Margarete Payer: payer@payer.de
Zitierweise / cite as:
Payer, Margarete <1942 - >: Korruption als Schicksal : illustriert an Bolivien. -- Fassung vom 2008-02-23. -- URL: http://www.payer.de/einzel/korruption.htm
Anlass: Vortrag bei der Tagung "Korruption und `neue Staatlichkeit´ in der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern, Hof. 21. - 22. Januar 2008
Erstmals publiziert: 2008-02-22
Überarbeitungen:
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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library
Jeden Morgen in La Paz beim gemeinschaftlichen Trinken unseres Koka-Tees kam unweigerlich die Rede auf die Korruption in Bolivien. So wie man bei uns über das Wetter, das man nicht ändern kann, redet, wurde über Korruption geredet. Die bolivianischen Kollegen betonten, dass Korruption das Schicksal eines Bolivianers sei. Man könne nichts dagegen tun.
Selbst die öffentliche Schilderung von Korruptionsfällen mit voller Namensnennung der Täter in der Tageszeitung, was ich als einen ersten Schritt zur Bekämpfung ansah, hilft nicht weiter. In Indien hat das Einrichten einer Webseite, in der man korrupte Staatsangestellte nennen kann, Erfolge gebracht [vgl.: Via Internet gegen die Korruption. - In: NZZ. - Internat. Ausg. - 2000-01-29/30. - S. 48]
Der ehemalige Parlamentsabgeordnete José Luis Gutiérrez Sardán geht davon aus, dass die Bolivianer meinen, dass in ihrer bisherigen Verfassung u.a. Korruption neben der Unterdrückung der indigenen Völker als Realität vorgesehen sei und man deswegen eine neue Verfassung brauche. [vgl.: Niederlagen und Revolutionen in Bolivien. - In: NZZ. - Internat. Ausg. - 2006-02-02. - S. 5] Der Entwurf für diese neue Verfassung wurde nach monatelangen Querelen, handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Druck von der Straße am 14. Dezember 07 vorgelegt.
Im Corruption Perceptions Index 2006 von Transparency International liegt Bolivien auf Rang 105 mit dem CPI Score 2,7.
Wie stark Bolivien durch Korruption geschädigt wird, zeigen folgende Zahlen:
die Korruption in den öffentlichen Unternehmen kostet die Bürger nach einer Berechnung des Parteivorsitzenden Otto Ritter 1999 jährlich 175 Millionen US-Dollar. Für den einzelnen Bürger heißt das, er könnte davon täglich 6 Brote kaufen. [vgl. Aruquipa, José Antonio: Korruption aller Orten - Regierungskreise mit Anklagen überhäuft. - In: Poonal. -- 1999-06-04. - Zitiert in: www.payer.de/bolivien2/bolivien0228.htm]
Die "kleine" Korruption, also die Alltagskorruption, wird im Jahr 2005 auf 1,15 Millionen US-Dollar geschätzt. Es geht dabei um Schmiergeldzahlungen. Jeder Behördengang eines Privathaushalts kostet durchschnittlich 16,80 Euro an Schmiergeld. Die bolivianische Antikorruptionsvereinigung führte dazu eine landesweite Erhebung in bolivianischen Haushalten durch. Mindestens die Hälfte aller befragten Haushalte haben zugegeben, Schmiergeldzahlungen geleistet zu haben. Die wichtigsten Anlässe waren Verkehrsstrafen, Zollabfertigung, Erlangen des Personalausweises, Rechtstreit vor Gericht, Schulanmeldungen. Auf jeden Haushalt entfallen durchschnittlich 120 US-Dollar jährlich, wobei die ärmeren Haushalte prozentual deutlich mehr betroffen sind: Haushalte bis zu einem monatlichen 50 Euro-Einkommen zahlen 17% Schmiergeld jährlich. Würde bei Armen in Deutschland (bei einer Armutsgrenze von 980 Euro monatlich) entsprechendes Schmiergeld genommen, käme man auf etwa 2000 Euro im Jahr. Das einzelne Schmiergeld beträgt mindestens 0,62 US-Dollar z.B. für eine Schulnote und geht bis zu einem Maximum von 545 US-Dollar bei Grundstückserwerb. Bei der Befragung ergab sich, dass Korruption als Übel aufgenommen wird, gegen das man nichts tun könne, und dass 54% der Befragten davon ausgehen, dass das System sie korrupt macht. [vgl. Nobiling, Niels: Der Preis der Korruption. - In: Bolivia. - 144 (2006). - S. 37f.[ [Horstmann, Britta: Alltagskorruption in Bolivien : Zusatzsteuer für die Armen. - In: Schlüssel Info Bolivien. - 2006-09-27]
Ein Beispiel : eine halbe Brücke:
Abb.: eine Brücke im südlichen Hochland von Bolivien, die nicht fertig gebaut
werden konnte, weil die entsprechenden Gelder veruntreut wurden. (Bild: Payer,
2002-01-11)
Bolivien ist seit dem Salpeterkrieg mit Chile 1879 ein Binnenland, im Norden begrenzt von Peru, im Westen von Brasilien und Paraguay, im Süden von Argentinien, im Osten von Chile. Das Besondere in der Geographie Boliviens ist der Kontrast zwischen den Anden und dem Tiefland, d.h. Bolivien hat mehrere Klimazonen. So kann man an einem Tag mit dem Besuch eines Schneefelds auf 5600 Metern Höhe beginnen, am Ostabhang der Anden runterfahren durch die fruchtbare Region der Yungas bis ins tropenfeuchte Amazonasbecken.
