Karma und Wiedergeburt im Buddhismus

Vortrag, bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragen


von Alois Payer

mailto: payer@well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Karma und Wiedergeburt im Buddhismus : Vortrag. -- Fassung vom 26. Juni 2000. -- URL: http://www.payer.de/einzel/karma.htm. -- [Stichwort].

Erstmals veröffentlicht: 22.12.1999

Überarbeitungen: 26.6.2000 [Erweitert und verbessert]

Anlass: Vortrag, bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragen

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0. Übersicht



Statt eines Motto:

Unfrei

Ganz richtig, diese Welt ist nichtig.
Auch du, der in Person erscheint,
Bist ebenfalls nicht gar so wichtig,
Wie deine Eitelkeit vermeint.

Was hilft es dir, damit zu prahlen,
Dass du ein freies Menschenkind?
Musst du nicht pünktlich Steuern zahlen,
Obwohl sie dir zuwider sind?

Wärst du vielleicht auch, sozusagen,
Erhaben über gut und schlecht,
Trotzdem behandelt dich dein Magen
als ganz gemeinen Futterknecht.

Lang bleibst du überhaupt nicht munter.
Das Alter kommt und zieht dich krumm
Und stößt dich rücksichtslos hinunter
Ins dunkle Sammelsurium.

Daselbst umfängt dich das Gewimmel
Der Unsichtbaren, wie zuerst,
Eh du erschienst, und nur der Himmel
Weiß, ob und wann du wiederkehrst.

Wilhelm Busch <1832 - 1908> (Verfasser u.a. von Max und Moritz)


1. Einleitung


1.1. Einstellungen zu Karma und Wiedergeburt im Westen


Karma und Wiedergeburt sind mit schuld daran, dass die Reichen und Mächtigen in den Ländern, in denen der Glaube an Wiedergeburt blüht, sich um die armen, leidenden Massen nicht kümmern. Warum sollten sie auch: Wenn ein Kind wegen seines schlechten Karmas leidet, warum sollte man da dazwischentreten? Warum sollte man den Holocaust verurteilen? Jeder Jude, der ermordet wurde, ist selber schuld: schließlich wählte er in einem früheren Leben selbst Taten, die zu diesem seinem furchtbaren Leiden führten. Solche Einwände kann man bei uns gegen den Glauben an Karma und Wiedergeburt hören.

Siehe z.B. Gardner, Martin: The New Age : notes of a fringe watcher. Buffalo, N.Y. : Prometheus Books, c1988. - 273 S. : ill. -- ISBN 0-87975-432-X : $19.95. -- S. 197. Unter Hinweis auf den vierteiligen Aufsatz: Edwards, Paul: The case against reincarnation. -- In: Free Inquiry. -- Buffalo, NY. -- Fall 1986, Winter 1986/87, Spring 1987, Summer 1987.

Paul Edwards hat inzwischen seine Argumente gegen Karma und Wiedergeburt dargestellt in dem Buch:

Edwards, Paul <1923 - >: Reincarnation : a critical examination. -- Amherst, NY : Prometheus, ©1996. -- 313 S. -- ISBN 15739220053. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}. -- ["This book is the first comprehensive and systematic evaluation of reincarnation and Karma in any languge. Several chapters are devoted to the alleged evidence for reincarnation -- child prodigies, déjà vu experiences, hypnotic regressions, and the reincarnation memeories of a number of children, but also some adults, especially in India and in other countries where belief in reincarnation is widespread. One chapter discusses the so-called Law of Karma showing that it is no law at all, offering only post hoc explanations.

There are both empirical and conceptual objections to reincarnation. The theory is shown to be inconsistent with the population increases on earth, the relative recency of life in the universe, and various features of evolutionary history. Reincarnationists are also faced with the problem of giving a coherent account of the identity of a person who is said to be the same in two different lives. Equally seriously, they cannot offer a crediblee description of how the mind could make its transition from a dead body into the womb of the mother of its next incarnation. They have to resort to the fantastic theory of an 'astral' or 'spiritual' body. Furthermore we have enormous evidence that the mind or consciousness cannot exist without the brain. The brain-mind-dependence facts undermine ost forms of survival including reincarnation.

In addition to reincarnation and Karma, the book discusses in some detail the claims of the leading figures in the new immortality movement, which arose in the United States in the mid-1970s. The writers targeted in this connection are Elisabeth Kübler-Roos; Raymond Moody, the author of the best-selling Life After Life; and Dr. Stanislov Grof, who bases his belief on the experiences of patients during LSD sessions." [Waschzettel zum Buch]

Obwohl Paul Edwards' Buch weitgehend von Missverständnissen und Unkenntnis strotzt, verdient es eine ausführliche Auseinandersetzung: eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten führt zur Klärung vieler Punkte, die eventuell unklar geblieben sind, sowie zur Lokalisierung von Problemen, die tatsächlich (noch?) nicht gelöst sind. Um dem Glauben an Wiedergeburt und Karma den beabsichtigte Todesstoss zu versetzen, müsste sich der Autor des Buches doch noch viel sachkundiger machen, insbesondere müsste er die Begrenztheit seiner eurozentrischen Denkmuster erkennen.]

Auf der anderen Seite ist der Glaube an Wiedergeburt, und wohl auch an Karma, auch bei uns sehr verbreitet. Bei den repräsentativen Umfragen des 1990 - 1993 World Value Survey gaben jeweils folgender Prozentsatz der Befragten an, an Wiedergeburt (re-incarnation) zu glauben:

Land Prozentzahl der Befragten, die bejahten, an Wiedergeburt zu glauben
Indien 91%
Brasilien 57%
Türkei 54%
Japan 50%
Chile 49%
Litauen 45%
Südafrika 43%
Mexiko 40%
Island 40%
Nigeria 39%
Argentinien 39%
Schweiz 36%
Finnland 34%
Moskau 33%
Nordirland 33%
Kanada 31%
Portugal 29%
Großbritannien 29%
Österreich 29%
Spanien 28%
Frankreich 28%
Italien 27%
Polen 26%
USA 26%
Westdeutschland (alte Bundesländer) 26%
Bulgarien 25%
Rumänien 24%
Weißrussland 24%
Ungarn 23%
Russland 22%
Niederlande 22%
Irland 20%
Schweden 20%
Slowenien 17%
Dänemark 17%
Belgien 16%
Norwegen 15%
Ostdeutschland (neue Bundesländer) 13%

[Quelle: Inglehart, Ronald ; Basañez, Miguel ; Moreno, Alejandro: Human values and beliefs : a cross-cultural sourcebook : political, religious, sexual, and economic norms in 43 societies : findings from the 1990 - 1993 World Values Survey. -- Ann Arbor : The University of Michigan Press, ©1998. ISBN 0-472-10833-6. -- Tabelle V 174. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- Näheres zu diesem Survey: Entwicklungsländerstudien / hrsg. von Margarete Payer. -- Teil I: Grundgegebenheiten. -- Kapitel 12: Überzeugungen und Einstellungen / zusammengestellt von Alois Payer. -- URL: http://www.payer.de/entwicklung/entw12.htm]

Obwohl die einzelnen Befragten wohl sehr Unterschiedliches unter Wiedergeburt verstehen, gibt dieser -- methodisch sauber durchgeführte -- Survey doch einen guten Eindruck  vom Phänomen Wiedergeburtsglauben.

Es ist also nicht so, dass der Glaube an Wiedergeburt heute ein ausschließlich östliches Phänomen ist: über ein Viertel der Westdeutschen glauben an Wiedergeburt, obwohl diese Lehre von allen etablierten Kirchen, unseren Staatskirchen, abgelehnt wird. Doch ist Gegenstand dieses Referates nicht der Wiedergeburtsglaube bei uns, sondern die Lehre von Wiedergeburt und Karma bei den Buddhisten. 

Eine sehr umfangreiche und informative Darstellung von Wiedergeburt und Karma in Europa gibt:

Zander, Helmut <1957 - >: Geschichte der Seelenwanderung in Europa : alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute. -- Darmstadt : Primus, ©1999. -- 869 S. --  ISBN 3896781405. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Sollten Sie sich weiter für mehr allgemeine Fragen der Wiedergeburtsanschauungen, die insbesondere durch die New Age Welle sehr gefördert werden, interessieren, dann empfehle ich Ihnen das Buch:

Seelenreisen / von der Redaktion der Time-Life Bücher. -- Authorized German language edition. Original U.S. ed. c1987. -- Amsterdam : Time-Life Bücher, c1988. -- 144 S. : Ill. -- ISBN 90-6182-994-1.-- (Geheimnisse des Unbekannten)


1.2. Eingrenzung des Themas. Weiterführende Literatur


Ich werde bei der Darstellung der buddhistischen Lehre von Karma und Wiedergeburt die späte scholastische Ausarbeitung im Theravâdabuddhismus zugrunde legen. Ich beschränke mich auf dieses eine Modell, damit nicht in Ihnen eine Vorstellung der buddhistischen Lehre von Karma und Wiedergeburt entsteht, die aus den verschiedensten Traditionen zusammengewürfelt ist, und die so nirgends im Buddhismus vertreten wird. Sollten sie sich näher für das Vorgetragene interessieren, dann empfehle ich Ihnen:

