Religionskritik

Die Pfarrerköchin und Schuster Veit (1781)

von Joseph Franz Ratschky


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Ratschky, Joseph Franz <1757 - 1810>: Die Pfarrerköchin und Schuster Veit. -- 1781. -- Fassung vom 2004-10-20. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/ratschky01.htm     

Erstmals publiziert: 2004-10-28

Überarbeitungen:

©opyright: Public Domain

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


"Ratschky, Joseph Franz, * 21. 8. 1757 Wien, † 31. 5. 1810 Wien. - Lyriker und Epiker.

Der Sohn eines kleinen Wiener Beamten besuchte 1767-1773 das Jesuitengymnasium am Hof, studierte Philosophie an der Universität Wien und trat 1776 in den Staatsdienst ein. Dank seiner literarischen Tätigkeit fand er einflussreiche Protektoren (z. B. Joseph von Sonnenfels) und machte rasch Karriere: Nach seiner Ernennung zum Hofkonzipisten wurde er 1787 für fünf Jahre Präsidialsekretär des oberösterreichischen Regierungspräsidenten Leopold Graf Rottenhan in Linz. 1795 wurde er zum Hofsekretär ernannt, 1806 zum Hofrat und 1807 zum »Staats- und Conferenzrath«.

Ratschkys literarische Laufbahn begann mit einer Tat, die für das literarische Leben des Josephinismus entscheidend werden sollte: 1777 gründete er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Gottlieb von Leon den »Wienerischen [ab 1786: Wiener] Musenalmanach«. Der Plan, mit diesem vom »Göttinger Musenalmanach« inspirierten Unternehmen ein Publikationsorgan für die neue österreichische Literatur zu schaffen, scheiterte zwar zunächst; die etablierten, der Bardendichtung nahestehenden Wiener Lyriker um Denis blieben Ratschkys Almanach fern, da sie der von Ratschky gepflegten Lyrik im Stil der deutschen Anakreontiker ablehnend gegenüberstanden. Ratschky legte 1779 die Herausgabe des Almanachs vorübergehend nieder (der Jahrgang 1780 wurde von Martin Joseph Prandstetter betreut). Seit dem Jahrgang 1781 jedoch (der von Ratschky und Blumauer herausgegeben wurde) waren tatsächlich alle wichtigen Schriftsteller Wiens im Almanach vertreten: Die Versöhnung der zunächst feindl. literarischen Lager dürfte von Denis selbst und von Franz Sales von Greiner ausgegangen sein, in dessen Salon das geistige Wien verkehrte.

In den 80er Jahren - dem josephinischen Jahrzehnt - gehörte der junge Beamte Ratschky zu jenen bürgerlichen Intellektuellen, die das ambitionierte Reformprogramm Josephs II. in jeder Hinsicht unterstützten. Eine zentrale Institution der josephinischen Aufklärung war die - vom Kaiser selbst misstrauisch betrachtete - Freimaurerei. 1783 wurde Ratschky durch Joseph Friedrich von Retzer in die einflussreiche Freimaurerloge »Zur wahren Eintracht« eingeführt, die von Born und Sonnenfels geleitet wurde. Diese Loge, der Ratschky bis zu ihrem Ende (1786) angehörte, vereinigte die führenden Köpfe Wiens und betrachtete sich als geistige Vorhut im Kampf gegen Aberglauben und Intoleranz. Als Ratschky mit der Broschüre Kontroverspredigt eines Layen über die Frage: Warum sind die Mönche theils verachtet, theils verhaßt (Wien 1782) sein Scherflein zur sog. »Broschürenflut« beitrug, griff er ganz im Sinne des Josephinismus in die Kirchendiskussion ein.

Ratschkys eigentliches literarisches Werk begann in den späten 70er Jahren. Mit dem empfindsamen Singspiel Weiß und Rosenfarb (in: Wienerischer Musenalmanach, 1777) leistete er einen Beitrag zu einer in der zeitgenöss. poetolog. Diskussion vielbesprochenen Gattung: Das Werk hatte in Wien schon 1776 mehr als 30 Aufführungen erlebt. Weniger erfolgreich waren Ratschkys weitere dramatischen Versuche: Das Schauspiel Bekir und Gulroui (Wien 1780) nahm in seinem türkischen Ambiente und im Preis aufgeklärter Humanität Elemente der späteren Mozartschen Entführung aus dem Serail vorweg; das 1781 veröffentlichte Lustspiel Der Theaterkizel (Wien) folgt dem Vorbild der älteren sächs. Typenkomödie und ist lediglich durch seine satirische Polemik gegen die Bühnenpraxis des Sturm und Drang bemerkenswert; das Lustspiel Der verlogene Bediente (Wien 1781) ist die Bearbeitung einer 40 Jahre alten Vorlage David Garricks.