Abb.: die Straße in den Yungas (Bild: Payer, 2001-12)
Das Zentrum der Stadt La Paz liegt auf 3600 Metern Höhe, der Flugplatz dazu auf 4000 Meter, die Wohngebiete der Wohlhabenden liegen auf 3300 Metern Höhe. La Paz hat zur Zeit noch die Aufgaben einer Hauptstadt, es gibt blutige Auseinandersetzungen mit dem Ziel, dass die Regierung wieder in die alte Hauptstadt Sucre ziehen soll. Im Tiefland ist als wichtigste Stadt Santa Cruz zu nennen, eine etwas wohlhabendere Stadt, die zur Zeit um mehr Autonomie kämpft.
Abb.: La Paz (Bild: Payer, 2001-11)
Die Infrastruktur ist nicht nur wegen der schwierigen Geographie miserabel: die wenigen Eisenbahnen wurden privatisiert und dadurch mehr oder weniger stillgelegt oder fahren nur noch einmal in der Woche.
Abb.: "Eisenbahnfriedhof" in Uyuni (Bild: Payer, 2002-01)
Die Straßen sind nur teilweise asphaltiert, d.h. wichtige Überlandstrassen sind in der Regenzeit nicht befahrbar (schon nach einem Tag Regen bleiben die Fahrzeuge im Matsch stecken oder werden durch Bergrutsch an der Weiterfahrt gehindert). Dazu kommen die ständigen Blockaden aus politischen Gründen; so wird z.B. die einzige Zufahrt von La Paz zum Flughafen mehr oder weniger regelmäßig durch Steine unbefahrbar gemacht.
Abb.: Panne auf der Überlandstraße nach Trinidad, Provinz Beni (Bild: Payer,
2001-12)
Die Flüsse im Amazonasbecken sind teilweise schiffbar und oft die einzige Chance einen Ort zu erreichen. Auch der Titicaca-See ist schiffbar.
Bolivien ist reich an Bodenschätzen: Zinn, Gold, Silber, Erdöl und Gas. Es gibt wertvolle Hölzer. Im Tiefland kann man von Agrobusiness sprechen (Anbau von Soja, Zuckerrohr usw.)
Bolivien mit etwas über 8 Millionen Einwohnern ist das Land mit dem größten indianischen Anteil in Südamerika; bis zu 60 % der Bevölkerung erklären sich als Indigene (die Eigenangaben muss man etwas vorsichtig betrachten, denn seit der neuen Regierung kann es vorteilhaft sein, sich als indigen oder originär zu bezeichnen). Teilweise benennt man nur die Völker des Tieflands Indigene und die Völker des Hochlands als Originäre. Insgesamt geht man von 35 indianischstämmigen Völkern mit je eigener Sprache aus, wobei die größten Ethnien die der Quetschua (mindestens 2 Millionen Mitglieder) und der Aymara (etwa 1,5 Millionen) sind. Beide Völker leben im Hochland, dem Altiplano. Im Amazonasgebiet gilt als größte Ethnie die Guaraní, daneben gibt es dort aber auch Völker mit sehr wenigen Mitgliedern. Das kleinste Volk Guarasugwe hat 9 Mitglieder. [Draeger, Hartmut: Völker und Sprachen in Bolivien. - In: Bolivia. - 150(2007). - S. 30f.]
Daneben gibt es Mestizen (Mischlinge), die z.B. in La Paz durchaus zur Mittelschicht zu rechnen sind und sehr bewusst ihre Eigenheit pflegen, und die europastämmige Bevölkerung (das sind Nachfahren der spanischen Eroberer und spätere Einwanderer aus Europa, die großteils zur Oberschicht zählen).
Insgesamt herrscht eine große soziale Ungleichheit: die reichsten 10% der Bevölkerung haben ein Einkommen von 32 % des Gesamteinkommens, während die ärmsten 10 % der Bevölkerung nur auf einen Anteil von 1,3 % kommen. Die indigene Bevölkerung gehört überwiegend zu dem ärmsten Teil.
Leider kann man in Bolivien hautnah einen starken Rassismus auf beiden Seiten miterleben. Zitat eines Europastämmigen: "Wir als Weiße sind tüchtig, aber diese Indios sind faul und tanzen nur" (die Bezeichnung "Indio" gilt als Schimpfwort und wird deshalb im offiziellen Sprachgebrauch gemieden). Auf der anderen Seite hat sich bei den Indigenen nach 500 Jahren Unterdrückung und Ausbeutung eine Wut aufgestaut, die Schlimmes befürchten lässt. Zitat einer Tochter eines aus Deutschland emigrierten Juden im Februar 2002: "Wir Weißen sitzen auf gepackten Koffern".
