Religionskritisches von Johann Most

Zum Ketzer-Prozess wider Most (1878)

von

Johann Most


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Most, Johann <1846 - 1906 >: Zum Ketzer-Prozess wider Most.  -- 1883. -- Fassung vom 2005-01-09. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/most03.htm  

Erstmals publiziert: 2005-01-01

Überarbeitungen: 2005-01-09 [Ergänzung]

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Zum Ketzer-Prozess wider Most1

(Verteidigungsrede des Angeklagten)2

Meine Herren! Wenn man die pomphaften Ankündigungen der offiziösen Blätter seiner Zeit, als dieser Prozess anhängig gemacht wurde, gelesen hat, so wird man heute gewiss sehr erstaunt sein, wahrzunehmen, dass von dem nach solchem Gepolter erwarteten Beweismaterials so viel wie nichts zu bemerken ist. Und von dem Wenigen, das der Staatsanwalt für mich auf Lager hatte, musste er wohl oder übel auch noch einen großen Teil ohne Weiteres fallen lassen. Da kann man wohl sagen: Die Berge kreißten, und sie gebaren ein winziges und obendrein lahmes Mäuslein. Der Ankläger hat den Rückzug angetreten noch ehe es zum Schlagen kam und scheint es deshalb auch für geraten gehalten zu haben, sich hinter fremdartige Schanzen zu verstecken. Er redete da von der „Berliner Freien Presse“3, der Wera Sassulitsch4, von Attentaten, von der „Frau Präsidentin“ Stägemann5 oder Hahn6, von Trepoff7, Revolvern und allen erdenklichen Dingen, die mit der Anklage gar nichts zu tun haben. Es fällt mir darum auch gar nicht ein, diese Redensarten einer Kritik zu würdigen oder Sie sonstwie weiter damit zu langweilen.

Die Kombination des Hrn. Staatsanwaltes betreffs einer Auslassung der „Berliner Freien Presse“3 über die 6. und 7. Deputation des hiesigen Stadtgerichtes scheinen übrigens nur den Zweck gehabt zu haben, den Gerichtshof gegen mich einzunehmen; ich bin aber überzeugt, dass dieses Beginnen nicht die mindeste Beachtung gefunden hat und ich könnte nun gleich zur eigentlichen Sache übergehen, wenn nicht eine Äußerung des Anklägers, die zwar auch nicht zum Prozess direkt gehört, aber dennoch nicht unbeantwortet gelassen werden darf, zu etlichen Bemerkungen herausforderte.

Der Herr Staatsanwalt hielt es für angemessen, zu erklären, dass sozialistischerseits im Reichstag nur deshalb kein Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens gestellt worden sei, weil ein solcher offenbar keine Aussicht auf Annahme gehabt hätte und bei der herrschenden „allgemeinen Entrüstung“ zu sehr unliebsamen Erörterungen geführt haben würde. Dies ist denn doch eine Behauptung, welche rein ins Blaue hinein gemacht worden ist. Wie in den Blättern mitgeteilt wurde, habe ich es in der Tat lediglich aus dem Grunde veranlasst, dass kein solcher Antrag eingebracht wurde, weil ich fest überzeugt war und bin, dass dieser Prozess zu Wasser werden wird, und weil ich wünsche, dass sich dies so rasch wie möglich offenbare. Wäre die Einstellung des Strafverfahrens beim Reichstag beantragt worden, so hätte dies nicht den mindesten Anstoß erregen können. Denn man mag vom Reichstag halten, was man will, so wird doch zu konstatieren sein, dass er aus gebildeten Männern besteht. Und die Gebildeten urteilen über solche Ketzerprozesse eben ganz anders wie der Herr Staatsanwalt. Was aber die „allgemeine Entrüstung“ anlangt, welche über meine Rede betreffs Austritts aus der Landeskirche in den weitesten Kreisen herrschen soll, so muss ich bemerken, dass mir hievon gar nichts bekannt ist.

Im Gegenteil! Die liberale Presse, welche sonst wahrlich auf die Sozialdemokratie und auf meine Person nicht gut zu sprechen ist, hat sich fast ohne Ausnahme veranlasst gesehen, die Einleitung dieses Prozesses für höchst wunderbar und überflüssig zu erklären, die intellektuellen Urheber meines Vortrages, die „Hofdemagogen“ aber zu geißeln. Ja, noch mehr! Selbst muckerische Blätter, wie der „Reichsbote“8 und andere, haben ihre Verwunderung über meine Verfolgung ausgedrückt. Sie fühlten eben, dass durch derartige Prozeduren der Sache, die sie vertreten, nicht gedient werden könne. Wenn somit überhaupt irgendwo eine Entrüstung dieser Affäre halber Platz gegriffen hatte, so kehrte sich dieselbe einerseits gegen meine Verfolger, andererseits war sie, so weit sie wirklich mir galt, höchstens in einem sehr kleinen Zirkel orthodoxer Zeloten anzutreffen.


