Der Buddhismus - eine atheistische Religion

Vortrag


von Alois Payer

mailto: payer@well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Der Buddismus -- eine atheistische Religion : Vortrag. -- Fassung vom 20. Dezember 1995. -- URL: http://www.payer.de/einzel/buddhath.htm. -- [Stichwort].

Anlaß: Vortrag auf Einladung der Deutsch-Indischen Gesellschaft Bonn, 17.3.1995

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1. Einleitung


1.1. "Buddhismus"


Buddhismus hier = Theravâdabuddhismus

Wenn ich im Folgenden der Kürze halber von Buddhismus spreche, meine ich immer Theravadabuddhismus. Damit ist keineswegs ein Alleinvertretungsansruch des Theravadabuddhismus impliziert.


1.2. "Religion"


Ob Buddhismus eine Religion, eine Weltanschauung, eine Erlösungslehre oder was sonst ist, ist eine Frage der Definition von Religion. Diese Frage ist für uns hier ziemlich egal, da es nicht um ein staatskirchenrechtliches Gutachten geht. Für ein solches wärde ich selbstverständlich Religion so weit fassen, daß möglichst viele in den Genuß staatskirchenrechtlicher Privilgeien kommen können. Auf die Stellung des Buddhismus zu und unter den anderen Religionen werde ich am Schluß eingehen.


1.3. "atheistisch"


Ich kann und will niemandem vorschreiben, wen und was er als Gott bezeichnet und was demzufolge atheistisch, gottlos ist. So bleibt es selbstverständlich jedem Theologen unbenommen, zu zeigen, daß nach seinem Gottesverständnis der Buddhismus doch nicht atheistisch ist.

Buddhismus ist sicher nicht atheistisch in dem Sinne, daß er übermenschliche Wesen mit extrem langer Lebensdauer und einem Leben in großer Glückseligkeit leugnet. Ganz im Gegenteil, die Existenz solcher Götter ist für den Buddhismus eine Selbstverständlichkeit. Für die buddhistische Überlieferung ist wichtig, daß übermenschliche Wesen - Gottheiten - dem Buddha Ehre erwiesen und so Buddhas Hervorragendheit und Einzigartigkeit zeigten. Wenn man sagen würde, daß Buddhisten ja auch den Buddha zumindest im Laufe der Geschichte vergöttlicht haben, so ist dies nicht richtig. Ein Buddha steht für Buddhisten weit über allen Göttern, insofern er aus sich die Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit, denen auch Götter unterliegen, erkannt hat. Einen Buddha vergöttlichen, hieße ihn verniedlichen!

In welchem Sinne ist also Buddhismus atheistisch?

Ich wähle hier als Bezugstext Martin Luthers Auslegung des ersten Gebotes im Großen Katechismus von 1529. (Der vollständige Text ist online zugänglich unter der URL: http://www.payer.de/fremd/luther.htm ).

Zum ersten Gebot "Du sollst nicht andere Götter haben" schreibt Luther:

"Was heißt einen Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten; also, daß einen Gott haben nichts anderes ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben. wie ich oft gesagt habe, daß allein das Trauen und Glauben des Herzens beide macht, Gott und Abegott. Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht; und wiederum wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zu Haufe, Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.

Darum ist nun die Meinung dieses Gebots, daß es fordert rechten Glauben und Zuversicht des Herzens, welche den rechten einigen Gott treffe und an ihm allein hange. Und will so viel gesagt haben: siehe zu und lasse mich allein deinen Gott sein und suche ja keinen andern; das ist: was dir mangelt an Gutem, des versieh dich zu mir und suche es bei mir, und wo du Unglück und Not leidest, kriech und halte dich zu mir. Ich will dir genug geben und aus aller Not helfen, laß nur dein Herz an keinem andern hangen noch ruhen."

Luther bringt im Folgenden einige Beispiele von Abegöttern, an die man häufig sein Herz hängt, die einen aber enttäuschen, weil sie unbeständig sind. Gedanken, denen Buddhisten voll und ganz folgen können:

Geld (Mammon); Kunst, Klugheit, Gewalt, Gunst, Freundschaft, Ehre; Gelübde und gute Werke.

