Kulturen von Arbeit und Kapital

Teil 3: Kapitaleignerkulturen

8. Brasilien (Brasil): Weltmeister bei Sozialkontrasten

2. Landwirtschaft


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 3: Kapitaleignerkulturen. -- 8. Brasilien (Brasil): Weltmeister bei Sozialkontrasten. -- 2. Landwirtschaft. -- Fassung vom 2005-12-26. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital03082.htm         

Erstmals publiziert: 2005-12-23

Überarbeitungen: 2004-12-26 [Ergänzungen]

Anlass: Lehrveranstaltung an der Hochschule der Medien Stuttgart, Wintersemester 2005/06

Copyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.

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República Federativa do Brasil


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0. Übersicht



1. Brasilien (Brasil)



Abb.: Brasilien
(Bildquelle: Wikipedia)


2. Brasiliens Landwirtschaft (agricultura)



Abb.: Brasilien : Gigant ohne Grenzen
Titelblatt von DLG-Mitteilungen / Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, Frankfurt a. M.. - Frankfurt, M. : Max-Eyth-Verl.-Ges. -- ISSN 0341-0412. -- 12 (2005-12)


Abb.: Bodennnutzung in Mato Grosso, Satellitenbild
[Bildquelle: http://www.earthkam.ucsd.edu/public/images/bookmarks/ISS005.ESC1.320131406.shtml. -- Zugriff am 2005-12-20]

"This picture is from Mato Grosso, a state in western Brazil. This tropical region is an upland plateau that is part of the Amazon River’s watershed. “Mato grosso” means “thick forest” in Portuguese, and the plateau is indeed covered with tropical savannas and rain forests. The state is thinly populated in most regions, and mostly agricultural. Cattle ranching is the primary occupation there, but farming is important as well (as can be seen here). Farmers in Mato Grosso grow beans, rice, and other staples; as well as cash crops such as sugarcane, tobacco, and rubber. The area where this photograph was taken is on the fringes of the plateau, so changes in elevation are beginning to show. Terraces can be seen in the fields here. The area is laced with streams and small rivers, and, throughout the region, rapids become common as the highlands begin to fall off into the low-lying plain. Most of the waterways of Brazil are navigable, but in this remote region, rapids or waterfalls often block boats."

[Quelle: http://www.earthkam.ucsd.edu/public/images/bookmarks/ISS005.ESC1.320131406.shtml. -- Zugriff am 2005-12-20]

Man darf nicht vergessen, dass es neben Riesenbetrieben des Agribusiness, Latifundien, Kleinstbauern und Landlosen auch ungezählt viele mittlere bäuerliche Unternehmen gibt (mit Landgrößen von z.B. 1600 ha). Diese werden meist extensiv betrieben und versorgen die lokalen Märkte. In den Darstellungen Brasiliens finden sie durchwegs nicht die Beachtung, die sie verdienen!

"100.000 ha im Familienbetrieb

Da kann Europa schon Angst bekommen. Brasilien hat nicht nur hervorragende Produktionsbedingungen, sondern auch sehr gute Unternehmer. Claus-Marten Brodersen gibt einen Überblick.

[...]


Abb.: Lage von Mato Grosso
(©MS Encarta)
 

An die neuen Verhältnisse in Brasilien muss man sich aus europäischer Perspektive erst einmal gewöhnen. Großunternehmer im süd-westlichen Bundesstaat Mato Grosso zu sein kann bedeuten, 30.000 aber auch bis zu 190.000 ha zu bewirtschaften und obendrein noch Agribusiness-Unternehmen wie Landhandel oder Saatzuchtfirmen zu betreiben.

Es gibt Familien, die ihren Betrieb innerhalb von fünf Jahren von 6.000 auf 190.000 ha vergrößert haben. Ein solcher Betrieb bestellt beispielsweise alleine 60000 Liter Folicur und ist damit weltweit der größte Einzelkunde der Firma Bayer. Viele große Familien-Unternehmen betreiben zudem Infrastrukturprojekte wie Straßenbau, Schifffahrtswege und neue Hafenanlagen, häufig als öffentlich-private Partnerschaften (»Privat Public Partnership«).

Die nördlichsten Siedlungen im Mato Grosso bestehen aus einer Tankstelle, einer Bar und einem Getreidesilo mit Schlammpisten. Wenn die aktuelle Entwicklung anhält, werden dort in zehn Jahren Städte mit Bürgersteig, Asphalt, großen Lagern der Firmen ADM, Bunge und Dreyfuß, klimatisierten Hotels, Schulen, Parks und Regierungsgebäuden stehen.

Noch weiter im Süden betreiben die großen Betriebe Zuckerfabriken, pflanzen bis zu 50 000 ha Zuckerrohr (und kaufen weitere 50000 ha Produktion zu), umgeben ihre Residenzen mit Parks, Papageiengehegen, Traktormuseen und Gestüten. Die verschiedenen Entwicklungsstufen bestehen parallel und werden immer wieder neu gemischt, weil auch immer wieder neue Regionen erschlossen werden (Grafik).


Abb.: Neue Gebiete werden erschlossen

[...]

Produktionstechnik.

Die Flächen werden ohne Bodenbearbeitung bewirtschaftet. Nach den Mähdreschern (das können 20 Stück auf einem 2 000-ha-Sojafeld sein) folgen am selben Tag die 9-m-Direktsaatmaschine (Schlitzsaat). Der so gesäte Mais steht innerhalb einer Woche in der Reihe (feuchter Boden; 35 Grad). Diese Technologie ermöglicht eine kaum vorstellbare Großflächen-Bewirtschaftung mit minimalen Kosten. Die Mähdrusch-Leistungen der Betriebe betragen bis zu 3.000 ha in 150 Tagen pro Saison. Zum Vergleich: in Ostdeutschland sind es bestenfalls 700 ha in 30 Tagen. Brasilianische Traktoren werden nur für die Saat inklusive Unterfußdüngung benötigt, für etwa 600 h pro Jahr (in Deutschland sind es bis zu 1200 h pro Jahr). Pflanzenschutz wird durch Selbstfahrer erledigt, Transporte durch LKW. Viele Mähdrescher arbeiten mit Überladewagen.

Die Einstellung zu gentechnisch veränderten Sorten (GVO) ist sehr pragmatisch. Die Regierung wird sie bei Soja immer mehr freigeben, aber die Landwirte beobachten den Markt für GVO-Soja in Europa und Japan noch, um zu sehen, inwieweit ein höherer Preis für freie Ware durchsetzbar ist. Bei Mais und Baumwolle wird zurzeit nicht mit transgenen Sorten gearbeitet.

[...]"

[Quelle: Claus-Marten Brodersen. -- In: DLG-Mitteilungen / Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, Frankfurt a. M.. - Frankfurt, M. : Max-Eyth-Verl.-Ges. -- ISSN 0341-0412. -- 12 (2005-12). -- S. 13f.]


Abb.: Landwirtschaft in Brasilien
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_agricultura.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

"Ausbeutung und Abholzung?

Das rasante Wachstum der brasilianischen Landwirtschaft verunsichert viele europäische Landwirte. Und manche vermuten, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Florian Dünckmann hat verschiedene Behauptungen überprüft.

[...]

»Von einem fairen Wettbewerb kann ja wohl kaum die Rede sein. Die europäischen Landwirte können da ja gar nicht mithalten - zumal sie gefangen sind in Auflagen und Beschränkungen, die für die Brasilianer nicht gelten«, so eine häufig geäußerte Meinung unter Landwirten. Stimmt das? Oder greift der Blick aus der Ferne auf grobe Verallgemeinerungen zurück? Es lohnt sich, den Wahrheitsgehalt einiger gängiger Thesen näher zu hinterfragen.

Behauptung 1: »Für die Ausweitung der Produktion wird der Regenwald abgeholzt.«

Tatsächlich verzeichnete Brasilien in den vergangenen Jahren wieder besorgniserregende Abholzungsraten, vor allem im südlichen Amazonasgebiet. Und richtig ist auch, dass viele Böden in dieser Region für eine intensive Bewirtschaftung nur wenig geeignet sind. Dennoch besteht kein direkter Zusammenhang mit dem brasilianischen Exportboom, denn der Schwerpunkt der modernen Agrarwirtschaft liegt in den südwestlichen Landesteilen, und dies sind Regionen, die bereits seit mindestens einem Jahrhundert intensiv kultiviert werden.

Der derzeitige Zuwachs der Agrarproduktion basiert vor allem auf einer Intensivierung der bestehenden Agrarflächen und ist zu einem großen Teil ein Erfolg der brasilianischen Agrarforschung, die in den letzten Jahrzehnten viel Energie und Kapital in die Entwicklung neuer, hochproduktiver Anbaumethoden und Sorten gesteckt hat.

Außerdem ist es für das Verständnis des brasilianischen Agrarsektors wichtig, zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Formen der groß-betrieblichen Landwirtschaft zu unterscheiden: Neben den modernen Großbetrieben, die mit einem hohen Einsatz an Kapital eine (oft exportorientierte) Produktion verfolgen, gab es in Brasilien traditionell schon immer einen Sektor mit wenig produktiven Latifundien, die eine extensive Weidewirtschaft betreiben und die - meist aus Motiven der Bodenspekulation - ihr Land eher besetzen als bewirtschaften. Vor allem diese Betriebe sind es, die für die rapide Abholzung der Regenwälder verantwortlich sind.

Auch außerhalb des Regenwaldes hat Brasilien ein enormes Reservoir an solch »unternutzten« Flächen, das auch für die Zukunft noch genug Potenzial für die Expansion der produktiven Landwirtschaft bieten, ohne dass dafür der Regenwald weichen müsste.

Behauptung 2: »Die Brasilianer können so billig produzieren, weil es dort keine Umweltauflagen gibt.«

Die brasilianische Umweltgesetzgebung zählt zu einer der fortschrittlichsten der Welt, was die Nutzung der Flächen betrifft (nicht was Emissionen, Spritzmittelzulassungen o.a. angeht). Bestimmte Geländebereiche sind generell von jeder Nutzung ausgeschlossen. Dazu zählen neben empfindlichen Ökosystemen (z.B. Flussufer oder Mangroven) auch potenziell erosionsgefährdete Flächen (z. B. Hänge bestimmter Neigung oder Hügelkuppen) und alle Gebiete mit gefährdeten Tier- oder Pflanzenarten.

Daneben besteht für jeden landwirtschaftlichen Betrieb die Verpflichtung, mindestens 20% seiner Fläche im natürlichen Zustand zu belassen. Dabei können sich mehrere Betriebe auch zusammentun, um dann gemeinsam eine angrenzende Fläche zu schützen.

Außerdem schreibt die brasilianische Verfassung mehrere große Naturlandschaften, unter anderem den amazonischen Regenwald, die innerbrasilianische Savanne (Campo Cerrado) oder den atlantischen Küstenregenwald, als nationales Erbe fest und schränkt damit die Nutzung dieser Gebiete grundsätzlich ein.

Richtig ist allerdings auch, dass diese Gesetze in der Realität oft nur unvollständig umgesetzt werden. Dies hängt einerseits mit der chronischen Unterversorgung der Kontrollbehörden zusammen, die ihre riesigen Gebiete nicht effektiv überwachen können. Andererseits verlaufen viele Gerichtsverfahren gegen Ökosünder im Sande, weil die brasilianische Justiz oft zu langsam und zu ineffektiv arbeitet.

Generell lässt sich aber sagen, dass die staatlichen Kontrollmechanismen in den zentralen Landesteilen Südostbrasiliens sehr viel besser funktionieren als an der Peripherie. Dass in diesen Regionen, allen voran im Bundesstaat São Paulo, gleichzeitig die wettbewerbsfähigste Landwirtschaft existiert, spricht gegen einen direkten Zusammenhang zwischen niedrigen Produktionskosten und umweltzerstörerischen Produktionsformen.

Behauptung 3: »Die politischen Rahmenbedingungen sind viel günstiger als bei uns.«

Tatsächlich strebt der brasilianische Staat seit den 1960er-Jahren den Aufbau einer modernen, kapitalintensiven Agrarindustrie an, die sich vollkommen von dem Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft gelöst hat. Dabei verteilte der Staat freigiebig Agrarkredite mit extrem niedrigen Zinssätzen - weit unter dem Inflationsniveau - an Großunternehmen und förderte damit deren Kapitalisierung.

Und wie in der EU gab es auch in Brasilien lange Zeit ein komplexes System von staatlich festgesetzten Mindestpreisen, Abnahmegarantien und Schutzzöllen für bestimmte Agrarprodukte. Da die Wirtschaftspolitik jedoch in Folge der Schuldenkrise während der 1990er-Jahre gezwungen war, sich den Regeln des Internationalen Währungsfonds und seiner Strukturanpassungsmaßnahmen zu unterwerfen, mussten diese staatlichen Unterstützungsmaßnahmen nach und nach aufgegeben und die Binnenwirtschaft immer stärker den Mechanismen des Weltmarktes ausgesetzt werden.

Das Erstaunliche dabei war: Der Wegfall staatlicher Regulierung und Unterstützung führte keinesfalls zu einem Einbruch der landwirtschaftlichen Produktion, sondern vielmehr zu einem regelrechten Boom. Die Gründe dafür waren vielfältig: So verbesserte sich mit dem Wegfall staatlicher Regulierungsmaßnahmen auch der Zugang zu den internationalen Märkten für Betriebsmittel. Vor allem aber besteht für die brasilianische Wirtschaft seit der Abwertung der brasilianischen Währung insgesamt ein sehr günstiges Exportklima.

Behauptung 4: »Wegen der Exportorientierung der Landwirtschaft müssen viele im Inland hungern.«

Hunger ist in Brasilien ein ernstes Problem. An den Rändern der Metropole wachsen die Elendsviertel, und besonders in den armen Landesteilen Nordostbrasiliens müssen die Menschen oft von einem viel zu kleinen Stück Land leben und mit Dürren und Missernten kämpfen.

Hunger ist aber ein kompliziertes Phänomen und nur in den seltensten Fällen auf einen absoluten Mangel an Nahrungsmitteln zurückzuführen. Verkürzt lässt sich sagen, dass es nicht zu wenig Grundnahrungsmittel auf dem Binnenmarkt gibt, sondern dass es breiten Teilen der Bevölkerung an der ausreichenden Kaufkraft fehlt. Außerdem erwirtschaftet der Agrar-Sektor rund 30% des Bruttoinland-produktes und beschäftigt rund ein Viertel der Beschäftigten. Es wäre also falsch, der Branche die Verantwortung für Armut und Hunger zu geben.

Die extrem ungerechte Verteilung des Grundbesitzes ist ein weiteres Problem Brasiliens. Aber selbst unter den vehementen Verfechtern einer umfassenden Agrarreform steht außer Frage, dass sich die Enteignung von Großgrundbesitzern nie gegen produktive Betriebe, sondern allein gegen die unproduktiven Latifundien richten darf.

Behauptung 5: »Einige wenige Großunternehmen, deren Kapital aus den USA stammt, teilen die Märkte unter sich auf.«


Abb.: André Maggi
[Bildquelle: http://www.grupomaggi.com.br/br/grupo/index.asp. -- Zugriff am 2005-12-21]

In Brasilien existieren landwirtschaftliche Betriebe von unvorstellbarem Ausmaß. Das Unternehmen André Maggi verfügt beispielsweise neben rund 140000 ha Soja, 40000 ha Mais und 11 000 ha Baumwolle über zwei eigene Hafenanlagen, eine Flotte von Transportschiffen und ein eigenes Wasserkraftwerk.


Abb.: Wasserkraftwerk von Grupo A. Maggi
[Bildquelle: http://www.grupomaggi.com.br/us/energia/galeria.asp. -- Zugriff am 2005-12-21]


Abb.: Düngemittel-Terminal, Itacoatiara – AM, Grupo A. Maggi
[Bildquelle: http://www.grupomaggi.com.br/us/hermasa/galeria.asp. -- Zugriff am 2005-12-21]

Unternehmen mit ähnlichem Ausmaß gibt es beispielsweise auch in der Zucker- bzw. Ethanolproduktion und im Zitrusbereich. Der überwiegende Teil dieser Betriebe hat seine Wurzeln in Brasilien, ist jedoch eng mit internationalen Kapitalmärkten vernetzt.

Die Annahme, es handele sich bei ihnen um Bestandteile transnationaler Konzerne, die ihr Kapital in der brasilianischen Landwirtschaft investieren, lässt sich allerdings nicht bestätigen: Es ist zu einem großen Teil das binnenländische Kapital großer Finanzinvestoren aus den ökonomisch dynamischen Metropolen, das die Modernisierung der Agrarwirtschaft vorantreibt.

Fazit. Sollte Brasilien - gemeinsam mit ähnlich potenten Agrarländern (wie z. B. Argentinien, Australien, Südafrika oder Thailand) - eines Tages auf einem deregulierten Weltagrarmarkt seine landwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit ungehindert entfalten können, dann wird nur ein geringer Teil der hiesigen Landwirtschaft in der Lage sein, diesem Konkurrenzdruck zu trotzen.

Es ist also notwendig, dass sich die europäische Agrarwirtschaft ihrerseits auf die eigenen Qualitäten besinnt.

Wäre es eine Alternative, von dem unbedingten Ziel der Produktionssteigerung Abstand zu nehmen und sich auf das Leitbild der Multifunktionalität  zu konzentrieren? Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

Dr. Florian Dünckmann, Ceographisches Institut, Uni Kiel"

[Quelle: Florian Dünckmann. -- In: DLG-Mitteilungen / Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, Frankfurt a. M.. - Frankfurt, M. : Max-Eyth-Verl.-Ges. -- ISSN 0341-0412. -- 12 (2005-12). -- S. 22-24.]


Abb.: Brasilien ist ganz vorne im Welthandel
[Bildquelle: DLG-Mitteilungen / Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, Frankfurt a. M.. - Frankfurt, M. : Max-Eyth-Verl.-Ges. -- ISSN 0341-0412. -- 12 (2005-12). -- S. 12.]

"Was den Erfolg ausmacht

Menschen, Standort und Technologie machen Brasilien zum dynamischsten Agrarland der Erde. René Döbelt stellt die vielen Stärken und die wenigen Schwachpunkte dar.

Brasilien bietet den Weltmärkten große Partien zu oft konkurrenzlos günstigen Preisen an. Es konnte deshalb den Nachfrageboom, der sich aus der erhöhten Kaufkraft in Asien ergab, voll nutzen. Aber auch auf anderen wichtigen Absatzmärkten sind die Zuwächse ungebremst. Das gilt beispielsweise für Geflügelfleischexporte in die EU und nach Japan oder für Schweinefleisch- und Zuckerlieferungen nach Russland.

Was sind die Ursachen dieser Erfolge? Zu den wichtigsten Voraussetzungen gehören

die natürlichen Standortfaktoren.

Brasilien hat die Dimension eines Kontinentes. Bei mehr als der doppelten Grundfläche der EU-25 steht auch die doppelte landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung. Durch die hohe Verfügbarkeit von Agrarflächen sind die Kosten für Land nach wie vor niedrig, auch wenn es durchaus Gebiete mit Bodenpreisen über 10 000 US-$/ha gibt (vor allem Zuckerrohranbaugebiete). Außerdem gehört zu den günstigen Standortfaktoren das tropische und subtropische Klima. Es ermöglicht bei einem jährlichen Niederschlag von 1 000 bis 3 000 mm und Temperaturen von 30 bis 40 Grad zwei Ernten im Jahr. Soja steht im regenreichen Sommer von Oktober bis Februar, danach Mais oder Baumwolle in Direktsaat von Februar bis Juni.

In Brasilien wurden in den vergangenen Jahren jährlich 2 Mio. ha Ackerland zusätzlich gewonnen. Das heißt in fünf Jahren ist die gesamte Ackerfläche Deutschlands dazugekommen. Die brasilianische Regierung legt Wert darauf, dass es sich dabei um Trocken- und Feuchtsavanne handelt und nicht um Regenwald.

Die Dynamik der Neulandgewinnung hängt ganz maßgeblich von den Preisen an den Weltagrarmärkten ab. An der Börse in Chicago entscheidet sich also die Erweiterung des Ackerlandes in Brasilien.

Ein weiterer Erfolgsfaktor sind die Menschen.

Auf den Betrieben scheinen durchgehend tüchtige Unternehmer tätig zu sein. Zudem sind die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft heiß begehrt, und wer als Schlepperfahrer angelernt wird, ist ein gemachter Mann. Die niedrigen Arbeitskosten gehören natürlich ebenso zu den Erfolgsfaktoren. Das Lohnniveau liegt bei einfachen Arbeitern ungefähr bei 100 US-S pro Monat (Bruttokosten für den Arbeitgeber etwa 200 US-$) und bei Vorarbeitern etwa beim Doppelten.

Die großen Agrarunternehmen nutzen neueste standortangepasste Technologie.

Alle Arbeitsschritte werden auf das Wesentliche reduziert. Die Schlaggrößen von 800 bis 2.000 ha ermöglichen effektives Arbeiten. Skaleneffekte aus der Größe der Partien werden natürlich auch dadurch erreicht, dass ganze Landstriche das gleiche Anbauprogramm haben.

Auch die Ställe sind beeindruckend einfach mit trotzdem sehr guten Ergebnissen. Schweinebetriebe mit 24 abgesetzten Ferkeln je Sau und 870 g Masttagszunahme je Schwein über alle Durchgänge eines Jahres zeigen, dass das Verfahren beherrscht wird. Das gilt ebenso für einfach gebaute Milchkuhbetriebe mit einer Leistung von 10.000 kg Milch und guten Zuchterfolgen.

Der anhaltend hohe wirtschaftliche Druck (der nicht durch Subventionen abgefedert wird) hat zu einer hohen Effizienz geführt und wird dies weiterhin tun.

Vertikale Integration und Kooperation.

In vielen exportorientierten Bereichen der Agrarwirtschaft ist eine starke vertikale Integration der Prozesskette umgesetzt - unter der Führung der großen exportierenden Verarbeiten Die starke Exportorientierung und das dynamische Wachstum führen dazu, dass gesamte Prozessketten vom Kunden her gedacht und aufgezogen werden.

Die großen Spieler der Geflügel- und Schweinewirtschaft sind beispielsweise voll integriert - von der Futterherstellung bis hin zum verpackten Produkt beim Export-Kunden.

In den traditionellen Agrar-Gebieten des Südens und Südostens konnte z. B. eine Genossenschaft entstehen, die erfolgreich 400.000 t Soja exportiert und zudem die unternehmerische Führung einer Molkerei mit 700 Mio. kg Milchverarbeitung für den Inlandsmarkt übernommen hat.

Ein weiterer Wettbewerbsfaktor ist die preiswerte Verfügbarkeit von Bioenergie.

Davon gibt es aktuell zwei große Ressourcen. Zum einen Holz, das aus Eukalyptusplantagen stammt und nach sieben Jahren einschlagreif ist. Beispielsweise laufen moderne Trockner holzbefeuert, genauso wie die Dampfturbinen einer Großmolkerei.

Die zweite noch größere Energie-Ressource kommt aus der Zuckerrohrerzeugung. Inzwischen ist fast jeder zweite Liter Ottokraftstoff in Brasilien Ethanol und kein Benzin. Brasilianisches Ethanol ist bei den derzeitigen Rohölpreisen hoch wettbewerbsfähig. Auch die großen Zuckerfabriken beherrschen die gesamte Kette vom Zuckerrohr-Anbau auf 100000 ha bis zum Vertrieb der Produkte auf den Weltmärkten.

Brasilien ist nicht nur führender Agrarexporteur, sondern hat zudem einen großen Inlandsmarkt.

Die 180 Mio. Verbraucher sind jung und konsumfreudig, und die Bevölkerung wächst stark. Wie der zunehmende Wohlstand die Verbrauchsgewohnheiten beeinflusst, sieht man am Fleischverbrauch je Einwohner. So ist beispielsweise der Verbrauch von Rindfleisch innerhalb von zehn Jahren von 30 auf über 36 kg pro Kopf gestiegen, von Geflügelfleisch im gleichen Zeitraum von 16 auf über 35 kg und von Schweinefleisch von weniger als 8 auf knapp 14 kg.

Die Bevölkerung hat sich in den zurückliegenden 20 Jahren verdoppelt. Die Verdopplung des Schweinefleischkonsums je Einwohner hat also die vierfache Erzeugungsmenge aufgenommen.

Auch die Unterstützung durch die Politik ist ein Erfolgsfaktor.

Die Agrarpolitik Brasiliens sieht ihre wichtigste Aufgabe darin, eine wettbewerbsfähige Agrarwirtschaft zu unterstützen. Landwirtschaftsminister Roberto Rodriguez sieht sich als erster Verkäufer der brasilianischen Agrarindustrie.

Die Vorteile einer starken Agrarwirtschaft sind in seinen Augen »mehr Entwicklung, mehr Arbeitsplätze und Einkommen, mehr Lebensmittel und Fasern, mehr Exporte, mehr Energie.« Dies ist eine klare strategische Option, die in allen internationalen Verhandlungen, ob im Handelsrecht oder Umweltschutz, verfolgt wird.

Aber auch mit auch einigen kräftigen strukturellen Nachteilen hat die brasilianische Landwirtschaft zu kämpfen.

Die schlecht ausgebaute Infrastruktur ist ein wichtiger Punkt dabei.

Die Erschließung des Landes geht schneller voran, als die Infrastruktur errichtet werden kann. Die großen Neulandgebiete werden von wenigen Bundesstraßen von Nord nach Süd durchquert, die 800 km Abstand voneinander haben.

Die Transportkosten per LKW zum 3 000 km entfernten Exporthafen betragen 70 US-$ je t. Dies ist derzeit wohl eine entscheidende Schwäche des brasilianischen Wachstums.

Aber auch hier haben findige Unternehmer alte Strukturen durch neue ersetzt. Das Unternehmen André Maggi hat beispielsweise innerhalb kurzer Zeit mit modernster Technik die eigentlich unschiffbaren Nebenflüsse des Amazonas schiffbar gemacht. Es spart durch die Erschließung dieser Wasserstraßen 5.000 km bis nach Rotterdam ein und senkt die Frachtkosten um ein Drittel.

Durch diese Innovation stieg die Gruppe zum größten Sojapflanzer der Welt auf, mit 190.000 ha eigener Fläche und zum größten regionalen Händler in diesen Gebieten mit 2 Mio. t Soja pro Jahr.

Das politische System Brasiliens ist seit jeher instabil.

Das schlägt sich auch in hohen Kapitalkosten nieder und hat deutliche Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft. Die Inflation wurde in den vergangenen Jahren erfolgreich auf 6 bis 8% stabilisiert. Die Zinsen sind dieser Entwicklung aber nur bedingt gefolgt. Die Landwirtschaft hat natürlich große Probleme mit diesen Realzinsen. Die Folge: Arbeit und Fläche sind billig, Kapital ist teuer.

Die Landwirte rechnen in US-$ und tätigen auch manche Transaktion in dieser Währung. Seit der brasilianische Real im vergangenen halben Jahr aufgewertet wurde, haben sich die Exportbedingungen entsprechend verschlechtert.

Land wird aus dem Eigenkapital gekauft, alle Umlaufmittel aber finanziert. Die normalen Landwirte finanzieren die Ernte über die lokalen Händler, die sich wiederum bei der internationalen Agrarindustrie (Bayer, Syngenta, Monsanto) mit preiswertem ausländischen Geld versorgen. Banken kommen bei den Großunternehmen und den integrierten Agrarkonzernen zum Zuge.

Das ineffiziente Rechtssystem und die hohe Steuerquote gehören ebenfalls zu den Nachteilen.

Im Vergleich mit den internationalen Wettbewerbern gelten die brasilianischen Steuern als hoch. Der Anteil der Steuern am BIP liegt bei über 35%. Zum Vergleich: In der EU liegt er bei 40%, in Argentinien zum Beispiel aber unter 20%.

Aufgrund der Bemessungsart sind Exporteure und vollintegrierte Unternehmen aber steuerlich bevorteilt.

Die hohen Düngeaufwändungen sind ein Kostentreiber.


Abb.: Karte der Böden Brasiliens
[Bildquelle: http://www.portalbrasil.net/brasil_solo.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Die rotbraunen Böden sind zwar steinarm und gut strukturiert. Aber da sie nicht von einer Eiszeit beeinflusst wurden, sind sie nach Millionen von Jahren Verwitterung natürlich humus- und nährstoffarm. Hinzu kommt, dass Nährstoffe in großem Umfang mit dem Soja exportiert werden.

Der erweiterte Ausbau der Veredlung wird also außer den Markteffekten auch noch große interne Effekte haben. Mit den organischen Düngern bleiben Nährstoffe im System und die Transportmengen werden stark reduziert.

[...]

Rene Döbelt, Landwirt in Nemt/Sachsen"

[Quelle: René Döbelt. -- In: DLG-Mitteilungen / Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, Frankfurt a. M.. - Frankfurt, M. : Max-Eyth-Verl.-Ges. -- ISSN 0341-0412. -- 12 (2005-12). -- S. 18 - 21.]


Abb.: Brasilien exportiert in alle Welt
[Bildquelle: DLG-Mitteilungen / Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, Frankfurt a. M.. - Frankfurt, M. : Max-Eyth-Verl.-Ges. -- ISSN 0341-0412. -- 12 (2005-12). -- S. 17.]

"Brasilien bietet Chancen im Agrarsektor für Auslandsinvestitionen Land profitiert von ausgezeichneten Produktionsbedingungen

(Ibero-Amerika Verein, 30.11.2005)

Brasilien ist heute unbestreitbar eine Supermacht im Agrargeschäft. Als Exporteur steht das südamerikanische Land bei Geflügelfleisch, Kaffee, Orangensaftkonzentrat, Rindfleisch, Sojabohnen und Zucker weltweit an erster Stelle. Auch bei anderen Agrarerzeugnissen, wie Tabak und Schweinefleisch, nimmt Brasilien eine Führungsposition ein.

Wichtigster Abnehmer für brasilianische Agrarprodukte ist nach wie vor die EU mit einem Anteil von 41 %. Die größten Ausfuhrzuwächse werden allerdings in Märkten wie China und Russland registriert. Der Schwerpunkt der Ausfuhren verlagert sich zusehends von tropischen auf nichttropische Agrarprodukte.

Ursache für die hohe Wettbewerbsfähigkeit des brasilianischen Agrobusiness-Sektors sind fast ausschließlich die günstigen klimatischen Bedingungen und die fruchtbaren Böden dieses südamerikanischen Landes. Staatliche Subventionen spielen nur eine untergeordnete Rolle: Nach einer Untersuchung der OECD sind sie im Durchschnitt mit lediglich 3 % an den Endverkaufspreisen beteiligt. Das ist nicht einmal ein Zehntel der Subventionen, die die Industrieländer ihren Landwirten zahlen. Allerdings würde eine weitere kräftige Aufwertung der Landeswährung Real auch die Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors beeinträchtigen.

Die ausgezeichneten Produktionsbedingungen im Agrarsektor bedeuten für Brasilien einen komparativen Kostenvorteil, der dieses Land zusammen mit anderen Staaten Südamerikas im Rahmen einer natürlichen globalen Arbeitsteilung zu einem idealen Erzeuger und Lieferanten für Agrarprodukte vorbestimmt. Außerdem handelt es sich bei der Land- und Viehwirtschaft um eine erneuerbare Ressource.

Das Agrarpotential Brasiliens ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Auch ohne Abholzung des Amazonasurwalds könnte Brasilien seine derzeitigen Anbauflächen problemlos verdoppeln. Für das Jahr 2006 erwartet das staatliche Statistikinstitut IGBE einen Anstieg der Erntemenge von Körner-, Hülsen- und Ölfrüchten um 12 % auf 126,6 Mio t. Davon würden 58,7 Mio t auf Sojabohnen entfallen. Insgesamt wäre dies eine neue Rekord-Ernte.

Inzwischen ist Brasilien auch zum weltweit wichtigsten Hersteller von Ethanol (Alkohol-Treibstoff) geworden. Ein großer Teil der Zuckerernte geht in die Produktion dieses umweltverträglichen Treibstoffs. Rund 50 % der heute neu in Brasilien zugelassen Pkw können problemlos Ethanol und Benzin in beliebigen Zusammensetzungen verbrennen. Für die nächsten 7 Jahre planen brasilianische Unternehmen Investitionen von US$ 10 Mrd in den Ausbau der Ethanol-Produktion.

Insgesamt wird nur wenig mehr als ein Viertel der brasilianischen Agrarproduktion ausgeführt. Derzeitig ist der Agrobusiness-Sektor mit 31 % an den brasilianischen Exporten beteiligt. In den ersten zehn Monaten 2005 erzielte Brasiliens Land- und Viehwirte Ausfuhrerlöse von US$ 36,2 Mrd. Das waren 10 % mehr als im Vorjahreszeitraum. Außerdem wurde bisher trotz einiger Exporteinbussen aufgrund der derzeitig im Süden des Landes grassierenden Maul- und Klauenseuche eine ansteigende Tendenz registriert.

Aus einer Abschaffung der Subventionen sowie der direkten und indirekten Importbarrieren in den Industrieländern würden der brasilianischen Land- und Viehwirtschaft handfeste Vorteile entstehen. Es gibt verschiedene Berechnungen über die Höhe des dann möglichen zusätzlichen Exportvolumens, die von jährlich US$ 3,4 Mrd (OECD) bis mehr als US$ 10 Mrd (Weltbank) reichen.

Sicher hätte eine Freigabe des EU-Agrarmarkts und ein Abbau der EU-Agrarsubventionen direkte soziale Auswirkungen in Europa, die aber durch personengebundene Beihilfen gemildert werden könnten. Die Dimensionen des Problems sind jedoch auf beiden Seiten des Atlantik sehr unterschiedlich. In Brasilien verdienen fast 30 % der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft. Dagegen sind in der EU nur etwa 5 % aller Erwerbstätigen im Agrarsektor tätig und in Deutschland sogar nur 1,6 %.

Noch rechtzeitig vor der nächsten Doha-Runde der WTO zur Verringerung der Hindernisse für den freien Welthandel haben die Verfechter der EU-Agrarmarktordnung inzwischen ein neues Argument gegen die Öffnung des europäischen Agrarmarkts gefunden: Zu ihnen gehört auch die französische Agrarministerin Christine Lagarde. Sie lehnen eine Liberalisierung auch mit dem Argument ab, aus einem Abbau der EU-Importzölle und Subventionen würden ja gar nicht die armen brasilianischen Bauern Nutzen ziehen, sondern vor allem die Großunternehmen dieses Landes.


Abb.: "A day begins and ends with Sadia" (auch auf Russisch und Arabisch)
[Bildquelle: http://www.sadia.com/en/ourcompany/ourcompany.asp. -- Zugriff am 2005-12-21]

Dem kann man sicher nicht widersprechen, obwohl auch viele mittelständische bäuerliche Betriebe im Süden Brasiliens von den neuen Geschäftsmöglichkeiten profitieren würden. Aber den Ton geben sicher Großunternehmen an. Beispiele für brasilianische Agrobusiness-Unternehmen, die in den letzten 10 bis 15 Jahren den Status von Playern auf dem Weltmarkt erreicht haben, sind Sadia (Geflügel) und Friboi (Rindfleisch).