Nârada <Mahâ Thera>: The Buddha and his teachings. -- [Colombo], 2517=1973. --ISBN 9552400252. -- bes. S. 333-489. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.co.uk bestellen}


2. Quellen des Glaubens an Wiedergeburt und Karma


Glaube an Wiedergeburt ist nicht notwendig an den Glauben an Karma geknüpft: Der Lauf der Wiedergeburten könnte auch von blinder Notwendigkeit oder durch freie Wahl der jeweiligen Existenzen bestimmt sein. Im Buddhismus sind aber Wiedergeburt und Karma aneinander geknüpft. Der Hintergrund dafür ist der Glaube an eine moralische Weltordnung, an eine Weltordnung, in der es sich lohnt, gut und rechtschaffen zu sein, und in der es sich nicht lohnt, böse und gemein zu sein. Nun ist ja unsere Welt so, dass es sich eher lohnt, böse und gemein zu sein, und dass die Guten, Ehrlichen, Rücksichtsvollen, Rechtschaffenen die Dummen sind, die das Nachsehen haben. Unsere Erfahrung wird doch sehr treffend durch folgenden Spruch des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel <geboren 1928>:

Die Welt ist schlecht und ungerecht,
Denn dir geht's gut und mir geht's schlecht.
Wär' die Welt gerechter,
Ging's mir besser und dir schlechter.

Außerdem widerspricht ja zunächst einmal einer moralischen Weltordnung das viele Leid, für das man auch bei bestem Willen keinen Grund beim Leidenden finden kann: Warum ist das eine Kind gesund, in eine wohlhabende Familie mit bester Versorgung hineingeboren, während das andere Kind in eine ärmste Familie geboren wurde und nicht nur hungert, sondern auch noch von Viren, Bakterien und Würmern buchstäblich aufgefressen wird? Hält man -- aus welchen Gründen auch immer -- am Glauben an eine moralische Weltordnung fest, so kann man auf einen unbegreiflichen Gott rekurrieren, der irgendwie die Gerechtigkeit wieder herstellen wird, oder man kann die postulierte moralische Weltordnung durch die Hypothesen von Wiedergeburt und Karma zu retten versuchen.

Das Postulat der moralischen Weltordnung -- für Buddhisten ist sie im Begriff Dharma enthalten -- ist nur eine Quelle der Anschauung von Wiedergeburt und Karma. Andere ebenso wichtige Quellen sind verschiedene Erfahrungen sowie der große heuristische Wert, den diese Hypothesen für die Deutung sonst zufällig und sinnlos erscheinender Lebensereignisse haben. Dazu kommt noch die Bedeutung von kultureller Tradition und Glaube an als autoritativ angesehene Personen.

Zunächst einmal die Erfahrungen, aufgrund derer man zur Überzeugung der Wiedergeburt, und in geringerem Maße auch des Karma kommt. Man kann diese Erfahrungen grob in vier Kategorien gliedern:

Ich habe bis jetzt als Quellen für den Wiedergeburtsglauben genannt das Postulat der moralischen Weltordnung und verschiedene Arten von Erfahrungen. Ein ganz wichtiger, ebenfalls erfahrungsbezogener Grund ist der heuristische Wert, den die Hypothesen von Wiedergeburt und Karma für die Sinngebung von sonst als zufällig und sinnlos erscheinenden Ereignissen bieten: Warum habe ich gerade meine Frau kennengelernt? Warum treffen gerade wir hier zusammen? Warum konnte ich im fernen Thailand bestimmte Freundschaften schließen? usw. Ist es nicht gerade deshalb, weil wir jeweils in einem früheren Leben zusammengehörten und weil "das was zusammengehört, auch zusammenkommen muss"?

Wir dürfen natürlich bei den Quellen für den Glauben an Wiedergeburt und Karma nicht die Tradition und den Glauben an die Autorität -- im Buddhismus besonders des Buddha -- vergessen. Wegen der gesellschaftsstabilisierenden Aspekte dieses Glaubens findet er auch eine gesellschaftliche Unterstützung: der Glaube an Karma reduziert Neid und gibt gesellschaftlicher Ungerechtigkeit Sinn, ohne sie -- wie wir noch sehen werden -- zu zementieren.

Aufgrund des Zusammenwirkens dieser verschiedenen Quellen sind in vielen buddhistischen Ländern Wiedergeburt und Karma völlig selbstverständliche Erfahrungs-, Deutungs- und Verständnismuster, so wie es bei uns bis vor nicht zu langer Zeit Gott, ewiges Leben oder die Gegenwart Christi im Abendmahl waren.