Luthers Gott ist aber ein persönlicher Gott:

"Das sei aber den Einfältigen gesagt, daß sie den Verstand dieses Gebotes wohl merken und behalten, daß man Gott allein trauen und sich eitel Gutes zu ihm versehen und von ihm gewarten soll, als der uns gibt Leib, Leben, Essen, Trinken, Nahrung, Gesundheit, Schutz, Friede und alle Notdurft zeitlicher und ewiger Güter, dazu bewhrt vor Unglück und, so etwas widerfährt, rettet und aushilft; also daß Gott (wie genug gesagt) allein der ist, von dem man alles Gute empfängt und alles Unglücks los wird."

Im Sinne der Leugnung der Existenz eines solchen ewigen (nicht ausfallen könnenden), allmächtigen Gottes ist nun der Buddhismus in der Tat atheistisch. Ein Buddhist braucht z.B. nicht die Existenz der Hl. Dreifaltigkeit zu leugnen. Auch braucht er nicht die Offenbarungen, die diese Hl. Dreifaltigkeit von sich gibt in ihrer Authentizität zu leugnen. Das einzige, was ein Buddhist leugnen wird, ist, daß die Hl Dreifaltigkeit ein wahn- und verblendungsloses Selbstbild hat, wenn sie von sich meint, daß sie ewig, beständig, allwissend und allmächtig ist. Denn auch die Hl. Dreifaltigkeit unterliegt dem Gesetz von Karma und Wiedergeburt, von Werden und Vergehen. Wir alle haben die Möglichkeit, dereinst zu einer Hl. Dreifaltigkeit zu werden, wenn wir die karmischen Voraussetzungen dafür erfüllen und die Planstelle gerade frei ist.

Allerdings wird ein Buddhist dem Irrtum der Hl. Dreifaltigkeit bezüglich ihrer Seinsweise sehr wohlwollend gegenüberstehen: wenn man eine so lange und so glückliche Existenz hat wie die Hl Dreifaltigkeit, ist es extrem schwierig zu sehen, daß man selber auch die Merkmale aller bedingt entstandenen Wirklichkeit - unbeständig, leidvoll, nicht mein - besitzt. Wenn man selbst sieht wie oft man Abegöttern verfällt, wird man als jemand der selbst im Glashaus sitzt nicht mit Steinen auf die Hl. Dreifaltigkeit werfen, die sich selbst zum Abegott im Sinne Luthers macht.

Damit haben wir das Stichwort: Buddhismus ist im Sinne Luthers insofern atheistisch, als für den Buddhisten alle Götter Abegötter sind, wenn man sein Herz an sie hängt.

Mit diesem Atheismus läst sich für den Buddhismus auch das Problem der Theodizee auf: E. Drewermann (1993) argumentiert theologisch:

Ein Gott, der alles kann, aber nichts tut, ist nicht glaubwürdig angesichts von unendlich viel Leid auf Erden.


2. Stufenweise Hinführung zum Buddhismus


Ich will nun stufenweise zu diesem atheistischen Buddhismus hinführen. Damit wird dann auch die Frage nach der Stellung dieses Buddhismus zu und unter den Religionen leichter beantwortbar.


2.1. Wer ist ein Buddhist


Zunächst einmal negativ:

Nach traditionellem Verständnis aller buddhistischen Überlieferungen und Denominationen wird man ein Buddhist durch die dreifache Zuflucht zu Buddha, seiner Lehre und der Gemeinschaft derer, die Buddhas Lehre verwirklicht und so die Erlösung realisiert haben.

Dies geschieht mit der dreimal wiederholten Formel:

"Ich nehme Zuflucht zum Buddha

Ich nehme Zuflucht zum Dhamma / Dharma (zur Lehre)

Ich nehme Zuflucht zum Sangha (zur Gemeinschaft)"

Diese dreifache Zuflucht ist äußerst wichtig, um auf dem Weg zur Erlösung die nötige Motivation, Energie und Ausdauer zu haben.

