Materialien zur buddhistischen Ethik

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"Güte (mettâ) und Mitgefühl (karu*nâ)"

Kapitel 3: Freigebigkeit (dâna)


von Alois Payer

mailto:payer@well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zur buddhistischen Ethik.  --   Kapitel 3: Freigebigkeit (dâna). -- Fassung vom 5. März 1996. -- URL: http://www.payer.de/buddhethik/ethbud03.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung: 5. März 1996

Anlass: Lehrveranstaltung Ethik des Buddhismus, Univ. Tübingen, SS 1993

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.


Übersicht



1. Einleitung


Zugrundegelegter Text:

de Silva, Lily: Giving in the Pali canon. - In: Dâna : the practice of giving / selected essays ed. by Bodhi <Bhikkhu>. - Kandy : Buddhist Publication Society, 1990. - (The Wheel publication ; no. 367/369). - S. 19-38

Fragen zum Geben:

Die grundlegende Stellung der Freigebigkeit in der buddhistischen Unterweisung zeigt sich in der typischen Stufenpredigt des Buddha (annupubbikathâ):

  1. dâna-kathâ: über das Geben
  2. sîla-kathâ: über die Sittlichkeit
  3. sagga-kathâ: über die Himmel
  4. über die Nachteile der Gelüste (kâma)
  5. über die Vorteile der Begierdelosigkeit (nekkhamma)
  6. wenn der Buddha bemerkte, dass die Hörer geeignet sind, lehrte er sie dann: die vier edlen Wahrheiten

(z.B. Vin I,15)


2. Die Vorzüge der Freigebigkeit (dâne ânisa.msâ)


(Sîhasutta A III,38-41)

s.a.

Nâgârjuna: Le traité de la grande vertu de sagesse (Mahâprajñâpâramitâ`sâstra) / [übersetzt von] Étienne Lamotte. -Tome II, p. 658-769 (dâna)


3. Arten von Gaben



4. Acht Arten, zu geben (dânavatthu)


  1. verletzend
  2. aus Furcht
  3. als Gegengabe für etwas Gegebenes
  4. ich gebe, um etwas zu bekommen
  5. weil Geben etwas Gutes ist
  6. es ist nicht recht, dass wenn ich koche, ich den Nichtkochenden nichts gebe
  7. wegen des guten Rufes
  8. um das Bewusstsein zu schmücken

Stellen s.

Nâgârjuna: Le traité de la grande vertu de sagesse (Mahâprajñâpâramitâ`sâstra) / [übersetzt von] Étienne Lamotte. -Tome II, p. 664

5. Ich tue mir selbst etwas Gutes, ich bin freigebig

Vergegenwärtigung der Freigebigkeit (câgânussati) (eine Form der Ruhigwerdemeditation):

"Es ist ein Vorteil für mich, ein großer Vorteil, dass ich unter vom Schmutz des Geizes besessenen Wesen mit vom Schmutz des Geizes befreitem Sinn weile, freigebig, mit ausgestreckten Händen, am Weggeben Freude empfindend, für Bitten zugänglich, am Geben und Teilen Freude empfindend." (z.B. A III, 313)

6. "Verdienst tun"

Das wohl Wichtigste im gelebten Laienbuddhismus ist das Tun von Verdienst: dies ist das verbreiteste Investitionsverhalten in den Ländern des Theravadabuddhismus. Man investiert z.B. in Thailand freiwillig durchschnittlich sieben Prozent seines Einkommens in Verdienst tun. Vom so investierten "Kapital" erwartet man, dass es in diesem Leben und in zukünftigen Leben reiche Frucht bringt. Das buddhistische Laienleben ist also von Zweckmäßigkeitsüberlegungen geprägt.

Bedingung bei allem verdienstvollen Tun ist,

  1. der Geber muss ehrlich vorhaben, zu geben
  2. er darf es nie bereuen, dass er gegeben hat.

6.1. Zehn Arten verdienstvollen Tuns nach einem in Sri Lanka populären nichtkanonischen Palispruch


dâna.m
sîla.m ca
bhâvanâ
patti
pattânumodanâ
veyyavaca
apacâyañ ca
desanâni
suti
dhi.t.tiju

Quelle:

de Silva, L. A.: Buddhism : beliefs and practices in Sri Lanka. - o.O., 1974. - S. 122f.


