Religionskritik

Joseph Rayner Stephens, Prediger zu Stalybridge, und die Bewegung der englischen Arbeiter im Jahre 1839

(1846)

von Georg Weerth


herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Weerth, Georg <1822-1856>: Joseph Rayner Stephens, Prediger zu Stalybridge, und die Bewegung der englischen Arbeiter im Jahre 1839. -- 1846. -- Fassung vom 2004-11-04. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/weerth04.htm    

Erstmals publiziert: 2004-11-04

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals erschienen in:

Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen Reform / hrsg. unter Mitwirkung mehrerer von Hermann Püttmann. -- Bd. 2. -- Belle-Vue bei Konstanz, 1846. -- S. 94 - 129

Wieder abgedruckt in:

Weerth, Georg <1822-1856>: Sämtliche Werke : In 5 Bden. / Georg Weerth. Hrsg. von Bruno Kaiser. -- Berlin : Aufbau-Verl. -- Bd. 2: Prosa des Vormärz. -- 1956. -- 521 S. -- S. 60 -102


Malthus1 — „Essay on the principle of population", zuerst erschienen im Jahre 1798 - nahm an, dass die Bevölkerung der Erde sich bei vollkommen freier Entwicklung jedesmal in 25 Jahren wenigstens verdoppeln, also in einer geometrischen Proportion wachsen würde, dass dagegen die Subsistenzmittel in Betracht des jetzigen Zustandes der Erde und unter den günstigsten Umständen nur in einer arithmetischen Proportion gesteigert werden könnten. Die Bevölkerung würde sich also vermehren: 1. 2. 4. 8. 16. 32. 64. 128. 256, die Subsistenzmittel: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. In zwei Jahrhunderten würde sich die Population zu den Subsistenzmitteln verhalten wie 256 zu 9, in drei Jahrhunderten wie 4096 zu 13, und in zweitausend Jahren würde der Unterschied beinahe unberechenbar sein — genug, es würde schon bald das Bestehen der Menschheit unmöglich werden, wenn Krieg, Pest, Not und Tod die Bevölkerung nicht stets wieder mit den Subsistenzmitteln ins Gleichgewicht brächten. Hierauf gestützt erklärt Malthus das Laster wie das Elend für ganz herrliche Sachen, da sie die Bevölkerung, welche stets die Neigung hat, sich über ihre Subsistenzmittel hinaus zu entwickeln, wieder in die gehörigen Schranken zurückdrängen. Er erklärt jeden Versuch, die Not der Menschen durch Almosen zu erleichtern, für eine Torheit und für sehr gefährlich, da dies den ärmern Teil der Bevölkerung verleite, sich auszudehnen; wodurch über kurz oder lang doch nur abermaliges, größeres Elend herbeigeführt werde. Er erlaubt auch die Heirat nur einigen vom Schicksal Begünstigten und sagt wörtlich: „Ein Mensch, der in einer Welt geboren wird, die schon besetzt ist, hat, falls ihn seine Familie nicht ernähren kann und die Gesellschaft seiner Arbeit nicht bedarf, nicht das geringste Recht auf irgendeinen Teil von Nahrung; et ist zuviel auf der Erde. Bei dem großen Bankett der Natur hat man kein Kuvert für ihn gelegt. Die Natur befiehlt ihm, sich zu entfernen, und zögert nicht, diesen Befehl selbst in Ausführung zu bringen." Ebenso heißt es am Schlusse des ersten Bandes wörtlich: „Die stille, aber sichere Untergrabung des Lebens in großen Städten und Manufakturen, die engen Wohnungen und die unzureichende Nahrung vieler Armen lassen die Population die Summe der Subsistenzmittel nicht überschreiten und, wenn ich einen Ausspruch wagen darf, der gewiss anfangs sonderbar erscheinen wird, überheben uns der Notwendigkeit großer, verheerender Seuchen, um das Überflüssige zu zerstören." —


Abb.: Thomas Robert Malthus

Es ist hier nicht der Ort, weiter auf die Malthusianismen Theorien einzugehen; wir verweisen wegen einer gründlichen Widerlegung neuerer Zeit auf einen Artikel in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern" (Fr. Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie"), wo sehr richtig bemerkt wird, dass nach der Theorie des Malthus die Erde schon übervölkert sein würde, wenn auch nur ein einziger Mensch existierte, und wo namentlich darauf aufmerksam gemacht wird, dass man bei dem Vergleich der Ausdehnung der Bevölkerung und der Subsistenzmittel bisher immer vergaß, in Betracht zu ziehen, einen wie großen Einfluss die Wissenschaft auf den Boden haben kann, wenn einst die Not den Menschen zwingen wird, sich vorzugsweise hiemit zu beschäftigen.

Jedenfalls musste der herrschenden Klasse in der Gesellschaft die Malthusianische Bevölkerungstheorie sehr willkommen sein, da sie ja nicht allein zu beweisen suchte, dass Laster und Elend ganz vortreffliche Sachen seien, sondern auch noch die herrschenden Klassen dazu verpflichtete, das Laster wie das Elend fortwährend zu unterhalten, um dadurch einer Übervölkerung vorzubeugen. Die herrschenden Klassen wurden in ihrem Kampfe mit dem Proletariat als einem gerechten und notwendigen bestärkt; sie konnten sich jetzt vollständig dabei beruhigen, dass sie die ärmern Klassen bestehlen, ihnen ihre Subsistenzmittel nehmen und sie dadurch ihrem Untergang entgegenführen.

Mit einem Wort, die Theorie von Malthus war die wissenschaftliche Sanktion des Zustandes der heutigen Gesellschaft. In England, wo die Bevölkerungstheorie das Licht der Welt erblickte, machten sich die Konsequenzen dieser Theorie als solche zuerst auch öffentlich geltend, und zwar auf zweierlei Weise: erstens durch das neue Armengesetz — durch den Poor Law Amendment Act, nach dem jetzt jährlich viele Tausende von Menschen von Staats wegen massakriert werden, und zweitens dadurch, dass man in einem Werke von Marcus öffentlich zum Kindermorde aufforderte.

Sprechen wir zuerst von dem neuen Armengesetz, so müssen wir, um es ganz zu verstehen, zur Zeit zurückgehen, wo die Reformation in England ihren Anfang nahm. Die Geistlichkeit besaß damals 7/10 des Grundeigentums. Nicht weniger als tausendeinundvierzig religiöse Institute bedeckten das Land. Heinrich VIII.2 hob die Klöster auf, nahm ihr Eigentum in Beschlag und überließ sowohl die frühern Bewohner der Klöster als auch alle die, welche durch Geschenke und Almosen von der Geistlichkeit unterhalten wurden, ihrem Schicksal. Es dauerte daher nicht lange, dass der Pauperismus3 überall im ganzen Königreiche auf eine grässliche Weise ans Licht hervortrat. Alle Grafschaften waren voll von Vagabunden, Bettlern und Dieben. Unter der Regierung Elisabeths4 nahm dieser Zustand so sehr überhand, dass die Königin sich veranlasst sah, jene Unglücklichen, welche in Banden von vielen Hunderten plündernd das Land durchstrichen, mit immer größerer Strenge zu verfolgen. Nachdem alle möglichen Strafen versucht waren und viele Tausende den Tod erlitten hatten, sah man aber ein, dass auf diesem Wege dem wachsenden Unheil nicht zu steuern sei, und Elisabeth entschloss sich zur Erlassung eines Armengesetzes, wonach die Einwohner der verschiedenen Gemeinden eine Taxe bezahlen und jede Gemeinde für ihre Armen Sorge tragen musste, indem sie die Arbeitsfähigen beschäftigen und die Alten und Kranken zu unterstützen hatte.

Dieses Armengesetz der Elisabeth blieb bis zum Jahre 1834 in Kraft. Verfolgt man nun die Wirkungen, die es auf die Bevölkerung hatte, so springt es nur zu sehr in die Augen, wie jene Armentaxe, eben weil man nur durch sie dem Elende abzuhelfen gedachte, stets, selbst als sie bis zu einer fast unglaublichen Höhe gesteigert wurde, unzureichend blieb und nur dazu diente, eine immer größer werdende Klasse der Bevölkerung in fortwährender Armut zu erhalten. Die Angabe der Summen, welche jährlich zur Verwaltung des englischen Armenwesens nötig wurden, machen dies am deutlichsten.

Im Jahre 1776 betrug die zur Unterstützung der Notleidenden in den Gemeinden bestimmte Summe 1 720 316 Pfund Sterling; 1801 bei einer Bevölkerung von 8 872980: 4078 891 Pfund Sterling; 1818 bei einer Bevölkerung von 11978 875: 7870 801 Pfund Sterling. 1833 betrug die Taxe über 8 Millionen Pfund Sterling, Schottland und Irland nicht einbegriffen. 1831 wurden 1 276 620 Arme unterstützt, so dass also auf acht Individuen jedesmal ein Armer kommt.

Als man nach einer Untersuchung im Jahre 1833, die das neue Armengesetz vorbereitete, diese Resultate vor Augen hatte, sah man endlich ein, dass mit dem Almosengeben dem Elend nicht abgeholfen sei. Anstatt aber eine Änderung jener unglücklichen Zustände in einer allgemeinen Reform der ganzen Gesellschaft zu suchen, schlug man jetzt plötzlich von dem einen Extrem in das andere über, indem man, statt wie früher ungeheure Almosen zu geben, fortan keine mehr gab oder sie wenigstens nur unter solchen Bedingungen verabreichte, dass es der größte Teil der armen Bevölkerung Englands vorziehen musste, lieber zugrunde zu gehen, als sich nach der neuen Methode vom Gouvernement behandeln zu lassen. Gerade herausgesagt, das Gouvernement, um das Land von einer drückenden und stets steigenden Taxe zu befreien, folgte im Jahre 1834 dem Rat des gelehrten Malthus, der ja schon am Ende des verflossenen Jahrhunderts erklärt hatte, dass alles Almosenwesen Torheit sei, dass man dem Elende gar nicht zu steuern habe, da es in Gottes Weltregierung durchaus notwendig sei, notwendig, um stets den überflüssigen Teil der Bevölkerung aus dem Wege zu schaffen.

Die Amendment Bill, die Änderung des alten Armengesetzes oder vielmehr das ganz neue Armengesetz, wurde vom Parlamente angenommen. Die Folgen dieser Maßregel, welche eben nichts anderes zum Zweck hatte, als, statt wie bisher die Armen zu unterstützen, sie jetzt zu vertilgen, zeigten sich schon zwei Jahre nach Einführung des neuen Gesetzes, indem sich die Armentaxe um fast 4 Millionen Pfund Sterling verminderte. Die Taxe, welche im Jahre 1818 durchschnittlich 13 Schilling 2 Pence pro. Kopf betrug, war im Jahre 1837 bis auf 5 Schilling 10 Pence herabgesunken.

Das neue Armengesetz besteht darin, dass nicht wie früher die Unterstützung der Armen jeder Gemeinde überlassen ist, sondern dass jetzt etwa zwanzig Gemeinden jedesmal eine Vereinigung bilden, die durch einen Verwaltungsrat, der sich wöchentlich einmal versammelt, das Armenwesen besorgen lässt, doch so, dass dieser Verwaltungsrat noch unter der Kontrolle der Zentralkommission von Somerset House steht. Diejenigen, welche auf Unterstützung Anspruch machen, haben sich auf dem Bureau des Verwaltungsrates Board of Guardians zu melden, erhalten aber nicht wie unter dem alten System eine Geldunterstützung, um der augenblicklichen Not ein Ende zu machen, sondern, je nachdem der Relieving Officer ihre Not als wahr und erschrecklich befunden hat, die Erlaubnis, sich in das Arbeitshaus Workhouse zu verfügen.

Diese Arbeitshäuser, deren jede Union eins haben muss, bilden gewissermaßen die Basis des ganzen neuen Systems. Ihre Einrichtung ist derart, dass Alte, Kranke und Waisen gut darin verpflegt werden können, dass dagegen allen Arbeitsfähigen der Aufenthalt im höchsten Grade verleidet wird. Dieser letzte Umstand soll dazu dienen, den größten Teil der armen Bevölkerung im eigentlichen Sinne des Wortes von dem Eintritt in das Arbeitshaus abzuschrecken, denn man will die Armentaxe à tout prix [um jeden Preis] ermäßigen und muss sich die Notleidenden daher so sehr als möglich vom Halse zu schaffen suchen. Geht man nun auf der einen Seite mit den Arbeitsunfähigen leidlich um, so verfährt man dagegen mit den Arbeitsfähigen, welche das Unglück teurer Zeiten oder schlechter Handelskonjunkturen in die Arbeitshäuser treibt, desto grausamer. Männer trennt man von ihren Frauen, Mütter von ihren Kindern. Sie werden in separaten Räumen eingeschlossen, aus denen sie sich nicht entfernen dürfen. Die Nahrung, welche den Arbeitsunfähigen, freilich auch nur selten, ziemlich gut verabreicht wird, erhalten die Arbeitsfähigen stets in schlechter Qualität und in sehr kleinen Portionen. Außerdem verdammt man jene Unglücklichen zu den erbärmlichsten Beschäftigungen — kurz, man sucht ihnen den Aufenthalt so zur Hölle zu machen, dass sie lieber in ihr altes Elend zurückkehren, was sie bald zugrunde richtet.

Aber dadurch ist denn eben der Zweck des neuen Armengesetzes erreicht; man will ja das Proletariat, was sich durch die Entwicklung der Industrie mit jedem Jahre vergrößert, nicht länger unterstützen, nein, man will es vernichten; man will es aber nicht dadurch vernichten, dass man durch eine Reform der ganzen Gesellschaft das Proletariat überhaupt aufhebt, nein, man will es vernichten, indem man den Individuen, im wahren Sinne des Wortes, auf eine versteckte Weise den Hals umdreht; id est [d. h.], die Aristokratie des Landes wie der Fabriken stiehlt und schindet und bestiehlt und schindet die ärmere Bevölkerung fortwährend mit der größesten Ausdauer, mit der höchsten Gemütsruhe und lässt alles laufen, wie es läuft, und alles gehen, wie es geht, damit die Welt durch den Ruin der armen heranwachsenden Geschlechter vor dem Übel einer Übervölkerung bewahrt bleibe; denn so hat ihr ja Malthus geraten, Malthus, dieser Heiland der Blutegel, der Bourgeois und der Beutelschneider.

Reden wir jetzt von der zweiten Konsequenz der Malthusianischen Theorien, so haben wir das Werk von Marcus5 zu erwähnen. Der Titel dieses Buches ist: „On the possibility of limiting populousness — an Essay on Populousness, to which is added the Theory of Painless Extinction, by Marcus." Die vierte Auflage, erschienen bei W. Dugdale, Holywell Street, Strand, London 1840, liegt vor mir, und ich habe nichts nötig, als den Inhalt der einzelnen Kapitel dieses Buches kurz anzuführen, um zu zeigen, wie es mit diesem Teufelswerk beschaffen ist. In dem ersten Kapitel erwähnt der Autor, dass Malthus zuerst die Theorie der Übervölkerung aufgebracht habe und erteilt ihm die Ehre, dass er die Menschheit zuerst zu Laster und Elend verurteilte, da dies ein ihr vom Schöpfer auferlegtes unabänderliches, unvermeidliches Geschick sei, denn nur durch Laster und Elend könne Gott der schnellen Vermehrung menschlicher Wesen steuern. Im zweiten Kapitel setzt der Autor auseinander, dass in alten Zeiten Sklaverei und Kindermord dem Übel der Übervölkerung so sehr vorbeugten, dass man diese damals nicht schwer fühlte und ihr deshalb keine Aufmerksamkeit schenkte. Im dritten Kapitel legt der Autor die Basis seiner Theorie nieder, welche darin besteht, dass alle Kinder, welche über drei in einer armen Familie geboren werden, zur Verminderung der Population ermordet werden sollen; sogar alle dritten Kinder soll man sammeln und über jedesmal drei aus vieren das Los werfen, damit man sie zerstöre. Im vierten Kapitel schlägt der Autor vor, dass man unter gesetzlicher Sanktion eine Assoziation bilde, welche den Plan in Ausführung zu bringen habe. Im fünften Kapitel fordert er auf, dass alle armen und arbeitenden Klassen, überhaupt alle die, welche nicht eine gewisse Summe des Eigentums besitzen, ihre Kinder ausliefern sollen, damit man sie erdrossle. In Irland soll jede arme Familie nur ein Kind aufziehen dürfen, damit man die Population dort vermindere. Er schlägt ebenfalls vor, dass Eltern durch ein geringes Einkommen veranlasst werden sollen, sich bei der Vertilgung ihrer Kinder zu beruhigen; namentlich sollen die unterstützt werden, welche versprechen, ganz kinderlos bleiben zu wollen. Am Schluss seines Werkes erklärt der Autor, dass Eltern nicht das Recht hätten, mehr Kinder aufzuziehen, als die Gesellschaft verlange; ferner, dass kein Kind ein Recht auf sein Leben habe und nur die Gewalt zu entscheiden brauche, ob es sein Leben fortsetzen dürfe oder nicht. Er nennt des Kindes Anspruch auf Existenz ein imaginäres Recht. Er schlägt vor, die Mütter durch hübsche und lustige Bilder über den Mord ihrer Kinder zu beruhigen; sie sollen mit dem Gedanken befreundet werden, dass es zum Wohl der Welt sei, dass sie ihre neugeborenen Kleinen opferten. Vor allem sollen aber die gemordeten Kinder in hübschen Reihen begraben werden, die man mit Blumen und schönem Gesträuch auszuschmücken hat; und diese Gräberreihen sollen dann das „Paradies der Kinder" heißen, und der Ort soll ein Erholungsort und eine Promenade der armen Klassen sein. Der Autor setzt hierauf seine Mordmethode auseinander, welche er die „Theorie der schmerzlosen Vertilgung" nennt, das heißt die Kunst zu morden, ohne Schmerz zu verursachen. Diese Kunst besteht darin, die Luft, welche die Kinder während ihres ersten Schlafes einatmen, nach und nach mit einer hinreichenden Quantität tödlichen Gases zu vermischen und dadurch den Schlummer in einen Todesschlaf zu verwandeln.

