Einführung in

Entwicklungsländerstudien

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24. Kernprobleme: Arbeit und Beschäftigung 


verfasst von Yvonne Hermann

herausgegeben von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Entwicklungsländerstudien / hrsg. von Margarete Payer. -- Teil II: Kernprobleme. -- Kapitel 24: Arbeit und Beschäftigung  / verfasst von Yvonne Hermann. -- Fassung vom 2001-02-22. -- URL: http://www.payer.de/entwicklung/entw24.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert:  1999-10-18

Überarbeitungen:  2018-10-05 [grundlegend überarbeitet von Alois Payer] ; 2001-02-22 [Update]

Anlass: Lehrveranstaltung "Einführung in Entwicklungsländerstudien", HBI Stuttgart, 1998/99

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Herausgeberin.

Dieser Text ist Bestandteil der Abteilung Entwicklungsländer von Tüpfli's Global Village Library.


Skript, das von den Teilnehmern am Wahlpflichtfach "Entwicklungsländerstudien" an der HBI Stuttgart erarbeitet wird.


0. Übersicht



1. Arbeit und Menschenrechte


Abb.: ILO-Poster "Human rights standards" [Quelle: ILO]

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UNO)

Genehmigt und verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) am 10. Dezember 1948:

Artikel 23 (Recht auf Arbeit)

"(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.

(2) Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

(3) Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.

(4) Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten.

Artikel 24 (Recht und Freizeit und Urlaub)

Jeder Mensch hat Anspruch auf Erholung und Freizeit sowie auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf periodischen, bezahlten Urlaub." 

Artikel 2 (Diskriminierungsverbot)

"Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen. Weiter darf keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder irgendeiner anderen Beschränkung seiner Souveränität unterworfen ist."

[Der volle Text der Menschenrechtserklärung ist auf Deutsch im WWW zugänglich z.B. unter: http://www.amnesty.de/rechte/aemr.htm. -- Zugriff am 2001-02-22]


Am 10.Dezember 1948 wurde die Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Sie sollte für alle Bewohner der Welt gültig sein, wird aber leider fast überall verletzt. Vor allem in Ländern der Dritten Welt, in einer Welt der Armut und Entbehrung sind Menschenrechte praktisch bedeutungslos. [Vgl. Kuschnerus, Tim  Wegner, