derselbe freigesprochen wurde, gebärdete sich Calvin wie toll, erklärte die gegen ihn gefallene Beleidigung als eine „Beleidigung Gottes“, drohte, nicht mehr predigen zu wollen, und forderte abermalige Verhaftung und Verurteilung. Der erschreckte Rat willfahrte; Ameaux wurde verurteilt, öffentlich und im bloßen Hemd, mit einer Fackel in der Hand, auf drei Plätzen der Stadt, wo eigens zu diesem Zwecke Podien aufgeschlagen wurden, niederzuknien und vor dem Richter das gegen Calvin begangene Unrecht zu bekennen und um Gnade zu bitten! Ein ähnliches Schicksal wie Ameaux hatte der Buchdrucker Dubois, weil er anlässlich eines Streites, der daher rührte, dass er theologische Werke druckte, deren Inhalt nicht ganz mit den Ansichten Calvins harmonierte, eine Herausforderung des Letzteren damit beantwortete, dass er ihn per Heuchler titulierte. — Dabei muss erwähnt werden, dass Calvin selbst die rohesten Schimpfworte gegen andere sich erlaubte; so nannte er z. B. einen alten Mann „Hund“ und dessen Tochter „Hundstochter“, weil dieselben nicht ganz seiner Ansicht waren.

 

Dass solche Frechheiten zum Widerstand reizten, ist natürlich. Mehrere energische Leute fassten den Entschluss, die Pfaffenwirtschaft zu kürzen, die Verschwörung wurde jedoch verraten, die Häupter derselben mussten sich flüchten und zahlreiche Verhaftungen fanden statt. Zwei wackere Republikaner wurden gevierteilt, eine Anzahl solcher wurde geköpft und Viele in die Verbannung geschickt. — Wie der saubere Patron in Genf hauste — denn er war ja die Seele des Ganzen — lässt sich daraus ermessen, dass in dem Zeiträume von fünf Jahren (1541 bis 1546) 76 Menschen verbannt, 58 hingerichtet und 8900 eingekerkert wurden. Unter den Hingerichteten befanden sich 18 Männer und 16 Frauen, die allein innerhalb dreier Monate des Jahres 1545 lebendig verbrannt wurden, nachdem man ihnen zuvor entweder die rechte Hand abgehauen, sie mit glühenden Zangen gezwickt oder sonst gefoltert hatte (die eigene Mutter des Henkers hatte ebenfalls ein solches Schicksal), weil — nun weil sie beschuldigt wurde, durch Hexerei die damals ausgebrochene Pest erzeugt zu haben! — Dazu muss noch bemerkt werden, dass vor Calvins Zeit diese barbarischen Strafarten in Genf fast gar nicht bekannt waren. — Wegen ihres Glaubens erlitten unter Calvin 33 bekanntere Personen empfindliche Strafen.

 


Abb.: Michael Servet, Opfer des Gottesdieners Calvin (im Hintergrund sieht man seine Verbrennung)

 

Das meiste Aufsehen erregte in dieser Hinsicht das Verfahren gegen Servet6, einem Mann, der heutzutage als harmloser Philosophierer gelten könnte. Derselbe hatte in Genf gar nicht gelebt, sondern in Frankreich und berührte Genf nur auf der Flucht nach Italien. Den Katholiken, die ihn verfolgten, war er entronnen, den Protestanten lief er in den Rachen. Servet wurde zu Genf ergriffen und auf ganz besonders lebhaftes Betreiben Calvins dem Scheiterhaufen überantwortet; und Calvin ergötzte sich persönlich an der Vollstreckung dieses Urteils. — War das etwa keine Bestie? — Aber die Frechheit jenes Bibelhelden ging noch weiter; er mischte sich in jede Kleinigkeit. Auf sein Betreiben wurden Tanz und Spiel, ja der Besuch von Wirtshäusern verboten; die Kleidung, Frisur usw. unterlagen einer Zensur, kurzum die Anmaßlichkeit artete förmlich in Lächerlichkeiten aus, und Tyrannei herrschte auf allen Wegen und Stegen. Übrigens ist von der Calvinistischen Herrlichkeit nichts erhalten geblieben, denn schon nach seinem Tode verschwanden die despotischen Einrichtungen.

 


Abb. Heinrich VIII., Beschützer des Glaubens

Ähnlich wie in Genf ging es in England zu. Heinrich VIII.7, ein Ungeheuer, das die Gewohnheit hatte, seine Frauen köpfen zu lassen, wenn sie ihm nicht mehr gefielen, war hier der Protektor der Reformation. Er schwankte zwar zwischen Katholizismus und Protestantismus fortwährend hin und her, aber im Ganzen genommen war er dem Letzteren stets mehr geneigt als dem Ersteren, namentlich seitdem er wegen einer schmutzigen Ehebruchsgeschichte mit Rom in Konflikt geraten war. So erklärt es sich, dass in England eine aus Katholizismus und Protestantismus zusammengesetzte Misch-Masch-Religion entstand und durch Staatsgesetze sanktioniert wurde. Jeder, der nach rechts oder links abwich, ward von dem sauberen Heinrich dem Feuertode geweiht, so zwar, dass oft genug Katholiken und orthodoxe Protestanten an ein und demselben Pfahl gebunden und gemeinsam gebraten wurden. Die Zahl der Opfer ist Legion! — Der Nachfolger Heinrichs, Eduard VI.8, setzte das Wüten gegen Alle fort, die nicht blindlings der Staatskirche Folge leisteten, selbst unter der Regierung der vielgepriesenen Königin Elisabeth wurden 200 Katholiken aus dem Leben geschafft.

 


Abb.: Eduard VI., kindischer protestantischer Fanatiker

 

In Deutschland, dem Hauptsitze des Luthertums, kamen auch die scheußlichsten Dinge vor. Luther selbst schimpfte wie ein Rohrspatz — seine Ausdrucksweise war überhaupt sehr derbe — über die Wiedertäufer und andere Sektierer, weil dieselben die Bibel anders auslegten, wie er. Und als gar die Bauern aus den Worten des Evangeliums das Recht der Selbstbefreiung folgerten und Anstalten machten, demgemäß zu handeln, da war es Luther, der da sagte, die „mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ solle man „zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muss ...“

 


Abb.: Luther, "der saubere Patron", als Filmheld

 

Der saubere Patron wütete in einer solchen Weise, dass die Glocke, welche zum protestantischen Gottesdienst einlud, von den Katholiken als die „Mordglocke“ genannt wurde. Luther entblödete sich nicht, die Leibeigenschaft als eine christliche Einrichtung zu verteidigen und zu predigen, man müsse nach Gottes Willen der Obrigkeit „mit Furcht und Zittern“ untertänig sein. Wäre Luther das gewesen, wofür ihn protestantische Geschichtsfälscher ausgeben, so hätte er sich an die Spitze der Bauern gestellt — wie Thomas Münzer9 getan —; er tat aber das Gegenteil, weil er eben ein Fürstenknecht und ein Pfaffe jener Sorte war, die mit Bewusstsein die Religion als Mittel der Volksunterjochung anwendet. Ein wahrer Menschenfreund wendet sich mit Ekel von solchen Schmachgestalten ab.

 

Die protestantischen Fürsten Deutschlands waren zur Reformationszeit ebenso intolerant wie die katholischen, und es kamen wahrhaft possenharte Dinge vor. Als der Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz sich von einem Lutheraner in einen Calvinisten verwandelte, zwang er sofort die Pfälzer, mit ihm sich zu häuten; und 13 Jahre später trieb sein Sohn Ludwig das Volk wieder zum Luthertum zurück, während nach weiteren sieben Jahren der Nachfolger desselben abermals den Calvinismus zwangsweise einführte. Natürlich wurde jeder Widerstand gegen solche frivole Narrenpossen blutig geahndet. In Sachsen kamen ähnliche Dinge vor, so dass ein Hofrat namens Crell10, welcher für Gewissensfreiheit eintrat, am 9. Oktober 1601 — nach— dem drei lutherische Pfaffen sich mehrere Tage lang vergebens bemüht hatten, ihn orthodox zu machen — zu Dresden geköpft wurde. Ja in Leipzig existierte eine förmliche Inquisition! —

 


Abb.: Nikolaus Crell, Opfer des christlichen Hasses des Lutheraner gegen die Calvinisten

 

In Braunschweig wurde der Bürgerhauptmann Henning11 als Calvinist im Jahre 1604 in einer bestialischen Weise umgebracht. Nachdem man ihn gefoltert, hackte man ihm zwei Finger ab, zwickte ihn mit glühenden Zangen, schnitt ihm die Geschlechtsteile ab und schlitzte ihm endlich den Leib auf; und damit er die Leiden besser fühle, hielt man ihm von Zeit zu Zeit ein Riechfläschchen unter die Nase. Während der ganzen Prozedur machten lutherische Pfaffen Belehrungsversuche!

 


Abb.: Zwinglis Helm und Schwert (Zwingli fiel 1531 im Religionskrieg von Kappel)

 

Um nochmals auf die Schweiz Bezug zu nehmen, bemerken wir, dass zu Zwinglis12 Zeit sogenannte Wiedertäufer13 zu Zürich ertränkt wurden, dass Ähnliches an vielen Orten vorkam. In Bern köpfte man den Philosophen Valentin Gentilis14, der ähnlich wie Servet die Dreieinigkeits-Lehre verwarf. Der Chronist Stettier (Protestant) sagt von jenem Manne, dass er „als ein abscheulich Monstrum und irrmachender Greuel am 10. September 1566 mit dem Schwerte gerichtet und im hiermit sein gotteslästerliches Haupt abgenommen“ worden sei. In Basel verbrannten die dortigen Mucker sogar im Jahre 1561 die Gebeine und Schriften eines schon drei Jahre früher gestorbenen Wiedertäufers!