Man weiß nicht, soll man fluchen oder lachen, wenn man so etwas liest. Wer hat diese Theorie der schmerzlosen Vertilgung erfunden? Wer hat dieses Buch geschrieben? Wer ist dieser Marcus? Niemand kennt ihn. Nur so viel ist gewiss, dass das Werk zuerst bei einem sehr respektablen Buchhändler in London erschien, der bisher ein eifriger Verbreiter moralischer und religiöser Schriften war. Nur so viel ist gewiss, dass dem Buche des Marcus dieselben Ideen zugrunde liegen, die das neue Armengesetz in England hervorgerufen haben.

Nach dieser Einleitung, in der ich den Vater Malthus samt seinen zwei liebenswürdigen Kindern, das eine „Neues Armengesetz", das andere „Theorie der schmerzlosen Vertilgung" genannt, zu schildern suchte, gehe ich auf die Ereignisse des Jahres 1839 über, aus denen der Methodistenpfarrer23 Joseph Rayner Stephens6 zu Stalybridge7, dem ich diesen Artikel widme, in Gesellschaft des wilden Chartistenleiters8 Feargus O'Connor9 und des wütenden Tory Richard Oastler10 als der feurigste Kämpfer für sein unterdrücktes Volk hervorleuchtet.


Abb.: Joseph Rayner Stephens [Bildquelle: http://www.tameside.gov.uk/tmbc6/chartism/chartism.htm. -- Zugriff am 2004-11-02]

Welch ein Jahr der Ereignisse! In zornigen Wogen rauscht der Strom des Volkes durch alle Ecken und Winkel des zitternden Alt-Englands. In den Fabrikdistrikten Lancashires und Yorkshires entsprungen, wälzt er sich nach Süden und vereinigt sich mit allen Elementen der Wut und des Hasses, die ihm aus den verworfensten und verrufensten Gassen Londons entgegensprudeln. Mit jeder Woche, mit jedem Tage steigt die Bewegung des Volkes, der Arbeiter, die zum ersten Male in ungeheurer Masse aufstehen und eben durch diese Bewegung bald zu vollem Bewusstsein kommen.
 


Abb.: Lage von Lancashire und Yorkshire [©MS Encarta]

Als die Reform Bill durchging, und noch während das ganze Land dafür in Bewegung war, suchte man jeden Versuch des Volkes, die Maßregel zu einer entscheidenden zu machen, mit Gewalt zu unterdrücken. Das Volk beschloss daher, Maßregeln zu seinem Schutz zu ergreifen, und als im Verlauf der Zeit eine Handelskrisis Tausende von Arbeitern ins Unglück stürzte, als das neue Armengesetz anfing, sich in seiner ganzen Scheußlichkeit geltend zu machen und das eben erschienene Buch des Marcus nur zu deutlich zeigte, wie man höheren Orts gegen die ärmere Bevölkerung gesinnt war, befreundete sich alles schnell mit der Idee eines Konvents, der, aus Abgeordneten der verschiedenen Grafschaften bestehend, sich über die Art und Weise beraten sollte, wie man nach den Erfordernissen der Zeit zu Werke gehen müsse. An demselben Tage, an dem sich die junge Königin Viktoria11 nach hergebrachter Sitte in großer Prozession zur Eröffnung des Parlaments verfügte, hielt der Konvent seine erste Sitzung im „Britischen Kaffeehause". Es war am 4. Februar 1839. Die Zahl der Abgeordneten war zweiundfünfzig.

Die erste Woche verstrich mit Vorarbeiten. Man beschloss dann, eine Petition an die Königin abzuschicken um Einführung der Volkscharte, deren Hauptpunkt allgemeine Wahl der Parlamentsglieder ist. Ferner beschloss man, Mitglieder des Konvents durch ganz England zu schicken, um das Volk überall mit den Prinzipien der Charte bekannt zu machen, Beiträge für die Nationalrente und Unterschriften für die Petition zu sammeln. Als sich darauf bald die Nachricht verbreitete, dass das Gouvernement beabsichtige, den Konvent mit Gewalt auseinanderzutreiben, erklärte man, dass sich in diesem Falle alle Abgeordneten in ihre Grafschaften zurückverfügen würden, um den Zorn und die Indignation des Volkes das vollenden zu lassen, was man in diesem Augenblicke auf friedlichem Wege durchzusetzen suche. Die weitern Verhandlungen des Konvents, welche hier nicht angeführt werden können, nahmen bald die Aufmerksamkeit der ganzen Arbeiterwelt in Anspruch. Es zeichnete sich unter ihnen namentlich die Debatte über das Recht der Volksbewaffnung aus, welche deutlich bewies, wie große Einsicht das Volk in die Mittel und Wege hatte, um zu seinem Zweck zu gelangen.

Ebenso prächtig beleuchtete man das Treiben der Freetrader12, die sich gern der Volksbewegung bemächtigt hätten, um ihre eigenen Absichten durchzusetzen. Hierüber war man indes längst im reinen, da jeder Arbeiter einsah, dass trotz des größeren Handels, der bei freiem Verkehr entstehen würde, dennoch bald aller Vorteil durch Herabsetzung der Arbeitslöhne aufgehoben sein werde.

Indes gingen fünfzehn Mitglieder des Konvents in die verschiedenen Grafschaften ab, um zu agitieren. Sie wurden überall mit lautem Jubel empfangen; Meetings von zehn- bis zwanzigtausend Menschen waren bald an der Tagesordnung. Auch die Frauen und Mädchen, welche übrigens immer bei den Versammlungen in großer Menge zugegen sind und gewöhnlich den Redner auf der Plattform umringen, hielten überall aufrührerische Zusammenkünfte und beschlossen, ihre Ehemänner und Geliebten im Kampfe für die Charte ehrlich zu unterstützen, sie noch mehr aufzureizen, damit die schuftigen Whigs und namentlich die kleine Schlange, der Lord John Russell13, bald zur Hölle fahren. Die Sozialisten, die Anhänger Robert Owens14, hielten sich von der ganzen Bewegung fern, da sie alles durch die liebe Moral, auf friedlichem, bürgerlichem Wege zu zwingen suchen und sich nie unterfangen, an die Leidenschaften zu appellieren. Da auch noch viele Leute der Mittelklasse unter ihnen steckten, so wollten sie keineswegs etwas mit den zerlumpten Chartisten zu tun haben. Auch der feiste O'Connell15 wandte sich entsetzt von den mutigen Engländern ab und schämte sich nicht, später noch oft mit dieser seiner Heldentat zu prahlen. Er suchte seinen alten Schüler, den Feargus O'Connor9, auf jede Weise bei dem englischen Volke zu verdächtigen und zeigte sich überhaupt damals als der rechte Lump, der er ist, der aus der irischen Volksbewegung eine Domäne gemacht hat und, da er leider noch populär ist, den Zügel der Bewegung nur so weit schießen lässt, als es für seine Rente zuträglich ist. In England ging die Bewegung stürmisch vorwärts, Oastler10 — „the old King", wie ihn die Arbeiter nannten — durchreiste das Land und donnerte überall gegen das neue Armengesetz, was nicht wenig dazu beitrug, um das Volk für die Sache der Chartisten zu gewinnen. Für die Charte schwärmte er eigentlich weniger; als Tory kämpfte er gegen die neue Maßregel und hatte die Kühnheit, einst an Lord Russell ein hübsches Geschenk zu befördern. Er sandte ihm einen blankgeschliffenen Dolch als letztes Argument gegen das neue Armengesetz. Als er nach einer dreistündigen Rede in Mansfield, in der er das Volk beschwor, zu den Waffen zu greifen, endlich erschöpft zusammensank, hörte man nur noch die Worte: „Männer von Mansfield, mein Herz ist warm, aber meine Knochen wollen nicht länger halten. Zu den Waffen, zu den Waffen! Verdammnis, ewige Verdammnis diesem verfluchten Armengesetz." Und das Volk trug ihn im Triumph von dannen. Der eifrigste unter den Chartisten war Feargus O'Connor9, eines der Mitglieder des Konvents, die von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zogen, um die Bewegung im Schwunge zu halten und zu vergrößern. Wenn er am Morgen Berichte für seine Zeitung, den „Northern Star", geschrieben und eine Unzahl von Korrespondenzen beseitigt hatte, ging er am Nachmittag herum und agitierte im stillen. Abends stand er auf der Rednerbühne, sprach drei, vier Stunden lang, reiste dann in der Nacht nach einem andern Orte und begann aufs neue und setzte dies monatelang fort. Grundfalsch ist es, dass man ihm unredliche Absichten vorwirft. Einen großen Teil seines Vermögens hat er der Bewegung geopfert; seine Güter in Irland sollen sehr verschuldet sein. Er macht es nicht wie sein Landsmann Daniel, der seine Anhänger aussaugt, dafür, dass er ihnen etwas vorbrüllt.


Abb.: Titelleiste [Bildquelle: http://www.spartacus.schoolnet.co.uk/CHnorthern.htm. -- Zugriff am 2004-11-04]

Der „Northern Star" war damals das gelesenste Blatt Englands. Wenn am Samstag abends in den Fabrikdistrikten die Post ankam, welche das Blatt brachte, so liefen die Leute zu Hunderten herbei, um sich ihr Exemplar zu kaufen. Man führte auch wohl einen Zeitungsballen auf einem Karren durch die Straßen und verabreichte die Blätter, welche alle Vorfälle der verflossenen Woche berichteten. Da die meisten Arbeiter nicht gut lesen können, so stellte sich gewöhnlich an den Straßenecken jemand auf eine Erhöhung und las den andern vor. Zu gleicher Zeit, wo das ganze Land in politischer Aufregung war, klang auch zum ersten Male Zorn und Wehmut mancher Arbeiterseele in kurzen, herrlichen Liedern in die Welt hinaus. Das war kein geheuchelter Schmerz, das war keine künstliche Wut.

Und nun der Pfarrer Stephens — der wilde Fanatiker! Er schlug zornig mit der Faust auf die Bibel, und während alle andern nur für die Charte, für politische Maßregeln kämpften, forderte er im Namen Gottes seine Gemeinde auf, das Eigentum nicht länger zu respektieren und lieber Brand zu stiften und zu plündern, wenn man nicht bald aufhöre, die Geschöpfe Gottes in den Staub zu treten. Mit einer Glut der Begeisterung, die keine Grenzen kannte, raste er gegen die Tyrannen seines Volkes; ihm war es einerlei, wie die Maßregel heiße, die eine Besserung herbeiführe; er wollte eine Reform der Gesellschaft, koste sie, was sie wolle. Er fuhr los gegen die Aristokratie wie gegen die Geistlichkeit und den Bourgeois.

Am 10. Februar 1839 hielt er in Stalybridge folgende Predigt:

„Meine Freunde!

Seit mehreren Jahren ist England das Land, welches der Teufel mit seinen hinterlistigsten und deshalb mit seinen verheerendsten Kugeln beschossen hat. Anfangs heimlich und unbemerkt, dann mehr offen und jetzt endlich ohne alle Umstände. Wie auf ein Erbe, wie auf eine Beute macht der Satan auf England Anspruch. Es steht bei Gott, und er allein weiß es, ob die Sonne von Englands Größe — wie ich manchmal nach allen Zeichen der Zeit fürchte — nicht bald um die Mitte des Tages in finstrer Mitternacht untergehn wird. Wenn wir als ein Land zugrunde gehn, wenn wir als ein Volk zerstört werden, so bricht der Ruin, allem Anschein nach, mit einem Male über uns herein; auf einen Schlag werden wir zusammensinken und von der Erde verschwinden wie Spreu vor dem Sturm. Ihr könnt fast kein einziges Mittel aufweisen, welches unsre Nation in der gegenwärtigen Krisis vor dem Fall retten wird. Wohin schaut ihr nach Hoffnung? Wohin nach Hilfe? Wenn ich um mich sah und sie nicht fand, so kommt dies nicht daher, weil ich sie nicht sehen wollte, sondern weil es eine Unmöglichkeit ist, sie zu entdecken. Gehe ich an den Hof, was finde ich dort? Finde ich eine fromme Königin, eine Mutter ihres Volkes?" (Nein! nein!) „Ich leugne nicht, dass die Königin dieses Reiches, wenn sie will, die Macht hat, zu helfen, zu unterstützen und ihr Volk zu befreien; — ich muss aber auch gestehen, dass sie ihrer Jugend wegen, und weil sie nur ein Weib ist, voller Vorurteile steckt; dass diese Vorurteile keine Duldung, keine Liebe, kein Mitleid bei ihr aufkommen lassen und dass sie die Leiden ihres Volkes nicht besser kennt als jedes andere beliebige junge Frauenzimmer bei den Antipoden. Ich sage dies nicht im Zorn, sondern ich spreche es in Sorgen und erwähne es nur, um zu zeigen, dass der eine Quell eurer Befreiung vertrocknet ist. Er ist ein Quell in der Wüste, den man verstopfte und dem kein Wasser mehr entrieseln darf. Ich leugne nicht, dass die Königin irregeleitet und betrogen ist und dass sie, wenn nicht auf andre Bahn gebracht, wahrscheinlich bald mit ihrem Volke untergehen wird.

Betrachte ich das Haus der Lords, das Haus, welches dem Geiste der Konstitution und der Sitte alter Zeiten zufolge ein Bollwerk sein sollte und, wenn es überhaupt zu etwas Gutem bestimmt, auch zu manchen Epochen der Geschichte auf der einen Seite ein Bollwerk war gegen den Übermut der Könige wie auf der andern gegen die Eingriffe der Demokratie — betrachte ich dies Haus, was finde ich? Finde ich eine Spur von dem Geiste alter Ritterlichkeit, eine Spur von tapfrer, männlicher Hingebung eines großartigen Adels, die Institutionen eines Landes zu schützen, die Privilegien des Volkes, die Heiligkeit des Eigentums und über alles die Rechte der Nation ? Nein! Ich finde einen moralisch gesunkenen und verdorbenen Adel, ich finde ein Haus konstitutioneller Bastarde! —Bastarde sind sie und nicht länger Söhne des Landes! Wo ist ein Mann in diesem Hause, herab von dem grauen Sünder, der am Ruder des Staates sitzt, bis zu dem letzten Neuling, den man erst eben politisch hereinheugabelte; wo ist ein Mann unter ihnen, der, wenn es nicht bisweilen Earl Stanhope16 mit fast keinem einzigen an seiner Seite, oder wenn es nicht der Bischof von Exeter ist mit fast keinem einzigen andern Prälaten, der wie er dem Gebote Gottes gehorchte, — wo ist ein Mann unter ihnen, der da aufstände für den Schutz der Witwen und Waisen? Wo findet ihr außer diesen einen Mann, der wagte oder nur geneigt schiene, sich zwischen die Anmaßung von Verrätern und Ungläubigen und die Rechte und Freiheiten des Volkes zu stellen? Nein, ihr findet diesen moralisch gesunkenen Adel, wie er alles Gewicht seines Namens, seines Ranges, seiner Titel und seines Einflusses nur dazu verwendet, um ein Gesetz zu unterstützen, das Armengesetz, das teuflischer ist als je eines, das die Blüte einer Nation, einer christlichen oder heidnischen, vergiftete. Ihr findet diese Herren adligen Geblütes, wie sie auf und ab die Armengesetzbastillen des Landes durchwandeln, in jede Hütte, in jeden Kessel sehen, nicht um den Kessel zu füllen, wenn er leer ist — nein, um zu untersuchen, ob nicht irgend etwas darin sei, was sie herausnehmen könnten; nicht um zu sehen, ob die Hütte vielleicht nicht in gutem Zustande sei, damit man sie ausbessere — nein, um zu untersuchen, ob zwei Betttücher, oder nur eins, oder nur ein Fetzen darin sei, damit sie den Fetzen dalassen und das letzte Betttuch hinwegnehmen möchten." (Hört! hört!) „Ihr findet diese Pairs des Reiches, die höchsten von ihnen, eure Fitzwilliams, eure Broughams, eure Radnors, mit einer Waage in der Hand, wie sie das Brot lotweis wiegen und das Wasser tropfenweis messen, damit sie sogar die Brosamen stehlen möchten auf Kosten des Lebens derjenigen, die Gott nach seinem Bilde geschaffen hat. Was können wir erwarten, was ist zu hoffen von so entarteten Menschen, wie diese sind?

Was die Bischöfe angeht, so will ich nur dies sagen. Ich will nur fragen: Weiß der älteste von euch sich zu erinnern, dass je die Bischöfe im Oberhause sich von der Bank erhoben und sagten: ,Wir, als die Repräsentanten Jesu Christi, als die Gesandten Gottes, wir, als die Diener der Kirche und des Volkes um Jesu willen, wir sprechen Verdammnis, ewige Verdammnis über euch aus, unsre Brüder Barone! Über euch, unsre Kollegen Pairs! Wir rufen Gottes Zorn und die Verdammnis der Hölle auf euch herab, so ihr wagt niederzutreten die Häuser der Witwen, zu betrüben die Vaterlosen, so ihr unterdrückt die Schwachen und Hilflosen, so, ihr wagt zu entzweien und zu trennen diejenigen, die Gott und Christus verbunden haben." (Hört! hört! Amen.) „Ob die Bischöfe dies Anathema aber auch nicht ausgesprochen haben, so hat es doch Gott getan, und wenn sie es nicht nachsprechen, so wird sie Gott ebensowohl vernichten wie ihre Brüder Barone, die sie öffentlich zur Rede stellen und als höchste Autorität anklagen sollten.

Geht ihr von dem ersten zu dem zweiten Hause der Volksrepräsentanten, was findet ihr dort? — Ihr findet die servilsten, die hündisch kriechendsten, die ekelsten Schmarotzer, die Gott je am Leben ließ! Was ist die Thronrede, welche dieses Haus fast einmütig nachgeplärrt hat?" (Hört! hört! hört! — von allen Seiten.) „In dieser Rede, zu dieser Zeit, wo die große Masse im Lande am Verderben ist, wo die meisten Bewohner Englands durch härtere Arbeit, als sie je ein Lasttier tat, erdrückt werden; wo sie nicht allein durch Arbeit erdrückt, sondern auch durch die Not zerfleischt werden, wo es nach aller Arbeit nicht einmal in ihrer Macht steht, den Hunger ihrer Kinder zu stillen oder die nackten Leiber ihrer Familie zu bekleiden, wo das Land unter seiner Bürde stöhnt und wo ihr von einem Ende des Reiches bis zum andern nur Leidende, aber geduldig Leidende seht, ja, wo es trotz alledem noch keine politischen Banditen, keine politischen Meuchelmörder gibt, wo dennoch Ruhe und Frieden, wo dennoch Geduld und Resignation herrscht, wo dennoch keine Hand als zum Gebet, wo dennoch kein Auge als zum Himmel erhoben wird — ja, zum Himmel, um Hilfe —, bei all diesem, findet ihr in der Thronrede auch nur einen Ausdruck der Sorge für das Volk, ein Wort des Bedauerns, dass die Lage des Volkes so traurig ist? Rieselte eine Träne des Mitleids von dem Auge der jugendlichen Königin? Nein! Dem Auge der Königin ist das Weinen untersagt, dem Herzen der Königin ist das Gefühl untersagt; man hat der Seele der Königin verboten, wehzuklagen über ihr Volk, und anstatt, wie sie es getan haben würde, den Ölzweig des Friedens zu bringen, ein Sinnbild des Segens ihrem Volke, haben sie Dolch und Fackel in ihre Hand gesteckt und ihr befohlen, ein eisernes Szepter über England auszustrecken; man bewog sie, dem Volke zu sagen, dass sie mit eiserner Rute regieren wolle" (Gott habe Mitleid mit ihr!); „man bewog sie, ihrem Volke zu sagen, dass, da die Speere der Soldaten kein Auge durchstechen, keine Brust durchbohren wollen, sie ein Korps gedungener Meuchelmörder ausheben lassen wird, eine verräterische Polizeibande; man bewog sie, dem Volke zu sagen, dass sie das Armengesetz, das Gesetz des Teufels, mit Gewalt durchführen wolle und dass, wenn irgendeine Mutter im Norden Englands, wenn irgendeine Mutter weine wie Rachel [Jeremia 31, 15] über ihre Kinder, ihre Kinder von ihr genommen werden sollen durch diese Diener Herodes' [Matthäusevangelium 2, 16] und dass, wenn irgendein Kind sich festklammern wird am Kleide der Mutter, mit seinen dünnen Armen ihren Nacken umfassen und die Brust der Mutter nicht lassen will, diesem Kinde und dieser Mutter und dem danebenstehenden unglücklichen Vater erklärt werden soll, dass, wenn sie nur zu weinen, nur zu beten wagten, die Polizei bei der Hand sein wird, die Polizei sie niederwerfen wird; — man bewog die Königin, euch zu sagen, dass dies Gesetz der Hölle durchgesetzt werden soll, selbst wenn der Thron in diesem Kampfe zusammenbricht!" (Hört! hört! Schande, Schande!)

„Nun denn, ich sage diesen Männern, dass, wenn dies Gesetz durchgeführt werden soll und die Vorrechte der Königin und die Macht des Thrones dazu helfen sollen, ich sage diesen Männern, dass dann dieser Thron auch untergehen wird, dass er untergehen soll und muss!" (Hört! hört! — und große Bewegung.) „Ich liebe die alten Institutionen des Landes, ich ehre die Königin, aber sie hat keine Autorität, dieses Gesetz aufzudrängen, sie hat keine Gewalt, dieses Gesetz in Ausführung zu bringen, und bei diesem Worte Gottes" — hier legte Stephens die Hand auf die Bibel — „beschwöre ich meine Landsleute hier und allerorten, so sie Gott fürchten, nicht die zu fürchten, die nur den Leib töten können. Wohin sollen wir sonst nach Hilfe schauen? Nach den Dienern der Kirche? Sie sind blinde Leiter der Blinden; und mehr als das! Sie wollen denen, so die Augen geöffnet wurden, den Gebrauch der Augen nicht einmal gestatten und werfen Staub hinein, um sie aufs neue zu blenden und irrezuleiten. Ich frage euch als Anhänger aller Kirchen — denn ich weiß, dass rings um mich herum Leute der verschiedensten religiösen Meinungen stehen —, ich frage euch: wie viele von euern Priestern in dieser Stadt, wie viele von denen in der ganzen Umgegend nehmen sich der Witwen und Waisen an? Tun sie es von der Kanzel herunter, von der Plattform, durch die Presse oder in ihren Studierzimmern?" (Nein! nein!) „Nein, sie tun es weder im geheimen noch öffentlich, weder mit der Zunge noch mit der Feder, weder mit Worten noch mit der Tat. Sie sind Propheten dem Namen nach, sonst aber Wölfe in Schafskleidern. Es wurde ihnen die Herde gegeben, auf dass sie dieselbe weiden sollten, aber sie nehmen sich dieser Herde nur an, um sie zu scheren. Wächter sollten sie sein und Alarm schlagen, wenn die Diebe nahn — sie aber geben den Dieben ein Zeichen, sie helfen ihnen herein und helfen ihnen plündern, verderben und zerstören. — Wo ist Hoffnung? Wo ist Hilfe? In dem Volke? — Jawohl — in ihm! Zwar ist jede Gewalt und jede Partei des Landes gegen uns; aber ich weiß, dass das Volk sich bisher sowohl empfänglich für die Wahrheit zeigte als auch fähig genug, eine Wahrheit mit dem Schwert in der Faust zu verwirklichen.

Anstatt dem Volke zu helfen, brüten die großen Staatsschurken nur allerlei infame Pläne aus und freuen sich und sehen mit einer gewissen Gunst, wie ich zu beweisen imstande bin, auf so teuflische Vorschläge herab, wie sie noch jüngst der Satan Marcus gemacht hat. Dieser Marcus hat ein schönes, probates Mittel erfunden, um die überflüssige, unangenehme arme Bevölkerung aus der Welt zu schaffen. Seht, wenn ihr hinausgeht, einmal an die Wand des nächsten Hauses, da findet ihr auf einem Plakat die Anzeige des Buches von Marcus5. Dieser Mensch ist einer der gelehrten, erleuchteten Philosophen des Jahrhunderts, patronisiert und protegiert von den ersten Männern des Landes, die sein Wort in vielen Exemplaren verbreiten. In jenem Buche wird vorgeschlagen, jedes dritte Kind zu morden; man versichert, dies sei eine moralische Pflicht — ein religiöser Gebrauch." (Große Bewegung.) „Diese Methode wird als tugendsam und recht empfohlen, als passend für die christliche Bevölkerung dieses Landes. Marcus sagt, dass ein Kind nie gefragt sei, ob es geboren werden wolle oder nicht, und da es nie gefragt sei, ob es geboren werden wolle oder nicht, so könne es seine Zustimmung auch nicht gegeben haben, geboren zu werden, und da es nie seine Zustimmung gegeben habe, geboren zu werden, so habe es auch kein Recht zu leben, so habe es keinen Anspruch auf Existenz zu machen, und wäre es folglich auch gar keine Beraubung des Kindes, wenn man ihm seine Existenz nähme. Das Kind erleidet kein Unrecht, da ihm das Leben nicht als ein Recht gehört; wir nehmen ihm nichts als vielleicht die Chancen des Elends. — Das sind Argumente! Das ist Logik! Das ist politische Ökonomie! Und Philosophie und politische Ökonomie sitzen auf Gottes Thron, und Jehova wird der Knecht Beelzebubs, des Mammons und des Molochs." (Große Bewegung.) „Gott ist ein Lügner, und der Philosoph Malthus und der Teufel Marcus reden die Wahrheit! Wundert sich jemand über solche Sachen? Seht, solche Bücher protegiert man in unserm England, Bücher, in denen mit allem religiösen Pomp auseinandergesetzt wird, dass es gut sei, immer das dritte Kind, sobald es geboren ist, durch Gas zu ersticken.

Dieses Marcussche Buch ist eins von den Zeichen der Zeit. Ich war gar nicht erstaunt, als ich es sah und las. Lange bevor ich es sah, sagte ich euch öffentlich, dass solche Sachen bald folgen würden. Sagte ich euch nicht ein über das andere Mal, dass ich keineswegs darüber verwundert war, dass das neue Armengesetz durchging? Das neue Armengesetz ist ein Sprössling solcher Prinzipien des Marcus. Das neue Armengesetz trennt den Mann von seinem Weibe — aber was tut das? Die Fabrikherren haben dies ja schon lange getan. Ist ein Unterschied darin, ob ein Mann von seinem Weibe in einer Bastille getrennt ist, die man ,Vereinsarbeitshaus' nennt, oder in einer Bastille, die man ,Fabrik' nennt? Das Armengesetz trennt die Eltern von dem Kinde. Es reißt das Kind von der Mutter Brust — aber was soll das? Ihr habt ja schon längst eure eignen Kinder von eurer eignen Brust gerissen. Das Fabriksystem hat die Mütter gelehrt, ihre Kinder wie eine Bürde zu betrachten. Ich weiß es von mehreren sehr ehrenwerten und glaubwürdigen Ärzten, dass in vielen Fällen, wenn sie in den Fabrikdistrikten zu einer Frau gerufen wurden, die im Begriff war niederzukommen, die Frau selbst, sobald sie bemerkte, dass sie von ihrem Kinde befreit war, den Doktor dringend bat, sich keine Mühe zu geben, das Kind am Leben zu erhalten." (Große Bewegung.) „Ich hörte von vielen solchen Fällen in Stalybridge und in manchen Distrikten von Lancashire, und ich erwähne sie nur, um zu zeigen, dass solche Sachen wie das Buch des Marcus und das neue Armengesetz niemals eine Nation schnell überkommen. Sie sind immer progressiv. Das Fabriksystem hat euch fast ganz um alle natürliche Liebe gebracht. Kinder kennen ihre Mütter nicht. Diejenigen, denen man zu leben erlaubt, die von den Doktoren aus Gewissenhaftigkeit nicht vernichtet werden — es gibt Doktoren, die euern Bitten Folge leisten —, denen man das Leben gestattet, was wird aus ihnen? Sie werden zu der Amme geschickt, ein sonderbares Weib, und wenn man sie nicht mit dem Gase des Marcus füttert, so gibt man ihnen Laudanum17, was fast ebenso tödlich ist — fast so gewiss wie der Tod. Wir brauchen daher nicht zu erstaunen, das Gouvernement weiß dies, das Gouvernement weiß, wie sehr das Volk heruntergekommen ist; und wenn man sich hier im Lande dennoch dem Armengesetz nicht unterwerfen will, so kommt dies nur daher, weil die Liebe zueinander wieder in eurer Brust erwacht ist. Stephens hat das seine getan, um das alte Gefühl zurückzubringen, und weil nur das Wort Gottes von Stephens Lippen geflossen ist, so sind auch endlich die Männer von Ashton und aus Süd-Lancashire aufgestanden und haben gesungen:

,Für Weib und für Kind
Mit Messern zum Kampfe geschwind!'

,Nieder mit den Bastillen!' — ,Unser Gott und unser Recht!' Habt ihr gar keinen Text für alles dieses, Herr Stephens? Jawohl! Ich rufe euch zu Zeugen auf, ob die ganze Bibel nicht heute abend mein Text gewesen ist; übrigens verweise ich euch auf das 24. Kapitel der Genesis [richtig: Genesis 22], auf die Geschichte Abrahams, wie er seinen Sohn opfern will usw. — Nun denn, wenn Abraham bereit war, seinen eignen Sohn zu töten, sein einziges Kind, das Kind der Verheißung, und nicht anders meinte, als dass er recht darin tue — sollen wir zurückschrecken und die Arme in den Schoß legen, wenn Gott uns befiehlt, unsre Kinder nicht zu töten, sondern die zu erschlagen, die ihnen das Leben nehmen wollten? Wenn Abraham bereit war, seine eigne Hand in sein eignes Blut zu tauchen, seine Hand zu waschen in dem Herzblut seines Kindes — sollen wir zaudern, wenn Gott uns bittet, sollen wir zittern, wenn Gott uns befiehlt, zum Schwerte zu greifen und es nicht wieder in die Scheide zu stecken, bis es das Herz seiner Feinde durchbohrt hat? Gott will den Tod keines Menschen, aber er will auch nicht, dass man Armengesetzkommissionen von der Art einrichtet, wie sie jetzt zur Schande Englands existieren. Gott will nicht, dass man solche Armengesetzbastillen erbaut, wie sie jetzt zum Fluch Englands bestehen, und es ist Gottes Wille auch nicht, dass man Schottländer und Irländer, Weiber und Kinder auf einem wenige Fuß großen Räume zusammenpfercht, wo sie zusammen liegen und schlafen müssen und nur ein paar Kartoffeln und einen Hering für ihren Unterhalt haben. Aber wenn es Menschen in England gibt, welche auf diese Weise die Armen ausmergeln, welche den Mann vom Weibe trennen und den unschuldigen, ehrenwerten Armen einkerkern und zugrunde richten, so ist es Gottes Wille, dass solche Menschen von der Erde vertilgt werden sollen.

Nachdem Abraham dem Willen des allmächtigen Gottes in betreff des beabsichtigten Opfers gehorcht hatte, hielt Gott seine Hand zurück und gab ihm einen Widder statt seines Sohnes zum Opfer, und der Engel des Herrn kommt und segnet ihn. — Womit segnete er ihn? Sagte Gott: ,Du sollst Paläste haben, um jeden Tag des Jahres darin zu wohnen'? Sagte Gott: ,Du sollst tausend verschiedene Lustbarkeiten haben, dazu viel Gold und Silber'? Was ist Gottes Segen? Es ist sehr merkwürdig: wenn Gott Menschen oder Nationen segnet, so macht er Gold und Silber, Häuser und Land nie zu einem besonderen Privilegium, zu einer speziellen Gnade einiger weniger Auserwählten. Sein Segen ist immer anderer Art, namentlich aber hier in dem Fall mit Abraham. Der Engel rief: ,So spricht der Herr: »Deinen Samen will ich segnen und mehren will ich ihn wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres.«'  [Genesis 22,17] — Was, den Samen will er mehren, den Samen — die Kinder? Warum schleuderte Abraham dieses Gnadengeschenk unserm Herrgott nicht vor die Füße? Warum stieß er es nicht von sich? Warum sagte er nicht: ,Dies ist gegen alle Philosophie; ich muss immer das dritte Kind kaputt machen; es gibt schon eine zu große Bevölkerung; die Menschen vermehren sich zu schnell und drücken zu sehr auf die Subsistenzmittel!' Warum erklärte Abraham dem himmlischen Vater nicht, dass er in einem Irrtum stecke, dass die Welt zu klein für ihre Bewohner sei, dass der Mensch mit einer viel größeren Produktionskraft als die Erde versehen sei, warum gab Abraham das Geschenk, den Segen nicht zurück?

Gott sprach: ,Mehren will ich deinen Samen wie die Sterne am Himmel', und als wenn Abraham doch vielleicht durch ein Teleskop alle Sterne aufsuchen und zählen könnte, fügt er dann noch hinzu: ,Und wie den Sand am Ufer des Meeres' — Gottes Segnungen sind Segnungen der Brüste und des Leibes. Wenn Gott vom Himmel hinunter segnet, so segnet er Brüste und Leiber, und wenn er vom Himmel hinunter flucht, so verflucht er Brüste und Leiber, und wir haben den Fluch in England zu dieser Stunde. Und wenn die Brüste und Leiber verflucht sind, das heißt, wenn die Mütter nicht mehr danach fragen, ob ihre Kinder leben oder nicht; wenn es ihnen einerlei ist, ob sie Ehemänner haben oder nicht; wenn es Männern gleichgültig ist, ob sie heiraten oder nicht; und wenn sie im Fall einer Heirat lieber wenige Kinder zeugen als viele und lieber gar keine haben als irgendwelche — wenn die Zeit kommt, so habt ihr den Fluch, davon im Worte Gottes geschrieben steht — und wir haben diesen Fluch jetzt in England; — und dies sind die verdammten Folgen ihrer verdammten politischen Ökonomie — es ist das Produkt der Entdeckungen jenes Malthus, und lasst uns Gott bitten, dass er sie allesamt in die unterste Hölle stoße!" (Amen! Amen!) „In den Psalmen aber steht: ,Er soll ein Weib haben, und sie soll wie eine fruchtbare Rebe sein; und er soll viele Kinder haben, und sie sollen sein wie Olivenzweige um seine Tafel.' [Psalm 128,3] Und hat nicht Christus gesagt, dass ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen wird, seines Weibes wegen? [Matthäusevangelium 19,5] Und hat nicht Christus gesagt, dass Menschen nicht trennen sollen, was Gott verbunden hat? [Matthäusevangelium 19,6] O höre es doch, Parlament von England!

Ich habe euch schon neulich gesagt, die nächste Bill, welche man ins Parlament hereinbringen wird, wird eine Bill zur Veränderung und Verbesserung Gottes sein. Ich zweifle gar nicht daran; es wird dazu noch kommen; denn die Bibel und das neue Armengesetz können in demselben Lande nicht nebeneinander leben. Und ihr politischen Ökonomen, ihr, die ihr davon sprecht, dass die produktiven Kräfte des Menschen für die produktiven Kräfte der Erde zu groß seien, hört, ihr Schüler des Marcus und des Malthus, hört es, ihr Fabrikherren, die ihr uns stets versichert, dass euch die ausländische Konkurrenz nicht mehr erlaube, den Handel mit einigem Profit fortzusetzen, dass nichts als die Auflösung der Korngesetze18 euch in den Stand setzen könne, eure Arbeitsleute vor dem Verhungern zu schützen. Die Korngesetze aufheben! —sie könnten ebensogut verlangen, dass man den Kopf der Königin hintereinander abschlüge. — Das eine würde das Land in ebensoviel Elend stürzen wie das andere. Ich würde das Korn so frei nach England kommen lassen wie die Luft; aber ich würde nicht davon sprechen, bevor ich nicht jeden müßigen Menschen aus Stalybridge genommen und ihm fünf Acker Land zur Bebauung übergeben hätte. Ich würde das Korn frei hereinkommen lassen wie die Luft, aber nicht eher, als bis ich jedem Manne die Erlaubnis gegeben hätte, zum Steinbruch zu gehen, um soviel Steine als nötig zu brechen, und zum Walde, um soviel Holz zu hauen als nötig, und Holz und Steine zusammenzusetzen, um sich selbst ein hübsches Haus zu bauen; — und wenn ihr alle des Häuserbauens müde wärt und überdrüssig, eure eignen Felder zu pflügen und euer eignes Korn zu ernten und hungrig wärt obendrein, ich denke, dann erst wäre es Zeit, um davon zu sprechen, ob man nicht Korn von Polen oder Russland herbeibringen solle. Was haben wir mit Polen und Russland zu tun? Was haben wir mit einem andern Lande zu tun, ehe wir den Willen Gottes in England getan haben? Was sagt Christus hierüber? Er sagt: ,Sorget nicht, was ihr essen werdet und womit ihr euch kleiden sollt.' [Matthäusevangelium 6, 25] — Was? Sollen wir dafür nicht sorgen? Sollen wir nicht nachdenken und überlegen? Sagt Gott nicht, dass wir alle für unser eignes Haus sorgen sollen? O ja, er sagt es! — Und tun wir das? Nein! Da steckt das Übel. Gott sagt, wir sollen für unser eignes Haus sorgen und unsere Weiber und Kinder unterhalten; — aber, ihr lasst euch unterhalten von euern Weibern und Kindern. Sagt Gott nicht: ,Lasst den, der gestohlen hat, nicht wieder stehlen'; aber weshalb befiehlt ihm Gott, nicht zu stehlen? Weshalb habe ich nicht ein Recht, zu nehmen, was ich brauche, wenn ich stark genug dafür bin? Gibt es keine Gründe für die Befehle Gottes? Jawohl! Und sie sind unendlich weise und unendlich gut. Hört, wie da geschrieben steht: ,Lasst den, der gestohlen hat, nicht wieder stehlen, sondern lasset ihn lieber arbeiten, arbeiten mit seinen Händen, damit er dem geben kann, der nichts hat!' [Epheserbrief 4, 28] Ist es so? Ja, es ist so! Gott sagt, dass ein Mensch, wenn er arbeiten will, nicht allein genug für sich selbst haben soll, sondern auch noch etwas, um es den Witwen und Waisen zu geben und dem Blinden, der nicht sehen kann, und dem Krüppel, der nicht laufen kann. Aber was ist zu tun, wenn wir dies doch nicht können; wenn wir trotz aller Arbeit dennoch nicht nur nichts haben, um es den Armen zu geben, sondern auch nicht einmal etwas für unsern eignen Haushalt? Was sollen wir tun, wenn wir nach aller Arbeit hinter den Maschinen, in den Bergwerken wie auf den Feldern nicht einmal soviel haben, um den Hunger unsrer Kinder zu stillen? — Ich fürchte mich nicht, diese Frage zu beantworten, und frei erkläre ich nach dem Worte Gottes, dass in demselben Augenblick, wo es durchaus unmöglich geworden ist, eine Familie durch ehrliche Arbeit zu ernähren, dass in derselben Minute das Gebot ,Du sollst nicht stehlen!' null und nichtig ist, dass es nicht allein das Recht, sondern auch die Pflicht des Volkes wird, dafür zu sorgen, dass weder Männer, Weiber noch Kinder zugrunde gehen. Wenn wir nicht länger durch unserer Hände Arbeit leben können, so ist es Gottes Befehl, und Gott will es, dass wir es nehmen sollen, wo wir können — that we should take it where we can get it —.

Wenn es einst darauf ankommt, da werde ich bei euch sein und werde der Erste vorangehn, nicht mit einem Dolch unterm Rocke, nein, mit einer blanken Muskete auf dem Nacken." (Hört! hört! - von allen Frauen.) „Nieder mit diesem verdammten Gouvernement! Nieder mit dem Hause der Commons! Nieder mit dem Hause der Lords! Ja, nieder mit dem Thron! Und nieder selbst mit dem Altar! Verbrennt die Kirchen — nieder mit allem Rang! Nieder mit allen Würden, mit allen Titeln, mit aller Gewalt, bis dem ehrlichen armen Manne eine gute Existenz als Lohn für eine gute Arbeit wird" (Hört! hört! Amen.) „Ihr gebt euch jetzt so viele Mühe um eure Charte8; dafür gebe ich nichts; sie mag recht gut sein, sie mag recht schön sein, und ihr habt ein Recht darauf, das merkt euch; und ich will euch stets helfen, aber ich lege gar keinen Wert darauf; — ich gebe auch nichts für eine Republik; ich gebe für keinen einzigen Zustand etwas, wenn er nicht jedem Sohne der Arbeit, wenn er nicht jedem lebendigen Wesen eine volle, hinreichende und gute Existenz sichert, laut dem Willen und nach dem Befehl des allmächtigen Gottes." —

Stephens sprach während zweier voller Stunden. Als er die Kapelle verließ, war es freundlich anzusehn, wie ihn die Kinder des Ortes umringten und sich die größeste Mühe gaben, ihm auszudrücken, wie sehr sie ihn liebten. —

Stephens hielt viele solcher Predigten. Da kannte die Freude des Volkes keine Grenzen mehr. Wenige Sonntage nach der Predigt, die wir mitgeteilt haben, kamen die Menschen aus ganz Lancashire und Yorkshire zusammen, um den feurigen Pfaffen zu hören. Aus Liverpool, aus Manchester, aus Bury, aus Middleton, Oldham, Leeds und Bradford sah man die Arbeiter herüberwandern. Stephens wollte eben in seine Kapelle gehn und die Kanzel besteigen — es war an einem schönen Nachmittage im Frühjahr —, aber das war unmöglich; weder er selbst noch sonst jemand konnte sich bis zu der Tür der Kapelle durchschlagen. Da veranstaltete man den Gottesdienst auf offenem Markte. Stephens stand in der Mitte des Platzes auf einem Wagen, seine Zuhörer um ihn herum bis in die entferntesten Straßen hinein. Der Eindruck, den diese Feier auf die versammelte Menge machte, soll derart gewesen sein, dass es damals nur eines Winkes bedurft hätte, um die Sache des Volkes zur Entscheidung zu bringen. Stephens wusste dies sehr gut; er trat aber gemäßigter auf, denn alle Arbeiter waren unbewaffnet, und ringsum auf den Bergen stand die königliche Artillerie in blitzender Parade. Dass Stephens sich in jenem Augenblick zurückhielt, gereicht ihm zur höchsten Ehre; das Volk würde jedenfalls unterlegen haben; — außerdem war man in den übrigen Grafschaften noch keineswegs genug vorbereitet.

Dies war im Frühjahr 1839. Stephens' Zeit war übrigens bald gekommen, „der ehrenwerte Agitator", „der ehrenwerte Feuerbrand", wie er von Lord Brougham19 in einer Rede im Hause der Lords genannt wurde, bekam bald seinen Prozess an den Hals und musste die Kanzel verlassen, um sich in London vor seinen Richtern zu verteidigen. Der Chartistenbewegung war dieser Prozess von großem Nutzen, da durch ihn die Stephenschen Reden schnell im Königreiche bekannt wurden. Auch zögerte man nicht, das ganze Ereignis in das rechte Licht zu stellen, und Richard Oastler10, der unermüdliche Redner, zog bald im ganzen Lande umher, um seinen Freund Stephens gegen das Gouvernement in Schutz zu nehmen. Er sammelte überall für die Bestreitung der Prozesskosten und trat bald auf dieselbe Kanzel, die vor kurzem der feurige Stephens innehatte. Hier ist eine Verteidigungsrede Oastlers:

„Frauen und Männer von Stalybridge — dies ist ein sonderbarer Anblick — es ist ein Anblick, der mich mit Dank erfüllt und der mich doch zu gleicher Zeit zur Verzweiflung bringen könnte. Ich stehe auf der Kanzel Stephens', dies ist dasselbe Buch Gottes, aus dem jener Diener des Höchsten gewöhnlich dem Volke predigte — dies heilige Dach wölbt sich über der Herde Stephens' — aber wo ist ihr Hirt? Schändliche Hände haben ihn gefesselt, und ihr kommt nicht länger mehr zusammen, um die Lehre der Wahrheit zu vernehmen, die aus der Quelle der Wahrheit hervorsprudelnd von seinen beredten Lippen hinabfloss — und ihr sitzt nicht hier, um den Balsam des Wortes für eure fast gebrochenen Herzen von dem Manne zu empfangen, den Gott gesandt und den ihr zu eurem Prediger erwählt hattet; aber eine Gemeinde Christi seid ihr versammelt, um eure Sympathien mit den meinigen zu vereinigen und mit mir auf Mittel zu sinnen, wie wir den Mann eurer Wahl, wie wir den Gesandten Gottes, den Wächter, den Er, der niemals schlummert noch schläft, auf diese Mauern Zions gestellt hat, aus den Händen schändlicher und grausamer Menschen erretten möchten. Engel müssen Mitleid mit euch haben, wenn sie auf euch hinabschauen, während scheußliche Menschen und Teufel sich für einen Augenblick der Freude hingeben können, dass wenigstens für einige Zeit das Licht im Tempel des Höchsten erloschen ist. Und sind wir wirklich in England, in dem christlichen und erleuchteten England? Ist dies das Land der Bibeln und Missionare? Meine Freunde, sagt, was ihr wollt; dass man einen Mann angreift, der vor allen andern gottesfürchtig war, der ohne Furcht Armen wie Reichen das ganze Wort seines Gottes zu erschließen wagte, das beweist, dass die englische Nation weder eine christliche noch dass England ein Land freier Männer ist. — Sagt mir, ihr Kinder Stephens', denn ihr kennt ihn — seit langen Jahren war er ein öffentlicher Lehrer, sein Privatleben wie sein Charakter lagen euch zur genauesten Beobachtung stets vor Augen - sagt mir, warum wurde Stephens seiner Kanzel entrissen? — Warum wurde er von dieser Bibel aufgejagt? — Warum wurde er von seiner Herde getrennt? — Welches Verbrechen hat er im öffentlichen oder im Privatleben begangen? —" (Große Sensation.) „Ich frage euch, weil ihr ihn kennt; und ich werde eure Antwort mit nach London und anderen Orten nehmen, die ich bald zu seinen Gunsten besuche. Sagt mir denn, hat Stephens sich jemals gescheut, dies Buch, die Bibel, euch allen zu erschließen — die ganze Wahrheit Gottes zu predigen, Armen wie Reichen, Dienern wie Herren?" (Nein! niemals!) „Hat er sich je gefürchtet, den Fluch Gottes auszusprechen gegen verworfene Arme wie gegen stolze und tyrannische Reiche?" (Nein, nein!) „Habt ihr je gesehen, dass er vor Gefahren und Hindernissen in der Ausübung seines öffentlichen Amtes zurückschrak?" (Niemals!) „Hat Stephens je gezögert, euch in Tagen des Kummers zu trösten oder sich mit euch zu freuen zur Stunde der Glückseligkeit?" (Niemals! niemals!) „Saht ihr je einen Unglücklichen, der sich an Stephens wandte und nicht freundlich von ihm empfangen wurde, den er nicht unterstützte, falls es ihm möglich war?" (Nein,niemals!) „Hat er nicht stets die reichen Wölfe zurückgetrieben, wenn sie seine Armenherde zerfleischen wollten?" (Jawohl, er tat es!)

„Nun, weshalb wird dieser Mann denn verfolgt? Weshalb findet man ihn seiner Freiheit unwert? — Ist er ein Trunkenbold? Ist er ein ungefälliger Nachbar, ein tyrannischer Herr?" (Nein, er ist es nicht!) „Ist er ein liebender Ehemann und Vater? — Nun, sprecht frei heraus, damit ich andern erzählen kann, was ihr von ihm sagt, denn ihr kennt ihn!" (Ja, er ist es!) „Ihr wisst, dass er unter vielen Feinden lebt, welche vom Raube fett werden, welche die Armen bestehlen; ihr hörtet, dass diese Menschen gegen ihn loszogen — aber hörtet ihr jemals, dass der frechste unter ihnen Stephens jemals ein eigentliches Verbrechen vorwerfen konnte?" (Nein!) „Sie beschuldigen ihn auf allerlei Weise, denn er jagt sie auseinander, wenn sie erst rauben, morden und dann bitten, beten und für gute Christen gelten wollen." (Ja, das ist die Wahrheit!) „Nun denn, nach all diesem, was sollen wir von seiner Gefangennehmung denken? Einfach dies, dass er ein Mann Gottes ist, der Erwählte des Volkes. Das ist das ganze Geheimnis, meine Freunde. Man bestraft ihn, weil er die Wahrheit liebt und sie ausspricht — weil das gemeine Volk ihn gern hat und ihm folgt.