6.2. Beispiele für faktische Bewertungen verdienstvoller Werke


Die Bewertung der verschiedenen verdienstvollen Taten durch die Buddhisten selbst wurde an verschiedenen Orten mehrmals erhoben. Ich gebe hier einige Beispiele dieser Bewertungen, die zeigen, was die Leute als besonders verdienstvoll ansehen. Das ist etwas anderes, als was die meisten meist an Verdienstvollem tun!


6.2.1. Birma (Myanmar)


Quelle:

Spiro, Melford E.: Buddhism and society : a great tradition and its Burmese vicissitudes. - London : Allen & Unwin, 1971. - 510 S. - ISBN 0-04-294067-2

In Burma steht beim Verdiensttun Geben (dâna) weit über der Sittlichkeit (Spiro, S. 103). Sonst sieht die Rangordnung in Oberburma so aus (Spiro, S. 109):

Rangordnung verdienstvoller Taten in einem Dorf in Oberbirma:

Rang:

  1. Errichtung einer Pagode
  2. Bau eines Klosters
  3. Finanzierung einer Novizenweihe
  4. Unterstützung von Mönchen
  5. Verehrungsgaben an ein Buddhabildnis oder an eine Pagode

Spiro erklärt die Tatsache, dass Stiftungen weit über der Sittlichkeit bewertet werden damit, dass die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit ja negativ formuliert sind und darum nicht quantifiziert werden können (wie will man Enthaltung von Lügen quantifizieren in positiver Weise ?). Deshalb wandeln die Burmesen, wenn sie ausdrücklich Verdienst durch Sittlichkeit erwerben wollen, die Gebote in positive Akte um (so auch in Thailand): z.B. das Gebot der Enthaltung vom Töten, in den positiven Akt des Freikaufens von Tieren, die sonst geschlachtet würden (Auf diese Weise wurde mein Kloster in Thailand unterdessen zur "Hühnerfarm": eine Frau kaufte am Markt einen jungen Hahn und eine Henne frei, schenkte sie meinem Kloster und unterdessen haben die sich schon ganz schön fortgepflanzt). Ein solcher positiver Akt ist leicht quantifizierbar und man kann das dadurch erworbene Verdienst messen an den Ausgaben, die man dafür hatte. Diese Kalkulierbarkeit ist für die Leute wichtig: so gibt es in Ceylon, Burma (Spiro, S. 111) und Thailand Leute, die richtig Buch führen über ihre verdienstvollen Taten mit Datum, Anlass, Anzahl der Personen, die davon profitieren und Kosten. Ein Dorfbewohner in Oberburma sagte Spiro, dass er sein Verdienstkonto sehr oft studiert, weil er, wenn er sein Verdienst betrachtet, sehr glücklich ist (Spiro, S. 112).

Zur Bevorzugung des Gebens als bevorzugtes Feld des Verdiensttuns erklärte ein burmes. Dorfbewohner gegenüber Spiro (Spiro, S. 107):

"Wenn Sittlichkeit das Kriterium für Frömmigkeit wäre, dann wäre fast jeder fromm - denn wie viele töten, huren etc. Aus diesem Grund glaubt auch jedermann, dass der verhasste Dorfwucherer, eine Witwe, fromm ist. Obwohl die meisten Leute sie verachten, müssen sie doch zugeben, dass der große Umfang, in dem sie Schenkungen macht, ein Zeichen für große Entsagung und damit für große Frömmigkeit ist."


6.2.2. Thailand


H. K. Kaufman erhielt 1953 in Bangkhuad (Zentralthailand) folgende Reihung . Er befragte 25 erwachsene Bauern ( 13 männlich, 12 weibl., alle über 20 Jahre alt) anhand eines Fragebogens nach der Menge des erhaltenen Verdienstes "Wenn Sie das höchstmögliche Verdienst erhalten wollen, was müssten Sie dann tun ?" Für das meistbewertete wurden 10 Punkte gegeben, für das zweitbewertete 9 usw.. Die Addition der Punkte aller Wertungen ergab folgende Reihung:

Quelle:

Kaufman, Howard Keva: Bangkhuad : a community study in Thailand.- New York : Augustin, 1960. - 235 S. - (Monographs of the Association for Asian Studies ; X). - S. 183f.

Rang

  1. Ein Mönch werden
  2. Ein Kloster bauen
  3. Einen Sohn als Mönch haben
  4. Zu den buddhistischen Pilgerstätten in ganz Thailand pilgern
  5. Zur Reparatur eines Klosters beitragen
  6. Täglich oder zumindest an den buddhistischen "Sonntagen" den Mönchen Essen geben
  7. Ein Novize werden
  8. An jedem buddhistischen "Sonntag" ins Kloster gehen und die acht Trainingspunkte der Sittlichkeit auf sich nehmen
  9. Immer die fünf Trainingspunkte der Sittlichkeit befolgen
  10. Zu Tot Ka.thin den Mönchen Geld und Kleidung geben

Zwischen 1960 und 1963 erhielt S.J. Tambiah in Nordostthailand von 67 Familienvorständen Antworten auf eine ähnliche Frage. Seine Ergebnisse zeigt die folgende Tabelle:

Quelle:

Tambiah, S. J.: Buddhism and the spirit cults in north-east Thailand. - Cambridge [u.a.] : Cambridge University Press, 1970. - 388 S. - (Cambridge studies in social anthropology ; 2). - ISBN 0-521-07825-3. - S. 146f.

Gesamtrang:

Die wesentlichsten Unterschiede zur Reihung bei Kaufman sind: bei Kaufman Mönch werden an 1. Stelle, Tempelbau an 2. bei Tambiah umgekehrt, bei Tambiah Tot Kathin Gaben an 4,5. Stelle, bei Kaufman an letzter. Sonst stimmen die Reihungen im wesentlichen überein.

Tambiah macht folgende Bemerkungen zu seinem Ergebnis:

  1. Der bevorzugteste Akt des Verdiensttuns - Bau eines Klosters - steht nur den Reichen offen. Keiner der Bewohner des von Tambiah untersuchten Dorfes hatte so viel Geld, um allein einen Tempel zu bauen. Das Zweitgereihte (Mönch werden oder zumindest einen Sohn als Mönch haben) ist dagegen für fast alle erreichbar (viell. ist das der Grund für die Reihung erst an zweiter Stelle).
  2. Verdiensttun durch Gaben wird höher eingeschätzt als Verdiensttun durch Sittlichkeit. Dies widerspricht der ideologischen Reihe dâna, sîla, samâdhi, paññâ. Strikte Einhaltung der fünf Trainingspunkte der Sittlichkleit (bes. der Enthaltung von Töten) hat wenig positives Interesse für den Dorfbewohner. Dafür ermöglicht man aber den Mönchen ein Leben ohne die Beschmutzungen, die man selbst auf sich nehmen muss. Zum Vergleich dieser Ergebnisse wäre es interessant, eine Untersuchung aus dem städtischen Milieu zu haben, doch ist mir zu unerem Problem keine entsprechende Untersuchung in Städten bekannt.

6.3. Verdienst des Gebens


Einige Beispiele aus Oberburma, die aber auch auf andere Theravadaländer zutreffen: Die Frucht der Schenkungen ist Wiedergeburt als ein reicher Mensch oder als ein Gott. Ius talionis: wer geizig ist, wird in einer zukünftigen Existenz arm sein. In dem oberbirmanischen Ort, den Spiro untersuchte, sagten die 14 ärmsten Bewohner ohne Ausnahme, dass sie arm sind, weil sie in einem vergangenen Leben nicht genügend Schenkungen gemacht haben. Fast täglich erklärt man außergewöhnliches Glück oder Unglück als Folge früherer Taten. Predigten und Ansprachen sind voll mit Schilderungen der Folgen best. Taten. Ich will hier einige Beispiele geben, die Spiro (Spiro, S. 118) in Oberburma gesammelt hat:

In Thailand diskutierten Bauern, ob man Gift einsetzen darf, um die Ratten, die die Ernte vernichteten, umzubringen. Die Mehrheit war für den Einsatz des Giftes, durchaus im Bewusstsein dass dieses Töten schlecht ist. Sie argumentierten, dass die kammischen Konsequenzen des Tötens kompensiert werden können durch Verdiensttun, das man aus dem Erlös der so geretteten Ernte finanzieren kann (so Pfanner und Ingersoll 1962, 346).

Neben allen karmischen Folgen des Verdiensttuns darf man ein weiteres Motiv für Verdiensttun nicht vergessen: das große Ansehen, das jemand genießt, der im geschilderten Sinne Verdienst tut.


6.4. Zur Kritik am faktischen Verdienst tun


Wie schon die obigen Wertungen gezeigt haben, besteht das verdienstvolle Geben vor allem in religiösen Schenkungen: Mönche unterstützen, Klöster und Pagoden bauen, einem Buddhabildnis Blumen usw. darbringen. Dagegen gilt im allgemeinen z.B. die Unterstützung einer Witwe, soziale Tätigkeit usw. weniger. Die Burmesen sagen:

das Verdienst der Speisung von 100 Hunden entspricht dem Verdienst der Speisung von einem Menschen; das Verdienst der Speisung von 100 Laien entspricht dem Verdienst der Speisung eines Novizen; das Verdienst der Speisung von 100 Novizen entspricht dem Verdienst der Speisung eines gewöhnlichen Mönches usw. (Spiro, 109).

Noch einige Bemerkungen zum Bau von Klöstern und Pagoden, der ja in allen Theravadaländern in der Rangordnung der verdienstvollen Taten bei den meisten Leuten zuoberst steht: Der Bau von Pagoden und Klöstern wird in allen Theravadaländen im allgemeinen höher bewertet als die Reparatur bestehender, dies führt dazu, dass überall neue Klöster und Pagoden errichtet werden, obwohl viele alte zerfallen oder leer stehen (in Thailand ist, um allzu großen Auswüchsen zu steuern, eine staatliche Erlaubnis für den Bau eines neuen Klosters notwendig). In Burma (und teilweise auch in Thailand) glaubt man weitgehend, dass das Verdienst der Reparatur eines religiösen Gebäudes dem ursprünglichen Erbauer zugute kommt, nicht dem Reparierer. Eine "soziale" Form des Pagodenbaus ist die Errichtung von Sandpagoden.

Das Verdiensttun in den geschilderten Formen fand und findet auch in den Theravadaländern immer wieder Kritiker: ein Großteil der Verdienstinvestitionen geht ja in den Bau von Klostergebäuden und ähnliche nicht gerade für die Entwicklung der Länder vordringliche Unternehmungen. Die Versuche, diese Form des Verdiensttuns umzulenken, werden allerdings auch (bes. in Thailand) immer wieder als kommunistisch diffamiert und erschwert und werden auch bei der Bevölkerung nicht leicht akzeptiert. Als Beispiel solcher Kritik möge ein Gedicht aus einer Schrift der thailändischen Thammasat-Universität aus dem Jahr 1957 dienen (Skrobanek S. 187) :

"Wirklich gute Werke tun, heißt - für die Menschen Gutes tun: Hilfe und gegenseitigen Beistand, Befreiung aus quälenden Leiden. Baut Brunnen, Brücken und Straßen und fördert das Schulwesen zum Wohle der Menschen: das bringt mehr Verdienst als das Murmeln von Versen... Wenn jeder glücklich sein Leben führen kann, und das Herz froh und zufrieden ist, dann mögt ihr viele wundervolle Klöster bauen, wie es sich für ein reines Buddha-Land gebührt."

Zitat aus: Skrobanek, Walter: Buddhistische Politik in Thailand. - Wiesbaden : Steiner, 1976. - ISBN 3-515-02390-9. - S. 187

(Weitere Beispiele dieser Art findet man z.B. bei

Bechert, Heinz: Buddhismus, Staat und Gesellschaft in den Ländern des Theravâda-Buddhismus. - Band I: Grundlagen. Ceylon. - Frankfurt /M. : Metzner, 1966. - 377 S. - (Schriften des Instituts für Asienkunde ; XVII/1)

Für die Probleme, die sich bei der Propagierung solcher Umwertungen der Werte ergeben, ist die folgende Begebenheit aus Thailand durchaus typisch und wird durch verschiedene Studien bestätigt:

In einem nordthailändischen Dorf versuchte die staatliche Verwaltung die Dorfbewohner dazu zu bringen, an der Errichtung eines Schulgebäudes mitzuwirken. Dazu brachte man den Chao Khana Amphoe ins Dorf, der dort predigte, dass man durch die Errichtung von Schulen und Strassen ebensoviel Verdienst erwerben kann wie durch das erbauen von Tempeln. Die Dorfbewohner blieben aber fest bei ihrer Meinung, dass nichts soviel Verdienst bringt wie das Errichten eines Tempels und dass sie, da sie gerade ein neues Viharn (Versammlungsgebäude im Tempelbezirk) bauten, keine Mittel umlenken können für den Bau einer Schule.

Erfolgversprechender sind die Unternehmungen, die ein Sowohl-als-auch praktizieren: selbstverständlich Tempelbau, aber auch Errichtung von Schulen, Bewässerungsanlagen usw. Ein Beispiel unter vielen: Luang Po Pun in der Nähe von Fang (Nordthailand): er baut zwar ein riesiges Viharn und Bot, aber er finanziert mit den Millionen, die er bekommt, auch ein ganzes ländliches Entwicklungsprogramm mit Schule, Bewässerungsanlagen usw.


7. Dâna im exzessiven Sinn als Tugend eines Bodhisattva: Vessantara


7.1. Maß fürs Geben


Das Maß für das, was man ausgeben soll, definieren die Burmesen (in Nachfolge des Tipitaka) folgendermaßen (Spiro, S. 110):

Es gibt vier Arten des Gebens:

Die zweite Art (soviel wie man vermag) gilt im allgemeinen als die angemessene. Dabei definiert man das "soviel wie man vermag" in Übereinstimmung mit der Tradition so:

Mehr als ¼ auszugeben - bes. wenn man arm ist - ist nicht nur unweise, es kann ja zu finanziellen Problemen und wegen der Sorgen zu geistiger Erkrankung führen (wogegen Buddha sicher ist), es ist auch nicht notwendig: denn, wenn auch das Verdienst der gespendeten Summe proportional ist, so ist diesen Summe im Prinzip wieder proportional zum Einkommen: ein Armer der 25% seines Einkommens spendet erlangt nicht weniger Verdienst als ein Reicher, der 25% seines Einkommens spendet (diese Aussage gilt genauso in Thailand). Obwohl diese Aussage allgemein akzeptiert ist, verhält man sich oft so als ob sie nicht gälte und glaubt durchaus, dass Reiche eben mehr Verdienst erwerben können: dies spiegelt sich sehr schön in den oben genannten Rangordnungen: eine Pagode bauen ist eben verdienstvoller als billigere Werke. 10 Mönche speisen gilt praktisch doch oft als verdienstvoller als nur einen speisen.

Aufopferndes Geben ist kennzeichnend für einen Bodhisattva. Buddha Gautama übte dieses aufopfernde Geben in seiner letzten Geburt bevor er ein Buddha wurde als Prinz Vessantara. Die Geschichte von Prinz Vessantara ist die beliebteste Geschichte aus den Jâtaka's. Es ist das letzte und umfangreichste Jâtaka. In Diskussionen über Buddhas "karitative Leistungen" darf man nie vergessen, dass zur Persönlichkeit Buddhas auch all seine früheren Geburten gehören, also auch seine aufopfernde Freigebigkeit als Vessantara.


7.2. Die Geschichte von Prinz Vessantara


In seiner vorletzten Geburt [D.h. in der Geburt vor der Geburt, in der er ein Buddha wurde] wurde der spätere historische Buddha Gautama als Sohn von Sanjaya [sprich Sandschaja], dem König der Sivi, eines Volks in Nordindien, geboren. Sein Name war damals Vessantara. Er konnte schon von Geburt an sprechen. Mit acht Jahren legte er das Gelübde ab, große Schenkungen zu machen. Bei diesem Gelübde erbebte die Erde. Im Alter von sechzehn Jahren heiratete Vessantara Maddî. Das Paar hatte zwei Kinder, den Knaben Jâli [sprich Dschâli] und das Mädchen Ka.nhajinâ [Sprich: Kanhadschinâ].

Als in Kâlinga [dem heutigen Orissa in Ostindien] eine große Dürre herrschte, kamen von dort acht Brahmanen zu Vessantara und forderten von ihm als Geschenk den weißen Elefanten, der - am selben Tag wie Vessantara geboren - die Fähigkeit besaß, Regen fallen zu lassen. Vessantara gewährte den Brahmanen ihre Bitte und gab ihnen den Elefanten samt seinen äußerst kostbaren Umhängen. Doch die Einwohner von Sivi waren sehr erbittert, dass ihr Elefant verschenkt worden war. Sie forderten deshalb von König Sanjaya, dass dieser seinen Sohn in die Verbannung schickt. Das Volk setzte so die Verbannung Vessantaras in den Himalaya durch. Vessantara stimmte seiner eigenen Verbannung zu. Er erhält vom König die Erlaubnis, vor seinem Wegzug in die Verbannung ein großes Almosenfest zu veranstalten, das "Gabe von Siebenhundert" hieß. Dabei verschenkte er von jedem Ding siebenhundert Exemplare. Aus ganz Indien kam Volk, um Gaben zu empfangen, und die Verteilung dauerte einen ganzen Tag.

Vessantaras Frau Maddî bestand darauf, mit ihren beiden Kindern Vessantara in die Verbannung zu begleiten. Die vier zogen mit einem prächtigen, von vier Pferden gezogenen Wagen aus der Stadt. Doch unterwegs begegneten ihnen vier Brahmanen, die zu spät zum großen Almosenfest gekommen waren. Diese verlangten nun die Pferde und erhielten sie sofort. Da nahmen vier Götter die Gestalt von vier Hirschen an, ließen sich anspannen und ersetzten so die Pferde. Da tauchte ein anderer Brahmane auf, verlangte den Wagen und erhielt ihn. Die Götter in Hirschgestalt verschwanden nun wieder, und die Familie setzte den Weg zu Fuß fort. Vessantara trug den Knaben, Maddî das leichtgewichtige Mädchen. Götter ebneten ihren Weg, und die Bäume beugten sich, damit die Familie ihre Früchte leicht essen konnte. Im Königreich Ceta [sprich: Tscheta] boten 60.000 Adelige dem Vessantara ihr Königreich an, er lehnte aber ab. Ja er weigerte sich sogar, die Hauptstadt zu betreten.

Schließlich kam Vessantara und seine Familie nach Vankagiri, jenem Ort im großen Wald, der ihnen zum Exil bestimmt war. Dort hatte Vissakamma, der Baumeister der Götter, im Auftrag des Götterkönigs Sakka zwei Einsiedeleien erbaut, eine für den Prinzen, die andere für Maddî und die Kinder. Dort lebten sie vier Monate. Durch Vessantaras Macht wurden die wilden Tiere in einem Umkreis von drei Meilen zahm. Maddî ging jeden Morgen in den Wald, um Früchte und Wurzeln zum Essen zu sammeln.

Da tauchte der Brahmane Jûjaka [sprich: Dschûdschaka] auf. Er war alt und hässlich und in seine junge Frau ganz vernarrt. Er hatte ein hübsches Mädchen geheiratet, das ihn mit Vorwürfen überhäufte; er zwänge sie zu den niedrigsten Arbeiten, da er ihr keine Sklaven zur Verfügung stelle. Solche zu kaufen, war ihm jedoch nicht gegeben, da er besitzlos war. Deshalb schickte die junge Frau Jûjaka zu Vessantara, da dieser so freigebig sei, dass er ihm gewiss seine beiden Kinder als Sklaven schenken würde. Jûjaka erfragte den Weg nach Vankagiri, kam dort am späten Abend an und übernachtete auf dem Berg. In dieser Nacht hatte Maddî einen bösen Traum, der ihr alles vorhersagte, was nun kommen sollte. Sie erzählte ihren Traum Vessantara, doch obwohl dieser wusste, dass der Traum sich bewahrheiten sollte, tröstete er Maddî und schickte sie in den Wald, um Nahrung zu suchen. Als Maddî fort war, kam Jûjaka und forderte die beiden Kinder. Von seiner Forderung zuerst entsetzt, wurde es Vessantara dennoch sofort klar, dass die Hingabe seines eigenen Fleisches, seiner Kinder, ein Geschenk darstellt, das alle anderen übertrifft und das er nicht verweigern kann. Während er die Schenkung vorschriftgemäß vornahm, erbebte die Erde vor Freude. Die Kinder nahmen von Jûjaka Reißaus und rannten zu ihrem Vater zurück. Doch dieser bekräftigte seinen Entschluss mit Tränen in den Augen. Jûjaka führte nun die Kinder weg und schlug sie unterwegs bis das Blut floss.