Es gab und gibt ja eine unüberschaubare Zahl von Weisheitslehrern und Religionsstiftern. Es ist unmöglich, allen einzeln zu folgen, um zu erproben, was ihre Lehren taugen. So muß man eine Auswahl treffen. Die Persönlichkeit eines solchen Lehrers muß als besonders vertrauenswürdig erscheinen, sodaß man sich auf ihn einlassen kann und will. Für das Vertrauen des Buddhisten kommt es also auf Buddhas existentielle und didaktische Kompetenz als Erlösungslehrer an. Ein Buddha zu sein, ist die bestmögliche Existenzform, und ein Buddha steht als Lehrer der Götter und Menschen auch weit über allen übermenschlichen Wesen. Seine Autorität beruht auf seiner eigenen Erfahrung und Einsicht und leitet sich nicht von jemandem anderen ab, der ihn gesandt hat.

Buddha ist für die Buddhisten wie ein Arzt, der die Diagnose stellt und Heilungsmaßnahmen verschreibt. Ob der Patient die Heilungsmaßnahmen sachgemäß anwendet, ist Sache des Patienten und liegt nicht in der Macht des Arztes. Oder, um ein anderes buddhistisches Gleichnis zu verwenden, Buddha ist wie jemand, der einen Weg weist. Ob der andere diesen Weg geht, ist dessen Sache und nicht die des Wegweisenden.

Dieses Vertrauen, dieser Glaube, ist der Inhalt der ersten Zuflucht, der Zuflucht zu Buddha.

Das Wesentliche für Buddhisten ist aber nicht eine Erlöserpersönlichkeit im "Daß ihres Gekommenseins" (Bultmann), sondern die Erlösungslehre, die es dem Einzelnen ermöglicht, den Weg zur Erlösung selbst zu gehen und so Erlösung selbst zu verwirklichen. Dazu muß man von dieser Lehre vorläufig - d.h. solange man noch nicht aus eigener Erfahrung weiß, daß sie zum Ziel führt - so überzeugt sein, daß man die Energie aufbringt, diese Lehre auf ihren Wahrheitsgehalt zu testen. Dies ist der Inhalt der zweiten Zuflucht, der Zuflucht zur Lehre Buddhas, oder dem Dharma / Dhamma, wie diese Lehre auf Sanskrit bzw. Pali heißt.

Auch der beste Lehrer und die beste Lehre sind für mich nutzlos, wenn sie für einen normalen Sterblichen nicht nachvollziehbar sind. Deshalb ist es wichtig, überzeugt zu sein, daß es auch andere auf diesem Weg geschafft haben. Dies ist der Inhalt der dritten Zuflucht, der Zuflucht zur Gemeinschaft derer, die auf dem Weg Buddhas zur Erlösung gelangt sind, auf Sanskrit bzw. Pali zum Sangha.

Diese Dreifache Zuflucht, das Ein-Buddhist-Werden, muß nun aber nicht am Anfang des buddhistischen Weges zur Minimierung und schließlich Beendigung von Leid stehen. Es wäre zutiefst unfreundlich und ungütig, wenn man jemand Leidenden zur Bedingung für die Hilfe machen würde, daß er zunächste einmal formal ein Buddhist werden müßte. Umgekehrt: wenn der buddhistische Ratschlag ihm hilft, dann ist das vielleicht für ihn Motiv, auch formal Buddhist zu werden.


2.2. dânakathâ - über die Freigebigkeit


Ein grundlegender erster Schritt zur Verminderung von erfahrbarem Leiden ist Freigebigkeit.

Arten von Gaben:

Die Vorzüge des Gebens (dâne ânisamsâ):

Im gegenwärtigen Leben:

In künftigen Leben:

Sîhasutta (A III,38-41)

Ich tue mir selbst etwas Gutes indem ich freigebig bin.

Vergegenwärtigung der Freigebigkeit (câgânussati) (eine Form der Ruhigwerdemeditation):

"Es ist ein Vorteil für mich, ein großer Vorteil, daß ich unter vom Schmutz des Geizes besessenen Wesen mit vom Schmutz des Geizes befreitem Sinn weile, freigebig, mit ausgestreckten Händen, am Weggeben Freude empfindend, für Bitten zugänglich, am Geben und Teilen Freude empfindend."

(z.B. A III, 313)


2.3. sîlakathâ - Über die Sittlichkeit (Frucht in diesem Leben)


Freigebigkeit kann erweitert und vertieft werden, indem man nicht nur freigebig materielle Gaben gibt, sondern auch die Gabe von Furchtlosigkeit und Angstfreiheit. Dies geschieht indem man ein Verhalten einübt, das den fünf Übungspunkten der Sittlichkeit entspricht. Die fünf Übungspunkte der Sittlichkeit sind nur auf soziale Beziehungen gerichtet.

Man kann die ganze buddhistische Laienethik als Gabe der Angstlosigkeit und Furchtlosigkeit zusammenfassen:

Ich übe ein Verhalten, daß meine Mitwelt vor mir möglichst keine durch mich verursachte Angst und Furcht haben muß.

Im Einzelnen:

  1. Ich übe ein Verhalten, daß meine Mitwelt von mir keine Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit befürchten muß - der 1. Übungspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung vom Töten von Lebewesen
  2. Ich übe ein Verhalten, daß meine Mitwelt nicht die Verletzung von Besitz und Eigentum befürchten muß - der 2. Übungspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Diebstahl
  3. Ich übe ein Verhalten, daß andere nicht die Verletzung erotischsexueller Treueversprechungen befürchten müssen - der 3. Übungspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Ehebruch
  4. Ich übe ein Verhalten, daß meine Mitmenschen nicht befürchten müsssen, von mir betrogen, hintergangen, denunziert, verbal verletzt, zum Gegenstand von Geschwätz gemacht zu werden - der 4. Übungspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Lügen, Denuntiation, Hintertreiberei, verbalen Grobheiten, Klatsch und Geschwätz
  5. Ich übe ein Verhalten, daß die Gesellschaft und die von mir Abhängigen nicht befürchten müssen, daß ich meinen sozialen Pflichten schuldhaft nicht nachkomme, weil ich ein Drogenabhängiger werde - der 5. Übungspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Rauschmitteln, die Anlaß zu Nachlässigkeit sind

Wir sehen: alles sozial relevante Verhaltensweisen.

Auch die vier unbegrenzten Haltungen

beziehen sich auf das soziale Umfeld, wenn sie auch als erwünschten Effekt grössere Unabhängigkeit vom sozialen Feld haben.

Auch die Einübung der Gabe der Furchtlosigkeit und Angstfreiheit lohnt sich in diesem Leben: man fühlt sich wohl, ist beliebt und erfolgreich (Karma in diesem Leben). Man vermeidet viele Gelegenheiten, durch die man sich selbst Leid schafft.


2.4. saggakathâ - Über die Himmel (Frucht in künftigen Leben)


So leidvermindernd die beiden genannten Freigebigkeiten in diesem Leben sind, so gilt doch, daß mit dem Tod nicht alles aus ist: Karma wirkt über den Tod hinaus in nächste Wiedergeburten hinein. Eine zunächst einmal sehr attraktiv erscheinende Form von Wiedergeburt ist die Wiedergeburt in einer himmlischen Welt, einem Himmel, einer Art Paradies. Dies ist der nächste Schritt in unserem stufenweisen Vorgehen - nun kommt Wiedergeburt ins Spiel.

Gleichzeitig sind himmlische oder paradiesische Freuden eine Relativierung irdischer Freuden, irdischen Glücks: Das Bessere ist des Guten Feind. Aber auch diese himmlischen Freuden sind nicht ewig. Auch nach ihnen gibt es eine Wiedergeburt. Beide Einsichten bereiten uns vielleicht auf die nächste Stufe unseres Weges vor.


2.5. kâmânam âdinavam okâram sankilesam - die Nichtigkeit usw. der Sinnesgenüsse


Die Einsicht, daß Sinnesgenüsse, irdische oder himmlische doch ziemlich hohl und leer sind.


2.6. nekkhamme ânisamsam - den Vorteil der Entsagung


Was ist da zu tun? Vielleicht hat Entsagung gegenüber dieser Welt doch einen leidvermindernden Einfluß?

Der Weg zur Leidfreiheit ist für jemanden, der im Weltleben mit all seinen Sorgen steht, sehr schwierig. Deshalb hat der Buddhismus die Institution des Ordens, der ein sorgenfreies Leben ermöglicht, wenn man sich auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse von Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Behandlung von Krankheit beschränkt.

Die bisherigen Stufen auf dem Weg der Leidminimierung sind nicht so, daß sie spezifisch buddhistisch wären. Erst jetzt kommt das, was die Buddhisten als spezifisch für den Buddhismus ansehen.


2.7. Über die Erlösung


"Wenn der Ehrwürdige erkannte, daß der Geist des N. N. bereit, geschmeidig, frei von Hindernissen, auf Hohes gerichtet und abgeklärt war, gab er ihm die für Buddhas spezifische Lehrunterweisung, nämlich die Unterweisung in den vier edlen Wahrheiten."

  1. die Wahrheit vom Leid:

    "Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leid: Geburt ist leidvoll; Altern ist leidvoll; Krankheit ist leidvoll; Sterben ist leidvoll; mit Unlieben vereint sein, ist leidvoll; von Lieben getrennt sein, ist leidvoll; und wenn man etwas, das man sich wünscht, nicht erlangt, ist das leidvoll; kurz gesagt: die fünf Konstituentien / Komponenten bedingt entstandenen Daseins (khandha s. 5.1.10) sind leidvoll." - Diese Wahrheit ist zu erkennen.

  2. die Wahrheit von der Entstehung des Leides:

    "Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens: es ist die Gier (wörtlich: der Durst), die Wiederentstehen bedingt, die von Freude und Leidenschaft begleitet ist, die hier und dort ihre Freude findet; die Gier nach Sinnenlust, die Gier nach Werden, die Gier nach Vergehen." - diese Gier ist aufzugeben

  3. die Wahrheit von der Beendigung des Leides:

    "Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: es ist die Aufhebung eben dieser Gier durch völlige Leidenschaftslosigkeit, das Aufgeben, Sich-Entäußern, Sich-Befreien, Unabhängig-werden von dieser Gier." - diese Beendigung des Leidens ist experimentell zu verifizieren

  4. die Wahrheit vom Weg zur Beendigung des Leides, dem edlen achtfachen Pfad (atthangika magga):

    "Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom zur Aufhebung des Leidens führenden Weg: es ist der edle achtgliedrige Pfad, nämlich

    1. rechte Ansicht
    2. rechte Gesinnung
    3. rechte Rede
    4. rechtes Handeln
    5. rechter Lebensunterhalt
    6. rechte Anstrengung
    7. rechte Achtsamkeit
    8. rechte Sammlung."

    - dieser Weg ist zu entfalten

Einer der ersten Hörer Buddhas faßte die ganze Lehre, den Dharma (Dhamma) Buddhas in der Formel zusammen:

Alles was entsteht, muß vergehen.

Deshalb ist der Inhalt der Lehre Buddhas die Beendigung des Entstehens dadurch, daß die Bedingungen des Entstehens vermieden werden.

In seiner zweiten Lehrrede zeigte Buddha die drei Merkmale aller Wirklichkeit, die nicht Nirvâna ist: unbeständig, deswegen leidvoll, deswegen herrenlos, nicht Ich, nicht mein. Wäre etwas mein, dann wäre es unter "meiner" Herrschaft, deswegen nicht leidvoll (ich würde ja das Leid vermeiden) und deswegen beständig, da Unbeständigkeit Trennungsschmerz verursacht.