3. Karma


Bisher habe ich von Wiedergeburt und Karma gesprochen, ohne genauer zu bestimmen, was Buddhisten darunter verstehen, und wie Wiedergeburt und Karma wirken.


3.1. Das Gesetz vom Karma als moralisches Kausalitätsgesetz


Das Gesetz vom Karma ist das moralische Kausalitätsgesetz, das bewirkt, dass gute Taten irgendwann -- sei's in diesem oder einem zukünftigen Leben -- gute Früchte bringen, und dass böse Taten irgendwann einmal böse Früchte bringen. Karma ist zwar die Hauptursache für die sozialen Unterschiede, es ist aber nicht die einzige Ursache, die es gibt: wäre Karma die einzige Ursache für unser Schicksal, zumindest alles was im moralischen oder unmoralischen Bereich geschieht, dann hätten wir einen strengen Determinismus und keine moralische Weltordnung. Karma ist auch für Buddhisten nur ein Bereich der Naturgesetze neben anderen physikalischen, biologischen, psychologischen und anderen.


3.2. Was ist Karma: Karma = Wollen


Karma ist jede gewollte Tat, wobei "Tat" Gedanken, Worte und Werke umfasst. Im strengen Sinn des Gesetzes vom Karma ist Karma heilsames und unheilsames Wollen. Deshalb konstituieren unwillentliche oder unbewusste Taten kein Karma, weil sie kein Wollen beinhalten; und Wollen ist Karma. Auch ist das Wollen von Buddhas oder Arhants (völlig zur Erlösung Gelangten) kein Karma, denn diese haben Unwissenheit und Gier, die Wurzeln von Karma, völlig zum Erlöschen gebracht, damit ist ihr Handeln im karmischen Sinne nicht mehr heilsam oder unheilsam.


3.3. Die Frucht des Karma -- ein Bewusstseinsphänomen


Das Gegenstück zu Karma ist die Frucht (vipâka), die aus dem Karma heranreift. Wie Karma primär ein Bewusstseinsphänomen Wollen -- ist, so ist die Frucht primär ein Bewusstseinsphänomen, nämlich die Erfahrung (vedanâ) von Glück oder Leid, die materiellen Umstände wie Gesundheit, Krankheit, Wohlstand, Armut usw. sind Begleitumstände, die u.U. das Bewusstseinsphänomen hervorrufen, welches aber das Eigentliche ist: Leid und Glück sind nicht Armut, Wohlstand, Krankheit, Gesundheit usw. als solche, sondern wie man sie erfährt. Es gibt also verschiedenartige Bewusstseinszustände: solche, die Karma schaffen, und solche, die die Folge von Karma sind und die Frucht von Karma erleiden


3.4. Die Ursache von Karma: Unwissenheit und Gier


Die Ursache von Karma ist Unwissenheit (avijjâ) und die daraus entspringende Gier (ta.nhâ). Es ist allerdings nicht so, dass Taten, die ohne Unwissenheit und Gier geschehen, kein Karma wären. Nur, wenn im Menschen Unwissenheit und Gier gänzlich und nicht nur temporär -- verschwunden sind, wird kein Karma mehr produziert.


3.5. Wer tut Karma und wer erntet seine Früchte?


Wer tut Karma und wer erntet seine Früchte? Sie wissen, dass die Buddhisten die Existenz eines bleibenden Ich, einer Seele, verneinen. Folglich gibt es auch niemanden, der Karma tut und niemanden, der seine Früchte erntet. Die nur einen Augenblick existierende Bewusstseinskomponenten Wollen tut Karma, eine nur einen Augenblick existierende Bewusstseinskomponente wahrnehmende Empfindung erntet die Früchte des Karma. So gilt wirklich: ein anderer sät, ein anderer erntet.


3.6. Wo ist das Karma gespeichert?


Wo befindet sich das Karma, wenn es keine bleibende Seele gibt, in der es gespeichert sein könnte? Karma befindet sich auch nicht irgendwo in einem überirdischen Buch des Lebens. Wo also ist es gespeichert. Die Antwort ist: Karma existiert im Fluss der Bewusstseinszustände, die ständig in Abhängigkeit voneinander entstehen und vergehen. Die Karmainformation wird von einem Zustand auf den nächsten übertragen, ohne dass dabei irgendetwas Substanzhaftes übergeben würde. Im substanziellen Sinne ist das Karma im Augenblick A vom Karma im Augenblick B völlig verschieden, im informationellen Sinn ist es weitgehend identisch.


