Ausgewählte Texte aus der Carakasaṃhitā

1. Sūtrasthāna

1. Kapitel 1: "Langes Leben"

Sūtra 124 - 135


übersetzt und erläutert von Alois Payer

mailto:payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Carakasaṃhitā: Ausgewählte Texte aus der Carakasaṃhitā / übersetzt und erläutert von Alois Payer <1944 - >. -- 1. Sūtrasthāna. -- 1. Kapitel 1: "Langes Leben". -- Sūtra 124 - 135. -- Fassung vom 2007-05-22. -- URL: http://www.payer.de/ayurveda/caraka0101124.htm     

Erstmals publiziert: 2007-04-07

Überarbeitungen: 2007-05-22 [Verbesserungen]; 2007-05-08 [Verbesserungen]

Anlass: Lehrveranstaltung SS 2007

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers

Dieser Text ist Teil der Abteilung Sanskrit  von Tüpfli's Global Village Library

WARNUNG: dies ist der Versuch einer Übersetzung und Interpretation eines altindischen Textes. Es ist keine medizinische Anleitung. Vor dem Gebrauch aller hier genannten Heilmittel wird darum ausdrücklich gewarnt. Nur ein erfahrener, gut ausgebildeter ayurvedischer Arzt kann Verschreibungen und Behandlungen machen!


Falls Sie die diakritischen Zeichen nicht dargestellt bekommen, installieren Sie eine Schrift mit Diakritika wie z.B. Tahoma.

Die Verse sind, wenn nichts anderes vermerkt ist, im Versmaß Śloka abgefasst.

Definition des Śloka in einem Śloka:

śloke ṣaṣṭhaṃ guru jñeyaṃ
sarvatra laghu pañcamam
dvicatuṣpādayor hrasvaṃ
saptamaṃ dīrgham anyayoḥ

"Im Śloka ist die sechste Silbe eines Pāda schwer, die fünfte in allen Pādas leicht
Die siebte Silbe ist im zweiten und vierten Pāda kurz, lang in den beiden anderen."

Das metrische Schema ist also:

 ̽  ̽  ̽  ̽ ˘ˉˉ ̽ 
 ̽  ̽  ̽  ̽ ˘ˉ˘ ̽ 

 ̽  ̽  ̽  ̽ ˘ˉˉ ̽ 
 ̽  ̽  ̽  ̽ ˘ˉ˘ ̽

Zur Metrik siehe:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript.  -- Kap. 8: Die eigentliche Exegese, Teil II: Zu einzelnen Fragestellungen synchronen Verstehens. -- Anhang B: Zur Metrik von Sanskrittexten. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg08b.htm


prathamo dīrghañjīvitādhyāyaḥ

Kapitel 1: "Langes Leben"


yathā viṣaṃ yathā śastraṃ
yathāgnir aśanir yathā |
tathauṣadham avijñātaṃ
vijñātam amṛtaṃ yathā |124|

124. Eine Arznei, die man nicht kennt, ist wie Gift, wie ein Schwert, wie Feuer, wie ein Blitz. Eine Arznei, die man kennt, ist wie Unsterblichkeitstrank.

auṣadhaṃ hy anabhijñātaṃ
nāmarūpagunais tribhiḥ |
vijñātaṃ cāpi duryuktam
anarthāyopapadyate |125|

125. Eine Arznei, die man nicht mit den dreien — Namen, Gestalt und Eigenschaften — kennt, oder die man, obwohl man sie kennt, falsch anwendet, führt zu unerwünschten Folgen.

yogād api viṣaṃ tīkṣṇam
uttamaṃ bheṣajaṃ bhavet |
bheṣajaṃ cāpi duryuktaṃ
tīkṣṇaṃ saṃpadyate viṣam |126|

126. Richtig angewendet kann selbst ein scharfes Gift eine hervorragende Arznei sein. Eine falsch angewendete Arznei wird zum scharfen Gift.