Abb.: 25jähriges Jubiläum der Christlich-Sozialen Partei. Am Gründungsort im "Eiskeller". -- 1903-01-02

[Bildquelle: Kupisch, Karl: Adolf Stoecker, Hofprediger und Volkstribun : Ein histor. Porträt. -- Berlin : Haude u. Spener, 1970. -- 94 S. : (Mit 8 Abb.) ; 8°. -- (Berlinische Reminiszenzen ; Bd. 29). -- ISBN 3-7759-0114-0. -- Abb. 5]

Ehe ich nun zu den einzelnen Punkten der wider mich erhobenen Anschuldigungen übergehe, muss ich wohl oder übel, wenn auch nur ganz kurz, auf die Genesis meiner Rede zu sprechen kommen. Etliche Hofprediger9 Berlins bildeten im Verein mit einigen nicht besonders gut beleumundeten Personen anderer Art eine Christlich-soziale Arbeiter „Partei“10 und trugen das Christentum in die Volksversammlungen hinein. Sie erklärten, die Lösung der sozialen Frage in die Hand nehmen zu wollen, priesen als Universalheilmittel den christlichen Glauben an und forderten das Vertrauen der Arbeiter. Damit stellten sie das Christentum und die Geistlichkeit der Kritik zur Verfügung, ja provozierten eine solche. Und meine inkriminierte Rede und die ganze Agitation für Austritt aus der Landeskirche bildeten die Antwort auf diesen Arbeiterfang. Schon hieraus erhellt, dass sich die Spitze des zweiten Teils meiner Rede vornehmlich gegen die christlich-sozialen Agitatoren, die als solche ohne Zweifel, wenn sie auch Geistliche waren, nicht in der Ausübung ihres Berufs sich befanden, und dass mithin der Oberkirchenrat nicht befugt war, Strafantrag zu stellen.


Abb.: Programm der Christlich-sozialen Arbeiterpartei

[Bildquelle: Kupisch, Karl: Adolf Stoecker, Hofprediger und Volkstribun : Ein histor. Porträt. -- Berlin : Haude u. Spener, 1970. -- 94 S. : (Mit 8 Abb.) ; 8°. -- (Berlinische Reminiszenzen ; Bd. 29). -- ISBN 3-7759-0114-0. -- S.34f.]

Hinsichtlich der angeblichen Schmähungen der Religionsgenossenschaften bin ich der Meinung, dass die Zeugenvernehmung in jeder Beziehung meine Nichtschuld erwiesen hat. Das Wort „ekelhaft“ beruhte auf einer Erfindung des Berichterstatters des „Reichsboten“8 und wurde auch nachträglich von demselben zurückgenommen.

Dass ich von den Religionssystemen nicht sagte, sie würden von Vielen, obgleich sie noch nicht aus der Kirche ausgeschieden sind, „belacht“, sondern dass ich bemerkte, sie würden von denselben „nicht beachtet“, haben alle Zeugen bestätigt. Und wenn auch von vier Zeugen einer nicht gehört haben will, dass ich sagte, es werde jeder, der die Religionssysteme vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus betrachte, „zur Skepsis angeregt“, wohingegen er, im Einklang mit der Anklage, behauptet, ich hätte gesagt, die Religionssysteme müssten unter solcher Voraussetzung jedermann „anwidern“, so halte ich doch dafür, dass auch in diesem Punkte das Beweisverfahren zur Genüge die Unhaltbarkeit der letzteren Lesart dargetan hat. Der Herr Staatsanwalt hat allerdings die Ansicht ausgesprochen, dass das Wort „Skepsis“ schon deshalb in meiner Rede nicht vorgekommen sein könne, weil offenbar von den in der betreffenden Versammlung anwesenden ca. 3000 Personen nicht fünf gewesen wären, welche ein solches Wort verstanden hätten; aber damit hat der Ankläger nur bewiesen, dass er höchst eigentümliche Begriffe von sozialdemokratischen Versammlungen hat. Würde er sich hie und da derartige Zusammenkünfte persönlich betrachten, dann käme er gewiss in dieser Beziehung, wie hinsichtlich der Sozialdemokratie überhaupt, zu einer ganz anderen Meinung, als diejenige ist, welche er bisher hervorgekehrt hat. Sozialdemokratische Versammlungen bestehen nicht aus Wilden oder rohen Horden, sondern notorisch aus höchst anständigen Leuten. Die sozialistische Weltanschauung ist nachgerade in alle gesellschaftlichen Kreise eingedrungen, und die Arbeiterbewegung hat selbst die einfachsten Proletarier, welche sich ihr angeschlossen haben, auf eine Bildungsstufe emporgehoben, die derjenigen gewisser Leute wahrlich nicht nachsteht. Speziell in jener Versammlung waren gerade sehr viele Personen von höherer Intelligenz anwesend, und das Wort „Skepsis“ hat sehr wohl Verständnis gefunden.

Von Beschimpfungen der christlichen Religionsgenossenschaft kann also in meiner ganzen Rede nicht die Spur entdeckt werden, beschimpft müsste ich sie aber haben, um strafbar zu sein, da im § 16611 der Schwerpunkt der Betonung auf das Wort „Beschimpfung“ gelegt ist. Kritische Erörterungen über das Wesen derselben und diesbezügliche Agitation ohne Anwendung von Schimpfworten sind straflos. Dies scheint auch der Staatsanwalt zu wissen, indem er meine objektiven Angriffe auf das Christentum, meine vernichtenden Schläge gegen dasselbe nicht zu inkriminieren wagte, vermutlich, um mir keine Gelegenheiten zu geben, von der Anklagebank aufs Neue eine Lanze gegen ein Religionssystem zu brechen, das nach meiner Ansicht der Wissenschaft gegenüber nicht standhalten kann.

