Religionskritik

Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara (1899)

von Josef Ruederer


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Ruederer, Josef <1861 - 1915>: Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara. -- 1899. -- Fassung vom 2004-07-19. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/ruederer01.htm    

Erstmals publiziert: 2004-07-19

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Ursprünglich erschienen in:

Ruederer, Josef <1861 - 1915>: Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten. -- Berlin : Bondi, 1899


"Josef Anton Heinrich Ruederer (* 15. Oktober 1861 in München; † 20. Oktober 1915 in München) war ein deutscher Schriftsteller.

Ruederes Vater besaß in München ein Bankgeschäft, war Mitbegründer und Großaktionär der Löwenbrauerei und portugiesischer Generalkonsul, gehörte damit also zum Großbürgertum der Stadt. Josef Ruederer machte nach seiner Gymnasialzeit ein Bankvolontariat. Auf Grund einer gescheiterten Patentsache verlor er ein Großteil seines Vermögens und zog sich nach Farchant bei Garmisch zurück. Er wandte sich der Schriftstellerei zu und kehrte nach München zurück, um u. a. im Simplicissimus und in der Zeitschrift Die Jugend erste Aufsätze zu veröffentlichen.

In den Romanen und Komödien vor dem 1. Weltkrieg prangerte er den sittlichen Verfall in der Stadt, die Korruption, Heuchelei, das "Schnackerlhafte" der Oberbayern an. Er ging damit auf Konfrontation mit Ludwig Thoma, der ihn als "allem Ländlichen fernstehenden Städter" beschrieb, der schon die einfachsten Dinge falsch und unvollkommen wiedergibt.

Im 1. Weltkrieg stand Ruederer der deutschen Sache kritisch gegenüber und begann ein mehrbändiges Romanwerk, dessen ersten Teil er 1915 kurz vor seinem Tod fertig stellte. Er wurde 1916 als Das Erwachen veröffentlicht, 1962 nochmal als Weißblaue Achtundvierziger. In diesem Roman schildert er die Entwicklung Münchens zur Zeit König Ludwigs I..


Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara

Der Pfarrer von Sankt Leonhard trat jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche der heiligen Barbara hinüber, und der Pfarrer von Sankt Barbara trat gleichfalls jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche des heiligen Leonhard hinüber.

Dabei rauchte der Pfarrer von Sankt Leonhard gewöhnlich eine Pfeife und sah ganz behaglich vor sich hin, der von Sankt Barbara aber rauchte keine Pfeife und sah ganz giftig vor sich hin. Und da die beiden großen Ortschaften mit ihren blitzblanken Häusern und Gärten so dicht ineinander gebaut waren, dass kein Fremder wusste, wo Sankt Leonhard aufhörte und Sankt Barbara anfing, konnten sich die hochwürdigen Herren zur selben Stunde jedesmal ganz gut erblicken. Ihre Pfarrhöfe ragten auf leichten Anhöhen mit den großen Kirchen über alle Häuser hinweg und lagen sich fast auf Rufweite gegenüber.

Aber weder dem einen noch dem andern fiel es ein, sich je einen Gruß zuzusenden.

Sie blieben eine Weile stumm am Fenster stehen und schauten über die beiden Gemeinden hin, die den blauen Rauch ihrer Herde einträchtig zusammenbliesen; dann verschwanden sie wieder, der Pfarrer von Sankt Leonhard mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen, der Pfarrer von Sankt Barbara mit zusammengezogenen Augenbrauen und einigen Flüchen, die aber so leise gemurmelt wurden, dass sie der etwas vorlaute Kanarienvogel auf dem Studiertische nicht einmal vernehmen konnte.

Das ging nun schon eine ganz geraume Zeit, und die beiden Schutzheiligen der ehrenwerten Dörfer mochten wissen, wie's gekommen war und wann's wieder enden werde.

»Meinetwegen kann's ruhig so weiter dauern,« sagte der Pfarrer von Sankt Leonhard, wenn er wieder durch sein Zimmer schritt, der von Sankt Barbara aber ließ die knochige Fäuste aneinanderkrachen und dachte in seinem faltigen Lehnstuhl jener schönen, einträglichen Zeiten, wo Barbarer und Leonharder mit ihren Schutzheiligen noch gemeinsam die Wallfahrt bestellten.

Ein bittres Lächeln zog um seine Lippen, als er sich sagte, dass es nun damit für immer vorbei war.

»Diese abergläubische Masse, diese Esel, die sich so an der Nase herumführen lassen!«

Die Esel waren in seinen Augen die Einwohner von Sankt Leonhard, und der sie an der Nase herumführte, das sollte ihr rotbackiger Pfarrer sein, der alle Tage so spöttisch herübergrinste.

Hätte der behäbige Herr mit dem doppelten Kinn und den pfiffigen Augen die bösen Worte seines Nachbarn hören können, er wäre schwerlich aus seiner Ruhe herausgegangen, sondern hätte höchstens die Achseln gezuckt:

»Abergläubisch! Lassen Sie sich doch nicht auslachen! Möchte wissen, wieso die in Sankt Barbara gescheiter sind als die meinigen. Und was das betrifft mit dem Herumführen an der Nase – mein Gott und Vater, da soll mir doch der Herr Kollege weiter nichts vorwerfen, er weiß schließlich auch, wie's gemacht wird.«

Dann wäre er wieder durchs Zimmer geschritten und hätte einen tüchtigen Zug aus seiner Pfeife getan.

Der hagere Pfarrer von Sankt Barbara aber, der eine gründliche Aussprache schon lange vergeblich herbeisehnte, wäre vom Stuhle gesprungen und hätte auf den Tisch geschlagen, dass der gelbe Kanarienvogel von einem Käfiggitter zum andern geflattert wäre:


Abb.: Hl. Leonhard. -- Um 1500  [Bildquelle: http://www.augustinermuseum.at/sammlung_leonhard.htm. -- Zugriff am 2004-07-19]

»Ich muss mich verwahren gegen eine solche Beschuldigung! Wir wirken da herüben keine so merkwürdigen Wunder mit Ketten und Hirtenstäben, wie Sie da drüben beim heiligen Leonhard1

Sein Amtsgenosse, immer ruhig und gemütlich, hätte ihn wohlwollend auf die heilige Barbara2 verwiesen, die einmal in grauer Vorzeit dem armen Geigerlein ihren Schuh zugeworfen habe.


Abb.: Hl. Barbara. -- 16. Jhdt.

»Bitte sehr, das ist historisch erwiesene Tatsache,« hätte der Pfarrer von Sankt Barbara voll heiligem Eifer geschrieen.

»Ach, was ist denn historisch erwiesen? die Leute von Sankt Kümmernis3 behaupten von ihrer Schutzheiligen, sie sei es gewesen.«


Abb.: Heilige Kümmernis

»Und die Leute von Kühzackel behaupten, dass ihr heiliger Leonhard einen noch kräftigeren Wunderstab besitze, als der eure.«

Unwillkürlich wäre dem dicken Pfarrer das Lachen gekommen.