Abb.: Reklame für Friboi-Rindfleisch

Die Großunternehmen spielen eine wichtige Rolle in Brasiliens Agrobusiness. Sie sind hauptverantwortlich dafür, dass die Produktivität der brasilianischen Land- und Viehwirtschaft in den letzten 14 Jahren um 40 % angestiegen ist. Darüber hinaus sind sie ein wichtiger Arbeitgeber: Alleine Sadia beschäftigt direkt mehr als 40.000 Personen. Dies unterstreicht, dass es einen Trickle-Down-Effekt zum Nutzen der gesamten Bevölkerung gibt, auch wenn große Unternehmen am stärksten vom Export-Boom profitieren. Selbst dies widerlegt aber das neue Argument der Gegner einer EU-Agrarmarktliberalisierung nur zum Teil.

Wer die Aufrechterhaltung der EU-Agrarmarktordnung mit der Bedrohung durch brasilianische Großunternehmen begründet, verstrickt sich in eine gefährliche Argumentation, die auch die EU-Positionen in Hinblick auf eine weitere Liberalisierung des Zugangs europäischer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen nach Brasilien untergraben könnte. Denn aus einer solchen Argumentation müsste man den Schluss ziehen, dass Marktabschottung gegen ausländische Großunternehmen immer dann zulässig ist, wenn bei den kleineren einheimischen Unternehmen keine ausreichende Wettbewerbsfähigkeit gegeben ist. Prinzipiell müssen also auch brasilianische Großunternehmen des Agrobusiness-Bereichs eine reelle Chance haben, auf dem EU-Markt Gewinne erzielen zu können – nicht anders, als viele deutsche Industrieunternehmen schon seit Jahrzehnten in Brasilien.

Darüber hinaus bietet der brasilianische Agrobusiness-Sektor nicht nur einheimischen sondern auch ausländischen Unternehmen erstklassige Geschäftsmöglichkeiten. Das hohe Entwicklungspotential des Sektors haben Unternehmen wie Bunge, Cargill, Nestlé und das kanadisch-brasilianische Joint Venture Brascan längst erkannt. Aus Deutschland wird dagegen bisher nur zaghaft in diesem Boom-Sektor investiert. So will z.B. Nordzucker seine direkten Aktivitäten in Brasilien ausbauen. Einige andere deutsche Firmen, wie Fuchs Gewürze GmbH und Direct Fruit Marketing GmbH, unterhalten Plantagen in diesem südamerikanischen Land. Die Chancen für Direktengagements aus Deutschland sind also noch längst nicht ausgeschöpft.


Abb.: ®Logo

Datum: 01.12.2005"

[Quelle: http://www.ixpos.de/cln_039/nn_6660/Content/de/01__Aktuelles/News/2005/IV/IAV__051201.html. -- Zugriff am 2005-12-18]


2.1. Brasiliens Agroindustrie


"Agroindustry

by José Maria da Silveira

Agroindustry is one of the main segments of the Brazilian economy and is important both in terms of domestic supply and its export performance. Recent estimates show that it accounts for 12% of Gross Domestic Product, therefore having a prominent position among the sectors of economy, together with the chemical and petrochemical sector. During the seventies, agroindustry contributed 70% of Brazilian exports. This share is currently around 40%, not only because of the diversification of Brazil’s exports tariff but also on account of the falling trend in agricultural commodities prices over the last twenty years. Even so, the sector has grown and the value of exports in almost all its segments has increased in value.

Abb.: Agroindustry production values, 1993

The above data refers to agroindustry production values in a restricted sense, in which the main segments are the slaughtering and preparation of meat, sugar manufacturing and refining, milk products, bread-making and pasta, vegetable oils and fruit juice industry. These are the products that have made the most progress in Brazil over the last twenty years and have dominated the agroindustry. However, it should be noted that coffee is still important both for its contribution to the agricultural balance of trade and in supplying the world's largest coffee market, which is Brazil.

At its front end, the agroindustry is closely related to the packaging industry and to agroindustrial processing (which is increasingly sophisticated), whilst from behind, it has links with the raw materials industries producing pesticides, fertilisers, animal feeds, veterinary products) and agricultural equipment. In a broader perspective, it ranges from basic processing sectors (adding value in terms of drying, improvement and packaging) to segments involving the processing of agricultural raw materials, but which are usually identified as typically industrial: textiles, footwear and paper and cellulose sectors. These have structural characteristics that are different from the rest and should be treated individually as chains with a considerable degree of autonomy. Agroindustry also includes energy production by means of biomass, an area in which Brazil leads the world. It is estimated that in a broader concept, the agroindustry represents more than 30% of the Brazilian economy. It is a fact that the industry includes most of the economic sectors in which Brazil is competing at a world-wide level.

There is a wide selection of segments with different structures and forms of market organisation in which both the multinationals and small business take part and sometimes compete. This variety is part of a segmentation that can be seen in the form of Brazil’s entry into the international market, where the Country has a significant presence with semi-processed products, classified as the processing agroindustry.

Brazil is currently facing a new challenge presented by international trends within the agricultural foodstuffs sector, combining specialisation (and with this, high productivity requirements) and variety (which requires attention to be paid to the consumer and a rapid response to changes in the set-up of the different markets).

In order to provide a better explanation as to what is currently taking place in Brazil, it is necessary to look at the past. At the end of the sixties, Brazil was combining an agricultural modernisation process with a set of policies designed to foster agricultural industrialisation and this resulted in the scenario of international competitiveness within which it is set today. Throughout the seventies, the modernisation process was responsible for the rapid creation of local markets for agricultural raw materials and for the development and technological adaptation of genetic material. The latter enabled an efficient process to tropicalise cultivation and varieties, resulting in the agricultural and agroindustrial use of regions suitable for mechanisation, such as the Midwest where Brazil is achieving very high yields in soya production.

The process of creating and publicising innovations of a biological nature has been fundamental in enlarging the economic position occupied by the Brazilian agroindustry. Since the end of the seventies, the opportunities for developing modern biotechnology have enabled better use to be made of the Country’s natural advantages, turning them into competitive advantages.

Agroindustrialisation has been stimulated in several ways:

  1. typical policies from the time of import replacement, adopted during the sixties and seventies, for example, special funds for mechanisation, the imposing of tariffs and quotas to protect the raw materials industry as well as heavy investment in infra-structure, including public warehousing networks, production systems for seed hybrids, roads and hydroelectric schemes;
  2. modernisation policies, chiefly by the use of subsidised rural credit, of increasing importance during the seventies until being phased out during the eighties;
  3. export promotion policies by means of fiscal incentives and a policy of mini exchange rate devaluations that have remained stable;
  4. agroindustrial restructuring schemes involving the financing of agroindustry and the definition of a policy for setting export quotas; and lastly,
  5. energy replacement policies using special funds for investment in the production of alcohol and consumer promotion.

Most of these initiatives have now lost their momentum but have left behind a positive benefit that differentiates Brazil from its neighbours.

With the opening up of the Brazilian economy, the redefining of the Common Agricultural Policy adopted by the Countries of the European Union, the creation of Mercosur and the re-structuring in progress of the State of Brazil, it was absolutely necessary to create new policies to promote an increase in productivity, to improve competitive factors (related to the Brazil cost) and to provide a clear definition for a trade policy compatible with the stability of the currency.

Meanwhile, in order to increase the competitiveness of the agroindustry, there are a large number of obstacles to be removed. These are to be found in segments that had previously been under State protection, such as milk and coffee (involving offering incentives to the most efficient producers who are able to meet the new demands of the domestic market); in low productivity; in the hygiene problems associated with large-scale cattle rearing; in the low average production of maize, sugar-cane and oranges. Problems also exist in defining the credit and tariff policies (including the most efficient anti-dumping procedures) and the urgent need for improvement in the railway and ports infrastructure.

These difficulties do not stand in the way of the enormous potential for exploiting emerging markets, such as those for fresh fruit and irrigated vegetables, opportunities in forestry production and anhydrous alcohol and for the improved exploitation of the beef sector. Opportunities such as these show that there are no major structural impediments to prevent the Brazilian agroindustry from participating on the international market and improving its service to the domestic market."

[Quelle: http://www.mre.gov.br/cdbrasil/itamaraty/web/ingles/economia/agroind/apresent/index.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]


Abb.: Ackerland inmitten des Urwalds in Brasilien
[Bildquelle: http://www.earthkam.ucsd.edu/public/images/agriculture.shtml. -- Zugriff am 2005-12-20]


2.2. Landlosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra)


"Die Agrarreform ist überfällig : Die Agrarstruktur Brasiliens, die MST und die Erwartungen an die neue Regierung

von Ingo Melchers

Im Januar wird Lula sein Amt als Präsident Brasiliens antreten. Vor ihm liegen gigantische Aufgaben. Eine davon ist die soziale Modernisierung der wirtschaftlich unproduktiven und gesellschaftlich untragbaren Agrarstruktur. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf, ein breite soziale Bewegung für Reformen, aber auch mächtige – wenn auch geschwächte – Interessengruppen, die sich allen Schritten hin zu einer demokratischeren und produktiveren Agrarverfassung widersetzen werden.

Vielleicht gibt es keinen illustrativeren Vergleich zwischen Brasilien und den USA, um die verschiedenen Entwicklungspfade kapitalistischer Entwicklung in einem großen Flächenstaat zu charakterisieren, als die Gesetze, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts den Zugang zu Land regelten: Der „Homestead Act“ von 1862 erlaubte drei Millionen Bauernfamilien, sich im Westen der USA anzusiedeln, ohne Pacht, ohne Grundrente, ohne Bodenpreise. Einfach das Land demarkieren und produzieren. Aus Lucky Luke und anderen Geschichtsbüchern wissen wir, dass das kein friedlicher Prozess war, aber er garantierte eine ausreichende Nahrungsmittelproduktion, die Verknappung und damit Verteuerung der verfügbaren Arbeitskraft, enorme Produktivitätssteigerungen, Schaffung und Stimulierung des weltweit größten Binnenmarktes. Wenn wir von den Massakern an der indigenen Bevölkerung absehen, eine spektakulär demokratische Wirtschaftspolitik.

Dem gegenüber steht das sogenannte Landgesetz von 1850 in Brasilien. Im gleichen Jahr wurde der Sklavenhandel verboten und die Grundbesitzerelite sah voraus, dass es einen Run auf die Millionen Hektar nicht genutzten Landes geben würde. Den daraus resultierenden Mangel an billiger Arbeitskraft für die Großgrundbesitzer wollte und konnte das Landgesetz verhindern: Eigentum an Land konnte nur erwerben, wer es kaufte oder seine Nutzung im Grundbuch durch eine entsprechende Abgabe an die Krone legalisierte. Der Zugang zu Land war damit reserviert für die, die bereits Land (oder Kapital) hatten. Die meisten der erst 38 Jahre später durch das „Goldene Gesetz“ befreiten Sklaven hatten in der Tat keine Alternative zur miserablen Bezahlung in den Zuckerrohr-, Kakao- und Kaffeefeldern.

Kein Binnenmarkt, keine Produktivitätssteigerungen, keine Demokratisierung des Zugangs zum wirtschaftlichen Reichtum. Die extreme Ungleichheit setzte sich in der konservativen Modernisierung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der Industrialisierung ohne Umverteilung fort. Zum Ende des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich 45 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Hand jener 0,9 Prozent der Grundbesitzer, die jeweils mehr als 1000 (und nicht selten mehr als 10.000) Hektar ihr eigen nannten. Die Hälfte aller Grundeigentümer hatten dagegen weniger als 10 Hektar und okkupierten damit 2,2 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die Geschichte Brasiliens gehört kurioser Weise zu den wenigen, die bisher keinen ernsthaften Versuch einer Agrarreform registrierte.


Abb.: Fahne des MST Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra

An Kämpfen um Land hat es nicht gefehlt in den letzten 120 Jahren. Es gab mächtige messianische Bewegungen, von entlaufenen Sklaven gegründete Gemeinden, Bauernbewegungen, von der Kommunistischen Partei unterstützte Landbewegungen, anarchistische Strömungen und 1962 die erste Landbesetzung der Bewegung der Bauern ohne Land, MASTER. Die heutige Landlosenbewegung MST [Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra] fühlt sich als Erbin all dieser – meist durch massive militärische Gewalt niedergeschlagenen – Kämpfe, weil sie zum einen historische ZeugInnnen sind für die notwendige Modernisierung einer vor-demokratischen Agrarstruktur und zum anderen, weil sie meint, aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben. Und einer der Fehler, der aus Sicht der MST in einigen regionalen Bauern- oder Landlosenbewegungen zum Niedergang oder zur politischen Kooptation geführt hat, war die Anbindung an eine Partei. Aber dazu kommen wir später.

Zu schnelle Verstädterung

81 Prozent der brasilianischen Bevölkerung lebt in Städten, sagt das Statistische Bundesamt IBGE. Das ist eine Entwicklung, wie sie in allen Gesellschaften vonstatten geht. Diese Zahlen werden jedoch hinterfragt von Experten ländlicher Entwicklung, die hoffen, dass eine an die Realität angepasste statistische Erhebungsmethode positive Auswirkungen hat auf die politische Aufmerksamkeit, die der ländliche Raum verdient. Ihre Argumente sind gut, aber dennoch bleiben es um die 75 Prozent Stadtbevölkerung. Und keine soziale Bewegung wird Stadtbevölkerung zu Landbevölkerung machen wollen, das ist sozusagen ein geschichtlich gescheitertes Projekt. Brasilien hat sich aber zu schnell verstädtert. Keine der städtischen Dienstleistungen wuchs im gleichen Rhythmus wie ihre Bevölkerung. Die Wasser- und Energieversorgung ist für die nächsten Jahre nicht gesichert, die Müll- und Abwasserproblematik der großen Städte ist immens, um nur einige Beispiele zu nennen.

Der ländliche Raum und der Agrarsektor haben weiterhin eine große Bedeutung für die brasilianische Ökonomie und Gesellschaft und halten Optionen und Potenziale bereit, deren Realisierung ein Segen für die Stadt sein kann. 

Die Landwirtschaft produziert die Nahrungsmittel, die zur Bekämpfung der sozialen Misere unumgänglich sind. Der primäre Sektor ist der einzige, der derzeit in nennenswertem Umfang zum Überschuss in der Leistungsbilanz (Salden aus der Handels- und Dienstleistungsbilanz mit dem Ausland) beiträgt und der folgenden Regierung erlauben wird, ein wenig kecker mit dem Internationalen Währungsfonds zu verhandeln. Es gibt ein enormes nicht ausgeschöpftes Beschäftigungspotenzial in der Landwirtschaft und den ihr vor- und nachgelagerten Branchen. Starke ökonomische, soziale und politische Motive sprechen für eine massive Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft und ihrer verstärkten Integration in die anderen Sektoren. 

Brasilien ist ein großes Land

Wenngleich die extreme Landbesitzkonzentration in allen Regionen Brasiliens eine Konstante ist, macht es doch Sinn, zumindest holzschnittartig, also wirklich grob, die Unterschiede der Hauptregionen zu skizzieren um zu verstehen, inwieweit Klima, Kolonisierungsgeschichte und Bodennutzung sich auf die Realität der ländlichen Räume auswirkten und um eine Vorstellung von der Notwendigkeit einer regional differenzierten alternativen Politik zu bekommen. Für jede Großregion Brasiliens wird die Anzahl der unproduktiven Großgüter und ihre Gesamtfläche genannt. (Verfassungs-) Theoretisch könnten diese Flächen enteignet und der Agrarreform zugeführt werden. Die Angaben stammen aus einer Untersuchung der Agrarreformbehörde INCRA von 1998. 

Portugiesische Sträflinge wurden im ersten Jahrhundert nach der Entdeckung in den Nordosten verfrachtet, um den Anspruch der Krone auf die Kolonie gegenüber den Schmugglern und Piraten aus Frankreich, England und Holland zu unterstreichen. (Der französische Präsident stellte auf einem kürzlichen Brasilien-Besuch klar, dass es sich lediglich um Korsaren handelte, ohne jedoch auf die Unterschiede einzugehen.) Die Besiedlung des Nordostens durch eben diese Sträflinge und afrikanische Sklaven erfolgte, um das verheißungsvolle Zuckerrohr in der Küstenzone anzubauen und den Süßstoff in das europäische Zentrum zu exportieren. Hinter dieser regenreichen Zucker-Region erstreckt sich über 900 000 qkm eine Zone, die von extremer Trockenheit, unregelmäßigen Regenfällen und archaischem Klientelismus geprägt ist. Aus dieser semi-ariden Region sind in den letzten 30 Jahren Millionen von MigrantInnen in den sich industrialisierenden Süden gezogen. Der prominenteste Armutsflüchtling heißt Luiz Inácio Lula da Silva. Der Nordosten insgesamt umfasst heute 50 Prozent aller brasilianischen Kleinbauern, die meisten von ihnen gehören zur Zielgruppe des vom gewählten Präsidenten Lula angekündigten Programms zur Bekämpfung des Hungers. Diese Mischung aus Großgrundbesitz, Trockenheit und einer uralten Klientelwirtschaft prägen die Armutsstruktur. Es gibt jedoch nicht erst seit den Wahlen im Oktober 2002 Anzeichen, dass die – in dieser säkularen Verkrustung häufig servile – Armutskultur dabei ist sich aufzulösen.


Abb.: Luiz Inácio Lula da Silva (geb. 1945), Präsident Brasiliens seit 2003
[Bildquelle. http://noticias.terra.com.br/eleicoes/poster_lula.html. -- Zugriff am 2005-12-21]

11 300 unproduktive Großbetriebe mit 27,5 Mio ha.

Der Süden wurde Jahrhunderte später besiedelt, in weiten Teilen von europäischen AuswanderInnen auf der Suche nach Land in vergleichbarer Landschaft und ähnlichem Klima. Bis heute ist deutlich, dass das, was in Westeuropa unter bäuerlicher Kultur und Denken bekannt ist, am ehesten im brasilianischen Süden wieder zu finden ist. Verwurzelte bäuerliche Landwirtschaft, das existiert in Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul. 

8685 unproduktive Großbetriebe mit 6,3 Mio ha.

Im Südosten finden wir heute eine intensive und zum guten Teil mechanisierte Landwirtschaft in der Nähe der großen lateinamerikanischen Metropolen und des Industriegürtels um Rio de Janeiro, Belo Horizonte und São Paulo. Kaffee, Orangen und Zuckerrohr für den Export und oft intensiver Anbau von Gemüse und anderen Nahrungsmitteln für die städtischen Zentren sind hier angesiedelt, und die Großgrundbesitzerelite ist kein bisschen progressiver als in anderen Landesteilen. 

12 512 unproduktive Großbetriebe mit 12,3 Mio ha.

Der Norden, die unendlichen Weiten des Amazonas, ist die mit Abstand am dünnsten besiedelte Region. „Land ohne Menschen für Menschen ohne Land“ hieß es während der Militärdiktatur. Dass damit das Vorhandensein der indigenen Bevölkerung negiert wurde, sei hier nur am Rande erwähnt. Der Norden war lange Jahre das Migrationsventil, um den Druck auf Land abzuschwächen. Millionen Landsuchende aus dem Nordosten, aber auch aus allen anderen Regionen, in denen der technische Fortschritt und der soziale Rückschritt Menschen aus der landwirtschaftlichen Produktion ausspuckte, suchten hier eine neue Zukunft. Meist war es keine gute. Kleinbäuerliche Strukturen streiten heute in dem feucht-tropischen Regenwald gegen nationale und internationale Unternehmen, legale wie illegale Holzextraktion, Sojaproduzenten und extensive Viehhalter um ein alternatives Entwicklungsmodell. Es vergeht hier kaum ein Monat, in denen nicht ein Menschenrechtler oder ein Landarbeitergewerkschafter gefoltert und ermordet aufgefunden wird. Spitzenreiter der ländlichen Gewalt ist vermutlich der Bundesstaat Pará. Hier registrierte die indignierte Öffentlichkeit 1996 das bis heute unbestrafte Massaker an 19 Landlosen. Milliardenschwere Korruptionsfälle und unkontrollierte Polizeigewalt halten Pará in den Schlagzeilen. Es haben Ende Oktober nur einige Tausend Stimmen gefehlt, um die Kandidatin der PT in das Gouverneurinnen-Amt zu hieven. Schade. 

7954 unproduktive Großbetriebe mit 57,3 Mio ha.

Schließlich der mittlere Westen, weit jenseits der Agrargrenze um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Nochmal 100 Jahre früher kamen die mythenumwobenen Pioniere der brasilianischen Nation (der Bestätigung des brasilianischen Territoriums), die sogenannten Bandeirantes, in den mittleren Westen meist nur, um entlaufende Sklaven einzufangen, um jeden Präzedenzfall im Keim zu ersticken. Mit der öffentlich geförderten Modernisierung der Transportwege in den letzten 15 Jahren wird heute in den weiten eher trockenen Savannengebieten Soja für den Export angebaut und werden Rinder gehalten. Ein fallender Wechselkurs der brasilianischen Währung wird von den produzierenden Bauern des mittleren Westens (agrarsoziologisch sind dies eher unternehmerisch orientierte Farmer wie in den Corn Belts der USA) billigend in Kauf genommen: Mehr Geld in der Kasse. Zeca do PT, Gouverneur im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, ist gerade wiedergewählt worden. 

19 334 unproduktive Großbetriebe mit 62,8 Mio ha. 

Agrarpolitik und Agrarreform nach acht Jahren FHC Fernando Collor de Mello, der später wegen unverschämter Korruption aus dem Amt gejagte Präsident, hatte mit der Öffnung der brasilianischen Ökonomie begonnen, bis 1999 hörte man in aller Welt, dass es dazu keine Alternative gäbe. Fernando Henrique Cardoso (FHC), Präsident von 1995 bis 2002, stimmte dem zu. Zwei Mal gewählt mit den Insignien der ökonomischen Stabilität. Wenige Tage nach Beginn des zweiten Mandats gab er den Wechselkurs frei, der Real purzelte um knapp 40 Prozent, zum Jahresende 2002 wird der Kurs etwa 3,5 Real pro Dollar betragen, nachdem die Währungsspekulation ihn im August fast bis auf vier Real pro Dollar getrieben hatte. Die Regierung FHC kontrollierte die Inflation, die niemand mehr zurück haben will. Nach den Wahlen wird nun jedoch immer deutlicher, dass der Preisdruck wächst, und zwar ironischerweise weniger bei der privaten Produktion von Gütern und Dienstleistungen, sondern genau in jenen Segmenten, deren Preisbildung die Regierung kontrolliert oder verwaltet (Strom, Benzin, Gas). Ein Umstand, über den mitunter ätzende Kommentare verfasst werden. In den Jahren der Regierung FHC stieg die Außenverschuldung um etwa das Vierfache. Brasilien führt weltweit bei der Höhe der Realzinsen (bei einem Dispokredit werden um die 150% Zinsen pro Jahr verlangt), was eine gigantische Umverteilung zugunsten des nationalen und internationalen Finanzsektors bedeutete.

In der Landwirtschaft waren besonders in den vergangenen Jahren nach der Abwertung die exportorientierten Bereiche wie u.a Orangensaft, Kaffee, Zucker, Soja begünstigt. Diese Produkte bzw. ihre Derivate wie Sojaöl, deren inländischer Preis ebenfalls vom Dollar bestimmt wird, haben auf dem Binnenmarkt drastische Preiserhöhungen erlebt, als die Exporteure aufgrund der extremen Abwertung im Jahre 2002 mehr Real für ihr Erzeugnis erhielten. 

Der Agrarsektor und insbesondere die kleinbäuerlichen Strukturen haben aber insgesamt sehr schwer gelitten. Der nationale Agrar-Beratungsdienst wurde noch von Collor kaputt gemacht, FHC hat daran nichts ändern wollen. Die hohen Zinsen konnte niemand bezahlen und der subventionierte Zugang zu Krediten beschränkte sich auf Wenige. Und die wachsende Arbeitslosigkeit und Armut in Stadt und Land reduzierte die zahlungskräftige Nachfrage nach Gütern des Überlebensbedarfes. Niemals wurde in den Medien so viel und so schockierend über Hunger in Brasilien berichtet wie in den Wochen, nachdem Lula, am Tag nach seiner Wahl, die Bildung eines Sozial-Sekretariats zur Bekämpfung des Hungers angekündigt hatte. 

Trotz wachsender Arbeitslosigkeit und Verarmung in den Städten war die Landflucht in den 90er Jahren ungebremst. Vier Millionen Menschen zogen das Leben in der Stadt vor. Interessant ist, dass sich während der zweiten Amtszeit FHCs der Rhythmus der Abwanderung allem Anschein nach sogar noch beschleunigte. Während von 1991 bis 1996 laut IBGE 1,8 Mio. Menschen das Land verließen (5,1 Prozent der Landbevölkerung von 1991), waren es von 1996 bis 2000 2,2, Mio. (6,3 Prozent der Landbevölkerung von 1996). Ein agrar- und sozialpolitischer Offenbarungseid der Regierung. 

Verschiebung der Kräfteverhältnisse?

Es waren harte Jahre für die Bewegung. Nicht die bezahlten Killer oder auch Polizisten, die MST-AktivistInnen umbringen oder mit rechtlich oft lächerlichen Grundlagen ins Gefängnis bringen, sondern die Bewegung selbst und ihre AktivistInnen wurden kriminalisiert. Sogar ein Paragraph aus der Zeit der Militärdiktatur zum Schutz der Nationalen Sicherheit wurde hervor gekramt. Die Regierung konnte jedoch eine Menge Punkte machen im Kampf gegen die Landlosenbewegung. Sie löste die speziellen Finanzierungsprogramme für Agrarreformprojekte auf und gliederte sie in das Nationale Programm zur Förderung bäuerlicher Landwirtschaft (PRONAF) ein und entzog damit der MST die Kontrolle über diese Mittel. In der letzten Zeit wurden immer weniger Projekte von MST-Ansiedlungen über PRONAF finanziert. Der ebenfalls speziell für Agrarreform-Projekte eingerichtete technische Beratungsdienst wurde eingestellt, mit tristen Konsequenzen für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der neu geschaffenen Produktionseinheiten. Demobilisierend war auch ein Präsidialdekret, das jedes Stück Land, das besetzt wurde, und die Teilnehmer einer Landbesetzung für zwei Jahre von jeder Landumverteilung ausschloss.

Um den nationalen (und internationalen) Druck nach Umverteilung des ländlichen Grundbesitzes nachzugeben, unterstützte die Regierung FHC die Vorstellung einer Agrarreform über den Markt. Die Weltbank finanziert die entsprechenden Projekte seit 1998 (s. Kasten/Artikel in diesem Heft). Politisch war dies eher ein weiterer Versuch, die Landlosenbewegung zu de-legitimieren und die hohe Popularität, die die MST in der gesamten Gesellschaft besaß, zu untergraben. Die acht langen FHC-Jahre sind vorbei, Lula ist gewählt und die MST ist mit der einen oder anderen Schramme heute nach wie vor die stärkste und zur größten Mobilisierung fähige soziale Massenbewegung Lateinamerikas. Knapp 100 000 Familien pochen in 1500 legalisierten MST-Ansiedlungen auf eine adäquate Agrarpolitik, weitere vielleicht 80 000 Familien streiten auf besetztem Land für die Enteignung und Zuweisung des Landes. Die MST ist in 23 der 26 Bundesstaaten konsolidiert und muss heute als eine der einflussreichsten Stimmen angesehen werden, was die Formulierung einer die sozialen und ökonomischen Erfordernisse betreffenden Agrar- und Agrarreformpolitik unter Lula angeht. 

Die Bancada Ruralista, die Interessensvertretung der Großgrundbesitzer im Bundesparlament, musste bei den jüngsten Wahlen eine empfindliche Reduktion hinnehmen. Stellten sie in der Legislaturperiode 1995-98 noch 113 „Volksvertreter“, reduzierte sich diese Zahl in der Folgeperiode von 1999 bis 2002 auf 91. In dem nun für die Jahre 2003-2006 gewählten Parlament werden nur noch 35 der alten Garde vertreten sein, darunter allerdings einige der Einflussreichsten. Hinzu kommt, dass sie sich nicht mehr der Regierungsmaschinerie des Bundes bedienen können. Viele von ihnen hatten Bundesbehörden (für Regionalentwicklung, Bewässerung, Bekämpfung der Dürre etc.) mit ihren Kadern besetzt und sorgten so per klientelistischem Stimmenkauf für ihre Reproduktion. Die Besetzung dieser Behörden mit nicht-korrupten Profis wird in einigen Regionen wunderbare Auswirkungen haben.

Vorsichtige Hoffnung auf die neue Regierung

Lula ist derzeit so beliebt wie ein Popstar. Nicht nur die politische Mitte bis hinein in die ewig uneinige Partei PMDB sagt ihm Unterstützung zumindest für den Anfang zu. Viele politische Beobachter stellen schon lange die Frage, wie sich Lula als Präsident gegenüber der Landlosenbewegung MST verhalten würde. Manche besorgt und manche hämisch. Im November 2002 kam die Führungsebene der MST aus dem ganzen Land zusammen um darüber zu beraten, wie sie es mit der Regierung Lula halten werden. Eine 10-Punkte-Erklärung der MST an alle Brasilianer- Innen und an Lula erklärt den Moment gekommen für eine wahre Agrarreform und die Beseitigung der sozialen Ungerechtigkeiten. Die bäuerliche Ökonomie und Genossenschaften seien zu fördern und der Staat könne nun seine Funktion wieder übernehmen, diesen Prozess aktiv zu unterstützen. Die Eigenständigkeit der Bewegung gegenüber dem Staat wird betont und sie bekräftigt, dass es die Rolle der Landlosenbewegung bleiben wird, die Armen auf dem Land zu organisieren und zu mobilisieren. Zur Durchführung der Agrarreform wird Lula jede mögliche Unterstützung zugesagt. Im Vorfeld der Versammlung ist von Führungsmitgliedern selbst die Erwartung gestreut worden, dass die MST die Landbesetzungen für ein halbes Jahr aussetzen würde. Die Erklärung verzichtet auf jede quantifizierbare Forderung an die neue Regierung.

Alles deutet darauf hin, dass die Regierung Lula intensive Verhandlungen mit der MST führen und versuchen wird, gemeinsame und quantifizierte Vorgaben für die Umverteilung von Land und zur technischen und finanziellen Unterstützung der bestehenden MST-Ansiedlungen zu vereinbaren. Nichts deutet darauf hin, dass das ein ganz leichtes Unterfangen sein wird. Die Bewegung hat auf der einen Seite die drängenden Interessen in den Ansiedlungen und Besetzungen zu moderieren und zu befriedigen, wird zum anderen aber nicht aufhören, weiter gehende (agrar-)politische Ziele zu formulieren. Die MST will ein Brasilien ohne Großgrundbesitz. Gemeinsam mit dem Nationalen Forum für Agrarreform und Gerechtigkeit auf dem Land fordert sie eine Verfassungsänderung, die das Eigentum an Grund und Boden auf 35 Fiskalmodule1 begrenzt. Und Lula hat einen extrem engen Haushalt für 2003 und warnte noch vor seiner Wahl vor allzu hohen Flügen. Auf beiden Seiten finden sich engagierte und politisch gereifte Akteure, die kein Interesse an einer (frühen) Konfrontation haben können.

1) Das Fiskalmodul wird in Hektar bemessen und variiert je nach Bodennutzung, klimatischen Bedingungen und potenziellem Einkommen des Landes. Das Fiskalmodul wird pro Kommune festgelegt. Ein Grundbesitz unter einem Fiskalmodul wird als Minifundium, eines über 15 wird als Großgrundbesitz bezeichnet. Im Norden beträgt ein Fiskalmodul durchschnittlich 65 ha, im Nordosten 45 ha und im Süden 18 ha. "

[Quelle: Ingo Melchers. -- In: ila. -- 261(2002). -- http://www.ila-bonn.de/artikel/261agrarreform.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

 

"Amazoniens „Agrobanditen“ ermorden Menschenrechtler, Umweltschützer, Landlosenführer

Greenpeace, WWF und brasilianische Umweltorganisationen prangern Einknicken der Regierung an - massive Urwaldvernichtung wird toleriert

Klaus Hart  


Abb.: Dorothy Mae Stang (Irmã Dórote)
[Bildquelle. Wikipedia]

Unter der Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Lula geht der Terror gegen Umweltaktivisten und Menschenrechtler, die sich der Amazonasvernichtung widersetzen, ungehindert weiter. Im Februar wurde im Teilstaate Parà, von der dreifachen Größe Deutschlands, der Landarbeiter-Gewerkschaftsführer Soares da Costa Filho ermordet, wenige Tage zuvor die hochengagierte nordamerikanische Missionarin Dorothy Stang. Beide hatten seit langem Morddrohungen von illegalen Holzfirmen und Großfarmern erhalten. Die brasilianische Regierung, das vom Sektenmitglied Marina Silva geleitete „Umweltministerium“, haben jetzt dem Druck der Holzbranche nachgegeben und die zunächst per Dekret gestoppte, größtenteils illegale Rodung von Urwäldern Amazoniens wieder erlaubt. Greenpeace und WWF, aber auch die nationalen Umweltschutzverbände verurteilen dies heftig. Sie sehen Parallelen zum Einknicken der Lula-Regierung bei Gensoja. Dessen Anbau war zunächst zum Schein verboten worden – de facto ließen die zuständigen Behörden jedoch zu, dass massiv Gensoja gepflanzt und eine Ernte von etwa zwei Millionen Tonnen eingefahren wurde. Auf Druck des Agrobusiness gab Staatschef Lula unter Bruch von Wahlversprechen schließlich den Anbau frei

.--Amazonasvernichtung mit Gewalt und Sklaverei—


Abb.: Urwaldvernichtung in Rondonia


Abb.: Urwaldvernichtung in Rondonia
[Quelle der Abb.: http://www.earthkam.ucsd.edu/public/images/pdf/Deforestation_in_Rondonia_Brazil.pdf. -- Zugriff am 2005-12-20]

Urwald wird auch gerodet, um mehr Soja zu pflanzen und in Industrieländer wie Deutschland exportieren zu können. Laut Greenpeace-Experte Paulo Adario, der wegen Morddrohungen zeitweise unter Polizeischutz stand, eine kugelsichere Weste trug, wird die Vernichtung der Urwälder mit massiver Gewalt und selbst Sklaverei vorangetrieben. Amazonien erlebte die letzten Wochen Proteste völlig neuer Art. Nicht Landlose oder Arbeiter gingen auf die Strasse, sondern Holzunternehmer und Großgrundbesitzer. Sie blockierten mit ihren Angestellten die wichtigsten Verkehrswege, die schiffbaren Flüsse, besetzten Gebäude staatlicher Behörden. Die mit der Holz- und Agrarbranche liierten Politiker, darunter konservative Kongressabgeordnete, Gouverneure und Bürgermeister, machten gleichzeitig in Brasilia Druck auf die Regierung, die zuständigen Ministerien. Man wollte Regierungsdekrete zu Fall bringen, die Wald- und Landbesitzer zwingen sollten, erstmals klipp und klar ihre Besitzrechte nachzuweisen – ein ganz heißes Eisen in Amazonien. Holzunternehmen wurde solange das Roden von Urwald untersagt. 

Paulo Adario, Greenpeace-Koordinator in Amazonien: „Doch jetzt gab Brasilia nach, akzeptierte Rodungsprojekte, die zu achtzig Prozent Staatswald betreffen und damit völlig illegal sind. Dass private Unternehmen Bäume in Urwäldern fällen, die der Allgemeinheit gehören, ist ja schließlich verboten. Jetzt dürfen diese Firmen ein ganzes Jahr lang weitermachen, brauchen erst später Besitzurkunden vorzulegen oder Rodungsrechte zu beantragen. Der Druck kam von jenen Wirtschaftssektoren, die seit jeher gewöhnt sind, Amazonien als eine Art Niemandsland zu behandeln, ohne Recht und Gesetz.“ Und sind die Wälder erst einmal gerodet, rücken die Großgrundbesitzer nach, pflanzen Soja und Baumwolle für den Export, legen riesige Weideflächen an. “Seit 2003 ist Brasilien der größte Rindfleischexporteur der Welt – wie bei Soja auf Kosten der Amazonasurwälder. Die Regierung verhält sich schizophren, bricht ihre Versprechen, die Umwelt zu schützen, hat nun ihre Glaubwürdigkeit verloren, ist demoralisiert. Und die Holzbranche schafft jetzt Fakten. Bei einem Rodungsstopp sagt sie, es fehle Holz, das dem Land viele Devisen einbringe – wir müssen Sägewerke schließen, Leute entlassen - welch enormer Schaden für das ganze Land! Doch diese Firmen arbeiten kriminell, illegal. Letztes Jahr hatten wir offensichtlich die zweithöchste Abholzungsrate in der Geschichte Brasiliens und 2005 wird vermutlich das gleiche passieren.“

Laut Greenpeace und den anderen Verbänden liegt die Schuld nicht allein beim Umweltministerium, das durchaus einige positive Maßnahmen traf, sondern bei der gesamten Regierungskoalition, zu der konservative und rechte Kräfte gehörten. Und für diese sei nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz keineswegs Priorität. Adario betont interessanterweise, dass das brasilianische Umweltministerium ebenso wie in Deutschland zu den schwächsten Ressorts gehöre. Kein Geheimnis, dass Trittins Ministerium nach der Pfeife von Banken und Großindustrie tanzt, die Zerstörung von Landschaft, Natur und Artenvielfalt durch die konservative deutsche Regierung entgegen den üblichen offiziellen PR-Sprüchen gefördert wird. Nicht zufällig liegt Deutschland gemäß einer neuen globalen Umweltstudie nur auf Platz 31, Großbritannien auf dem 66., Spanien auf dem 76. Rang

.--„Deutschland sollte Druck auf Lula machen“—

Greenpeace-Koordinator Adario lobt indessen die Rolle Deutschlands als Hauptfinanzier des Pilotprojekts der G-7-Staaten zum Schutz der Amazonas-Regenwälder. “Die deutsche Regierung beobachtet sehr aufmerksam, was in Amazonien geschieht, überprüft derzeit die Effizienz des Pilotprojekts. Deutsche Gelder trugen entscheidend zum Schutz großer Waldgebiete bei. Die Demarkation der Indianergebiete geschah hauptsächlich durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Es gibt hier verschiedene extrem positive deutsche Waldschutz-Investitionen. Indessen - als man das Pilotprojekt 1991/92 startete, wurden jährlich zwölftausend Quadratkilometer Urwald vernichtet – heute sind es 23000 Quadratkilometer, also etwa doppelt so viel. Trotz aller Investitionen auch von deutscher Seite. Deutschland hat als Hauptfinanzier hohes politisches Gewicht in dieser Frage, müsste mehr Druck machen. 

Es geht nicht nur um Druck auf das brasilianische Umweltministerium, sondern auch auf Lula selbst, damit Schutzauflagen erfüllt werden, die immerhin von dessen Umweltministerium selber erlassen worden sind – in Richtung nachhaltiger Entwicklung.“ Greenpeace Brasilien rate der deutschen Regierung, die Probleme in Amazonien nicht als Rechtfertigung zu benutzen, um weniger zu investieren und aufzugeben, die brasilianische Regierung zu unterstützen. „Im Gegenteil, Deutschland sollte die Investitionen, aber auch den politischen Druck vergrößern, damit die Lula-Regierung ihre Hausaufgaben macht.“ Auch der Amazonas-Experte vom WWF, Luis Meneses, verweist auf die unglaublich erscheinende Tatsache, dass Holzunternehmen und Großfarmer hauptsächlich Amazonasregionen okkupierten, die dem Staat gehören. Und dieser dort auch noch die Rodung genehmigt.

“Wir meinen, die Urwälder sollten zum Nutzen aller Brasilianer auch weiterhin in öffentlichem Besitz bleiben - und nicht privaten Holzfirmen gehören, die zerstörerisch und oft illegal vorgehen. Nur 1,7 Prozent des in Amazonien geschlagenen Holzes haben überhaupt ein Umweltzertifikat, stammen also aus nachhaltiger Holzwirtschaft. Extrem besorgniserregend, dass die Vernichtungsraten so stark angestiegen sind.“  Laut Meneses gibt es Waldbesitzer, denen eine Fläche so groß wie der mittelamerikanische Staat El Salvador gehört.

--Politische Morde—


Abb.: Tomas Balduino OP (geb. 1922), Bischof von Goiás
[Bildquelle: http://www.devp.org/testF/communiques/communiques2004_12-f.htm. -- Zugriff am 2005-12-21]

Brasiliens Bischof Tomas Balduino, Präsident der Bodenpastoral, in der die nordamerikanische Missionarin Dorothy Stang zugunsten von Landlosenfamilien arbeitete, hatte scharf verurteilt, dass die Lula-Regierung nur wenige Tage vor den neuesten politischen Morden erneut gegenüber den Holzfirmen eingeknickt war. „Dadurch sieht sich die Holzbranche bestärkt – der Mord an der Missionarin ist ebenfalls eine Form des Drucks auf Brasilia, um weitere Zugeständnisse herauszuholen.“ Die allgemeine Straffreiheit stimuliere zu noch mehr kriminellen Aktionen.

Laut Bischofskonferenz werden anders als im Falle der sehr bekannten ausländischen Missionarin zahlreiche politische Morde dieser Art an brasilianischen Menschenrechtlern Amazoniens gar nicht offiziell bekanntgegeben, registriert. Gemäß Bodenpastoral sind allein im Teilstaat Parà mindestens 25 Berufskiller auf freiem Fuß, die bereits solche Taten verübten, allein letztes Jahr elf Menschen umbrachten. Dorothy Stang habe ganz oben auf einer Todesliste mit den Namen von weiteren 41 Personen gestanden. Keineswegs selten würden gleich mehrere Mitglieder der selben Familie liquidiert, verschwänden Prozessunterlagen.

2001 reiste eine Delegation kirchlicher Menschenrechtler und Umweltexperten Brasiliens durch Deutschland, kritisierte den deutschen Sojaimport, wies auf Sklaverei und Urwaldzerstörung, Landkonflikte, die Milizen der Berufskiller. Und appellierte an bürgerliche Parteien wie Grüne, PDS oder SPD, sich gegen eine noch raschere Urwaldvernichtung zu engagieren, Sensibilität für Brasiliens Umwelt- und Menschenrechtsprobleme zu zeigen. Passiert ist vorhersehbar nichts dergleichen. Die „Agrobandidos“, so ein neuer Begriff des „Nationalforums für Agrarreform und Gerechtigkeit in den Landregionen“, haben weiter freies Schussfeld."

[Quelle: Klaus Hart. -- http://www.ila-bonn.de/brasilientexte/greenpeace.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]


2.3. Problemfaktor Transportwege


"Agriculture and the Logistics of Transportation

by Carlos Nayro Coelho

The need to transport large volumes of low-value loads across long distances while facing up to harsh competition in the international market led the agricultural sector to be punished the hardest by the high costs of transportation and port fees. In 1995 for example, shipping a ton of soy from New Orleans cost just US$ 3.00 whereas the cost to ship the same product from the Brazilian port of Paranaguá exceeded US$ 14.00 and the cost to transport the product between the production regions of the US and the same port (an average of 2,000km) by waterways was just US$ 16/t. In Brazil it exceeded US$ 80/t.

 

In order to overcome the problem, the Federal Government has decided to encourage the development of multimode transportation corridors based on the use of some waterways and on the privatization of railroads and ports.

Considering the prospects for the expansion of agricultural borders, plus the existing trade flows of production, and the main consumer markets (including potential markets) in developing and implementing the transportation policy, the Government has decided to establish five corridors: the Northwest, the Central-North, the Northeast, the Central-East, and the Southwest.

The government had already embarked on a process of rationalisation of the management of port labour (one of the lobbies responsible for the high port charges) and has accelerated concessions of private terminals in the main outlet ports. Since the enactment of the Harbour Law in 1993, more than 100 concessions of private and hybrid terminals have been granted.

The Northwest Corridor covers an arable land estimated at over 16 million hectares located north of the state of Mato Grosso and east of the state of Rondônia. The main modes of transportation in the region are rivers and roads. The first route, between the junction of roads BR 364 and 235 and the city of Porto Velho crosses road 364. The second route, between Porto Velho and the port of Itacoatiara (in the state of Amazonas) crosses the Madeira River at a distance of 1,115 km. Between that port and the Atlantic Ocean, the route crosses the Amazon River. The area of influence of the first corridor is located mainly in the pre-Amazon region and comprises the Parecis Plateau in the states of Mato Grosso and Rondônia, the cerrado area adjacent to federal road 364, which connects Cuiabá (the state capital of Mato Grosso) to Rio Branco (the state capital of Acre), going through Porto Velho (the state capital of Rondônia), and areas bordering the Madeira River. Another outflow alternative would be road BR 363 connecting Cuiabá to Santarém, in the Amazon River.

In the Central-North Corridor the main routes are: 1,230 km of navigable waters in the Araguaia River; 420 km of navigable waters in the Mortes River (located in the state of Mato Grosso); 420 km of navigable waters in the Tocantins River; a 1,500 km-long area on road BR-010 (connecting Belém to Brasilia); a 230 km-long area in the North-South Railroad; and a 600 km-long area in the Carajás Railroad between Açailândia (in the state of Maranhão) and the Port of Ponta da Madeira in São Luís (the state capital of Maranhão).

It is important to emphasize that part of this corridor, on the route located between Estreito (in the state of Maranhão) and São Luís may be used as outflow for grains originating in the production regions of southern Maranhão and in the state of Piauí. The Central-North corridor therefore comprises a huge area of the Cerrados region, which covers over 20 million hectares in the states of Tocantins (47.1 percent), Goiás (20.2 percent), Mato Grosso (14.6 percent), Pará (7.1 percent), Maranhão (5.9 percent), Bahia (3.1 percent), and Piauí (2.0 percent).

The production of the northwestern portion of the state of Minas Gerais and the central portion of the state of Goiás (an area of approximately 1.5 million hectares) flows through the Central-East Corridor. It uses basically the Vitória-Minas Railroad (owned by the Vale do Rio Doce Company), between the Port of Tubarão and the city of Belo Horizonte, as well as a railroad line to be built between the city of Belo Horizonte and the town of Pirapora (in the state of Minas Gerais), and between the latter and the town of Unaí (also in the state of Minas Gerais).

The Northeast Corridor covers all the regions located north of the state of Minas Gerais, as well as in the states of Bahia and Pernambuco. The Corridor, of semi-arid tropical climate, is formed by the navigable area of the São Francisco River between the towns of Pirapora and Petrolina (in the state of Pernambuco), by the road network extending from Petrolina to the main capitals and ports of the northeast, and enables a railroad connection between Petrolina and the ports located in the states of Pernambuco and Paraíba.

The Southeast Corridor comprises basically the Tietê-Paraná Waterway and enables the flow of the production from the states of Mato Grosso do Sul and São Paulo to the main exporting ports located on the mouth of the Prata River. This corridor has a strong interface with the transportation system of the southeastern region. The construction of the Jupiá dam will extend the waterway by 700 km, enable the connection between São Paulo and Foz do Iguaçu (in the state of Paraná) and therefore between São Paulo and the exporting ports of the Prata River and the country’s central-western region, and ensure an increase in the exporting of grains from the region of Santa Cruz de La Sierra (in Bolivia). The construction of the waterway will enable the interconnection between the northern and southern portions of the Paraná River which, together with the Prata and Paraguai rivers will enable the use of barges along 7,700 km of waterways and the strategic connection between the town of Cáceres (in the state of Mato Grosso) and the mouth of the Prata River.

Despite a few problems (caused mainly by environmental organizations), which have led and are still leading to big delays in the construction of some waterways such as the Araguaia-Tocantins and the Tietê-Paraná, the implementation of the multimode transportation corridors and the privatization of railroads and ports started in 1995 ensured an average 40 percent reduction in the cost of grain transportation and of 50 percent in port fees.

Last year (2001), over two million tons of grains were transported through the Madeira River corridor and more than 500,000 tons were shipped from the Ponta da Madeira port in São Luís do Maranhão."

[Quelle: http://www.mre.gov.br/cdbrasil/itamaraty/web/ingles/economia/agric/logist/index.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]


2.4. Kredite (crédito)


"Subsidised Rural Credit Policy

by André Pessôa

In view of the distortions in distribution, conflicts of interest and a growing degree of complexity which began to take shape in the Brazilian agricultural economy after the consolidation of the programme of replacement of imports, agricultural policy was modified in the 70's. Within the scope of the Second National Development Plan (PND), the government introduced a subsidised rural credit policy, making intensive use of that financial instrument.

That measure resulted in unprecedented growth in agriculture in the country. The agricultural sector was modernised, creating a critical mass of producers capable of absorbing and spreading new technologies and modern business decision making techniques. The nascent agribusiness grew rapidly, starting to operate with economies of scale and producing the necessary conditions for the diversification of products arising from the agricultural sector. An increasing trend towards adding value to raw materials internally was found.

That policy however proved to be deficient in the distribution aspect. A concentration of the supply of subsidised credit to large producers occurred, in addition to a regional concentration which favoured the Central and Southern to the detriment of the Northern and North-eastern regions. Also those crops intended for export, which made a more intensive use of modern products, were favoured over crops for domestic consumption.

The strong growth in the sector in that period is directly associated with the accumulation of capital, as always occurs when economic growth is recorded, whether of a particular sector or the economy as a whole.

Considering the annual transfers of income from agriculture to other sectors between 1975 and 1983, around 8% to 9% of the agricultural GDP left the sector. This takes account on the one hand of distortions in prices of products and inputs (due to direct, indirect, implied and explicit taxation) and income tax and on the other hand investments made by the State in agriculture. When transfers to agriculture associated with the subsidised rural credit policy are included in this analysis, the results are inverted, and a net transfer of resources to agriculture is found of somewhere between 5% and 6% of the agricultural GDP.

That dynamic of transfer of income to agriculture and the resulting accumulation of capital in the sector are of fundamental importance when explaining its performance in the 1980's.

The basic problem of economic development relates to the process of accumulation of capital and its distribution among economic agents. The accumulation of capital allows an increase in the productivity of the economy to occur, which in turn leads to an increase in social saving, which leads to a rise in the rate of investment, which thus guarantees an increase in the process of accumulation. This mechanism is the conductor of economic development.

Accumulation of capital in the economy as a whole and in agriculture in particular in the 1970's allowed a significant rise in productivity. It should be noted that the accumulation did not occur within a private process of development. The State was the major agent responsible for investing resources in investment. A large part of those resources were obtained from the international financial system and later that indebtedness became responsible for part of the fiscal crisis of the 1980's. Investment was made in technological research (Embrapa System), in grain drying and storage (Cibrazem) and in regional development programmes (Polocentro, Polonordeste, Polonoroeste, Calha Norte etc.).

With regard to agriculture, there is an agricultural policy where the State, in addition to providing resources for the above investments, operates directly in the agricultural credit and marketing system (SNCR, PGPM and Cobal), indirectly through a wide ranging system of regional tax incentives (Sudene, Sudam, pin-Proterra), and uses tariff and trade policy in order to consolidate the industry of modern inputs and strengthen enhance agribusiness exports, by discriminating against the export of raw agricultural products."

[Quelle: http://www.mre.gov.br/cdbrasil/itamaraty/web/ingles/economia/agric/credrur/index.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]


3. Zuckerrohr (Saccharum officinarum) (cana-de-açúcar)



Abb.: Zuckerrohr
[Bildquelle: http://www.envolverde.com.br/fotos/6702.jpg. -- Zugriff am 2005-12-21]


Abb.: Produktion und Verbrauch von Zucker in ausgewählten Ländern
[Bildquelle: http://www.learn-line.nrw.de/angebote/agenda21/daten/weltagrarmarkt.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

"Der Mythos der Monokultur : Fragen an die brasilianische Zuckerindustrie

von Ingo Melchers

João Cabral de Melo Neto hat 1955 in seinem berühmten Epos „Tod und Leben des Severino“ [Morte e Vida Severina] den Weg des Landflüchtlings mit dem Allerweltsnamen Severino beschrieben, den zunächst naiven und dann tief verzweifelten Migranten aus dem trockenen Sertão, der sich auf den Weg und auf die Suche nach Arbeit und Leben macht. Als er – nahe der Küste – das feuchte Klima und die feuchte, weiche Erde und die überschießende Vegetation wahrnimmt, da glaubt er sich am Ziel seiner Reise. Überall sieht er Zuckerrohr, nur Zuckerrohr. Und er sieht fast niemanden arbeiten und denkt sich, das Land sei wohl so fruchtbar, dass die Menschen hier nicht jeden Tag des Monats und nicht alle Monate des Jahres und nicht alle Jahre des Lebens arbeiten müssen. Doch bald schon merkt Severino, dass der süße Reichtum der Zuckerregion nur sehr wenigen zugute kommt und ansonsten auch hier nur bittere Armut und nicht das von ihm ersehnte Leben herrscht. Die Erzeugung von Zuckerrohr und seiner Folgeprodukte hat sich im Brasilien der vergangenen Jahre verändert und modernisiert. Der folgende Beitrag fragt nach der brasilianischen und internationalen Zucker- wie Bioethanolkonjunktur und ihrer möglichen Auswirkungen auf die sozialen Auseinandersetzungen.

Das Zuckerrohr hat seit fast 500 Jahren etwas wie eine mythische Macht. Das in der Zeit und in der Fläche ewige Zuckerrohr, die monströsen Zuckerfabriken, die Sklaverei, die Unterbeschäftigung und elendige Bezahlung für körperliche Schwerstarbeit, die ausgemergelten 30-Jährigen, die wie 60 aussehen, etwas, gegen das sich zu wehren sinnlos schien. Und wenn es versucht wurde, hat es immer Polizei, Militär, Anwälte oder auch private Kommandos gegeben, die den Zuckerherren dienstbar und ergeben waren. Zu dem Mythos gehört auch, dass es keine landwirtschaftliche Alternative zum Zucker geben soll. Das Zuckerrohr reicht bis an die Baracken der Arbeiter heran, die meisten wissen kaum, wie Bohnen, Reis oder Yucca oder Yam angebaut werden, von Tierhaltung verstehen sie wenig und sie sind keine Bauern, die es gewöhnt sind unternehmerische Entscheidungen zu treffen, weil sie nur Zuckerrohrschneiden kennen und nur dafür bezahlt werden, und das auch nur für vier oder sechs Monate pro Jahr, wenn sie Glück haben.


Abb.: ®Logo der CPT

Alternativen denken ist ein Wagnis. Geld und Arbeitskraft in etwas Unbekanntes zu investieren kann morgen Hunger bedeuten. Viele, die Zugang zu einem Flecken eigenes Land haben, produzieren daher häufig wiederum Zuckerrohr und liefern es bei der alten Fabrik ab. Es ist das einzige Produkt, von dem sie wissen, wie es erzeugt, und vor allem, wie es vermarktet wird. Die Monokultur auf dem Land und in der Agrarpolitik und in den Köpfen. Die, die Alternativen denken und umsetzen wollen, wie die Landlosenbewegung MST und die Landpastoral CPT [Comissão Pastoral da Terra], wollen mit der Oligarchie auch das Zuckerrohr entmachten, wollen Diversifizierung der Kulturen, wollen Grundnahrungsmittel zur Abschaffung des Hungers mit dem Anbau von Marktfrüchten mischen. Aber die wenigen Techniker, die zur Verfügung stehen, sind meist nicht ausreichend qualifiziert um auf den vom Zucker ausgelaugten Böden etwas anderes anzubauen, wissen nicht, welche Methoden notwendig sind um die Bodenfruchtbarkeit langfristig zu verbessern. Und die öffentlichen Förderbanken sind unflexibel und verschreiben nicht-angepasste Technik- und Produktpakete und geben oft die Kredite erst frei, wenn die Aussaatzeit vorbei ist.

Einige Nichtregierungsorganisationen arbeiten an Agroforstsystemen, die MST realisiert den Anbau von Heilpflanzen und tastet sich in ihren Ansiedlungen an ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Alternativen heran, einiges davon mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Ein Förderprogramm der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IBD) sieht 18 Millionen US-Dollar für die Diversifizierung der landwirtschaftlichen und nichtlandwirtschaftlichen Aktivitäten vor. Eine systematische Förderung und Absicherung von alternativen Formen der Bodennutzung in der Zuckerrohrregion im Nordosten durch eine abgestimmte Agrarpolitik ist jedoch nicht erkennbar.

Seit Jahren wird der Krise des Zuckerrohrs im Nordosten das Wort geredet. Schon als Cabral sein Werk über Severino schrieb, überholte der Bundesstaat São Paulo den historischen Zuckerproduzenten Pernambuco und danach fiel der Nordosten immer weiter zurück. 

Während São Paulos Zuckerproduzenten modernisierten, mechanisierten und die Produktion ausdehnten, nahmen ihre Kollegen im Nordosten wie gewohnt Kredite auf, selten in der Absicht, diese zurückzuzahlen, und nicht immer, um tatsächlich in die Produktion zu investieren. Bis heute erhalten die Zuckerproduzenten im Nordosten dank ihres politischen Einflusses auch in der fernen Hauptstadt Brasília die so genannte Preisangleichung, eine Subvention, die die höheren Kosten gegenüber produktiveren Regionen in Brasilien ausgleicht. Keine andere Kultur demonstriert krasser die historische Verbindung von Landbesitz und politischer Macht als eben das Zuckerrohr, wenngleich der Staat ab 1997 seine Intervention zugunsten der Zuckerproduzenten und –industrie deutlich reduziert hat. 

1975 legten die Militärs das Proalkohol auf, das Programm zur Produktion von Alkohol als Biokraftstoff, um das nach dem Ölschock teuer gewordene Benzin zu ersetzen. 1986 hatten nach Angaben des Automobilverbandes ANFAVEA 76% aller in Brasilien produzierten Kraftfahrzeuge (einschließlich LKW) Alkohol-Motoren. Die Agonie des Zuckerrohrs und das Leiden der Severinos und der Severinas fand wiederum keinen Ausweg. Im Jahr 2000 hatte der Anteil der erzeugten Alkoholmotoren mit unter einem Prozent seinen Tiefpunkt erreicht. Die Experten kündigten das nunmehr endgültige Ende des Zuckers an. Beschäftigungsalternativen müssten geschaffen werden zu einem Zeitpunkt, als die Arbeitslosigkeit weiter angestiegen war und der Index für menschliche Entwicklung in der Region den vieler afrikanischer Länder unterbot und die Schulden der Zuckerproduzenten ins Unermessliche gestiegen waren. Allein bei der Sozialversicherung haben 25 große pernambucanischen Zuckerproduzenten und Destillierfabriken mindestens 362 Millionen Reais (ca. 120 Mio. Euro) Schulden, nicht abgeführte Sozialabgaben. 
Welche Perspektiven haben das brasilianische Zuckerrohr und seine Derivate?

Präsident Lula hat bereits vor seiner Wahl gesagt, dass der „alte Diskurs” von den Zuckerherren, die ihre Schulden nicht zurückzahlen, nicht in alle Ewigkeit wiedergekäut werden solle. Die industrielle Verarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe biete Brasilien die Chance, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, und das Zuckerrohr und seine Folgeprodukte dürften da nicht ausgenommen werden. Und in der Tat hat in großen Teilen der brasilianischen Zuckererzeugung eine administrative und ökonomische Modernisierung stattgefunden, insbesondere in São Paulo und anderen südlichen und zentralen Bundesstaaten. Der Staat fungiert nicht mehr als der totale Preis- und Abnahmegarant, wie es zu Zeiten des Proalkohol und eigentlich zu allen Zeiten war. 

Es ist richtig, dass die Kosten der Zuckerproduktion im Nordosten mit ca. 300 US-Dollar pro Tonne fast doppelt so hoch sind wie in São Paulo, aber immer noch deutlich billiger als in der Europäischen Union mit 480 bis 710 US-Dollar (Agroanalysis, vol 23). Und hier, hauptsächlich in Frankreich und Deutschland, liefern sich Zuckerrübenerzeuger und die Zucker verwendende Industrie seit Jahren eine Schlacht der Lobbyisten. Die EU-Zuckermarktordnung mit ihren Quoten, produktions- und exportstimulierenden Subventionen ist erst einmal bis Ende Juni 2006 verlängert, aber das mag vielleicht der letzte Sieg der Rübenbauern sein. Global Alliance, ein potenter internationaler Lobbyverband, sowie die meisten Entwicklungsländer (außer den ehemaligen europäischen Kolonien Afrikas, der Karibik und des Pazifik, kurz AKP-Staaten) und Australien machen in der WTO Druck zugunsten einer deutlichen Reduzierung der Zuckersubventionen.

Das Infozentrum Zucker, ein Lobbyverband der deutschen Lebensmittelindustrie, gibt an, dass von den 2,8 Mio Tonnen Zucker, die in Deutschland jährlich konsumiert werden, lediglich 22 Prozent in die Haushalte gehen, der Rest findet in der Lebensmittelindustrie Verwendung. 26 Prozent allein in die Erzeugung von alkoholfreien Getränken. Zucker repräsentiert hier 10-15 Prozent des Verkaufspreises und es ist denkbar, dass Coca-Cola den Zucker aus Brasilien für 200 bis 300 US-Dollar dem europäischen für 500 bis 700 US-Dollar pro Tonne vorzieht. Der Selbstversorgungsgrad in der EU liegt bei etwa 130 Prozent, die entsprechenden Überschüsse werden subventioniert auf dem Weltmarkt abgesetzt. Es gibt mehr Interessen als gute Argumente um die Zuckermarktordnung in der bisherigen Form auch nach 2006 beizubehalten.

Die Studie über die Neuordnung des europäischen Zuckermarktes auf Brasilien, die von FIAN und GTZ in Auftrag gegeben wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Zuckerproduktion im brasilianischen Nordosten mit ihren meist veralteten Anlagen und dem hügeligen Anbaugebiet, das eine Mechanisierung kaum zulässt, keine Perspektiven habe. Vielleicht. Aber werden die alten und die modernisierten „Grundherren” in Pernambuco und Alagoas das ebenso sehen? Werden sie nicht ihren Anteil der sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene insgesamt doch viel versprechenden Konjunktur beanspruchen wollen? 

1997 wurde das Kyoto-Protokoll unterzeichnet, das unter anderem den Handel mit CO2-Emissionsrechten in die Debatte wirft. Reiche Länder mit hohem CO2-Ausstoss sollen demnach Kohlenstoff-Reduktions-Projekte in armen Ländern finanzieren, um sich ihren hohen Energie-Konsum zu erkaufen. Das Zuckerrohr wittert eine weitere Chance. Französische, deutsche und andere Konzerne kaufen sich in Brasilien in die Zucker- und Bioethanolproduktion ein, große Ölkonzerne beginnen ohnehin in alternative Energiequellen zu investieren. Brasilien scheint prädestiniert hier eine Vorreiterrolle zu spielen. Ein riesiger Markt, der bereits breite Erfahrung mit Alkohol betriebenen Autos hat. VW bietet als erster Autokonzern in Brasilien die sogenannte Flex-Fuel-Technologie an, die es erlaubt, dass ein Auto mit Benzin oder Bioethanol oder einer beliebigen Kombination beider Kraftstoffe angetrieben werden kann. Auf dem Johannesburger Umwelt-Gipfel unterzeichneten Deutschland und Brasilien 2002 eine Vereinbarung neuen Typs: Deutschland investiert 40 Mio Dollar zum Ankauf von Quoten zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen. Im Gegenzug verpflichtet sich die brasilianische Regierung zur Zahlung von 100 Millionen Reais, mit denen der Kauf eines alkoholbetriebenen Fahrzeugs mit je 1000 Reais subventioniert wird. Die Frage, ob dabei eine bestimmte Marke bevorzugt werden wird, kann niemand beantworten. 

Hinzu kommen neue oder alte Subventionen, Förderungen und internationale Konjunkturen. Die erlaubte Zumischung von Alkohol zum Benzin wird in Brasilien von 20 Prozent auf 25 Prozent erhöht. Und es werden wieder mehr Alkoholfahrzeuge gekauft, Tendenz deutlich und vermutlich schnell steigend. Am 28. Mai 2003 wurde entschieden, dass 500 Millionen Reais an Subventionen für die Lagerhaltung von Bioethanol für die beginnende Ernte bereitgestellt werden. Der Präsident des Verbandes der Zuckerrohrproduzenten von São Paulo, Eduardo Pereira de Carvalho, freut sich über den „risikofreien Vertrag”, denn die Vermarktung von 97 Prozent der zusätzlichen Produktion ist abgesichert. Die brasilianische Regierung will offensichtlich der Erfahrung von 1989 vorbeugen, denn damals haben die Produzenten ihr Alkoholangebot reduziert, weil die internationalen Zuckerpreise gestiegen waren und der Zuckerexport damit lukrativer war als die einheimischen Autos mit Bioethanol-Kraftstoff zu versorgen. 

Die Vorstellung ist bestechend und besticht offenbar auch: Brasilien ist ein Land, in dem der weit überwiegende Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen (Wasserkraftwerke) getätigt wird. Innerhalb einiger Jahre kann auch bei den Kraftstoffen für PKW in hohem Maß auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. Ihre Nutzung erfolgt ohne die Freisetzung fossiler Treibhausgase. Damit qualifiziert sich Brasilien politisch und umwelttechnisch für die Produktion und den Export eines hochmodernen Produktes. Kein Zweifel, auch ein attraktiver volkswirtschaftlicher Vorteil, muss doch Brasilien auf Teufel komm raus eine positive Handelsbilanz erzeugen. 

In den USA wird ab 2004 zur Erhöhung der Oktanzahl das MTBE (Methyl-Tertiär-Buthyl-Ether), ein umweltbelastender und – wie jüngste Studien ergeben – krebserzeugender Zusatzstoff im Benzin, durch Alkohol ersetzt werden, was die Nachfrage nach Bioethanol sicher erhöhen wird. Zwar sitzen auch die US-Produzenten (Bioethanol aus Mais) in den Startlöchern, aber werden sie den gesamten Bedarf abdecken? Und werden sie sich langfristig gegen Importe aus anderen Ländern abschotten können? In Brasilien wird der Liter Bioethanol für 0,19 US-$ erzeugt. In den USA für 0,33 und in Europa für 0,55 US-$. Und so kommt auch ein im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) erstelltes und im Mai 2003 vorgestelltes Gutachten zu dem von Skeptikern bereits erwarteten Ergebnis: Ein Blick auf den wirtschaftlichen Kontext zeigt, dass zwar der Bedarf an Ethanol unter den veränderten Rahmenbedingungen erheblich steigen wird, seine Produktion jedoch in der EU zu kostspielig sei. Beim momentanen Rohölpreis von ca. 25 $ je Barrel sei Bioethanol etwa zwei- bis dreimal so teuer wie herkömmlicher Ottokraftstoff. 

In Deutschland werden zur Zeit etwa 450 000 Tonnen MTBE dem Kraftstoff zugesetzt, die durch ca. 200 000 Tonnen Ethanol ersetzt werden könnten, informiert die KVG, ein Biokraftstoff-Unternehmen. Eine sehr niedrige Menge, wenn nicht nur die Zumischung von Bioethanol zu Benzin, sondern die Möglichkeit berücksichtigt wird, dass er den fossilen Kraftstoff an der Zapfsäule zumindest partiell ersetzen kann.

Der internationale Handel mit Bioethanol steckt noch in den Kinderschuhen, doch aus einem Nischenmarkt kann sich in vergleichsweise kurzer Zeit ein großer Zukunftsmarkt entwickeln. Die Steuerbefreiung für Biokraftstoffe in Deutschland und die EU-Biokraftstoff-Richtlinie, die einen Zielwert von 5,75 Prozent Marktanteil für grünes Benzin bis zum Jahre 2010 vorsieht, weisen in diese Richtung. Nicht von der Hand zu weisen ist dabei die Möglichkeit, dass die Subventionen für die europäische Landwirtschaft sich auf diese neuen Produkte und die Beitrittsländer ausdehnen könnten und den Produzenten anderer Länder damit den Zugang erschweren oder verweigern. Konkret denken Interessenverbände bereits darüber nach, wie ethische Argumente gegen die Bioethanol-Erzeugung aus Roggen widerlegt werden können.

Entwicklungspolitische Aktionsgruppen wie FIAN und die BUKO-Agrarkoordination sowie Entwicklungstheoretiker fordern seit langem die Rückführung der produktions- und exportstimulierenden Subventionen in den USA und der EU, um den Produzenten aus Entwicklungsländern – und hier wird jeweils explizit der Zucker aus Brasilien erwähnt – einen größeren Anteil an den Internationalen Agrarmärkten zu garantieren. Eine Reduzierung der Zucker-Subventionen würde vermutlich weltweit, zumindest aber in Europa und den USA, zu einem Rückgang der Konsumentenpreise führen. In Brasilien zunächst wohl eher zu einer Stabilisierung althergebrachter Machtverhältnisse. Und zu einer Schwächung der Bemühungen der sozialen Bewegungen auf dem Land um soziale, ökologische und ökonomische Alternativen.

Wenn die Richtung der hier grob skizzierten Vermutungen zu Perspektiven der brasilianischen Zuckerwirtschaft stimmt, dann wird dies über kurz oder lang Auswirkungen auf die Art und Zielsetzung der sozialen Auseinandersetzungen in der Zuckerregion des brasilianischen Nordostens haben. Betriebswirtschaftlich bedeutet dies, dass durch höhere Preise die relative Vorzüglichkeit des Zuckers gegenüber den – meist zumal unsicheren – anderen Produkten steigt. Ein verstärkter Anbau von Zucker und eine De-Stimulierung der Alternativen ist die Folge. Viele Zuckerfabriken sind in Pernambuco in den letzten zehn Jahren geschlossen worden, meist mit immensen Schulden, andere haben in neue und hochmoderne Anlagen investiert. 

Nach dem Vorbild der sog. „Usina Catende” könnten erstens Gewerkschaften oder die Landlosenbewegung in anderen Fabriken die Erklärung eines Konkurses anstreben, weil in einem solchen Fall die aufgelaufenen Ansprüche der ArbeiterInnen Priorität vor denen der Banken und Zulieferer haben. Politische Verhandlungen, öffentliche Investitionsförderung und intensive Basisarbeit könnten dann dazu führen, dass die alten Fabriken durch Selbstverwaltung der ArbeiterInnen weitergeführt oder wieder neu betrieben werden, weil oft die aufgelaufenen Ansprüche der ZuckerarbeiterInnen so hoch sind wie der Restwert der zu erwartenden Konkursmasse.

Zweitens könnte in diesen „Usinas” – ebenfalls nach dem Vorbild von Catende – neben dem Hauptprodukt Zucker eine allmähliche Diversifizierung der landwirtschaftlichen Kulturen und verstärkte Bodenkonservierung erfolgen. 

Wo der Großgrundbesitz in der Zuckerregion nicht genutzt wird, muss drittens das Verfassungsgebot der Enteignung unproduktiven Grundeigentums entschieden zum Einsatz kommen, um die Sozialbindung des Landbesitzes zu garantieren. Dort, wo modernisierte Zuckerrohrproduzenten sich in die Konjunktur einklinken, produzieren und Arbeitskräfte einstellen, werden sich die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen und Lohnkämpfe gegenüber den Jahren des Niedergangs und steigender Arbeitslosigkeit von 1998 bis 2002 vermutlich verbessern. 

Der Justizapparat, traditionelle Domäne des Zuckers, muss viertens dringend und radikal modernisiert werden. Die anstehenden Verfahren zu Konkurs, Enteignung und Erfüllung der verfassungsmäßigen Rechte der Arbeiter müssen spürbar beschleunigt werden. Insbesondere die traditionelle Straflosigkeit bei politisch motivierten Gewalttaten gegen Führungspersonen der sozialen Bewegungen muss beendet werden. 

Und schließlich muss die Politik in Brasília all dies mittragen und aktiv unterstützen. Die Zuckerbarone, die sich in „normale” Zuckerunternehmer verwandelt haben, werden von der Politik nicht eingeschränkt, sondern begünstigt. Die anderen muss die Kraft der programmatischen brasilianischen Verfassung zugunsten einer Agrarreform treffen, um den alten Traum Severinos zu realisieren. 

Ist eine solche Perspektive des Zuckers ohne Barone möglich?"

[Quelle: Ingo Melchers. -- In: ila. -- 266 (2003). --  http://www.ila-bonn.de/artikel/266mythosmonokultur.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

"Ohne Eigentümer geht es besser : Eine von der Gewerkschaft verwaltete Zuckerfabrik  im Nordosten Brasiliens

von Gert Eisenbürger

Der Nordosten gilt als das Armenhaus Brasiliens. Die Region, in der es den Menschen am schlechtesten geht, ist aber keineswegs die riesige Dürreregion des Sertão, sondern die regenreiche „Zona da Mata“, der 50-70 Kilometer breite Küstenstreifen. Zur Überwindung von Armut und Elend – so predigen es seit Jahr und Tag die Modernisierer – gelte es Regionen in den Weltmarkt zu integrieren und ihre Exportkapazitäten zu entwickeln. Genau dies wird in der Zona de Mata praktiziert – und nicht erst neuerdings: Seit dem 17. Jahrhundert wird dort Zuckerrohr für den Weltmarkt angebaut. Wohlstand hat das der Region nicht gebracht, nur einigen Zuckerbaronen. Den Menschen, die dort absolut weltmarktintegriert leben und arbeiten, fehlt es am nötigsten. Laut Informationen der in der Zona da Mata sehr aktiven Landlosenbewegung MST geht aus alten Dokumenten hervor, dass die Menschen dort vor 400 Jahren im Durchschnitt zehn Zentimenter größer waren als heute. Die ständige Unterernährung habe bewirkt, dass ihre Körpergröße kontinuierlich zurückging. Zucker und Hunger sind Begriffe, die im Nordosten Brasiliens nicht voneinander zu trennen sind. Damit wollen die ArbeiterInnen der Usina Catende, einer Zuckerplantage und -fabrik in der Zona da Mata, Schluss machen.


Abb.: Lage von Catende
(©MS Encarta)

Zuckerproduktion in der Zona da Mata heißt normalerweise, dass Großgrundbesitzer eine Usina [Fabrik] betreiben, eine mehrere tausend Hektar große Zuckerrohrplantage samt einer Fabrik zur Herstellung des Zuckers. Für eine Usina arbeiten tausend und mehr feste ArbeiterInnen auf den Feldern und in der Fabrik, dazu kommen in der insgesamt sechs Monate dauernden Zafra (Ernte) noch einmal ebenso viele ZuckerohrschneiderInnen, die tage- oder wochenweise angestellt werden. Bei den Beschäftigten gibt es klare soziale Hierarchien. Ganz unten sind die SaisonarbeiterInnen, darüber stehen die festangestellten LandarbeiterInnen und über ihnen die FabrikarbeiterInnen. „Soziale Hierarchien“ bedeutet hier Ausdifferenzierungen im Ausmaß der Armut und des Elends. 

Die saisonal beschäftigten ZuckerrohrschneiderInnen haben außerhalb der Erntezeit kaum andere Möglichkeiten, Arbeit zu finden. Da es für sie keine Arbeitslosenunterstützung gibt, bedeutet das über Monate Mangelernährung für die ganze Familie. Die festangestellten LandarbeiterInnen verdienen in der Regel einen Mindestlohn, der bei etwa 200 Reais (ein Euro entspricht ungefähr zwei Reais) liegt. Bei einem Preisniveau, das nur zwanzig bis dreißig Prozent unter dem Deutschlands liegt, kann man sich leicht vorstellen, dass auch das nicht für eine ausgewogene Ernährung reicht, sondern nur für die regelmäßige Portion Reis und Bohnen, vielleicht etwas Maniok oder nährstoffarmes Weißbrot. Gemüse, Milch oder Fleisch sind unerschwingliche Luxusartikel. Der Lohn der FabrikarbeiterInnen liegt um einige Prozent höher, aber auch das reicht kaum für das Nötigste.

Wirklich privilegiert sind nur die Besitzer und einige höhere Angestellte. Die Usina Catende, um die es in diesem Artikel geht, unterhielt bis Mitte der neunziger Jahre ein Büro für die Vermarktung in Recife, der Hauptstadt des Bundesstaates Pernambuco. Dort waren sechs Angestellte beschäftigt, die alle jeweils 30 000 (dreißigtausend!) Reais im Monat verdienten, also 150-mal soviel wie ein festangestellter, also „privilegierter“ Landarbeiter. Doch das ist in Usina Catende heute anders. Die leitenden Angestellten in Recife verdienen deutlich weniger, die LandarbeiterInnen leben etwas besser. Der Grund hierfür liegt in einem Umstand, der normalerweise ArbeiterInnen nichts Gutes verheißt: einem Konkurs. Bei der Usina Catende eröffnete er die Perspektive auf ein besseres Leben.

Am 3. Januar dieses Jahres besuchten wir den 140 Kilometer westlich von Recife gelegenen außergewöhnlichen Betrieb. Auf dem Hinweg durch hügeliges Gelände, rechts und links der Strasse nur grünes Zuckerrohr. Monokultur soweit das Auge reicht. Dazwischen, selten, ein paar Weideflächen für Kühe.


Abb.: Lenivaldo Marques da Silva Lima, 2004
[Bildquelle: http://www.gonterre.com/catende/. -- Zugriff am 2005-12-21]

In der Usina erwarten uns Lenivaldo Marques da Silva Lima und Marivaldo Silva de Andrade. Lenivaldo gehört zu einer Gruppe von Beratern, die wirtschaftliche und soziale Projekte sowie Bildungsmaßnahmen in der Usina entwickeln und betreuen und von der Betriebsleitung bei Planungsvorhaben konsultiert werden. Marivaldo vertritt die Gewerkschaftsbewegung in der Betriebsleitung. Lenivaldo macht uns mit der Geschichte der Fabrik vertraut: „Die Usina ist schon mehr als 100 Jahre alt. Zu dem Komplex gehören aktuell 26 000 Hektar Land, früher waren es auch schon mal 70 000 Hektar. In den sechziger und siebziger Jahren hatte die Usina Catende 5000 Beschäftigte und die größte Zuckerproduktion in ganz Lateinamerika.“ Dann ging es mit dem Betrieb bergab. Die Gründe waren durchaus auch hausgemacht. Die Eigentümer zogen im großen Umfang Geld aus der Usina und investierten nichts mehr.

 Aber es gibt auch eine strukturelle Krise der Zuckerwirtschaft im Nordosten. Zucker wird nämlich auch im Südosten Brasiliens, im Bundesstaat São Paulo produziert. Im dortigen Flachland ist die Ernte weitgehend mechanisiert, das Zuckerrohr in der hügeligen Zona da Mata muss von Hand geschnitten werden. Entsprechend liegen die Produktionskosten im Bundesstaat São Paulo niedriger. Aufgrund ihres großen politischen Einflusses in der Hauptstadt Brasília und wegen der wirtschaftlichen Rückständigkeit des Nordostens erreichten die Zuckerbarone aus der Zona da Mata Subventionen für ihre Zuckerproduktion. Allerdings wurden diese Zuwendungen in den achtziger Jahren gekürzt. Die Folgen waren Betriebsstilllegungen und Massenentlassungen. Davon waren auch die Beschäftigten der Usina Catende betroffen, berichtet Lenivaldo: „In der Zona da Mata wurden seit den achtziger Jahren dreizehn Usinas geschlossen und die Arbeiter standen immer mittellos da – ohne Entschädigung. Im August/September 1993 entließ auch die Usina Catende 2300 LandarbeiterInnen. Damals begann die gewerkschaftliche Mobilisierung, um eine Entschädigung der KollegInnen durchzusetzen.“

Klatschspalte als Mobilisierungsinstrument

Die Eigentümer der Usina weigerten sich, den Entlassenen Entschädigungen zu bezahlen. Es sei kein Geld da, die Zeiten seien schlecht, so ihre lapidare Begründung. Ende 1994 rief die Gewerkschaft zur Besetzung der Usina auf. Viele KollegInnen hatten Angst, sich an einer solchen Aktion zu beteiligen. Dass sie es dann doch wagten, war u.a. der Klatschspalte einer Tageszeitung aus Recife zu verdanken. Dort wurde nämlich breit und mit Fotos von einer mondänen Silvesterparty im exklusivsten Hotel der Stadt berichtet. Eine Großaufnahme zeigte die Schampus schlürfenden Eigentümer der Usina Catende unter den Festgästen. „Dieser Bericht war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, erinnert sich Lenivaldo. Zu Weihnachen und zum Jahreswechsel herrschte bei den entlassenen ArbeiterInnen die blanke Not. Nicht einmal an den Festtagen kam etwas Richtiges auf den Tisch.


Abb.: Usina Catende, 2004
[Bildquelle: http://www.gonterre.com/catende/. -- Zugriff am 2005-12-21]

Im Laufe ihres Kampfes stellten die KollegInnen fest, dass die Usina Catende bankrott war. Zudem hatten die Eigentümer nicht nur keine Entschädigungen bezahlt, sondern über Jahre auch die tariflichen Sozialleistungen für die Beschäftigten nicht entrichtet. Die bei der Belegschaft aufgelaufenen Schulden lagen höher als der Verkehrswert des Unternehmens. Dazu kamen noch die Verbindlichkeiten bei Banken und Zulieferern. Die Gesamtverschuldung umfasste ungefähr eine Milliarde Reais, davon allein bei der Banco do Brasil 470 Millionen. 1995 beantragten die VertreterInnen der Belegschaft beim Gericht, den Konkurs des Unternehmens zu erklären. Die Justiz folgte dem Antrag und eröffnete das Konkursverfahren. Francisco Mendoza, ein Ingenieur der Usina, verdeutlicht, dass das keine Selbstverständlichkeit war: „Das ist in ganz Pernambuco die einzige Usina, die formell in Konkurs gegangen ist. Und zwar auf Initiative der Arbeiter. Deren Organisation hat dazu beigetragen, dass der Konkurs erklärt und gerichtlich festgestellt wurde. Damit greift das Konkursrecht. Üblicherweise läuft es hier so, dass die Zuckerbarone Kredite genommen, das Geld woanders investiert oder einfach ihren Luxuskonsum damit finanziert haben. Ist eine Usina bankrott, werden das Land und die Anlagen verkauft. Die Eigentümer machen die Fliege, die Arbeiter stehen mit leeren Händen da. Das ist die gängige Art und Weise, mit der Zuckerkrise umzugehen.“

Nun gibt es – und hier wird die Sache spannend – im brasilianischen Konkursrecht eine Klausel aus der Regierungszeit des populistischen Präsidenten Getúlio Vargas, nach der beim Konkurs eines Unternehmens aus der Konkursmasse zunächst die Ansprüche der Beschäftigten zu entschädigen sind und erst danach die Ansprüche der übrigen Gläubiger. Da aber die Ansprüche der ArbeiterInnen schon über dem Verkehrswert des Unternehmens liegen, bedeutet dies im Prinzip, dass die Usina ihrer Belegschaft gehört. Im Prinzip, denn ganz so einfach ist es nicht: Die Beschäftigen sind kein kollektives Subjekt, sondern jeder einzelne Arbeiter und jede einzelne Arbeiterin muss individuelle Ansprüche wegen der nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge und der Entschädigungen geltend machen.

Die KollegInnen waren sich zunächst auch keineswegs einig, wie es nach dem Konkurs weitergehen sollte. Die Usina in eigener Regie weiterzuführen kam vielen völlig unrealistisch vor. Sie wollten lieber eine Abfindung, in der Hoffnung damit in einer größeren Stadt der Region oder gleich im „reichen“ Südosten mit den Metropolen São Paulo, Rio oder Belo Horizonte neu anzufangen. Am Ort gab es keine alternativen Arbeitsmöglichkeiten. Die unsicheren Perspektiven anderswo und kaum Aussicht auf kurzfristige Entschädigungszahlungen veranlassten sie schließlich zu bleiben. Konkursverfahren sind in Brasilien eine langwierige Sache. Alle Gläubiger müssen ihre Ansprüche bei der Justiz anmelden, die dann prüft und entscheidet, wie und in welchem Umfang diese aus der Konkursmasse beglichen werden.

Zunächst einmal wurde die Usina Catende unter Zwangsverwaltung gestellt und ein Konkursverwalter eingesetzt, der vom größten Gläubiger, der Banco do Brasil, benannt wurde. Die Belegschaft schloss sich zu einer Gläubigergemeinschaft zusammen, um ihre Interessen gegenüber der Justiz, den Banken und den übrigen Gläubigern zu verteidigen. Die Produktion wurde weitergeführt, doch die Großgläubiger sahen darin – anders als die Gewerkschaft – nur einen Zwischenschritt, bis potente Käufer für das Land und die Anlagen gefunden würden. Entsprechend weigerte sich der Konkursverwalter, notwendigen Investitionen zuzustimmen, und versuchte stattdessen, wichtige Maschinen und Anlagen zu verkaufen. Als sich der Konflikt zwischen Konkursverwalter und Gewerkschaft zuspitzte, schaltete sich die damals sozialdemokratische Regierung des Bundesstaates Pernambuco ein. Unter Vermittlung des Gouverneurs wurde ein neuer Konkursverwalter, Mario Borba, bestimmt. Borba, schon lange in der Zuckerwirtschaft tätig, wollte ebenso wie die Gewerkschaft die Usina Catende langfristig weiterführen.

Marivaldo, der Gewerkschaftsdelegierte, dazu: „Die schwierige Zeit war 1995/96, als man erst mal sehen musste, wie man das Ding am Laufen hält und wie es weitergehen könnte. Erst einmal ging es darum, die Arbeitsplätze zu bewahren, das waren fünfhundert in der Fabrik und tausend auf dem Feld, dazu kommen die der zwölf- bis dreizehnhundert Zuckerrohrschneider, die während der Ernte eingestellt werden.“ Und -schneiderinnen oder überhaupt Arbeiterinnen, fragen wir. Lenivaldo meint, es gebe Frauen in der Verwaltung und einige wenige auf den Feldern. Vor der Zuckerkrise waren es mehr Landarbeiterinnen, aber im Zuge der Krise entließen die Eigentümer vor allem „teurere“ Beschäftigte. Dazu gehörten vor allem die Frauen wegen ihres Anspruchs auf Mutterschutz.

Als die Fortführung der Produktion gesichert und mit der Bestellung des neuen Konkursverwalters erstmals so etwas wie eine Perspektive gegeben war, begann man mit den ersten Schritten zur Umgestaltung der Usina. Priorität hatten dabei zwei Vorhaben, wie Lenivaldo berichtet: „1997 begannen wir zwei Projekte: Nahrungsmittelsicherheit, weil die Ernährungslage – vor allem außerhalb der Erntezeiten – sehr schlecht war, und eine Alphabetisierungskampagne. Zur Ernährungssicherung der Beschäftigten wurde vor allem in die familiäre Landwirtschaft investiert, was traditionell verboten war. Die LandarbeiterInnen durften – unter Androhung von Gefängnis – nichts für den Eigenbedarf anbauen, nicht einmal einen Garten haben.“

Konkret sieht das so aus: Auf dem größten Teil der Fläche wird weiterhin Zuckerrohr angebaut, die ArbeiterInnen werden entsprechend dem Tarifvertrag, d.h. mit etwas mehr als einem Mindestlohn, bezahlt. Dazu wurde allen Feldarbeitern ein Stück Land zur freien Verfügung zugeteilt. Die Usina stellte dafür 3000 Hektar zur Verfügung, bei 1000 angestellten Landarbeitern entspricht das etwa drei Hektar pro Arbeiter bzw. Familie. Gleichzeitig wurde die Leistungsnorm gesenkt. Im Zuckerrohranbau werden die ArbeiterInnen traditionell nach Akkord bezahlt. Laut Lenivaldo und Marivaldo braucht ein durchschnittlicher Arbeiter nach den neuen Normen vier Stunden, um den Tariflohn zu erreichen. Den Rest des Tages könne er die eigene Parzelle nach Gutdünken bewirtschaften. Manche pflanzen Grundnahrungsmittel wie Bohnen, Mais oder Maniok an, andere Zuckerrohr. Denjenigen, die Cana anpflanzen, garantiert die Usina die Abnahme. Laut Lenivaldo lässt sich damit noch einmal ein Mindestlohn verdienen, fast eine Einkommensverdoppelung im Vergleich zu früher. Dies sei für viele attraktiver als die Subsistenzproduktion von Nahrungsmitteln. Immer mehr Landarbeiter pflanzen auch auf ihrer privaten Parzelle nun Cana – durchaus im Interesse der Usina, die so die Kapazitäten der Fabrik besser auslastet. Die Nutzung der privaten Parzellen führte aber auch zu Widersprüchen in der Belegschaft. Die Individualparzellen werden nur LandarbeiterInnen zugeteilt. Diese verdienen dadurch jetzt mehr als die einfachen Fabrikarbeiter, die traditionell besser gestellt waren. Dies schaffe Unmut.


Abb.: Usina Catende
[Bildquelle: http://www.bb.com.br/appbb/portal/bb/unv/pub/FasciculoFZ.jsp. -- Zugriff am 2005-12-21]

Wir fragen nach der Haltung der höheren Angestellten gegenüber den neuen Verhältnissen in der Usina. Machten sie mit oder sind sie gegangen? „Am Anfang sind außer der Direktion alle geblieben“, meint Lenivaldo. „1997/98 hatten wir dann aber große Probleme mit dieser mittleren Leitungsschicht, besonders in der Fabrik. Da wurden 90 Funktionäre entlassen, vor allem die mit sehr hohen Gehältern. Es hatte auch Fälle von Korruption gegeben, wo Zucker entwendet oder beiseite geschafft worden war. Im Zuge der Neustrukturierung wurden die Gehälter der höheren Angestellten stark reduziert. Dies galt besonders für das Büro in Recife (s.o.). Heute wird mit dem Geld, das früher nur für das Büro in Recife ausgegeben wurde, die gesamte Verwaltung in der Fabrik bezahlt.“

Linke und rechte Kritik

Die Grundsatzentscheidung der Leitung der Usina, sprich dem Konkursverwalter und der Gewerkschaften bzw. Gläubigergemeinschaft, den großflächigen Zuckeranbau weiterzuführen und das Land nicht vollständig an die ArbeiterInnen zur individuellen Nutzung aufzuteilen, stieß innerhalb und außerhalb der Usina auf Kritik. Besonders die Bewegung der Landlosen MST sah darin die Festschreibung der alten Verhältnisse. Sie hält Zuckerrohranbau für ein grundsätzliches Problem. Sie kämpft für eine andere Landwirtschaft im Nordosten, in der sowohl die Eigentumsverhältnisse als auch die Produktion selbst verändert werden müssten. Dazu gehöre die Abkehr von der Zuckerwirtschaft, die historisch mit dem Erbe von Sklaverei und ländlichem Elend verbunden sei und heute wegen der weltweiten Überproduktion keine Zukunftsperspektive habe. Die Fortsetzung des Zuckerrohranbaus in Lohnarbeit auf den besten Flächen sei keine echte Alternative zum vorherigen Zustand.

Natürlich kam auch Widerstand von rechts, den alten Eigentümern und den anderen Zuckerbaronen. Die alten Besitzer, die die Usina über Jahrzehnte runtergewirtschaftet hatten, versuchten es mit einem alten Trick. Kurz vor der formellen Erklärung des Konkurses überschrieben sie die besten Böden und einen beträchtlichen Teil der Fabrikanlage an Strohmänner bzw. Familienangehörige. Damit sollten die Filetstücke der Usina aus dem Konkursverfahren herausgehalten werden. Natürlich wollten sie die nicht etwa wieder bewirtschaften, sondern der Agrarreformbehörde zum Kauf anbieten, d.h. ordentlich absahnen. Die Gläubiger legten umgehend Widerspruch gegen dieses Manöver ein, aber das Verfahren ist noch anhängig. Zwar gab die Justiz der Konkursverwaltung ein kommissarisches Nutzungsrecht für dieses Land und die Anlagen, aber noch könnten die Ex-Besitzer Recht bekommen.

Diese unsichere Rechtslage bestätigte die Vorbehalte der MST gegen das Projekt der Weiterführung der Usina Catende durch die Gläubigergemeinschaft. Es kam zu einem schwierigen Konflikt: Die MST besetzte die von den alten Eigentümern beanspruchten Teile des Landes der Usina. Nur aufgrund Vermittlungsbemühungen auf höchster Ebene (nationale Leitung der MST, des Gewerkschaftsbundes CUT und der Arbeiterpartei PT) gelang es, den Konflikt runterzukochen und die MST zur Aufgabe der Besetzung zu bewegen.

Inzwischen – so erklärten uns Lenivaldo und Marivaldo – seien die Widersprüche ausgeräumt und die MST erkenne an, dass auf der Usina Catende etwas grundsätzlich Neues passiere.

Investitionen und Projekte

Die Leitung der Usina sieht derzeit keine Alternative zum Zucker. Die Zuckerproduktion finanziere alles, was sonst noch passiere. Dazu gehören Investitionen in Umweltschutz und die Erweiterung der Produktpalette durch Verarbeitung der großen bei der Zuckerproduktion anfallenden Abfälle, Ansätze zur Diversifizierung der Agrarproduktion durch Kaffeeanbau und Fischzucht und verschiedene Bildungsprojekte. Besonders in der Weiterverarbeitung des ausgepressten Zuckerrohrs, der Bargasse, sieht Borba erhebliche Perspektiven. In Cuba würden aus Cana neben Zucker 80 weitere Produkte hergestellt. In der Usina Catende gibt es in dieser Richtung schon einige Tests, z.B. zur Produktion eines Wachses, das in der Schwerindustrie eingesetzt wird. Es gab auch schon eine Anlage, um aus der Bargasse Tierfutter herzustellen. Auch sei der Kosmetikbereich angedacht. Diesbezüglich hätte es auch schon Kontakte mit kubanischen Experten gegeben.

Als wichtige Errungenschaft betonten all unsere Gesprächspartner die Investitionen in den Umweltschutz. Die Usinas erzeugen den zum Betrieb erforderlichen Strom in der Regel durch Verbrennung eines Teils der Bargasse selbst. Abgase und Russpartikel werden meist ungefiltert in die Luft gejagt. So war es früher auch in der Usina Catende. Als wir die Fabrik besichtigten, zeigten uns die Kollegen stolz die modernen Filteranlagen, die zu den ersten Investitionsvorhaben nach der Übernahme gehörten. Nach den letzten Tests sei der Schadstoffausstoß seit 1996 um 80 Prozent zurückgegangen. Früher war der Ort Catende immer total schwarz von den Russteilchen aus der Usina. Lenivaldo zitiert eine Bekannte: Früher fegte sie das Haus drei bis vier mal täglich und holte eine Schaufel Asche nach der anderen heraus. Jetzt mache sie das nur noch einmal in der Woche.

Der zweite wichtige Investitionsschwerpunkt, der nicht direkt der Aufrechterhaltung der Produktion diente, waren erhebliche Anstrengungen zur Bekämpfung des Analphabetentums. Vor der Übernahme seien bis zu 80 Prozent der Beschäftigten der Usina Analphabeten gewesen, inzwischen sei diese Zahl auf 30 Prozent zurückgegangen, so die optimistische Einschätzung Lenivaldos. Die Kinder gingen heute fast alle zur Schule gehen, früher hätten sie schon im Alter von sieben/acht Jahren auf den Feldern gearbeitet. Auf unsere Nachfrage, die Ursache für Kinderarbeit sei ja in der Regel, dass die Familien das Einkommen brauchen, erklärte er: „Die Familien können heute ohne Kinderarbeit überleben, weil die Eltern nicht mehr nur auf dem Feld arbeiteten, sondern auch zu Hause etwas anbauen können. Außerdem gibt es von der Usina eine finanzielle Unterstützung für die Familien, die ihre Kinder in die Schule schicken. Dafür hat sie sogar einen Preis der UNICEF als 'Freunde der Kinder' erhalten. Die Usina hat auch zwei Werksgebäude als Schulräume zur Verfügung gestellt. Die Einschulungsquote liegt inzwischen bei 98/99 Prozent. Die Analphabeten heute sind die Alten, aber auch hier konnte die Zahl erheblich gesenkt werden, so dass wir langfristig die Chance haben, die Analphabetenquote auf Null zu bringen.“

Bei der Bekämpfung des Analphabetentums seien auf Initiative der Usina verschiedene Akteure zusammenge- kommen: Die Usina habe Mittel und Räume zur Verfügung gestellt, die umliegenden Gemeinden und der Bundesstaat Pernambuco bezahlten die LehrerInnen für die Kinder und die Nichtregierungsorganisation „Centro Josué de Castro“ aus Recife organisiere die Alphabetisierungskampagnen für Erwachsene in den Comunidades. Bei der Verbesserung der Luftqualität und der Bekämpfung des Analphabetismus ist einiges erreicht worden, aber zur Lösung anderer dringender Probleme fehlen die Mittel. Konkursverwalter Mario Borba nennt vor allem den Gesundheitsbereich und die Versorgung mit Trinkwasser: „Es existiert kein Kanalisationssystem und es gibt für sehr viele Menschen hier praktisch kein vernünftiges Trinkwasser. Wegen der miserablen Qualität des Wassers sind 80 Prozent der Bevölkerung von einem Parasiten befallen. Schon die Kindern werden infiziert, wenn sie irgendwo baden oder Wasser aus Brunnen trinken. Der Parasit greift alle inneren Organe an und führt dazu, dass die Kinder einen dicken Wasserbauch bekommen. Es ist einfach notwendig, dass hier etwas passiert.“

Die Überschwemmung

Einen massiven Rückschlag für die Usina Catende bedeuteten die schweren Überschwemmungen im Juli, August und September des Jahres 2000 in der Region. Damals war man in allen Bereichen auf einem aufsteigenden Ast. Erstmals seit Übernahme der Usina schrieb man schwarze Zahlen. Die Überschwemmungen zerstörtem einen Teil der Investitionen und neu angeschafften technischen Ausrüstung, z.B. die Anlage zur Produktion von Viehfutter aus der Bargasse. Insgesamt entstanden Schäden in Höhe von drei Millionen Reais, sowohl an den Anlagen als auch den niedriger gelegenen Pflanzungen. An den Folgen leide man bis heute, sagt Mario Borba: „Das hat uns betriebswirtschaftlich zurückgeworfen, so dass wir jetzt wieder leicht in den roten Zahlen sind und Liquiditätsprobleme haben. Deshalb sind wir gezwungen, die Ernte im voraus zu verkaufen, wodurch wir 30 Prozent weniger erhalten.“

Verschärft wurde zudem die ohnehin prekäre Wohnsituation vieler Familien. Lenivaldo erzählt: „Die Situation nach der Überschwemmung war wirklich zum Heulen. Mehr als 100 Häuser sind im wahrsten Sinne des Wortes den Bach runter gegangen, mit allen Habseligkeiten, die die Leute besaßen.“ Generell sieht er in der Wohnsituation ein weiteres gravierendes soziales Problem: „Wir haben hier 3300 Häuser und 470 Lehmhütten. Die Häuser stammen noch aus der Sklavenhüttentradition. Das sind diese einfachen langen Reihenhauszeilen, wo, um Wände zu sparen, Häuschen an Häuschen gebaut ist. Das bedeutet natürlich eine große gegenseitige Lärmbelästigung und es gibt keine Möglichkeit, Gärten um die Häuser anzulegen. Außerdem sind 60 Prozent der Häuser in einem schlechten Zustand, zwanzig Prozent in einem extrem schlechten und müssen dringend renoviert werden. Nur zehn Prozent sind einigermaßen in Ordnung. Einige müssten einfach abgerissen und neu gebaut werden, die kann man nicht mehr renovieren. Für die Sanierung bräuchten wir ungefähr 2000 Reais pro Haus, das macht aufs Ganze gesehen ungefähr fünf Millionen Reais. Dafür hat das Unternehmen im Moment kein Geld. Wir sind im Diskussionsprozess mit verschiedenen Gewerkschaften und dem Gewerkschaftsbund CUT auf nationaler Ebene, um eine brasilienweite Kampagne zu initiieren, damit wir das Geld zusammen bekommen und dieses Problem innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahren lösen können. Wir versuchen aber nicht nur, Geld von nationalen und internationalen Organisationen zu bekommen, sondern werden auch die Regierung in die Pflicht nehmen, weil das Problem sehr schwerwiegend ist.“

Zum Wiederaufbau der durch die Überschwemmungen vollständig zerstörten Häuser haben öffentliche und private Institutionen Mittel bereitgestellt. Die liberale Landesregierung von Pernambuco und die Nichtregierungsorganisation Oxfam unterstützten entsprechende Projekte, die allerdings sehr unterschiedlichen Philosophien folgten. Während die von der Landesregierung geförderten Häuser wieder nach der alten Sklavenhüttentradition gebaut wurden, sind die 40 von Oxfam finanzierten Häuschen freistehend (mit der Möglichkeit Gärten anzulegen) und sehr funktional.
Ein Modell? Obwohl seit der Eröffnung des Konkursverfahrens inzwischen fast sieben Jahre vergangen sind und seit fünf Jahren eine erfolgreiche Sanierungspolitik betrieben wird, ist die juristische Situation noch immer völlig offen. 

Die Gläubigergemeinschaft und die Zwangsverwaltung agieren lediglich mit einem Nutzungsrecht für Land und Fabrik. Der endgültige Status des Unternehmens hängt vom Ausgang des Verfahrens ab. Mario Borba hofft, dass es in ein- bis eineinhalb Jahren eine Entscheidung gibt, es ist aber auch möglich, dass sich der Prozess noch über Jahre hinzieht. Allerdings würden durch Erfolge Fakten geschaffen. Dies sei auch ein Ziel ihrer Anstrengungen. Je besser der Betrieb laufe, desto höher wären die an die ArbeiterInnen zu zahlenden Entschädigungen, sollte das Gericht nicht im Sinne der Gläubigergemeinschaft entscheiden. Fakten würden aber auch in der Mentalität der Leute geschaffen, meint der Ingenieur Francisco Mendoza. Sie würden sehen, was sie aus eigener Kraft leisten können und dass es heute ohne die Eigentümer besser ginge. Auch Lenivaldo hält den Prozess schon jetzt für irreversibel: „Selbst wenn es ein negatives Urteil gibt, wird Catende niemals wieder so sein wie vor 1995.“

Wir haben die Usina Catende zu viert besucht und lange mit den Leuten dort gesprochen und – teilweise auch kontrovers – diskutiert. Nach den Gesprächen, auch mit den KollegInnen in der Fabrik – mit LandarbeiterInnen haben wir nicht geredet – waren wir überwiegend sehr beeindruckt. All unsere GesprächspartnerInnen waren sehr ernsthaft und verantwortungsbewusst. Was sie da tun, woran sie mitarbeiten, ist ein Experiment. Allen ist klar, dass von seinem Gelingen das Schicksal von 13 000 Menschen abhängt, die Zukunft von fünf Kommunen. Besonders deutlich wurde diese Tragweite bei der Diskussion über die Zukunft des Zuckers. Ist es angesichts der weltweiten Überproduktion von Zucker nicht notwendig die Produktion zu diversifizieren? Für die KollegInnen der Usina geht es zunächst um Direkteres: den Betrieb am Laufen zu halten und tausende von Arbeitsplätze zu erhalten – da gibt es kurzfristig keine Alternative zum Zucker. Darüber hinaus widmen sich jedoch immer mehr der betroffenen Familien dem Anbau von Grundnahrungsmitteln, aber auch Bananen und anderen Verkaufsfrüchten. Wieder andere haben mit Fischzucht und sogar Kaffeeanbau begonnen. Eine zentrale ökologische und ökonomische Herausforderung ist von Catende identifiziert worden: Die Fruchtbarkeit der durch das Zuckerrohr erschöpften Böden kann langfristig nur durch eine Integration von Tieren, und hier speziell Milchkühen, gewährleitsten werden.

