Religionskritisches von Harry Schloßmacher

Vielleicht gibt es einen Gott, aber er ist gewiss nicht allmächtig, allwissend und allgütig (1984)

von Harry Schloßmacher


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Schloßmacher, Harry: Vielleicht gibt es einen Gott, aber er ist gewiss nicht allmächtig, allwissend und allgütig. -- 1984. -- Fassung vom 2004-12-15. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/schlossmacher01.htm 

Erstmals publiziert: 2004-12-15

Überarbeitungen:

©opyright bei Harry Schloßmacher

Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Ursprünglich erschienen in:

die taz. -- 1984-12-17

[die törichten Anmerkungen des Setzers wurden weggelassen]


Ein echter Gott, ein Allmächtiger, sollte auch zaubern können, und dies nicht nur einmal (zum Beispiel bei der Erschaffung der Welt aus dem Nichts). Er müsste in der Lage sein, spontan seine eigenen Gesetzmäßigkeiten für besondere Aktionen und Eingriffe außer Kraft zu setzen (zumindest zeitweilig/kurzfristig). Gerade ein allmächtiger und allgütiger „Faktor X" (= Gott) darf nicht ewig Sklave seiner Gesetze sein.

Besonders beim Umwelt- und Kreaturzerstörer Mensch wären massive, direkte göttliche Eingriffeins Erdgeschehen oft vonnöten gewesen und sind es heute mehr denn je. Und wenn es nur das Grauen der in seinem Namen geführten Religionskriege sowie des 1. und 2. Weltkriegs (inklusive Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki) der Menschheit erspart hätte. Aber er hat sich wie immer zurückgehalten. Verstecken spielen und toller action zusehen sind leidenschaftliche Hobbies des „Faktors X".

Zaubern aber kann dieses Wesen nicht. Noch nicht einmal mit seinen Lieblingsspielzeugen, den riesenhaften Materiekugeln (= Fixsterne und Planeten). Von heute auf morgen entsteht nämlich auch dort nicht viel. Ungefähr 4,5 Milliarden Jahre dauert es, bis ein Stern entstanden ist. Gar zehn Milliarden Jahre Evolutionszeit benötigen feste Planeten! Wahrhaft imposante, für uns unerreichbare Machwerke dann. Aber für einen von Religionsseite allmächtig bezeichneten Gott, der zudem zielbewusst wäre und weiß, was er will, eine viel zu lange Schaffenszeit. Sollte sogar der Mensch ein Ziel seiner Schöpferkraft sein, so hätte er in zwei Phasen rund 15 Milliarden Jahre (!) von den ersten lebensvorbereitenden Maßnahmen bis zu dessen Fertigstellung gebraucht:

  1. Ca. 10,5 Milliarden Jahre indirekte Phase (Zeitraum der Stern- und Planetenbildung, die sogenannte kosmische Evolution).
  2. Ca. 4,5 Milliarden Jahre direkte Entwicklungsphase (die chemische und biologische Evolution bis zum Menschen selbst).

Ein ewig lebendes Wesen hat soviel Zeit zur Verfügung, dass es damit nicht (wie wir) zu haushalten braucht. Ob eine Milliarde Jahre mehr oder weniger, dies spielt hier (zumindest zeitmäßig) keine Rolle. Im Gegenteil: für diesen Gott müsste Zeit schinden Trumpf sein; denn auch ein noch so unsinniger und unangemessen langer Evolutionsprozess bedeutet für ihn action. Wer über soviel Zeit verfügt, der hat auch viel Langeweile und Leerlauf. Beide wollen mit Aktivitäten und/oder Unterhaltung bekämpft sein.

Vom einsamen Gott im Nichts zum action-Gott im Kosmos?

Zwischen Unterhaltungswert des Weltalls und seinen unbegreiflich vielen Gestirnen scheint ein direkter Zusammenhang zu bestehen! Denn es leuchtet jedem ein: je mehr Himmelskörper da sind, umso mehr action und Unterhaltung wird geboten. Soll es sogar spannende action für ihn sein, so darf unser Schöpfer keine Ereignisse vorhersehen. Je weniger allwissend er ist, umso interessanter werden die vielen nacheinander wie nebeneinander laufenden Evolutionsprozesse und ihre zeitweiligen Ergebnisse für ihn sein. Vielleicht so, wie für uns eine Filmpremiere mit dem Reiz des Neuen versehen ist. Die Spannungsmomente fehlen, wenn wir ihn zum zweiten oder gar dritten Mal sehen. Ein allwissender Weltengott, der den Verlauf aller Ereignisse bis in kleinste Verästelungen in seinem gesamten Kosmos bis in alle Zeiten vorhersieht, für den gibt es nichts neues mehr. Er wird zusehends desinteressiert und trotz zahlloser Ereignisse auf zahllosen Welten unzufrieden, weil für ihn nichts Unvorhergesehenes mehr passiert. Für einen action-Gott. wie wir ihn vorfinden, wird dieser Reizverlust auf Dauer sehr unangenehm werden. Vielleicht gibt es auch deshalb keinen Allwissenden?

Erst im Kosmos kann der Action-Gott ungehemmt aus dem vollen schöpfen: gigantische Mengen unzählbarer Lebewesen auf zahlreichen Planeten stehen ihm dort (höchstwahrscheinlich) zur Verfügung. Aber durch die Massenfabrikation allerorts gehen die Interessen des Einzelwesens verständlicherweise ganz und gar unter. Zudem leidet bei soviel Massen ware wohl die Qualität, so fürchte ich. Für diesen Gott scheint nur action Trumpf zu sein. Vielleicht tummeln sich auf vielen Trillionen Welten viele Tausend Trillionen verschiedene Geschöpfe. Jeder Zirkusdirektor und Designer hätte Wohlgefallen an dieser Farbenpracht und Formenvielfalt. Eine Supershow der Gastarbeiter, Schauspieler und Statisten (= tierähnliche Wesen, da sie nicht wissen, dass sie leben). Denn zu mehr als einem kurzen (Bühnen-)Auftritt auf ihren Heimatplaneten reicht es bei keinem der wohl viele Trillionen zählenden Todeskandidaten. Ein Gott, der sich mehr um das Individuum und dessen spezielles Lebensglück kümmert als an unüberschaubarer Artenvielfalt interessiert zu sein, hätte bestimmt auch Mittel und Wege gefunden, dem Einzelwesen Gesundheit, Zufriedenheit, Lebensfreude etc. in jeder Minute seines dann auch langen bis ewigen Lebens zu ermöglichen.

Pyrotechniker

Auffällig ist zudem, dass sich der rätselhafte „Himmelsfaktor X" versteckt hält. Warum eigentlich? Hat er ein schlechtes Gewissen? Schämt er sich seiner Taten oder gar seiner Tatenlosigkeit?

Warum setzt er ein Kind namens Mensch in die Welt und überlässt es dann nur seinen physikalischen, chemischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten? Von verantwortungsvoller Vaterschaft, Zuneigung und seelischem Beistand des „Allgütigen" verspüren wir nichts. Wie sonst kann es geschehen, dass Ängste, Orientierungslosigkeit, Kampf, Leid, Not, Krankheiten, Sorgen, Tod, etc. die Regel in unserem Leben sind — Lebensfreude, Liebe, Geborgenheit aber die Ausnahme? Will dieser allgütige Vater, wie er von kirchlicher Seite bezeichnet wird, wirklich das Glück für die Menschen und nur unser Lebensglück? Warum in Gottes Namen lässt er dann so viele die Hölle auf Erden erleben, und das Paradies (wenn nicht die „Halbhölle" Fegefeuer) erst im Himmel? Warum überhaupt der kurze Abstecher der Individuen in ein unvollkommenes, kämpf- und konfliktreiches Diesseits, wenn dauerhafte, vollkommene Harmonie und Glückseligkeit nur das Paradies (falls es eines gibt?!) im Jenseits zu bieten hat? Warum denn dieser makabre Umweg über die Zwischenstation Erde? Eine Mutter schickt ihre Kinder ja auch nicht zur Imbissstube, wenn sie zuhauseein besseres Essen für ihre Zöglinge hat!

Paradiesische Strände

Nicht nur Landschaftsgestalter und Erfinder mögen bei soviel Schönheit und Ideenreichtum der Natur auf wahrscheinlich unzähligen Planeten applaudieren. Imponierende Stärken unseres Allround-Himmelsmeisters auf Erden: paradiesische Strände, malerische Seen und herrliche Wälder. Aber auch prächtige, saftig grüne und mit Blumen übersäte Wiesen, imposante Bergwelten oder fantastische Schneelandschaften sind eine Augenweide für jeden. Aber fragen wir einmal einen Psychoanalytiker, welches Psychogramm er einem Vater erstellen würde, der Hilferufe und Todesschreie seiner vielen Kinder einfach ignoriert, so wie jede Minute vielleicht Trillionen Hilferufe und Billionen Todesschreie vom „Allgütigen" überhört werden?

Warum hat unser Weltenschöpfer Wesen mit einem scharfen, kritischen Verstand und einer hohen Gefühlssensibilität erschaffen (wie z.B. wir Menschen), wenn er sie allerorts seine Unvollkommenheit, Fehlerhaftigkeit und Brutalität spüren lässt?

Dieser Schöpfer ist ein guter Steuermann für großflächige, weitreichende Planeten- und Sonnensysteme. Eine wissenschaftliche Koryphäe ohnegleichen (in allen Disziplinen!). Ein Superprofessor aller Bereiche der Naturwissenschaft! Zudem ist er ein exzellenter Feuerwerker. Wir brauchen uns im „Nahbereich" nur einmal Gewitterblitze und die Eruptionen der Sonne anzusehen, sowie uns in der kosmischen Weite einmal das Bild eines Super-Nova Ausbruchs vorzustellen. In der komplizierten, unsichtbaren Welt der Gefühle fehlt ihm aber anscheinend jede Orientierung. Speziell menschliche Gefühle wie diverse Ängste vor Krankheit, Tod, Krieg etc., kennt er nicht. Wäre er ein gütiger, mitfühlender Gott, so müsste er in Tränen zerfließen, bei all dem Kummer, Leid und den Sorgen, von denen viele Menschen ein Leben lang begleitet werden. Wenn wir Menschen uns nicht selbst stützen und gegenseitig seelischen Beistand leisten, dieser Weltenlenker hat kein wirksames Konzept gegen die zahlreichen Ängste, Grausamkeiten und Irritationen, die unser Leben beherrschen und größtenteils von seinen Gesetzmäßigkeiten verursacht, zumindest von ihm geduldet werden.

Koryphäe der Brutalität

Der Himmelspatron, den wir erleben, lässt viel zuviel Raum für offenen und verdeckten Kampf, für Hinterlist und Tücke; für Folter, Mord und Totschlag. Er schafft oder duldet schon auf Erden und vermutlich auch im Kosmos ein solch teuflisches Szenario, dass im Jenseits (falls es eines geben sollte) eher die Hölle als ein Paradies anzutreffen ist.

Hier Negativ-Beispiele der Superlative, welche diese Vermutung leider massiv bestärken: wir wissen heute z.B. mit ziemlicher Sicherheit von superriesigen Schwarzen Löchern, die Billionen (in Milliarden Jahren entstandene) Sonnen und ihre Planeten in relativ kurzer Zeit in sich aufsaugen und total vernichten. Mit ziemlicher Sicherheit existiert eines dieser „Schwarzloch-Superzerstörer" im Zentrum der Galaxis M 87, ein elliptisches Riesensystem nahe dem Zentrum des großen Virgo-Haufens.

Es gibt starke Indizien dafür, dass im Zentrum unserer Milchstraße ebenfalls ein gigantisches Schwarzes Loch zu finden ist! Diese Regelung ist beileibe nicht sinnvoll; denn warum erschaffe ich etwas so gewaltiges in vielen Milliarden Jahren, wenn ich es kurzerhand wieder in nur Tausenden von Jahren radikal vernichte? Und von Kreaturliebe zeugen die Geschehnisse dieser Super-Dramen bestimmt nicht; denn vermutlich unzählige wehrlose Geschöpfe sterben bestialisch, gar satanisch,  während der Agonie ihrer Heimatplaneten.

Spätestens bei Katastrophen solch unvorstellbaren Ausmaßes entpuppt sich der „Allgütige" als Koryphäe der Brutalität. Es wird soviel geredet von der Verantwortung der Eltern für ihre Kinder. Wie aber steht es mit der viel größeren Verantwortung Gottes gegenüber seinen Geschöpfen?

Ist es nicht verantwortungslos, vielleicht Tausende Trillionen Kreaturen auf vielleicht Trillionen Planeten in die Welt zu setzen und sich dann nicht mehr (zumindest direkt) um ihr leibliches, geistiges und seelisches Wohl zu kümmern? Oder dient die riesige Planetenkulisse zwischen brillantem „Höhenfeuerwerk" in Form der unzählbaren Super-Nova Ausbrüchen, Gigant-Eruptionen auf gelben, blauen und roten Sonnen, Kometenschweife und Sternschnuppen nur dem schönen Ausblick eines hoch oben thronenden Herrgotts?

Wäre es nicht besser gewesen, von einem supergigantischen Weltall abzusehen und den Schwerpunkt auf die Ausstattungsqualität nur weniger Planeten und die zufriedenstellende Lebensqualität einer übersichtlichen Anzahl Geschöpfe zu legen?


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