»Na, so lassen Sie's schwatzen,« hätte er gesagt. »Jedenfalls zieht unser heiliger Leonhard besser als der von Kühzackel und . . . auch besser als die heilige Barbara. Er heilt nicht nur das liebe Hornvieh, nein, er beschwört den Unglauben und alle Verstocktheit, ja, in letzter Zeit hat sich sogar herausgestellt, dass er gegen die Unfruchtbarkeit der Frauenzimmer ausgiebig zu helfen weiß. Mehr kann man doch wahrhaftig nicht verlangen.«

Der Pfarrer von Sankt Barbara hätte zu jedem Worte mit dem Kopf genickt:

»Nein, mehr kann man nicht verlangen in Ihrem heiligen Leonhard! Aber Sie werden mir zugestehen müssen, dass er diese Wunderkraft erst dann an sich entdeckte, als er sich von unserer Barbara in unverantwortlicher Weise getrennt hat.«

Ein listiges Augenzwinkern wäre die Antwort gewesen:

»Pfeift der Wind aus dem Loch? Na, da nehmen Sie sich gefällig selber bei der Nase, und fragen Sie sich, warum sich der heilige Leonhard nicht mehr mit der heiligen Barbara einlassen will.«

Wie ein Geier wäre der Diener der schwerbeleidigten Heiligen auf seinen Gegner losgegangen:

»Sie haben das Band zerrissen, das unsere Heiligen verknüpfte. Sie haben den Unfrieden gestiftet, ja, leugnen Sie's nur nicht. Jahrhundertelang hielten unsere Gemeinden im besten Glauben zusammen, jahrhundertelang gingen sie Hand in Hand auf die Wallfahrt, das einemal mit der heiligen Barbara zum heiligen Leonhard hinüber, das andremal mit dem heiligen Leonhard zur heiligen Barbara herüber – und jetzt? Jetzt schaut kein Hund mehr den andern an, jetzt werden die Häuser angezündet, jetzt wird gerauft an allen Sonntagen, dass die Haare davon fliegen, jetzt wächst die Zahl der unehelichen Kinder ins Maßlose . . .«

Weiter wäre er in seiner übersprudelnden Rede nicht mehr gekommen, denn der gemütliche Pfarrer von Sankt Leonhard hätte ihn hier mit unbändigem Gelächter unterbrochen:

»Die unehelichen Kinder! Ich bitte Sie! Die hat's doch immer bei uns gegeben.«

»Nicht in dieser erschreckenden Weise, wie seit dem Tage der gewaltsamen Trennung des heiligen Leonhard von der heiligen Barbara.«

»Ah bah! Schauen Sie doch die sechs Töchter vom Lebzelter Zachen an! Jede hat ihr Kind, keine hat einen Mann.«

»Diese sauberen Mädchen gehören auch zu Ihrer Gemeinde, Hochwürden.«

»Und ihre sämtlichen Liebhaber zu der Ihrigen, Herr Pfarrer von Sankt Barbara. Kommt also alles auf eines heraus.«

»Oho – oho!«

»Aber natürlich! die Hauptsache bleibt immer, dass die Leute an etwas glauben und fleißig in die Kirche gehen.«

»Wenn die Leute keine Moral mehr haben, dann gehen sie auch nicht mehr in die Kirche.«

»Doch wohl nur in Sankt Barbara?« hätte der dicke Pfarrer spöttisch entgegnet. »Bei mir wenigstens kann ich durchaus nicht klagen, und es wird ja auch Ihnen bekannt sein, dass unser vielgeliebter, heiliger Leonhard die Trennung von der heiligen Barbara im allgemeinen recht gut überstanden hat.«

Dagegen konnte der andere nichts vorbringen, denn dass der heilige Leonhard in der ganzen Umgegend ebenso an Ansehen stieg, als die heilige Barbara an Kredit verlor, bildete ja seinen eigentlichen Grimm gegen den aufblühenden Nachbarort.

»Stimmt, stimmt auffallend,« hätte er verbissen zur Antwort gegeben, »aber bedenken Sie das eine, dass dieser gewaltsame Bruch des Seelenbundes der beiden Heiligen einen ungeheuren Frevel an Gott bedeutet, den Sie auf dem Gewissen haben, Sie ganz allein.«

Jetzt wäre der dicke Pfarrer zum Schlusse fast noch tüchtig grob geworden.

»Ich bedank' mich für Ihre hirnverbrannten Zumutungen! Wissen Sie, wer schuld ist an dem zerrissenen Seelenbund der heiligen Barbara und des heiligen Leonhard? Euer miserables Bier und gar nichts anderes! Wir können uns das schon mal eingestehen, da wir gerade so gemütlich beisammen sind. Hätte dieser Gauner, der Katzenbräu, einen besseren Tropfen für die Wallfahrer gebraut – der heilige Leonhard käme nach wie vor zu seiner Barbara herüber. Statt dessen hat der Kerl einen Sudel verzapft, den der Teufel saufen mochte, aber kein ehrsamer Bittbruder von uns herüber.«

Und mit einem sehr entschiedenen: »So, jetzt wissen Sie's wenigstens,« hätte er dem immer noch kampfbereiten Gegner das breite Hinterteil zugekehrt.

Möglich, dass er sich an der Türe noch einmal umgedreht hätte, um in spöttischem Tone zu bemerken, dass es der heiligen Barbara im übrigen ja vollkommen freistehe, mit ihrem goldenen Schuh gerade so viele Wunder zu wirken, wie der heilige Leonhard.

Dann aber wäre er sicher gegangen und hätte den Kollegen mit seinen Gedanken allein gelassen, die gerade nicht die rosigsten waren.

Das verdammte Bier des elenden Katzenbräu!

Zähneknirschend musste sich Sankt Barbaras Seelenhirte eingestehen, dass es bei der letzten Wallfahrt das einzige, dafür aber um so durchschlagendere Wunder gewirkt hatte. Die Leonharder, die sich sonst in aller Demut bei den frommen Übungen die Kniee wund drückten, liegen die ganze Nacht mit abscheulichem Bauchgrimmen herum, um andern Morgen aber packten sie voll tiefer Entrüstung ihren Schutzpatron wieder zusammen und zogen von dannen, indem sie sich hoch und teuer verschworen, in ihrem ganzen Leben nie wieder die heilige Barbara mit ihrem Wunderschuh und ihrem elenden Bier zu besuchen.

Eine so bitterböse Drohung hatte man zuerst allenthalben für eine höchst bedenkliche Gotteslästerung, aber keineswegs für bare Münze genommen.

Vor allem war es der Katzenbräu selbst, der einige besorgte Gemüter durch die tröstliche Versicherung beruhigte, dass die dummen Leonharder das nächstemal ja doch wiederkämen. Hätten sie das Bier bis jetzt geduldig getrunken, würden sie's auch in Zukunft trinken.