Bedeutend ist Ratschky als Lyriker. Nachdem er zunächst mit verschiedenen lyrischen Formen (Balladen im Stil Bürgers, empfindsamen Liedern) experimentiert hatte, fand er das ihm gemäße Genre: scherzhafte, oft satirische Gedichte, die sich formal an der mitteldeutsche Lyrik der Jahrhundertmitte (Gleim, Uz) orientierten, aufgeklärte Geselligkeit besangen und immer wieder im Sinn der josephinischen Aufklärung zu gesellschaftl. Missständen Stellung bezogen; bezeichnend für seine Haltung sind die vielen poetischen Episteln an seine Freunde. In Ratschkys Lyrik herrscht ein urbanes Stilideal vor, das sich sowohl von den Derbheiten Blumauers als auch von dem Pathos Haschkas oder der empfindsamen Poesie Leons abhebt. Das große Vorbild war Horaz: Ratschky hat viele seiner Oden bearbeitet und mit satirischen Anspielungen auf die zeitgenöss. Realität versehen. Bearbeitet wurden auch Pope und Swift (wobei aber Swifts Bitterkeit entschieden gemildert wurde). Satirisch nahm Ratschky ihm unangenehme literarische Erscheinungen aufs Korn - die Bardendichtung, Voß' Homerübersetzung, die Jenaer Romantik - und wandte sich immer wieder im Sinn der Aufklärung gegen Aberglauben und Obskurantismus. Ratschkys Lyrik, die im »Wiener Musenalmanach«, im »Göttinger« und im »Voßschen Musenalmanach«, im »Deutschen Museum« und im »Teutschen Merkur« sowie seit den 90er Jahren in Wilhelm Gottlieb Beckers »Taschenbuch zum geselligen Vergnügen« erschien, blieb der deutschen Aufklärungsliteratur verpflichtet und zeigte sich von Sturm und Drang, Klassik und Romantik unberührt.

Ratschkys Hauptwerk ist das »heroischepische Gedicht für Freunde der Freyheit und Gleichheit«, Melchior Striegel (Wien 1793-95. Überarb. Neuaufl. Lpz. 1799). Das Werk ist vor dem Hintergrund der heftigen Diskussionen um die Französische Revolution zu sehen. Ratschky war Mitarbeiter an Alxingers »Österreichischer Monathsschrift« (1792-94), die sich gegen die Aufklärungsgegner Leopold Alois Hoffmann und Felix Franz Hofstäter richtete. 1795 wurde im Rahmen der Wiener Jakobinerprozesse, denen Ratschkys Freund Prandstetter zum Opfer fiel, gegen Ratschky ermittelt; er kam - mit viel Glück - mit einer schweren Verwarnung davon. Der Melchior Striegel ist ein Versuch Ratschkys, aus seiner josephinischen Sicht zur Revolution Stellung zu nehmen.

Das komische Epos steht in der Tradition von Butlers Hudibras, aber auch von Popes Dunciad. Die Geschehnisse der Französischen Revolution werden auf der Ebene einer Dorfgeschichte abgehandelt: Der Wirtssohn Melchior Striegel ruft in Schöpsenheim die Republik aus und stürmt statt der Bastille das Gemeindegefängnis. Das Knittelverspoem erreicht einen guten Teil seiner kom. Wirkung durch die virtuose Handhabung des Reims. Ein dem Poem beigegebener, es an Umfang übertreffender Kommentar trägt zur Komik bei und verdeutlicht die satirische Intention des Werks: Sie richtet sich gegen Jakobiner und Obskuranten gleichermaßen. Beide Gruppen werden unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung in eins gesetzt und verspottet.

Die große Zeit der Josephiner endete in den 90er Jahren. 1796 ging mit dem Ende des »Wiener Musenalmanachs« das renommierte Publikationsorgan verloren; der Tod Alxingers (1797) und Blumauers (1798) beraubte die Gruppe ihrer anerkanntesten Vertreter. Zwar schuf man sich mit dem »Österreichischen Taschenkalender« (1801-1806) und dem Taschenbuch »Apollonion« (1807-11) neue Publikationsorgane, in denen weiterhin Aufklärungsliteratur verbreitet wurde - die literarhistorische Entwicklung war jedoch über die Josephiner hinweggeschritten. Ratschky, der immer stärker durch seinen Beruf belastet war, produzierte vereinzelt noch Lyrik, verlegte sich aber mehr und mehr auf Übersetzungen aus dem Lateinischen. Bei seinem unerwartet frühen Tod arbeitete er an der Pharsalia Lukans.