 


Abb.: "Versöhnung mit den Wiedertäufern" (2003) — nach fast 500 Jahren Verfolgung, Unterdrückung und Diskrimierung (in Zürich gibt es immer noch staatliche Landeskirchen!!!!)

 

Die vorstehenden Beispiele könnten beliebig vermehrt werden, aber sie werden wohl hinreichend den Beweis liefern, dass die Protestanten von den Katholiken in Bezug auf Intoleranz und Fanatismus, Anmaßung und Herrschsucht nichts voraus haben. Also lasse man sich ja nicht zu dem Glauben verleiten, dass zwischen Kutten und Bäffchen15 ein Unterschied sei.

 


Abb.: " Also lasse man sich ja nicht zu dem Glauben verleiten, dass zwischen Kutten und Bäffchen ein Unterschied sei.": evangelische Pfarrer in Amtskleidung als Karnevalsnarren [Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird die Bildquelle nicht angegeben]


Erläuterungen:

1 Reformation

"Reformation (lat., »Umgestaltung, Verbesserung«; hierzu die Porträttafel »Reformatoren«), die Bewegung des 16. Jahrh., welche die Entstehung des Protestantismus (s. d.) und damit der lutherischen und reformierten Kirchen zur Folge hatte. Die Reformation hat in alle Gebiete des Kulturlebens der sich daran beteiligenden Völker mächtig eingegriffen, eine lange Reihe neuer Gestaltungen im politischen und kirchlichen Leben angebahnt und so die ganze moderne Entwickelung Europas bedingt. Viele Anzeichen kündigten schon seit langem das Herannahen einer neuen Kulturepoche an: die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Erweiterung der Weltanschauung durch die überseeischen Entdeckungen, vornehmlich aber das Wiederaufleben der Künste und Wissenschaften im 15. Jahrh., alles, was man in der Regel unter dem Ausdruck Renaissance (s. d.) zusammenfasst. Speziell die Notwendigkeit einer »Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern« aber war durch die großen Kirchenversammlungen des 15. Jahrh. wiederholt anerkannt worden, und die reformatorischen Ideen, vor allen eines Wiclif und Hus, hatten dazu beigetragen, einen Umschwung der religiösen Grundideen anzubahnen.

Als den Geburtstag der Reformation muss man den 31. Okt. 1517 bezeichnen, an welchem Tage Martin Luther (s. d.) seine Thesen über den Ablass an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug. In kürzester Frist durchflogen diese Thesen ganz Deutschland. Aber erst auf der Disputation, die vom 27. Juni bis 16. Juli 1519 in Leipzig statthatte (vgl. Seitz, Der authentische Text der Leipziger Disputation, Berl. 1903), vollzog Luther innerlich den Bruch mit der katholischen Religiosität, indem er sich zu der Behauptung drängen ließ, der Papst sei nicht nach göttlichem, sondern nur nach menschlichem Recht Oberhaupt der Kirche. Von Melanchthon (s. d.) mit seiner Beredsamkeit und dialektischen Gewandtheit unterstützt, von Kurfürst Friedrich dem Weisen (s. Friedrich 68) beschützt und vom Enthusiasmus fast des ganzen deutschen Volkes getragen, gewann Luther immer neue und einflussreiche Anhänger, namentlich einen großen Teil des deutschen Adels, voran die Ritter von Schaumburg, von Sickingen und von Hutten (s. d.), für seine Sache. An diesen deutschen Adel, als an echte Repräsentanten seines Volkes, richtete er seine Schrift »Von des christlichen Standes Besserung« (im Juni 1520), worin er die Fürsten und Reichsstände aufforderte, Hand anzulegen, um das römische Unwesen in Deutschland abzuschaffen. In der Schrift »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche« (im Oktober 1520) gab er eine einschneidende Kritik der kirchlichen Lehre von den Sakramenten, die auf Taufe, Buße und Abendmahl beschränkt und ihres dinglichen Charakters als Gnadenmittel entkleidet werden. Zu der kirchlich-politischen und der kirchlich-dogmatischen Urkunde gesellte sich noch im selben Jahre die religiöse Urkunde der Reformation, die Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«, worin Luther auf Grund von 1. Kor. 9,19 mit sieghafter Klarheit die Doppelthese verfocht, dass der Christenmensch ein freier Herr sei über alle Dinge, niemandem untertan, und dennoch ein dienstbarer Knecht aller Dinge, jedermann untertan. Seine Lossagung vom Papsttum besiegelte er, indem er 10. Dez. 1520 vor dem Elstertor in Wittenberg die päpstliche Bulle, in der Leo X. ihm mit dem Banne drohte, samt dem kanonischen Rechtsbuch ins Feuer warf. Am 17. und 18. April 1521 bekannte er sich vor dem Reichstag zu Worms zu seinen die Vergangenheit stürzenden, die Gegenwart belebenden, die Zukunft verheißenden Gedanken. In Bann und Acht ward er der Heros des deutschen Volkes.
Allenthalben schlug die Reformation ihre Wurzeln. Politische, soziale, kirchliche und religiöse Momente trafen zusammen. Seit 1519 gewann sie das Übergewicht in Ostfriesland, seit 1522 in Pommern, Livland (durch Knöpken, Tegetmaier, Briesmann und Lohmüller), Schlesien, Preußen (durch den Hochmeister Albrecht von Brandenburg, der 1522 durch Osiander auf dem Reichstag zu Nürnberg gewonnen wurde), Mecklenburg, seit 1523 in Frankfurt a. M., Nürnberg (durch Osiander [s. d.] und den Ratsschreiber Lazarus Spengler), Straßburg (woselbst Matthes Zell schon seit 1518 das Evangelium predigte, an den sich später Capito [s. d.], Butzer [s. d.], Hedio und Fagius anschlossen), Schwäbisch-Hall (durch Johann Brenz [s. d.]), seit 1524 in Magdeburg, Bremen und Ulm. Freilich folgten die süddeutschen Städte schon jetzt teilweise in Lehre und Gottesdienstordnung mehr demjenigen Typus der Reformation, der in der benachbarten Schweiz seine Heimat hatte. Hier erhob seit 1519 der humanistisch gebildete Ulrich Zwingli (s. d.) in Zürich seine volkstümliche Rede für die Reformation der Kirche und der Sitten. Durch das Studium der Heiligen Schrift zu einer selbständigen religiösen Überzeugung gelangt, sagte er sich rascher und entschiedener als Luther von den Prinzipien des Katholizismus los, sobald ihm einmal deren Gegensatz zum biblischen Christentum klar geworden war (s. Reformierte Kirche). Auf seine Veranlassung erließ der Große Rat (1520) ein Gebot, dass alle Prediger des Freistaats sich allein an die heiligen Evangelien und die Schriften der Apostel halten sollten, und durch Disputationen brach er der Sache der Reformation bald auch in andern schweizerischen Städten Bahn. In Basel entschied sich Ökolampadius (s. d.) für die Reformation, in Bern Bertold Haller (s. d.) und Nikolaus Manuel (s. d.). Nur das Landvolk in den Gebirgskantonen, am Alten hangend und von den Mönchen und Priestern geleitet, verstattete den reformierten Ideen keinen Eingang; ja, die drei Waldstätte nebst Zug und Luzern schwuren einander, jeden Verächter der Messe und der Heiligen zu töten. Als einzelne blutige Gewalttaten den Ernst ihres Beschlusses bewiesen, blieben die reformierten Kantone die Antwort nicht schuldig. Bei Kappel floss (11. Okt. 1531) das erste im Religionskampf vergossene Blut; auch Zwingli fiel.