Es ist vollkommen wahr, dass Stephens aus dem Worte bewiesen hat, dass das Fabriksystem ein System des Raubes und Mordes ist, dass eure Herren unter diesem System vor Gott und Menschen schuldig stehen des scheußlichsten Mordes und des verdammtesten Diebstahls, indem sie ihre Arbeiter erst überarbeiten und sie hinterher noch um ihren hart verdienten Lohn betrügen. Dies ist vollkommen wahr — aber was nutzt es? Eure Herren sind ,Ehrenmänner' und können ihres Verbrechens nicht beschuldigt werden!! — Es ist ebenfalls wahr, dass Stephens es als gegen den Willen Gottes bewiesen hat, dass man eure Weiber und Kinder aus ihren Häusern reißt und sie in die verfluchten Höllen einmauert, die man Fabriken nennt, dass Stephens den Fluch Gottes über diejenigen ausspricht, die ein System aufrechterhalten, das den Vater abhält, für seinen eigenen Haushalt zu sorgen, das Mutter und Kind zu Sklaven macht! Die Baumwollenlords mögen über Stephens lachen und sich über die Bibel und die Langmut Gottes lustig machen — aber was nutzt es ihnen? Gott ist dennoch ein Rächer der Armen. Sein Ohr ist nicht taub gegen den Angstschrei der Unterdrückten! Wenn ein Fabrikherr unter euch ist, so sage ich ihm, dass die Zeit des Argumentierens vorüber ist. Ich komme nicht mehr heran, um mich mit ihm herumzuzanken — ich habe dies schon zu lange getan —, sondern ich sage ihm, trotz seines Reichtums, seiner Stellung, dass er bald gezwungen sein wird, entweder seine Fabrik nach den Lehren, die in diesem Buche, in dieser Bibel enthalten sind, zu regulieren, oder dass Gott in seinem gerechten Zorn seine Fabriken und Maschinen zu Staub zermalmen wird. Er mag lachen, wenn es ihm gefällt; ich sage ihm aber, dass die Maschinen nicht dazu existieren, um die Menschheit unglücklich zu machen, sondern dass lieber das ganze System fallen und zugrunde gehen soll! Ihr erinnert euch, wie Gott die Erbauer des Turms von Babel durch eine Sprachenverwirrung auseinanderjagte [Genesis 11]; und wenn jetzt nicht eine Sprachenverwirrung in Manchester ist, unter den Kaufleuten der Börse, in der Handelskammer und bei dem Anti-Corn-Law-Convent, so hat es niemals ein Babel gegeben." (Großes Gelächter.) „Es ist vollkommen wahr, dass Stephens euch gelehrt hat, Gott zu gehorchen, eure Weiber zu lieben und bis auf den Tod dem verräterischen Komplott der drei Teufelskönige in Somerset House zu widerstehen. Er riet euch auch, euer Leben nicht zu schonen, wenn die Schlacht für Gott gegen den Moloch anbricht. Es ist ebenfalls wahr, dass Stephens euch aufforderte, die Waffen gegen alle Verräter zu ergreifen und in Schutz zu nehmen die Konstitution und eure Hütten." — —

Hier ging Oastler darauf ein zu beweisen, dass das Volk gezwungen sei und ein Recht habe, die Waffen zu ergreifen. Er erklärte das Haus der Gemeinen und Lord Howick20 insbesondere für Verräter an der Konstitution und dem Throne, da sie die Petitionen des Volkes nicht hören wollten, und fügte hinzu, dass er dem Volke nicht raten könne, aufs neue zu petitionieren, bevor nicht eine Million Männer unter den Waffen stehen. — Oastler sprach dann von den Mitteln, deren sich das Gouvernement bediente, um die Gefangennehmung Stephens' vorzubereiten, wie es Edelleute gedungen habe, um Stephens im Hause der Lords zu verleumden und so in allen höhern Zirkeln einen allgemeinen Schrei des Entsetzens gegen ihn zuwege zu bringen, wie es ihn dann bei den Gemeinen als Brandstifter und Verräter denunziert und so die Mittelklasse, welche das Haus allein repräsentiert, gegen diesen heiligen und talentvollen Diener Christi aufgebracht habe und wie es endlich auch noch, um seinen Ruin sicher zu machen, den Mann Daniel O'Connell15 gemietet habe, ihn, der niemals arbeitet, ohne gut dafür bezahlt zu sein. Denn das Gouvernement meine, dieser Mensch habe die Gemüter des gemeinen Volks in England ebenso in seiner Gewalt wie die der armen verblendeten Irländer und würde bei gutem Lohne Gift und Galle gegen Stephens aus seinem hässlichen Munde ausspeien. Glücklicherweise könne O'Connell aber nichts schaden, denn je mehr er über Stephens in Lästerworten losbräche, desto mehr würde das englische Volk seinen Priester lieben. —

Als Oastler endlich schließen wollte und man ihn bat, doch noch weiter fortzufahren, sprach er:

„Meine Freunde, ich fühle, dass ich alt werde. Die schöne, aber ermüdende Arbeit der letzten drei Wochen, während denen ich in allen Städten und Dörfern Lancashires zugunsten Stephens' agitiert habe, hat mich fast ganz erschöpft. Entschuldigt daher, dass ich nicht weiterspreche. — Stephens wird für die nächste Zeit nun nicht unter euch sein, da er sich für die bevorstehende Untersuchung sammeln und zu dem herannahenden Gefecht vorbereiten muss. Da man der Jury dieses Landes nicht trauen konnte, so haben die Herren des Gouvernements, diese erbärmlichen Schurken, den Prozess unseres Freundes nach London verlegt. Kommt, ich bitte euch, während seiner Abwesenheit oft hier zusammen, und erinnert euch eures verfolgten Priesters in jenen Augenblicken, wo eure Seele in tiefer Andacht dem Allmächtigen entgegen jauchzt. Wenn ihr wüsstet, welchen Wert das Gebet des Armen und Kleinen für die hat, so um euretwillen leiden und verfolgt werden, so würdet ihr nie unterlassen, für Stephens zu beten. — Und nun lebt wohl!"

— Oastler sprach über zwei Stunden lang. Die Wirkung seiner Rede war außerordentlich. —

Die Volksversammlungen wurden indes in allen Teilen des Landes fortgesetzt; bei einem Meeting auf Kersal Moor bei Manchester am 1. Juni sollen nicht weniger als 500 000 Menschen beieinander gewesen sein, so berichten die Volksblätter. Andere Zeitungen sprachen von 300 000; nehmen wir auch nur zwei Drittel, ja die Hälfte dieser Angabe, so bleiben noch genug übrig, so waren noch genug Arme vorhanden, um z. B. Manchester mit wenig Mühe zu überrumpeln. Ein solches Ereignis würde den Sieg des Volkes, wenn auch nicht gewiss, doch wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht haben. Die Charte würde das Gesetz des Landes gewesen sein. Zweifelhaft blieb der Ausgang freilich immer; denn auf die Dauer würden sich die Arbeiter, welche durchaus nicht mit den Waffen umzugehen wissen, doch nicht gegen einen Angriff der Truppen und der Bourgeois haben halten können. Das Resultat jenes Meetings war, dass man sich über die Maßregeln einigte, welche zu ergreifen wären, wenn man die Petition des Volkes nicht berücksichtigte. Man hatte nämlich für diesen Fall namentlich drei Sachen vor.

Half das noch nichts, so wollte man eben von den Waffen Gebrauch machen.

Nachdem diese Beschlüsse gefasst worden waren, kehrten die Abgeordneten des Konvents aus den Grafschaften nach London zurück, um die Überreichung der Petition vorzubereiten. Die Zahl der Konventsmitglieder war indes bis zu 200 angewachsen. An dem dazu bestimmten Tage versammelten sich alle in ihrem Saale und verfügten sich dann zu Herrn Attwood, M. P. [Member of Parliament] für Birmingham, der die Petition bei dem Hause der Commons einreichen sollte. Nach dem Bericht der „Times" hatte diese Petition eine Länge von 3 Meilen weniger 250 Yards. Sie wog beinahe 6 Zentner und trug — 1 250 000 Unterschriften. An beiden Seiten war sie mit Zinn beschlagen und war befestigt an einer Rolle von großer Dimension. Sie lag auf einem Karren, an dessen vorderer Seite ein Schild angebracht war mit den Worten: „National — Petition". Zu beiden Seiten der Karre waren Flaggen und Banner befestigt.

Am 20. Juni wurde die Petition in das Haus der Commons hineingefahren. Die Petition von einer Million zweihundertfünfzigtausend Engländern, die Petition des gedrücktesten, zertretensten Teiles der englischen Bevölkerung wurde mit schallendem Gelächter empfangen. — Es wäre jetzt der Augenblick gewesen, um von den Waffen Gebrauch zu machen und überhaupt die Pläne auszuführen, die man auf dem Meeting zu Kersal Moor gefasst hatte. Es zeigte sich aber bald, dass unter den Arbeitern, trotz ihrer großen Aufregung, nicht das Einverständnis herrschte, welches zu einem allgemeinen Aufstand nötig war. Zur Zurückziehung des Geldes aus den Banken kam es gar nicht; zur Feier des „heiligen Monats" ebenso nicht, da man nur für drei Tage im ganzen Lande die Arbeit verließ; mit der Bewaffnung sah es noch schlechter aus — genug, es schien fast, als wenn die ganze Bewegung nur ein blinder Lärm gewesen wäre.

Jedem, der England nicht genauer kennt, muss dies sehr wahrscheinlich werden. Dem Misslingen der ganzen Geschichte lagen aber Umstände zugrunde, die es als sehr gut erscheinen lassen, dass die Sache noch nicht zum Ausbruch kam, dass das Jahr 39 noch nicht mit einem blutigen Bürgerkrieg endete. Fürs erste dauerte die ganze Bewegung noch nicht lange genug, um die Arbeiter aller Grafschaften über die Maßregeln, die in diesem oder jenem Falle ergriffen werden mussten, vereinigen zu können. Zweitens war auch noch keineswegs die eingewurzelte Liebe zur Ruhe und Ordnung bei den englischen Arbeitern überwunden; drittens fehlte es so durchaus an Waffen, dass eine geregelte Truppenmasse jeden Widerstand schnell überwunden haben würde, und selbst wenn Waffen in ganzen Haufen samt aller nötigen Munition vorhanden gewesen wären, so hätte die totale Unkenntnis des Arbeiters, mit dem Gewehre umzugehen, ihn dennoch unfähig gemacht, seine Sache im freien Felde gegen die Soldateska behaupten zu können. Es würde den englischen Arbeitern noch viel schlechter ergangen sein wie jenen mutigen Löwen in Lyon21, die sich viele Tage lang gegen die fürchterlichste Übermacht hielten, aber dennoch, weil sie mit ihren Brüdern im übrigen Teile Frankreichs nicht in gehöriger Verbindung standen, zuletzt von der Bourgeoisie auf so scheußliche Weise zertreten wurden. Außerdem muss man sich darüber freuen, dass das Volk sein edles Blut nicht für die Erringung der Charte vergoss. Die Charte ist im Grunde doch nur eine erbärmliche Maßregel, welche das Elend der Arbeiter schwerlich lindern wird.

Das ungeheure Resultat jener Bewegung des Jahres 39 für die Arbeiter ist: dass sie über ihre Lage aufgeklärt worden sind, dass sie zum Bewusstsein ihres Rechtes kamen, dass ein Hass in ihren Herzen angeschürt wurde, der es ihnen möglich machen wird, einst, wenn aufs neue eine derbe Krisis in den Handel fährt, wenn Hagel und Wetter in die Felder schlagen und die Brotlosen wieder zu Tausenden auf den Gassen stehen, — der es ihnen dann möglich macht, die Charte im Schlafe, ohne viele Umstände, an einem Tage durchzusetzen. Glücklich also, dass für die Charte nur einige ins Grab sanken.

Gleich nachdem man die National-Petition im Hause der Commons überreicht hatte, verlegte der Konvent seine Sitzungen von London nach Birmingham. In London wurde es nämlich unsicher; in Birmingham, wo die größere Anzahl Arbeiter mehr Schutz versprach, schien es ratsamer, in Zukunft zu verweilen. Infolge einiger Reden fielen dort Erneuten und Brandstiftungen vor. Da sah sich das Gouvernement veranlasst, mit Gewalt einzuschreiten. Die besten Redner, die tüchtigsten Mitglieder des Konvents wurden verhaftet. Die Zurückgebliebenen gaben aber doch die Hoffnung nicht auf, noch einen Aufstand zuwege zu bringen. Frost, früher Magistratsperson in Newport, sollte in Wales beginnen. Man würde dann die meisten Truppen dorthin senden. Frost sollte sich gegen diese in den Bergen von Wales halten; währenddessen wollten die übrigen in Yorkshire losbrechen und sich aller größern Städte der Umgegend bemächtigen. Auf diese Weise wäre der Anschlag vielleicht noch gelungen. Da wurde Frost von seinen Leuten gezwungen, früher, als man verabredet hatte, ins Feld zu rücken. Die Kugeln des Militärs sprengten die Chartisten auseinander. Frost wurde gefangen, und da man in Yorkshire mit der Bewaffnung noch nicht weit genug vorgeschritten war, so mussten die übrigen Mitglieder des Konvents teils nach Amerika und Frankreich flüchten, teils vor der blauen Polizei des Landes das Gewehr strecken. Viele Arbeiter teilten das Schicksal ihrer Abgeordneten.

Stephens war indes in dem Court of Queens Bench22 erschienen. Man beschuldigte ihn der Absicht, den öffentlichen Frieden auf eine sehr gefährliche Weise haben stören zu wollen. Er habe eine große Menge der Untertanen der Königin zum Tumult, zur Insurrektion und zum Ungehorsam vor dem Gesetz aufgereizt und sie zu überreden gesucht, die Person und das Eigentum verschiedener friedlicher Untertanen Ihrer Majestät zu beschädigen. Am 17. August machte man ihm in ehester den Prozess. Die Sitzung begann um 9 Uhr morgens und dauerte ohne Unterbrechung, ausgenommen ungefähr 10 Minuten, bis 8 Uhr abends. Stephens verteidigte sich in einer Rede, welche 5 Stunden weniger 5 Minuten dauerte, weswegen er von den Richtern in höchstem Grade bekomplimentiert wurde. Der Generaladvokat war aber ohn' Maßen wütend. Die Jury, nachdem sie fast 1/2 Minute deliberiert hatte, gab das Verdikt „Schuldig", und der Richter eröffnete dem unerschrockenen Anwalt des Volkes, dass er sich auf 18 Monate nach dem Korrektionshause von Knutsford zu verfügen habe.

So bestrafte man den wilden Pfaffen, der die Kühnheit hatte, dem Volke zu sagen, dass das neue Armengesetz und das Kindermordsbuch des Marcus aus derselben Quelle stammten.

Der weise Malthus sitzt aber in seinem politisch-ökonomischen Himmel und schaut lächelnd hinab auf die guten Menschen, die noch immer nicht glauben wollen, dass es Laster und Elend geben muss, um die überflüssige Bevölkerung aus dem Wege zu schaffen. Oh, ihr törichten englischen Arbeiter, weshalb küsst ihr noch immer eure armen Weiber!

[In: Skizzen aus dem sozialen und politischen Leben der Briten 1843 - 1848, Kapitel X. Geschichte der Chartisten von 1832 - 1848 (1848) endet die Geschichte so:

Die Gefangenschaft des Methodisten wurde dadurch versüßt, daß die englischen Arbeiter eine Subskription für Stephens eröffneten, wodurch über 3000 Pfund Sterling in seine Taschen geflossen sein sollen.

Mit diesem Sümmchen hat der gute Mann sich aus dem Leben und Treiben der Politik wieder nach Stalybridge zurückgezogen, wo er noch heutigen Tages sehr vergnügt seines Daseins pflegt.]


Erläuterungen:

1 Malthus

"Malthus (spr. mällthös), Thomas Robert, engl. Nationalökonom, geb. 14. Febr. 1766 zu Ruckery bei Dorking in der Grafschaft Surrey, gest. 29. Dez. 1834 in Bath, studierte in Cambridge Theologie, erhielt hier eine Lehrerstelle sowie eine geistliche Pfründe und wirkte seit 1805 als Professor der Geschichte und politischen Ökonomie an dem Kollegium der Ostindischen Kompanie zu Haileybury. In seinem »Essay on the principles of population« (Lond. 1798, anonym; neue Bearbeitung, 9. Aufl., das. 1888; mit Biographie, das. 1890; deutsche Übersetzung von Hegewisch, Altona 1807, 2 Bde.; von Stöpel, 2. Aufl., Berl. 1900; von Valentine Dorn, Jena 1905, 2 Bde.) stellte er den als Malthusisches Gesetz bekannten Satz auf, dass die Bevölkerung die Tendenz habe, sich rascher zu vermehren als die zu ihrer Erhaltung erforderlichen Nahrungsmittel; die Hemmnisse, welche die überwiegende Produktivkraft des Menschengeschlechts zurückdrängten und sie zwängen, sich nach der Masse der vorhandenen Nahrungsmittel zu richten, seien einerseits moralische Enthaltsamkeit, anderseits Laster und Elend (Näheres s. Bevölkerung, S. 792). Außerdem sind von M.' Schriften die »Principles of political economy« (Lond. 1819-20, 3 Bde.; 2. Aufl. 1826) und die »Definitions in political economy« (1827, neue Ausg. 1853) zu erwähnen. Von E. Leser wurden »Drei Schriften über Getreidezölle aus den Jahren 1814 und 1815« deutsch herausgegeben (Leipz. 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Heinrich VIII.