3.7. Wie wirkt Karma?


Wie wirkt Karma? Es ist Ansicht der Buddhisten, dass das Wirken von Karma in allen Details nur von einem Buddha durchschaut werden kann, auch nicht von einem sonstigen vollkommen Erlösten. Man kann dies selbstverständlich als eines der in allen Religionen üblichen Manöver ansehen, um nicht über alle Aspekte und Konsequenzen einer Lehre Rechenschaft geben zu müssen.

Man darf sich aber das Wirken des Karma nicht als eine "monadische" Entwicklung vorstellen. Wie Karma reifen kann, ist weitgehend von den Randbedingungen in der Mitwelt abhängig. Das Reifen von Karma ist also eine Interaktion mit der Mitwelt. Darum ist Karma auch ein soziales Phänomen: man trifft darum im Lauf der Wiedergeburten auch immer wieder mit den "gleichen" Partnern zusammen. Dies ist auch der Grund, warum die Frucht einer guten Tat auch von der Würde des Empfängers abhängt: ein würdiger Empfänger kann auf den Geber z.B. viel mehr Güte ausstrahlen, was wieder der Reifung guten Karmas förderlich ist.


3.8. Arten des Karma


Um etwas tiefer in die Karmalehre einzudringen, ist es hilfreich, sich in scholastischer Manier einige Distinktionen anzusehen.


3.8.1. Bezüglich des Zeitpunktes der Tatreifung


Bezüglich des Zeitpunkts, wann die Frucht von Karma eintritt, unterscheidet man:


3.8.2. Nach der Funktion des Karma


Nach der Funktion unterscheidet man folgende Arten von Karma:

Ein Beispiel wird dies klarer machen:

Devadatta, der Bösewicht vom Dienst im Buddhismus, der Buddha zu töten versuchte und eine Ordensspaltung bewirkte: sein wiedergeburtserzeugendes gutes Karma bewirkte, dass er in einer Fürstenfamilie geboren wurde. Unterstützendes Karma bewirkte, dass er dort Wohlstand und Wohlergehen lebte. Gegenläufiges Karma wurde wirksam, als er die Demütigung der Exkommunikation durch den Orden erlitt. Annullierendes Karma wurde wirksam, als ihn der Höllenschlund bei seinem fürchterlichen Ende verschlang.


3.8.3. Nach der Priorität der Wirksamkeit


Bezüglich der Priorität der Wirksamkeit unterscheidet man in der Reihenfolge der Prioritäten:


3.8.4. Nach dem Wirklichkeitsbereich der Tatreifung


Nach dem Wirklichkeitsbereich, in welchem Karma zur Reifung gelangt, unterscheidet man so, wie es die folgende Tabelle darstellt:


3.9. Der Zusammenhang zwischen gegenwärtigem Leben und "Wiedergeburt" nach dem Theravâdabuddhismus (vereinfacht)


In gegenwärtigem Leben Wiedergeburt
Einsichtsmeditation (Vipassanâ) (kein Karma schaffend) keine Widergeburt (evtl. über Zwischenstufen:) Nirvâ.na
Ruhigwerdemeditation (Samatha-kamma.t.thâna).

Je nach Zustand, den man in Meditation erreicht:

  • in einer der vier Regionen von körperlosen, ständig in Meditation versunkenen Wesen mit immens langer Lebenszeit (Welt der Nichtformen)
  • in einer der 16 Regionen von begierdelosen Wesen, die nur noch feinstoffliche Körper haben, mit immens langer Lebenszeit, aber kürzer als obige. (Welt der Formen)
Freigebigkeit und Entfaltung der Sittlichkeit (nicht morden, stehlen, huren, lügen, saufen; Freundlichkeit, Mitleid, Mitfreude, Gelassenheit)

  In der Welt der Begierden. Je nach Verdienst:

  • in einem der 6 Himmel mit Göttern mit Körpern und Begierden (Lebenszeit mindestens 9.000.000 Jahre)
  • als Mensch
Tun von Bösem (morden, stehlen, huren, lügen, saufen u.ä.)

In einer schlechten Form in der Welt der Begierden. Je nach Vergehen:

  • als Dämon
  • als Gespenst
  • als Tier
  • in einer Hölle, die aber auch nur von begrenzter Dauer ist

Böses tun kann man in Gedanken, Worten oder Werken:

Bezüglich der Früchte des Tuns von Bösem haben viele Buddhisten sehr konkrete Vorstellungen:

und so fort.

Gutes Karma, das eine gute Wiedergeburt in der Welt der Begierden bewirkt, ist:

  1. Freigebigkeit
  2. Einhalten der Sittlichkeit
  3. Meditation
  4. Ehrfurcht
  5. Dienst
  6. Verdienstübertragung
  7. Freude an den guten Taten anderer
  8. Hören der Buddhalehre
  9. Verkündigung der Buddhalehre
  10. Nehmen der dreifachen Zuflucht und Vergegenwärtigung des dreifachen Juwels

3.10. Reift gleiches Karma immer zu Gleichem?


muss alles Karma, das man angehäuft hat, auch in einer ganz bestimmten Art reifen? Nicht unbedingt! Müsste alles Karma auf eine bestimmte Art reifen, dann wäre das wohl sehr entmutigend. Vielmehr ist es so, dass die Art der Tatreifung ja das Eintreffen der Tatreifung von den ganzen Umständen des übrigen Lebens abhängt. So kann dieselbe Tat bei zwei verschiedenen Lebewesen ganz unterschiedliche Wirkungen haben. So kann man sehr wohl etwas gegen angehäuftes Karma tun. In der Praxis stehen zwei Ansichten nebeneinander, die sich aber sehr gut vereinen lassen, wenn man sie durch "teils -- teils" verbindet:

Vorstellungen über Tat und Tatreifung (kamma / karma)


3.10.1. Gründe, die Tatreifung fördern bzw. hindern


Gründe, die die Reifung von Karma hindern bzw. fördern können:

  1. Die gute Frucht einer guten Tat wird aufgehoben, wenn einen im Nachhinein diese Tat reut.
  2. Der Bereich, in dem man wiedergeboren wird, hindert oder fördert die Tatreifung: so hat z.B. König Dutthagamani schlechtes Karma wegen seines Krieges gegen die Tamilen, aber gutes Karma wegen seiner religiösen und sozialen Taten. Aufgrund seiner guten Taten wurde er in einem Himmel wiedergeboren und seine bösen Taten können nicht reifen.
  3. Schönheit und körperliche Unversehrtheit bzw. Hässlichkeit und körperliche Behinderung hindern oder fördern die Reifung von Karma: ein Behinderter kann u.U. die Früchte guten Karmas nicht so genießen, wie ein Nichtbehinderter.
  4. Die Zeitumstände beeinflussen die Reifungsmöglichkeiten von Karma: Eine Hungersnot z.B. beeinträchtigt alle.
  5. Die eigene Anstrengung ist ganz wichtig: je nachdem, was einer mit seinen Karten (Karma) macht, ist der Effekt ganz unterschiedlich. So führt die Karmalehre nicht zum Fatalismus: Es ist eben nicht richtig, wenn man denkt, Leid durch Krankheit ist eh die Folge von schlechtem Karma, also kann man nichts machen. Unternimmt man keine Anstrengungen, dann wird im Falle der Krankheit wahrscheinlich das schlechte Karma voll reifen können; unternimmt man dagegen Anstrengungen, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, dass gutes Karma reift und schlechtes Karma zurückgedrängt wird. So sind wir weder Sklaven noch Herren unseres Karmas.

4. Wiedergeburt


Wiedergeburt

Wer nicht will, wird nie zunichte,
Kehrt beständig wieder heim.
Frisch hinaus zum alten Lichte
Dringt der neue Lebenskeim.

Keiner fürchte zu versinken,
Der ins tiefe Dunkel fährt.
Tausend Möglichkeiten winken
Ihm, der gerne wiederkehrt.

Dennoch seh' ich dich erheben,
Eh du in die Urne langst.
Weil dir bange vor dem Leben,
Hast du vor dem Tode Angst.

Wilhelm Busch <1832 - 1908> (Verfasser u.a. von Max und Moritz)


4.1. Wiedergeburt und Vererbung


Wie funktioniert die Wiedergeburt? Wenn Karma die Ursache der Wiedergeburt ist, welche Funktion haben dann die Eltern, Ei und Samen, die Chromosomen und Gene? Für die Buddhisten müssen für die Wiedergeburt als Mensch folgende Bedingungen erfüllt sein:

Analoges gilt für andere Lebewesen. Für Buddhisten sind also die biologischen Prozesse der Erbmaterialübertragung usw. notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung eines Lebewesens. Solange man noch keine Genmanipulationen durchführen konnte, nahm die Karmatheorie der biologischen Vererbungslehre den Charakter des weitgehend Zufälligen: Welcher Samen gerade auf das Ei trifft, und welche Genkombinationen entstehen ist dann durch das Karma bestimmt. Die neuesten Entwicklungen der Genetik stellen allerdings die Karmalehre vor neue Probleme, die ein völlig neues Durchdenken und Sich-Freimachen von den alten buddhistisch-scholastischen Modellen wohl nötig macht.