In Deutschland war das Kurfürstentum Sachsen unter Johann dem Beständigen (1525-32) das erste Land, in dem die Reformation die gesetzliche Genehmigung erhielt; auf Grundlage des Visitationsbüchleins erfolgte die Kirchenvisitation 1528-29. Etwa gleichzeitig führte Landgraf Philipp von Hessen 1527 sein Land durch Lambert von Avignon auf der Homberger Synode der Reformation zu. Schon 1524 aber war die lange gärende Unzufriedenheit des hart belasteten Bauernstandes, durch die mächtige Bewegung, welche die Reformation in die niedern Schichten des Volkes brachte, gefördert, in offenen Aufstand gegen den weltlichen und geistlichen Adel zur Erlangung von Christen- und Menschenrechten ausgebrochen und hatte blutig unterdrückt werden müssen. Diese Vorgänge trugen vornehmlich dazu bei, Luther in einer Richtung zu bestärken, die schon seit seiner Rückkehr von der Wartburg angebahnt worden war: neben der Selbstherrlichkeit des christlich-freien Bewusstseins oder Glaubens trat wieder die Bedeutung des äußern Kirchentums; das kühne Vorgehen wurde ermäßigt durch die Achtung vor der Geschichte. Leider erhob sich nun unter den Lehrern der evangelischen Kirche jener unselige Zwiespalt, der auf Jahrhunderte hinaus einen Riss in die kaum entstandene Gemeinschaft machte, zunächst als Streit über das heilige Abendmahl (s. d.). Alle Versuche, ihn durch Religionsgespräche beizulegen, scheiterten an Luthers leidenschaftlicher Heftigkeit. Diese Trennung war aber um so unzeitiger, als die Existenz der evangelischen Kirche noch so wenig gesichert war und den ersten Bündnissen, die 1526 hauptsächlich auf Betreiben des hessischen Landgrafen unter einigen evangelischen Reichsständen geschlossen wurden, sofort katholische Gegenallianzen gegenübertraten. Auf dem im Sommer des gleichen Jahres gehaltenen Reichstag zu Speyer hielten sich beide Teile schon fast die Wagschale, so dass der Reichsrezess vom 27. Aug. 1526 dahin lautete, bis zur Berufung eines allgemeinen Konzils solle sich jeglicher Stand in bezug auf das Wormser Edikt so gegen seine Untertanen verhalten, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne. Jedoch schon auf dem neuen Reichstag zu Speyer 1529 ward der Beschluss des vorigen wieder zurückgenommen, so dass die evangelischen Stände zu einer förmlichen Protestation schritten, welche die geschichtliche Veranlassung des Namens Protestanten geworden ist (s. Protestantismus). Der Kaiser verwarf die Protestation und schrieb einen Reichstag nach Augsburg aus. Jetzt hielten es die protestantischen Stände für angemessen, die Grund lehren ihres Glaubens in der Kürze zusammenzustellen und sie dem Kaiser vorzulegen. So entstand, unter grundsatzmäßigem Ausschluss der Schweizer Reformatoren, die Augsburgische Konfession (s. d.), die am 25. Juni 1530 verlesen ward, und zu der sich bald auch die nordischen Reiche Dänemark, Schweden und Norwegen sowie die Ostseeländer bekannten, während die oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Konstanz, Lindau und Memmingen in der Tetrapolitana bei ihrer Zwinglischen Auffassung beharrten. In Deutschland aber begann seitdem der Kampf um das gute Recht der Reformation, zu deren Schutz 1531 zwischen den protestantischen Ständen der Bund von Schmalkalden geschlossen wurde. Jetzt zog der Kaiser mildere Saiten auf, und es kam 23. Juli 1532 in Nürnberg zu einem Friedensschluss, worin den Gliedern des Schmalkaldischen Bundes das Verbleiben bei ihrer Lehre und bei ihrem Kultus bis zu einem allgemeinen Konzil oder bis zur Entscheidung eines neuen Reichstags zugesichert wurde. Als der Papst auf Mai 1537 ein solches Konzil nach Mantua ausschrieb, gab der Kurfürst von Sachsen seinen Theologen auf, die Glaubensartikel zu erwägen und zusammenzustellen, auf denen zu bestehen sein möchte, und so entstanden die von Luther (im Februar 1537) aufgesetzten Schmalkaldischen Artikel (s. d.), die den Gegensatz zum Katholizismus und die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der protestantischen Kirche weit bestimmter und schärfer als die Augsburgische Konfession aussprachen. Der kriegerisch gesinnte Landgraf Philipp von Hessen hatte inzwischen (1534) durch die Zurückführung des vom Schwäbischen Städtebund vertriebenen und vom Kaiser zugunsten seines Bruders Ferdinand des Thrones entsetzten Herzogs Ulrich von Württemberg dem protestantischen Glauben ein ganzes Land erobert. Ulrich übertrug die Reformation seines Landes Blarer (s. d.) und Schnepff (s. d.). Ohne Unterlass war inzwischen der Landgraf auch bemüht gewesen, den seit dem Marburger Gespräch (im Oktober 1529) besiegelten Zwiespalt der Wittenberger und Schweizer Reformatoren über die Abendmahlslehre zu beseitigen, und seine Bemühungen hatten wenigstens einen provisorischen Stillstand der Streitigkeiten durch den Abschluss der Wittenberger Konkordie (Mai 1536) zur Folge. Auch der neue Kurfürst von Brandenburg, Joachim II. (1535-71), bekannte sich seit 1539 offen zur evangelischen Lehre und führte dieselbe mit Hilfe des Bischofs von Brandenburg, Matthias von Jagow, in sein Gebiet ein; gleichzeitig wurden auch des eifrig katholischen Herzogs Georg von Sachsen Lande durch dessen Nachfolger Heinrich für die Reformation gewonnen. Selbst der Kurfürst von Köln, Hermann, Graf von Wied (s. Hermann 3), ließ 1543 einen Reformationsplan im Druck erscheinen, der im ganzen mit der evangelischen Lehre übereinstimmte. Doch scheiterte dieser Reformationsversuch am Widerstand seines Domkapitels. Dagegen wurde ein heftiger Feind der Reformation, Herzog Heinrich von Braunschweig, von Sachsen und Hessen aus seinem Lande verjagt (1542). Fast in allen Reichsstädten hatte die reformatorische Partei ein entschiedenes Übergewicht. Von weltlichen Fürsten war eigentlich nur noch der Herzog von Bayern, der sich jedoch der evangelischen Sympathien seines eignen Volkes und der Stände nur mit Mühe erwehren konnte, eine Stütze des Papsttums. In den nächstfolgenden Zeiten wurden die evangelischen Stände weniger beunruhigt. Der Kaiser war durch seine auswärtigen Unternehmungen sehr in Anspruch genommen und bedurfte der Reichshilfe gegen die Türken, die Ungarn bedrohten, und suchte auf den Religionsgesprächen (s. d.) zu Hagenau (1540), Worms (1540) und Regensburg (1541) eine Verständigung zwischen Protestanten und Katholiken herbeizuführen. Das Regensburger Kolloquium brachte einen angeblichen Religionsvergleich (Regensburger Interim, s. d.) zustande, den der Kaiser den Protestanten aufzwang. Das konnte Karl V. nur wagen, weil innere Zwistigkeiten im Lager der protestantischen Stände dem Schmalkaldischen Bund seine Kraft raubten. Die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen (1539) rief eine tiefe, in heftiger Korrespondenz sich äußernde Missstimmung zwischen ihm und dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen (1532-47) sowie Ulrich von Württemberg hervor, die den Schritt ihres Bundesgenossen in scharfen Ausdrücken tadelten; der Landgraf, um sich vor der kaiserlichen hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung zu schützen, sah sich genötigt, Karl V. in einer die Interessen der Protestanten gefährdenden Weise gefällig zu sein. Die Beendigung des Krieges mit Frankreich (1544) gab dem Kaiser endlich freie Hand gegen die schmalkaldischen Verbündeten. Er nahm die Klage des kölnischen Domkapitels gegen den Erzbischof an und ließ eine Untersuchung gegen letztern einleiten.