"Heinrich VIII., König von England, geb. 27. Juni 1491, gest. 28. Jan. 1547, Sohn des vorigen, bestieg 2 t. April 1509 den englischen Thron und vollzog im Juni die schon 1504 durch Vertrag geschlossene Heirat mit Katharina von Aragonien. Heinrich war ein stattlicher Mann, mit glänzenden Gaben ausgestattet, in Gelehrsamkeit und ritterlichen Künsten gleichmäßig ausgezeichnet. Seine Regierung folgte den Impulsen, die sein persönlicher Charakter ihr gab; doch hatte anfangs der Kardinal Wolsey (s. d.) namhaften Einfluss darauf. 1512 verband sich Heinrich mit dem Kaiser Maximilian I. gegen Ludwig XII. von Frankreich, siegte zwar 17. Aug. 1513 in der sogen. Sporenschlacht bei Guinegale, schloss aber schon im folgenden Jahre Frieden mit Frankreich und mit Ludwigs XII. Nachfolger Franz I. sogar ein Bündnis gegen Karl V. Nochmals wechselte Heinrich die Stellung, als er 1521 auf den Rat Wolseys, der durch den Kaiser auf den päpstlichen Stuhl erhoben zu werden hoffte, eine Allianz mit Karl V. gegen Frankreich einging. Da sich aber Wolsey in seinen Aussichten auf den päpstlichen Stuhl getäuscht sah, erfolgte 1526 ein vollständiger Bruch mit dem Kaiser. Durch die gegen Luthers Buch von der babylonischen Gefangenschaft gerichtete Schrift »Adsertio septem sacramentorum« (Lond. 1521) hatte sich Heinrich vom Papste den Titel Defensor fidei erworben, und er war infolge von Luthers 1522 erschienener Gegenschrift »Contra Henricum regem M. Lutherus« der entschiedenste Gegner des Protestantismus geworden. Bald nach eingetretenem Zerwürfnis mit dem Kaiser legte nun aber Heinrich die Absicht an den Tag, seine Ehe mit Katharina, einer Tante des Kaisers, zu trennen, angeblich aus Gewissensbissen, da eine Ehe mit der Witwe des Bruders kirchlich verboten sei, in Wirklichkeit wegen seiner Liebe zu der schönen Anna Boleyn (s. Anna 1). Clemens VII. übertrug seinen Legaten Wolsey und Campeggio die Untersuchung über die Gültigkeit der Ehe des Königs, nahm aber, noch ehe die Sache entschieden war, infolge seiner Annäherung an Karl V. deren Vollmachten zurück. Darauf wurde der Kardinal Wolsey gestürzt, und Heinrich ließ, nach späterer Überlieferung auf den Rat des Theologen Thomas Cranmer, durch einen englischen Gerichtshof seine Ehe mit Katharina für ungültig erklären, worauf er sich im Anfang 1533 mit Anna Boleyn vermählte. Als der Papst darauf gegen den König einschritt, beschloss Heinrich, sein Reich von der geistlichen Oberherrschaft Roms frei zu machen, und ließ sich mit Zustimmung des Parlaments zum Oberhaupt der »Anglikanischen Kirche« (s. d.) ernennen; Cranmer wurde Primas des Reiches. Aber diese Trennung vom Papsttum, an welcher der Bannfluch, den der Papst gegen Heinrich aussprach, nichts änderte, sollte keine Lossagung vom Katholizismus bedeuten; dogmatisch blieb Heinrich noch lange Zeit ein Gegner der protestantischen Reformation, deren Anhänger er ebenso fanatisch wie die Roms verfolgte; erst später neigte er sich ihr mehr zu. Nach dem Tode der Königin Katharina (17. Jan. 1536) machte ihm der Kaiser Anträge zur Erneuerung der frühern freundschaftlichen Beziehungen; Heinrich zeigte jedoch wenig Neigung dazu. Um diese Zeit warf der König sein Auge auf das Hoffräulein Johanna Seymour, ließ Anna wegen angeblichen Ehebruchs hinrichten (19. Mai 1536), vermählte sich elf Tage später mit Johanna Seymour und ließ sodann durch einen Beschluss des stets von seinem Willen abhängigen Parlaments seine beiden frühern Ehen für unrechtmäßig und die daraus entsprossenen Kinder Maria und Elisabeth für illegitim erklären. Aus der Ehe mit Johanna wurde 12. Okt. 1537 ein Sohn, der spätere König Eduard VI., geboren; wenige Tage darauf starb die Königin. Inzwischen hatte eine wirklich protestantische Partei unter der Führung des Staatssekretärs Thomas Cromwell Einfluss auf den König gewonnen. Um eine Annäherung Englands an die deutschen Protestanten herbeizuführen, bestimmte Cromwell Heinrich zu einer Vermählung mit der Prinzessin Anna von Kleve, obwohl diese ihm äußerlich wenig gefiel. Die Ehe war sehr unglücklich, und sobald Heinrich die Gefahr, die ihm durch einen kaiserlichen Angriff 1540 gedroht, vorübergegangen glaubte, lief; er Cromwell vor dem Parlament wegen Verrats verurteilen und hinrichten; von Anna schied er sich im Juli 1540 und vermählte sich schon im selben Monat mit Katharina Howard, einer Nichte des Herzogs von Norfolk, die ihn zu einer antiprotestantischen Haltung bewog. Doch vermochte auch diese den König nicht dauernd zu fesseln, sondern ward der Untreue angeklagt und, schuldig befunden, 13. Febr. 1542 hingerichtet. Vier Monate später vermählte sich der König zum sechstenmal mit Katharina Parr, der Witwe des Lords Latimer, die ihn überlebte. Ein Krieg mit Schottland erreichte seinen Zweck, auch dort die päpstliche Macht zu stürzen, nicht; ebenso blieb ein mit dem Kaiser gegen Frankreich 1543 unternommener Krieg ohne große Ergebnisse. Durch einen Parlamentsbeschluss von 1544 wurde die Nachfolge so geordnet, dass zunächst Heinrichs Sohn Eduard und, wenn dieser ohne Leibeserben sterben sollte, die beiden früher für illegitim erklärten Prinzessinnen Maria und Elisabeth die Krone erben sollten."

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3 Pauperismus: Massenarmut

4 Elisabeth [I.]

"Elisabeth. Königin von England, Tochter Heinrichs VIII. und der Anna Boleyn, geb. 7. Sept. 1533, gest. 24. März (3. April) 1603, wurde von Heinrich nach Annas Hinrichtung als illegitim von der Erbfolge ausgeschlossen, 1544 aber als Thronerbin Eduards VI. (s. d.) und der Maria, der Tochter seiner ersten Gemahlin, anerkannt. Sie wurde in protestantischen Anschauungen erzogen, aber während der Regierung ihrer Schwester Maria gezwungen, den Schein einer rechtgläubigen Katholikin anzunehmen; nichtsdestoweniger wurde sie 1554 in den Tower gesetzt und auch nach ihrer Freilassung bis zum Tode Marias unter lästiger Aussicht gehalten. Da ein Versuch, sie von der Erbfolge auszuschließen, an dem Widerstand des Parlaments gescheitert war, folgte sie 17. Nov. 1558 ihrer Schwester ohne Widerstand auf dem Thron und näherte sich alsbald, besonders von W. Cecil beraten, der protestantischen Partei, indem sie ihr Volk mit behutsamen Maßregeln zur anglikanisch-reformierten Kirche überleitete (s. Anglikanische Kirche); der königliche Supremat über die Kirche, die englische Liturgie, die revidierten 39 Artikel u.a. sind in den ersten Regierungsjahren Elisabeths gesetzlich eingeführt worden. Zu Maßregeln gegen Andersgläubige schritt man erst in späterer Zeit, als Elisabeth sich und ihren Staat gegen katholisch-jesuitische Umtriebe zu schützen hatte. Das materielle Wohl ihres Volkes bemühte sie sich zu heben, Handel und Schifffahrt blühten auf. Auch in den europäischen Verhältnissen spielte England bald eine bedeutende Rolle. Mit Schottland und dessen Herrscherin Maria Stuart kam Elisabeth in Konflikt, wozu die religiösen Angelegenheiten und die persönlichen Eigenschaften der beiden Königinnen gleichviel beitrugen. Maria machte als Urenkelin Heinrichs VII. der angeblich illegitimen Elisabeth das Thronrecht streitig, und da hierzu noch der konfessionelle Gegensatz kam und die Verbindung zwischen Schottland und Frankreich England politisch bedrohte, so wurde das Verhältnis bald ein gespanntes. Durch Marias Vermählung mit Darnley wurde der Gegensatz gesteigert, weshalb Elisabeth die Unruhen, die in Schottland durch das unkluge und leichtsinnige Benehmen ihrer Gegnerin hervorgerufen wurden, noch begünstigte. Als Maria 1568 in England Schutz suchen musste, nahm Elisabeth sie zwar auf, verweigerte ihr aber die erbetene Unterstützung gegen die schottischen Empörer, eröffnete gegen sie eine Untersuchung wegen der Ermordung Darnleys und hielt sie gefangen. Wieder holte Verschwörungen, welche die Befreiung Marias bezweckten, beunruhigten Regierung und Parlament so sehr, dass 1585 ein besonderes, dagegen verfasstes Gesetz erlassen wurde, und als man 1586 Babingtons (s. d.) Mordanschlag auf Elisabeths Leben entdeckte, ward Maria der Mitwissenschaft an diesem Komplott schuldig gesprochen und 8. Febr. 1587 hingerichtet. E bestrafte zwar den Geheimsekretär Davison, weil er die Hinrichtung ohne ihren Befehl habe vollziehen lassen, reinigte sich aber dadurch nicht von dem Vorwurf. eine Verurteilung veranlasst zu haben, zu der, wenn sie auch vielleicht politisch nützlich und durch Verschuldung Marias begründet war, Elisabeth sicher nicht berechtigt gewesen ist. Das englische Volk billigte übrigens die Hinrichtung der Gegnerin, die England mit politischer und kirchlicher Reaktion zu bedrohen schien. Für die Katholiken in Europa war dies aber das Signal zum Angriff auf England. Papst Sixtus V. erneuerte den schon von Pius V. 1570 über Elisabeth ausgesprochenen Bann, und Philipp II. von Spanien sandte die Armada, die jedoch 1588 durch Sturm und die englischen Seehelden Howard und Drake vernichtet wurde. Dieser Sieg und das Steigen der Wohlfahrt des Landes ließen das Volk übersehen, dass Elisabeth die Macht des Parlaments gering achtete und ihm gegenüber in der Regel ihren Willen durchzusetzen wusste. Elisabeth brachte Ordnung in die Finanzen, förderte Ackerbau und Industrie und legte zu der großartigen Entwickelung des englischen Seewesens den Grund. Als das Parlament ihr zu einer Ehe riet, äußerte sie ihren Entschluss, als jungfräuliche Königin sterben zu wollen. Nichtsdestoweniger wurde oft über Eheprojekte verhandelt, so mit dem österreichischen Erzherzog Karl, mit den französischen Prinzen von Anjou und Alençon; sie ist aber unvermählt geblieben. Doch ist das Privatleben der Königin nicht frei von Flecken; an Liebeleien ist kein Mangel: Leicester, Hatton und Essex galten als ihre Liebhaber. In ihrer letzten Lebenszeit ward der schottische König Jakob, Sohn der Maria Stuart, als ihr Nachfolger angesehen, den sie kurz vor ihrem Tod als solchen anerkannt haben soll. Elisabeth hat eine sehr verschiedenartige Beurteilung erfahren. Unbestreitbar sind ihre große Begabung, ihr Verständnis für die Interessen der Nation, ihre Hingabe an den Dienst derselben, Sparsamkeit und dabei doch die Gabe der Repräsentation, lebhaftes Interesse für geistige Bildung, die sie sich selbst in hohem Maß angeeignet hatte. Dagegen ist sie von den Fehlern der Eitelkeit und Launenhaftigkeit, die gelegentlich in Stolz und Härte ausarteten, nicht freizusprechen. Der Glanz, der auf ihrer Regierung in der englischen Überlieferung ruht, ist in wesentlichen Punkten das Verdienst ihres Ministers Cecil; der Königin Ruhm ist es, dass sie ihm die Leitung des Staates übertragen und trotz mancher Differenzen belassen hat."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


5 Marcus: On the possibility of limiting populousness.  -- 4th ed.  -- London, W. Dugdale, 1840. -- 2 p.l., [3]-48 p. 22 cm. -- [Marcus ist ein Pseudonym]

6 Joseph Rayner Stephens

"Joseph Rayner Stephens (1805-1879)

Taken from Sir Lesley Stephen & Sir Sidney Lee (eds.), Dictionary of National Biography: from the earliest times to 1900 (London, Oxford University Press, 1949).

JR Stephens was a social reformer. He was the sixth child of John Stephens (1772-1841), by his wife, Rebecca Eliza Rayner, of Wethersfield, Essex. Stephens was born at Edinburgh on 8 March 1805. His father, a native of St. Dennis, Cornwall, became a Methodist preacher in 1792, and was president of the Wesleyan conference in 1827. George Stephens (1813-1895) was his brother. Joseph entered Manchester grammar school in 1819, where he made friends with William Harrison Ainsworth and Samuel Warren (1807-1877). He was also at the Methodist school, Woodhouse Grove, near Leeds, and in 1823 taught in a school at Cottingham, East Riding.

In July 1825 he became a Methodist preacher, and was appointed in 1826 to a mission station at Stockholm. He was soon able to preach in Swedish, and acquired a taste for Scandinavian literature, which he communicated to his younger brother, George. He attracted the notice of Benjamin Bloomfield, first baron Bloomfield, then plenipotentiary at Stockholm, who made him his domestic chaplain. He also enjoyed a brief but ardent friendship with Montalembert, who spent some time at Stockholm in 1829. Stephens was ordained as a Wesleyan minister in 1829, and stationed at Cheltenham in 1830.

His Wesleyan career ended in 1834, when he resigned under suspension for attending disestablishment meetings in Ashton-under-Lyne circuit. He had joined, under Richard Oastler, the movement for improving the conditions of factory labour, and thought establishment checked the popular sympathies of the clergy. Francis Place (1771-1854) says of Stephens that he ‘professed himself a tory, but acted the part of a democrat.’ The opposition of leading liberals to the ‘Ten Hours Bill’ confirmed him as a ‘tory radical,’ a name first given by O'Connell to Feargus O'Connor.

He threw himself with more zeal than discretion into the agitation for the People's Charter (8 May 1838), drafted by William Lovett. Lovett reckoned O'Connor and Stephens among the ‘physical force chartists’ with James Bronterre O Brien, and though Stephens repudiated even the name of ‘chartist,’ and maintained that his views were ‘strictly constitutional,’ his impassioned language gave colour to another interpretation. As an orator he possessed unusual gifts; he was distinctly heard by twenty thousand people in the open air; his energy of expression and his mastery of homely sentiment were alike remarkable. His brother George designates him (1839) ‘the tribune of the poor;’ but his sympathy with popular needs was in excess of his political sagacity. His weekly sermons were for some time published as ‘The Political Pulpit.’ He contributed to the ‘Christian Advocate,’ edited by his brother John.

On 27 December 1838 he was arrested at Ashton-under-Lyne on the charge of ‘attending an unlawful meeting at Hyde’ on 14 November. He was tried at Chester on 15 August 1839, the attorney-general, Sir John Campbell, prosecuting. Stephens defended himself, and was sentenced by Mr. Justice Pattison to find sureties for good behaviour for five years, after suffering imprisonment for eighteen months in the house of correction at Knutsford; for this Chester Castle was substituted. He writes that his confinement was made ‘as little irksome and unpleasant as possible,’ adding, ‘To a man who has slept soundly with a sod for his bed, and a portmanteau for his pillow, within a stone's throw of the North Cape, and who has made himself quite at home among Laplanders and Russians, there is nothing so very, very frightful in a moderately good gaol, as gaols now go'. On the expiration of his five years' bail a presentation of plate was made to him (10 Febuary 1846).

He settled in 1840 at Ashton-under-Lyne, where he preached at a chapel in Wellington Road, and conducted several journalistic efforts: Stephens's Monthly Magazine (1840), the Ashton Chronicle (1848-9), the Champion (1850-1). In 1852 he removed to Stalybridge. In 1856 he sold his Ashton chapel to Roman Catholics (opened as St. Mary's, April 1856, rebuilt 1868), but still continued to preach at a chapel which he rented in King Street, Stalybridge, till 1875.