Vor allem die Gewaltbereitschaft der Bevölkerung macht das Land schwer regierbar: bei jedem Anlass kommt es von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu großen Demonstrationen, die normalerweise mit Dynamit unterstützt werden (2002 kostete eine Stange Dynamit 10 Bolis (das ist etwa ein Euro) und war in fast jedem Markt zu kaufen) und oft zu Plünderungen führen. So marschierten z.B. 10 000 Rentner zwischen 70 und 80 Jahren im Januar 2003 auf La Paz zu, um die Stadt abzuriegeln. Die Rentner marschierten 100 km im rauen Klima des Altiplano. [Draeger, Helmut: Die Februar-Revolte. - In: Bolivia. - 133(2003). - S. 20]
Bolivien erreichte seine Unabhängigkeit von Spanien 1825. Seit dieser Zeit gab es etwa 200 verschiedene Regierungen großteils Diktaturen, die oft durch blutige Aufstände endeten.
Seit der Unabhängigkeit gab es zwei verlorene Kriege mit den Nachbarn: der Salpeterkrieg und der Chaco-Krieg gegen Paraguay, der so genannte dumme Krieg von 1932, wobei vor allem der Salpeterkrieg (1879 - 1883) noch heute ein Trauma für Bolivien ist, denn man verlor den Meereszugang an Chile. Im schwarzen September 2003, dem Aufstand wegen des Erdgases, spielte es eine Rolle, dass an das feindliche Chile Gas geliefert werden sollte.
Mit der Revolution 1952 wurde u.a. das allgemeine Wahlrecht eingeführt, was aber für die indigene Bevölkerung keinen Fortschritt brachte. Auch die Landreform 1953, in der Großgrundbesitz im Hochland an landlose Indigene verteilt wurde, hatte kein positives Ergebnis, denn durch Erbteilung gehört heute die jeweilige damals von einer Familie übernommene Fläche etwa 60 Familienmitgliedern. D.h. eine Abwanderung der wieder landlosen Bevölkerung in die Städte oder in die Koka anbauende Gegend war zu erwarten. Spätestens seit 1985 mit dem Zinnkrach und dem Niedergang der staatlichen Bergbaugesellschaft COMIBOL verstärkte sich der Zuzug in die Städte und in das Koka-Gebiet durch 23 000 arbeitslose Bergleute.
Seit dem Chaco-Krieg 1932 kann man davon sprechen, dass die wirtschaftliche Lage immer schlechter wurde, z.B. durch die Hyperinflation von 1984 als Folge der Aufnahme zu großer Kredite und entsprechender Verschuldung, durch die Forderungen des Internationalen Währungsfonds nach umfassender Privatisierung, obwohl kein nationales Unternehmertum vorhanden war und diese Privatisierungen ein Eldorado für korrupte Politiker war. Durch diese Privatisierungen haben sich z.B. 10 ausländische Unternehmen 40% des nationalen Mehrwerts, der ursprünglich von den staatlichen Betrieben erwirtschaftet wurde, angeeignet [vgl. Jaldin, Jaime: Einige Gründe für den Sturz Gonis. - In: Bolivia. - 137 (2004). - S. 25] Nur die Einnahmen aus dem Drogenhandel haben den Staat handlungsfähig gemacht. [Klein, Naomi: Die Schockstrategie. - Frankfurt am Main : Fischer, 2007. - S. 211f.]
Im Land gab es in den letzten Jahren u.a. den Wasserkrieg von Cochabamba 2002, den Krieg gegen die Cocaleros im Januar 2002, die Februarunruhen 2003, die Unruhen im September und Oktober 2003 mit dem Sturz und der Vertreibung des demokratisch gewählten Präsidenten "Goni" Sanchez de Lozada. Im "schwarzen Januar" 2007 gab es Straßenschlachten zwischen Cocaleros und Bürgern von Cochabamba.
Seit Januar 2006 hat Bolivien in Evo Morales den ersten indigenen Präsidenten. Im Sommer 2006 wurde die verfassungsgebende Versammlung eingesetzt, in der es aber so viel Streit gab, dass man den Entwurf für die neue Verfassung erst im Dezember 2007 vorlegen konnte. Wie viele Präsidenten vor ihm hat Evo Morales der Korruption den Kampf angesagt, indem er eine Kampagne gestartet hat und tatsächlich korrupte Beamte entlassen wurden. Allerdings scheint das Argument Korruption auch gegen für die Regierung unbequeme Verfassungs-Richter benutzt worden zu sein. [Gandarillas de Sommer, Sonia: Vier neue Richter des Obersten Gerichtshofs ernannt : ein Verfassungskonflikt konnte nur mit Mühe vermieden werden. - In: Bolivia. - 150(2007). - S. 12f.]
Evo Morales, der nicht verheiratet ist, hat nach Amtsantritt sein eigenes Gehalt auf die Hälfte (1800 Euro) gekürzt, was sicher ehrenwert ist. Er hat aber auch die Gehälter aller oberen Regierungsbeamten, Richter usw. ebenfalls auf die Hälfte gekürzt, so dass man einerseits davon ausgehen kann, dass diese Leute sich durch Korruption schadlos halten werden und andrerseits hat sich schon gezeigt, dass gute Leute abwandern.
Im Parteiengerangel wird mit Bestechung gehandelt: Hat z.B. eine politische Partei nicht genügend Senatoren aber genügend Geld, kauft sie sich Senatoren aus anderen Parteien. [Draeger, Hartmut: Boliviens "Zweite Agrarrevolution". - In: Bolivia. - 148 (2007). - S. 22] Die Parteien finanzieren sich teilweise durch Verkauf von Posten und Nominierungen für Senatoren und Abgeordnete. Kandidaturen werden zum Kauf angeboten. Ist ein solcher Kandidat gewählt, bemüht er sich sein eingebrachtes Geld zurückzubekommen. [Wahlen 2002 - Armes Bolivien! - In: Bolivia. - 130 (2002). - S. 12] Es scheint auch üblich zu sein, dass einflussreiche Politiker sich durch die Verteilung von Pfründen eine Menge loyaler Politiker um sich sammeln, um für bestimmte Ämter gewählt zu werden z.B. der MIR-Funktionär Hormando Vaca Díez, der lange Zeit große Macht im Parlament hatte [Schorr, Bettina: Divide et Impera : die Rolle der Autonomiebewegung in den jüngsten Konflikten. - In: Bolivia. - 142 (2005). - S. 18f.]
Bisher war es üblich, dass alle Regierungsämter im weitesten Sinn von der gerade regierenden Partei vergeben wurden und zwar ohne Prüfung der Kompetenzen. Bis vor etwa 2 Jahren war es üblich, dass z.B. im Parlament bei einem Regierungswechsel alle Stellen vom Laufburschen bis zu anspruchsvollen Stellen neu vergeben wurden. Mitarbeiter der GTZ, die um einen brauchbaren Geschäftsgang im Parlament bemüht waren, klagten 2002, dass sie bei jedem der häufigen Regierungswechsel neu anfangen mussten. Inzwischen wird nach deutschem Vorbild zwischen politischen Beamten und anderen unterschieden, letztere sollen nicht mehr automatisch gekündigt werden, wodurch zumindest die Korruption der Ämtervergabe etwas eingeschränkt werden kann. [Draeger, Hartmut: Mutiger Neuanfang mit Präsident Carlos Mesa. - In: Bolivia. - 136 (2004). - S. 28; Schorr, Bettina: Frischer Wind oder Sturmgefahr? : Bolivien am Vorabend der Verfassungsgebenden Versammlung. - In: Bolivia. - 146(2006). - S. 16]]Eine besondere Rolle spielen die Angehörigen von Politikern, z.B. wurden unter der Präsidentschaft von Hugo Bánzer (1997 - 2001) etwa $4 Millionen für Familienmitglieder abgezweigt und mindestens 26 Familienmitglieder bekamen Topstellen im Zoll, im diplomatischen Dienst oder sonstigen hochrangigen Regierungsstellen. [Aruquipa Z., José Antonio: The difficult fight on corruption. - In: Bolivian Times. -- 2001-12-20. -- S. 14]
Die Folgen: es ist kein langfristig planendes politisches Handeln möglich und es setzen sich eher die korruptesten Politiker durch.
Entscheidend ist, dass das Volk resigniert hat und keinerlei Vertrauen in demokratische Regierungsstrukturen mehr hat. Man vertraut dagegen auf die eigene Gewalt, die in Demonstrationen manifestiert wird. Die Erfahrung lehrt, dass die Regierung dann Forderungen nachgibt. Diese Resignation ist wohl eine der Gründe, dass man sich von einer vorkolonialen Regierungsform, wofür Evo Morales steht, eine durchgreifende Verbesserung verspricht.
Laut dem Red Anticorrupción Bolivia ist die Polizei am stärksten korrupt, es folgt der Zoll und das Justizwesen. Im nationalen Korruptionsindex wird für die Polizei 34,9 angegeben, für die Justiz 26,5, für Gesundheit 6,8 und Erziehung 5,1 [zitiert nach Horstmann, Britta s. o.] Einen Polizisten meidet man möglichst, denn sicher hat schon jeder Bürger schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht.