Allein diesmal vertraute er seinem zweifelhaften Stoffe und der Langmut der frommen Pilger doch etwas zu viel; die Leonharder hielten Wort und kamen wirklich nicht wieder.

Zwar duldeten sie stillschweigend, dass die verhassten Nachbarn mit ihrer Schutzpatronin noch einmal den üblichen Gegenbesuch abstatteten und sich's im Dorfe bequem machten. Übler vermerkten sie's schon, als die heilige Barbara zum heiligen Leonhard in die Kirche gebracht wurde, denn dort durfte sie der frommen Sitte gemäß immer eine ganze, lange Nacht bleiben.

Und diese Nacht kam den Leonhardern diesmal wie eine Ewigkeit vor. Sie waren eifersüchtig auf ihren Heiligen und wollten vor allem der Barbara nicht mehr recht trauen.

Ununterbrochen gingen sie vor der Kirche spazieren, und als endlich der Tag graute, rissen sie mit herausfordernden Mienen die Türen auf, um sich zu überzeugen, dass ihm wirklich nichts zugestoßen war.

Aber auch sonst entbehrte diese letzte Wallfahrt des innigen Zuges, der dies bedeutsame Fest der gegenseitigen Vereinigung in früheren Tagen ebenso erhebend als erfolgreich gestaltet hatte.

In der Kirche, bei den Prozessionen, bei den Opferungen wurden die Barbarer von allen Einheimischen gemieden, und im heiligen Walde, wo sonst immer Männlein und Weiblein einträchtig kampiert hatten, ließ sich, trotz einer köstlichen Sommernacht, außer einigen Eidechsen kein lebendes Wesen aus Sankt Leonhard erblicken.

Sankt Barbaras Pilger mussten die traurige Entdeckung machen, dass die Zeit des trefflichen Einvernehmens ihrem Ende nahe. Sie wurden schon am zweiten Tage mit feindseligen Redensarten verfolgt und bekamen in manchen Wirtschaften den stärkenden Gerstensaft nur mit bissigen Vergleichen vorgesetzt. Ja, der Lebzelter Zachen, der den köstlichsten Met und die bestgeweihten Kerzen in großen Holzbuden vor der Kirche feilhielt, verbot seinen Töchtern sogar, von seiner weitberühmten Ware nur das geringste zu verkaufen, wenn so ein Barbarer davon verlangen sollte.

Diesem Verbote fügte er noch eine ausgiebige Maulschelle bei, als seine jüngste Tochter eben dem einzigen Sohne des verrufenen Katzenbräu den heiligen Leonhard in Gestalt eines buntgefärbten Lebkuchens heimlich zustecken wollte.

»Aber, es ist doch sein Namenspatron,« schluchzte das Mädchen.

»Alles wurscht,« knurrte der Alte. »Deine Namenspatronin ist auch die heilige Barbara, und du kommst doch so wenig mit dem saubern Katzenbräu-Leonhard im Leben wieder zusammen, als die Barbara mit unserm heiligen Leonhard je wieder zusammen kommt.«

»Ist das Euer letztes Wort?« fragte der Bursche, der kleinlaut daneben stand.

»Mein letztes Wort!« sagte der Zachen. »Und nun habt ihr höchste Zeit, dass ihr eure Heilige mit dem goldenen Wunderschuh dahin tragt, wohin sie gehört.«

Der Bursche merkte, dass jeder Widerspruch vom Übel gewesen wäre. Er gab der Barbara zum letztenmal die Hand und trocknete sich mit der andern die hervorquellenden Tränen. Dann warf er einen scheuen Blick auf den Alten, einen wehmütigen auf das weinende Mädchen und schlich mit offenem Munde zur Kirche.

Da stand die heilige Barbara noch immer auf dem blumengeschmückten Hochaltare neben dem heiligen Leonhard. Sie hatte offenbar keine Ahnung von der bevorstehenden Trennung, sondern schaute mit ihren gläsernen Puppenaugen ohne jede Erregung zu ihrem bartlosen Wundergenossen hinüber.

Dem schien die Sache diesmal nicht mehr recht geheuer. Er hatte seinen Hirtenstab an die linke Schulter gelehnt und zog die Augenbrauen so hoch, als kenne er sich vor lauter Staunen gar nicht mehr aus. Beide Hände aber streckte er mit den Flächen etwas nach auswärts wie einer, der nicht recht weiß, was er sagen soll und deshalb sehr verlegen ist.

Vielleicht wunderte er sich auch über die eisernen Ketten, die ihm um die Handgelenke geschlungen waren, denn diese waren ihm bei früheren Besuchen der heiligen Barbara jedesmal abgenommen worden.

Bei der jetzigen Wallfahrt hatten es seine Schutzbefohlenen nach reiflicher Überlegung indessen für vorteilhafter befunden, sie an jener Stelle zu lassen, wo sie der heilige Leonhard jahraus, jahrein mit der Geduld frommer Hirten und christlicher Märtyrer zu tragen pflegte.

Das ganze Dorf setzte zwar in die Charakterstärke seines Schutzpatrons das größte Zutrauen, aber sicher ist sicher, sagten die Leonharder ohne Erbarmen – schließlich hatten sogar Heilige schon ihre schwachen Stunden gehabt.

Und das war's, was die Leute von Sankt Barbara von allen Schändlichkeiten am tiefsten beleidigte: die Ketten verziehen sie nicht.

»Die heilige Barbara hat gar keine Angst gehabt,« sagten sie spöttisch, und mit dem frevelhaften Wagemute jener Leute, denen alles gleich ist, weil sie schon alles verloren haben, verstiegen sie sich sogar zu der Behauptung, dass da schon ein ganz andrer kommen müsste, als dieser dünnbeinige Leonhard, wenn er der Heiligen ein bisschen gefallen sollte.

Unter solchen Reden luden sie ihre Schutzpatronin wieder auf die kleine Tragbahre und zogen ins Dorf hinüber, zwei rote Fahnen und den langgestreckten Pfarrer an der Spitze.

Der geistliche Herr blickte wütend um sich und leierte in sehr gereiztem Tone ein Vaterunser nach dem andern ab, während der Chor mit noch zornigerem Geschrei beim Ave Maria pünktlich einfiel.

Am giftigsten betete der alte Katzenbräu, gleich hinter der Tragbahre, denn dass die Leonharder von jetzt an nie mehr ihren Heiligen auch nur auf eine Stunde der Barbara überlassen würden, das war wohl allmählich dem dümmsten klar geworden.

»Das Techtel Mechtel mit des Zachen Tochter hat jetzt ein Ende,« sagte er zu seinem Sohne, der neben ihm schritt.

»Aber, Vater . . . .«

»Nichts da, die soll mit ihrem Bankert elend in Schimpf und Schande sitzen bleiben. Das gönn' ich dem weißhaarigen Spitzbuben.«

Und drüben in Sankt Leonhard rief am selben Abend der Lebzelter Zachen seine sämtlichen Töchter zusammen und erklärte mit greulichen Flüchen, lieber sechs uneheliche Enkel von Zigeunern und böhmischen Musikanten bekommen zu wollen, als einen rechtmäßigen vom Sohne des Katzenbräu.