Weil er aber keine Beschimpfung von Einrichtungen der christlichen Religion meiner Rede entnehmen konnte, so stempelte er einfach einige andere Dinge zu solchen, und weil ich dieselben etwas drastisch behandelte, so konstruierte er hieraus Religionsbeschimpfungen. In erster Linie ficht er den Satz an: „Der Unsinn, Gott habe die Welt in sechs Tagen erschaffen, den man immer noch in den Schulen den Kindern lehrt, muss endlich aus den Lehranstalten entfernt werden.“ Und in zweiter Linie hält er dafür, dass ich strafbar sei, weil ich die „Theologie mit ihrer Hölle und ihrem Himmel“ Blödsinn genannt. Man weiß zwar nicht recht, ob er den ersteren Anklagepunkt schließlich noch aufrecht erhalten hat, denn aus seinen diesbezüglichen Äußerungen konnte kein Mensch klug werden, doch scheint er sich mindestens selbst nicht klar darüber gewesen zu sein, ob die Genesis der Bibel eine Religionseinrichtung im Sinne des Gesetzes ist oder nicht. Jedenfalls ist es unter solchen Umständen nicht überflüssig, wenn ich die nötige Klarlegung dieser Sachen besorge.

Fragen wir zunächst: Was bedeutet denn das Wort Unsinn? Ist es etwa ein Schimpfwort? Keineswegs! Unsinn ist der Gegensatz von Sinn; was also keinen Sinn hat, unlogisch ist, das wird man als etwas Unsinniges zu bezeichnen haben. Jeder Gebildete weiß aber, dass die mosaische Schöpfungssage in der Tat Dinge erörtert, die keinen Sinn haben, die den Ergebnissen der modernen naturwissenschaftlichen Forschung gegenüber als barer Unsinn sich charakterisieren. Was soll man z.B. dazu sagen, dass Moses am 3. Tage das Licht und erst am 4. Tage „Sonne, Mond und Sterne“ erschaffen lässt?12 Ist das kein Unsinn, wenn da vorgetragen wird, es sei schon das Licht dagewesen noch ehe ein Fixstern leuchtete? Und schon die Naivität, mit welcher da überhaupt von den Weltkörpern gesprochen wird, ist nach unseren heutigen Begriffen so unsinnig, dass nur noch Leute wie der Pastor Knaak13, der sich die Erde festgenagelt und die Sonne tanzend vorstellt, ernsthaft dabei bleiben können. Ganz und gar drastisch aber wird der Unsinn, der in der mosaischen Schöpfungssage liegt, dadurch illustriert, dass sie in der Bibel zwei Mal vorkommt und zwar in einer total abweichenden und widerspruchsvollen Form. Sogar die Gottheit tritt da unter zwei verschiedenen Namen auf. Einmal heißt sie Elohim und das andere Mal Javeh-Elohim14. Im einen Text tritt der Mensch zuletzt auf den Schauplatz und im ändern wird er zuerst geschaffen, noch ehe also Futter für ihn vorhanden war. Und Derartiges soll kein Unsinn sein? Ohne Zweifel ist den Theologen dieser Teil der Bibel auch sehr unbequem, und sie geben sich alle erdenkliche Mühe, der Sache einen einigermaßen annehmbaren Anstrich zu geben.

Einer der bedeutendsten Bibelerklärer, Bunsen15, glaubt z. B. über das doppelte und widerspruchsvolle Vorkommen der Schöpfungsgeschichte damit hinwegschlüpfen zu können, dass er vom einen Text sagt, er sei geschichtlichen Charakters, vom anderen aber, er sei philosophischer Natur. Vor dem Richterstuhle der Vernunft jedoch kommt man mit solchen Sophistereien nicht weit; da bleibt der Unsinn eben Unsinn.

Übrigens ist die mosaische Schöpfungssage noch von keiner Kirchenversammlung, keinem Papst und keinem Oberkirchenrat als Dogma proklamiert worden, welches geglaubt werden muss. Man hat es den Gläubigen wohlweislich überlassen, diese weltlichen Bücher der Bibel verschiedenen Auslegungen zu unterziehen. Und so sehen wir denn, dass beispielsweise innerhalb der protestantischen Kirche eine ganze Gruppe sich bildet, welche die Genesis und manches Andere, das sich in der Bibel vorfindet und unverständlich ist, als bildliche Dichtung bezeichnet. Haben wir es demnach in dem Worte Unsinn, angewendet auf tatsächlich unlogische Erörterungen, mit keiner Beschimpfung zu tun, so steht nach meinen Ausführungen andererseits fest, dass die mosaische Schöpfungssage keine Einrichtung der christlichen Religion ist. Dieser Punkt der Anklage hat also nicht den geringsten Halt mehr.

Ich komme nun zur Theologie, die ich als „Blödsinn“ bezeichnet habe, welche Auffassung mir auch heute noch innewohnt. Seit wann, frage ich, ist denn aber die Theologie eine Einrichtung der christlichen Kirche? Früher galt die Theologie als Wissenschaft, gegenwärtig weiß jeder wirklich Gebildete, dass von Wissenschaft dabei gar keine Rede sein kann, weil sie sich mit lauter absolut unwissenschaftlichen Dingen beschäftigt und Satzungen aufstellt, welche mit den Satzungen der Wissenschart auf dem gespanntesten Fuße stehen. Die Theologen schweben beständig im Blauen, stellen Spekulationen an über unsichtbare, unbegreifliche, übernatürliche, besser außer- oder nichtnatürliche und damit unbeweisbare Dinge. Und wenn sie dabei hier und da zu paradoxen Aufstellungen gelangten, welche im Lichte der Wissenschaft ein höchst lächerliches Aussehen bekamen, so taten sie einfach, weit entfernt ihre Bocksprünge einzusehen, die Wissenschaft in den Bann. In Summa-Summarum16 charakterisieren sich die ganzen Spiegelfechtereien der Theologen als Kindereien, ja als Blödsinn! Doch dies nur so nebenbei. Die Theologie ist ja, wie gesagt, unzweifelhaft keine Einrichtung der christlichen Religionsgenossenschaften. Freilich glaubte der Ankläger aus dem Umstand, dass in meiner Rede von der „Theologie mit ihrem Himmel und ihrer Hölle“ gesprochen wurde, die Notwendigkeit folgern zu müssen, sich wenigstens des Himmels und der Hölle anzunehmen. Weiß er denn nicht, dass auch dies keine spezifisch christlichen Einrichtungen sind? Und merkte er denn nicht, dass da Himmel und Hölle ausdrücklich mit der Theologie, also nicht mit dem Christentum in Verbindung gebracht wurden? Fast alle Religionssysteme weisen ja eine Art Himmel und Hölle auf. Manche haben mehrere Gattungen solcher Örter, manche nehmen mit je einem vorlieb. Da gibt es Hölle und Vorhölle, dort ein Fegefeuer; bald spricht man von einem „siebenten Himmel“, bald von einer „untersten Hölle“ usw. Auf der anderen Seite gibt es jetzt schon sehr viele Christen, welche Himmel und Hölle nur noch ganz bildlich auffassen. Wissenschaftlich aber sind Himmel und Hölle im landläufigen Sinne des Wortes ganz unmögliche Dinge, und wer sie etwa hinter das Firmament oder unter den Erdboden versetzt, der sagt einfach Blödsinn. Es sind somit auch meine diesbezüglichen Äußerungen nicht allein straflos sondern auch unanfechtbar.