Die Usina Catende kann jedoch keine Umstrukturierung in der Landwirtschaft des Nordostens bewerkstelligen. Hier wird eine künftige linke Regierung Brasiliens – wenn sie denn kommen sollte – gefordert sein. Sie müsste mit Hilfen und Übergangsprojekten, Beratung und infrastrukturellen Maßnahmen eine solche Umstrukturierung ermöglichen. Diejenigen, die an dem Projekt Usina Catende mitarbeiten, tun was sie tun können. Sie sind nicht länger nur Objekte einer Politik, die von den Interessen irgendwelcher Eigentümer, den Entscheidungen der Regierung in Brasília, dem Auf- und Ab- an der Zuckerbörse und den Optionen der Global Players bestimmt wird. Sie sind zu Akteuren geworden, die über ihre Zukunft mitentscheiden. Aber eben nur „mit“. Das ist sehr viel und gleichzeitig sehr wenig. u

An dem Gespräch am 3. Januar in der Usina Catende nahmen neben dem Verfasser des Artikels noch Gaby Gottwald, Mechthild Junghülsing und Gaby Küppers teil. Für wichtige Hinweise danken wir auch Édien Pantoja vom Oxfam-Büro in Recife. "

[Quelle: Gert Eisenbürger. -- In: ila 2555 (2002). --  http://www.ila-bonn.de/artikel/255ohneeigentuemer.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]


3.1. Cachaça



Abb.: Verschiedene Marken von Cachaça

"Der Cachaça (Aussprache: [ka'ʃasɐ], "Kaschassa") ist ein brasilianischer Zuckerrohr-Schnaps, der früher und hochsprachlich auch Aguardente (= heiß brennendes Wasser) und umgangssprachlich auch oft Pinga (= Fusel) genannt wird.

Heute sind auf dem brasilianischen Markt "Cachaça" und "Aguardente" zwei unterschiedliche Produkte. "Aguardente" gilt als billiges, industriell hergestelltes Massenprodukt ohne jegliche schönende Behandlung. Ein guter "Cachaça" kommt meistens aus zwei Regionen Brasiliens, aus dem Nordosten oder aus Minas Gerais, wo er in zahlreichen "Cachaçarias" komplett von Hand verarbeitet wird. Die Herstellung folgt alten Traditionen, in der nur das "Herz" (Mittelstück in der Länge) des Zuckerrohrs verwendet wird. Zuerst wird durch Auspressen des Zuckerrohres "Caldo de Cana" (eine Art Zuckerrohrsaft) gewonnen, welcher dann 24 Stunden in Edelstahlfässern gärt und schließlich destilliert wird. Ein Zeichen für einen guten "Cachaça" ist die Farbe. Sie ist typisch gold-braun und stammt von der 2-3 Jahre langen Alterung des "Chacaça" in Holzfässern. In den meisten Supermärkten in Deutschland findet man nur billiges "Aguardente". Gute "Chacaças" sind in manchen Internet-Shops zu finden und kosten um die 70 % mehr.

Als Rohstoff für die Herstellung von Cachaça dient, im Gegensatz zum Rum, welcher meistens aus Melasse hergestellt wird, das noch grüne Zuckerrohr. Darum sollte man Cachaça nicht mit Rum verwechseln. Herstellungsprozess, Ausgangsprodukt und damit auch der Geschmack sind deutlich verschieden.

Der bekannteste Cocktail, der Cachaça enthält, ist der Caipirinha. Diesem Getränk verdankt der Cachaça seinen großen Erfolg als eine der Trendspirituosen der 90er Jahre in Europa. Cachaça ist auch die Basis aller Batidas."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Cacha%C3%A7a. -- Zugriff am 2005-12-22]


3.2. Ethanol (C2H5OH) (etanol)


"Ethanol fuel in Brazil


Abb.: An early poster promoting alcohol fuel warns Brazilians not to mix standard petrol with alcohol fuel, and not to use alcohol in unconverted engines

In Brazil, ethanol fuel is produced from sugar cane which is a more efficient source of fermentable carbohydrates than corn as well as much easier to grow and process. Brazil has the largest sugarcane crop in the world, which, besides ethanol, also yields sugar, electricity, and industrial heating. Sugar cane growing requires little labor, and government tax and pricing policies have made ethanol production a very lucrative business for big farms. As a consequence, over the last 25 years sugarcane has become one of the main crops grown in the country.

Ethanol production basics


Abb.: Usina Santa Elisa - Sertãozinho - SP - Brazil, Capacity: 310,000 liters/day
[Bildquelle: http://www.planalcool.com.br/Eng/photos.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

Sugarcane is harvested manually or mechanically and shipped to the distillery (usina) in huge specially built trucks. There are several hundred distilleries throughout the country; they are typically owned and run by big farms or farm consortia and located near the producing fields. At the mill the cane is roller-pressed to extract the juice (garapa), leaving behind a fibrous residue (bagasse).

The juice is fermented by yeasts which break down the sucrose into CO2 and ethanol. The resulting "wine" is distilled, yielding hydrated ethanol (5% water by volume) and "fusel oil". The acidic residue of the distillation (vinhoto) is neutralized with lime and sold as fertilizer. The hydrated ethanol may be sold as is (for ethanol cars) or be dehydrated and used as a gasoline additive (for gasohol cars). In either case, the bulk product was sold until 1996 at regulated prices to the state oil company (Petrobras). Today it is no longer regulated.

One ton (1,000 kg) of harvested sugarcane, as shipped to the processing plant, contains about 145 kg of dry fiber (bagasse) and 138 kg of sucrose. Of that, 112 kg can be extracted as sugar, leaving 23 kg in low-valued molasses. If the cane is processed for alcohol, all the sucrose is used, yielding 72 liters of ethanol. Burning the bagasse produces heat for distillation and drying, and (through low-pressure boilers and turbines) about 288 MJ of electricity, of which 180 MJ is used by the plant itself and 108 MJ sold to utilities.

The average cost of production, including farming, transportation and distribution, is US$0.63 per US gallon (US$0.17/L); gasoline prices in the world market is about US$ 1.05 per US gallon (US$0.28/L). The alcohol industry, entirely private, was invested heavily in crop improvement and agricultural techniques. As a result, average yearly ethanol yield increased steadily from 300 to 550 m³/km² between 1978 and 2000, or about 3.5% per year.

Electricity from bagasse


Abb.: Sugarcane residue, called bagasse
[Bildquelle: http://energysavingnow.com/biomass/carsbiofuel.shtml. -- Zugriff am 2005-12-21]

Sucrose accounts for little more than 30% of the chemical energy stored in the mature plant; 35% is in the leaves and stem tips, which are left in the fields during harvest, and 35% are in the fibrous material (bagasse) left over from pressing.

Part of the bagasse is currently burned at the mill to provide heat for distillation and electricity to run the machinery. This allows ethanol plants to be energetically self-sufficient and even sell surplus electricity to utilities; current production is 600 MW for self-use and 100 MW for sale. This secondary activity is expected to boom now that utilities have been convinced to pay fair price (about US$10/GJ) for 10 year contracts. The energy is especially valuable to utilities because it is produced mainly in the dry season when hydroelectric dams are running low. Estimates of potential power generation from bagasse range from 1,000 to 9,000 MW, depending on technology. Higher estimates assume gasification of biomass, replacement of current low-pressure steam boilers and turbines by high-pressure ones, and use of harvest trash currently left behind in the fields. For comparison, Brazil's Angra I nuclear plant generates 600 MW (and it is often off line).

Presently, it is economically viable to extract about 288 MJ of electricity from the residues of one ton of sugarcane, of which about 180 MJ are used in the plant itself. Thus a medium-size distillery processing 1 million tons of sugarcane per year could sell about 5 MW of surplus electricity. At current prices, it would earn US$ 18 million from sugar and ethanol sales, and about US$ 1 million from surplus electricity sales. With advanced boiler and turbine technology, the electricity yield could be increased to 648 MJ per ton of sugarcane, but current electricity prices do not justify the necessary investment. (According to one report, the World bank would only finance investments in bagasse power generation if the price were at least US$19/GJ.)

Bagasse burning is environmentally friendly compared to other fuels like oil and coal. Its ash content is only 2.5% (against 30-50% of coal), and it contains no sulfur. Since it burns at relatively low temperatures, it produces little nitrous oxides. Moreover, bagasse is being sold for use as a fuel (replacing heavy fuel oil) in various industries, including citrus juice concentrate, vegetable oil, ceramics, and tyre recycling. The state of São Paulo alone used 2 million tons, saving about US$ 35 million in fuel oil imports.

Program statistics

Except where noted, the following data apply to the 2003/2004 season.

land use: 45,000 km² in 2000
labor: 1 million jobs (50% farming, 50% processing)
sugarcane: 344 million metric tons (50% sugar, 50% alcohol)
sugar: 23 million tons (30% is exported)
ethanol: 14 million m³ (7.5 anhydrous, 6.5 hydrated; 2.4% is exported)
dry bagasse: 50 million tons
electricity: 1350 MW (1200 for self use, 150 sold to utilities) in 2001

The labor figures are industry estimates, and do not take into account the loss of jobs due to replacement of other crops by sugarcane.

Effect on oil consumption

Most cars in Brazil run either on alcohol or on gasohol; only recently dual-fuel ("Flex Fuel") engines have become available. Most gas stations sell both fuels. The market share of the two car types has varied a lot over the last decades, in response to fuel price changes. Ethanol-only cars were sold in Brazil in significant numbers between 1980 and 1995; between 1983 and 1988, they accounted for over 90% of the sales. 80% of the cars produced in Brazil in 2005 where dual-fuel, comparing to only 17% in 2004.

Ethanol-fuelled small planes for farm use have been developed by giant Embraer and by a small Brazilian firm (Aeroálcool), and are currently undergoing certification.


Abb.: ®Logo

Domestic demand for alcohol grew between 1982 and 1998 from 11,000 to 33,000 cubic metres per day, and has remained roughly constant since then. In 1989 more than 90% of the production was used by ethanol-only cars; today that has reduced to about 40%, the remaining 60% being used with gasoline in gasohol-only cars. Both the total consumption of ethanol and the ethanol/gasohol ratio are expected to increase again with deployment of dual-fuel cars.

Presently the use of ethanol as fuel by Brazilian cars - as pure ethanol and in gasohol - replaces gasoline at the rate of about 27,000 cubic metres per day, or about 40% of the fuel that would be needed to run the fleet on gasoline alone. However, the effect on the country's oil consumption was much smaller than that. Although Brazil is a major oil producer and now exports gasoline (19,000 m³/day), it still must import oil because of internal demand for other oil byproducts, chiefly diesel fuel (which cannot be easily replaced by ethanol).

Environmental effect

The improvement in air quality in big cities in the 1980s, following the widespread use of ethanol as car fuel, was evident to everyone; as was the degradation that followed the partial return to gasoline in the 1990s.

However, the ethanol program also brought a host of environmental and social problems of its own. Sugarcane fields are traditionally burned just before harvest, in order to remove the leaves and kill snakes. Therefore, in sugarcane-growing parts of the country, the smoke from burning fields turns the sky gray throughout the harvesting season. As winds carry the smoke into nearby towns, air pollution goes critical and respiratory problems soar. Thus, the air pollution which was removed from big cities was merely transferred to the rural areas (and multiplied). This practice has been decreasing of late, due to pressure from the public and health authorities. In Brazil, a recent law has been created in order to ban the burning of sugarcane fields, and machines will be used to harvest the cane instead of people. This not only solves the problem of pollution from burning fields, but such machines have a higher productivity than people.

Many nations have produced alcohol fuel with no destruction to the environment. Advancements in fertilizers and natural pesticides have eliminated the need to burn fields. With condensed agriculture, like hydroponics and greenhouses, less land is used to grow more crops.

Some question the viabiliy of biofuels like ethanol as total replacements for gasoline/crude oil. We cannot replace all our food-growing fields with fuel-producing ones. Authors like George Monbiot fear the marketplace will convert crops to fuel for the rich while the poor starve while as well as biofuels causing environmental problems.


Abb.: George Monbiot (1963 - )
[Bildquelle. Wikipedia]

Social implications

The ethanol program also led to widespread replacement of small farms and varied agriculture by vast seas of sugarcane monoculture. This led to a decrease in biodiversity and further shrinkage of the residual native forests (not only from deforestation but also through fires caused by the burning of adjoining fields). The replacement of food crops by the more lucrative sugarcane has also led to a sharp increase in food prices over the last decade.

Since sugarcane only requires hand labor at harvest time, this shift also created a large population of destitute migrant workers who can only find temporary employment as cane cutters (at about US$3 to 5 per day) for one or two months every year. This huge social problem has contributed to political unrest and violence in rural areas, which are now plagued by recurrent farm invasions, vandalism, armed confrontations, and assassinations.

Politics

The Brazilian alcohol program has been often criticized for many motives, including excessive land use, environmental damage, displacement of food crops, reliance on misery-wage temporary labor, statism and dependency on government subsidies, etc..

Until 1996, the Brazilian oil company (Petrobras) was forced to buy ethanol from the private distilleries and sell it to gas station chains, both as pure (hydrated) ethanol and gasohol. Nowadays Petrobras only buy ethanol as a anti-knocking additive. However, for lack of internal demand, Petrobras is virtually forced to sell its surplus gasoline in the international market at a rather low price, US$ 0.13/liter. Since the domestic market price is about US$ 0.50/liter, Petrobras could increase its revenue by over 1 billion US$ per year if the ethanol program were cancelled. Petrobras also produces methyl-tert-butyl ether (MTBE), a compound that could replace ethanol in gasohol as an anti-knocking and anti-pollution additive. However, it is unlikely that this replacement will happen as although MTBE is cheaper than ethanol, it is also mostly derived from methanol that is a byproduct of the natural gas industry; therefore, apart from being carcinogenic, MTBE is also non-renewable (since it is made from crude oil-derived methane.) It could be possible to make MTBE out of renewable methanol made by destructive wood pyrolysis, but this process is expensive and inefficient, with negative energy balances of up to 1,400%. Also, Brazil would probably want to use its own wood - however, the Amazon rainforest is threatened enough as it is and should not be tampered with further. MTBE from the Amazon would be illegal under Brazilian law anyway.

On the other hand, the sugarcane agribusiness sector is politically powerful and so far it has successfully defended the program from its critics. The positive effect of the program on Brazil's overstrained foreign trade speaks louder than all its environmental and social problems.

On 19 December 2005, the government-based Petrobras announced a contract with the Japanese Nippon Alcohol Hanbai [日本酒精販賣公司] for the creation of a joint-venture based in Japan to import ethanol from Brazil. The company, Brazil-Japan Ethanol, will have as its main object the creation of ethanol market in Japan."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Ethanol_fuel_in_Brazil. -- Zugriff am 2005-12-22]

Flexfuel:

"Noch mehr Zucker im Tank

VON MARTIN KUGLER (Die Presse) 08.01.2005

Brasilien setzt bei der geplanten Ausweitung der Landwirtschaft voll auf den Energiesektor.

SÃO PAULO. Während man in Europa noch mühsam ein Biotreibstoff-Programm aus der Traufe heben will, fahren Brasiliens Autofahrer schon seit Jahrzehnten mit Alkohol im Tank. Angeboten werden zwei Sorten: herkömmlicher Benzin mit 25-prozentigem Ethanol-Gehalt - das ist Brasiliens Standard-Treibstoff -, und reiner Ethanol. Letzteren produzieren die Brasilianer konkurrenzlos billig: An der Zapfsäule kostet ein Liter derzeit 1,2 Real (rund 40 Cent). Für einen Liter (fossilen) Benzin sind dagegen 2,25 Real zu zahlen.

Nun bekommt Ethanol als Treibstoff noch einmal einen Wachstumsschub: In den vergangenen Monaten haben mehrere Autohersteller wie VW, Opel oder Fiat sogenannte "FlexFuel"-Autos auf den Markt brachten, bei denen jedes beliebige Mischungsverhältnis von Benzin und Ethanol im Tank sein kann. Die Auto-Elektronik analysiert automatisch das Mischungsverhältnis und sorgt für die richtigen Motoreinstellungen. Dadurch brauchen die Brasilianer nicht mehr jedes mal den selben Treibstoff zu tanken, sie sind viel flexibler. Früher gab es nämlich immer wieder Versorgungsprobleme: War der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt hoch, dann haben die Zuckerfabriken lieber den Zucker verkauft und die Ethanol-Produktion eingeschränkt.


Abb.: Ford ®fiesta flexfuel

Aber nicht nur dieser wechselseitige Zusammenhang zwischen Zucker und Ethanol führt zu starken Schwankung des Ethanolpreises - vor einem Jahr war ein Liter Rein-Alkohol um nur 0,60 Real zu haben. Eine große Rolle spielt auch das Wetter und damit die Erntemengen. Und zudem gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Welt-Alkohol-Markt und der Entwicklung des Erdölpreises.

Das Ethanol-Programm, das Brasilien nach dem Erdölschock der 70er Jahre ins Leben gerufen hat, hatte dramatische Auswirkungen auf die brasilianische Zuckerwirtschaft. Durch die hohen Subventionen wurden bei fast allen der rund 330 Zuckerfabriken Ethanolanlagen gebaut, wodurch die Ausbeute aus dem Zuckerrohr um ein Viertel stieg. Das hatte klarerweise starke Auswirkungen auf den Zuckerpreis: Derzeit produziert ein brasilianischer Hersteller eine Tonne Zucker um 140 Dollar (knapp 100 Euro). Am europäischen Markt wird heimischer Rübenzucker deutlich über 600 Euro pro Tonne gehandelt.

Freilich ist der direkte Preisvergleich nicht fair, dazu sind die Produktionsbedingungen zu unterschiedlich. Zuckerrohr wird mit hohem Pestizid-Einsatz produziert, die Ernte erfolgt typischerweise durch Abbrennen der reifen Pflanzen und händischem Abhauen der stehen gebliebenen Rohre mit Macheten. Ein Erntearbeiter verdient in dieser "Rauchhölle" im Akkord zwischen 130 und 300 Euro - im Monat. Wegen der oft abenteuerlichen sozialen und ökologischen Standards sprechen Kritiker davon, dass brasilianischer Zucker den "Geschmack von Blut" habe. Allerdings ist das Einkommen der Zuckerarbeiter gar nicht so schlecht: Der Mindestlohn liegt in Brasilien bei 80 Euro im Monat, ein Durchschnittsgehalt bewegt sich bei 250 Euro.

Angebaut wird das Zuckerrohr auf gigantischen Monokulturen. Nur ein Beispiel, um die Größenordnungen zu verdeutlichen: Die Zuckerfabrik der italienischen Auswandererfamilie Zillo Lorenzetti in Baurú, 300 Kilometer nordwestlich von São Paulo, besitzt 100.000 Hektar zusammenhängende Felder - ehemalige Kaffee-Plantagen - und hat zudem auf 60.000 Hektar Bauern unter Vertrag. Zum Vergleich: Die gesamte Zuckerrübenfläche Österreichs liegt bei 43.000 Hektar.

Brasilien - schon jetzt einer der größten Agrarexporteure der Welt - will den Landwirtschaftssektor massiv ausweiten. Derzeit steht das Agribusiness für 34 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, der Sektor beschäftigt 37 Prozent der Brasilianer. Das Wachstum beträgt ein mehrfaches dessen der Gesamtwirtschaft.

Laut den Plänen ist in den nächsten Jahren eine Verdopplung der Agrarflächen geplant. Derzeit werden mit 60 Mill. Hektar rund sieben Prozent der Staatsfläche landwirtschaftlich genutzt. Von Seiten der Politik wird betont, dass die Ausweitung ohne weitere Rodungen von Regenwald möglich ist. Genutzt werden sollen vor allem die weiten "Cerrados" in Zentral- und Süd-Brasilien, die derzeit als Viehweiden genützt werden.

Ein Teil der Ausweitung soll wiederum für die Energiewirtschaft genutzt werden: Ähnlich wie die EU startet Brasilien nun mit der Beimischung von Biodiesel zu Dieseltreibstoff: In einem ersten Schritt ist die Zumischung von zwei Prozent vorgesehen, in zwei Jahren ist eine Ausweitung auf fünf Prozent geplant - also ähnliche wie in der EU. Brasilien setzt dabei aber weniger auf Raps, sondern auf Soja- und auf Rhizinusöl."

[Quelle: Martin Kugler. -- In: Die Presse. -- 2005-01-08. --  http://www.brasilienfreunde.net/viewtopic.php?t=415. -- Zugriff am 2005-12-22]

Eine kritische Stimme:

"Zucker im Tank : Der stotternde Motor des brasilianischen PROÁLCOOL-Programms

von Florian Dünckmann

Es war schon eigenartig: Da hob Brasilien Mitte der 70er Jahre als erstes und einziges Land ein breit angelegtes Programm zur Nutzung regenerativer Energieträger im Kfz-Verkehr aus der Taufe und setzte es konsequent um. Auch die Automobilindustrie zog nach anfänglichem Zögern mit und begann mit der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen, die auf der Basis von aus Zuckerrohr hergestelltem Äthylalkohol betrieben werden konnten. Zeitweise wurden bis zu 90 Prozent der Neuwagen mit Alkohol betrieben, der noch heute an allen brasilianischen Tankstellen angeboten wird und dessen Preis nie mehr als 65 Prozent des Benzinpreises beträgt. In den 90er Jahren geriet das Programm in eine Krise. Die Kritik bezog sich auf die verkehrspolitische Sackgasse, die die Festlegung auf den Pkw bedeutet, aber auch auf ökologische Folgen. Neuerdings werden aber verstärkt „flexfuel“-Autos auf dem Markt angeboten, die sowohl mit Benzin als auch mit Alkohol betrieben werden können.

Eigentlich erscheint das PROÁLCOOL-Programm als ein Erfolg auf ganzer Linie: Positive wirtschaftliche Impulse für die heimische Industrie und Agrarwirtschaft, billiger Treibstoff für eine mobiler werdende Mittelschicht und all dies auf der Basis von Sonnenenergie, nutzbar gemacht mit Hilfe des Zuckerrohrs und seiner Photosyntheseleistung. Trotzdem sparte José Lutzenberger [1926 - 2002], die Leitfigur der brasilianischen Umweltbewegung, seinerzeit nicht mit vernichtender Kritik, nannte das PROÁLCOOL-Programm illusorisch, betrügerisch, unmoralisch, ja sogar verbrecherisch. PROÁLCOOL würde die Probleme, die es zu lösen vorgibt, nur noch verschlimmern. Dabei meinte er nicht nur die ökologische Dimension, sondern dachte auch an die ökonomischen und sozialen Auswirkungen. Wie kam er bereits zu Beginn der 80er Jahre, als sich das Programm in einem kräftigen Aufschwung befand, zu dieser ernüchternden Bewertung, mit der er grundsätzlich Recht behalten sollte? 


Abb.: José Antônio Lutzenberger (1926 - 2002)
(Pressefoto)

Um das PROÁLCOOL-Programm und seine Entwicklung von der Blütephase in den 80er Jahren bis zur Krise in den 90er Jahren besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück auf die Ursprünge des Programms und die damaligen Ziele: Die erste Ölkrise 1974 traf Brasilien, das damals rund 80 Prozent seines Rohöls importieren musste, besonders hart. Die damalige Militärregierung, die eine Doktrin der nationalen Autarkie verfolgte, sah ihre Energieversorgung und damit die Achillesferse ihrer ambitionierten nationalen Industrie- und Entwicklungspolitik gefährdet. Hinzu kam der politische Druck der damals einflussreichen Zuckerwirtschaft, die unter niedrigen Weltmarktpreisen litt. Diese Konstellation gab den Nährboden für das ehrgeizige PROÁLCOOL-Programm ab, das als Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft konzipiert war: Mittels massiver Eingriffe (Subventionen, billige Kredite, Steuerbefreiungen für Alkoholfahrzeuge, Preisfestsetzungen, Forschungsförderung) forcierte der Staat die Umstellung eines Großteils des Kfz-Verkehrs von Benzin oder Diesel auf Äthylalkohol. Zunächst wurde der Alkohol nur dem Benzin beigemischt; in einer zweiten Phase begann die Produktion von Fahrzeugen, die ausschließlich auf Alkoholbasis fuhren. 

Bemerkenswert ist, dass ökologische oder soziale Überlegungen bei der Konzeption des Programms kaum eine Rolle spielten. In der Tat sieht die soziale und ökologische Bilanz des PROÁLCOOL- Programms nicht positiv aus. Das Programm hat eher zu einer Verstärkung der bestehenden Ungleichheiten in der brasilianischen Gesellschaft beigetragen. Von den staatlichen Interventionen haben vor allem die Besitzer der großen Zuckerrohrplantagen und Weiterverarbeitungsbetriebe (usinas) profitiert. Im Rahmen des Programms sollte vor allem der arme Nordosten gefördert werden. Als Folge einer unwirtschaftlichen Förderpraxis entstanden dort größtenteils ineffiziente Betriebe, die ihr Überleben heute allein der massiven staatlichen Unterstützung verdanken. Die erhofften wirtschaftlichen Effekte für die Region blieben dagegen aus. Vielmehr zementierte das PROÁLCOOL-Programm die bestehenden ungerechten Strukturen im ländlichen Raum Nordostbrasiliens. Stattdessen wäre ein Aufbrechen der starken Konzentration von Boden, Kapital und politischem Einfluss die Voraussetzung für eine positive Entwicklung Nordostbrasiliens gewesen. In einigen Landesteilen ließ sich auch eine direkte Verdrängung von Klein- und Mittelbetrieben durch expandierende Zuckerrohrplantagen nachweisen. Einige BeobachterInnen befürchteten überdies einen relativen Rückgang der Nahrungsmittelproduktion durch die Förderung des Zuckerrohranbaus. Obwohl eine solche Entwicklung tatsächlich belegbar ist, lag dies jedoch eher an der geringen Kaufkraft der breiten Bevölkerung und der dadurch geringen Attraktivität des Lebensmittelsektors vor allem gegenüber „neuen Exportprodukten“, wie z.B. Zitrusfrüchten.

Nicht zuletzt ist es sozial fragwürdig, wenn die Vorteile eines so teuren energiepolitischen Programms auf der KonsumentInnenseite vor allem den besser gestellten Bevölkerungsschichten, die sich ein privates Auto leisten können, zugute kommen. Diese enormen Steuergelder (im Jahre 1986 waren es rund 15 Mrd. US-Dollar) fehlten dann z.B. für grundbedürfnisorientierte Entwicklungsinitiativen. Im Grunde sollte ein Programm zur Förderung regenerativer Energieträger von Seiten des Umweltschutzes bejubelt werden. Im Falle von PROÁLCOOL war dies allerdings nicht der Fall. Zu gravierend waren die technischen Mängel und Umweltschäden, die das Programm vor allem in der Anfangsphase charakterisierten.

Im Zuckerrohranbau stellt neben dem oft übermäßigen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden das Abbrennen der Felder vor der Ernte ein gravierendes Umweltproblem dar. In einigen Anbauregionen kommt es während der Erntezeiten durch die oft extrem russhaltigen Emissionen bei der Verbrennung des Zuckerstrohs zur Energiegewinnung zu einer erhöhten Zahl von Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung. Hinzu kommen infolge der Weiterverarbeitung zu Alkohol große Mengen an Abwasser. In den 70er und 80er Jahren gab es nicht wenige Fälle, in denen die Klärteiche von usinas ausliefen und das Leben ganzer Flussläufe zerstört wurde. Positiv ist aus der ökologischen Perspektive, dass Äthylalkohol bei der Verbrennung im Vergleich zu Benzin deutlich weniger Schadstoffe freisetzt und durch die Beimengung von Alkohol zum normalen Benzin in Brasilien schon früh auf den Zusatz von Blei verzichtet werden konnte. Mit dem PROÁLCOOL-Programm legte sich Brasilien allerdings endgültig auf den PKW als dominantes Verkehrsmittel fest und verpasste die Chance, den ÖPNV zu fördern. Diese Entwicklung rächt sich nun vor allem in den rasch wachsenden Metropolen.


Abb.: Petrobras XVIII Ölplattform vor der Küste Brasiliens, in Betrieb genommen 1994
[Bildquelle: http://www.gvac.se/products/petrobras.html. -- Zugriff am 2005-12-22]

Ende der 80er Jahre setzte der langsame Niedergang des Programms ein. Nach und nach fielen die ursprünglichen Gründe weg, die bei der Einrichtung von PROÁLCOOL eine Rolle gespielt hatten: Der Preis für Rohöl fiel in den 90er Jahren um nahezu 40 Prozent und durch die Ausbeutung von Ölfeldern im Off-Shore-Bereich entwickelte sich Brasilien selbst zu einem gewichtigen Ölproduzenten. Außerdem drehte sich der politische Wind weg von der Importsubstitutionspolitik und hin zu Weltmarktöffnung und Deregulierung. Der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt blieb zwar schwer berechenbar, zog allerdings bis 1995 aufgrund der neuen Nachfrage im ehemaligen Ostblock deutlich an. Zeitweise kam es sogar zu Engpässen bei der Versorgung des internen Marktes mit Alkohol, weil sich viele Produzenten auf den Export stürzten. Vor allem aber zeigten die Erfahrungen, dass der Beitrag von PROÁLCOOL zur Sicherung der nationalen Energieversorgung kaum mehr als 10 Prozent betragen konnte. Zum einen lag dies an dem stark steigenden Bedarf v.a. durch die rasante Ausweitung des motorisierten Individualverkehrs. Zum anderen erwies sich die Energieeffizienz von Alkohol als nicht sehr gut, denn von jeder gewonnenen Energieeinheit mussten 0,4 Einheiten für Anbau und Weiterverarbeitung des Zuckerrohrs aufgebracht werden.

Es gab also kaum Gründe, das Programm noch weiter zu verfolgen. Es konnte allerdings nicht einfach beendet werden, denn die Versorgung der bestehenden alkoholbetrieben PKW-Flotte musste weiterhin sichergestellt werden. Daneben werden noch immer 20-25 Prozent Äthylalkohol dem Normalbenzin beigemischt. Neue allein von Alkohol betriebene Fahrzeuge werden derzeit allerdings kaum noch hergestellt. Es gibt immer wieder Meldungen von einer möglichen Wiederbelebung des Programms. Ende der 90er Jahre hätten sich die Rahmenbedingungen geändert und es gäbe gute Gründe, PROÁLCOOL noch einmal neu zu überdenken:  Spätestens, seit sich die Sicherheitssituation in der Golfregion zuspitzt, besteht wieder die reale Gefahr, dass es aus politischen Gründen zu einem raschen Anstieg des Ölpreises kommen kann. Eine neue Ölkrise würde Brasilien dabei besonders hart treffen. Außerdem eröffnet das Klimaschutzprotokoll von Kyoto offiziell den internationalen Handel mit Emissionszertifikaten. Damit ergibt sich für Brasilien die Möglichkeit, aus dem „Verkauf“ des CO2, das aufgrund des Einsatzes von regenerativen Energieträgern nicht freigesetzt wurde, einen Teil der hohen Aufwendungen für das PROÁLCOOL-Programm zu decken. 

Mit der Entwicklung von so genannten „flexfuel“-Fahrzeugen, die sowohl mit Benzin als auch mit Alkohol betrieben werden können, bieten sich neue Möglichkeiten, z.B. besteht nun nicht mehr das Problem, dass alkoholbetriebene Fahrzeuge außerhalb Brasiliens „auf dem Trockenen sitzen“. Mittlerweile wurden auch technische Verfahren entwickelt, die die Verarbeitung von anderen Kulturen, z.B. Maniok oder Soja, erlauben. Das würde das Programm auf eine breitere Basis stellen und es weniger anfällig für Produktionsschwankungen beim Zuckerrohr machen. Überhaupt ist man bei den meisten technischen Problemen, die am Anfang des Programms bei der Weiterverarbeitung und der Motortechnik bestanden, ein großes Stück weiter gekommen. Ob dies ausreichen wird, um das PROÁLCOOL-Programm ernsthaft wiederbeleben zu können, ist allerdings fraglich. Die Zeiten der massiven staatlichen Intervention und der regionalökonomisch motivierten Förderung ineffizienter Betriebe dürften endgültig vorbei sein. Sollte es erneut zu einer Ausweitung des PROÁLCOOL-Programms kommen, dann werden Marktmechanismen in jedem Fall eine größere Rolle spielen. Man mag darin ein weiteres Zeichen des Neoliberalismus sehen und deshalb diese Entwicklung verurteilen. Die Bilanz des Programms ist allerdings alles andere als glorios. Es ist eher ein Beispiel dafür, wie eine nationalistisch motivierte Technologiepolitik in Verbindung mit einflussreichen Lobbygruppen aus einem grundsätzlich guten Grundgedanken ein Programm formen, das der Leitidee der Nachhaltigen Entwicklung entgegen wirkt." 

[Quelle: Florian Dünckmann. -- In: ila 273 (2004). -- http://www.ila-bonn.de/artikel/273proalcool.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]


4. Sojabohnen (Glycine max (L.) Merr.) (soja)



Abb.: Sojabohne (Glycine max), reife Hülsen
[Bildquelle. Wikipedia]

"Sojabohne im Überblick

Bedeutung

Die Sojabohne wird aufgrund ihrer hohen wie hochwertigen Gehalte an Öl und Protein sowohl in der Lebensmittel- wie Futtermittelindustrie als auch im technischen Bereich vielseitigst genutzt. Produkte aus der Sojabohne sind schätzungsweise in 30.000 Lebensmitteln enthalten. Sojaschrot ist wichtigster Eiweißlieferant in der Tierfütterung.

Anbau


Abb.: Sojaernte, Brasilien
[Bildquelle: http://www.massey.com.br/portugues/bancofoto/imprensa_fotos_novo.asp. -- Zugriff am 2005-12-21]

Die Sojabohne ist mit einer Anbaufläche von 74 Mio. ha weltweit eine der wirtschaftlich bedeutendsten Kulturpflanzen. Die USA sind mit 30 Mio. ha Fläche führend im Anbau, gefolgt von Brasilien, Argentinien und China. Aus klimatischen Gründen spielt der Sojabohnenanbau in Mitteleuropa kaum eine Rolle. Nur 1 % der Weltproduktion werden in der EU erzeugt. Wichtige europäische Anbauländer sind Italien mit 250'000 ha und Frankreich mit 80'000 ha. In Deutschland hat der Sojabohnenanbau mit knapp 400 ha keine Bedeutung.

Internationaler Handel

Sojabohnen nehmen mit mehr als 50 % an der weltweiten Erzeugung von Ölsaaten eine Spitzenstellung ein. Wichtigster Sojabohnenerzeuger sind die USA mit einem Anteil von fast 50 %, gefolgt von Brasilien und Argentinien. Alle drei Länder zusammen produzieren mehr als 80 % der Welterzeugung.

Die wichtigsten Exportländer sind die USA, Argentinien und Brasilien. Wichtigster Importeur ist weit an der Spitze die EU (14 - 16 Mio. t), gefolgt von China (7 Mio. t) und Japan (4 Mio. t). In der EU werden Sojabohnen zu mehr als 80 % zu Futtermitteln verarbeitet, der übrige Teil geht in die Lebensmittelerzeugung und in den technischen Bereich.