Dass man Übertretungen im Verkehr mit Bestechung lösen kann, erwartet man. Dass Polizisten an einem Auto sicher immer etwas finden, was sie als strafbar ansehen, erwartet man ebenfalls. Dass aber Polizisten Autofahrer bewusst hereinlegen, um Gelder zu kassieren, hatte ich nicht erwartet (Die Ampel für den Linksabbieger stand auf Rot, der Polizist in der Kreuzung winkte, dass trotzdem gefahren werden sollte. An der Ecke stand dann der nächste Polizist, der Geld kassierte). Nach meiner Beobachtung war man in den letzten Tagen des Monats jeweils am meisten gefährdet, solchen Polizisten in die Hände zu fallen. Entweder musste das private Haushaltsgeld des Polizisten aufgebessert werden, oder er hatte seinen Vorgesetzten noch nicht genügend Geld abgeliefert. Das Gehalt auf der untersten Stufe bei der Polizei reicht gerade zum Überleben, zumindest wenn das monatliche Gehalt ausgezahlt wurde. Es gibt eine große Kluft zwischen Polizei-Offizieren und einfachen Polizisten, wobei letztere im allgemeinen indigenas sind, und damit kaum Aufstiegschancen erhalten. Laut einer vergleichenden Untersuchung von Carola Schmid ist die Korruptionsneigung von Polizisten aber nicht direkt von der schlechten Bezahlung abhängig sondern wesentlich von der Zufriedenheit im Beruf. Chilenische Polizisten z.B., die genauso schlecht bezahlt werden und darüber auch unzufrieden sind, sind wesentlich weniger korrupt, da sie im Beruf zufriedener sind. [Schmid, Carola: Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten : Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich. - Frankfurt am Main : Vervuert, 2007. - 424 S. - (Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde ; 64). - Augsburg, Univ., Hab. Schr., 2004] Dass Polizisten unzufrieden sind, wenn sie z.B. einen Kriminellen dingfest gemacht haben, dieser aber durch Bestechung der Justiz oder durch das Wirken einflussreicher Personen aus der Haft entlassen wird, versteht man.
Laut Schmid äußern sich Defizite im Gewalt- und Steuermonopol des Staates in hoher Korruption und anderen Formen illegalen Gelderwerbs. Solche Defizite können entstehen, wenn es in einem Staat mehrere Machtzentren gibt, und Bolivien hatte über lange historische Epochen hinweg meist mehrere Machtzentren. [Schmid, Carola; S. 371]
Besondere Chancen Bestechungsgelder zu erhalten, haben Spezialeinheiten der Polizei, die regulär Geld einnehmen dürfen. So erwirtschaften z. B. die Sicherheitsbataillone, die für private Dienste vor allem bei Firmen zur körperlichen Sicherheit eingesetzt werden, etwa 2,5 Millionen Bolivianos, woran sich die Offiziere bereichern. Im Mai 2003 führte das sogar zur Androhung einer Meuterei der einfachen Dienstleistenden, die sich dann aber mit einer Gehaltserhöhung beruhigt haben. [Bolivia. - 134(2003). - S. 18]
Die Bevölkerung Boliviens kann sich rechtlich kaum gegen Korruption wehren, denn die Justiz ist im allgemeinen selbst höchst korrupt. Die Leute haben kein Vertrauen mehr, denn sie wissen, dass die Justiz nur einigen wenigen Privilegien verschafft, dass sie nicht durchschaubar, langsam und ungerecht ist. [Steinich, Annette: In Bolivien steht die Volksjustiz vor der Tür : die Regierung will Gleichberechtigung der Justicia comunitaria. - In: Neue Zürcher Zeitung. - Internat. Ausg. - 2007-09-11. - S. 6]
Zitat von Casimira Rodríguez Romero, der ersten Justizministerin unter Morales, die schon nach einem Jahr aufgehört hat, weil sie politisch nicht mehr ganz auf der richtigen Linie war: .."der schwierige Zugang zur Justiz. Ein Verfahren, das innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein könnte, dauert mindestens fünf Jahre. Die lange Dauer und die hohen Kosten schrecken ab bzw. verunmöglichen für viele ein Verfahren. Außerdem ist die herkömmliche Justiz viel zu abgeschottet - so bekommt man z.B. so gut wie nie Akteneinsicht. Und die Strafen werden zudem ungleich verhängt. Die Gefängnisse sind überfüllt, da ca. 80 Prozent der Häftlinge wegen dem Gesetz 1008 jahrelang in Haft sind, während ein korrupter Beamter, der sich am Staatshaushalt bereichert, eine lächerliche Strafe bekommt." (Beim Gesetz 1008 geht es um Drogentransport, der mit Gefängnis bestraft wird.) [Weyde, Britt und Laura Held: In Erwartung eines Wunders : Interview mit der bolivianischen Justizministerin Casimira Rodríguez Romero. - In: Ila. - 300(2006). - S. 13]
Jahrelange Haft ohne rechtsgültige Verurteilung hängt damit zusammen, dass sich 70% der Angeklagten keinen Rechtsanwalt leisten können und es nur sehr wenig Pflichtverteidiger gibt (2002 wurden für das ganze Land 167 Pflichtverteidiger gezählt), bei denen man ebenfalls davon ausgehen kann, dass sie korrupt sind.
Die Dauer der Gerichtsverfahren ist ein Problem für Investoren. Da Eigentumsrechte nicht geschützt sind, kann es schnell zu Gerichtsverfahren kommen, wobei man davon ausgehen kann, dass Gerichtsverfahren in Wirtschaftsfragen mehr als 6 Jahre dauern. Bei Zivilprozessen rechnet man mit 12 bis 15 Jahren. [Fabbri, José Miguel: Corruption in Bolivia: reforming the judiciary system. - In: The Independent. - Dhaka, Bangladesh. - 2002-04-26; zitiert in: www.payer.de/bolivien2/bolivien0230.htm ]
Eine Verbesserung der Rechtssprechung verspricht man sich durch eine Gleichberechtigung der traditionellen Justiz mit der formalen Justiz. Diese Justitia comunitaria - Gemeinschaftliche Justiz - wird auf dem Land bei der indigenen Bevölkerung längst angewandt. Es handelt sich um ein eigenes System von Normen und Werten in der dörflichen Gemeinschaft. Man geht davon aus, dass die Dorfbewohner auf Grund besserer Kenntnisse der Bedingungen Konflikte besser lösen können. Als Höchststrafe soll eigentlich nur die Strafe der Vertreibung aus dem eigenen Dorf gelten. In den letzten Jahren wurden aber wiederholt Menschen gelyncht und ermordet, so wurde 2004 der Bürgermeister von Ayo Ayo von Mitgliedern seiner Gemeinde lebendig verbrannt, weil die normale Justiz zahlreiche Klagen wegen der Korruption des Bürgermeisters nicht beachtet hat. 2006 wurde eine indigene Frau, der man Ehebruch vorgeworfen hat, von den Frauen ihres Dorfes zur Strafe lebendig begraben. [Garat, Martin: Diskussion über plurales Justizsystem. - In: Ila. - 306(2007). - S. 52]
Dass es in den letzten Jahren immer wieder Fälle von zu Tode geprügelten Einbrechern, von erschossenen Viehdieben und verbrannten Räubern gibt, zeigt doch, dass die Dorfbewohner keinerlei Vertrauen in die offizielle Rechtsprechung haben und man versucht sich mit der traditionellen Justiz Recht zu verschaffen. Schon in Deutschland kann man bei Gericht das Gefühl des willkürlichen Ausgeliefertseins kennen lernen. Aussage eines deutschen Rechtsanwalts "ein Gericht ist unberechenbar wie ein Schiff: man ist in Gottes Hand". Wie viel mehr gilt das für einen Bürger Boliviens!
Die Bevölkerung geht davon aus, dass alle staatlichen Stellen korrupt sind und dass insbesondere derjenige, der durch Patronage eine Stelle bekommen hat, sich revanchieren muss. Im Prinzip erwartet jeder in der Hierarchie eines Amtes von seinen jeweiligen Untergebenen einen Anteil des eingenommenen Korruptionsgeldes. Auch wenn ein kleiner Angestellter nur eine kleine Summe erhält, summiert sich das. Jemand, der in einer staatlichen Stelle nicht zahlen will, wird der Schikane ausgesetzt, indem er zumindest warten muss (Stunden bis zu Monaten), wobei Einheimische sicher noch schlechter behandelt werden als Ausländer. Ich habe zumindest nach mehrmaligen Besuchen der entsprechenden Stelle, Beibringen notarieller Bestätigungen und jeweils langem Warten einen Visumsstempel ohne Bestechungsgeld erhalten. Dafür durfte ich während des Wartens auf dem Bildschirm des Beamten das Herunterladen von pornografischen Bildern aus dem Internet betrachten.
Abb.: die Akten der Bergwerksgesellschaften in Oruro, die z.B. für die
Rentenberechnung gebraucht werden (Bild: Payer, 2002-01)
Abb.: Kein Altpapier! sondern die Akten im Archiv der Präfektur in Trinidad
(Bild: Payer, 2002-01)
Aus den bekannt gewordenen Korruptionsfällen der letzten Jahre folgen ein paar Beispiele:
Visa- und Passvergabe: Durch Bestechung von Beamten und Parlamentariern konnte eine chinesische Passschmuggelband seit 2000 etwa 4500 Chinesen mit Visen und bolivianischen Pässen versehen, mit denen die Chinesen in die USA weiterreisen konnten. [Draeger, Hartmut: Der lange Marsch hin zu größerer Souveränität : zur Außen- und Sicherheitspolitik Boliviens unter Evo Morales. - In: Bolivia. - 147 (2006). - S. 12]
Drogenhandel: Die Behörde, die Transportlizenzen für legale Kokablätter ausstellt, ist verantwortlich, dass nur ein Bruchteil der Ernte aus Chapare auf dem offiziellen Markt von Cochabamba ankommt. Der Großteil geht an Kokainlabore. Beschlagnahmt die Polizei Kokablätter, kann man ebenfalls davon ausgehen, dass ein Großteil nicht verbrannt wird, sondern an die Kokainmafia weitergeleitet wird [Glüsing, Jens: Revolution in der Schulküche : Präsident Evo Morales hat die Zerstörung der Koka-Plantagen gestoppt - Washington fürchtet eine neue Rauschgiftschwenne. - In: Spiegel. - 13(2006). - S. 128]. Die Folgen sind gravierend, denn die Bekämpfung des Drogenhandels wird unterlaufen. Bolivien kann damit die internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Drogenhandels nicht erfüllen, was vor allem von den USA verlangt wird. Die USA drohen damit die für Bolivien so wichtigen Hilfsgelder zu sperren.