WEITERE WERKE: Gedichte. Wien 1785. Vermehrte und verbesserte Neuaufl. 1791. - Klaudians Gedicht wider den Rufin. Wien 1801. - Neuere Gedichte. Wien 1805.

LITERATUR: Roger Bauer: Ein 'mock-heroic poem' in deutscher Sprache. J. F. Ratschkys 'Melchior Striegel'. In: Austriaca. FS Heinz Politzer. Tüb. 1975, S. 75-90. - Ders.: Die Gedichte des J. F. Ratschky In: Herbert Zeman (Hg.): Die österreichische Lit. [...] (1750-1830). Graz 1979, S. 891-907. - Wynfrid Kriegleder: J. F. Ratschky Eine Monogr. Mit bisher unveröffentl. Hss. Diss. Wien 1985."

[Quelle: Wynfrid Kriegleder <1958 - >. -- In: Literaturlexikon  : Autoren und Werke deutscher Sprache. --Berlin : Directmedia Publ., 2000. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 9). -- ISBN 3-89853-109-0. -- s.v.]


Der Inhalt ist aus einer alten Chronik.

Wien im Christmond 1781.

Ein Sohn des heil'gen Benedikt,
Herr Pfarrer Ambros Dinkel,
Soff wacker drauf, und unverrückt
Lag sein Brevier im Winkel.
Ja, was dem Bauernvolk durchaus
Nicht in die Köpfe wollte,
Er lebte mit der Magd im Haus
Vertrauter, als er sollte.

Doch murrte man auch noch so sehr,
So war doch alles eitel;
Er liebte seine Köchin mehr,
Als selbst den Klingelbeutel.
Es gab auch in der Gegend da
Kein Kind, wie Jungfer Lene:
Wer im Vorbeigehn nur sie sah,
Dem wässerten die Zähne.

Es strotzten, von Gesundheit voll,
Der Dirne rote Wangen:
Die Brust zersprengte, wenn sie schwoll,
Oft fast die Miederspangen.
Was es noch ferner schönes gab
Vom Kopf bis zu den Füssen,
Das würde, läg' er nicht im Grab,
Der Pfarrer besser wissen.

Denn Lene traun! ließ ihrem Herrn
Nicht allzuhart geschehen;
Sie liebt' ihn. Zwar er keifte gern:
Allein beim Schlafengehen
Ward Lenchen nach Verdienst gerühmt,
Und man verglich sich wieder:
Sie legten, wie es Christen ziemt,
Nie unversöhnt sich nieder.

Doch Liebe, Glück und Einigkeit
Sind, wie des Hofes Gnaden,
Von kurzer Dauer. Schuster Veit,
Ein Kerl mit derben Waden,
Der sich auf's Schäkern wohl verstund,
Ging Dinkeln in's Gehäge,
Und machte wohl nicht ohne Grund
Des Pfarrers Argwohn rege.

Lass, schrie der Pfaff' oft ungestüm,
Lass mir den Schuhknecht, Mädel!
Sonst jag' ich eine Kugel ihm,
Glaub's sicher! durch den Schädel.
Wie magst du doch, dem Galgenstrick
Und seinen Narrenpossen
Zu Liebe, dein gewisses Glück
Mit Füssen von dir stoßen?

Doch stumpf war seine Redekunst;
Sie lässt durch seine schwachen
Schreckmittel keinen blauen Dunst
Sich vor die Augen machen.
Veit gilt, so sehr der Pfarrer schmäht,
Doch (mit Respekt zu sagen)
Mehr als die Herrn von A bis Z,
Die schwarze Röcke tragen.

Einst schleppte Pater Dinkel sich
Von einem Festtagsschmause,
Wie leicht zu denken, kümmerlich
Zu seiner Magd nach Hause.
Sein Bisschen Klugheit, deren Last
Ihn niemals viel gedrücket,
War, bis auf's letzte Quentchen fast,
Im Traubensaft ersticket.

Indes schlich Veit in's Pfarrhaus hin.
Was Veit und Lene taten,
Wird, ohne mich zu Rath zu ziehn,
Der Leser leicht erraten.
Mit einem Wort, es gab so viel
Zu schwatzen und zu küssen,
Dass keins von beiden drauf verfiel,
Das Haustor zuzuschließen.