Damit war die Feindschaft zwischen den Dörfern für immer besiegelt. Was der Zachen und der Katzenbräu taten, taten auch andere, und wer weder Söhne noch Töchter hatte, der warf Fenster in Scherben oder stellte dem Nachbarn ein Bein, dass er sich die Nase auf der Erde breitschlug. Konnte man aber einmal den Täter nicht finden, dann schrieen beide Dörfer wie aus einem Munde:

»Das hat natürlich wieder so ein elender Kerl von da drüben getan.«

So verbissen sie sich immer fester, wie zwei Raubtiere, die sich tüchtig gepackt haben und nicht mehr loslassen wollen.

Die beiden Schutzheiligen aber sahen unbeweglich auf den Spektakel herunter und rührten sich nicht.

Da – eines Sonntags wurde es dem heiligen Leonhard doch zu dumm. Er warf seine Ketten samt dem Hirtenstab auf die Altarstufen, wo sie der alte Messner am frühen Morgen fand.

Das hatte gerade noch gefehlt.

»Ein Wunder, ein himmlisches Wunder!« schrieen die Leonharder ganz begeistert und warfen sich auf die Erde.

»Ein Schwindel, ein heilloser Schwindel!« antworteten die Barbarer und warfen die Fenster ein.

Aber es half ihnen nichts. Die Leonharder ließen Stab und Ketten vier Wochen lang auf der gleichen Stelle liegen, sie beteten die Wunderdinge an, sie setzten sie unter einen Glassturz und zeigten sie jedem, der sie sehen wollte.

Das waren nicht wenige. Aus der ganzen Umgegend kamen die Bauern herbeigezogen, schwere Stöcke in der Rechten, schwere Geldbeutel in der Tasche. Alles, was einst mit den beiden Dörfern zur Wallfahrt gegangen war, ging jetzt nur noch zum heiligen Leonhard, der so herrliche Wunder vollbringen konnte.

Als guter Geschäftsmann konnte der Katzenbräu einen kleinen Überschlag machen, was da verdient wurde, und die Barbarer zählten vor ihrer Heiligen an sämtlichen Knöpfen ihrer Rosenkränze wie Schulkinder auf der Rechentafel mit, indem sie die unbescheidene Frage stellten, ob sich ihre verlassene Schutzpatronin nicht auch mal zu einem kleinen Wunder entschließen könne.

Der bleiche Pfarrer hingegen sah jeden Morgen immer ungeduldiger zum Fenster hinaus, ob denn diese Stätte frivolen Aberglaubens noch nicht von der Erde getilgt sei. Statt dessen erblickte er fortwährend das rundliche Gesicht seines Kollegen und die stattliche Kirche, die die Leonharder funkelnagelneu angestrichen hatten, um sie den zahllosen Fremden in vollstem Glanz zu zeigen.

Solch blendenden Wohlstand konnte er nicht mehr vertragen, und deshalb erklärte er eines Tages mit donnernder Stimme von der Kanzel herunter, dass der heilige Leonhard seine Ketten nur deshalb abgeworfen habe, um seiner sündigen Gemeinde ein sichtbares Zeichen zu geben, wie sehr es ihn nach der heiligen Barbara verlange, von der man ihn freventlich getrennt hätte.

»Meinen Sie wirklich?« hätte der Pfarrer von Sankt Leonhard mit spöttischem Aufblicke zur Kanzel gefragt, wenn er diese schöne Predigt gehört hätte.

Die Barbarer aber fragten nicht lange, sondern stimmten mit frenetischem Jubel in den Ruf ihres Hirten ein:

»Ein Wunder war's, ein himmlisches Wunder!«

»Na, weil ihr's nur selber glaubt,« lachten die Leonharder.

So hatten es die Barbarer freilich nicht gemeint. Als schreckliches Wahrzeichen, als letzte Warnung von oben wollten sie das plötzliche Wunder nehmen. Dem heiligen Leonhard Waren seine Ketten nicht abgenommen worden, deshalb warf er sie selbst herunter, um seinen Schutzbefohlenen zu zeigen, dass man einem Heiligen niemals Gewalt antun dürfe.

Die undankbaren Leonharder wollten diese Auffassung leider gar nicht verstehen. Nach wir vor strichen sie ganz gelassen das Geld in die Taschen, und es fiel ihnen nicht im Schlafe ein, den heiligen Leonhard noch einmal zur heiligen Barbara herüber zu tragen, nach der es ihn gar so gelüsten sollte.

Als sich nun die Barbarer in ihren besten Absichten so schändlich verkannt sahen, schluckten sie alle zarten Regungen energisch hinunter und erklärten von jetzt an jeden Leonharder kurzweg für vogelfrei.

Die Prügel fielen immer dichter, die Glaser wurden wohlhabende Leute, und auch die Bader verdienten ihr Geld.

An diesem heiligen Kampfe mitzuwirken, war Ehrensache für jeden rechtschaffenen Barbarer geworden. Alle mussten dabei sein, und wer nicht mittat, der wurde über die Achsel angesehen wie ein pflichtvergessener Soldat.

So ging es bald dem verschlafenen Katzenbräu-Sohne, denn einem Leonharder Mädel nachzujammern, das war schon das dümmste, was sich ein tapferer Barbarer augenblicklich vorstellen konnte. Hatten doch auch die sämtlichen Liebhaber der fünf übrigen Töchter des Zachen ohne große Gewissensbisse eine lange Nase hinübergedreht und die Sorge für die Kinder dem wackern Lebzelter überlassen.

Der Leonhard tat das nicht. Er war aus weicherem Holze geschnitzt, und so klagte er denn in der Einsamkeit herum, wobei er nicht wusste, wen er tiefer bedauern sollte, sein armes Mädel oder ihre Schutzpatronin, die heilige Barbara.

»Was macht denn der heilige Leonhard?« fragte er, als er mit Barbara einmal zufällig vor dem Dorfe zusammentraf.

Das Mädchen zog ihr rotes Kopftuch noch tiefer in die Stirne, um ja nicht erkannt zu werden.

»Schlecht geht's ihm,« antwortete sie traurig.

»Nicht wahr?« sagte er mit grausamer Genugtuung. »Ja, ja, der arme Kerl kann's halt nicht mehr aushalten.«

»Und die heilige Barbara?« fragte sie langsam.

»Der geht's genau so,« rief er trotzig. »Ist denn das aber auch anders möglich bei so einer Behandlung? Wenn ich daran denke,« fuhr er fort, »wie das früher schön war bei den Wallfahrten! Der heilige Leonhard war bei der heiligen Barbara, und wir zwei waren auch beisammen. Aber jetzt . . .«

Er sah sich vorsichtig um, ob niemand sie beobachtete. Dann wollte er sie umfassen.

»Hör' auf,« sagte sie. »Wenn das der Vater sieht.«

»Ist er noch grad' so?« fragte er.