Import von Diesel: da die Nachfrage nach Diesel für den Transportsektor und die Agrarindustrie nur mit Import gedeckt werden konnte, führte dies vor allem in den Jahren 2000 - 2004 zu einer Quelle massiver Korruption auf Seiten der verantwortlichen Behörden. Da Diesel subventioniert war, lohnte es sich den Kraftstoff in andere Länder zu schmuggeln. Durch eine Preiserhöhung im Jahr 2005 um 23% hofft man, das Problem in den Griff zu bekommen. [Draeger, Hartmut: Ringen um die neue Energie-Politik : Schlingerkurs zwischen dem Mandat des Volkes und dem Druck der Transnationalen. - In: Bolivia. - 140 (2005). - 17f.]
Verkauf von Arbeitsplätzen in der Zentrale der Nationalen Zollverwaltung: Gerardo Crespo Salinas, ein Sekretärsassistent im Regierungspalast von La Paz, kam in Zusammenarbeit mit Regierungsmitgliedern von Hugo Banzer durch den Verkauf von Stellen in der Zollverwaltung auf ein Monatsgehalt von 5000 Dollar (der Posten eines Zollfahnders kostete 2000 Dollar). Die Zeitung Presencia konnte das aufdecken, weil einer der Käufer sich beklagte, dass er an der gekauften Stelle zu wenig verdiene. [Aruquipa, José Antonio: Korruption aller Orten. - s. o. ]
Landverteilung durch die INRA: Das Nationale Institut für Agrarreform (Instituto Nacional de la Reforma Agraria), das zuständig ist für Landverteilung eigentlich an landlose Bolivianer, wird beschuldigt, regelmäßig in Korruptionsskandale verwickelt zu sein. Es wird von illegalem Transfer von Land an Großgrundbesitzer und Politiker berichtet. Im Jahr 2006 wurde 90% des produktiven Landes von Großgrundbesitzern kontrolliert, die das Land aber keineswegs immer landwirtschaftlich nutzen sondern zum Teil damit spekulieren. Es gab in den letzten Jahren immer wieder tödliche Auseinandersetzungen zwischen landlosen Indigenen und Milizen der Großgrundbesitzer. Die Regierung Morales hat eine Landreform angekündigt, die im Juni 2006 beginnen sollte. Dabei soll nicht genutztes Land enteignet werden. Es handelt sich vor allem um Land in der Tiefebene in den Regionen Beni, Pando und Tarija. Die Agrarunternehmer dieser Provinzen gehen davon aus, dass INRA bei der neuen Verteilung willkürlich vorgeht und die Günstlinge der neuen Regierung bevorzugen wird. Auch gewaltsamer Widerstand ist schon angekündigt. [Gandarillas de Sommer, Sonia: Die neue Agrarreform in Bolivien. - In: Bolivia. - 146(2006). - S. 31f.]
Superintendanzen: um u.a. die verschiedenen Sektoren des öffentlichen Verwaltung - insbesondere die Übergabe von öffentlichen Dienstleistungen an private Unternehmer - zu kontrollieren , wurden 18 Superintendanzen, deren Posten nach Parteibuch besetzt werden, eingerichtet. Diese haben sich aber inzwischen jeder Kontrolle entzogen und sind zu einem Hort der Korruption geworden, denn sie sitzen ja an der Quelle. Private Unternehmen zahlen. Diese Superintendanzen sind mitverantwortlich für soziale Proteste; z.B. haben sie die Wasserversorgung von Cochabamba an das private Unternehmen Aguas del Tunari (ein Unternehmen der amerikanischen Bechtel-Gruppe) gegeben und erlaubt, dass der Wasserpreis sich für die Bevölkerung bis zu 200% verteuerte. Im so genannten Wasserkrieg musste die Privatisierung zurückgenommen werden. [Schorr, Bettina: Eine [!] historisches Votum: 54% für Evo Morales. - In: Bolivia. - 144(2006). - S. 17][Strack, Peter: Wasseraufstand in Cochabamba : an den Grenzen des Systems. - In: Ila. - 235(2000). - S. 41-43]
Schaden für die Umwelt: mit am schlimmsten wirkt sich das korrupte Tun der Baubehörden von La Paz aus: gegen Bestechungsgelder genehmigen sie Bauten an den Berghängen von La Paz. La Paz ist eine Stadt, die in einem Andental liegt und von drei Flüssen mit zahlreichen Zuflüssen durchzogen wird. La Paz ist gefährdet durch Bergrutsche, Bergstürze, Muren und Überschwemmungen. Man hat Bäche unterirdisch verlegt oder zugeschüttet, so dass bei größeren Regenfällen das Wasser nicht geregelt abfließen kann. Nach stärkeren Gewittern kommt es immer wieder zu Todesfällen, weil Häuser abrutschen oder Wassermassen Menschen ergreifen. Die Steilhänge im Stadtgebiet von La Paz wurden erfasst und zum Bauen ungeeignete Stellen sind ausgewiesen. Das hindert die entsprechende Behörde aber nicht daran, auch für besonders gefährdete Steilhänge gegen Bestechungsgelder Genehmigungen auszustellen. [Baptista, Viviana: Umweltschutz wird klein geschrieben. - In: Ila. - 227(1999). - S. 8]