Maddî kehrte erst spät am Abend aus dem Wald zurück, denn Götter hatten die Gestalt wilder Tiere angenommen, um Maddî auf ihrem Nachhauseweg aufzuhalten. Als sie nach ihren Kindern fragte, sprach Vessantara kein Wort. Sie suchte nun die ganze Nacht nach ihren Kindern. Am Morgen kehrte sie zur Einsiedelei zurück und fiel in Ohnmacht. Vessantara brachte sie wieder zu Bewusstsein, erzählte ihr, was geschehen war, und erklärte ihr, warum er es ihr nicht früher erzählt hatte. Als sie seine Worte gehört hatte, drückte sie ihre Freude aus und bestätigte ihm, dass er ein vornehmes Geschenk gemacht habe, um ein allwissender Buddha zu werden.

Nun blieb Vessantara nur noch Maddî zum Verschenken. Damit nicht irgendein Schuft dieses Geschenk fordert, nahm der Götterkönig Sakka selbst die Gestalt eines schwarzen, ausgezehrten Brahmanen an und verlangte Maddî als Geschenk. Vessantara blickte auf Maddî, und diese gab ihre Zustimmung. So gab Vessantara seine Frau dem Brahmanen, und die Erde erbebte vor Freude. Der Götterkönig offenbarte nun seine wahre Identität, gab Maddî ihrem Mann zurück und gewährte ihm acht Wünsche. Vessantara wünschte sich:

  1. er sollte wieder in seine Heimat zurückgerufen werden;
  2. er sollte niemanden zu Tode verurteilen;
  3. er sollte allen in gleicher Weise eine Hilfe sein;
  4. er sollte niemals Ehebruch begehen;
  5. sein Sohn sollte ein langes Leben haben;
  6. er sollte himmlische Speise haben;
  7. er sollte immer genügend haben, um schenken zu können;
  8. nach seinem Tod sollte er in einem Himmel wiedergeboren werden.

Inzwischen war Jûjaka in Begleitung der beiden Kinder, die er gefangen hielt, über die jedoch Götter wachten, in der Hauptstadt der Sivi eingetroffen. Er wollte nach Kâlinga, doch Götter hatten ihn in die Heimat Vessantaras geführt. Die Kinder wurden erkannt und zu ihrem Großvater, dem König, gebracht, der ihre Geschichte anhörte und sie um den Preis eines hohen Lösegeldes vom alten Brahmanen loskaufte. Dieser starb an überfressen. Da man keine Verwandten von ihm finden konnte, ging sein Vermögen zurück an den König.

König Sanjaya aber beschloss, die Verbannten zu suchen und eine Straße nach Vankagiri anlegen zu lassen. Von Vessantaras Sohn Jâli angeführt, setzte sich ein großer Heerzug mit König und Königin und Vessantaras Tochter nach Vankagiri in Bewegung. Im Heerzug war auch der regenspendende weiße Elefant, denn die Kâlinger hatten ihn zurückgeschickt, da sie ihn nicht unterhalten konnten. Als Vessantara den Heerzug näher kommen sah, wurde er unruhig, doch Maddî erkannte die königlichen Banner. Die Freude des Wiedersehens war so groß, dass die sechs Hauptpersonen in Ohnmacht fielen, die Erde erzitterte, der Ozean in Wallung geriet und der Weltenberg Meru sich neigte. Zur Wiederbelebung ließ der Götterkönig Sakka einen Regen fallen, der nur die benässte, die es wollten.

Vessantara wurde nun zum König von Sivi gekrönt und nach einem Monat voller Feierlichkeiten kehrte der Zug in die Hauptstadt zurück. Am Tage seiner Rückkehr ließ Vessantara alle Gefangenen frei, sogar die Katzen. Am Abend ließ der Götterkönig Sakka so viele Schätze regnen, dass der Palastgrund hüfthoch damit gefüllt war. So konnte Vessantara seine Großzügigkeit bis ans Ende seiner Tage ausüben. Nach seinem Tod wurde Vessantara im Tusita-Himmel wiedergeboren. Von dort wurde er für seine letzte Geburt im Schoß der Königin Mâyâ wiedergeboren. In dieser letzten Geburt erreichte er die erlösende Einsicht und wurde zum Buddha Gautama.

Zur Diskussion um die Problematik des Wegschenkens der Kinder s. Milindapa.nha IV, Kap 8


Zu Kapitel 4: Karma und Wiedergeburt