»Mein Gott,« sagte sie. »Der lässt die heilige Barbara nie mehr zum heiligen Leonhard.«

»Und der heilige Leonhard?« fragte er wieder. »Lässt der sich das gefallen?«

»Ja, das weiß doch ich nicht,« sagte das Mädchen mit einem Seufzer. »Weißt du's vielleicht,« fragte sie leise, »ob er nicht doch einmal wieder zur heiligen Barbara kommt?«

Der Bursche wusste ihr keine Antwort zu geben, aber er versprach, die Sache bedenken zu wollen.

Zu Hause angelangt legte er den Finger an den Kopf und ging in seiner Stube umher.

Diese ungewohnte Arbeit strengte ihn jedoch außerordentlich an und hatte obendrein gar keinen Zweck. Denn, wie er sein Hirn auf marterte, er fand keinen andern Ausweg, als dass man eben die Heilige hinüber oder den Heiligen herüber tragen müsste, und das war ein Unternehmen, bei dem man die fürchterlichsten Prügel zu riskieren hatte.

Immerhin wäre es eine hohe Tat gewesen, die die beiden Heiligen gewiss mit wohlgefälligem Lächeln aufgenommen hätten. Sein Namenspatron hatte ja schon ein ermutigendes Zeichen gegeben, indem er die Ketten abwarf, also bekam auch der Bursche etwas mehr Zuversicht. Er ging in das Nachbardorf hinüber, und weil er vom Gesichte des Heiligen eine freudige Zustimmung, ein sehnsüchtiges Verlangen zu lesen glaubte, erteilte er zufriedenen Sinnes eines Tages im Stillen der Barbara die schuldige Antwort auf ihre letzte Frage.

»Ja,« sagte er vor sich hin, »ich weiß es jetzt, vielteure Barbara, der heilige Leonhard kommt wieder zu seiner Herzenskönigin.«

Damit beschloss er trotz aller Gefahren, in der nächsten Nacht bei Barbara einzusteigen.

Er wollte die Sache zunächst am eigenen Leibe probieren. Glückte das, dann wollte er weiter sehen, was sich für die Heiligen tun ließe, damit sie nach so langer Entbehrung auch wieder einmal ein Vergnügen hätten.

Im tiefen Dunkel schlich er auf weiten Umwegen nach Sankt Leonhard, wo er auf einer morschen Leiter ins Zimmer der Barbara stieg.

Seltsamer Weise versagte sein Schutzpatron dem schönen Unternehmen seine wundertätige Hilfe. Es ging übel aus, trotz aller Rosenkränze, die der tapfere Leonhard vorher zu ihm gebetet hatte.

Der alte Lebzelter litt nämlich in letzter Zeit an sehr schlechtem Schlafe. Der bedeutende Aufschwung seines Geschäftes, sowie der beständige Argwohn gegen die elenden Barbarer ließen ihn schon beim geringsten Geräusche vom Lager emporfahren.

Damit hatte der unbedachte Leonhard, der von früher her an einen recht kräftigen Schlummer des Alten gewöhnt war, garnicht gerechnet, und auch die leichtsinnige Barbara hatte es völlig vergessen.

Ihr Vater aber litt schmerzlich darunter, und als er nun auf einmal sein altes Haus von oben bis unten in schwankender Bewegung fühlte, wie ein Schiff bei hohem Seegang, da packte ihn erst eine schreckliche Angst, dann eilte er, von schlimmen Ahnungen getrieben, zum Zimmer seiner Tochter Barbara.

Dort setzte es einen Skandal, dass die Nachbarn zu Hilfe eilten, weil sie alle meinten, der arme Zachen sei plötzlich verrückt geworden.

Sobald sie aber von dem schwerbeleidigten Vater die Ursache seines Jammers erfuhren, stimmten sie ein Wutgeheul an, dass die Barbarer auch noch aus den Betten sprangen und zu Knüppeln und Sensen griffen.

Glücklicherweise gelang es Leonhard, in diesem allgemeinen Wirrwar den Dreschflegeln der erbitterten Leonharder durch einen Sprung aus dem niederen Heustadel zu entgehen und in sein Heimatdorf hinüber zu stürzen.

Freilich, da kam er vom Regen in die Traufe! Die Barbarer mit ihrer hellen Auffassungsgabe errieten sofort an seiner luftigen Gewandung, woher er so eilig des Weges kam.

»Du hast uns diesen Schimpf angetan,« schrieen sie ihm entgegen und prügelten ihn, dass selbst die Leonharder vollauf zufrieden sein konnten.

Der schöne Plan war gründlich zu Wasser geworden. Wochenlang trug der Katzenbräu-Leonhard die deutlichen Zeichen an sich, dass die beiden Heiligen von einer so gewalttätigen Wiedervereinigung nichts wissen wollten, und drüben weinte die arme Barbara vor dem Standbild des heiligen Leonhard aus schwergefoltertem Herzen, weil sie so fürwitzig gewesen war zu fragen, wann er wieder zur heiligen Barbara käme. Sie hatte bei dem Handel gleichfalls ihre blauen Wunder erlebt und schämte sich, wieder unter Menschen zu gehen.

»Nur nicht gar so traurig,« sagte einmal der gutherzige Pfarrer zu ihr, als er sie immer des Abends an der gleichen Stelle fand.

Barbara erhob sich schwerfällig:

»Ach, Hochwürden . . .«

Da nickte ihr der Pfarrer befriedigt zu und klopfte ihr beruhigend auf die bloße, runde Schulter.

Er mochte Barbara von jeher gern leiden, denn sie war ein liebes Geschöpf mit hübschen, braunen Augen und gefälligen Manieren. Dass sie dabei auch auffallend stramme Hüften und eine gut entwickelte Büste besaß, musste der Pfarrer wohl oder übel gleichfalls bemerken, wenn er mit seinen Gemeindekindern überhaupt reden sollte. Übrigens hätte er sich in dem Punkt nicht das geringste einreden lassen, weder von dem knochigen Pfarrer von Sankt Barbara, noch von einem Erzbischof.

Darum sah er sich jetzt des Zachen saubere Tochter von oben bis unten mit aller Gemütsruhe an. So konnte er sich die ganze Schwere der Sünde vor Augen halten, die sie mit dem Leonhard wieder begangen hatte.

Als er so lange nichts redete, fing Barbara unter seiner Hand leise zu zittern an, aber in dem Herzen des Pfarrers regierten ausschließlich Versöhnung und Milde.

»Ja, ja, nur guten Muts,« wiederholte er, »der heilige Leonhard wird's schon machen.«

Wie's der heilige Leonhard machen werde, verschwieg er, weil er's selber nicht gewusst hätte.

Der strenggläubigen Barbara wäre es auch niemals in den Sinn gekommen, danach zu fragen. Sie war schon froh, dass sie der Hochwürden so freundlich angeredet hatte und opferte nun alle Sonntage voll zärtlichen Vertrauens in kleines Herz aus geweihtem Wachs, das sie vorher aus der reichen Vorratskammer ihres Vaters gestohlen hatte.