He took part in various local agitations, retaining his power and popularity as a speaker, and being the recipient of various testimonials from his friends. For some time he was a member of the Stalybridge school board. He took no lead in politics, and claimed to stand aloof from parties. During his long career he published many pamphlets, not equal to his speeches, though he was an admirable letter-writer. In his later years he suffered from gout and bronchitis. He died at Stalybridge on 18 February 1879 and was buried on 22 February in the churchyard of St. John's, Dukinfield, where his tombstone is the font from his King Street chapel. He married, first, in 1835, Elizabeth Henwood (d. 1852); secondly, in May 1857, Susanna, daughter of Samuel Shaw of Derby, and had children by both marriages. On 19 May 1888 a granite obelisk to his memory was unveiled in Stamford Park, Stalybridge. "

[Quelle. http://dspace.dial.pipex.com/town/terrace/adw03/peel/people/stephbio.htm. -- Zugriff am 2004-11-02]

7 Stalybridge (Staleybridge, spr. ßtelibriddsch): Stadt (municipal borough) in Cheshire (England), an der Grenze gegen Lancashire, am Tame

8 Chartistenlehrers

"Chartismus (spr. tschar-), der Name für eine Arbeiterbewegung in England in den 1830er und 1840er Jahren, deren Zweck war, die Staatsgewalt in die Hände der arbeitenden Klassen zu bringen, um dann Rechts- und Wirtschaftsordnung im Interesse der Arbeiter zu ändern. Nachdem die Reform Act von 1832 zwar das Wahlrecht erweitert, nicht aber zugunsten der untern Klasse geändert hatte, und als auch im reformierten Parlament die radikalen Mitglieder mit ihren Versuchen, eine Vertretung der Arbeiter im Parlament und für eine weitere Ausdehnung des Stimmrechts herbeizuführen, stets in einer verschwindenden Minorität blieben, wurde 1837 in London ein Arbeiterverein, die Working men's Association, gegründet, um für eine Neuordnung der Gesellschaft im Arbeiterinteresse zu agitieren. Der Verein, geleitet von Lovett, gründete Provinzialvereine und trat in Verbindung mit den radikalen Parlamentsmitgliedern (Roebuck, Joseph Hume, O'Connell u. a.). Der Name C. rührt daher, dass die Partei 1838 nach einer gegen weitere Zugeständnisse gerichteten Erklärung Lord John Russells ihr Programm in die Form eines Gesetzentwurfs (Bill) fasste, die O'Connell als Charte (Volkscharte im Gegensatze zur Magna Charta König Johanns) bezeichnete und die sofort von den demokratischen Vereinen des Landes als Programm angenommen wurde. Die Hauptpunkte der Charte, die aus 39 Artikeln bestand, waren: allgemeines Stimmrecht der Männer vom 21. Jahr, geheime Abstimmung, jährliche Neuwahl des Unterhauses, Abschaffung des passiven Wahlzensus, Vermögensqualifikation zu wählen der Mitglieder, Diäten, gleichmäßige Wahlbezirke (nach Kopfzahl). Andre waren: Einführung der Einkommensteuer, Abschaffung der neuen Armengesetze, Verminderung der Lasten, Fabrikgesetze etc. Das Haupt des C. wurde jetzt und blieb während der ganzen Bewegung O'Connor (s.d.). Die energische Agitation der Chartisten für die Wiedereinführung des 1834 aufgehobenen Elisabethschen Armengesetzes und die Zehnstundenbewegung führten dem C. die Arbeiter in großen Massen zu. Zahlreiche Zeitschriften mit großem Absatz entstanden, von denen das Organ O'Connors (»Northern Star«) das populärste war ungeheure Volksversammlungen wurden überall ab gehalten, und eine Massenpetition an das Parlament um Einführung der Charte wurde vorbereitet. Die Chartisten spalteten sich aber sofort in zwei Parteien, in die der physischen Gewalt unter O'Connor, Stephens u. a. und die der moralischen Gewalt unter Lovett. Der Gegensatz der Parteien kam zum heftigen Ausbruch in dem am 4. Febr. 1839 in London zusammengetretenen »nationalen Konvent« der Chartisten, der als Arbeiterparlament neben dem Parlament tagte. O'Connor und seine Partei siegten über die Partei der moralischen Gewalt. Die Versammlungen der Chartisten nahmen einen bedrohlichen Charakter an, sie wurden abends und nachts gehalten, man kam bewaffnet zu ihnen und predigte offen die Rebellion. Als das Parlament es 12. Juli 1839 ablehnte, die Petition, die 1,280,000 Unterschriften erhalten hatte, in Erwägung zu ziehen, kam es zu blutigen Zusammenstößen, namentlich 15. Juli in Birmingham, dem damaligen Hauptsitz der Bewegung, zu einem Aufstand, bei dem über 30 Häuser in Brand gesteckt wurden, der aber bald unterdrückt ward. Die Regierung ging energisch gegen die Führer vor, gegen 380 wurden im Lande verhaftet und mit wenigen Ausnahmen zu Gefängnis von 1 Monat bis zu 2 Jahren verurteilt. Der Versuch der Chartisten, 3. Nov. 1839 die Gefangenen in Newport zu befreien, missglückte.

Zu Anfang 1840 schien die Bewegung zu Ende, doch wurden 20. Juli d. I. alle Ortsvereine zu einer großen Association, »Nationale Chartistenassociation von Großbritannien«, vereinigt. In ihr gelangte zunächst die gemäßigte Partei aus Ruder. Es wurde beschlossen, nur friedliche und konstitutionelle Mittel anzuwenden, um die Charte zum Landesgesetz zu machen. Eine neue Petition, angeblich mit 3,300,000 Unterschriften, wurde dem Parlament überreicht, aber gleichfalls verworfen. Das hatte zur Folge, dass die radikale Partei der Chartisten wieder die Oberhand bekam. Die Haupttätigkeit der Chartisten bestand jetzt längere Zeit darin, Streiks zu veranlassen, um Forderungen gegen die Fabrikanten durchzusetzen. Doch waren die Erfolge meist gering. Noch einmal zeigte sich eine starke Chartistenbewegung 1848, als die Februarrevolution die Chartistenkreise mächtig erregte. Die Führer, O'Connor vor allen, forderten die Massen offen zur Revolution auf und vertraten jetzt auch entschieden republikanische Ideen. Zunächst sollte eine mit zahlreichen Unterschriften bedeckte Petition für die Charte an das Parlament gerichtet und nach einer großen Volksversammlung 10. April in Prozession ins Parlament getragen werden. Als aber die Regierung energische Vorkehrungen traf, um den Zug zu verhindern, scheute O'Connor vor dem unvermeidlichen blutigen Zusammenstoß zurück. Der Zug unterblieb, die Petition, die nach der Angabe O'Connors von 5,700,000 Personen (tatsächlich waren es kaum ein Drittel) unterschrieben sein sollte, wurde nun in gesetzlicher Weise dem Parlament überreicht. Diese Petition war die letzte Tat der Chartisten. O'Connors Einfluss auf die Massen war durch seinen Rückzug gebrochen, der C. hörte auf, ein Gegenstand des Schreckens zu sein, und verlor mehr und mehr an Bedeutung; O'Connor selbst starb im Irrenhaus, eine Chartistenpartei besteht heute nicht mehr."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

9 Feargus O'Connor

"O'Connor, Feargus Edward, irischer Agitator, geb. 18. Juli 1794, gest. 30. Aug. 1855, widmete sich der Advokatur, ward 1832 für Cork ins Parlament gewählt und vertrat hier die Interessen Irlands mit rücksichtsloser Kühnheit. Sein Auftreten blieb nicht ohne Einfluß, weshalb 1835 O'Connors Gegner die Kassierung seiner Wiederwahl zu bewirken wußten. Ohnehin mit O'Connells gemäßigter Politik nicht zufrieden, schloß sich O'Connor den englischen Chartisten (s. Chartismus) an und durchzog das Land, um in Volksversammlungen die Unzulänglichkeit der Parlamentsreform und die Rechtlosigkeit der arbeitenden Klassen darzulegen. Unter seiner Leitung kam 6. Aug. 1838 zu Birmigham eine große Chartistenversammlung zustande, worauf ein Nationalkonvent in London zusammentrat, der einen allgemeinen Aufstand vorbereiten sollte. Aber es kam nicht zu einer Massen erhebung der Arbeiter, sondern nur zu vereinzelten Aufständen, die der Polizei- und Militärgewalt erlagen. Mehrere Anführer wurden ergriffen und deportiert; O'Connor selbst, der sich im Hintergrund gehalten hatte, blieb unangefochten, ward aber im Mai 1840 wegen aufreizender Artikel, die er in dem 1837 von ihm begründeten Journal »The Northern Star« veröffentlicht hatte, zu einer Strafe von 18 Monaten Gefängnis verurteilt, die er bis September 1841 verbüßte. Seit 1847 Parlamentsmitglied für Nottingham, berief er nach der französischen Februarrevolution einen neuen Chartistenkonvent, überreichte dem Parlament eine Riesenpetition für Einführung der Volkscharte und ließ diese 10. April 1848 durch eine Volksdemonstration unterstützen. Die Nichtachtung seiner Reformvorschläge im Parlament und das Mißlingen einer nach seinem Plane gestifteten, nach kommunistischen Prinzipien verwalteten Gemeinde machten einen so tiefen Eindruck auf O'Connors reizbares Gemüt, daß er in Geisteszerrüttung verfiel. Er ward im Juni 1852 in eine Irrenanstalt gebracht, die er erst kurz vor seinem Tode wieder verließ."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

10 Richard Oastler

"OASTLER, RICHARD (1789-1861), English reformer, was born at Leeds on the 20th of December 1789, and in 1820 succeeded his father as steward Of the Thornhills extensive Fixby estates at Huddersfield, Yorkshire. In 1830 John Wood, a Bradford manufacturer, called Oastlers attention to the evils of child employment in the factories of the district. Oastler at once started a campaign against the existing labor conditions by a vigorous letter, under the title Yorkshire Slavery, to the Leeds Mercury, Public opinion was eventually aroused, and, after many years of agitation, in which Oastler played a leading part, the Ten Hours Bill and other Factory Acts were passed, Oastlers energetic advocacy of the factory-workers cause procuring him the title of The Factory King. In 1838, however, owing to his opposition to the new poor law and his resistance of the commissioners, he had been dismissed from his stewardship at Fixby; and, in 1840, being unable to repay ~s0oo which he owed his late employer, Thomas Thornhili, he was sent to the Fleet prison, where he remained for over three years. From prison he published the Fleet Papers, a weekly paper devoted to the discussion of factory and poor-law questions. In 1844 his friends raised a fund to pay his debt, and on his release he made a triumphant entry into Huddersfield. Oastler died at Harrogate on the 22nd of August 1861. A statue to his memory was erected at Bradford in 1869. "

[Quelle: Encyclopaedia Britannica. -- 1911. -- s.v.]

11 jungen Königin Victoria (1819 - 1901): 1837 bis 1901 Königin von Großbritannien und Irland, 1876 bis 1901

12 Freetrader: Verfechter des Freihandels

13 Lord Russell

"Lord John Russell, berühmter brit. Staatsmann, geb. 18. Aug. 1792 als dritter Sohn des sechsten Herzogs von Bedford, gest. 29. Mai 1878, studierte in Edinburg, trat im Juli 1813 für einen Wahlflecken, über den sein Vater verfügte, ins Unterhaus und war seit 1819 unablässig für eine Reform der Parlamentswahlen tätig. Seine Vorschläge wurden anfangs in den ersten Stadien der Beratung zurückgewiesen; erst 1826 kam eine Bill, in der er das Wahlrecht einer Anzahl von verfallenen Wahlflecken auf große und volkreiche, aber von der Vertretung im Parlament ausgeschlossene Fabrikstädte zu übertragen vorschlug, wenigstens zur zweiten Lesung. In diesen Kämpfen hatte er sich eine hervorragende Stellung innerhalb der Whigpartei erworben, die er durch sein Eintreten für die Aufhebung der Testakte (1828) und für die Emanzipation der Katholiken (1829) befestigte. 1830 nahm er den Kampf für die Reform von neuem auf, drang zwar auch diesmal nicht durch, wurde aber im liberalen Kabinett Grey zum Generalzahlmeister ernannt und hatte endlich im Juni 1832 die Genugtuung, seine langjährigen Bemühungen durch die Annahme der Reformbill (s. Großbritannien, S. 404) gekrönt zu sehen. Nach dem Rücktritt der Whigs (im November 1834) übernahm er im Februar 1835 die Führung der Opposition. Im Ministerium Melbourne (im April 1835) erhielt Russell das Staatssekretariat des Innern, das er 1839 mit dem Kolonialministerium vertauschte. Die wichtigsten gesetzgeberischen Maßregeln dieser Regierung, die neue Städteordnung, die irische Zehntbill, die neue Armengesetzgebung, die Organisation des öffentlichen Unterrichts und die Verbesserung der Rechtspflege, sind zum wesentlichen Teil das Verdienst Russells, der, nachdem das Ministerium im August 1841 zurückgetreten war, wieder die Führung der Opposition übernahm. Nach Peels Rücktritt trat Russell im Juli 1846 als erster Lord des Schatzes an die Spitze des neuen Ministeriums. Als er sich aber im Dezember 1851 Palmerstons auf wenig rücksichtsvolle Weise entledigt hatte, ward die Stellung des Kabinetts unhaltbar, und Ende Februar 1852 musste er seine Entlassung nehmen. Nach einer kurzen Regierung Lord Derbys trat Russell in Lord Aberdeens Koalitionsministerium (17. Dez.) ohne Portefeuille als ministerieller Leiter des Unterhauses ein und übernahm nach dem Ausbruch des Krieges mit Russland das Präsidium des Geheimen Rates, schied aber 25. Jan. 1855, einige Tage vor dem Sturze der Regierung, aus ihr aus, weil er den Antrag Roebucks auf Untersuchung der Kriegführung nicht bekämpfen mochte. In dem jetzt folgenden Ministerium Palmerston übernahm Russell die Kolonialverwaltung und vertrat England im März auf den Wiener Friedenskonferenzen. Infolge der Angriffe, die sein Verhalten hierbei erfuhr, nahm er 13. Juli seine Entlassung. In dem am 18. Juni 1859 eingesetzten neuen Ministerium Palmerston übernahm er das Departement des Äußern und wurde 30. Juli 1861 als Graf Russell zum Peer erhoben. Seine auswärtige Politik war wenig glücklich. Während des polnischen Aufstandes von 1863 erlitt er eine entschiedene Niederlage, indem die russische Regierung seine Noten, in denen er sich für Polen verwendete, ganz unberücksichtigt ließ; ebenso erfolglos blieb sein Anerbieten einer Vermittelung in dem amerikanischen Sezessionskrieg und seine Parteinahme für Dänemark in dem deutsch-dänischen Krieg. Als Palmerston 18. Okt. 1865 starb, übernahm Russell den Posten eines Premiers und überließ das auswärtige Ministerium dem Grafen Clarendon. In der nächsten Session legte Gladstone 12. März 1866 die neue Reformbill vor; allein diese befriedigte nach keiner Richtung hin, so dass Russell 26. Juni d. J. seine Entlassung einreichte. Seitdem bekleidete er kein Staatsamt mehr. Sein Versuch, 1869 die Verfassung des Oberhauses durch die Ernennung einer Anzahl von Peers auf Lebenszeit umzugestalten, scheiterte. Russell war bis in seine letzten Jahre einer der wenigen Whigs im alten Sinn, ein geistvoller, ehrlicher, offenherziger, für das Wohl seines Vaterlandes aufrichtig begeisterter Politiker; aber diese Eigenschaften konnten ihm, nachdem neue Parteibildungen der Politik der alten Whigaristokratie den Boden unter den Füßen weggezogen hatten, den frühern Einfluss nicht erhalten. Als Redner war Russell durch Klarheit der Gedankenentwickelung und gewandte Dialektik ausgezeichnet. Eine Auswahl seiner Reden erschien 1870 in 2 Bänden. Von Russells Schriften sind hervorzuheben: »Essay on the history of the English government and constitution« (Lond. 1821, neue Ausg. 1873; deutsch von Kritz, Leipz. 1825); »Memoirs of the affairs of Europe, from the peace of Utrecht to the present time« (Lond. 1824-29, 2 Bde.); »Essay on causes of the French revolution« (1832); die Biographie des Lords William Russell (s. oben 1) sowie »Life and times of C. J. Fox« (das. 1859-67, 3 Bde.); besonders bedeutend ist seine letzte große Schrift: »Recollections and suggestions« (1873, 2. Aufl. 1875; deutsch, Halle 1876), die gleichsam als das politische Testament des greifen Staatsmanns gelten kann. Auch verfaßte er ein Trauerspiel: »Don Carlos« (1823), und gab Thomas Moores Briefe und Tagebücher (1852-56, 8 Bde.; kleinere Ausg. 1860), den Briefwechsel etc. von Fox (1853-57, 4 Bde.) heraus. Seine Biographie schrieben Spencer Walpole (Lond. 1889, 2 Bde.), Williamson (das. 1894) und Stuart J. Reid (4. Aufl., das. 1906)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