Luther erlebte den Ausbruch des Krieges nicht, er starb 18. Febr. 1546 in Eisleben. Bald darauf ward wider den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen (20. Juli 1546) die Reichsacht ausgesprochen, und der Papst Paul III. predigte (4. Juli) einen Kreuzzug zur Ausrottung der Ketzerei. Nachdem im Spätjahr der Süden und im Frühjahr 1547 der Norden mit Hilfe des Herzogs Moritz von Sachsen unterworfen worden, zeigte der Kaiser plötzlich Mäßigung, indem er nur die Anerkennung des Ende 1545 eröffneten Konzils zu Trient von den Besiegten forderte. Ein Reichsgesetz, das am 15. März 1548 in Augsburg publiziert ward, ordnete an, wie es mit der Religion bis zum Austrag des Konzils gehalten werden solle. Dieses Interim (s. d.) ward vielen oberdeutschen Städten mit Gewalt aufgezwungen, indes der vom Kaiser mit dem sächsischen Kurhut begnadete Moritz vornehmlich unter Melanchthons Mitwirkung das Leipziger Interim (s. d.) ausarbeiten ließ. Während aber die Gewissen durch das aufgedrungene Interim auf das äußerste beunruhigt wurden, beschloss Moritz, durch eine kühne Tat seine verlorne Ehre wiederzugewinnen und damit dem Reich und der Kirche die Freiheit zurückzugeben. Die ihm übergebene Achtvollstreckung an Magdeburg gab ihm einen Vorwand zu Ausstellung eines Heeres, und so brach er 1552, nachdem er ein schamloses Bündnis mit Frankreich geschlossen, aus Thüringen auf und stand schon 22. Mai vor Innsbruck. Der Kaiser floh durch die Engpässe der Alpen, und es kam nun 29. Juli der Passauer Vertrag zustande, kraft dessen das Kammergericht zu gleichen Teilen mit Bekennern der beiden Kirchen besetzt und zur Abstellung der Klagen über verletzte Reichsgesetze sowie zur Einigung in den kirchlichen Angelegenheiten ein Reichstag in nahe Aussicht gestellt ward. Auf diesem Reichstag, der nach mancherlei Verhinderungen 1555 in Augsburg eröffnet ward, wurde das Recht der Reformation den Reichsständen trotz des vom römischen Stuhl dagegen erhobenen Protestes zuerkannt, aber der geistliche Vorbehalt (reservatum ecclesiasticum) aufgenommen, wonach jeder zur lutherischen Kirche übertretende Prälat ohne weiteres geistliche Würde und weltliche Stellung verlieren sollte. Den andersgläubigen Untertanen wurde das Recht des freien Abzugs zugestanden. Über die Aufrechthaltung dieses Friedens wachten das Corpus catholicorum und das Corpus evangelicorum (s. d.). Noch einmal machte das Wormser Religionsgespräch den Versuch (1557), eine Einigung der Katholiken und Protestanten in der Lehre herbeizuführen. Er war ebenso vergeblich wie der zweite Reformationsversuch des Erzbischofs Gebhard (s. d. 3) von Köln 1582. Die Gegenreformation (s. d.) erstickte hier sowie in Mainz, Trier, Steiermark und Kärnten bereits mit Hilfe der Jesuiten (s. d.) jede protestantische Regung. Der Westfälische Friede stellte endlich nicht bloß den Status quo des Passauer Vertrags und Augsburger Religionsfriedens 1648 wieder her, sondern dehnte auch die in beiden den Lutheranern gemachten Zugeständnisse auf die Reformierten aus. Aber die Sache der Reformation, wie sie endlich durch den Westfälischen Frieden zur rechtlichen Existenz gelangte, war nicht mehr die ursprüngliche. Fraglos hat schon den Reformatoren selbst zu einer folgerichtigen Durchführung der Grundsätze der Reformation vieles gefehlt. Ihre wiederholten Schwankungen und Unsicherheiten, ihre Zugeständnisse an das katholische System, ihre offenen Rückfälle und Selbstwidersprüche können und sollen nicht mehr verhehlt werden. Ihre Schuld ist aber verschwindend gering gegenüber denjenigen, die im weitern Verlauf der Geschichte jene Fehler, Missgriffe, Inkonsequenzen und katholisierenden Verirrungen nicht bloß nicht als solche begriffen, sondern sie vielmehr erst recht in ein System brachten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrh. machte die Reformation die Runde durch die damalige zivilisierte Welt. Rom zitterte; sogar die romanische Welt schien ihr wie eine reife Frucht in den Schoß zu fallen. Aber schon im Verlauf der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. war der Protestantismus von sich selbst abgefallen und hatte die »reine Lehre« zu einem neuen Gesetzeskodex erhoben, den Theologendruck an die Stelle des Priesterjochs gesetzt. Anstatt die volle Kraft der religiösen Begeisterung und der sittlichen Erhebung nach außen zu wenden, verzehrten die Protestanten sich in Lehrgezänk nach innen und verfielen dem Irrtum, göttliche Wahrheit in ihren dogmatischen Formeln festgebannt zu haben. Jetzt folgte Niederlage auf Niederlage; die Jesuiten sogar trieben vielfach eine freiere Theologie als die orthodoxe Epigonenschaft der Reformation, und mit dem Sieg der Konkordienformel (1580) ward die anfängliche Siegesgeschichte der Reformation, wenigstens auf deutschem Gebiet, zur erschütternden Leidensgeschichte, ja zuweilen fast zur Tragikomödie.

Richtig gewürdigt wird die Sache der Reformation nur da, wo man sich entschließen kann, von den Mängeln ihrer Ausführung abzusehen und die leitende Idee ins Auge zu fassen, die nur einen durchaus neuen Ansatz zur Verwirklichung des christlichen Prinzips selbst bedeuten kann. Hatte sich dieses im Katholizismus eine einseitig religiöse und kirchliche Ausprägung gegeben, so läuft die Tendenz der Reformation durchaus auf ein im guten Sinne des Wortes weltliches Christentum, auf eine Verwirklichung des christlichen Prinzips vor allem im sittlichen Leben hinaus, daher es sich lediglich von selbst versteht, wenn die Reformation auf dem Gebiete der Kirchenbildung mit dem Katholizismus nicht wetteifern kann; sie bedeutet vielmehr im Prinzip nichts andres als die Zerstörung des »gesellschaftlichen Wunders«, das als Kirche über den natürlichen Organismen der sittlichen Welt stehen will. Von Haus aus suchte und fand daher die Reformation Fühlung mit dem Staat; sowohl in Deutschland als in der Schweiz sehen wir eigentümliche Formen des Staatskirchentums entstehen, das sich, wo die reformatorischen Prinzipien zu ungehemmter Entfaltung kommen, überall in ein eigentliches Volkskirchentum umzusetzen bestrebt ist. Anstatt einer von einer wunderbaren Legende als ihrer theoretischen Voraussetzung getragenen Kirche über den Völkern zu dienen, will die Reformation das religiöse Leben der Völker ihrer gesamten sonstigen Seinsweise eingliedern, so dass es zu einer gefunden Funktion eines einheitlichen, aus sich selbst heraus lebenden gesellschaftlichen Organismus wird. Darin liegt die politische und soziale Mission der Reformation beschlossen."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Mucker: Frömmler, Sektierer, Scheinheiliger; Heimtücker. Im frühen 18. Jh. aufgekommen, anfangs als Spottwort auf die Pietisten.

3 schottische Pfaffen: gemeint ist die schottische Erweckungsbewegung (Evangelicals) unter der Führung von Thomas Chalmers (1780-1847). Chalmers wirkte auch auf die deutsche Erweckungsbewegung (Th. Fliedner, Tholuck) und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

4 Calvin

"Calvin, Johannes (Jean Caulvin oder Cauvin), der Reformator und kirchliche Diktator zu Genf, geb. 10. Juli 1509 zu Noyon in der Picardie, gest. 27. Mai 1564. Von seinem Vater Gérard, Prokureur-Fiskal und bischöflichem Sekretär, zum geistlichen Stande bestimmt, wurde er im Collège La Marche, später in dem Collège Montaigu zu Paris unterrichtet. Auf Wunsch seines Vaters, der ihm zur Erleichterung seiner Studien zwei Pfründen verschafft hatte, wandte er sich 1529 in Orléans, dann in Bourges dem Rechtsstudium zu. Hier lernte er bei dem Humanisten Wolmar die griechische Sprache. Nach dem Tode des Vaters (1531) ging er, um humanistische Studien zu treiben, nach Paris, wo er 1532 das Werk Senecas von der Gnade herausgab und sich mit theologischen Fragen eingehend zu beschäftigen und der reformatorischen Auffassung des Christentums näher zu treten begann. 1533 arbeitete er für seinen Freund, den Rektor der Pariser Universität Cop, jene an Allerheiligen vor König Franz gehaltene Rede aus, die wegen darin vorgetragener evangelischer Lehren den Vortragenden zur Flucht nötigte. Aber auch Calvin selbst musste 1535 nach Basel flüchten. Hier gab er 1536 sein mehrmals, zuletzt 1559 umgearbeitetes Meisterwerk: »Unterweisung in der christlichen Religion« (»Institutio religionis christianae«), heraus, mit einer die französischen Reformierten gegen den Vorwurf des Umsturzes verteidigenden Widmung an den König Dieses Werk enthält in lichtvoller Darstellung ein vollständiges System des christlichen Glaubens, gegründet auf das protestantische Prinzip, dass die Heilige Schrift die alleinige Quelle christlicher Wahrheit sei. Abweichend von Luther, statuierte Calvin im Abendmahl einen geistigen Genuss des Leibes Christi durch den Glauben; in der Lehre von der Gnade und dem freien Willen nahm er eine absolute Vorherbestimmung der Gläubigen zur Seligkeit, der Ungläubigen zur Verdammnis (Prädestinationslehre) an, und in Ansehung der kirchlichen Gebräuche drang er auf gänzliche Abschaffung aller nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift begründeten Zeremonien.