Je mehr sie opferte, um so freundlicher nickte ihr der gütige Seelsorger zu, und dann drohte er eines Sonntags sämtlichen Weibern seiner Gemeinde in unzweideutiger Weise, sie sollten sich nicht unterstehen, etwa einen Stein zu werfen, sondern reumütig an den eigenen Busen klopfen.

Barbara stieg in den Augen der Leonharder, und als der Pfarrer bei einer Wallfahrt gar noch dem Zachen energisch zusetzte, ihr zu vergeben, da war sie angesehener als jemals zuvor.

Von einer Wiederversöhnung mit dem Katzenbräu-Leonhard hatte der Pfarrer dem Vater freilich kein Sterbenswörtchen gesagt, indessen musste er als feiner Menschenkenner schließlich selbst wissen, dass dies bei dem alten Starrkopf vergeblich gewesen wäre, ganz vergeblich, na, und überberdies war das eben die Sache, die der gütige Pfarrer dem heiligen Leonhard überlassen wollte, der's schon machen werde.

Aber der heilige Leonhard machte gar nichts, und der seinen Namen trug, des Katzenbräu arg verprügelter Sohn, heulte sich wieder die Augen wund.

Ihn hatte sein Pfarrer mit ewiger Verdammnis bedroht, wenn er noch einmal der schändlichen Sünde verfallen werde, und sein Heimatsdorf wischte ihm eins aus, wo er sich sehen ließ.

Die guten Barbarer brauchten nämliche einen Prügeljungen für ihren unaufhaltsamen Niedergang.

Früher, bei den einträglichen Wallfahrten hatten sie einfach das Maul aufgesperrt, um die gebratenen Tauben hineinfliegen zu lassen; jetzt, wo die freundlichen Tiere ihrem Kirchturm fern blieben, wollten sie nicht wieder die Arbeit aufnehmen.

Nur zu bald sollten sich die Folgen zeigen.

Statt der frommen Pilger wurden die Gerichtsvollzieher die ständigen Gäste, und die ließen kein Geld sitzen, sondern nahmen es, wo sie's fanden. Schon sah man das Vieh aus den Ställen wandern und die Betten aus den Zimmern. Die Häuser verloren ihre Sauberkeit, die Blumen vor den Fenstern verdorrten in den Scherben, und durch das absterbende Nest schlich das lange, graue Elend mit ekler Grimasse.

Da kam denn der Sohn des Katzenbräu gerade recht. Er konnte sich nicht wehren wie die verhassten Leonharder, die Hieb mit Gegenhieb zu vergelten pflegten, während ihre Häuser immer blanker und ihre Börsen immer voller wurden.

»Wir haben kein Glück mehr,« jammerte das Dorf.

Der Leonhard musste es büßen, dass sie kein Glück hatten. Alle Tage bekam er seine Prügel, alle Tage wurde er hohnlachend durch die Straßen gezogen.

Und wo ganz Sankt Barbara mittat, da wollte der eigene Vater doch nicht zurückbleiben, dessen Bier nur noch die Landstreicher tranken – wenn sie's geschenkt bekamen. Auch er hielt sich schadlos an seinem Buben und halste ihm schließlich der Bequemlichkeit halber die ganze Schuld an der allgemeinen Verachtung auf, die ihm sein böses Gebräu eintrug.

Voll tiefster Zerknirschung kauerte der abgehetzte Leonhard zu Füßen der heiligen Barbara, seinem letzten, täglichen Zufluchtsorte.

Hier in der grabesstillen Kirche gab es zwar niemand, der ihn getröstet hätte, aber hier durfte er wenigstens nicht geprügelt werden, hier konnten ihm nicht die Namen sämtlicher Stalltiere der Reihe nach an den Kopf fliegen, hier war er geborgen vor Barbarern und Leonhardern, denn in die Kirche ging zur Wut des Herrn Pfarrers schon bald keine Seele mehr.

Die Barbarer hatten noch immer auf ein Wunder gehofft, das die Talerstücke wieder ins Dorf würfe, als sich die Heilige aber gar nicht dazu anschickte, gaben sie jede Hoffnung endgültig auf und straften die einst so Gepriesene mit stiller Verachtung.

Ihr letzter Verehrer war der Katzenbräu-Leonhard geworden, der seine zerschlagenen Glieder auf den marmorierten Holzstufen langsam zurechtlegte.

»Dein heiliger Leonhard hat mich elend im Stich gelassen,« sagte er traurig.

Zum Beweise dafür ließ er bittre Seufzer hören und langte mit beiden Händen auf die schmerzenden Stellen.

Die Heilige hörte sehr aufmerksam zu und sah nachdenklich auf den einzigen Bittgänger ihres Dorfes herab.

Eigentlich war er kein schwächlicher Bursche, im Gegenteil, er hatte Arme und Schenkel wie von Eisen, aber er war schwer von Entschluss, er wartete immer bis die andern schlugen, und dann war's natürlich lange zu spät. Seine braunen, verschwommenen Bollaugen, die jetzt andächtig zur heiligen Barbara hinaufgingen, sahen die Gefahr erst, wenn er mitten drinnen war, oder wenn er schon tüchtig zerwalkt auf der Strecke lag. Sonst hätte er doch dem frechen Lebzelter das Lästermaul stopfen müssen, als der alte Hallunke das ganze Dorf zusammenschrie und dabei die verächtlichsten Schimpfworte auf die heilige Barbara losließ.

Oh, dieser Gotteslästerer!

Leonhard erzählte der Heiligen mit weinerlicher Stimme, was der alte Zachen auf seine bewegten Vorstellungen vor Barbaras Bettstatt damals alles erwidert hatte. Er erzählte umständlich, in einem krausen Durcheinander.

Dass sie überhaupt gar keine Heilige sei, dass die Geschichte mit dem Wunderschuh garnicht passiert sei, dass sie auch niemals den Katzenbräu-Leonhard mit seiner Tochter zusammen bringen werde, und dass es zu bedauern sei, dass sich der heilige Leonhard früher mit ihr eingelassen habe.

Ob das der Zachen in der flughaften Eile jener schwülen Liebesnacht wirklich alles gesagt hatte, was er heute der Heiligen stundenlang vorrechnete, das hätte der Leonhard wohl selbst nicht beeidigen können. Er besann sich nur noch, dass er mitten in dem niedersausenden Prügelregen von dem wütenden Lebzelter den ersprießlichen Rat bekam, sich vom Wunderschuh der heiligen Barbara helfen zu lassen. Das andre dichtete er dazu, um zu sticheln und aufzuhetzen, auch vergaß er nicht, dazwischen den treulosen, heiligen Leonhard ein bisschen anzuschwärzen, der zum Zachen gehalten hatte.

Die Heilige hörte sehr aufmerksam zu, aber sie gab kein Zeichen von sich.