Sojaschrot - wertvolles Futtermittel


Abb.: brasilianischer Sojaschrot
[Bildquelle: http://195.193.60.28/hendrix-illesch_de/Home.nsf/?Open&DirectURL=9CD35469706EC6FCC1256D26003B9619. -- Zugriff am 2005-12-21]

Sojaschrot ist im Futtermittelbereich der wichtigste Eiweißlieferant. Im Wirtschaftsjahr 1999/2000 wurden 27 Mio. t Sojaschrot in der EU verfüttert. Aufgrund des geringen Selbstversorgungsgrades für eiweißhaltige Futtermittelrohstoffe mussten zur Deckung des Verbrauchs ungefähr 14 Mio. t Sojaschrot importiert werden (Direktimporte), der Rest stammte aus der Verarbeitung von importierten Sojabohnen (Nebenprodukt aus Ölmühlen). Sojaschrot nimmt somit unter den importierten Futtermittel eine Spitzenstellung ein. Die inländische Sojabohnenerzeugung spielt mit 1.1 Mio. t für die Versorgung eine untergeordnete Rolle. Deutschland importiert jährlich ca. 3.5 Mio. t Sojabohnen und 2.0 Mio. t Sojaschrot.


Abb.: Sojaschalen-Pellets zur Tirfütterung
[Bildquelle: http://195.193.60.28/hendrix-illesch_de/Home.nsf/?Open&DirectURL=9CD35469706EC6FCC1256D26003B9619. -- Zugriff am 2005-12-21]

Gentechnisch veränderte Sojabohnen

Im Jahr 2000 wurden weltweit auf über 25 Mio. ha gentechnisch veränderte Sojabohnen angebaut. Transgene Sojabohnen nehmen aufgrund ihres Anbauum-fangs - dieser umfasst 58% der weltweiten GVP-Anbaufläche - im Vergleich zu anderen gentechnisch veränderten Kulturpflanzen eine Spitzenstellung ein. Infolge der starken Anbauausdehnung besteht die Welternte an Sojabohnen ungefähr zu einem Drittel aus transgenem Erntegut. Bei den gentechnisch veränderten Sojabohnen handelt es sich fast ausschließlich um die herbizidtolerante Roundup READY®-Sojabohne. Allein in den USA standen auf 54 % der Sojabohnen-Anbaufläche transgene Sorten, in Argentinien wurden diese auf 85 % der Sojabohnen-Anbaufläche ausgesät. In Europa werden derzeit keine gentechnisch veränderten Sojabohnen landwirtschaftlich angebaut. Erste Freisetzungsversuche finden in Frankreich, Italien und Spanien statt.

Commodity-Handel und Deklaration

Sojabohnen werden als Massenware (commodities) gehandelt. Dabei sind Vermischungen von Erntegutpartien unterschiedlicher Herkunft - so auch Vermengungen von gentechnisch veränderten und unveränderten Sojabohnen - auf dem Weg von der Produktion bis zur Verarbeitung der Normalfall. Sollte die Nachfrage nach „Gentechnik-freien" Agrarrohstoffen steigen, stellt sich die Frage nach Wegen zur Trennung der jeweiligen Warenströme. Spezielle Zertifizierungssysteme zur Sicherung definierter Qualitäten befinden sich im Aufbau. Diese sind jedoch mit einem hohen logistischen Aufwand verbunden, erfordern strenge Kontrollen auf allen Verarbeitungsstufen und sind daher nur zu höheren Preisen realisierbar. Zudem werden solche Trennsysteme (identity preservation) aufgrund der Rahmenbedingungen des internationalen commodity-Handels zwar weitgehende, jedoch nie 100 % „Gentechnik-freie" Produkte garantieren können."

[Quelle: http://www.monsanto.de/biotechnologie/Kompendium_Sojabohne_2001.pdf. -- Zugriff am 2005-12-21]


Abb.: Löschen von Sojaschrot von einem Schiff
[Bildquelle: http://www.profil.iva.de/html/text.php?id=260&rubid=6. -- Zugriff am 2005-12-21]

"Brasilien erlaubt Anbau von gv-Soja

Erst illegal, nun normal

Nach jahrelangen politischen und juristischen Auseinandersetzungen hat Brasilien im Frühjahr 2005 den Anbau und Verkauf von gentechnisch veränderten Sojabohnen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Nach Angaben des Verbandes der brasilianischen Sojaproduzenten (Aprosoja) entfällt in der Saison 2004/05 etwa ein Drittel der Sojaproduktion auf gv-Sorten.  


Abb.: Erst illegal, nun mit zunehmender Tendenz: Anbau von gv-Sojabohnen in Brasilien

Brasilien ist nach den USA der zweitgrößte Sojaproduzent. Zusammen mit Argentinien decken diese Länder drei Viertel des weltweiten Sojabedarfs. In den letzten vier Jahren ist die Gesamtfläche des Sojaanbaus in Brasilien um etwa fünfzig Prozent gestiegen und beträgt 2004/05 etwa 60 Millionen Hektar.

In den USA stammen über 80 Prozent der Sojaernte aus gv-Sorten, in Argentinien ist der konventionelle Anbau nahezu verschwunden (GVO-Anteil: 98%). Brasilien war lange Zeit das einzige große Exportland, das offiziell "ohne Gentechnik" produzierte. Die europäische Lebensmittelwirtschaft, die eine Gentechnik-Kennzeichnung ihrer Produkte vermeiden will, bezieht "gentechnik-freie" Sojarohstoffe vor allem aus Brasilien. 

Der jahrelange illegale Anbau hat Fakten geschaffen

In den letzten Jahren zeichnete sich jedoch eine Wende ab. Zunehmend wurde gentechnisch verändertes Saatgut aus Argentinien oder Paraguay nach Brasilien geschmuggelt und vor allem in dem südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande de Sul angebaut. Der illegale Anbau von gv-Soja erreichte einen Anteil von etwa 30 Prozent der Produktion. Damit wurden Fakten geschaffen, die politisch nicht ignoriert werden konnten. 

  • Im Juni 2003 wurde in Brasilien erstmals der Verkauf von illegal angebautem gv-Soja freigegeben und eine Kennzeichnung von GVO-Anteilen über 1,0 Prozent  vorgeschrieben.

  • Vor der Aussaat im September 2003 folgte dann, zunächst für ein Jahr, die Freigabe des Anbaus von gv-Sojabohnen. Die Bauern, die gv-Sojabohnen anbauen wollten, mussten sich jedoch in Listen eintragen und die Haftung für  mögliche Umweltschäden oder Auskreuzungen auf Nachbarfelder übernehmen. Gleichzeitig wurde der illegale Anbau von gv-Sorten mit empfindlichen Geldstrafen belegt.

  • Mit dem neuen Dekret verlängerte Präsident Lula die Freigabe für gv-Soja bis Januar 2006. Die Erlaubnis zum Anbau wird nun vom Landwirtschaftsministerium erteilt. Das Umweltministerium kann Einspruch einlegen und den Anbau verbieten, allerdings nur bei konkreten Umweltgefährdungen von Naturschutzgebieten. 

  • Nachdem zuvor das Parlament zugestimmt hatte, unterzeichnete Präsident Lula da Silva Ende März 2005 ein Gesetz, mit dem Freisetzungen, Zulassung und Anbau von gv-Pflanzen geregelt werden. Damit wird der Anbau von gv-Sojabohnen in Brasilien endgültig auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Die künftig für Gentechnik zuständige Regierungsbehörde (CTNBio) kann Langzeituntersuchungen durchführen, um mögliche schädliche Umweltauswirkungen von gv-Soja zu erfassen.

In der Saison 2004/05 ist der Anteil gv-Sorten an der brasilianischen Sojaerzeugung weiter gestiegen. Während Aprosoja den GVO-Anteil mit 25 bis 33 Prozent angibt, schätzen internationale Agrarhändler ihn sogar auf 45 Prozent. Es wird erwartet, dass der GVO-Anbau weiter zunimmt, wenn er auf Dauer gesetzlich zugelassen ist.  

Im Süden mit Gentechnik, im Norden ohne

Inzwischen zeichnet sich die Aufteilung Brasiliens in zwei unterschiedliche Soja-Anbauzonen ab. 

  • Der Anbau von gv-Sorten in Brasilien konzentriert sich auf den südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Der Anteil von gv-Soja an der regionalen Produktion wird inzwischen auf 60 bis 80 Prozent geschätzt. Wie ihre Kollegen in den USA und Argentinien produzieren auch die brasilianischen Farmer für den allgemeinen Weltmarkt. Eine Trennung in konventionelle und GVO-Qualitäten ist technisch zu aufwändig und teuer. 

  • Der Norden des Landes setzt weiter auf den konventionellen Sojaanbau. Ohnehin sind die herbizidresistenten RoundupReady Sojabohnen eher an die gemäßigten Klimazonen des Südens angepasst. Die konventionelle Sojaernte aus dieser Region wird über den Hafen in Paraná nach Europa und Asien verschifft. Damit wird die Nachfrage nach "gentechnik-freien" Rohstoffen gedeckt, deren GVO-Anteil unterhalb der in der EU gültigen Kennzeichnungsschwelle von 0,9 Prozent  bleibt. Man hofft, damit einen Aufpreis erzielen zu können. Die Sojaproduktion dieser Region beträgt etwa 20 Millionen Tonnen. Allein die EU führt jährlich 35 Millionen Tonnen ein.

Lizenzen: Zahlen bei Anlieferung


Abb.: ®Logo

Das US-amerikanische Agro-Unternehmen Monsanto hat mit dem brasilianischen Landwirtschaftsministerium eine Vereinbarung getroffen, wie die Lizenzgebühren für gv-RoundupReady-Saatgut erhoben werden. Anders als etwa in Nordamerika werden diese nicht auf den Saatgut-Preis  aufgeschlagen, sondern werden bei der Anlieferung der Ernte fällig. Verarbeiter oder Exporteur überprüfen sie auf ihren GVO-Anteil und führen die Gebühren an Monsanto ab.

Damit müssen auch diejenigen Landwirte zahlen, die geschmuggeltes Saatgut verwenden oder einen Teil der eigenen Ernte einbehalten und im Folgejahr erneut aussäen."

[Quelle: http://www.transgen.de/gentechnik/pflanzenanbau/159.doku.html. -- Zugriff am 2005-12-18]


5. Mais (Zea mays L.) (milho)



Abb.: Maisvarietäten
[Bildquelle: pt.wikipedia]

"SAO PAULO (Dow Jones)--Die brasilianische Getreideernte des Wirtschaftsjahres 2005/06 wird zwischen 122,7 Mio und 124,9 Mio t erwartet. Angaben der National Commodities Corp des Landwirtschaftsministeriums in Brasilien zufolge sind das etwa 9,2 Mio t mehr als der in der Getreideernte des Wirtschaftsjahres 2004/05 erreichte Wert. Soja dürfte vom Gesamtwert etwa zwischen 57,3 Mio und 58,5 Mio t ausmachen, was einen leichten Anstieg zur ersten Schätzung der Regierung für das Wirtschaftsjahr 2005/06 vom Oktober darstellt. Damals war eine Sojaernte von minimal 56,9 Mio t prognostiziert worden. Der maximale Schätzwert von 58,5 Mio t wurde unverändert beibehalten. Die Sojaernte verläuft Seneri Paludo, einem Sojamarktanalysten des Agrarmarktforschungsunternehmens AgRural zufolge ganz gut, trotz neuer Fälle von asiatischem Rostpilzbefall in Mato Grosso do Sul. Die Sojaproduktion werde trotz eines ziemlich drastischen Rückgangs der mit Soja bepflanzten Fläche ansteigen. Die Soja-Erzeuger haben die Bepflanzung landesweit um rund 6% auf 21,7 Mio bis 22,1 Mio ha gesenkt. Im Vergleich dazu waren im Wirtschaftsjahr 2004/05 23,3 Mio ha bepflanzt worden. Infolge der trockenen Wetterbedingungen von November 2004 bis Februar 2005 sahen sich die Soja- Erzeuger in den großen Erzeugerbundesstaaten Rio Grande do Sul, Parana und Mato Grosso do Sul mit massiven Ernteverlusten im Wirtschaftsjahr 2004/05 konfrontiert. Allein in Rio Grande do Sul gingen 74% der Sojabohnenernte verloren. Im Ergebnis sind Soja-Erzeuger in Parana und Rio Grande do Sul zum Maisanbau übergegangen. Die mit Mais bebaute Fläche nahm um rund 5,9% auf zwischen 9,4 Mio und 9,6 Mio ha zu, verglichen mit 9 Mio ha im Wirtschaftsjahr 2004/05. Es wird erwartet, dass die Maisproduktion während der Ernte 2005/06 um mindestens 18,4% auf 32 Mio t ansteigen wird. Zur der in diesem Jahr geernteten Menge von 27 Mio t würde das einen Anstieg darstellen. Der größte Teil des brasilianischen Mais wird im Inland konsumiert. Brasilien ist nach den USA der zweitgrößte Sojaexporteur weltweit. DJG/DJN/alfap/see/av/crb/8.12.2005"

[Quelle: http://www.raiffeisen.com/news/artikel/30199611. -- Zugriff am 2005-12-22]

 

Maize

by André Pessôa


World maize production competes with wheat for the title of the most widely produced grain in the world. That fact, which is relatively recent, is due to the great increase in world demand. In the harvests of 92/93 and 93/94, consumption was around 510 million tons/year; for the 96/97 harvest, the USDA forecasts consumption of 550 million tons, an increase on 7.8% in only three years.

Most of that increase in demand is due to the increase in income and therefore of the pattern of consumption (higher consumption of proteins) in Asian countries, in particular the Asian tigers and China. The growth rate of world consumption has been 2.3% a year in the last ten years. In the United States that rate was 3.1%, whereas in China consumption grew at a rate of 4.5%, driven mainly by chicken and pork, which are great consumers of maize in their production. World demand was not only greater in that period because the former Soviet Union is consuming today almost ten times less than the average consumption in the 1980's, from 30 million tons to a little under 4 million in 1995.

Despite the fact that world production is increasing, it does not manage to keep up with the rate of growth in consumption, partly due to the irregularity of recent harvests in the United States, the world's largest producer, which accounts for half the maize produced each year.

The marked reduction in world stocks has led to the rocketing of the international price, with prices on the Chicago Exchange beating 13 historic records in April 1996 alone. Stocks are expected to be restored only in the 1997 harvest and that is if there is no further change in the level of consumption. Therefore the scenario of prices for a country such as Brazil, which is a major producer but also a marginal importer, requires extra care over future production.

Brazil is the world's third largest producer, with a harvest in the range of 35 million tons on average over the last three years. However its substantial poultry and pork industry makes it one of the world's largest consumers, even preventing its participation in world exports. The graph shows how the consumption of maize in Brazil is divided.


Abb.: Consumption of maize in Brazil

As in the case of soy, Brazilian chicken and pork production has grown strongly in recent years, leading to an increase in the need to produce maize. In the last ten years, Brazil has become a maize importer, in particular to meet the needs of the North Eastern region. Brazil's main suppliers are Argentina and the United States.

It should be stressed that unlike soy, maize farming still has major possibilities of increasing production by increasing productivity. Characterised for many years as a subsistence crop, maize has a very low productivity in Brazil and a good part of its planting is still carried out on smallholdings, with little use of technology particularly in the South and the North East.

Maize farming is becoming leading edge farming, with several producing regions achieving very high productivity with expansion of area into regions which can be intensively farmed, such as Cerrado. The increasing use of improved seeds will continue to be one of the great engines for an increase in production.

Following in the steps of soy, maize in the Centre-West is growing in importance in the national scenario, however it suffers from the same disadvantages arising from the Brazil cost. If soy from Cerrado loses competitiveness in exports owing to high transport costs to ports, maize from that region faces proportionally higher costs to reach the large poultry and pork industries concentrated in the Southern region. One ton of soy costs US$ 250.00 and a ton of maize only US$ 100.00.

The trend is for large consumers to guide their future investment towards regions where there is a grain surplus. The practice of adding value to the product makes lower transport costs possible and higher profitability per ton carried to the major consumer centres. Investment in logistics becomes basic for the success of these investments.

The elimination of the liability of grain exports to turnover tax and the regulation of the break-up of the national monopoly in coastal shipping may greatly boost the production of maize, in particular in the Southern region. In the medium term exportation may become a new option, in the light of the expectation of a growing world-wide deficit in production. The present North Eastern imports from Argentina and from the United States, which largely occur owing to the high costs of domestic carriage by sea, may be replaced by maize from the Centre-South of the country.

It is assumed, in order to outline a scenario for Brazilian maize production, that the Brazil cost will undergo a considerable reduction in coming years; the investment foreseen by the major integrations of the South into the Central-Western region will become effective and productivity will continue to increase in the period. With this it may be expected that maize, alongside soy, will greatly boost the growth in Brazilian grain production in coming years, with a harvest of over 40 million tons in the year 2000."

[Quelle: http://www.mre.gov.br/cdbrasil/itamaraty/web/ingles/economia/agric/producao/milho/apresent.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

"RECOVERING LOCAL MAIZE IN BRAZIL

Angela Cordeiro and Breno de Mello

The loss of genetic diversity in food crops is a serious threat to agricultural development. In Brazil, a group composed of local associations and farmers ' organisations — supported by NGOs of the PTA (Alternative Technologies Project) network and researchers from EMBRAPA (Brazilian Institute for Agricultural Research) — is working to develop farmers ' self-sufficiency in good quality maize seed, based on the conservation and use of local maize varieties. To date, the experience is showing that farmers can get equally good yields from locally-controlled maize varieties, debunking the myth about the superiority of hybrids. But the effort is threatened by new Brazilian legislation on patenting life. Angela Cordeiro and Breno de Mello, both involved in the programme, wrote this article for the first issue of Biodiversidad: Cultivos y Culturas, a new Latin American magazine co-published by REDES (Friends of the Earth Uruguay) and GRAIN.

The PTA network is composed of 21 non-governmental organisations active in 12 states of Brazil. The network, which was created in 1983, works with small farmers organisations to seek alternatives to the dominant model of agricultural production, alternatives which point to other types of development. With respect to genetic resources, the issue has been taken up from the perspective of the farmers: the need to assure self-sufficiency in seed supply based on incentives to use local varieties and/or introduce other options, be it in terms of species or varieties, in order to reinstate diversity in production systems.

Because of its presence in almost all small farmers ' holdings in Brazil, maize cultivation is a prime entry point to discuss production systems as a whole. Since 1990, groups within the PTA network which are active in the south and southeast of Brazil have been dealing collectively with a problem that is common to most farmers in the two regions: self-sufficiency in maize seed supply. The project to attack this issue is being developed with the help of researchers from National Centre for Agrobiological Research (CNPAB, of EMBRAPA) and aims to safeguard and encourage farmer production of maize seed, based on the valorisation and reintroduction of local varieties instead of commercial hybrids.

Maize in Brazil

Since 6,000 years ago, when maize started to be domesticated in Central America, this crop expanded out in all directions, resulting in great diversity of varieties within the species. In Brazil, there is evidence of the presence of maize in the Pre-Colombian period. Scientific studies have shown that different races of maize were developed by the Guarani, Tupi, Caicangue and Xavante Indians. After the Portuguese occupation, starting in the early 1500s, new varieties were brought in by immigrants coming from different continents which displaced or meshed in with the indigenous varieties.

After many years the cultivation of maize became a prime activity in Brazilian agriculture. In 1991, around 13 million hectares were sown to this crop. The agricultural census of 1985 shows that nearly 53% of the land area devoted to maize is found in farms of less than 50 hectares, which indicates that most of it is grown by small farmers.

Despite the fact that Brazil was one of the first tropical countries to produce and distribute improved maize varieties, productivity is much lower than the potential offered by hybrids, which were massively adopted from the 1970s onward. In the 1980s, the national average yield remained around 1,800 kilogrammes per hectare.

The reasons for this low productivity level are diverse. The rise in the cost of inputs, coupled with the low price paid to producers and lack of rural credit, has driven farmers to double their efforts in avoiding risk. This means cutting back on as much cash expenses as possible. In the case of maize, many farmers who normally bought hybrid seed annually now do it every second or third year, reusing second and third generation seed of the original hybrids. The low quality of this seed, and related problems with soil fertility, results in a serious problem of low productivity.

A strategy for recovering local varieties

When searching for a solution to the maize seed problem, we found a few farmers who were still maintaining local varieties and getting satisfactory yields despite their poor production conditions. This gave rise to a series of training courses for technicians of the PTA network, with the help of EMBRAPA, to discuss the potential and limitations of promoting the use of local varieties. The results of some of the research conducted through these trainings confirmed the observations of most of the field technicians and encouraged them to continue working with indigenous materials.

As of 1990, the NGOs of the PTA network who are active in the south and southeast — regions where modernisation of agriculture was most intense — defined a joint work strategy. The valorisation of local varieties and farmers ' participation were the main principles to guide any search for solutions to the problem of seed dependency. The strategy was divided into four steps (see table). The final objective is that the farmers produce their own seed. For this, it is necessary to substitute hybrids with open-pollinated varieties.

After raising awareness and interest of the farmers in the proposal, the first step was to recuperate local varieties that they were still growing. After mapping out the varieties maintained by farmers in a specific locality, seed samples are obtained for multiplication by farmers groups. To avoid any eventual loss of materials, a part of each sample is maintained in a community seed bank. The banks serve as back-up reserves in case of any problems in the transition period from recovery of, to full conversion to, local varieties.

In a later stage, the recovered varieties are evaluated through comparative trials and farmers ' observations from their own holdings. One of the trials is carried out at the network level in cooperation with CNPAB. The trial is called the National Criollo Maize Trial (ENMC) and consists in evaluating the local varieties, with farmers supported by the PTA network, in different regions of the country.

All the seed samples are brought together in one place to prepare two kits for each test. These are then distributed to each location where the trial will take place. Each location tests the same variety under different soil and climate conditions. Through the ENMC, a series of studies on the behaviour of each varieties is conducted. Aside from the national trials, local trials involving a smaller amount of material and following the specific interests of farmers, are conducted locally. Drawing from the national and local trials, farmers take seeds of whatever material interests them and they plant them on their holdings alongside the maize they are used to working with. At this stage they do the “see it to believe it” test, which compliments the evaluation process.

In the process of evaluation, certain varieties present characteristics that the farmers wish to improve. Generally, farmers select ears from the stock, often choosing the best looking ones and taking the kernels from the centre of the cob for use as seed. Some farmers are used to carrying out intentional crosses and trying to improve the varieties they use. The task in this stage is to provide information to the farmers so that they can define, on the basis of their own criteria and needs, the best strategy to pursue. In the training courses, the basics of stratified mass selection and crossing are presented, with strong emphasis on maintaining the widest genetic base possible. In a few cases, crosses are carried out by EMBRAPA plant breeders and the descendants are handed over to the farmers so that they can continue the selection process on their own holdings.

With a greater knowledge about the different varieties and better information about how to work with them, farmers can make their own choices and organise seed production at the community or individual level. The entire process is a dynamic one, with many of these steps and stages going on simultaneously.

Lessons from the practical work

The results achieved from this collective experience involving technicians and farmers from the PTA network go much further than the mere quantitative data compiled through the evaluation trials. This has been a great process of learning which already allows us to assert the following:

•   Local maize varieties are a viable option

A series of data obtained independently from different organisations in the PTA network substantiate the potential of indigenous maize varieties. The results coming from six states of Brazil over the past four years of national trials provide a synthesis of these findings. Every year, the local varieties have demonstrated a very promising performance and sometimes equal or even out-yield commercial hybrids (see table next page) .

These results concern the average yields of local varieties. If they took into account costs of production and other parameters, the advantages of local varieties would be even greater. Evaluating the results individually — location by location — it is easy to see that there are varieties whose yield is superior even to what farmers indicated as ideal.

In sum, both the evaluations carried out in the controlled national trials and the on-farm trials of farmers participating in the programme, confirm the potential of local and improved varieties, demystifying the “taboo” of commercial hybrids.

National Criollo Maize Trial, 1993/94 growing season. Average yields in 11 locations

Variety

Kg/ha

Type

Carioca 5031 LV
BR 201 4921 H
XL 560 4881 H
IAC-MAIA 4858 LV
BR 106 4658 PUB
Palha Roxa CB 4684 LV
Brancao 4653 LV
Caiano Sobralia 4614 LV
Comp. Sel. Mineiro 4569 LV
Amarelao SC 4561 LV
Astequinha FB 4498 LV
Sol da Manha NF 4494 LV
Bico de Ouro 4470 LV
CMS 5202A 4432 PUB
Caiano AL 4382 LV
Argentino 4375 LV
Campeao 4374 LV
Asteca SC 4364 LV
Sol da Manha ND 4354 PUB
IAC Taiuba 4347 PUB
Maia Antigo 4298 LV
Cunha Branco 4297 LV
Amarelao MC 4284 LV
Vargem Dourada 4281 LV
Cravinho Be 4240 LV
Tabuinha 4240 LV
Pedra Dourada 4142 LV
Asteca ZM 4115 LV
Empasc 151 4107 PUB
Amar. Paulista 4049 LV
Macabu AL 4041 LV
Palha Roxa FB 4040 LV
Asteca VA 3997 LV
Quarentao 3935 LV
Sabugo Fino 3647 LV
Palha Roxa IB 3628 LV

LV = local variety, PUB = public research institute variety, H =hybrid

•   Crop improvement can be decentralised

It is clear that there is a clash between the current plant breeding by agricultural research institutes and conservation of genetic resources. While there is a lot of movement today to strengthen conservation programmes and avoid the loss of diversity, the official plant breeding strategy goes in the opposite direction and contributes to the process of genetic erosion. The basic problems come from the dominant thrust toward uniformity and wide adaptation, the use of a very narrow genetic base as a source of variation and the centralisation of the whole breeding process in experimental stations.

This experience has brought to light the possibility to innovate in plant breeding, in such a way that farmers, technical support people and plant breeders work together, each one having a specific role to play.

•   Farmers can produce high quality seed

When this programme started, in many of the groups the farmers already had much experience in purchasing their maize seed. In the beginning, the possibility to return to farm-based seed production and produce a good quality seed seemed pretty remote. Aside from needing good varieties to start from, it means having the appropriate land for seed production to avoid cross-pollination with other varieties.

Today, the maize seed production holdings are a reality in the PTA network and the demand for seed is growing by the day. In the 1993/1994 growing season, about 150 community seed production holdings were organised, in which 3,000 families are directly involved. The farmers themselves found the solutions to their operational problems. The lack of isolated areas, for example, was overcome by taking a community approach. One appropriate area per community can produce seed for numerous families. The savings that these families are making can now go into improving their soil conditions, which in many cases is a more limiting problem than the quality of the seed.

New challenges

To carry out a consistent effort on the basis of work focusing on genetic resources one has to overcome a number of operational problems related to access to good information and to genetic resources themselves. But very often these problems seem so minor compared to the legal obstacles which each day seem greater and ever more weighed up against the conservation and use of biological diversity.

In the field of agriculture, this starts with the laws which regulate access to rural credit. There is a huge inconsistency between credit regulations and conservation of local varieties because the credit is always linked to the use of recommended varieties, which in the case of maize are generally commercial hybrids.

An even more extreme example is the Law on Intellectual Property which, in this end of the century, is rapidly spreading to cover all life forms. With the advent of biotechnology, the commercial interest in genetic resources is growing and, as a consequence, effort to legalise monopolies on genetic resources is also growing. Aside from political and economic issues at stake, this is generating an ethical debate which is very serious.

Ever since the draft law 824/91, which aims to amend current Brazilian legislation on intellectual property, was presented to the National Congress in April of 1991, the PTA network has worked to bring the debate to the level of the farmers. The farmers ' first reaction, in every instance, was one of fear and consternation because it seemed impossible that someone could outlaw the free exchange of seeds, such a common practice among farmers. So as a first priority, the farmers and their organisations decided to try to put pressure on the deputies to reject the law. Unfortunately, the draft was approved by the Chamber of Deputies. After modifications, which only made it worse, the law is awaiting approval by the Senate.

The question now is: What to do once the law is approved? If we follow the law to the meaning of the letter, initiatives like the PTA network 's could become illegal. Will farmers have to pay royalties to save seed from varieties developed by EMBRAPA and other public research institutes? What will happen then with the joint activities between farmers and scientists? Who will guarantee that the material collected with the farmers won 't be patented by some third party? What security measures can we take to avoid this?

All of these questions show, very concretely, the negative consequences that this type of legislation can have on initiatives which aim to strengthen collaboration between farmers, NGOs and public research institute on genetic resources activities. These questions are up for debate and are largely unanswered. The only thing for certain is that, once approved, the law will be unjust and the possible reaction — in conformity with the farmers ' own perspective — will be peaceful civil disobedience.

Angela Cordeiro and Breno de Mello can be contacted through: AS/PTA Regiao Sul, Rua Visconde do Rio Branco 835 conj. A, Curitiba, Parana 80410-001, Brazil. Tel/Fax: (55-41) 233.53.77. Email: aspta@ax.apc.org

Ref: seedling|seed-94-10-3

Oct 1994"

[Quelle: http://www.grain.org/seedling/?id=394. -- Zugriff am 2005-12-22]


6. Orangensaft (Citrus sinensis (L.) Osbeck) (suco de laranja)


Klicken Sie heir, um "Bittere Orangen" zu sehen

BELANGSENDUNG "BITTERE ORANGEN" 1997
Ein Hip-Hop Song zum Thema "Bittere Orangen"
Produktion: DoRo (Rudi Dolezal, Hannes Rossacher)
Mitwirkende: Josef Hader, Yoo Baa Trieb (Song "Suco Justo") u. v. a.
Dauer 3 Min.


Österreich-Bezug

Quelle der rm-Datei:  http://www.suedwind-agentur.at/start.asp?b=52&sub=120. -- Zugriff am 2005-12-20

"Bittere Orangen

Mithilfe einer solchen Kampagne geriet vor einigen Jahren ein anderes Lebensmittel in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit: die Orange. Genauer gesagt: der Orangensaft. Knapp zehn Liter pro Jahr trinken die Deutschen davon. In Österreich liegt der Pro-Kopf-Verbrauch sogar bei rund zwanzig Litern.

Mehr als neunzig Prozent des bei uns konsumierten Getränke-Volumens kommen aus Brasilien. Mit jährlich rund 650.000 Tonnen ist die Europäische Union der Hauptabnehmer des brasilianischen Orangensaftkonzentrats, von dem insgesamt rund eine Million Tonnen pro Jahr hergestellt wird. Und das, obwohl die EU Probleme hat, ihre eigenen Überschüsse an Orangen (die zum größten Teil aus Spanien stammen) an den Mann oder die Frau zu bringen. Der Grund dafür: Brasilianischer Orangensaft ist einfach billiger.

Warum das so ist, liegt auf der Hand: Während wir für einen Liter Orangensaft rund einen Euro zahlen, bekommt ein brasilianischer Pflücker im Schnitt lediglich ein Vierhundertstel davon: also 0,26 Cent. Ein kleiner Teil geht für Transport und Lagerung drauf, der Löwenanteil mit enormen Gewinnspannen bleibt den großen Fruchtsaft- und Handelskonzernen.

In Europa stammen von den zehn größten Konzernen allein sieben aus Deutschland. Die bekanntesten Marken werden von der
  • Eckes AG (Granini, Hohes C, Dr. Koch, Fruchttiger und andere), von
  • Procter & Gamble (Punica) und
  • Coca-Cola (Minute Maid und Cappy)

hergestellt.

Ein Großteil der Orangen wird in der Region nordwestlich der brasilianischen Industriemetropole São Paulo geerntet. Dort begann der deutsche Auswanderer Carl Fischer Mitte der sechziger Jahre den Anbau zu industrialisieren. Mittlerweile herrschen fünf Familien über mehr als 150 Millionen Orangenbäume und rund 70.000 Pflücker.

Kontrolliert wird die Ernte mit modernster Technologie: Auf den Computerbildschirmen der Presserei »Paraná Citrus« etwa leuchten per Mausklick alle Baumreihen im Umkreis von fünfzig Kilometern auf, die gerade erntereif sind. Von dort werden die Pflücker jeden Tag an ihre Einsatzorte dirigiert.


Abb.: Paraná Citrus, 1999
[Bildquelle: http://www.deq.uem.br/pet/fotos2.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Der Lohn dieser Arbeiter liegt laut Helmut Adam von TransFair Österreich, einer Organisation, die fair gehandelte Produkte aus den Ländern des Südens verkauft, rund ein Drittel unter dem Existenzminimum.23 Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 1995 sind die Pflücker, die nun den Status »freier Unternehmer« haben, nicht einmal mehr sozialversichert.


Abb.: Wie TransFair funktioniert
[Bildquelle: http://www.transfair.org/ueber_transfair/wie_funktioniert_es/index.php. -- Zugriff am 2005-12-20]

Pro Kiste Orangen erhalten die Lohnarbeiter umgerechnet etwa 15 Cent. Bei einer Spitzenleistung von 80 Kisten am Tag beträgt der Tageslohn weniger als 12 Euro. Die Kosten zur Deckung der Grundbedürfnisse sind ähnlich hoch wie in Westeuropa. Die Erntesaison dauert höchstens sechs Monate im Jahr, danach gibt es überhaupt kein Einkommen. Andere Arbeitsmöglichkeiten sind in der Region so gut wie nicht vorhanden.

Niedrige Löhne erzwingen Kinderarbeit

Da kaum ein Erntearbeiter seine Familie ernähren kann, arbeiten auch viele Kinder auf den Plantagen. Zehn- bis Vierzehnjährige tragen dort Säcke mit je 25 Kilogramm Orangen, 14 Stunden am Tag. Nach Schätzungen des gewerkschaftlichen Dachverbandes CUT waren im Jahr 1994 fünfzehn Prozent von São Paulos Orangenpflückern unter vierzehn Jahre alt. Noch 1996 war in der Ernteregion Itápolis jedes dritte Kind aus armen Verhältnissen als Pflücker beschäftigt.

Seit Menschenrechtsverbände und Gewerkschaften diese Situation angeprangert haben, haben die meisten westlichen Fruchtsaftkonzerne die Kinderarbeit bei ihren Lieferanten verboten. Auch der Verband der brasilianischen Exporteure von Zitrusfrüchten Abecitrus hat sich 1999 verpflichtet, das Verbot von Kinderarbeit konsequent einzuhalten und gleichzeitig aus einem speziell geschaffenen Fonds Projekte zugunsten von Kindern aufzubauen.