Von Basel begab sich Calvin 1536 an den Hof der Herzogin Renata von Ferrara, musste aber von da fliehen, besuchte nochmals seine Vaterstadt und gedachte sich dauernd in Straßburg oder Basel niederzulassen. Auf dieser Reise (im August 1536) kam er durch Genf, wo die neue Lehre nach langem Kampf seit einem Jahr durch einen Regierungsbeschluss förmlich eingeführt war. Der Prediger Wilhelm Farel (s.d.) lud Calvin ein, in Genf sein Gehilfe zu werden. Nach anfänglicher Weigerung nahm Calvin die Stelle als Prediger und Lehrer der Theologie in Genf an und widmete sich seinem Amt mit der angestrengtesten Tätigkeit. Er lehrte auf der Kanzel und dem Katheder, richtete in den benachbarten Gegenden das Kirchenwesen ein, schlichtete Streitigkeiten, schrieb außer vielen andern Schriften einen großen und einen kleinen Katechismus und verfocht in häufigen Disputationen seine Meinungen gegen jeden Angriff mit Hartnäckigkeit und überlegenem Geist. Sein Anhang bestand vorzugsweise aus eingewanderten französischen Protestanten; diesen stand ein beträchtlicher Teil der eingebornen Genfer als sogen. Libertiner entgegen, denen die Lehre Calvins zu herb war, und die als Freunde der Schweizer die freiere Richtung Zwinglis vorgezogen hätten. Als 1538 Calvin und Farel ihren Gegnern das Abendmahl verweigerten, wurden sie aus Genf verbannt. Calvin begab sich über Basel nach Straßburg, wo er theologische Vorlesungen hielt und eine französisch-reformierte Gemeinde gründete. Durch Teilnahme am Frankfurter Reichstag 1539 und an den Religionsgesprächen zu Worms 1540 und Regensburg 1541 trat er mit Melanchthon in freundschaftliche Beziehungen. Dabei waren aber seine Blicke fortwährend nach Genf gerichtet, woselbst seine Anhänger die Oberhand im Rat erlangt hatten. Im Mai 1541 erfolgte die feierliche Zurückberufung, und im September kam Calvin in Genf wieder an, um dem Rate sogleich seinen Plan zur Verbesserung der Kirchendisziplin vorzulegen, der ohne Widerspruch angenommen wurde. Dieser Verordnung gemäß sollten von den Predigern in Vorschlag zu bringende, von der Gemeinde zu bestätigende Älteste bestellt werden, deren zwölf in Gemeinschaft mit sechs Predigern die oberste kirchliche Behörde, das Konsistorium, bildeten. Dieses hatte das Recht, Gesetze zu geben sowie Verächter des Gottesdienstes, sittenlose Personen und Verbreiter heterodoxer Meinungen ohne Rücksicht auf ihren Stand zur Rechenschaft zu ziehen und der weltlichen Obrigkeit zur Bestrafung zu übergeben. Hierdurch hauptsächlich drückte Calvin der Genfer Reformation einen theokratischen Charakter auf. Jede, auch die bescheidenste Opposition gegen seine Ansichten wurde unterdrückt und die Taten, Mienen und Worte eines jeden Bewohners von Genf streng überwacht. Allein 1542-46 wurden 58 Personen hingerichtet, 76 verbannt. Theatralische Aufführungen und Tänze wurden untersagt. Auch die Taufe auf andre als biblische Vornamen und sogar das Tragen deutsch-schweizerischer Trachten wurde verboten. Mit gleicher Strenge wurden Schriften und Meinungen, die das geistliche Tribunal verdammte, gerichtet. Wegen Widerspruchs gegen Calvins Prädestinationslehre wurde 1551 Bolsec (s.d.) aus Genf verbannt. Das berühmteste Beispiel aber von Calvins Glaubensdespotismus ist die Hinrichtung des Spaniers Servet (s.d.) wegen heterodoxer Ansicht über die Trinität 1553. Dieser Prozess fällt übrigens den Vorurteilen des ganzen Zeitalters zur Last; auch die Lutheraner, sogar Melanchthon, haben die Hinrichtung eine Tat der Gerechtigkeit genannt. Calvins wahrhaft unermessliche Tätigkeit erhielt durch die 1559 von ihm bewirkte Stiftung einer theologischen Akademie in Genf, der ersten reformierten Universität, einen neuen bedeutenden Zuwachs. Aus dieser Pflanzschule, an der unter andern Theodor Beza (s.d.) lehrte, gingen die kühnen und geistvollen Männer hervor, welche die reformierte Lehre den kommenden Geschlechtern bewahrten und in andre Länder, z. T. in weite Ferne trugen. 1549 schon hatte sich Calvin mit den Zürichern (Consensus Tigurinus) über die Abendmahlslehre geeinigt. Diese Vereinbarung fand die Zustimmung der übrigen evangelischen Kirchen der Schweiz, erregte aber den Zorn der Lutheraner, als deren Wortführer Westphal und Heßhusius in eine erbitterte Polemik mit Calvin gerieten. Calvins schwächlicher Körper erlag endlich den Anstrengungen und zunehmender Kränklichkeit. Seine Gattin (er hatte 1539 in Straßburg Idelette de Bure, verwitwete Störder, geheiratet) war 1549, sein einziger Sohn noch früher gestorben.

Calvins bleiche und magere Gesichtszüge mit dem langen, schlichten Bart waren die eines kränklichen Mannes; aus der hohen, reinen Stirn und aus den ernst und scharf blickenden Augen aber sprach ein gelehrter, seiner, fester Geist. Seine Uneigennützigkeit ist vielfach bewundert worden. Er predigte beinahe täglich, hielt wöchentlich drei theologische Kollegien, versäumte keine Sitzung des Konsistoriums, leitete die Verhandlungen der Predigergesellschaft, erließ juristische und theologische Gutachten, führte die wichtigsten politischen Verhandlungen, verfasste seine gediegenen Werke, darunter die vortrefflichen Bibelkommentare, und neben diesem allen erstreckte sich sein Briefwechsel nach allen Ländern Europas. Außer seinen gedruckten Werken bewahren die Genfer und Züricher Bibliotheken als Zeugnisse seiner Tätigkeit an 3000 handschriftliche Predigten, Abhandlungen etc. An Kenntnis der klassischen Literatur, an Darstellungsgabe und Feinheit des Geistes war Calvin den andern Reformatoren überlegen. Unter seinen Werken (Gesamtausgabe von Braun, Reuß und Cunitz im »Corpus Reformatorum«, Braunschw. u. Berl. 1863-1900, 59 Bde.) sind die »Institutio religionis christianae« (Sonderausg. von Tholuck, 2. Aufl., das. 1846; deutsch von Spieß, Wiesb. 1887) und die »Commentarii in libros N. T.« (Tholuk, 4. Aufl., Berl. 1864, 4 Bde.) für die theologische Wissenschaft von bleibender Bedeutung. Von Calvin rührt auch die Verbesserung der französischen Bibel (nach Olivetans Übersetzung) her. Sein Leben beschrieben: von feindlicher Seite Bolsec (s.d.), von befreundeter Th. Beza (Genf 1575; neue franz. Bearbeitung von Franklin, das. 1864). Aus den neuern Biographien sind die von E. Stähelin, I. Calvin (Elbers. 1863, 2 Bde.), F. Kampschulte, I. Calvin, seine Kirche und sein Staat in Genf (Bd. 1, Leipz. 1869; Bd. 2, hrsg. von Götz, das. 1899, noch unvollendet) und das groß angelegte Werk von E. Doumergue, Jean Calvin Les hommes et les choses de son temps (Bd. 1, Lauf. 1899), hervorzuheben. Vgl. auch Choisy, L'Etat chrétien calviniste à Genève (Par. 1902). Ausführliche Bibliographie bis 1900 im 59. Bande der Werke (s. oben)."

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5 Peter Ameaux († 1552): reicher Spielkartenfabrikant

6 Servet

"Servet, Michael (eigentlich Miguel Serveto), gelehrter Arzt und Antitrinitarier, geb. wahrscheinlich 29. Sept. 1511 zu Tudela in Navarra, gest. 27. Okt. 1553 in Genf, studierte in Toulouse die Rechte, kam im Gefolge Karls V., dessen Kaiserkrönung er beiwohnte, nach Deutschland und stand hier in Diensten des kaiserlichen Beichtvaters Quintana. 1530 wandte er sich nach Straßburg, wo ihm Capito und Butzer bekannt wurden, und veröffentlichte in Hagenau sein Werk »De trinitatis erroribus« (1531) und begründete die darin entwickelten antitrinitarischen Gedanken in den am gleichen Ort erschienenen »Dialogi de trinitate« (1532). Nach Frankreich zurückgekehrt, lebte er meist in Paris oder Lyon, studierte Astrologie, Mathematik und Medizin und erwarb sich durch seine Herausgabe des Ptolemäos einen ebenso geachteten Namen als Geograph, wie er als Arzt und Physiolog sich namentlich durch seine bahnbrechenden Ausführungen über den Blutumlauf hervortat. Seit 1540 zu Vienne lebend, geriet er durch seine im Januar 1553 in Lyon herausgegebene Schrift »Christianismi restitutio«, in die seine frühern antitrinitarischen Schriften, neu bearbeitet, aufgenommen wurden, mit der katholischen und protestantischen Theologie in Zwiespalt. Zwar entkam er aus dem Gefängnis in Lyon im April 1553, ward aber in Genf auf Calvins Anzeige abermals festgenommen, vergebens zum Widerruf ermahnt und, nachdem sich die vier evangelischen Ministerien von Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen gutachtlich gegen ihn ausgesprochen hatten, 26. Okt. 1553 vom Rat zu Genf, besonders auf Calvins (s. d.) Andringen, zum Tode und zwar, gegen Calvins und der übrigen Prediger Wunsch, zum Feuertod verurteilt, den er, standhaft bei seiner Lehre beharrend, erlitt. 1903 wurde ihm in Genf ein Sühnedenkmal errichtet. Die »Christianismi restitutio« ist bis auf drei Exemplare in Paris, Wien und Edinburg verschollen. Einen Neudruck veröffentlichte Murr (Nürnb. 1791), eine deutsche Übersetzung Spieß u. d. T.: »Wiederherstellung des Christentums« (Wiesbad. 1892-95, 2 Bde.; ein 3. Bd., das. 1896, enthält einige lateinische Texte)."

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7 Heinrich VIII.