Endlich glaubte der Herr Staatsanwalt konstatieren zu können, dass ich schreckliches Ärgernis mit meiner Rede unter den Gläubigen erregt hätte. Er meint, ich hätte zwar Eingangs des Vortrages ausdrücklich betont, dass ich Niemanden stören wolle, seinen religiösen Gefühlen nach wie vor nachzuleben, allein im Verlaufe meiner Auseinandersetzungen sei ich immer heftiger geworden und hätte die christliche Religion immer ärger beschimpft. Er befindet sich indessen auch in dieser Beziehung in einem groben Irrtum. Zum Austritt aus den Landeskirchen habe ich notorisch nur Diejenigen aufgefordert, welche bereits mit den Satzungen derselben gebrochen haben und mithin eine Heuchelei begehen, wenn sie trotzdem noch einer solchen Korporation einverleibt bleiben. Zudem haben die Versammelten durch ihre ganze Haltung gezeigt, dass sie sich zu den Ungläubigen zählten. Von einer Verletzung religiöser Gefühle kann also gar keine Rede sein. Selbst die Redakteure äußerst frommer Blätter scheinen geradeso gedacht zu haben, sonst würden sie wohl schwerlich sich beeilt haben, meine Rede zu veröffentlichen und sie so erst zur Kenntnis gläubiger Seelen zu bringen. Ich glaube, nun hinlänglich nachgewiesen zu haben, dass in dem Vortrage, welcher zum Gegenstande einer Anklage gemacht wurde, keine Beschimpfung religiöser Einrichtungen enthalten ist und gehe nun über zu dem Vorwurf, ich hätte die evangelische Geistlichkeit in Ausübung ihres Berufes beleidigt.

Da finde ich den einzigen Ausdruck „schwarze Gendarmerie“, der allenfalls auf die gesamte Geistlichkeit direkt bezogen werden könnte, aber es ist mir unerfindliche, wieso derselbe beleidigend sein soll. Solange der Ankläger nicht nachweist, dass der Beruf eines Gendarmen ein ehrenrühriger ist, vermag ich nicht einzusehen, dass sich Jemand durch die Bezeichnungen als Gendarm verletzt fühlen kann. Die Geistlichkeit schwärmt bekanntlich für Zucht und Ordnung, und da die Gendarmerie gerade dazu benützt wird, die Zucht zu ermöglichen und die Ordnung aufrecht zu erhalten, so muss sie ihr ja als Ideal erscheinen. Diese Seelenverwandtschaft ist es gerade, welche mich veranlasste, den fraglichen Ausdruck zu gebrauchen, und das Beiwort „schwarze“ ist ja augenscheinlich nur zur Bezeichnung der Uniform gewählt worden. Die Herren Pastoren werden sich doch nicht etwa ihrer Amtstracht schämen?


Abb.: "Die Herren Pastoren werden sich doch nicht etwa ihrer Amtstracht schämen?"  [Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird die Bildquelle nicht angegeben]

Alles was sonst noch durch den Oberkirchenrat als auf die Geistlichkeit im allgemeinen gemünzt erachtet wurde, hat lediglich den Prediger-Agitatoren der christlich-sozialen Arbeiterpartei und den Stadtmissionären gegolten, wie sich aus dem ganzen Zusammenhang des letzteren Teils meiner Rede ganz unzweifelhaft ergibt. Es wurde z. B. von „Schwarzkünstlern“ gesprochen, welche sich in die Häuser einschleichen, und denen man die Türe weisen müsse. Nun, die Herren Prediger von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — haben keine Neigung, sich solcher Arbeit zu unterziehen. Sie schicken da ihre Commis voyageurs17, die Traktätchen- Verteiler und dergleichen Leute. Diese begeben sich in die Waschküche, lauern den Frauen am Kochtopf oder bei der Kinderwartung auf und suchen sie mit ihren Himmelsbroschüren zu beglücken. Und da diese Einschleichungen gewöhnlich verknüpft sind mit allerlei zuckersüßen Redensarten, so nannte ich diese Personen auch „Wölfe im Schafspelz“. Endlich ging ich von der erfahrungsmäßigen Überzeugung aus, dass die Meisten dieser Glaubensboten selbst nichts glauben, und zitierte den bekannten Heine'schen Vers vom heimlichen Wein und dem öffentlichen Wasser18.