Daniela Kapellan, Verkaufsleiterin des österreichischen Fruchtsaft-Marktführers Rauch, in einem Interview für das Buch »Prost Mahlzeit! Essen und Trinken mit gutem Gewissen«: »Kinderarbeit war vor fünf, sechs Jahren tatsächlich ein Thema. Doch mittlerweile können wir belegen, dass keine Kinder mehr als Pflücker eingesetzt werden.«

Wenn Sie hier klicken, sehen Sie TransFair-Werbespot

Werbespot für TransFair Orangensaft, 2001


Österreich-Bezug

Quelle der rm-Datei:  http://www.suedwind-agentur.at/start.asp?b=52&sub=120. -- Zugriff am 2005-12-20

Menschenrechtsgruppen wie die Agentur Südwind halten das allerdings für eine gewagte Behauptung. Auch wenn allerorten bestätigt wird, dass die Kinderarbeit durch den öffentlichen Druck zurückgegangen ist, gibt es immer wieder Studien und Augenzeugenberichte, wonach weiterhin unter 14-Jährige auf den Orangenplantagen schuften.

Das Kernproblem haben die Konzerne mit ihrem Verbot nämlich nicht gelöst: die niedrigen Löhne. Und werden es ohne Konsumentendruck wohl auch nicht lösen."

[Quelle: Werner, Klaus <1967 - > ; Weiss, Hans <1950 - >: Das neue Schwarzbuch Markenfirmen : die Machenschaften der Weltkonzerne / Klaus Werner/Hans Weiss. -- Wien [u.a.] : Deuticke, 2003. -- 407 S. : Ill. ; 21 cm. -- ISBN 3-216-30715-8. -- S. 175 - 177. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

"Die Orangen-Dynastie

Eine deutschstämmige Familie in Brasilien gehört zu den größten O-Saft-Produzenten der Welt. Jetzt wollen die Fischers expandieren – nach China und Russland

Die Flasche zerschellt an der grün-weißen Bordwand aus zwölf Millimeter dickem Stahl. Champagner, Veuve Clicquot, fließt hinunter ins Wasser des norwegischen Sognefjord, 400 Kilometer westlich von Oslo. Maria do Rosario Fischer, Brasilianerin, Unternehmerin, Erbin und Chefin einer deutschen Dynastie, genießt den Moment. Das modernste Tankerschiff seiner Art kann in See stechen. Kein Tanker für Öl, sondern einer für 32000 Tonnen Orangensaft.


Abb.: Orangensafttanker Premium do Brasil, 2004
[Bildquelle: http://people.zeelandnet.nl/pvanluik/Tankers/Premium%20do%20Brasil.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Der Name des Schiffes – Premium do Brasil – ist Programm: Von Maria do Rosario Fischers Plantagen und von ihren Schiffen kommt der beste Orangensaft der Welt. Insgesamt zehn Liter trinkt jeder Deutsche im Jahr – „mit 100 Prozent Fruchtsaftgehalt und reich an Vitaminen“, wie Etiketten und Werbung versprechen. Doch wo die Orangen gepflückt werden, steht dort nicht.

Warum auch? Die Kunden fragen nicht. Sie glauben Onkel Dittmeyer, wenn der in seinen Werbefilmchen durch andalusische Haine streift und persönlich über jede einzelne spanische Orange wacht. Es stört sie nicht, dass die Verpackungen von Granini und anderen Stammgästen in deutschen Kühlschränken ihre Herkunft verschweigen.

Ob Wesergold, Hohes C, Vaihinger oder Eckes – die meisten deutschen Produzenten kaufen ihre wichtigste Zutat bei fünf Unternehmen im Bundesstaat São Paulo. Eine der reichsten Regionen des armen Südamerika versorgt Europa, Asien, einen großen Teil der Welt mit Orangen. Oder besser, mit dem, was von ihnen übrig bleibt, dem Konzentrat. Von den jährlich produzierten 1,1 Millionen Tonnen kommen drei Viertel aus Brasilien.


Abb.: José Cutrale Júnior
[Bildquelle: http://www.socitrus.com.br/pomar3.htm. -- Zugriff am 2005-12-20

Zwei Familien beherrschen dabei allein mehr als die Hälfte der weltweiten Exporte: die Fischers und die Cutrales. Dazu kommen noch eine Tochter des US-Handelshauses Cargill, der brasilianische Unternehmer-Klan Votorantim und der französische Unternehmer Robert Louis-Dreyfus. Diese fünf teilen sich das Geschäft. Florida-Orangen? Die bleiben überwiegend in Nordamerika. Das Sagen auf dem Orangenmarkt im Rest der Welt haben die Brasilianer.

Was sie sagen, sagen sie meist leise, hinter den Kulissen, fernab der Öffentlichkeit. Über ihr Geschäft verlieren die Fischers und die Cutrales kaum ein Wort. Nichts als Orangen verlässt die kilometerlangen Plantagen des brasilianischen Hochplateaus – keine Details über die Arbeitsbedingungen, keine Zahlen über die Unternehmen und auch keine Familiengeschichten. Weder von den Alten, den Gründern, existieren Fotos, noch von den Jungen, die heute die Geschäfte leiten. Selbst wenn die Cutrales wie im August vier Millionen Reais für das Null-Hunger-Programm von Präsident Lula spenden, steht in der Boulevardpresse nichts geschrieben über den Reichtum und das Leben der Saftdynastien. Zu groß ist die Angst vor Entführungen. In Brasilien ist es gefährlich, über Geld zu reden. Wer es hat, versteckt es hinter hohen Mauern und schweigt.

Bei Samba und fangfrischem Lachs wird geküsst und geweint

Dass die ZEIT dabei sein durfte, als Maria do Rosario Fischer in Norwegen ihr neuestes Schiff taufte, war eine seit Jahrzehnten nicht mehr gewährte Ausnahme. Abgeschottet von der Öffentlichkeit, traf sich der Clan in Balestrand an der norwegischen Westküste. Über dem Ort thront der Dovums-Gletscher, der Sognefjord schmiegt sich um den schroffen Fels. Die Gästeliste ist international. Geladen sind brasilianische Manager, deutsche Ingenieure, Schweizer Banker und die norwegischen Arbeiter der Werft, in der das Schiff gebaut wurde. Bei fangfrischem Lachs und einem Mix aus Sambarhythmen und norwegischer Folklore wird geküsst, geherzt und geweint. Vertraut, verschwiegen – die Familie ist unter sich.

Sie hat sich viel zu erzählen, auch von früher: wie der Clan-Gründer im vergangenen Jahrhundert aus Deutschland kam, die ersten Plantagen kaufte, wie sein Unternehmen expandierte und den Weltmarkt eroberte. Wie sich seine Firma neue Techniken zu Eigen machte, mit denen sich sein Saft einfach verschiffen und über den Globus verteilen ließ. Wie die Familie mit Orangen made in Brazil Millionen scheffelte – und niemand davon etwas mitbekam.

Mehr als 70 Jahre reicht die Unternehmensgeschichte der Fischers zurück. 1928 blieb der deutsche Kaufmann Carl Fischer – eigentlich auf dem Weg ins prosperierende Argentinien – im brasilianischen Santos hängen, kaufte seine erste Plantage, die Citricola, und baute einen Fruchthandel auf. Zusammen mit dem Unternehmer Ludwig Eckes übernahm er 1963 eine Orangenverarbeitungsfabrik in der Stadt Matão und gründete das Unternehmen Citrosuco Paulista.


Abb.: Citrosuco Paulista
[Bildquelle: http://www.novomilenio.inf.br/santos/h0169.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Parallel dazu stieg Fischer ins Reedereigeschäft ein. Bis 1998, als seine Nachkommen die „Alianca Navegacão“ für 50 Millionen Euro an die Reederei Hamburg Süd verkauften, zählte die Familie zu den bedeutendsten Reedern Brasiliens. Fruchthandel und Reederei erlaubten es ihr, früh zu expandieren. Und seit je streitet sie mit den Cutrales um die Position der Nummer eins im Markt für Orangensaft. José Cutrale war aus Sizilien gekommen und hatte „Sucocitrico“ 1967, also bloß vier Jahre später als Carl Fischer, gegründet. Heute hat seine Familie auf dem Weltmarkt die Nase vorn – aber „nur leicht und nur vorübergehend“, heißt es in Balestrand zwischen Lachs und Samba.

Mit Citrosuco und Sucocitrico begann der Boom der brasilianischen Orangensaftindustrie. Den entscheidenden Schub erlebte das Geschäft in den siebziger Jahren, als die Europäer den Saft für sich entdeckten. Zugleich begannen die Familien damals, nur noch das Konzentrat zu exportieren. Dem Saft werden dazu 60 Prozent seiner Flüssigkeit entzogen; das Endprodukt wird eingefroren und bei minus acht Grad von riesigen Tankfarmen an der brasilianischen Atlantikküste auf die Tankschiffe gepumpt. Fünf Sechstel der früher benötigten Transportfläche werden so gespart.

Die Chancen der neuen Technik erkannte Carl Fischer als Erster. Amerikaner hatten das Verfahren entwickelt, der Deutschbrasilianer wandte es an. „Fischer war der Pionier, ein knallharter Geschäftsmann, zäh in Verhandlungen mit Zulieferern und Kunden“, sagt ein langjähriger Weggefährte an Bord der Premium do Brasil. „Er war ein Visionär, wie es sie heute nur noch selten gibt.“ Aus seinem Fruchthandel machte er ein Saftimperium.

Heute verlassen jeden Tag rund 20000 Tonnen Orangen die Plantagen auf der brasilianischen Hochebene. Zehn Millionen Bäume besitzen die Fischers, mit 10000 Mitarbeitern ist Citrosuco zum größten landwirtschaftlichen Betrieb Brasiliens geworden. In den zwei Fabriken in Matão und im benachbarten Limeira produziert das Unternehmen pro Saison 280000 Tonnen Orangensaftkonzentrat. Zwei Drittel davon werden vom firmeneigenen Terminal in Santos über das belgische Gent nach Europa verschifft, 80000 Tonnen gehen allein nach Deutschland.


Abb.: Verladequai von Citrosuco im Haven Ouro do Brasil, Santos
[Bildquelle: http://www.novomilenio.inf.br/santos/h0169.htm. -- Zugriff am 2005-12-20]

Über das Imperium wacht inzwischen die 54-jährige Maria do Rosario Fischer, Carl Fischers Schwiegertochter. Zusammen mit ihren vier Töchtern Bianca, Ana Luisa, Alessandra und Renata dirigiert sie seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes Carlos Fischer vor drei Jahren den Aufsichtsrat des Unternehmens. 15 Jahre habe sie zuvor an seiner Seite gearbeitet, von der Pike auf gelernt, was wichtig ist im Orangengeschäft, erzählt die Chefin, die von allen nur „Ro“ genannt wird. Freundlich begegnet sie einem, zurückhaltend wirkt die schmale Frau, und doch wird schnell klar, dass sie die Seele von Citrosuco ist. Stolz führt sie die Familie über die Premium do Brasil, die so groß ist wie zwei Fußballfelder. Für die Fischers ist es der zweite Orangen-Großtanker. 2002 lief das baugleiche Schwesterschiff vom Stapel, getauft von Ro auf den Namen Carlos Fischer.


Abb.: Orangensafttanker Carlos Fischer, Deck
[Bildquelle: http://www.ship-technology.com/projects/carlos_fisher/index.html#carlos_fisher3. -- Zugriff am 2005-12-20]

Carlos hatte in den Neunzigern nach Europa und in die USA expandiert. Er hatte die Logistik so verfeinert, dass der Saft für den Weg vom Orangenhain in Brasilien bis ins Glas seiner Kunden in Europa heute kaum mehr als 24 Tage benötigt. Das machte das Geschäft noch ein bisschen besser, als es ohnehin schon war: Für eine Kiste Orangen (à 40,8 Kilogramm) zahlen die Saftproduzenten gegenwärtig rund 3,50 Dollar an die rund 20000 brasilianischen Orangenbauern, deren Ernte sie zusätzlich zu ihrer eigenen verarbeiten. Aus 250 Kisten wird eine Tonne Orangensaft gepresst, aus sechs Tonnen Saft eine Tonne Konzentrat, das auf dem Weltmarkt derzeit 1200 Dollar kostet.

Gepflückt werden die Früchte von Orangennomaden. Die meisten Pflücker sind professionelle Arbeiter – Tagelöhner, die von Plantage zu Plantage ziehen und je nach Jahreszeit Orangen, Zuckerrohr oder andere Produkte ernten, meist für weniger als einen Euro am Tag. Über die niedrigen Löhne möchte Ro Fischer nichts sagen, über Kinderarbeit nur, dass sie mittlerweile bekämpft werde. Für die erbärmlichen Löhne seien, heißt es an Bord der Premium, schließlich die Industrieländer verantwortlich: Die den Entwicklungsländern aufgezwungenen Handelsbarrieren wirkten auf die gesamte Produktionskette, bis hin zum Einkommen der Pflücker.

Für jede Tonne O-Saft, die von den Fischers in die USA ausgeführt werden, sind an der Grenze Abgaben in Höhe von 400 Dollar fällig. Die Europäische Union verlangt 12,2 Prozent vom Wert der Ware. Gegen den freien Wettbewerb sträuben sich vor allem die Zitrus-Verarbeiter aus Florida, die neben den brasilianischen Unternehmen den meisten Orangensaft pressen und mischen. Floridas Produzenten argumentieren, ohne Zollschutz seien sie nicht wettbewerbsfähig, weil Brasiliens Zitrus-Industrie von staatlichen Hilfen, von laxen Umweltbestimmungen und schlechten arbeitsrechtlichen Standards profitierten. „Wenn die USA die Zölle senken, bekommen die Brasilianer den ganzen Markt“, sagt Judy Sanchez, Sprecherin von U. S. Sugar Crop, deren Ableger Southern Gardens Citrus zu den großen Orangenproduzenten und Saftverarbeitern in Florida gehören.


Abb.: Reklame für Orangensaft aus Florida, USA

Die Zölle müssten runter, lächelt Ro Fischer. Sie weiß, dass die Brasilianer längst aufs US-amerikanische Festland vorgedrungen sind. Vorbei an der politischen Frontlinie haben sie sich auf den Plantagen und in den Fabriken Floridas eingekauft und umgehen so die amerikanischen Einfuhrzölle. Mit ihrem Mann übernahm Ro Fischer den Verarbeiter Alcoma, der Italobrasilianer Cutrale kaufte von Coca-Cola zwei Konzentratfabriken. So sind die Marktführer aus Südamerika heute bereits für 40 Prozent der US-Produktion von Orangensaft verantwortlich.

Gleichzeitig versucht Ro mit ihren Managern in neue Märkte vorzustoßen. Auch weil Amerikaner und Europäer andere Getränke entdecken und immer weniger Orangensaft aus Konzentrat trinken. „Russland ist deshalb der nächste Schritt“, sagt Ro Fischer. „Und China. Und Direktsaft.“

Der Trend gehe wieder zum frischen Orangensaft, sagt sie. NFC heißt deshalb ihre Zukunftsformel – not from concentrate. „Frisch“ bringt auch höhere Margen. Ein Liter aus Konzentrat kann für 20 Cent verkauft werden, frischer Saft dagegen für 50 Cent. „Mit der Premium do Brasil sind wir klar vor der Konkurrenz“, sagt Ro, als sie in Balestrand von Bord ihres neuen Schiffes geht. Am nächsten Tag wird sie wieder in die Anonymität der Neun-Millionen-Metropole Rio de Janeiro abtauchen. „Mit beiden Schiffen können wir jetzt bis zu 64000 Tonnen frischen O-Saft transportieren. Das reicht für 300 Millionen Cocktails.“

[Quelle: Anne Grüttner und Marcus Pfeil. -- In: DIE ZEIT. -- Nr.51 (2003-12-11). -- http://www.zeit.de/2003/51/Orangen?page=all. -- Zugriff am 2005-12-20]


7. Kaffee (Coffea sp.) (café)



Abb.: Coffea arabica, Brasilien
[Bildquelle: Wikipedia]

"Kaffe aus Brasilien

Gigant des Kaffeemarktes

Kaffee - das stimulierende schwarze Getränk ist für viele Menschen weltweit täglicher Muntermacher. Der Anbei dieses begehrten Naturproduktes erfolgt in den tropischen und subtropischen Gebieten Brasiliens, dem so genannten "Kaffeegürtel". Auf dem gesamten Globus zählt man etwa 15 Milliarden Kaffeebäume, allein 4 Milliarden davon wachsen in Brasilien. Kaffee ist somit nach wie vor eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Exportgüter des Landes. 30 Prozent des auf dem internationalen Kaffeemarkt gehandelten Kaffees werden in Brasilien produziert, damit ist das Land heute der grösste Kaffeeproduzent weltweit.


Abb.: Kaffeeplantage in Bahia, Brasilien
[Bildquelle: http://www.worldcoffeeconference.com/EN/VISITA.ASP. -- Zugriff am 2005-12-22]

Anfang des 20.Jh. wurden etwa 90% der Weltkaffeernte in Brasilien produziert. Heute werden zahlreiche Kaffeesorten angebaut. Viele der edleren Kaffeesorten werden jedoch nicht exportiert, da Brasilien einen Grossteil der Produktion selbst verbraucht. angebaut werden gute Qualitäten der Sorten Arabica und Robusta. auf Grund des hohen Koffeingehaltes und des geringeren Säureanteils wird der brasilianische Kaffee in Europa und hier insbesondere von den Italienern sehr geschätzt.


Abb.: Robusta-Kaffee (Coffea canephora)
[Bildquelle: Wikipedia]

Die vier brasilianischen Bundesstaaten Paraná, São Paulo, Minas Gerais und Espírito Santo erzeugen 98% des brasilianischen Kaffees. Dabei werden 75% der Erträge von Kleinbauern produziert. Die Kaffeebäume, die bis zu 18m Höhe erreichen können, werden auf den Plantagen auf Strauchhöhe zurückgeschnitten. Ein Strauch erbringt jährlich Fürchte für ein Pfund Röstkaffe.

Brasilien exportierte im Jahr 2000 rund 1 Million Tonnen Kaffee. Deutschland importierte im gleichen Jahr brasilianischen Kaffee im Wert von 323 Millionen US-Dollar, das entspricht 9% der brasilianischen Ausfuhren nach Deutschland.

Ein nicht unbedeutender Anteil der Exporte besteht aus löslichem Kaffee. Im vergangenen Jahr hat die Europäische Union Brasilien Zollvergünstigungen für den Export von löslichem Kaffee in die Gemeinschaft eingeräumt. Innerhalb von drei Jahren dürfen 31.364 Tonnen dieses Kaffees zollfrei eingeführt werden.

Copyright © Brasilianische Botschaft - Berlin"

[Quelle: http://www.brasilien.de/land/florafauna/pflanzen/bkaffee.asp. -- Zugriff am 2005-12-22]


Abb.: Coffea arabica in Bllüte, Brasilien
[Bildquelle: Wikipedia]

"Coffee Complex

by José Maria da Silveira


Coffee cultivation has come to represent 70% of Brazil’s exports. It is still important in the overseas sales of products of an agricultural nature; it features among the six main items in the export agenda in the Country, but is subject to international price fluctuation (this has been more apparent with the end of the International Coffee Organisation) and climatic problems.

The main aspect which affect the competitiveness of the coffee industry on the international market can be summarised in the following points:

a) Unsatisfactory quality, low production levels, high transport costs and slow processing industry;

b) Trade blockage (mainly in the distribution sector and brand control) is caused by trade agreements, which affect penetration of Brazilian products;

c) Tariffs imposed by importing countries.

Brazilian production is regionalised on the basis of two poles. One, in the South of the State of Minas Gerais - and more recently in the "Cerrado Mineiro"-, where there are sufficient varieties to produce quality coffee, adapted to the new production techniques, such as "compacted coffee". The other, where low quality production of coffee is found, mainly for use in blends by international producers, basically incorporating the robust variety.


Abb.: Reklame für brasilianisches Kaffeehaus in Paris, 19. Jhdt.
[Bildquelle: http://sauce.pntic.mec.es/~jotero/Emigra1/emigra1rd.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

Brazil’s loss of control of the world market (the Country used to have 80% of the world market whereas nowadays it scarcely achieves its share of 25% in the form of 18 million tons/year) has had some positive effects. Amongst these was the dawning of an awareness of the need to introduce quality guarantees and pay more attention to product differentiation, exploiting the gourmet market which is currently dominated by Colombia and Central American countries. The trend towards introducing compacting techniques, the concentration of planting in regions with a low risk of frost and the search for quality markets are providing an opportunity to recover the ground lost during the time when Brazil was concerned only with administering a policy of high prices and export tariffs.

In some regions, the increase in production (which reached 40 sacks/60kg per hectare), the land availability which would duplicate the production area destined from the production of coffee of higher quality, as well as improvements in the roasting processes suggest that Brazilian coffee is becoming increasingly more competitive on the international market, in spite of the problems faced by the industry."

[Quelle: http://www.mre.gov.br/cdbrasil/itamaraty/web/ingles/economia/agroind/cafe/index.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]


Abb.: Coffea arabica in Bllüte, Brasilien
[Bildquelle: Wikipedia]


8. Rindfleisch (carne de vaca)


Abb.: Rindfleischstücke aus Brasilien
[Bildquelle: http://www.export-forum.com/americas/brazil%20frozen%20beef%20cuts%20for%20export.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

"Rindfleisch boomt weltweit +++ Rückgang in EU +++ Eigenbedarf nicht mehr gedeckt

08.12.2005

Hannover (aho/lme) -

  • Weltweit wird das meiste Rindfleisch in den USA erzeugt. Mit 11,32 Millionen Tonnen (t) Schlachtgewicht haben sie auch 2005 den Spitzenplatz behauptet.
  • Dagegen wurde die EU mit einer Erzeugung von voraussichtlich insgesamt 7,82 Millionen t von Brasilien auf den dritten Platz verdrängt. Das südamerikanische Land hat mit jetzt 8,35 Millionen t bereits seit 2004 den zweiten Platz erobert.
  • Kaum weniger Rindfleisch als in Europa wird in China erzeugt, das mit 7,18 Millionen t den vierten Platz in der weltweiten Rangliste belegt.
  • Mit deutlichem Abstand folgt Argentinien auf Platz fünf, dort werden in diesem Jahr 2,97 Millionen t erzeugt.
  • Australien - als ehemals größter Exporteur von Rindfleisch von Brasilien von Platz eins verdrängt, bringt es lediglich auf eine Erzeugung von 2,18 Millionen t, davon wurden 1,47 Millionen t ausgeführt.

Insgesamt erreicht die weltweite Rindfleischerzeugung in diesem Jahr mit 51,978 Millionen t den höchsten Stand der vergangenen fünf Jahre. Hierüber informierte heute der Landvolk-Pressedienst (LPD) in Hannover.

An den internationalen Märkten haben sich laut LPD die Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren deutlich verschoben. Insbesondere Brasilien und Argentinien haben ihre Rindfleischerzeugung stark ausgebaut und drängen verstärkt auf den Weltmarkt. Sie machen inzwischen fast die Hälfte des gesamten Welthandels unter sich aus. So hat Brasilien im Jahr 2001 erst 6,9 Millionen t Rindfleisch erzeugt, in Argentinien lag die Erzeugung bei 2,6 Millionen t. Im kommenden Jahr soll die brasilianische Erzeugung um weitere 2,5 Prozent auf dann 8,56 Millionen t steigen. Ganz stark zugelegt hat auch China, wo die Produktion seit 2001 von 5,48 Millionen t auf den heutigen Wert anstieg und im kommenden Jahr noch einmal um 6,4 Prozent - das ist weltweit die höchste Steigerungsrate - auf 7,64 Millionen t zunehmen soll. Dagegen ist die europäische Erzeugung rückläufig. Hier hat die Entkoppelung der Prämien dazu geführt, dass viele Bullenmäster aus der Produktion ausgestiegen sind. Der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre wurde 2002 mit 8,14 Millionen t erreicht und ist seither kontinuierlich gesunken. Auch für das kommende Jahr wird ein weiterer Rückgang um 0,3 Prozent erwartet. Einen Rückgang hat es darüber hinaus nur in Russland gegeben, wo die Produktion von derzeit 1,52 Millionen t um weitere 3,9 Prozent sinken soll.

Während Brasilien nur 6,6 Millionen t Rindfleisch verbraucht und damit erhebliche Exportüberschüsse aufweist, schafft es die EU nicht einmal mehr, ihren eigenen Bedarf zu decken. In der Gemeinschaft der 25 wird in diesem Jahr mit 8,19 Millionen t eine Versorgungslücke von 365.000 t bestehen. Sie ist mit Einfuhren von 615.000 t viertgrößter Importeur von Rindfleisch weltweit. Größter Importeur sind trotz der höchsten Eigenerzeugung die USA, die zusätzlich 1,7 Millionen t einführten, um den Verbrauch von 12,74 Millionen t zu decken. Und selbst China steht mit zwar nur bescheidenen 75 Millionen t auf der Liste der Exporteure, aber mit steigender Tendenz, informiert der LPD."

[Quelle: http://ticker-grosstiere.animal-health-online.de/20051208-00001/. -- Zugriff am 2005-12-22]

 

"Fleisch für Europa von Sklavenfarmen

Klaus Hart

Zumindest seit den neunziger Jahren ist auch den offiziellen Stellen Deutschlands detailliert bekannt, dass Agrarprodukte aus Brasilien teils von Sklavenarbeitern erzeugt werden. Entsprechende Anklagen zumeist kirchlicher Menschenrechtsaktivisten Amazoniens verhallten indessen aus den bekannten Gründen ohne Reaktion aus Bonn bzw. Berlin. Jetzt haben brasilianische Menschenrechtsexperten einen neuen Vorstoß gestartet, der die Rindfleischexporte des Tropenlandes betrifft - auf das "Echo" darf man gespannt sein. Denn neuesten Angaben zufolge stammt aus Brasilien in europäische Länder exportiertes Rindfleisch auch von Großfarmen, die Sklavenarbeiter ausbeuten. Gemäß einer Studie, die die regierungsunabhängige Organisation "Reporter Brasil" gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation IAO angefertigt hatte, kaufen große brasilianische Exportfirmen regelmäßig Fleisch von Rinderfarmen Amazoniens, denen der Einsatz von Sklavenarbeitern nachgewiesen worden war. 


Abb.: ®Logo

Diese Farmen stehen deshalb auf einer sogenannten "Schmutzigen Liste" des Arbeitsministeriums. Wie es in der Studie weiter hieß, wurden zwischen 2003 und 2005 Sklavenarbeiter größtenteils auf Viehfarmen entdeckt und dann durch Spezialeinheiten der Bundespolizei befreit. Fleischexportfirmen bestätigten, von den betreffenden Agrarbetrieben beliefert worden zu sein. Dass diese jedoch auf der "Schmutzigen Liste" stünden, sei nicht bekannt gewesen. Dies klingt wie ein schlechter Witz. Denn die Liste wird regelmäßig aktualisiert und in den brasilianischen Medien veröffentlicht. Der katholische Anwalt und Menschenrechtsaktivist der brasilianischen Landpastoral [Comissão Pastoral da Terra], Xavier Plassat, teilte dazu mit, dass sich "Anti Slavery International" aus Großbritannien, älteste und angesehenste Bewegung gegen Sklaverei auf der Erde, ebenfalls mit dem Fall befasst. Der aus Frankreich stammende Dominikaner Plassat hat die letzten Jahre immer wieder angeprangert, dass in den Weiten Amazoniens auf Farmen noch mindestens 25000 Menschen wie Sklaven gehalten werden.


Abb.: Xavier Plassat OP
[Bildquelle. http://news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/crossing_continents/2151714.stm. -- Zugriff am 2005-12-22]

Wie der britische "Guardian" jetzt schrieb, habe sich wegen der stark zunehmenden Rinderzucht die Sklavenarbeit in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Die Fleischproduktion sei hauptverantwortlich für die weiterhin rasch voranschreitende Zerstörung der brasilianischen Urwälder. Brasilien ist der größte Fleischexporteur der Welt. Brasiliens Monarchie schaffte 1888 offiziell die Sklaverei ab - einhundertsechzehn Jahre später gibt es in Lateinamerikas größter Demokratie jedoch immer noch Sklaven und Sklavenhalter. Ricardo Rezende [Figueira], ein katholischer Pfarrer, kämpft seit der Diktaturzeit gegen dieses brutale, heimtückische Ausbeutungssystem, hat dabei viel erreicht. Er ist heute der führende Sklaverei-Experte Brasiliens, sogar mit Doktorgrad, dazu einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten des Tropenlandes. Damals, in den siebziger Jahren, hätte Rezende gut in diesem beschaulichen Städtchen Juiz de Fora seiner Heimatregion Minas Gerais bleiben können. Da gab es Theater und Kino, Bibliotheken, malte er Bilder, machte Ausstellungen, konnte er studieren, sich in kirchlichen Gruppen engagieren. Doch dann reiste Rezende eines Tages eher zufällig ins tausende Kilometer entfernte Hinterland des Amazonasteilstaates Parà, um Dominikaner-Ordensbrüder zu besuchen. Und lernte ein völlig anderes Brasilien kennen, mit Sklaverei, Todesschwadronen - er war schockiert, entschied auf der Stelle, zu bleiben. 


Abb.: Pedro Casadalinga
[Bildquelle. http://www.servicioskoinonia.org/pedro/. -- Zugriff am 2005-12-22]

Der angesehene Bischof Pedro Casaldaliga, ein erbitterter Diktaturgegner, hatte gerade die Bodenpastoral [Comissão Pastoral da Terra] gegründet, zur Unterstützung der Landlosen, der Landarbeiter und Kleinbauern gegen die feudalen Großgrundbesitzer. Mit ihm arbeitete er eng zusammen, wurde 1980 Gemeindepfarrer von Rio Maria. "Wir lebten völlig isoliert, ich hatte nicht einmal Telefon. Weil es in der Region Widerstand gegen die Diktatur gab, drangen Soldaten auch in sämtliche Kirchen und Gemeindehäuser ein, , schlugen, folterten sogar Pfarrer, vergewaltigten Ordensschwestern – es war ein Horror für die Kirche.“ Durch Padre Rezende erfuhr die Weltöffentlichkeit erstmals vom Terror im Hinterland. Dass man Sklaven, die zu flüchten versuchten, ermordete – oder grauenhaft folterte, die Ohren abschnitt, davon sogar eine Sammlung anlegte. Dass Großgrundbesitzermilizen ein dreizehnjähriges Mädchen entführten, vergewaltigten, lebendig verbrannten. Und Rezende legte sich sogar mit dem Volkswagenkonzern an - wegen Sklavenarbeit. “Bischof Casaldaliga hatte entdeckt, dass es drei jungen Männern seiner Prälatur gelungen war, von der Volkswagen-Großfarm zu flüchten. Ich bin hingefahren, habe die drei kennengelernt, und 1983, am Sitz der Bischofskonferenz in Brasilia den Konzern als erster vor der Presse angezeigt. Damals gab es auf der Farm etwa tausend versklavte Arbeiter, viel Gewalt gegen sie. 1984 waren wir sogar mit einer Parlamentarierkommission dort, haben alles bewiesen. VW kündigte an, gegen mich zu prozessieren, hat es aber gelassen, die Großfarm veräußert. Das Eigenartige: Damals bezahlte Volkswagen in Deutschland bereits Historiker, um herauszufinden, ob der Konzern während des Zweiten Weltkriegs Sklavenarbeiter nutzte. In Deutschland wurde geforscht, doch hier wurden Sklavenarbeiter gehalten.“ Der VW-Konzern hat die Vorwürfe Rezendes stets bestritten – VW sei nie verurteilt worden. 

Der Pfarrer kämpfte weiter, erhielt internationale Menschenrechtsauszeichnungen, doch auch immer mehr Morddrohungen. Auf sein Haus wurde geschossen, er entging Attentaten, auch einer Entführung, stand vier Jahre lang sogar ständig unter Polizeischutz, bis auch das nichts mehr half. Er verließ Rio Maria, ging ins Dominikanerkloster von Rio de Janeiro, machte an der städtischen Universität seinen Doktor – natürlich über Brasiliensklaverei, leitet dort die Forschungen zum Thema, koordiniert zwei Menschenrechtsorganisationen mit. Die Regierung von Staatschef Lula hat erstmals schwarze Listen mit Sklavenhaltern vorgestellt, die nicht mehr subventioniert werden sollen – eine alte Forderung der Kirche. „Ich bin glücklich, dass diese Liste von der Regierung schließlich doch veröffentlicht wurde – es gab ja sogar Großfarmer, die sozusagen als Rückfalltäter stets erneut Sklavenarbeiter beschäftigten – und dennoch immer aufs neue staatliche Subventionen erhielten. Der Förderungsstopp kommt aber merkwürdig spät.“ Laut internationaler Arbeitsorganisation werden in Brasilien noch bis zu vierzigtausend Menschen versklavt. 2003 konnte die Bundespolizei nach Anzeigen der kirchlichen Bodenpastoral [Comissão Pastoral da Terra] jedoch erst rund 4300 Sklavenarbeiter befreien. “Die Regierung handelt widersprüchlich", sagt Rezende. 

Nach kirchlichen Anzeigen gegen Sklavenfazendas kommt die Bundespolizei oft viel zu spät. "Und bis die Beamten wirklich auftauchen, haben die Sklavenhalter schon alles vertuscht. Wir wollen, dass Sklavenfarmen entschädigungslos enteignet werden, doch ein solches Gesetz wurde immer noch nicht verabschiedet.“ Padre Rezende, inzwischen über fünfzig, grauhaarig, aber weiterhin schlank und sehr agil, sieht zwar einige Fortschritte – doch setze die Lula-Regierung einfach die Prioritäten falsch. “Brasilia gibt vor, dass ihr Mittel fehlen, auch für Gesundheit und Bildung. Doch die Gelder fehlen nur, weil die Rückzahlung der Außenschulden Vorrang hat. Das wirkt sich sogar auf den Kampf gegen die Sklavenarbeit negativ aus – und das ist doch furchtbar. Die Regierung steht sich mit den internationalen Märkten, mit der Weltbank gut, doch die sozialen Ungerechtigkeiten lässt sie weiterbestehen.“ "

[Quelle: Klaus Hart. -- http://www.ila-bonn.de/brasilientexte/fleischexport.htm. -- Zugriff am 2005-12-18]

 


Schweiz-Bezug

"Die Rinderüberraschung

Wie ein brasilianisches Rind zu Schweizer Bündnerfleisch wird.

Von Andreas Heller

Fixfertig liegt es in der Auslage der Migros: ein Päckchen getrocknetes Rindfleisch der Billiglinie M-Budget, sechzehn hauchdünne Scheibchen vom Rind, eingeschweißt in eine Plastikschale, mit Strichcode und Migros-Data. Nichts erinnert mehr an das Tier, das es einmal war. Kein Blut, kein Fett, keine Knochen. Aber es ist Fleisch, wie auch das Kleingedruckte auf der Rückseite der Packung verrät: «Rindfleisch (Brasilien)» heißt es da und «Kochsalz, Gewürze, Milchpulver, Traubenzucker, Konservierungsstoff E 252 und Antioxidationsmittel E 301». Herkunft des Rohstoffs und der Konservierungsstoffe sind damit vorschriftsgemäß deklariert. Alles Weitere ist für den Konsumenten nicht von Belang. Hauptsache, das Fleisch ist gut, der Preis günstig.