Damit haben wir uns dem atheistischen Buddhismus genähert. Wir sehen: nirgends auf diesen Stufen spielt ein göttliches Wesen eine entscheidende Rolle.

Wir dürfen allerdings nicht meinen, daß wir damit den ganzen Theravâdavbuddhismus als gelebte Religion nun schön in ein paar Schlagworte verpackt nach Hause tragen können. Deshalb einige Bemerkungen zu Dimensionen des Theravadabuddhismus:


2.8. Dimensionen des Theravadabuddhismus


Bei der Beschäftigung mit einer Religion können wir verschiedene Dimensionen unterscheiden, z.B.

Beim Theravâdabuddhismus im Besonderen können wir verschiedene Aspekte beobachten:

Schon diese Auswahl an Dimensionen und Aspekten des Theravâdabuddhismus zeigt, daß man nicht glauben darf, daß man ein vielschichtiges Phänomen wie die gelebten Formen des Theravâdabuddhismus in ein paar handliche Schlagworte packen darf. Solche Schlagworte werden leicht zu Totschlag-Worten, die den Zugang zum Theravâdabuddhismus eher erschweren als erleichtern.

Man darf auch keineseswegs den Fehler begehen, die verschiedenen Aspekte des einen Theravâdabuddhismus als verschiedene Buddhismen anzusehen und sie gegeneinander auszuspielen. Da Buddhisten nicht nur mit einem Leben rechnen, sondern mit unzählig vielen, haben sie große Geduld mit sich selbst und mit den Mitmenschen: was man in diesem Leben nicht schafft, schafft man vielleicht in einem künftigen. Darum wäre es auch töricht, zu erwarten, daß alle Menschen oder auch nur der Großteil der Menschen Erlösung als ein erstrebenswertes Ziel wirklich ansehen. Selbstverständlich ist es für die meisten viel erstrebenswerter, unter besseren Umständen leben zu können. Deswegen kann man z.B. auch nicht den nibbânischen gegen den kammischen oder apotropäischen Aspekt des Buddhismus ausspielen: die Menschheit braucht alle diese Aspekte.


3. Buddhismus als Religion unter Religionen


Buddhismus - eine atheistische Religion. Wir haben uns dem atheistischen Buddhismus nun etwas angenähert. Nun wollen wir, wie versprochen, Buddhismus und seine Stellung zu und unter anderen Religionen betrachten.


Zunächst einmal Buddhismus und Toleranz gegenüber anderen Religionen:

Toleranz kann verschiedene Wurzeln haben:

Theravâda-Buddhismus als Erlösungslehre ist nicht relativistisch: er vertritt keineswegs die Anschauung von den vielen Wegen zum einen Ziel. Ganz im Gegenteil: Der Weg zur Erlösung, den Buddha gegangen ist und den er lehrt, ist für Buddhisten der einzig mögliche Weg. Buddhismus erhebt bezüglich des Erlösungsweges Exklusivitätsanspruch. Nicht ein Buddha ist eine einmalige Erscheinung: es gab vor Buddha Gautama verschiedene Buddhas, und es wird in Zukunft wieder Buddhas geben; der Weg, den all diese Buddhas selbst finden und lehren, ist aber ein einziger und ausschließlicher.

In der Überlieferung des Theravâdabuddhismus zeigt diese Art von Exklusivitätsanspruch folgende Erzählung:

Sâriputta, einer der beiden wichtigsten Jünger, gab folgendes Bekenntnis zu Buddha:

kein vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger Buddha oder Weisheitslehrer hatte oder wird eine größere erlösende Erkenntnis haben als Buddha Gautama.