Der Hinweis auf Spanien, wo die Pfaffen zuerst das Land ausgestohlen und dann die Bevölkerung mit Melopia (Bettelsuppe) abfütterten, und die Andeutung, dass die Arbeiter auf ihrer Hut sein müssten, wenn ihnen jetzt in Berlin ebenfalls mit ärmlichen Almosen aufgewartet werde, müssen jeden Zweifel ausschließen, dass hier die Christlich-Sozialen und nicht die gesamte evangelische Geistlichkeit getroffen werden sollte. Denn die Firma Stöcker9 u. Co. ist es, welche mit Bettelsuppen arbeitslose Proletarier ins christlich-soziale Netz zu locken sucht, welche die Errichtung eines Arbeiter-Invalidenhauses in nahe Aussicht stellt und sonstige Leimruten legt, um Gimpel zu fangen. Indem dies die Herren Hofdemagogen tun, befinden sie sich aber doch wahrhaftig nicht in Ausübung ihres Berufes, und der Oberkirchenrat hatte keine Befugnis, Strafantrag zu stellen. Wollen sich die fraglichen Personen, weil ich ihnen mit demselben Maße eingemessen habe, mit dem sie ausmaßen, mit mir vor Gericht auseinander setzen, so müssen sie mich eben einzeln verklagen. Bis jetzt begnügten sie sich indessen, in den ihnen zugänglichen Organen über die Sozialdemokratie und meine Person zu räsonieren. Damit sollte es aber auch genug sein.


Abb.: Adolf Stöcker

So wäre also von der ganzen Anklage nichts mehr übrig geblieben, und ich halte meine Freisprechung für selbstverständlich. Dieselbe gebührt sich aber nicht nur, weil ich absolut nicht schuldig bin, sondern auch im Hinblick auf das Jahrhundert, in dem wir leben, auf die Kultur, die uns umgibt, und mehr noch in Anbetracht der reaktionären Gelüste, welche die Orthodoxie in der jüngsten Zeit geoffenbart hat. Dieser Gesellschaft muss endlich ein Dämpfer aufgesetzt werden!


Erläuterungen:

1 Johann Most

"Most, Johann (Joseph), Politiker, Publizist, Lyriker, geb. 5.2.1846 Augsburg, gest. 17.3.1906 Cincinnati (USA)

Most erlernte das Buchbinderhandwerk und schloss sich auf der Wanderschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung Österreichs an. Aufgrund seiner Agitation verurteilt, wurde er 1871 amnestiert und aus Österreich ausgewiesen. Most übernahm die Redaktion der "Chemnitzer Freien Presse", war 1874-78 Reichstagsabgeordneter der SPD und redigierte seit 1873 die "Süddeutsche Volksstimme", seit 1876 die "Berliner Freie Presse". Anfang der siebziger Jahre beschäftigte sich Most mit der Popularisierung marxistischer Schriften; Kapital und Arbeit (1873, (2)1876) fand große Verbreitung. Immer wieder verhaftet, emigrierte Most nach Erlass des Sozialistengesetzes nach London, gab die Wochenschrift "Freiheit" (1879-1906) heraus und wurde nach der Befürwortung einer anarchistisch-kommunistischen Einheitsfront aus der Partei ausgeschlossen. 1882 übersiedelte er in die USA, wo er anarchistische und sozialrevolutionäre Gruppen in der "International Working People’s Association" (1883) einigte. 1887 wurde er im Chicagoer Anarchistenprozess zu Zwangsarbeit verurteilt. Most starb vereinsamt. Neben der Lieddichtung Die Arbeitsmänner (1870) schrieb er radikalpolitische Schriften, u.a. Die Eigentumsbestie (1883) und Revolutionäre Kriegswissenschaft (1885). Seine Memoiren erschienen unter dem Titel Erlebtes, Erforschtes, Erdachtes (4 Bde., 1903-07)."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

2 1878 stand Most wegen „Gotteslästerung“ und „Beleidigung der gesamten Geistlichkeit“ vor Gericht.

3 Berliner freie Presse. -- Berlin : Baumann   1875,Probenr.; 1.1876,1(1.Jan.) - 3.1878,23.Okt.; [N.S.] 1.1878,1(24.Okt.)=Probenr.; [2.Ser.] 1.1878,1.Nov.=Probenr.; damit Ersch. eingest. -- Parteizeitung der Sozialdemokraten

4 Wera Sassulitsch  (1849 - 1919)

"Sassulitsch, Wjera, russ. Nihilistin, geb. 1853, ward schon 1869 in den Prozess gegen den Revolutionär Netschajew verwickelt und längere Zeit gefangen gehalten. Um die Misshandlungen eines nihilistischen Studenten, Bogoljubow, im Gefängnis zu Petersburg zu rächen, verwundete sie 5. Febr. 1878 den Stadthauptmann von Petersburg, General Trepow, durch einen Revolverschuss schwer, ward aber von den Geschwornen 11. April freigesprochen und entkam nach der Schweiz."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