Kerzengerade schwebte sie in einer blaugestrichenen Himmelswolke ein wenig über dem reichgestickten Messtuch des Hochaltars. Auf ihrem Haupte trug sie eine schwere Krone, mit der hochgehobenen Linken hielt sie ein Sträußchen ganz verstaubter Blumen umspannt, und dorten unter dem fadenscheinigen Purpurmäntelchen lugte der goldgestickte Wunderschuh hervor, dessen Spitze ein grüner Edelstein von unermesslichem Werte zierte.

Leonhard sah nichts mehr auf der ganzen Welt als diesen Schuh. Seine Augen wuchsen langsam aus den Höhlen heraus wie aufgehende Seifenblasen, und seine Hände begannen zu zittern. Wer den Schuh besaß, konnte den Leonhardern tausendfach heimzahlen.

Und so betete denn der fromme Leonhard ganz laut, dass es durch die Kirche hallte:

»O, heilige Barbara, wirf mir deinen Schuh herunter, wie du das damals getan hast, als der arme Geiger in Not war. Schau, heilige Barbara, ich bin auch in Not, ich darf nicht mehr zu meinem Mädel gehen, wie du nicht mehr zu deinem Leonhard darfst, aber ich gelobe dir auf Ehre und Seligkeit, du sollst statt dessen an mir zeitlebens einen treuen Verehrer haben, wenn du mir jetzt die hohe Gnade erweisen willst, ein Wunder zu wirken. Dann wird auch der heilige Leonhard einsehen, dass so etwas auch noch andere fertig bringen und wird sich gefügiger zeigen.«

Die Heilige hörte wieder sehr aufmerksam zu und rührte sich immer noch nicht.

Traurig schüttelte der Leonhard den Kopf. Es war doch auch manchmal mit den Heiligen eine eigene Sache. Wenn sie nicht wollten, dann konnte man tagelang betteln, sie blieben hartherzig und erhörten einen nicht.

Schon zuckte es wieder um seine Mundwinkel, schon würgte er die aufsteigenden Tränen hinunter, als ihm plötzlich die kleine Puppe zu Füßen der Heiligen ins Auge fiel.

Das graugekleidete Männchen mit dem Fiedelbogen war der Geiger, an dem sie das vielbezweifelte Wunder gewirkt hatte. Er kniete natürlich schon immer an der gleichen Stelle, aber noch niemals hatte ihn der Leonhard so mit den Augen verschlungen wie heute.

Ein breites Grinsen teilte des Burschen rundes Gesicht mit klaffendem Risse.

Jetzt hatte er's endlich gefunden! Auch er musste sich vorher ein bisschen plagen, wie der Geiger es getan hatte, denn umsonst wirken die Heiligen keine Wunder auf Erden.

Hastig griff er seine Taschen ab und suchte und suchte. Endlich verklärten sich seine Züge, er hielt eine Stelle an der Joppe fest und zog gleich darauf mit triumphierendem Gesichte seine Mundharmonika hervor.

Ohne Zaudern spielte er nun der himmlischen Musikfreundin einen wiegenden Ländler auf, erst ein bisschen langsam, dann immer wärmer, immer gefühlvoller, wie früher, wenn beim Katzenbräu getanzt wurde.

Und jetzt geschah es wirklich, was der Bursche ersehnt hatte: Die Heilige konnte nicht widerstehen, als sie die Töne vernahm. Sie erhörte ihren gepeinigten Schützling und warf ihm mit holdseligem Lächeln ihren Goldschuh herunter, dem Zachen und allen Leonhardern zum Trotz!

Ah, denen wollte der Leonhard den Wunderschuh unter die Nase halten!

Nicht gleich auf das erstemal hatte er ihn erhalten. Die Heilige hatte noch nicht genug und verlangte mehrere Zugaben. So spielte er denn noch einen Walzer, einen Schuhplattler, aber da – als er sich die Lippen schon blutig gehobelt hatte und immer ärgerlicher mit dem Kopfe wackelte, wollte er auf einmal deutlich bemerkt haben, dass die Heilige den Wunderschuh ein ganz klein wenig bewegt habe.

Zitternd war er näher getreten. Der Schuh saß zwar noch unbeweglich an der gleichen Stelle, aber jetzt wusste der Leonhard schon ganz bestimmt, dass er sich nicht geirrt hatte. Darum wollte er sich wenigstens gründlich überzeugen und der Heiligen bei ihrer löblichen Absicht etwas behilflich sein. Er zupfte ein bisschen an dem faserigen Gewebe, dann wieder ein bisschen, dann etwas ungeduldiger, und nun geschah es auf einmal, das große, gewaltige Wunder.

Der Goldschuh fiel endlich herab, und mit ihm plumpste der gottbegnadete Leonhard vor freudigem Schreck wie ein vollgepfropfter Mehlsack auf die Altarstufen nieder.