Kommentar:

Vgl. "All Ding sind Gift und nichts ohn Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei." / Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493/1494 - 1541) : Sieben Verteidigungen. -- 1538.

tasmān na bhiṣajā yuktaṃ
yuktabāhyena bheṣajam |
dhīmatā kiṃcid ādeyaṃ
jīvitārogyakāṅkṣiṇā |127|

127. Deswegen soll jemand, der Leben und Gesundheit sucht, klugerweise keine Arznei nehmen, die ein Arzt anordnet, dem die richtige Anwendung fremd ist.

kuryān nipatito mūrdhni
saśeṣaṃ vāsavāśaniḥ |
saśeṣaṃ āturaṃ kuryān
na tv ajñam apamauṣadham |128|

128. Es könnte jemand überleben, auf dessen Kopf die Wurfkeule Vāsavas1 gefallen ist; nicht aber kann jemand krank überleben, wer auch nur die geringste unbekannte Arznei [einnimmt].

Kommentar:

1 Keil Vāsavas: Wurfkeule (= vajra) Indras: Blitz

duḥkhitāya śayānāya
śraddadhānāya rogiṇe |
yo bheṣajam avijñāya
prājñamānī prayacchati |129|
tyaktadharmasya pāpasya
mṛtyubhūtasya durmateḥ |
naro narakapātī syāt
tasya saṃbhāṣaṇād api |130|

129. - 130. Wen jemand, der sich einbildet kundig zu sein, einem leidenden, darniederliegenden, vertrauenden Kranken, eine Arznei gibt, über die er nicht Bescheid weiß, dann ist dieser religionslos, böse, der Tod, übelgesinnt. Selbst ein Gespräch mit ihm lässt einen Mann in die Hölle fallen.

varam āśīviṣaviṣaṃ
kvathitaṃ tāmram eva vā |
pītam atyagnisantaptā
bhakṣitā vāpy ayoguḍāḥ |131|
na tu śrutavatāṃ veśaṃ
bibhratā śaraṇāgatāt |
gṛhītam annaṃ pānaṃ vā
vittaṃ vā rogapīḍitāt |132|

131. - 132. Besser ist es, Gift von Giftschlangen1, oder sogar kochendes Kupfer zu trinken, oder in heißestem Feuer erhitzte Eisenkugeln essen, als wenn einer, der das Kleid er Gelehrten trägt, von einem an einer Krankheit Leidenden, der bei ihm Zuflucht sucht, Speise oder Trank oder Güter annimmt.

Kommentar:

1 āśīviṣa: "die, deren Gift auffrisst", d.h. ursprünglich wohl Giftschlangen, deren Gift Gewebe zerstört - wie Vipern, in Indien vor allem die Kettenviper (Daboia russelii) (bengali: চন্দ্রবোড়া) und die Sandrasselotter (Echis carinatus); (im Unterschied zu solchen - wie in Indien vor die Brillenschlange (Naja naja) und der Indische Krait (Bungarus caerulaeus) - , deren Gift das Nervensystem angreift).

Die Big Four - die vier Schlangenarten, die allein fast 100 Prozent der Todesfälle Indiens durch Schlangenbisse verursachen.


Abb.: Kettenviper (Daboia russelii)
[Bildquelle: Wikipedia]


Abb.: Sandrasselotter (Echis carinatus)
[Bildquelle: Wikipedia]


Abb.: Brillenschlange (Naja naja)
[Bildquelle: Wikipedia]


Abb.: Indische Krait (Bungarus caerulaeus)
[Bildquelle: Wikipedia]

bhiṣagbubhūṣur matimān
ataḥ svaguṇasampadi |
paraṃ prayatnam ātiṣṭhet
prāṇadaḥ syād yathā nṛṇām |133|

133. Ein Kluger, der ein Arzt werden will, soll deshalb höchste Anstrengung auf die seine Vervollkommnung legen, wie er ein Lebensschenker für die Menschen sein kann.

tad eva yuktaṃ bhaiṣajyaṃ
yad ārogyāya kalpate |
sa caiva bhiṣajāṃ śreṣṭho
rogebhyo yaḥ pramocayet |134|

134. Nur das ist eine angemessene Arznei, was zur Gesundheit verhilft; der ist der beste unter den Ärzten, der von Krankheiten befreit.

samyakprayogaṃ sarveṣāṃ
siddhir ākhyāti karmaṇām |
siddhir ākhyāti sarvaiś ca
guṇair yuktaṃ bhiṣaktamam |135|

135. Erfolg erzählt von der richtigen Anwendung aller Tätigkeiten, Erfolg erzählt vom mit allen guten Eigenschaften versehenen besten Arzt.


Zu Carakasaṃhita I,1,136 - 140