5 Pauline Stägemann

"Pauline Staegemann

geboren 1838 im Oderbruch
gestorben am 5. Mai 1909

Pauline Staegemann arbeitete als Dienstmädchen. Zusammen mit den  Berliner Arbeiterfrauen Berta Hahn und Johanna Schackow gründetet sie am  28. Febr. 1873 die erste sozialdemokratische Frauenorganisation, den "Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein". Die Lage des weiblichen Geschlechts könne nur durch eine vollständige soziale Umwälzung der  Gesellschaft verbessert werden, lautete ihre Erkenntnis.
Anfang 1885 gehört Pauline Staegemann zusammen mit Emma Ihrer zur Leitung des von Gertrud Guillaume-Schack in Berlin gegründeten "Vereins zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen".  Zu seinen Aufgaben zählt der Verein u.a. die Hebung der geistigen und materiellen Interessen der Mitglieder. Dem Verein dürfen laut Statut nur "Frauen und Mädchen" angehören. Männer sind zu den Vereinsversammlungen  nicht zugelassen. Den Frauen geht es um die Regelung der Lohnverhältnisse, gegenseitige Unterstützung bei Lohnstreitigkeiten, Aufklärung durch fachgewerbliche und wissenschaftliche Vorträge, die Beschaffung einer Bibliothek, die Pflege der Kollegialität durch gesellige Zusammenkünfte und die Errichtung eines Arbeitsnachweises.  Als der Zoll auf  englisches Nähgarn, das die Arbeiterinnen selbst bezahlen mußten, erhöht werden soll, gelingt es dem Verein, dies durch eine Petition mit Tausenden von Unterschriften aus ganz Deutschland, die "allen Fraktionen zur Befürwortung überreicht" werden, zu verhindern.

Frauen, die in der Wäschefabrikation und der Konfektionsbranche tätig sind, müssen zu dieser Zeit die Arbeitsmaterialien durch den Arbeitgeber zu häufig stark überhöhten Preisen beziehen. Am 8. Mai 1885 nimmt der Verein deshalb eine Resolution an, mit der der Reichskanzler ersucht wird, über die Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen in diesen Branchen sowie über den Verkauf oder die Lieferung von Arbeitsmaterial, etwa der Nähfaden, seitens der Arbeitgeber an die Arbeiterinnen und über die Höhe der dabei berechneten Preise Ermittlungen zu veranlassen und dem Reichstage über das Ergebnis in der nächsten Session Mitteilung zu machen. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird zwar im April 1887 dem Reichstag vorgelegt, bleibt aber folgenlos. Erst im Frühjahr 1896 wird während des Konfektionsarbeiterinnenstreiks darüber erneut  im Reichstag debattiert und man erinnert man sich an jenen Beschluß.  Der § 115 der Gewerbeordnung wird entsprechend geändert, damit die Verabfolgung von Arbeitsmaterial durch den Arbeitgeber künftig nur zu den ortsüblichen und nicht zu überhöhten Preisen an die Arbeiterinnen erfolgen darf.

Pauline Staegemann ist die Urgroßmutter von Jutta Limbach, der ersten Frau an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts. 

Recherche: U. Horb, 2-2003"

[Quelle: http://www.berlin.spd.de/servlet/PB/menu/1020708/. -- Zugriff am 2005-01-01]

6 Hahn: kann ich nicht auflösen

7 Trepow, Stadthauptmann von Petersburg, der 1878 von Wjera Sassulitsch mit einem Revolverschuss schwer verwundet wurde

8 Der Reichsbote : deutsche Wochenzeitung für Christentum und Volkstum. -- Berlin : Der Reichsbote. -- 1.1873,1.Juli - 65.1936,31.Mai[?]

9 vor allem Hofprediger Adolf Stöcker

"Stöcker, Adolf, Theolog und Sozialpolitiker, geb. 11. Dez. 1835 in Halberstadt, studierte in Halle und Berlin Theologie, wurde 1863 Pfarrer in Seggerde (Kreis Gardelegen), 1866 in Hamersleben, 1871 Divisionspfarrer in Metz und 1874 Hof- und Domprediger in Berlin. Seit 1877 trat er in öffentlichen Versammlungen gegen die Führer der Sozialdemokratie auf und suchte durch Gründung einer christlich- sozialen Partei (s. Christlich-soziale Reformbestrebungen) die Arbeiter für christliche und patriotische Anschauungen wiederzugewinnen, zugleich aber ihre Forderungen des Schutzes gegen die Ausbeutung des Kapitals und einer Verbesserung ihrer Lage zu unterstützen. Die neue Partei gewann aber nur an wenigen Orten zahlreichere Anhänger, da Stöcker durch seinen fanatischen Eifer gegen alles, was liberal hieß, besonders in kirchlicher Beziehung die Opposition der öffentlichen Meinung wach rief. Auch ging er in seinen Agitationen gegen das Judentum oft weiter, als es sich mit seiner Stellung vertrug. 1879 in das Abgeordnetenhaus, 1880 (bis 1893) und 1898 auch in den Reichstag gewählt, wo er sich der streng konservativen Partei anschloss, erhielt er 1890 seine Entlassung als Hofprediger; 1896 trat er aus der deutsch- konservativen Partei und dem Evangelisch-sozialen Kongress aus und gründete mit andern die Christlich- soziale Konferenz. Stöcker ist Vorsitzender der Berliner Stadtmission, Mitglied des Generalsynodalvorstandes und seit 1892 Herausgeber der »Deutschen evangelischen Kirchenzeitung«. Er veröffentlichte mehrere Jahrgänge »Volkspredigten« (gesammelt in 7 Bänden), »Das Leben Jesu in täglichen Andachten« (Berl. 1903, Volksausg. 1906), sowie zwei Sammlungen seiner Reden und Aufsätze: »Christlich-sozial« (das. 1885, 2. Aufl. 1895), »Wach' auf, evangelisches Volk« (das. 1893) und »Gesammelte Schriften« (das. 1896 f.). Vgl. seine Schrift »Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker« (Berl. 1895)."