Erläuterungen

1 Heiliger Leonhard

"LEONHARD (franz. Léonard, Lienard), Einsiedler, Heiliger, im 6. Jahrhundert im heutigen St.-Léonard-de-Noblat bei Limoges lebend, angebliches Sterbedatum 6.11. 559, heutige Gedächtnisfeier 6. November. - Kult und Geschichte des Heiligen tauchen erst im 11. Jahrhundert auf. Der Benediktinermönch Ademar von Chabannes schrieb 1028, dass Leonhard als Wundertäter im Gebiet von Limoges gewirkt habe und vom Volk hoch verehrt werde. Die aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts stammende Vita wurde von dem Kleriker Ildegarius von Limoges geschrieben und trägt stark legendäre Züge, die auch für andere Heilige und Klostergründer gelten können. Lokale Verehrung mit dem Zentrum im Kloster Noblac, dem Sitz einer Klostergemeinschaft mit Augustinusregel, sollte durch literarische Propaganda unterstützt werden. Diese Vita gab als zeitliche Einordnung die Zeit des oströmischen Kaisers Anastasius (491-518) und die Regierungszeit des Frankenkönigs Chlodwig (481-511) an. Der Legende nach entstammte Leonhard einer vornehmen Familie am Hofe Chlodwigs und Bischof Remigius von Reims (+ 533) sei sein Lehrer geworden. Als Schüler dieses Bischofs habe er sich besonders der Gefangenen angenommen und vom König weitgehende Vollmachten zur Gefangenenbefreiung erhalten. Der König habe ihn auch als Bischof gewollt, Gottes Heiliger Geist habe ihn aber in die Einsamkeit geführt, zuerst nach Orleans und dann in den königlichen Wald bei Limoges. Auf dem vom König geschenkten Stück Land, »Nobiliacum«, habe er ein Oratorium zu Ehren der Gottesmutter erbaut und darin zu Ehren des hl. Remigius einen Altar aufgestellt. Zwei Mönche sollen ihm in die Einsamkeit gefolgt sein und sein Ruf sei schon zu Lebzeiten weit über den Königswald gedrungen. Ganz Aquitanien, Britannien und auch Germanien verehrten den als Gefangenenbefreier berühmt gewordenen Heiligen. Zahlreiche Vornehme seien ebenfalls in die Einsamkeit gezogen und so habe sich ein bevölkertes Kloster entwickelt mit Leonhard als Abt. Der Lokalheilige des Klosters Noblac erhielt durch die Vita aus dem 11. Jh. seine Geschichte. Seine Gebeine wurden erstmals im 11. Jh. erhoben, erneut 1226 und 1738. Partikel gibt es seither an vielen Orten. Zur Ehre eines Patrons der Gefangenen dürfte eine volksetymologische Auslegung von franz. lien (= Bande, Fessel) beigetragen haben. Aussagen entsprechend sorgte er sich um die Gefangenen, besuchte sie und trachtete danach, ihr Los zu erleichtern. Nach der Entlassung ließ er sie die Klosterländereien roden und bebauen, um sie vor lasterhaftem Leben und Rückfall zu bewahren. Dem Heiligen als Löser feindlicher Ketten sind Kirchen geweiht, die entweder außen häufig mit großen Ketten umspannt sind (Kettenkirche) oder innen mit Ketten als Votivgaben ehemaliger Gefangener geschmückt sind. Ob solcher Brauch auf vorchristliche Ursprünge zurückgeht, wonach germanische Opferstätten gegen dämonische Einflüsse mit einer Kette oder Schnur umspannt wurden, kann nur vermutet werden. - Der lokale Kult des hl. Leonhard verbreitete sich gegen Ende des 11. Jh.s auch in Deutschland; bes. in Österreich, Bayern und Schwaben wurde er zu einem der beliebtesten Volksheiligen, der zuweilen sogar den Vierzehn Nothelfern beigezählt wird. Ursprünglich Patron der Gefangenen, wird er schließlich zum Schutzherrn aller Bauernanliegen, der Wöchnerinnen und Kranken und vieler Berufsgruppen, so der Bergleute, Böttcher, Butterhändler, Fuhrleute, Hammer- und Kupferschmiede, Kohlen- und Lastenträger, Obsthändler, Schlosser, Schmiede und Stallknechte und auch noch des Viehs, insbesondere der Pferde. Sein Patronat wurde durch ein reiches Brauchtum ausgeweitet wie Leonardi-Fahrten und Leonardi-Ritte mit Pferdesegnung, Darbringen von eisernen Tierfiguren als Votivgaben, Heben von Leonardi-Klötzen oder Leonardi-Nägeln als Kraftprobe u.a. Dargestellt wird er in schwarzer Mönchskutte mit Kette und Abtstab, als Gefangenenbefreier aus dem Block oder Gefangene an der Kette haltend, Ochsen und Pferde neben ihm. Ein Heiliger mit großem »Zuständigkeitsbereich«. "

[Quelle: Karl Mühlek. -- http://www.bautz.de/bbkl/l/Leonhard.shtml. -- Zugriff am 2004-07-19] 

2 Heilige Barbara

"BARBARA, Heilige. - Das wohl nach 520 in Oberitalien aus alten Quellen entstandene, etwa 6000 Namen umfassende Märtyrerverzeichnis der gesamten Kirche, das »Martyrologium Hieronymianum«, kennt B. nicht. Nicht einmal das in einer Handschrift des Jahres 411/12 erhaltene »Martyrologium Syriacum«, das Verzeichnis der Märtyrer des Orients, weiß etwas von B. und ihrem Martyrium. Auch in dem »Martyrologium Bedae« aus dem Anfang des 8. Jahrhunderts fehlt ihr Name, während das ungefähr derselben Zeit entstammende »Martyrologium Romanum parvum oder vetus« über sie berichtet. Der in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts lebende byzantinische Hagiograph Symeon Metaphrastes bietet in seiner Legendensammlung zuerst die abgeschlossene Barbaralegende (MPG 116, 301 ff.). Zeit und Ort ihres Martyriums werden in den Märtyrerverzeichnissen und Heiligenlegenden verschieden angegeben: entweder 235 unter Maximinus Thrax in Nikomedien oder 306 unter Galerius in Heliopolis (Ägypten). Die Legenden berichten aber übereinstimmend: B.s Vater habe seine Tochter, weil sie Christin geworden sei, dem Richter angezeigt. Da sie aber trotz aller Marter standhaft blieb, habe der Vater selbst B. enthauptet und sei zur Strafe dafür an der Stätte der Hinrichtung vom Blitz erschlagen worden. - B. zählt zu den 14 Nothelfern und wird zum Schutz gegen Blitz- und Feuersgefahr angerufen. Sie ist die Patronin der Artillerie und der Bergleute und ihr Gedächtnistag der 4. Dezember. "

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/b/barbara.shtml. -- Zugriff am 2004-07-19]

3 Sankt Kümmernis

"Kümmernis , heilige. Der Name der Heiligen ist regional verschieden, manchmal wird sie auch Kummernus, Kumerana, Wilgefortis (Virgo fortis), Hilgefortis, Heilige Hilfe, St. Hülferin und St. Hulpe genannt. Überwiegend setzte sich aber der Name Kümmernis durch.

Sie genoss seit Mitte 14. Jh. volkstümliche Verehrung und wird mit wallendem Bart und wie Jesus Christus gekreuzigt dargestellt. Zum Unterschied von Jesus ist die Kümmernis aber in prunkvolle Gewänder gehüllt und trägt einen Schuh. Der Legende nach war die früher sehr populäre Heilige (ohne kirchlichen Kult) eine sizilianische oder portugiesische Prinzessin. Sie soll ca. 130 n. Chr. zum christlichen Glauben übergetreten sein und sich Jesus so verbunden gefühlt haben, dass sie es ablehnte zu heiraten. Ihr inständiges Gebet, so hässlich zu werden, dass der ihr zugedachte Mann sie zurückweise, fand Erhörung, und es wuchs ihr ein mächtiger Bart.

Ihr Vater, der davon Kenntnis erhielt, soll seine Tochter martern und mit Lumpen bekleidet ans Kreuz nageln haben lassen, damit sie ihrem himmlischen Bräutigam gleiche. Die Sterbende predigte drei Tage lang und bekehrte viele Menschen, darunter auch ihren Vater. Er ließ sie nun in kostbare Stoffe hüllen und errichtete nach ihrem Tod eine Sühnekirche. Attribute der Heiligen sind Kreuz, Bart, Krone und ein silberner Schuh.

Kümmernis bot Anlass für viele Erzählungen. Am bekanntesten ist wohl die Legende von einem bettelarmen Geiger, dem eine Figur der Heiligen einen ihrer silbernen Schuhe zuwarf. Der daraufhin wegen Diebstahls zum Tode verurteilte Musikant durfte vor der Hinrichtung noch einmal vor der Heiligenfigur spielen. Zum Beweis seiner Unschuld löste sich nun auch der zweite silberne Schuh vom Fuß der Heiligenfigur und kollerte bis zu den Füßen des Geigers. "

[Quelle: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_5207.html. -- Zugriff am 2004-07-19]


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