Buddha fragte ihn darauf, ob er dies sage, weil er alle vergangenen oder zukünftigen Buddhas kenne. Dies verneinte Sâriputta. Er antwortete mit dem Katzenlochgleichnis. Wie man in eine Stadt, die von einer Stadtmauer mit nur einem einzigen Tor umgeben ist, und deren Stadtmauer nicht einmal einen Durchlaß für eine Katze hat, nur durch das Tor aus- und eingehen kann, so können alle vergangenen und zukünftigen Buddhas und Erlösungslehrer nur auf einem einzigen Weg zur erlösenden Einsicht kommen.

Nun könnte es ja sein, daß alle Religionen diesen einen Weg lehren. Tatsächlich wird eine solche Einstellung zu anderen Religionen z.B. in Thailand in den Schulen und Klöstern vermittelt. Alle Religionen wollen dasselbe, da sie den Menschen lehren, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Dabei beruft man sich auf die Definition der Lehre der Buddhas, wie sie z.B. in Dhammapada 183 gegeben wird:

"Nichts Übles tun, Heilsames tun, das eigene Bewußtsein reinigen, dies ist die Unterweisung der Buddhas."

Ob andere Religionen sich dadurch richtig und ausreichend wiedergegeben fühlen, ist deren eigene Sache. Aber auch dort, wo Buddhismus in anderen Religionen Irrtüpmer sehen sollte, sollte für Buddhisten Toleranz aus Geduld und Güte eine Selbstverständlichkeit sein. Toleranz aus Geduld und Güte ist in der Doktrin des Buddhismus geradezu angelegt. Das Denken in unzähligen Wiedergeburten und damit in mindestens paläontologisch-geologischen Zeiträumen bedingt große Geduld mit sich selbst und mit anderen: wären wir nicht in unzähligen Geburten selbst Gier, Haß und Verblendung unterworfen gewesen, wären wir schon längst erlöst und wären jetzt nicht hier.


Nun Buddhismus und die Dienstleistungsangebote anderer Religionen :

Für alle Dinge, die nicht direkt zum Weg der Befreiung vom Leid gehören, erhebt der Theravâdabuddhismus nicht den Anspruch, die besten Mittel anzubieten. So bleibt auch für einen überzeugten Buddhisten für solch irdische Dinge wie den Umgang mit Gespenstern, die Sicherung von genügend Regen, die Erlangung von Nachkommenschaft und dergl. der Weg zu Spezialisten auf diesen Gebieten offen, z.B. Geisterpriestern und -Priesterinnen, Medien, indischen Brahmanen, Hindupriestern, katholischen Geistlichen und zu katholischen Wallfahrtsorten. In diesem Sinne sind die anderen Religionen für einen Buddhisten nicht gleichwertige Religionen neben der buddhistischen Religion, sondern Dienstleistungen, die auf einer ganz anderen Ebene stehen, als die zentralen Punkte des Buddhismus, oder eben Religionen, denen der Buddhismus als etwas anderes (nicht als gleichwertige Religion) gegenüber steht.

Meine lieben Damen und Herren. Buddhismus eine atheistische Religion war mein Thema: ich habe vielleicht Thesen vertreten, die nicht jedem von ihnen behagten. Behalten Sie bitte im Auge, was ich über die Geduld miteinander in Hinblick auf die paläontologischen Zeiträume des buddhistischen Denkens in Wiedergeburten gesagt habe. Da ich selbst keineswegs ein Erlöster im buddhistischen Sinne bin, wäre es von mir völlig unbuddhistische Hochstapelei, wenn ich in rechthaberischer Weise den buddhistischen Heilsweg - wie ich ihn verstehe - gegen andere Heilswege ausspielen würde. Die Beendigung des Leidens ist, wie wir gehört haben empirisch zu verifizieren. Bis wir so weit sind, gibt es auf niedereren Stufen noch genug zu tun, wo verschiedene Religionen und Heilswege keineswegs kontrovers sein müssen. Sie selbst haben mit der Geduld, die Sie mir gegenüber heute Abend gezeigt haben, gerade wieder bewiesen, daß solche Tugenden kein ausschlkießlicher Besitz des Buddhismus sind. Danke.


ENDE