[Stöcker starb 1909]

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

10 Christlich-soziale Arbeiterpartei: 1878 durch Hofprediger Adolf Stöcker in Berlin gegründet, sollte mit Hilfe der Kirche die Sozialdemokratie überwinden. Ursprünglich in geistigem Zusammenhang mit dem orthodox-konservativen Verein für Sozialreform, der ebenfalls die Sozialdemokratie zu bekämpfen sich zum Ziel setzte, jedoch bald dahingesiecht ist, blieb diese Partei auch nach Erlass des Sozialistengesetzes noch weiter bestehen, indem ihr nun der Kampf gegen die liberalen Anschauungen auf kirchlichem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet als Aufgabe gesetzt wurde. Das Programm derselben enthält neben Betonung des christlichen Glaubens die Forderung nach obligatorischen Innungen, Einführung des Normalarbeitstags, Wiederherstellung der Wuchergesetze, obligatorische Hilfskassen für Witwen, Waisen, Invaliden, progressive Einkommen- und Erbschaftssteuern etc. Als jedoch der erwartete Zuzug aus Arbeiterkreisen ausblieb, verwandelte sich die Vereinigung in eine christlich-soziale Partei, die rasch in konservativer und antisemitischer Richtung sich ausbildete, aber infolge der ablehnenden Haltung Bismarcks und der Missbilligung der Stöckerschen Agitation durch Kaiser Wilhelm II. alle praktische Bedeutung verlor.

11 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871:

§ 166: Gotteslästerung, Beschimpfung von Religionsgesellschaften, Verübung beschimpfenden Unfugs in Kirchen usw.

"Wer dadurch, dass er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft."

(Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 26. Februar 1876)

12 Genesis 1

1Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
2Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
3Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht.
4Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis
5und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.

6Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, und die sei ein Unterschied zwischen den Wassern.
7Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah also.
8Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der andere Tag.

9Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Örter, dass man das Trockene sehe. Und es geschah also.
10Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.
11Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame, und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage und habe seinen eigenen Samen bei sich selbst auf Erden. Und es geschah also.
12Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
13Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.

14Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre
15und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf Erden. Und es geschah also.
16Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch Sterne.
17Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde.
18und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war.
19Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.

20Und Gott sprach: Es errege sich das Wasser mit webenden und lebendigen Tieren, und Gevögel fliege auf Erden unter der Feste des Himmels.
21Und Gott schuf große Walfische und allerlei Getier, dass da lebt und webt, davon das Wasser sich erregte, ein jegliches nach seiner Art, und allerlei gefiedertes Gevögel, ein jegliches nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
22Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt das Wasser im Meer; und das Gefieder mehre sich auf Erden.
23Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.

24Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Tiere, ein jegliches nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art. Und es geschah also.
25Und Gott machte die Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art, und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
26Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
27Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib.
28Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
29Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt, auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise,
30und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das da lebt auf Erden, dass sie allerlei grünes Kraut essen. Und es geschah also.
31Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.

[Luther-Bibel 1912]

13 Pastor Knaak: kann von mir nicht identifiziert werden

14 Jahwist — Elohist

"Unter Elohist versteht die Bibelforschung den hypothetischen Autor einer der vermuteten Quellenschichten des Pentateuch (der fünf Bücher Mose des Alten Testaments), der stets die Bezeichnung Elohim (="Gott", ursprünglich ein Pluralwort) für Gott gebrauchte.

Die Bezeichnung "Elohist" wurde von Julius Wellhausen in seiner "Prolegomena zur Geschichte Israels" (1886) geprägt.

Die anderen Autoren bezeichnete er als Jahwist, Deuteronomist, Priesterlich und Redaktor.

Heute wird in der Pentateuchforschung ebenfalls von mehr als einem Autor ausgegangen, wobei die Details der Quellen und ihrer Zusammenstellung kontrovers diskutiert werden."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Elohist. -- Zugriff am 2005-01-01]