Abb.: Bebauung der rutschgefährdeten Abhänge in La Paz, Miraflores. (Bild:
Payer, 2001-10)
Erpressung im Flughafen Viru Viru: im Flughafen von Santa Cruz Viru Viru haben Angestellte der staatlichen Luftfahrtbehörde von ausländischen Fluglinien zusätzliche Landegebühren erhoben. Zwei ausländische Fluglinien haben wegen dieser Erpressung 2007 ihre Flüge nach Viru Viru eingestellt. Man hofft durch den Einsatz der Armee diese Korruption in den Griff zu bekommen. [Bolivien: Rechte Opposition verschärft Auseinandersetzungen mit der Regierung. - In: Ila. - 310(2007). - S. 43]
Nach der Verstaatlichung der bolivianischen Erdöl- und Erdgasvorkommen durch Evo Morales (abgeschlossen im Oktober 2006) hat die staatliche bolivianische Erdölgesellschaft YPFB (Yacimientos Petroliferos Fiscales Bolivianos) die Aufgabe erhalten, die Bedingungen für die Kommerzialisierung von Gas und Erdöl auszuarbeiten. Es geht um Preise, Produktionsmengen, Kontrolle der beteiligten ausländischen Energiekonzerne, die Abgaben an den Staat usw. Diese Erdölgesellschaft ist allerdings in den vergangenen Jahren von unfähigen und korrupten Politikern geleitet worden und bekannt geworden für mangelnde Aufsicht insbesondere für betrügerische Geschäfte mit ausländischen Energieunternehmen. Die Einnahmen aus Gas und Erdöl ist für den Staatshaushalt die wichtigste Quelle. Man muss beobachten, ob es der Regierung Morales tatsächlich gelingt diese Erdölgesellschaft umzupolen. [Gandarillas de Sommer, Sonia: Die Verstaatlichung der bolivianischen Erdöl- und Erdgasvorkommen ist nach fast einem Jahr abgeschlossen. - In: Bolivia. - 148(2007). - S. 28] Laut neuesten Berichten sollen aber wieder unfähige Leute mit Hilfe von Parteimitgliedern der MAS (Movimiento al Socialismo) - der Partei von Evo Morales - Stellen in der Gesellschaft bekommen haben.
Abb.: Geduldiges Warten (mehrere Tage auch nachts) in Sucre, um die Kinder zur
Schule anzumelden. (Bild: Payer, 2002-02)
Abgesehen von der Ermordung des Bürgermeisters von Ayo Ayo klagt die Bevölkerung über die Korruption, wehrt sich aber nicht. Was könnten die Gründe sein?
Die Straftat Korruption wird selten angezeigt, da beide Teile sich strafbar gemacht haben und normalerweise kein Zeuge dabei ist.
Die Korruption ist so alltäglich, dass keine Anzeige gemacht wird, auch wenn man davon weiß.
In Teilen der Bevölkerung herrscht die Meinung, dass Korruption von der (inzwischen alten) Verfassung gestützt wird.
Je mehr bürokratische Vorschriften es gibt, desto mehr Gelegenheit zur Korruption ist gegeben.
Gemeinsame Aktionen gelingen kaum. Es gibt zwar sehr viele soziale Bewegungen, aber die Zusammenarbeit ist schwierig, denn sie wird bestimmt von Gruppeninteressen, Neid und Misstrauen. Der Präsident der Landlosenbewegung Moises Torres weist auf den in den Bewegungen vorhandenen internen Neid hin. [Eisenbürger, Gert: Nur als Rind hat man Anspruch auf fünf Hektar : Interview mit Moises Torres und Asunta Salvatierra von MST Bolivien. - In: Ila. - 289(2005). - S. 13]
Der bolivianische Philosoph und Politikwissenschaftler H. C. F. Mansilla erklärt die mangelnde Zusammenarbeit aus der bolivianischen Mentalität heraus: man stelle die eigenen Rechte und auch die Rechte einer bestimmten Gruppe über jegliche Pflichten, auch wenn damit Dritte geschädigt werden; man neige beim Durchsetzen dieser Rechte eher zu Krawall und Chaos, weil einem der Rechtsstaat fremd ist. Mansilla nennt als Beispiel die nun wirklich jeweils das Land lahm legenden Straßenblockaden: "Ich blockiere die Straßen, weil es die öffentlichkeitswirksamste Variante ist, Aufmerksamkeit für meine Leiden und Entbehrungen zu erlangen und dem Staat endlich die Augen zu öffnen, damit er meine Situation wahrnimmt. Ob ich dabei den Alltag, die Arbeit oder die Geschäfte von Dritten erschwere, ist mir egal, mir geht es darum, dass man meine Rechte zur Kenntnis nimmt." [Mansilla, H.C.F.: El carácter conservador de la nación boliviana. - Santa Cruz de la Sierra : Ed. el Pais, 2003. - Zitiert nach der dt. Übers. von Ania Müller. In: Bolivia. - 143(2005). - S. 35]. Mit Gewalt aus Dynamitstangen lässt sich Korruption nicht bekämpfen.
Abb.: Demonstration einer Landlosenbewegung in Santa Cruz. (Bild: Payer,
2002-02)