Abb.: ®Logo

Tatsächlich ist die Herstellung von luftgetrocknetem Rindfleisch, auch Bündnerfleisch genannt, eine komplexe Angelegenheit. Verschiedene Verarbeitungsstufen sind zu durchlaufen, bis das rohe Fleisch zur haltbaren Spezialität wird, und noch vor dem rohen Fleisch ist das Tier: ein Kalb, das geboren, zum Rind aufgezogen und geschlachtet wird. Lang sind die Wege vom Tier zum getrockneten Fleischscheibchen. Zahlreich die Stationen, wenn Fleisch im Zeitalter der Globalisierung auf Reisen geht.


Abb.: Lage von Goiás und Goiânia
(©MS Encarta)

Die Geschichte des M-Budget-Trockenfleischs beginnt, wie die Produktdeklaration immerhin verrät, in Brasilien. Genauer: auf den weiten Hochebenen des Staates Goiás westlich der Hauptstadt Brasília. Das auf rund 1500 Metern über Meer gelegene Plateau ist mit seinen unendlichen Weiden bestens geeignet für die Rindermast. Vor allem die Rasse der Zebus fühlt sich hier wohl. Die ursprünglich aus Indien stammenden Rinder mit dem markanten Buckel sind widerstandsfähig und genügsam, ertragen auch subtropisches Klima. Was in Zentralbrasilien ein rechter Farmer ist, hat gleich ein paar tausend davon.



Abb.: Zebu-Rinder, Goiás
[Bildquelle: http://www.agronegocio.goias.gov.br/index.php?act=cnt&opt=1,284. -- Zugriff am 2005-12-22]

So auch die Familie Otavio Lage de Siqueira, die den Rohstoff für das M-Budget-Trockenfleisch produziert. Sie betreibt eine Zucht mit 500 hochkarätigen Zuchtstieren und Kühen und gebietet über Farmland, das mit über 100 000 Hektaren viermal so groß ist wie der Kanton Schaffhausen. Dazu ist sie maßgeblich am Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb Goiás Carne beteiligt, und auch Zuckerrohr- und Gummibaumplantagen gehören zum Imperium des alteingesessenen Clans. Die Familie Otavio Lage de Siqueira residiert in einer Villa im Hollywoodstil, mit Pool und Hangar für das Privatflugzeug. Nur Ställe brauchen die Großfarmer keine. Die Tiere sind das ganze Jahr über im Freien auf der Weide, sie ernähren sich allein von Gras.


Abb.: ®Logo

Im Alter von 16 Monaten kommen die Tiere in sogenannte Feedlots, wo sie bis zur Schlachtreife gemästet werden: mit ausgepresstem Zuckerrohr, dem Abfallprodukt der Zuckerproduktion. Geschlachtet wird in der Stadt, in Goiânia, in einem modernen Schlachtbetrieb. Tausend Rinder werden hier täglich geschlachtet und zerlegt. Innereien und Vorderviertel sind hauptsächlich für den inländischen Markt bestimmt. 50 Prozent der gesamten Produktion gehen jedoch in den Export, in die USA, nach Chile, nach Russland, Ägypten, Holland, Großbritannien, in die Schweiz. Je höher die Kaufkraft eines Landes, desto besser die Fleischstücke, die nachgefragt werden. Die Schweiz verlangt vor allem Edelstücke wie Filets, Entrecôtes oder Hohrücken sowie ein spezielles Stück vom Stotzen, die Binde. Aus ihr wird das Bündnerfleisch gemacht.


Abb.: Unternehmensleitbild der GVFI
[Bildquelle: http://www.gvfi.ch/d/index_d.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

Die GVFI International AG in Basel ist der größte Fleischimporteur der Schweiz. 8200 Tonnen Schweinefleisch, 6700 Tonnen Rindfleisch, 4800 Tonnen Lamm, 4200 Tonnen Geflügel, 800 Tonnen Wild, 700 Tonnen Pferdefleisch importierte die GVFI im letzten Jahr und belieferte damit Detailhändler wie Migros und Coop, Metzgereien, Grossisten, Fleischverarbeitungsbetriebe. Die unmittelbar neben dem französischen Straßenzoll gelegene Verteilplattform Frigo St. Johann ist die Fleischdrehscheibe der Schweiz. Frischfleisch, das per Luftfracht nach Frankfurt gelangt ist, wird mit Kühlwagen angeliefert, per Eisenbahn kommen die Tiefkühlcontainer mit Verarbeitungsfleisch aus Rotterdam. Palettenweise stapelt sich in riesigen Kühl- und Tiefkühlräumen Fleisch aus aller Welt.


Abb.: Frigo  St. Johann
[Bildquelle: http://www.delicarna.ch/?page=logistik. -- Zugriff am 2005-12-22]

Hauptlieferant beim Rindfleisch ist Brasilien, inzwischen der größte Fleischproduzent der Welt. 90 Prozent des von der Basler Importfirma eingeführten Rindfleischs stammen aus diesem Land, etwas weniges kommt aus Argentinien, Südafrika, Australien und Neuseeland. «Das Preis-Qualitäts-Verhältnis des brasilianischen Fleischs ist unschlagbar», sagt Willi Rothenbühler, Direktor der GVFI. «Auch Verpackung und Logistik lassen keine Wünsche offen.» Außerdem erfüllt Brasilien als einer der wenigen Rindfleischexporteure vollumfänglich die schweizerischen Vorschriften bezüglich der Verabreichung von Hormonen und Antibiotika, was keine zusätzliche Deklaration notwendig macht.

Binden für das Bündnerfleisch ordert der Importeur bei Goiás Carne mehrmals wöchentlich containerweise. In einem Container finden 3000 Binden Platz, die Binden von 1500 Tieren. Nicht alle Binden sind jedoch für die Bündnerfleischproduktion geeignet. Das Stück darf nicht leichter als 3,8 Kilo und nicht schwerer als 5,5 Kilo sein. Außerdem wird bei jedem Stück zuerst der pH-Wert gemessen; beträgt er mehr als 6, ist das Fleisch ungeeignet für die Bündnerfleischproduktion und wird in Brasilien verwertet. Bereits im Schlachthof werden auch erste tierärztliche Inspektionen vorgenommen. Genügt das Fleisch allen Anforderungen, wird es sofort eingefroren.
Sind genügend Binden an Lager, wird der Container gefüllt und mit einer Plombe versiegelt. Das Fleisch beginnt seine erste Reiseetappe: im Kühlwagen von Goiânia über San Carlos, Botucatu Campinas und São Paulo nach Santos. Zwei Tage braucht der Lastwagen für die gut 1200 Kilometer.


Abb.: Transportstrecke in Brasilien
(©MS Encarta)

In Santos wird der Container mit Destination Rotterdam verschifft. Sobald das Fleisch auf See ist, wird die Ware bezahlt: 4 Franken 80 pro Kilo bekommt der Produzent vom Importeur. Der Transport im Tiefkühlcontainer von Goiânia nach Basel kostet etwa 80 Rappen. Mit dem Präferenzzoll von 1 Franken 10 ergibt das einen Einstandspreis von 6 Franken 70. Weitere 10 Rappen schlägt der Importeur als Marge drauf.

Brasilianisches Fleisch ist spottbillig. Selbst ein Kilo Rindsfilet kostet im Einstand lediglich 15 Franken - ein Bruchteil dessen, was die Schweizer Produzenten für das beste Stück vom Rind verlangen. Damit sie ihre Ware trotzdem los werden, hat der Bund den Import von ausländischem Fleisch beschränkt. Bloß 22 000 Tonnen rotes Fleisch (Rind, Lamm, Pferd oder Wild) und 54 500 Tonnen weißes Fleisch (Schwein, Geflügel, Kaninchen) dürfen pro Jahr zu einem tiefen Zollsatz eingeführt werden. Wer mehr importieren will, kann dies tun, zahlt aber exorbitant hohe Zölle, die bis das Vierfache des Importpreises ausmachen.

Importkontingente sind Gold wert und entsprechend begehrt: Alle, die mit Fleisch zu tun haben, buhlen darum; und wer in den Genuss dieses Privilegs kommen soll, wird in der Branche immer wieder heiß diskutiert. Bis vor einem Jahr galt, dass nur jene zum Bezug von billigem ausländischem Fleisch berechtigt waren, die auch sogenannte Inlandleistungen erbringen, will heißen: Schweizer Vieh schlachten oder schlachten lassen. Also die Metzger, die Detailhändler wie Migros und Coop mit eigenen Schlachtbetrieben und die Viehhändler.

Der offizielle Fleischpreis war in diesem System eine Mischrechnung von inländischer Produktion und Importen, die Profite (darunter die «Kontingentsrenten») ein gut gehütetes Geheimnis. Dass das Geschäft in jedem Fall sehr einträglich sein muss, zeigt eine Studie des Bundesamtes für Landwirtschaft aus dem Jahr 2002; sie errechnete eine maximale Kontingentsrente von durchschnittlich 280 Millionen pro Jahr.

Seit 2005 ist nun - auch auf Druck der Welthandelsorganisation (WTO) - eine Übergangsregelung in Kraft, die den Wechsel zu einem Auktionsverfahren vorbereitet. Bereits im laufenden Jahr wird ein Drittel der Kontingente versteigert. 2006 werden es zwei Drittel sein, ab 2007 sollen alle Fleischimportkontingente versteigert werden. Das bedeutet, dass der Markt transparenter wird, der Wettbewerb in der Fleischbranche härter. Auch Branchenfremde können nun in das Geschäft einsteigen. Oder ausländische Anbieter wie Aldi und Lidl. Wie sich die neue Regelung auf die hohen inländischen Fleischpreise auswirken wird, ist noch unklar. Gewinner ist in jedem Fall der Bund, der die Erlöse der Versteigerungen - schätzungsweise bis zu 150 Millionen Franken im Jahr - einstreicht.


Abb.: ®Logo

Versteigert werden die Importkontingente jeden Monat. Zuständig ist das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), das in Rücksprache mit der Proviande (der Genossenschaft der Fleischproduzenten, -vermittler und -verwerter) die Kontingente festlegt: für Nierstücke, für Verarbeitungsfleisch von Kühen, Schweinefleisch in Hälften, Zungen von Tieren der Rindergattung, zugeschnittene Rindsbinden und weitere Kategorien. Wie viele Tonnen für jede Kategorie freigegeben werden, hängt von der aktuellen Nachfrage und dem inländischen Angebot ab. Ist die Menge festgelegt, können die Angebote elektronisch oder schriftlich dem BLW unterbreitet werden. Das höchste Angebot erhält den Zuschlag.

Auf diesem Weg ersteigerte zum Beispiel im April 2005 die Bell AG in Basel für einen mittleren Zuschlagspreis von 58 Rappen pro Kilo Kontingente für den Import von 40 Tonnen Schweinefleisch in Hälften, das Comestiblesgeschäft Bianchi AG in Zufikon für 13 Franken 40 pro Kilo Kontingente für 4 Tonnen Nierstücke, der Wurstfabrikant Angst in Zürich für 1 Franken 67 pro Kilo 40 Tonnen Verarbeitungsfleisch von Kühen. Die Surselva AG in Landquart, die das M-Budget Trockenfleisch herstellt, benötigte zugeschnittene Rindsbinden. Der mittlere Zuschlagspreis für diese Stücke belief sich auf 10 Franken 50. Das ist fast doppelt so viel, wie das bei der GVFI in Basel zwischengelagerte Fleisch im Einstand kostete. Aber selbst mit diesem Zuschlag ist das Bindenfleisch aus Brasilien noch rund 5 Franken billiger als Schweizer Kuhfleisch, für das 22 Franken pro Kilo verlangt werden.

Die Surselva, neben Spiess in Schiers und der Grischuna der größte Bündnerfleischhersteller des Landes, arbeitet sowohl mit Schweizer Fleisch als auch mit solchem aus Brasilien. Und welches Fleisch das bessere ist, steht für Andrea Weisstanner, Geschäftsleiter und Mitbesitzer der Surselva, außer Frage. «Das brasilianische Fleisch ist netto viermal billiger und trotzdem besser.» Es stammt von jungen, vollfleischigen Rindern, ist saftig, feinfaserig und perfekt in der Größe. Das Schweizer Pendant, das für die Bündnerfleischherstellung verwendet wird, kommt teilweise von alten, ausgemolkenen, leerfleischigen Kühen, im Metzgerjargon auch abschätzig «Kleiderbügel» genannt. Fleisch, das für fast nichts mehr zu gebrauchen ist. «Stolz daran ist nur der Preis, den die Bauern einfordern können», kritisiert Weisstanner.


Abb.: Lage von Trin/Trins
(©MS Encarta)

Dass die Qualität des brasilianisches Fleisches eine andere ist, zeigt sich auf den ersten Blick. Von der Verteilerplattform der GVFI in Basel sind die Rindsbinden direkt nach Trin zur Gurtner Montenaro AG geliefert worden, die im Auftrag der Surselva die Rindsbinden zu Bündnerfleisch veredelt. Nach seiner langen Reise von Goiania über Santos, Rotterdam und Basel nach Trin taut das Fleisch langsam auf. Glänzende Stücke von fester Konsistenz. Schönes Fleisch. Ausgezehrt und faserig nimmt sich dagegen das Schweizer Kuhfleisch aus, das im Kühlraum auf die Verarbeitung zu «echtem» Bündnerfleisch wartet.

Doch was ist das überhaupt - echtes Bündnerfleisch? Bündnerfleisch ist sowohl eine eingetragene Marke als auch eine registrierte und geschützte geographische Angabe (GGA). Damit das Produkt diesen Vermerk tragen darf, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein.

  1. Erstens hat die Herstellung auf dem Gebiet des Kantons Graubünden zu erfolgen, und zwar in einer Höhenlage zwischen 800 und 1800 Metern über Meer; nur in den Bündner Südtälern darf die Veredelung auch in tiefer gelegenen Gebieten vorgenommen werden.
  2. Zweitens sind nur vier Stücke der Oberschenkelmuskulatur von Tieren der Rindergattung zugelassen: die Eckstücke oder Oberschalen, die Unterspälten, die runden Mocken sowie die runde, flache Nuss.
  3. Drittens ist das Procedere der Verarbeitung exakt festgelegt, das Pökeln, das Trocknen bei verschiedenen Temperaturen, das mehrmalige Pressen.

Nicht näher definiert ist bezeichnenderweise die geographische Herkunft der verwendeten Rohstoffe. Denn ohne Importe keine Bündnerfleischindustrie: Von den 1850 Tonnen Bündnerfleisch, die pro Jahr produziert werden, hat rund ein Viertel seinen Ursprung in Südamerika, vorwiegend in Brasilien.

Das Migros-Budget-Trockenfleisch erfüllt alle offiziellen Anforderungen, die an «echtes» Bündnerfleisch gestellt werden. Trotzdem wird es nicht unter dieser Bezeichnung verkauft. Als Bündnerfleisch werden bei der Migros nur jene Produkte feilgeboten, die aus Schweizer Fleisch hergestellt werden. Nicht zuletzt soll damit auch der höhere Preis gerechtfertigt werden, der dafür verlangt wird.

Der Verarbeitungsprozess ist bei der vollklimatisierten, EU-tauglichen Gurtner AG in Trin (900 Meter über Meer) für jedes Fleisch, egal welcher Herkunft, derselbe. Mit Kochsalz, Gewürzen und Salpeter werden die Fleischstücke jetzt eingerieben, in Bottiche geschichtet und während drei bis fünf Wochen bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt gelagert. Danach kommt das gepökelte Fleisch ins Netz, dann in den Trockenraum, wo es «gebrannt» und «geschwitzt» wird. Es folgt der Reifeprozess, der bis zu fünfmal von einem sanften Pressvorgang unterbrochen wird. Dabei erhält die Spezialität ihre unverwechselbare eckige Form. Rund 16 Wochen dauert der Prozess der Veredelung. Während dieser Zeit verliert das Fleischstück 50 Prozent seines Eigengewichts. Entsprechend verdoppelt sich der Kilopreis; hinzu kommen jetzt noch die Kosten der arbeitsintensiven Lohntrocknerei von 6 Franken pro Kilogramm. Gut 39 Franken beträgt der Preis des Bündnerfleischs nun bereits.

In der Firma Surselva in Landquart, dem Migros-Lieferanten, müssen die Stücke nur noch zugeschnitten und verpackt werden. Der Schlund einer riesigen Aufschnittmaschine wird mit frisch gepressten Bündnerfleischlaiben gefüttert, scharfe Messer tranchieren es in Scheiben, Portion für Portion ruckelt auf dem Förderband daher. Von flinken Händen werden sie in die Kunststoffschalen gelegt, dann weitertransportiert, mit der grün-orangen M-Budget-Folie verschweißt und etikettiert. Ein Laib ergibt in der Regel 30 M-Budget-Portionen. Sie werden von Landquart direkt an die verschiedenen Migros-Genossenschaften in der ganzen Schweiz ausgeliefert, von wo die Feinverteilung vorgenommen wird.

Inklusive der Kosten des Tranchierens und des Verpackens, der Margen der Surselva und der Migros kostet das Trockenfleisch im Laden schließlich 63 Franken das Kilo. Damit ist es 18 Franken billiger als das Bündnerfleisch von Schweizer Kühen. Doch der Preisvorteil hat weniger mit der Qualität zu tun als mit der Schweizer Landwirtschafts- und Außenwirtschaftspolitik. «Dass dieses Trockenfleisch als Budget-Produkt angeboten wird, ist eigentlich schade», sagt der Surselva-Geschäftsleiter Weisstanner, «tatsächlich ist das ein Spitzenprodukt.»


Abb.: Bündnerfleisch (nicht von Migros)

Gut ein halbes Jahr hat die Reise des Fleisches vom Schlachthof in Goiania bis ins Verkaufsregal der Migros in Bischofszell, Gümligen oder Oberengstringen gedauert. Spätestens drei Wochen nach der Anlieferung endet die Geschichte - mit dem Verfalldatum.

Bleibt die Frage, wie es schmeckt: Bei der Vergleichsdegustation anlässlich eines Sommerapéros gefiel das vollmundige Brasil-Budget-Fleisch den meisten Gästen besser als das zähere Bündnerfleisch von Schweizer Kühen. Kein Zweifel: Es würde auch beim Empfang einer Schweizer Botschaft im Ausland, wo die einheimische Spezialität wie die Schweizer Fahne und der unvermeidliche Aigle les murailles noch immer zur Grundausstattung gehört, keinen Verdacht ob seiner Herkunft erregen."

Quelle: Andreas Heller. -- In: NZZ Folio. -- 7 (2005). -- Online: http://www-x.nzz.ch/folio/archiv/2005/07/articles/heller_2.html]


9. Hähnchen (frango)



Abb.: Brasilianisches gefrorenes Hühnchen für Export in muslimische Länder
[Bildquelle: http://www.export-forum.com/americas/brazil%20frozen%20chicken.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

"China and Middle East Top Brazilian Poultry Buyers

Written by Newsroom 
Sunday, 30 January 2005

Cooperativa Mista Rondon (Copagril), a cooperative from the city of Marechal Cândido Rondon, in the southern Brazilian state of Paraná, has inaugurated, Janunary 28, a poultry slaughterhouse.

The new enterprise should generate around 3,100 new jobs, of which 1,600 direct and 1,500 indirect.

Copagril invested around US$ 15 million in the installations. Of that total, US$ 7.5 million came from the Brazilian Development Bank (BNDES) and the Regional Development Bank for the Extreme South (BRDE).

All of this through the Cooperative Development Program for the Addition of Value to Farming Production (Prodecoop) - one of the lines of credit in the Agricultural and Livestock Plan supplied by the Ministry of Agriculture, Livestock and Supply.

The new productive complex has a capacity for slaughter of 160,000 birds/day. Initially, it should slaughter 5,000 chickens/day, reaching 30,000 in March and 80,000 in December.

The forecast is that at the end of 2006 the enterprise should be slaughtering 160,000 birds/day. Apart from the domestic consumption, the slaughterhouse should also supply the foreign market.

Export

Brazilian poultry exports yielded US$ 2.6 billion last year, which represented an increase of 44% in relation to the year of 2003.

In volume, 2.470 million tons of the product was shipped between January and December 2004, which meant an increase of 26% in relation to the same period in 2003, according to information of the Brazilian Poultry Exporters Association (Abef).

According to Julio Cardoso, Abef's president, the revenue increased mainly due to the increase in exports of chicken cuts, which in this segment has the highest added value.

The revenue of the product last year reached US$ 1.7 billion, an increase of 55% in relation to 2003. "The big deal was chicken cuts," stated Cardoso.

Brazil's main market for poultry was Asia, which became for the first time the main buyer in terms of revenue, with a total of US$ 746.5 million in 2004, which represented an increase of 82% in value.

The Middle East was the region that bought most poultry in terms of volume, a total of 750,000 tonnes and US$ 672.5 million in revenue. The European Union bought US$ 469.4 million and Russia US$ 159.7 million. "

[Quelle: http://www.brazil.studyintl.com/programs/ag/poultry/article_poultry.htm. -- Zugriff am 2005-12-22]

 

"Brazilian Advantage in Chicken Production

Despite higher corn prices, Brazil this year was able to achieve a truly astonishing advantage over the rest of the world in the cost of production of chicken meat thanks to the devaluation of the Brazilian Real. The Real dropped from 2.3 to the dollar to 3.9 to the dollar in just the last 8 months. As a result, the Brazilian cost of production (when expressed in dollars) fell to 50 cents per kilo of eviscerated whole chicken. Production costs in the rest of the world are typically 100% higher than this number with the exception of Argentina, another country experiencing a massive devaluation this year.

As can be seen on the following chart, Brazilian production costs fell by half in dollars even while they doubled (in Reales) in the last four years.

Brazilian Production Costs for
Whole Eviscerated Chicken per Kilo

 

Year

 Cost
in Reales
 Cost
in Dollars
 Reales
to Dollars
 1998  1.10  1.00  1.1 to 1
 1999  1.15  0.68  1.7 to 1
 2000  1.40  0.78  1.8 to 1
 2001  1.35  0.59  2.3 to 1
 2002  2.00  0.51  3.9 to 1

Lower production costs have led to sharply higher exports of Brazilian chicken. From 1998 to 2002 export sales increased by nearly one million metric tons. In 1998 Brazil exported less than 1/3rd of the amount of chicken exported by the US. In 2002 projections show that Brazil will export 2/3rds as much as the US. If this trend were to continue at the same pace, Brazil would become the world's leading exporter in four years.

Export Tonnage of Chicken Meat in TMT

 Year  US  Brazil  % of US
 1998  1,978  594  30
 1999  2,080  750  36
 2000  2,231  893  40
 2001  2,521  1,241  49
 2002  2,208  1,425  65

What is the secret to the success of Brazil? Unfortunately for Brazil's competitors, it is not just a question of an inexpensive currency. Brazil also has low labor costs and manages to do a good job of capturing economies of scale. Brazil was also a major beneficiary of the reduction in trade barriers and export subsidies agreed upon in the Uruguay round of trade negotiations. Another plus is the large and rapidly growing local market. Although the current hyper competitiveness of Brazilian chicken can be partially explained by the currency devaluation, the difference is so great that Brazil is likely to maintain a significant advantage over the rest of the world in this arena regardless of the behavior of the local currency."

[Quelle: Paul Aho. -- http://www.aviagen.com/output.aspx?sec=471&con=2194&siteId=3. -- Zugriff am 2005-12-20]


10. Zum Beispiel: Syngenta



Abb.: Weltweiter Konzernsitz von Syngenta in Basel
(Pressefoto Syngenta)


Schweiz-Bezug

"Syngenta AG is a world-leading agribusiness committed to sustainable agriculture through innovative research and technology. The company is a leader in crop protection, and ranks third in the high-value commercial seeds market. Sales in 2004 were approximately US$ 7.3 billion. Syngenta employs some 20,000 people in over 90 countries. Syngenta is listed on the Swiss stock exchange (SWX: SYNN) and in New York NYSE: SYT.

Products

Syngenta has eight product lines. The company develops, markets and sells these worldwide:

Crop Protection:

  • Selective Herbicides
  • Non-selective Herbicides
  • Fungicides
  • Insecticides
  • Professional Products

Seeds:

  • Field Crops
  • Vegetables
  • Flowers

In 2003, more than half of Syngenta sales came from selective herbicides and fungicides.

Key Syngenta brands include Actara, Amistar, Callisto, Cruiser, DualGold, NK, S&G, and Gramoxone. In 2004, Syngenta Seeds purchased the North American corn and soybean business of Advanta, as well as Garst and Golden Harvest.

Syngenta is publicly committed to sustainable agriculture. Alongside its own activities in this area, the company also finances the Syngenta Foundation for Sustainable Agriculture. This non-profit organization supports sustainable food security projects in a number of countries. Development and marketing of pesticides and some genetically modified seed have made Syngenta a target of environmental and human safety activists. This is also true of its main competitors: Monsanto, BASF, Bayer and DuPont.

[...]

History

Based in Basel, Switzerland, Syngenta was formed in 2000 by the merger of Novartis Agribusiness and Zeneca Agrochemicals. Its roots are considerably older.

In 1758 the city’s Johann Rudolf Geigy-Gemuseus began trading in “Materials, Chemicals, Dyes and Drugs of all kinds”. In 1876, Sandoz began business in Basel, followed in 1884 by Ciba. These three companies ultimately became Novartis in 1995. Ciba-Geigy, formed in 1971, had concentrated mainly on crop protection in its agro division, Sandoz more on seeds.

Zeneca Agrochemicals was part of AstraZeneca, and formerly of Imperial Chemical Industries. ICI was formed in the UK in 1926. Two years later, work began at the Agricultural Research Station at Jealott’s Hill.

Legal Issues

Like other global chemical and biotech companies, Syngenta and its predecessor companies have been involved in numerous legal actions over the years. Syngenta has, for example, used the courts to defend its intellectual property and perceived right to free trade. Syngenta declares a policy of not exercising its patents in seeds and biotechnology in the least developing countries.

In 2001, the US Patent and Trademark Office ruled in favor of Syngenta when the company filed suit against Bayer to protect its patent on a class of neonicotinoid insecticides. In 2002, Syngenta filed suit against Monsanto and a number of other companies claiming infringement of its US biotechnology patents covering transgenic corn and cotton. In 2004, the company again filed suit against Monsanto, claiming antitrust violations related to the US biotech corn seed market.

The Syngenta legal record also includes citations by regulators, NGOs, and individuals for health issues related to its products.

Following a series of fatalities due to accidental consumption in the 1960s, the company’s herbicide, Gramoxone® (Paraquat), gained notoriety in the 1970s and 80s due to a rash of suicides using the product. On review, the World Health Organization (WHO) and other regulators deemed the product safe. However, Syngenta added a blue dye, a foul odor, and a powerful vomit-inducer to Gramoxone to help prevent mistakes and misuse.

The company has also faced questions on its Galecron insecticide’s possible relationship to bladder cancer and other illnesses. Production of Galecron stopped between 1976 and 1978 for new safety assessments, and then halted permanently in 1988 after more research showed potential risk. The company was never found guilty of wrong-doing. In a 1995 class action in the US, Ciba-Geigy agreed to cover costs for employee health monitoring and treatment."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Syngenta. -- Zugriff am 2005-12-21]

 

"Soziale Verantwortung: Landesportrait: Brasilien

Unser Engagement für Nachhaltigkeit zeigt sich am besten auf Länderebene – im Mehrwert für die Landwirte und in der Unterstützung der ländlichen Bevölkerung Brasiliens

Für Syngenta ist soziale Verantwortung in allen Ländern, in denen wir tätig sind, Realität. Wir verbessern die Einkommensmöglichkeiten der Landwirte, unterstützen die lokale Bevölkerung und entwickeln Stewardship- und Schulungsprogramme, die konkret auf die lokalen Bedingungen und Bedürfnisse eingehen.

Syngenta ist ein wichtiger Bestandteil des aufstrebenden Agrarsektors Brasiliens. Unser Engagement geht weit über den Verkauf von Pflanzenschutzprodukten und Saatgut hinaus und umfasst neben der lokalen Unterstützung auch breit angelegte Stewardship-Programme.

Syngenta beschäftigt in den wichtigsten Agrarregionen Brasiliens insgesamt über 1000 Mitarbeitende. Davon sind mehr als ein Viertel Agrarwissenschaftler, die im Außendienst technische Hilfe leisten, Landwirte ausbilden, den Verkauf unterstützen und an der Entwicklung neuer Anbauprogramme arbeiten.

Brasiliens wachsender Landwirtschaftssektor wirft aber auch Fragen in Bezug auf den Erhalt der Artenvielfalt und die ökologischen und sozialen Folgen auf. Unsere Technologien können Lösungen zur Erhöhung der Produktivität und zur Förderung von Methoden wie der pfluglosen Bodenbearbeitung anbieten. Wir sind bestrebt, mit wichtigen Interessengruppen der brasilianischen Landwirtschaft zusammenzuarbeiten, um die Anforderungen an Wachstum, Umweltschutz und Nahrungsmittelproduktion zu erfüllen.

Stewardship-Programme

Im Rahmen eines umfassenden Stewardship setzt Syngenta auf neuartige Methoden, um den unterschiedlichen Bedürfnissen großer, mittlerer und kleiner landwirtschaftlicher Betriebe gerecht zu werden. Dieses Vorgehen wurde 2004 von ANDEF, der nationalen landwirtschaftlichen Industrievereinigung für Pflanzenschutz, zum zweiten Mal in Folge mit einem Preis für die Ausbildung und Schulung im sicheren Umgang mit landwirtschaftlichen Chemikalien ausgezeichnet.

Das „Mehr Bohnen”-Projekt soll die Bohnenerträge von Kleinbauern verbessern und einen sicheren und nachhaltigen Einsatz der Syngenta-Produkte gewährleisten. Das Projekt bietet den Landwirten Schulung, Produkte und Kontakt zu großen Supermarktketten, befähigt sie zum sehr gezielten Einsatz von Pflanzenschutzchemikalien gemäß Integriertem Pflanzenschutzmanagement, IPM, und zu Ertragssteigerungen. Damit können sie sich Zugang zu größeren Märkten verschaffen.

Der Erfolg dieses Projekts hat eine große Supermarktkette dazu bewogen, „Mehr Bohnen” als Marke zu übernehmen und eigene, auf das Projekt abgestimmte Produktionsprotokolle zu entwickeln, um den Landwirten den Anbau von Produkten mit gleich bleibender Qualität zu ermöglichen.

Behälter-Recycling

Syngenta beteiligt sich an einer Industrieinitiative, die leere Gebinde von Pflanzenschutzprodukten sammelt und wieder verwertet. Aus alten Behältern werden Kunststoffkanäle für elektrische Leitungen in Wänden hergestellt. 2004 wurden 60 Prozent der verbrauchten Chemikalienverpackungen von der Industrie wieder eingesammelt – eine beeindruckende Leistung für ein Programm, das erst vor drei Jahren eingeführt worden ist.

Sojarost

Syngenta hat auf die neue und in Lateinamerika weit verbreitete Pflanzenkrankheit Sojarost, die eine Ernte in nur zehn Tagen entlauben kann und dadurch zu schwer wiegenden Ernteverlusten führt, umgehend reagiert. Der Rost wurde in den letzten beiden Jahren in Südamerika eingeschleppt und hat dort mehrere Millionen Hektar befallen. In wenigen Monaten hat Syngenta mit PRIORI® Xtra ein neues Fungizid entwickelt und registriert, mit dem Soja wirkungsvoll vor Krankheiten geschützt werden kann.

Damit diese Methode sowohl agrartechnisch als auch wirtschaftlich sinnvoll angewandt wird, hat Syngenta außerdem ein umfassendes Überwachungs- und Alarmsystem eingerichtet. Über ein Netzwerk von 140 Agrarwissenschaftlern wurde jeweils das erste Auftreten von Rostsporen in einer Region registriert und den Landwirten gemeldet. Die Überwachung löste ein vorbeugendes Sprühprogramm aus, welches jeweils der Intensität und Ausbreitung der Krankheit angepasst wurde.

Engagement für die Nachbarschaft

Syngenta unterstützt eine Reihe wichtiger lokaler Schul- und Kulturprojekte. Einige Beispiele:

Schule auf dem Feld

Seit 1991 wurden im Rahmen des von Syngenta entwickelten „Schule im Feld”-Kurses fast 300000 Jugendliche aus ländlichen Gemeinden im richtigen Umgang mit Pflanzenschutzchemikalien unterrichtet. Dadurch wurden sowohl die Stewardship-Aktivitäten ausgedehnt als auch die Jugendlichen dazu ermutigt, stolz darauf zu sein, zur ländlichen Bevölkerung Brasiliens zu gehören. Der Kurs wird von Lehrerinnen und Lehrern in Zusammenarbeit mit den Vertriebshändlern von Pflanzenschutzprodukten, Lebensmittelketten, Kooperativen und landwirtschaftlichen Hochschulen durchgeführt.

Syngenta fördert begabte Musiker

Die akustische Gitarre spielt in der brasilianischen Kultur, insbesondere in ländlichen Gemeinden, eine wichtige Rolle. Syngenta vergibt einen Preis, mit dem die brasilianische Gitarrenmusik gefördert werden soll.

Drogenprävention

Syngenta unterstützt ein Drogen-Präventionsprogramm, das die Kinder in den lokalen Schulen über Drogen und ihre Risiken informiert.

Das Bild zeigt die pfluglose Bodenbearbeitung. Diese Methode, die den Ackerboden erhält, ist in Brasilien weit verbreitet und wird von Syngenta Produkten unterstützt. Die pfluglose Bodenbearbeitung weist sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Vorteile auf: Sie verringert den Zeit- und Arbeitsaufwand bei der Bodenvorbereitung und erspart die mit dem Pflügen verbundenen Treibstoffkosten. Zu den Umweltvorteilen zählen eine bessere Bodenstruktur, die Erhaltung der obersten Erdschicht und eine reduzierte Bodenverdichtung. Dadurch können Bodenerosion und Feuchtigkeitsverlust vermieden werden, was sich positiv auf die Fruchtbarkeit des Bodens auswirkt. Gleichzeitig wird der Gefahr von Überschwemmungen und Verschlammung von Flüssen entgegengewirkt. Weniger Erosion und der Verbleib der Biomasse im Boden trägt auch zu einer Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen bei und ist damit ein Instrument zur Begrenzung des Klimawandels: Es können weniger Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen."

[Quelle: http://www.syngenta.com/de/social_responsibility/cip_brazil.aspx. -- Zugriff am 2005-12-18]


Zu 8.3.: Deutsche Großunternehmen in Brasilien