Man wird nun aber sofort fragen: Steht immer ein entsprechender biologischer Vorgang bereit, wenn ein Lebewesen stirbt, um ihm eine adäquate Wiedergeburt zu ermöglichen? Da Buddhisten mit unendlich vielen Welten im Universum rechnen, auf denen wieder unendlich viele Lebewesen leben, ist die Annahme, dass immer irgendwo im Universum auch adäquate biologische Vorgänge geschehen, um Wiedergeburt zu ermöglichen, nicht unwahrscheinlich.


4.2. Der anfangslose Samsâra


Seelenwanderung

Wohl tausendmal schon ist er hier
Gestorben und wiedergeboren,
Sowohl als Mensch wie auch als Tier,
Mit kurzen und langen Ohren.

Jetzt ist er ein armer blinder Mann,
Es zittern ihm alle Glieder,
Und dennoch, wenn er nur irgend kann,
Kommt er noch tausendmal wieder

Wilhelm Busch <1832 - 1908> (Verfasser u.a. von Max und Moritz)

Der ununterbrochene Lauf der Wiedergeburten ist der sogenannte Samsâra. Ein Anfang dieses Samsâra kann nicht festgestellt werden.


4.3. Vorgänge im Augenblick der Wiedergeburt


4.3.1. Der Tod: Sterbeerfahrungen


Bei einem Sterbenden entsteht ein Bewusstsein, das als Objekt eines der drei folgenden hat:

  1. eine gute oder böse Tat, die er in seinem Leben oder unmittelbar zuvor getan hat. Hat jemand schweres Karma erworben, d.h. hat er einen der Verzückungszustände der Ruhigwerdemeditation verwirklicht oder hat er eines der ganz schweren Vergehen -- wie Muttermord -- begangen, dann wird dies Objekt seines letzten Bewusstseinsmomentes. Liegt kein solch schweres Karma vor, dann kann Bewusstseinsobjekt das sterbensnahe Karma werden, d.h. etwas, was er unmittelbar vor seinem letzten Augenblick getan hat. Gibt es kein solches Karma, dann kann häufig geübtes Karma diese Bewusstseinsobjekt werden, d.h. gute oder schlechte Gewohnheiten. Auch jedes gelegentlich erworbene Karma kann dieses Objekt des Sterbebewusstseins werden.
  2. Objekt des Sterbebewusstseins kann auch irgendetwas werden, was mit einer guten oder bösen Tat stark assoziiert ist (kamma nimitta), z.B. ein Messer im Falle eines Metzgers, oder der Geruch von Weihrauchstäbchen im Falle der Verehrung Buddhas u.ä.
  3. Objekt des Sterbewusstseins kann auch irgendetwas werden, was ein Symbol für den Bereich der nächsten Geburt ist (gati nimitta). Z.B. Feuer, Wälder, Gebirge, ein Mutterschoß, himmlische Wohnungen usw.

4.3.2. Der Wiedergeburtsvorgang


Dieser letzte Bewusstseinsmoment ist deswegen so wichtig, weil durch ihn die Wiedergeburt bedingt wird. Auf die äußerst komplizierten Bewusstseins-Vorgänge bei der Wiedergeburt kann ich hier nicht eingehen: das würde ein Semester Abhidharma voraussetzen. Nur einige Bemerkungen seien mir gestattet:


4.3.2.1. Nicht-Ich (Herrenlosigkeit) und Motivation durch die Karmalehre


Diese Verneinung einer bleibenden Seele bringt nun allerdings eine Funktion der Karmalehre scheinbar in Schwierigkeiten: Wenn ein anderer sät und ein anderer erntet, dann kann es dem der sät, ziemlich wurscht sein, was er tut, ein anderer erntet ja. Man kann nun auch nicht sagen, der andere erfährt einen Zusammenhang als empirisches Ich, wie er es in einer menschlichen Existenz erfährt. Nein, wie wir alle wissen, ist dies oft -- oder sogar meistens -- nicht der Fall: wir erfahren uns nicht als Fortführung z.B. einer Katze. Die Antwort auf unser Problem liegt ganz wo anders: Nicht-Ich ist eines der drei Merkmale jeder Wirklichkeit (leidvoll, unbeständig, Nicht-Ich = Nicht - Herr). Hat man diese drei Merkmale existentiell begriffen -- nicht nur theoretisch --, dann ist man reif für die Erlösung, bzw. erlöst. In diesem Zustand kümmert man sich nun tatsächlich nicht mehr um sich selbst, man vergöttert sich nicht mehr selbst: man kümmert sich ebenso wenig um das Morgen, wie um künftige Wiedergeburten, denn man hängt sein Herz nicht mehr an ein Ich, das es gar nicht gibt. Solange man aber diesen Zustand der existentiellen Verwirklichung der Lehre vom Nicht-Ich nicht erreicht hat, so lange kümmert man sich ja auch schon in diesem Leben um sich selbst, um sein Morgen, um seine Selbstverwirklichung usw. -- mag man noch so gut über die Nicht-Ich-Lehre theoretisieren können. Und so kümmert man sich dann auch -- wenn man an Karma und Wiedergeburt glaubt -- nicht nur um das Morgen und übermorgen, sondern auch um künftige Existenzen. Deswegen ist die Nicht-Ich-Lehre zwar für den, der sie existentiell verwirklicht hat, demotivierend -- dies ist ja auch ihre eigentliche Funktion, und nicht geistiger Kurzweil eines interessanten Denkmodells. Für den, der die Lehre vom Nicht-Ich nicht existentiell verwirklicht hat, muss sie aber nicht demotivierend sein, da wir unerlösten Menschen ja leben, als ob es ein Ich gäbe, um das zu sorgen und kümmern sich lohnt.


5. Funktionen der Lehre von Karma und Wiedergeburt


Nach diesem kurzen Einstieg in die buddhistische Lehre von Wiedergeburt und Erlösung, lassen sie mich einige der Funktionen dieser Lehre kurz aufzählen:

  1. Motivation zu gutem Handeln, gleichzeitig aber Anleitung zu Geduld mit sich selbst und anderen
  2. Sinngebung für soziale und andere Unterschiede, für Gebrechen, Leid, aber auch Glück. Neidreduzierung und soziale Stabilität
  3. Sinngebung von sonst als zufällig erscheinenden Ereignissen.

5.1. Antwort auf die zu Beginn erhobenen Einwände


Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, auf den zu Beginn genannten Vorwurf an die Lehre von Karma und Wiedergeburt zu antworten. Dort wurde dieser Lehre zur Last gelegt, dass die Wohlhabenden und Mächtigen sich nicht um die Armen und Unterdrückten kümmern. Ja die Lehre von Karma und Wiedergeburt rechtfertigen sogar den Holocaust, da die Juden ihr Leiden ja karmisch selbst verschuldet haben.

Sie haben hoffentlich aus meinen bisherigen Ausführungen ersehen, dass die buddhistische Lehre von Karma und Wiedergeburt weder auf Seiten des Täters, noch des Opfers, noch eines dabeistehenden Dritten zu Fatalismus, Passivität und Resignation führt. Die Tatsache, dass die Erfahrung von Leid, das ich jemandem zufüge, Folge schlechten Karmas des Opfers ist, beeinflusst in keiner Weise den schlechten karmischen Charakter meiner Tat. Auf Seiten des Opfers kann Anstrengung -- wie wir gesehen haben -- den Wirkungen von Karma entgegenwirken: es lohnt sich also, sich gegen Leid zu wehren! Auch beeinflusst die Tatsache, dass alles erfahrene Leid die Wirkung von schlechtem Karma ist, in keiner Weise das karmische Gesetz, dass es für einen Mitmenschen karmisch unheilsam ist, wenn er mit dem leidenden Wesen kein Mitleid hat und nicht hilft.

Die Anfangs genannten Einwände verwechseln die Lehre von Karma und Wiedergeburt entweder mit Fatalismus, oder sie haben noch nie etwas von den moralischen Vorstellungen gehört, die dieser Lehre zugrundeliegen: zu den grundlegenden moralischen Vorstellungen gehört, keinem Lebewesen ein Leid zuzufügen, mit Leidendem Mitleid zu haben und freigebig zu helfen.


6. Abschluss: Karma, Wiedergeburt und Erlösung


Wir haben uns heute ausschließlich mit Karma und Wiedergeburt beschäftigt. Das letzte Ziel der Lehre Buddhas ist Erlösung. Erlösung ist Beendigung der Wiedergeburten. So ist es auch für die Erlösung wichtig, zu wissen, wie Karma und Wiedergeburt funktionieren. Karma und Wiedergeburt kann aber nur die Voraussetzungen schaffen, unter denen Erlösung überhaupt möglich ist, zur Erlösung führen können Karma und Wiedergeburt nicht.


ANHANG: Richtige Einstellung zu Karma, wenn jemand jemand anderem Leid zufügt



ENDE