15 Bunsen

"Bunsen, Christian Karl Josias, Freiherr von, deutscher Staatsmann und Gelehrter, geb. 25. Aug. 1791 zu Korbach im Waldeckischen, gest. 28. Nov. 1860 in Bonn, studierte 1808-13 Theologie, dann Philologie und machte sich durch eine gekrönte Preisschrift: »De jure Atheniensium hereditario« (Göttingen 1813), in der gelehrten Welt bekannt. Dann begab er sich seiner Sprachstudien wegen nach Wien, an den Rhein und nach Holland, 1813 nach Kopenhagen (Isländisch) und lernte Ende 1815 in Berlin Niebuhr kennen. Im April 1816 ging er nach Paris, um Persisch und Arabisch zu treiben, und wandte sich Ende 1816 nach Rom. Hier verheiratete er sich 1. Juli 1817 mit einer reichen Engländerin, Fanny Waddington (geb. 4. März 1791), und wurde auf Niebuhrs Empfehlung 1818 Gesandtschaftssekretär. Für seine weitere Laufbahn wurde der Besuch König Friedrich Wilhelms III. in Rom entscheidend, wo Bunsen dem König seine Ansichten über Agende und Liturgie darlegte. 1823 zum Legationsrat ernannt, übernahm er im Frühjahr 1824 die Geschäfte der Gesandtschaft, ward 1827 preußischer Ministerresident beim päpstlichen Stuhl, erhielt den Auftrag, die Unterhandlungen über die gemischten Ehen zu führen, und erwirkte von Pius VIII. das unklar gefasste Breve vom 25. März 1830, das Gregor XVI. später zu Ungunsten Preußens auslegte. Bunsen förderte wissenschaftliche Bestrebungen (Lepsius); unter seiner Mitwirkung erfolgte 1829 die Gründung des vom damaligen Kronprinzen, nachherigen König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, in Anregung gebrachten Archäologischen Instituts. Auch gründete Bunsen auf dem tarpejischen Felsen ein protestantisches Hospital. Daneben beteiligte er sich an der »Beschreibung der Stadt Rom« (1830-13, 3 Bde.); eine Frucht dieser Studien war auch das Prachtwerk »Die Basiliken des christlichen Rom« (mit 50 Kupfertafeln von Gutensohn u. Knapp, Münch. 1843; neue Ausg. 1864; franz. Ausg. von Ramée, Par. 1872). Nachdem er 1834 die Regierung zur Annahme des Breves Pius' VIII. und zur Übereinkunft mit den westdeutschen Bischöfen vom 19. Juni bestimmt hatte, veranlasste das schroffe Verhalten des Kölner Erzbischofs Droste zu Vischering (s.d.) 1837 doch den Streit zwischen der Kurie und Preußen. Bunsen, wieder nach Berlin berufen, rechtfertigte die Verhaftung des Erzbischofs in der »Denkschrift über die katholischen Angelegenheiten in den westlichen Provinzen Preußens vom 25. August«, wurde aber, 1838 nach Rom zurückgekehrt, vom Papst nicht empfangen und erhielt daher längern Urlaub, den er in München und England verbrachte. Ende 1839 erhielt er den Gesandtschaftsposten bei der Eidgenossenschaft in Bern, ward von da 1841 nach Berlin zurückberufen und von dem ihm befreundeten König Friedrich Wilhelm IV. mit einer außerordentlichen Mission zur Errichtung eines evangelischen Bistums in Jerusalem (vgl. Bunsens Schrift »Das evangelische Bistum zu Jerusalem«, Berl. 1842) nach London betraut, worauf 1842 seine Ernennung zum preußischen Gesandten daselbst erfolgte. Gegen den Verdacht, als befürworte er die Einführung anglikanischer Formen in der protestantischen Kirche, verteidigte er sich in dem Werk »Die Verfassung der Kirche der Zukunft« (Hamb. 1845). In den Verfassungsfragen 1844 vom König zu Rate gezogen, arbeitete er den Entwurf zu einer der englischen nachgebildeten preußischen Verfassung aus. 1848 von den Schleswigern in das deutsche Parlament gewählt, in das er aber nicht eintreten konnte, überreichte er 8. April 1848 Lord Palmerston sein »Memoir on the constitutional rights of the duchies of Schleswig and Holstein«, fand aber kein Verständnis für seine Pläne und ging deshalb 1848 und 1849 auf längere Zeit nach Deutschland. Trotz der österreichischen Ränke hielt ihn der König auf seinem Posten, und Bunsen unterzeichnete, obwohl er 1850 die Beteiligung an den Londoner Konferenzen über Schleswig-Holstein abgelehnt hatte, doch das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852. Im übrigen genoss Bunsen die Freundschaft der Königin, des Prinzen Albert und Peels, war seinen deutschen Landsleuten stets ein treuer Berater und rief das deutsche Hospital zu Dalston bei London ins Leben. Beim Ausbruch des orientalischen Krieges befürwortete er ein Bündnis Preußens mit den Westmächten; doch der am Berliner Hofe mächtigere russische Einfluss bewirkte im Juni 1854 seine Abberufung. Bunsen siedelte nach Heidelberg über, wo er gegen ultramontane und unionsfeindliche Ränke unter anderm »Die Zeichen der Zeit, Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde« (Leipz. 1855, 2 Bde; 3. Aufl. 1856) schrieb. Bei seiner Erhebung in den erblichen Freiherrenstand 1857 ward er Mitglied des Herrenhauses; wegen eines Leidens verbrachte er zwei Winter in Cannes und kaufte sich 1860 in Bonn an. Neben seiner diplomatischen Wirksamkeit und seiner ausgedehnten Korrespondenz über politische und kirchliche Angelegenheiten war Bunsen unausgesetzt literarisch tätig. Sein bedeutendstes archäologisches Werk ist: »Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte« (Hamb. u. Gotha 1845-57, 5 Bde.); den Mittelpunkt seiner Bestrebungen aber bildeten biblische, kirchengeschichtliche und liturgische Studien. Seine wichtigsten Werke in diesem Fach sind: »Hippolytus und seine Zeit« (Leipz. 1853, 2 Bde.; in der zweiten englischen Ausgabe u. d. T.: »Christianity and mankind. Their beginnings and prospects« auf 7 Bände erweitert); »Ignatius von Antiochien und seine Zeit« (Hamb. 1847); »Die drei echten und die vier unechten Briefe des Ignatius von Antiochien« (das. 1847) und das unvollendete »Bibelwerk für die Gemeinde«, dessen Fortsetzung von Kamphausen und Holtzmann besorgt wurde (Leipz. 1858-1869, 9 Bde.). Den Briefwechsel Bunsens mit Friedrich Wilhelm IV. gab L. Ranke (Leipz. 1873), »Briefe an Bunsen von römischen Kardinälen und Prälaten, deutschen Bischöfen und andern Katholiken aus den Jahren 1818-1837« Reusch (das. 1897) heraus. - Vgl. die Biographie von seiner (23. April 1876 in Karlsruhe verstorbenen) Witwe (»Bunsen aus seinen Briefen und nach eignen Erinnerungen geschildert«, deutsch von Nippold, Leipz. 1868-71, 3 Bde.), dazu Hare, Freifrau v. Bunsen, ein Lebensbild aus ihren Briefen (deutsch, 6. Aufl., Gotha 1890); Bähring, Christian Karl Josias Freiherr von Bunsen (Leipz. 1892.)"

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

16 summa summarum: Hauptergebnis

17 Handelsreisenden

18 Heinrich Heine (1797-1856): Deutschland. Ein Wintermärchen. Caput I. -- 1844

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew'gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.


Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.


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