"Heinrich VIII., König von England, geb. 27. Juni 1491, gest. 28. Jan. 1547, Sohn des vorigen, bestieg 21. April 1509 den englischen Thron und vollzog im Juni die schon 1504 durch Vertrag geschlossene Heirat mit Katharina von Aragonien. Heinrich war ein stattlicher Mann, mit glänzenden Gaben ausgestattet, in Gelehrsamkeit und ritterlichen Künsten gleichmäßig ausgezeichnet. Seine Regierung folgte den Impulsen, die sein persönlicher Charakter ihr gab; doch hatte anfangs der Kardinal Wolsey (s. d.) namhaften Einfluss darauf. 1512 verband sich Heinrich mit dem Kaiser Maximilian I. gegen Ludwig XII. von Frankreich, siegte zwar 17. Aug. 1513 in der sogen. Sporenschlacht bei Guinegale, schloss aber schon im folgenden Jahre Frieden mit Frankreich und mit Ludwigs XII. Nachfolger Franz I. sogar ein Bündnis gegen Karl V. Nochmals wechselte Heinrich die Stellung, als er 1521 auf den Rat Wolseys, der durch den Kaiser auf den päpstlichen Stuhl erhoben zu werden hoffte, eine Allianz mit Karl V. gegen Frankreich einging. Da sich aber Wolsey in seinen Aussichten auf den päpstlichen Stuhl getäuscht sah, erfolgte 1526 ein vollständiger Bruch mit dem Kaiser. Durch die gegen Luthers Buch von der babylonischen Gefangenschaft gerichtete Schrift »Adsertio septem sacramentorum« (Lond. 1521) hatte sich Heinrich vom Papste den Titel Defensor fidei erworben, und er war infolge von Luthers 1522 erschienener Gegenschrift »Contra Henricum regem M. Lutherus« der entschiedenste Gegner des Protestantismus geworden. Bald nach eingetretenem Zerwürfnis mit dem Kaiser legte nun aber Heinrich die Absicht an den Tag, seine Ehe mit Katharina, einer Tante des Kaisers, zu trennen, angeblich aus Gewissensbissen, da eine Ehe mit der Witwe des Bruders kirchlich verboten sei, in Wirklichkeit wegen seiner Liebe zu der schönen Anna Boleyn (s. Anna 1). Clemens VII. übertrug seinen Legaten Wolsey und Campeggio die Untersuchung über die Gültigkeit der Ehe des Königs, nahm aber, noch ehe die Sache entschieden war, infolge seiner Annäherung an Karl V. deren Vollmachten zurück. Darauf wurde der Kardinal Wolsey gestürzt, und Heinrich ließ, nach späterer Überlieferung auf den Rat des Theologen Thomas Cranmer, durch einen englischen Gerichtshof seine Ehe mit Katharina für ungültig erklären, worauf er sich im Anfang 1533 mit Anna Boleyn vermählte. Als der Papst darauf gegen den König einschritt, beschloss Heinrich, sein Reich von der geistlichen Oberherrschaft Roms frei zu machen, und ließ sich mit Zustimmung des Parlaments zum Oberhaupt der »Anglikanischen Kirche« (s. d.) ernennen; Cranmer wurde Primas des Reiches. Aber diese Trennung vom Papsttum, an welcher der Bannfluch, den der Papst gegen Heinrich aussprach, nichts änderte, sollte keine Lossagung vom Katholizismus bedeuten; dogmatisch blieb Heinrich noch lange Zeit ein Gegner der protestantischen Reformation, deren Anhänger er ebenso fanatisch wie die Roms verfolgte; erst später neigte er sich ihr mehr zu. Nach dem Tode der Königin Katharina (17. Jan. 1536) machte ihm der Kaiser Anträge zur Erneuerung der frühern freundschaftlichen Beziehungen; Heinrich zeigte jedoch wenig Neigung dazu. Um diese Zeit warf der König sein Auge auf das Hoffräulein Johanna Seymour, ließ Anna wegen angeblichen Ehebruchs hinrichten (19. Mai 1536), vermählte sich elf Tage später mit Johanna Seymour und ließ sodann durch einen Beschluss des stets von seinem Willen abhängigen Parlaments seine beiden frühern Ehen für unrechtmäßig und die daraus entsprossenen Kinder Maria und Elisabeth für illegitim erklären. Aus der Ehe mit Johanna wurde 12. Okt. 1537 ein Sohn, der spätere König Eduard VI., geboren; wenige Tage darauf starb die Königin. Inzwischen hatte eine wirklich protestantische Partei unter der Führung des Staatssekretärs Thomas Cromwell Einfluss auf den König gewonnen. Um eine Annäherung Englands an die deutschen Protestanten herbeizuführen, bestimmte Cromwell Heinrich zu einer Vermählung mit der Prinzessin Anna von Kleve, obwohl diese ihm äußerlich wenig gefiel. Die Ehe war sehr unglücklich, und sobald Heinrich die Gefahr, die ihm durch einen kaiserlichen Angriff 1540 gedroht, vorübergegangen glaubte, lief; er Cromwell vor dem Parlament wegen Verrats verurteilen und hinrichten; von Anna schied er sich im Juli 1540 und vermählte sich schon im selben Monat mit Katharina Howard, einer Nichte des Herzogs von Norfolk, die ihn zu einer antiprotestantischen Haltung bewog. Doch vermochte auch diese den König nicht dauernd zu fesseln, sondern ward der Untreue angeklagt und, schuldig befunden, 13. Febr. 1542 hingerichtet. Vier Monate später vermählte sich der König zum sechstenmal mit Katharina Parr, der Witwe des Lords Latimer, die ihn überlebte. Ein Krieg mit Schottland erreichte seinen Zweck, auch dort die päpstliche Macht zu stürzen, nicht; ebenso blieb ein mit dem Kaiser gegen Frankreich 1543 unternommener Krieg ohne große Ergebnisse. Durch einen Parlamentsbeschluss von 1544 wurde die Nachfolge so geordnet, dass zunächst Heinrichs Sohn Eduard und, wenn dieser ohne Leibeserben sterben sollte, die beiden früher für illegitim erklärten Prinzessinnen Maria und Elisabeth die Krone erben sollten."

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8 Eduard VI.

"Eduard VI., geb. 12. Okt. 1537, Sohn Heinrichs VIII. und der Johanna Seymour, gest. 6. Juli 1553, bestieg 1547 den Thron unter der Vormundschaft seines Oheims Edmund Seymour, Herzogs von Somerset. Der jugendliche Fürst war dem Protestantismus aufrichtig ergeben und verfasste eine französische Abhandlung gegen die päpstliche Suprematie (hrsg. von Potts, Cambr. 1874). Seine Regierungszeit ist erfüllt durch das Bestreben, England zur protestantischen Kirche überzuführen. Ebenso suchte Somerset, freilich erfolglos, die Verbindung mit Schottland durchzusetzen. Somerset wurde 1549 gestürzt und 1552 hingerichtet. Nach ihm leitete der Herzog von Northumberland den König und beredete ihn, die Thronfolgeordnung zu Gunsten der Johanna Grey zu ändern. E. starb an der Schwindsucht, ehe sein Charakter vollständig entwickelt war. Sein Testament wurde durch seine Schwester Maria umgestoßen."

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9 Thomas Müntzer

"Mün(t)zer, Thomas, Schwärmer im Reformationszeitalter, geb. vor 1499 in Stolberg am Harz, gest. 30. Mai 1525 in Mühlhausen, studierte Theologie und ward 1519 Kaplan des Nonnenklosters in Beutitz vor Weißenfels. 1520 als evangelischer Prediger nach Zwickau berufen, trat er mit einer schwärmerischen Bruderschaft, deren Haupt der Tuchmacher Niklas Storch war, in Verbindung und ward daher 1521 seiner Stelle entsetzt. Er wandte sich hierauf zuerst nach Prag, sodann nach Nordhausen, bis er 1523 als Prediger zu Allstedt in Thüringen angestellt ward. Hier trat er als fanatischer Gegner alles Kirchentums auf und forderte mit Berufung auf sein »inneres Licht« eine Radikalreform im Kirchlichen wie im Politischen. 1524 genötigt, Allstedt zu verlassen, ging er nach Mühlhausen, von wo er seine »Hochverursachte Schutzrede und Antwort wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg« veröffentlichte. Nachdem er einige Zeit in Nürnberg, Basel, im Hegau etc. zugebracht, kehrte M. im Dezember 1524 nach Mühlhausen zurück und ward 1525 von den Wiedertäufern zum Pfarrer daselbst berufen. Er gewann sofort die Volksmenge, ernannte sich zum Vorsitzenden des aus seinen Anhängern neuerwählten Rates und drang auf Gütergemeinschaft, Beseitigung der Kindertaufe etc. Umsonst eiferte Luther gegen den »Mordpropheten« und seine Sendboten; bald stand alles Land rings um Mühlhausen in hellen Flammen des Aufruhrs. Als der Landgraf Philipp von Hessen kriegsgerüstet den Bauern entgegentrat, eilte M. nach Frankenhausen, ward aber hier 15. Mai 1525 völlig geschlagen. Auf der Flucht ergriffen, wurde er gefoltert und zu Mühlhausen nebst 25 andern Aufrührern 30. Mai enthauptet. Sein Leben beschrieben unter andern: Melanchthon (»Die Historie von Thome Müntzer des anfengers der döringischen Uffrur«, 1525), Strobel (Nürnb. 1795), in neuerer Zeit Seidemann (»Thomas M., eine Biographie«, Leipz. 1842) und A. Stein (H. Nietschmann, Halle 1900)."