Durch dies Versehn kam ungehört
Mein Pfarrer in die Stube:
Hab' ich zur Unzeit dich gestört,
Rief er, vermessner Bube?
Dem Schuster ward nicht wenig heiß,
Doch heißer noch dem Pfaffen:
Er sprach: verfluchtes Hundsgeschmeiß!
Ich will mir Ruhe schaffen.

Schnell lief er weg, und kam voll Wut
Mit einem Terzerole.
Wo, schrie er, ist die Henkersbrut?
Dass ihn der Teufel hole!
Doch Veit, der von des Pfarrers Zorn
Nichts gutes sich versprochen,
War fort, und hatt' in's nahe Korn
Indessen sich verkrochen.

Du Hure! sprich, ist das mein Lohn?
Fuhr Dinkel fort zu schelten,
Wo ist er? Halfst du ihm davon,
So magst nun du's entgelten!
Sie weint' und bat. Umsonst! er schoss
Sie durch's Gehirn: die Dirne
Sank tot dahin, und rauchend floss
Das Blut ihr von der Stirne.

Zur wohlverdienten Strafe glaubt
Ihr nun für sein Vergehen
Vielleicht des Täters Hand und Haupt
Auf's Rad gepflanzt zu sehen.
Ihr irrt. Es ward der Kirchenrat
Zum Richter ihm bestimmet,
Und so ward, trotz der schwarzen Tat,
Kein Härchen ihm gekrümmet.

Denn wie mein alter Oheim spricht,
Auf den ich trau' und glaube,
Ein Geyer hackt den andern nicht,
Es wäre denn beim Raube.
Des Mörders Strafe war, ein Jahr
Kein Pfarramt zu verwalten,
Und sich von Kanzel und Altar
Und Beichtstuhl zu enthalten.

Veit unterdes auf Monatsfrist
Zum Arbeitshaus verdammet,
Weil er die Magd durch Zauberlist
Zu geiler Brunst entflammet,
Schrie fruchtlos von Parteilichkeit
Und Tyrannei der Pfaffen,
Und schwur, sich selbst in kurzer Zeit
Am Pfarrer Recht zu schaffen.

Gesagt, getan. Als Dinkel sich
Einst durch den Gottesacker
Mit Schaudern nächtlich heimwärts schlich,
Kam Veit, und rief: du Racker!
Suchst du vielleicht, wo Lene ruht?
Hier, mörderischer Drache!
Hier ist ihr Grab, hier schreit ihr Blut
Zum Himmel laut um Rache.

Versöhne denn, so gut du kannst,
Mit Gott dich, und erwecke
Nun Reu' und Leid! denn lebend, Wanst!
Kömmst du mir nicht vom Flecke.
Als Dinkel drob sich sträubte, stach
Veit stracks ihn durch die Kehle.
Er sank dahin, sein Auge brach,
Und zückend schied die Seele.

Veit hatte zwar sich nach dem Mord
Zu flüchten nicht geweilet;
Er wanderte von Ort zu Ort:
Allein so schnell er eilet,
Gelingt's doch einem alten Weib,
Den Flüchtling auszuforschen,
Und sieh! man fällt den Schluss: sein Leib
Soll auf dem Rad vermorschen.

Kaum wurde dies ihm kundgetan,
So schrie er: seid ihr Richter?
Nein, Buben seid ihr Mann für Mann!
Nicht wahr? ihr Bösewichter!
Des Pfaffen Tat war gut und recht?
Der wusst' euch zu bestechen:
Allein mich armen Schusterknecht,
Mich wollt ihr radebrechen.

Und doch war er des Hochgerichts
Weit würdiger, der Schächer!
Er war ein Mörder: ich bin nichts.
Als eines Mordes Rächer.
So tobte Veit. Das Volk erfuhr
Des Delinquenten Schreien,
Strömt' auf das Rathhaus los, und schwur
Den Schuster zu befreien.

Man sucht' umsonst durch Flehn und Drohn
Des Pöbels Wut zu kühlen:
Das aufgebrachte Volk drang schon
Bis zu den Richterstühlen.
Siegprangend ward vom Pöbel nun
Ein neuer Rath bestellet,
Und, um dem Volk genugzutun,
Veits Urteil so gefället:

Es werde, weil, was Veit verbrach,
Der Pfarrer auch verbrochen,
Das Urteil, das man Dinkeln sprach,
Auch Veiten nun gesprochen!
Der Pfarrer durft' ein Jahr Altar
Und Beichtstuhl nicht verwalten:
So soll denn Veit sich auch ein Jahr
Der Schusterei enthalten!


Zurück zu Religionskritik