14 Robert Owen

"Owen (spr. o'n), Robert, engl. Sozialist, geb. 14. Mai 1771 in Newtown (Nordwales) als der Sohn eines kleinen Handwerkers, gest. daselbst 17. Nov. 1858. Er kam mit zehn Jahren als Lehrling zu einem Tuchhändler nach Stamford und war dann mehrere Jahre Kommis in London und Manchester. Durch Fleiß und geschäftliche Begabung schwang er sich 1790 zum Leiter einer Baumwollspinnerei mit 500 Arbeitern in Lancashire auf. Eine mit einigen Teilhabern gegründete Spinnerei in Manchester gab Owen bald wieder auf. Vom 1. Jan. 1800 übernahm Owen die Leitung einer großen Baumwollspinnerei in New Lanark, und von da an beginnt seine Tätigkeit als sozialer Reformator. Owen nahm sich hier ganz vorzüglich seiner Arbeiter an, deren Lage er durch Maßregeln, die damals noch neu und unerprobt waren, mit günstigstem Erfolg zu heben suchte, wie durch Bau von Wohnungen, Beschaffung von Lebensmitteln etc. im großen und Überlassung derselben an die Arbeiter zu den Selbstkosten, durch Lohnerhöhung mit zinsbarer Anlegung des Mehrbetrags, Kürzung der Arbeitszeit, Nichtbeschäftigung von Kindern unter zehn Jahren, Errichtung einer Schule, einer Kleinkinderbewahranstalt etc. Er erreichte es, dass in wenigen Jahren nicht allein die Arbeiterbevölkerung von 2-3000 Seelen materiell gut situiert und sittlich gehoben, sondern auch der Reinertrag der Fabrik erheblich gestiegen war. Misshelligkeiten mit seinen Kompagnons veranlassten Owen, das Unternehmen in eine neue Kapitalgesellschaft umzuwandeln, deren Mitglieder sich mit einer Rente von 5 Proz. begnügten. Der Beifall, den Owen fand, verleitete ihn zu einer Überschätzung seiner Kraft. Er fühlte jetzt in sich den Beruf, als neuer Messias alle Menschen gut und glücklich zu machen. In der Schrift »A new view of society, or Essays on the principle of the formation of the human character and the application of the principle to practice« (Lond. 1812 u. 1813; deutsch übersetzt und erklärt von Collmann, Leipz. 1900) entwickelte er zuerst seine Ansichten. Von dem Gedanken ausgehend, dass für Charakter und Handlungen der Menschen nur die äußern Verhältnisse, unter denen sie lebten, bestimmend seien, und dass demnach niemand für seine Handlungen persönlich verantwortlich sei, forderte er eine Reform der Erziehung, bei der es vor allem darauf ankäme, günstige physische, moralische und soziale äußere Verhältnisse für jeden einzelnen von seiner frühesten Jugend an zu schaffen. Hierbei gelangte Owen allmählich zu rein kommunistischen Ideen; er entwarf eine neue Gesellschaftsordnung, nach der das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben sich nur noch in kleinen kommunistischen Gemeinden mit gemeinsamer Erziehung der Kinder vollziehen sollte (s. Kommunismus, S. 334), und machte es jetzt, nachdem er ein reicher Mann geworden, zu seiner Lebensaufgabe, für die Verwirklichung seiner kommunistischen Ideen zu agitieren. Die Gründung solcher Gemeinden forderte er zuerst 1817 in einem »Report to the Committee of the House of Commons on the Poor Law« als ein Mittel zur Beseitigung der Armut (vgl. auch sein Hauptwerk: »The book of the new world«, Lond. 1820). Zwei Jahrzehnte entfaltete er eine rastlose Tätigkeit als Agitator, hielt über 1000 Reden, schrieb über 2000 Artikel in Journalen, ohne jedoch in England praktische Erfolge zu erzielen. Er begab sich deshalb, nachdem er wegen seines Atheismus mit der englischen Geistlichkeit in Konflikt gekommen war, 1825 nach Amerika, wo er New Harmony in Indiana kaufte, um hier eine kommunistische Gemeinde zu gründen. Gleichzeitig machte einer seiner Schüler, Abram Combe (s. d.), einen Versuch zu Orbiston bei Glasgow. Beide kostspieligen Unternehmungen sowie ein weiterer Versuch einer Kolonisierung von Texas missglückten. 1827 nach London zurückgekehrt, verlor Owen bei einem phantastischen Unternehmen, »National labour equitable echange«, das die Ersetzung des Geldes als Tauschmittel durch Arbeitsstunden bezweckte, 1832 fast sein ganzes Vermögen. Andre verfehlte Versuche mit kommunistischen Gemeinden wurden unter andern zu Ralahine in Irland und zu Tytherly in Hampshire vorgenommen. Bessere Erfolge erzielte Owen dagegen mit seiner bis in die 1840er Jahre fortgesetzten Agitation für Einführung einer Fabrikgesetzgebung und des obligatorischen Schulunterrichts, für Kürzung der Arbeitszeit in den Fabriken, für Gründung von Genossenschaften der Arbeiter etc. In dieser Tätigkeit beruht die hervorragende sozialpolitische Bedeutung Owens. Weiteres darüber s. Kommunismus. In seinen spätern Jahren wurde Owen Anhänger des Spiritismus. Außer seinen obenerwähnten Werken schrieb er noch: »Discourses of a new system of society«, »Outline of the rational system«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

15 O'Connell

"O'Connell, Daniel, berühmter irischer Agitator, geb. 6. Aug. 1775 zu Carhen in der Grafschaft Kerry, gest. 15. Mai 1847 in Genua, besuchte die Jesuitenschule in St.-Omer und das englische College in Douai, schlug, 1793 nach England zurückgekehrt, die juristische Laufbahn ein und ward 1798 Rechtsanwalt in Dublin. Er erwarb sich bald den Ruf eines ebenso ausgezeichneten Redners und gewandten Verteidigers als tüchtigen Patrioten. 1800 protestierte er vergeblich gegen die Union zwischen Irland und Großbritannien; seit jener Zeit begann er in Vereinen und Versammlungen seine Agitation für die Sache seines unterdrückten Volkes, unter dem er bald überaus populär wurde. 1815 hatte er mit dem der schroff protestantischen Koterie, welche die Stadtverwaltung Dublins beherrschte, eng verbundenen Schiffsleutnant d'Esterre ein Duell, in dem er seinen Gegner erschoss; ein ähnlicher politischer Zweikampf mit Sir Robert Peel wurde einige Monate später nur mit Mühe verhindert. O'Connell gründete 1823 mit seinem Freund Shiel die »Great Catholic Association«, die sich bald mit zahllosen Zweigvereinen über die ganze Insel verbreitete, die er aber von offenen Gesetzesüberschreitungen fernzuhalten wusste. Als die Regierung 1825 diesen Verein unterdrückte, stellte ihn O'Connell unter anderm Namen und in andrer Form wieder her. 1828 wurde er von der Grafschaft Clare ins Unterhaus gewählt, durfte jedoch nicht eintreten, da er als Katholik den Testeid nicht leisten konnte. Um die bei der steigenden Aufregung in Irland drohende Gefahr eines Bürgerkriegs abzuwehren, betrieb nun die Regierung selbst die Katholikenemanzipation, und O'Connell, zum zweitenmal gewählt, nahm 1829 seinen Platz im Unterhaus ein. Er beantragte die Abschaffung des protestantischen Pfarrzehnten in Irland und machte seit dem Sommer 1830 den Widerruf (repeal) der Union zwischen England und Irland zur Losung, mit der er die Massen entflammte. Eine Anklage, die deshalb gegen ihn erhoben wurde, blieb erfolglos; der Einfluss des Agitators, der seit 1832 Dublin im Unterhaus vertrat, stieg immer mehr; fast die Hälfte der 100 irischen Abgeordneten folgte seiner Führung. Mit dieser Macht, die man »O'Connells Schweif« (the O'Connell-tail) zu nennen pflegte, unterstützte er die Reformbill, die Irland fünf Abgeordnete mehr gewährte. Da er sein Vermögen und Einkommen teilweise seinen politischen Bestrebungen aufgeopfert hatte, brachten seine Landsleute eine Rente für ihn auf, die sich jährlich auf 13-18,000 Pfd. Sterl. belief. Die Verhängung von Ausnahmegesetzen über Irland, wo die öffentliche Ordnung noch immer gestört war, vermochte O'Connell 1833 nicht zu hindern. Dagegen gelang es ihm, dessen Enthüllungen im Unterhaus 1834 sogar einen Ministerwechsel hervorriefen, 1837 eine Armenbill für Irland und 1838 die Annahme eines Gesetzes durchzusetzen, das die Last des Zehnten für die irische Bevölkerung milderte. Als eine von O'Connell eingebrachte Vorlage zur Regelung der Wahlfreiheit nicht einmal zur ersten Lesung kam, begründete er im April 1840 die »Loyal National Repeal Association« und begann die Repealagitation von neuem. Nach dem Sturz der Whigs im August 1841 und nachdem O'Connell als Lord- Mayor von Dublin bei den Stadtbehörden den Antrag auf eine den Widerruf der Union verlangende Petition durchgesetzt hatte, nahm diese Agitation einen großartigen Aufschwung. Von den Geistlichen aufgefordert, strömte das Volk in ungeheuern Massen zu den »Monster-Meetings«, die häufig an Orte, die durch den Irländern heilige Erinnerungen geweiht waren, z. B. an den Königshügel von Tara, zusammengerufen wurden, und in denen O'Connell mit glühenden Farben das Elend des Volkes schilderte und die Auflösung der Union als das Ende aller Leiden, Gewalt und Empörung aber als das Verderben Irlands darstellte. Die Regierung eröffnete gegen ihn und andre Führer der Bewegung einen Prozess, der am 30. Mai 1844 mit seiner Verurteilung zu 2000 Pfd. Sterl. Geldbuße und einjähriger Hast endete. Doch legte O'Connell gegen dies Urteil Berufung ein, das Oberhaus erklärte 4. Sept. das Verfahren wegen Formverletzungen für nichtig, und O'Connell ward im Triumph aus dem Gefängnis abgeholt. Auf der nächsten Repealversammlung stellte er den Gedanken einer Föderation zwischen Großbritannien und Irland auf, den er im Parlament des folgenden Jahres mit Feuer vertrat. Dadurch aber entfremdete er sich einen großen Teil seiner Landsleute und namentlich die aus dem Schoß des Repealvereins hervorgegangene Partei »Jung-Irland«. Schon krank, trat er 1847 in Begleitung seines jüngsten Sohnes, Daniel, eine Reise nach Italien an, auf der er in Genua starb. Sein Herz ward seinem letzten Willen gemäß nach Rom, sein Körper aber nach Irland gebracht und in Glasnevin beigesetzt. In seiner Schrift »Historical memoir of Ireland and the Irish, native and Saxon« (Dublin 1843, 2. Aufl. 1846; deutsch, Leipz. 1843) zeigte er sich selbst als scharfblickenden Historiker. Seine Staatsreden, rhetorische Meistewerke, wurden von seinem Sohn John O'Connell (»Life and speeches of Daniel O'Connell«, Dublin 1846, 2 Bde.) und von Cusack (das. 1875, 2 Bde.), die »Political and private correspondence of Daniel O'Connell« von Fitzpatrick (Lond. 1888, 2 Bde.) herausgegeben."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

16 Earl of Stanhope: Philip Henry, 4th Earl von Stanhope (1781-1855)

17 Laudanum: opiumhaltige Tinktur mit schmerzstillender und beruhigender)Wirkung. Neben etwa 10 Volumenprozent Alkohol enthält es Bilsenkrautextrakte.

18 Aufhebung der Korngesetze: Anspielung auf die Anti-Cornlaw League

"Anti-Cornlaw-League (engl., spr. ännti- kórnlao-lig, Antikornzollliga), Verein in England, der die Abschaffung der Getreidezölle wie überhaupt die Durchführung des Freihandels erstrebte. Diese bereits im 17. Jahrh. eingeführten Zölle waren 1815 dahin geändert worden, dass die Einfuhr überhaupt verboten, wenn der Preis unter 80 Schilling für 1 Quarter stand, dass sie zollfrei sein sollte, sobald der Preis diesen Satz überschritten hatte 1828 trat an Stelle dieses Systems eine bewegliche Zollskala (sliding scale), deren Sätze bei steigenden Preisen sich erniedrigten und umgekehrt. Im Oktober 1831 zu Manchester durch Cobden (s. d.), mehrere Fabrikanten und Kaufleute gestiftet, gewann die A. erst 1838 größern Einfluss, der 1839 unter der Führung von Cobden, Bright, Bowring, Prentice, Thompson, Ashworth u.a. durch Gründung von Zweigvereinen, Bildung größerer Fonds, Abhaltung von Versammlungen, Ausgabe von Agitationszeitungen (»Anti-cornlaw Circular«, »Anti-bread-tax Circular«) etc. über das ganze Land ausgebreitet wurde. Nachdem Villiers' Antrag auf Aufhebung der Getreidegesetze 1839 im Unterhaus durchgefallen war, gelang es 1841, Cobden und einige Gleichgesinnte ins Parlament zu bringen, wo der schon stehend gewordene Antrag Villiers' bereits 40 Stimmen zählte. Nach dem Rücktritte des Whigkabinetts und der Einsetzung des Toryministeriums im Sommer 1841 traten die gesamte dissentierende Geistlichkeit, die irische Partei sowie ein Teil der dem Freihandel zuneigenden Whigs der League bei, während letztere von der Grundaristokratie und dem Chartismus (s. d.) leidenschaftlich bekämpft wurde. Als 1842 die Getreidezölle mit nur geringen Ermäßigungen modifiziert wurden, betrieb man die Agitation mit noch größerer Energie. In der Parlamentssitzung von 1844/45 erhielt Villiers' Antrag schon 122, ein andrer von Cobden auf Prüfung der Korngesetze lautender 221 Stimmen. Die League spannte hierauf ihre äußersten Kräfte an, um im Parlament sich die Majorität zu sichern. Endlich brachte Peel im Januar 1846 seinen berühmten Antrag vor das Unterhaus, wonach die Einfuhr aller Lebensmittel freigegeben und nur vorläufig noch auf 3 Jahre eine (allerdings während dieser Zeit wegen der irischen Hungersnot suspendierte) niedrige gleitende Skala für die Getreideeinfuhr beibehalten werden sollte. Die Bill ging im Unterhaus und im Oberhaus durch und ward Gesetz. Damit war der Zweck der League erreicht; sie löste sich 1849 auf, als der nachher vollständig aufgehobene Zoll bereits auf 1 Schilling für 1 Quarter herabgemindert war."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

19 Brougham (spr. bru'm), Henry, Lord, britischer Staatsmann (1779 - 1868)

20 Howick: Charles Grey Lord von Howick

"Grey (spr. gre), Charles, Graf [Lord von Howick], ältester Sohn des vorigen, geb. 13. März 1764, gest. 17. Juli 1845, studierte in Cambridge, bereiste sodann Frankreich, Italien und Deutschland und ward 1786 ins Parlament gewählt. Er war anfangs mit dem Prinzen von Wales (später Georg IV.) näher befreundet, bald aber entstand zwischen beiden eine Spannung, weil G. es ablehnte, zu gunsten des Prinzen eine Handlung von zweifelhafter Ehrenhaftigkeit zu begehen. Seitdem war sein Verhältnis zu dem Prinzen ein kaltes; trotzdem aber verteidigte er dessen Rechte, als 1788 bei der Krankheit des Königs eine Regentschaft ernannt werden sollte. 1792 begann G. den Kampf für eine Parlamentsreform, indem er eine Petition der von ihm mitgestifteten Gesellschaft der Volksfreunde überreichte, die um die Beseitigung der Mißbräuche im englischen Wahlsystem sowie um Wiederherstellung dreijähriger Parlamente bat; sein Antrag auf Niedersetzung eines Untersuchungsausschusses darüber wurde 1793 verworfen. Nachdem 1806 Greys Vater in den Grafenstand erhoben war, führte G. den Titel Lord Howick, ward nach Pitts Tod erster Lord der Admiralität und nach Fox' wenige Monate später erfolgtem Hinscheiden Staatssekretär des Auswärtigen. Nach Entlassung dieses Whigministeriums saß G., der im November 1807 durch den Tod seines Vaters ins Oberhaus berufen war, 23 Jahre lang in der Opposition und wirkte namentlich mit zur Unterdrückung des Sklavenhandels. Zweimal, 1809 und 1812, wurde mit ihm wegen der Übernahme eines Ministerpostens unterhandelt; doch scheiterten die Verhandlungen: 1809, weil er nicht hoffen konnte, die Genehmigung des Königs zur Katholikenemanzipation zu erlangen, 1812, weil seine Forderung, die ersten Hofämter neu zu besetzen, um den Einfluß der Kamarilla zu brechen, abgeschlagen wurde. Während des Prozesses gegen die Königin Karoline, Gemahlin Georgs IV., verteidigte G. die unglückliche Fürstin. Nachdem sich das Ministerium Wellington 1830 aufgelöst hatte, trat G. an die Spitze eines neuen, das sich zu »Parlamentsreform, Verminderung der Staatslasten und Nichteinmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten« verpflichtete. Die von ihm eingebrachte Reformbill wurde 1832 vom Unterhaus angenommen, von den Lords aber abgelehnt. Darauf nahm G. 9. Mai seine Entlassung, trat aber nach wenigen Tagen wieder ins Ministerium, nachdem Wellington seinen Widerstand gegen die Bill aufgegeben hatte, worauf dieselbe im Juni 1832 zum Gesetz erhoben wurde. Weniger entsprach G. seinem Programm hinsichtlich der Verminderung der Staatsausgaben, und durch sein Armengesetz und seine Maßregeln gegen Irland zog er sich sogar so heftigen Tadel zu, daß er 9. Juli 1834 seine Entlassung nahm. Zu den hervorragendsten Maßregeln seiner Verwaltung gehören noch die Aufhebung des Monopols der Ostindischen Gesellschaft und die Aufhebung der Sklaverei in den britischen Kolonien. Noch etwa zwei Jahre lang nach seinem Rücktritt besuchte Lord G. gelegentlich das Oberhaus; gegen Ende 1836 zog er sich ganz von der Politik zurück. Greys Briefwechsel mit Wilhelm IV. wurde in London 1867 veröffentlicht."

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21 Löwen von Lyon = Aufstand der Seidenweber von Lyon 1831

22 Court of Queen's Bench

"King's Bench (spr. bentsch, Court of King's oder Queen's Bench, engl. »Königsbank«, Bancus regis), ehemals das Oberhofgericht zu London; seit 1873 (1881) Benennung einer Abteilung (Queen's Bench division) des obersten Gerichtshof (High Court of Justice) für England u. Wales."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

23 Methodisten

" Methodisten, eine aus der anglikanischen Kirche hervorgegangene Religionsgesellschaft, die keine neue Lehre einführen, sondern, ähnlich wie die Pietisten und Labadisten auf dem Festlande, das Christentum verinnerlichen und praktisch fruchtbar machen wollte. Deshalb wurden ihre Mitglieder spottweise Methodisten, d. h. solche, welche die Frömmigkeit nach der Methode betrieben, ihre Richtung und Denkart Methodismus genannt. Gründer des Methodismus waren die Brüder John und Charles Wesley (s. d.), die 1729 in Oxford einen geistlichen Verein gründeten, der sich gemeinsames Beten und Lesen der Bibel, häufige Abendmahlsfeier, Verkündigung des Evangeliums dem unwissenden Volk, Besuch und Bekehrung der Kranken und Gefangenen zu Zwecken setzte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


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