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10 Nikolaus Crell

"Crell, Nikolaus, kursächs. Kanzler, geb. um 1551 in Leipzig, studierte seit 1571 die Rechte und wurde 1580 zu Dresden Hofrat und Sekretär des Kurprinzen Christian, der ihn nach seinem Regierungsantritt 1586 zum Geheimrat und 1589 zum Kanzler erhob. Vom Adel und der Kurfürstin Sophie als Emporkömmling gehaßt, zog er sich durch seinen Widerstand gegen die lutherische Orthodoxie und durch Besetzung hoher geistlicher Ämter mit Kryptocalvinisten, durch Einführung eines neuen Katechismus, durch Veranstaltung einer Bibelausgabe mit Glossen (der sogen. Crellschen) auch den Hass des Volkes zu. Als 1591 nach Christians Tode Herzog Friedrich Wilhelm von Weimar, ein eifriger Lutheraner, die vormundschaftliche Regierung übernahm, ward C. gestürzt und auf dem Königstein 4 Jahre gefangen gehalten. Erst im August 1595 brachte man eine Anklageschrift gegen ihn zustande. Seinen Freunden hatte Crell insgeheim eine Instruktion zukommen lassen, wonach seine Gattin beim Reichskammergericht in Speyer eine Beschwerde wegen verzögerten Rechtsganges einreichte, worauf dieses wiederholte Mandate zu Crells Gunsten erließ. Allein die sächsische Regierung bestritt die Kompetenz des Reichsgerichts. Durch kaiserliches Reskript vom 2. Mai 1601 wurde der Prozess den kursächsischen Gerichten überwiesen, aber diese überließen das Urteil der böhmischen Appellationskammer zu Prag. Auf deren Spruch fällte der Administrator über C. das Todesurteil, das am 9. Okt. 1601 zu Dresden vollstreckt wurde."

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11Henning Brabant

"Die Stadtgeschichte geriet infolge wachsender sozialer Spannungen in Turbulenzen, als die Bürgerhauptleute auf weiteren Einfluss im Rat und auf die berechtigte Reduzierung der Rechte der überrrepräsentierten reichen Gilden drängten. Ihr Wortführer war der Jurist Henning Brabant. Die Brabanter Revolution (1601 - 1604) wurde zunächst von der Stadtgeistlichkeit unterstützt, und der 36jährige Stadtsuperintendent Johann Kaufmann hielt im Januar 1602 in der Brüdernkirche eine flammende Wahlrede gegen die Patrizier der Stadt. Für den neu gewählten, nun auf breitere Grundlage gestellten Rat, hielt die Kirche Dankgottesdienste. Die wirtschaftlichen Verhältnisse besserten sich aber nicht. Brabant sprach außerdem den Stadtgeistlichen das Recht auf Kanzelkritik ab, und deshalb wurden er und seine Hauptleute von Abendmahl und Taufe ausgeschlossen, und diese Kirchenzucht wurde auch streng durchgeführt. Das beeindruckte Stadtvolk wandte sich daraufhin von den Bürgerhauptleuten ab, Brabant wurde verhaftet und starb im September 1604 auf dem Schafott unter furchtbarer Folterung mit den Zeilen des Lutherliedes "Du höchster Tröster in aller Not". Die gesamte Geistlichkeit feierte die Wende mit feierlichen Dankgottesdiensten und setzte sie noch acht Jahre lang jährlich fort: "Ein dunkles Blatt in der Geschichte der braunschweigigen Kirche"

[Quelle: http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/abriss.htm. -- Zugriff am 2004-12-31]

12 Zwingli

"Zwingli, Ulrich (Huldereich), Gründer der reformierten Kirche in der deutschen Schweiz, geb. 1. Jan. 1484 in der toggenburgischen Berggemeinde Wildhaus, woselbst sein Vater Ammann war, gest. 11. Okt. 1531 bei Kappel, machte seine philosophischen und humanistischen Studien in Bern und Wien, die theologischen seit 1502 in Basel als Schüler von Thomas Wyttenbach und wurde 1506 Pfarrer in Glarus. Als solcher nahm er teil an den Feldzügen der Glarner für den Papst gegen die Franzosen in der Lombardei 1512-15, wofür er bis 1517 vom Papst eine Pension bezog. Schon hier mit dem Neuen Testament sich viel beschäftigend, brach sich in ihm die Erkenntnis Bahn, dass mit diesem die Lehre der Kirche in manchen Stücken nicht übereinstimme. Starken Einfluss hatten auf ihn die Schriften des Erasmus (s. d.). 1516 ward er Prediger in dem durch Wallfahrten berühmten Kloster Maria-Einsiedeln. Auf solche Weise auf den Schauplatz krassen Aberglaubens versetzt, sing er bald an, wider Wallfahrten und andre Missbräuche, auch wider den 1518 in der Schweiz erschienenen päpstlichen Ablasskrämer Bernhardin Sanson (s. d.) zu predigen. Am 1. Jan. 1519 ward er Leutpriester am Großen Münster in Zürich. Indem er durch seine kunstlosen, aber klaren, allgemeinverständlichen Predigten die Begriffe in Sachen der Religion und des Glaubens erhellte und entwickelte, erfocht er binnen wenigen Jahren der Sache der Reformation in Zürich einen vollständigen Sieg. Zu gleicher Zeit trat er aber auch als Patriot gegen die Demoralisation des Volkes durch das Reislaufen, d. h. die Kriegsdienste der Züricher im Sold Frankreichs, Mailands, insbes. aber des Papstes, auf, so die politische mit der religiösen Reformation verbindend. Sämtliche Prediger in Stadt und Land wurden vielleicht schon 1520 (nach andern erst 1523) von der Obrigkeit angewiesen, dem Evangelium gemäß zu predigen. 1522 veröffentlichte Zwingli seine erste reformatorische Schrift gegen die Fasten der römischen Kirche. Als die Dominikaner in Zürich ihm Ketzerei vorwarfen, veranstaltete der Große Rat 29 Jan. 1523 eine Disputation über die von Zwingli aufgestellten Thesen. Da die Abgeordneten des Bischofs, namentlich Johann Faber, gegen Zwinglis Thesen nur die Autorität der Tradition und der Konzile geltend zu machen wussten, erkannte der Rat Zwingli den Sieg zu. Auf einem zweiten, vom 26.-29. Okt. 1523 gehaltenen Religionsgespräch wurde in Gegenwart von fast 900 Zeugen aus eidgenössischen Orten über Bilderdienst und Messe gestritten. Die Folge war die Entfernung aller Werke der bildenden Kunst aus den Kirchen Zürichs, und nach einem dritten Gespräch 13. und 14. Jan. 1524 wurde auch die Messe beseitigt. Noch in demselben Jahr verheiratete sich Zwingli mit der. 43jährigen Witwe Anna Meyer, gebornen Reinhard. Seitdem wirkte er, vom Rate tatkräftig unterstützt, aber von der Tagsatzung immer bedrohlicher angefeindet, fast wie ein weltlicher und geistlicher Diktator Zürichs, der Schul-, Kirchen- und Ehewesen neu ordnete. Mit Luther und den andern deutschen Reformatoren in vielen Punkten einig, verfuhr Zwingli doch in liturgischer Beziehung radikaler und verwarf die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl (s. d.). Wohl wollte Zwingli mit Luther den Staat aus den erdrückenden Fesseln der Kirche befreien, konnte aber doch von seinem christlichen Gemeindeideal aus, unterstützt von den tatsächlichen Züricher Verhältnissen, die Obrigkeit in den Dienst der Gemeinde stellen und erklären, dass »die Obrigkeit, welche außer der Schnur Christi fahren«, d. h. die Vorschriften Christi sich nicht zum Maßstab nehmen wolle, »mit Gott entsetzt werden möge«. Seit 1525 verwickelte ihn der Gegensatz in der Abendmahlslehre in einen heftigen literarischen Streit mit Luther. Auf dem vom Landgrafen von Hessen, Philipp dem Großmütigen, der Zwinglis weittragende politische Gesichtspunkte teilte, 1.-4. Okt. 1529 zur Beilegung des Abendmahlstreites zu Marburg veranstalteten Religionsgespräch ward Zwingli von Luther schroff zurückgestoßen, und der Plan einer gemeinsamen protestantischen Unternehmung gegen Kaiser und Papst scheiterte an theologischen Bedenken. Doch immer kühner wurden die Pläne der innig verbundenen Freunde, des Landgrafen und Zwinglis. Dieser begeisterte 1530 jenen für den Gedanken, »durch einen Bund von der Adria bis zum Belt und zum Ozean die Welt aus der Umklammerung des Habsburgers zu retten«. Damals hatte Zwingli schon im Januar 1528 bei einem Religionsgespräch zu Bern auch diesen Kanton für die Reformation gewonnen. Aber nachdem durch den ersten Kappeler Frieden 1529 die drohende Gefahr eines Glaubenskrieges zwischen Zürich und den fünf katholischen Urkantonen beseitigt schien, kam es doch 1531 zum offenen Krieg. Am 11. Okt. 1531 unterlagen die Züricher bei Kappel, und Zwingli selbst fand auf dem Schlachtfeld seinen Tod. Am folgenden Tage schleppte man den Leichnam zum Scheiterhaufen und streute die Asche in den Wind. Erst 1838 ward ihm in Kappel, 1885 in Zürich ein Denkmal errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Reformatoren«. Zwingli war ein edler, toleranter, frommer und uneigennütziger Mann, ausgezeichnet durch Kenntnisse wie Sinn für das Praktische, der ihn zu den umfassendsten politischen Kombinationen befähigte. Seinem theologischen Lehrbegriff lag Streben nach Klarheit und Vernünftigkeit zugrunde. Was ihn zum Begründer einer eignen Kirche neben Luther machte, war die durch und durch sittlich bestimmte, an keine Zeremonien ursachlich gebundene Natur des christlichen Glaubens, den er vertrat, die in solchem Glauben begründete Freiheit der christlichen Persönlichkeit von den geschichtlich vermittelten Gnadenspendungen der Kirche, die er, freilich nicht ohne Inkonsequenzen, betonte. Aus seinen Schriften sind hervorzuheben: »Von Erkiesen und Freiheit der Speisen« (1522); »Auslegen und Gründe der Schlussreden« (1523); »De vera et falsa religione« (1525); »Fidei ratio« (1530) und besonders die »Christianae fidei brevis et clara expositio ad regem christianum« (1536). Seine Werke wurden herausgegeben von Froschauer (Zür. 1545 u. 1581), von Schüler und Schultheß (das. 1828-42, 8 Bde.; Supplement 1861), von Egli und Finsler (Berl. 1905 ff.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

13 Wiedertäufer

"Wiedertäufer (Anabaptisten), christliche Sekte, welche die Einwilligung des gläubigen Täuflings zur Vorbedingung der Taufe macht, daher die Kindertaufe verwirft und bei den ihr Beitretenden die Taufhandlung wiederholt. Schon vor der Reformation bestritten einzelne reformerische Sekten die Kindertaufe; im Zeitalter der Reformation fand sich in der gemeinsamen Opposition gegen die Kindertaufe alles zusammen, was radikaler als die Reformatoren zu Werke zu gehen und das subjektive Prinzip, von dem diese selbst ausgegangen waren, bis aus Ende zu verfolgen unternahm. Als Ideal schwebte die von der Welt, vor allem der Verbindung mit dem Staate losgelöste Gemeinschaft der Heiligen vor. So verbanden sich bei den besonders in der Schweiz, Deutschland und Holland auftauchenden Wiedertäufern mit der Forderung der Wiedertaufe die der Ausrichtung eines Reiches Christi auf Erden, Einführung der Gütergemeinschaft, Glauben an neue Offenbarungen u. dgl. Mit derartiger »Geisttreiberei« versuchten es in Deutschland 1521 die sogen. Zwickauer Propheten (»himmlische Propheten«) in Sachsen, an deren Spitze Nikolaus Storch aus Zwickau, Markus Stübner und Thomas Münzer (s. d.) standen. Letzterer entzündete in Sachsen, Franken und Thüringen den Bauernkrieg (s. d.), so dass die Sache der Wiedertäufer durch die Schlacht bei Frankenhausen (15. Mai 1525) hier ihr vorläufiges Ende fand. Dagegen traten in Bayern um 1527 als Wiedertäufer auf Joh. Denk (s. d.), Ludwig Hetzer (s. d.), Hans Hut, Siegmund Salminger in Augsburg und fanden ungeachtet der Verfolgungen viele Anhänger. In der Schweiz wurde ein harter Kampf geführt, in dem die Wiedertäufer dem von Zwingli in Bewegung gesetzten weltlichen Arm unterlagen. In den Niederlanden wirkte David Joriszoon (s. d.), in Westfalen, Holstein und Ostfriesland Melchior Hoffmann (s. d. 9) und Melchior Rinck, in Mähren und Tirol Balthasar Hubmaier und Hans Hut. Auf Grund kaiserlicher Edikte (seit 1528) wurden unzählige Wiedertäufer enthauptet, ertränkt oder verbrannt. Dadurch steigerte sich aber nur ihr Fanatismus; man nannte sie wohl auch Stäbler (Baculares, Stablarii), weil sie meinten, ein Christ dürfe keine Waffen, sondern nur einen Stab tragen. Holländische Wiedertäufer gründeten seit 1533 in Münster, wo der protestantische Geistliche Rothmann und die Bürger Knipperdolling (s. d.) und Krechting sich mit Johann von Leiden (s. d.) und Johann Matthys von Haarlem verbanden, ein Staatswesen mit einem Zionskönig an der Spitze, Gütergemeinschaft, Vielweiberei u. dgl. Erst durch mehrere protestantische Fürsten im Verein mit dem Bischof wurde die Stadt eingenommen und durch die Hinrichtung der Anführer dem neuen Reich 1535/36 ein blutiges Ende gemacht. Wenn auch in Grundgedanken übereinstimmend, sind die einzelnen Gruppen der Wiedertäufer durchaus individuell verschieden; ihre Lieder sind von hoher poetischer Schönheit. Vgl. Hase, Neue Propheten (3. Aufl., Leipz. 1893); Cornelius, Geschichte des Münsterschen Aufruhrs (das. 1855-60, 2 Bde.) und Die niederländischen Wiedertäufer während der Belagerung Münsters 1534-1535 (Münch. 1869); Bouterwek, Zur Literatur und Geschichte der Wiedertäufer (Bonn 1864); L. Keller, Geschichte der Wiedertäufer und ihres Reichs zu Münster (Münst. 1880); Tumbült, Die Wiedertäufer (Bielef. 1899); Rembert, Die Wiedertäufer im Herzogtum Jülich (Berl. 1899); Bax, Rise and fall of the Anabaptists (Lond. 1903); Egli, Die Züricher Täufer (Zür. 1878) und Die St. Galler Täufer (das. 1887); E. Müller, Geschichte der bernischen Däuser (Frauenfeld 1895); Loserth, Der Anabaptismus in Tirol (Wien 1892), Balthasar Hubmaier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren (das. 1893) und Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer (das. 1894); Bahlmann, Die Wiedertäufer zu Münster, bibliographische Zusammenstellung (Münst. 1894); H. v. Kerssenbroch (s. d.), Anabaptistici furoris historica narratio (hrsg. von Detmer, das. 1900); R. Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer (Berl. 1903); Detmer, Bilder aus den religiösen und sozialen Unruhen in Münster (Münst. 1903-04,3 Hefte); A. Hulshof, Geschiedenis van de Doopsgezinden te Straatsburg van 1527 tot 1557 (Amsterd. 1905). - Eine neue, dem stürmischen Charakter der ersten direkt entgegengesetzte Periode in der Geschichte der Wiedertäufer beginnt mit Ubbo Philipps, der, früher katholischer Priester in Leeuwarden, 1534 ein Haupt der Wiedertäufer geworden war und seinen Bruder Dirk, David Joriszoon und Menno Simons (s. d., Bd. 13, S. 602) zu Geistlichen geweiht hatte. Mit dem Letztgenannten mündet die Geschichte der Wiedertäufer ein in die der Mennoniten (s. d.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

14 Valentin Gentilis

"Gentilis (Gentile), Valentino (ca. 1520-66), * in Cosenza (Calabrien), Humanist, schließt sich 1556 (1557?) in Genf der italienischen Flüchtlingsgemeinde an und wird vor allem unter dem Einfluß von Gribaldi, der auch später sein Mentor bleibt, zum Antitrinitarier. Humanistische Ablehnung der scholastischen Terminologie, bes. des Substanzbegriffes, und das Bewußtsein persönlicher Erleuchtung führen zur Kritik an der kirchlichen Trinitätslehre ( Trinität: III) und zum Zusammenstoß mit den Genfer Behörden und Calvin. Zum Widerruf gezwungen, wird G. trotzdem - mit Vollstreckungsaufschub - zum Tode verurteilt, nach kurzer Zeit freigelassen, flieht und beginnt - eidbrüchig - seine Polemik gegen Calvin von neuem (Antidota, 1559 gegen die eben erschienene letzte Auflage der Inst. [I, 13, §§ 20-29] gerichtet). Die polnischen »Tritheisten« (Gregor Pauli) berufen sich auf ihn, polnische Synoden (Krakau Okt., Pinczow 4.11.1562) erklären sich gegen ihn. Von 1563 bis 1566 wirkt er selbst in Polen. Die Erneuerung des Parczower Edikts (1564) treibt ihn 1566 aus dem Lande. Über Mähren und Wien sucht er Zuflucht bei Gribaldi in Gex (Kanton Bern). Als er für eine internationale Disputation über die Trinitätslehre wirbt, wird er verhaftet, unter dem Druck Bezas, Bullingers und B. Hallers zum Tode verurteilt und am 10.9.1566 enthauptet."

[Quelle: Wilhelm Maurer (1900 - 1982). -- In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG3). --  Bd. 2. -- 1958. --  Sp 1390 ff.]

15 Bäffchen (Beffchen):

"Das Beffchen ist in der Evangelischen Kirche Teil des liturgischen Gewandes, des Talars. Ursprünglich zum Schutz des Talars vor dem Bart des Geistlichen gedacht, wird es heute in auch von Pfarrerinnen getragen.

Das Beffchen besteht aus zwei Streifen weißen Stoffes, die je nach Konfession/Ordination des Pfarrers auseinander gehen oder zusammen genäht sind.

Während bei Pfarrern lutherischer Ausrichtung die Streifen etwa im Winkel von 30° auseinandergehen, sind sie bei Reformierten fest miteinander verbunden. Neben diesen beiden gibt es eine dritte Form, bei der die Streifen in der oberen Hälfte fest miteinander verbunden sind, in der unteren jedoch nicht. Diese Form tragen Geistliche der unierten Kirchen.

Beffchen werden ohne Gestaltung, aber auch aufwändig mit Hohlsaum oder Stickereien gestaltet und so mit Symbolen verziert, hergestellt.

Es gibt Binde-, Unterknöpf-, Riegel-, Badische-, Einsteck-, oder Württembergische Beffchen. Welches der Pfarrer benutzt, richtet sich nach den landeskirchlichen Vorschriften."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Beffchen. -- Zugriff am 2004-12-31]

[Anmerkung von Alois Payer: Diese Pfarrer predigen dann in Talar und Beffchen gegen Eitelkeit, Konsumerismus und Luxus!]


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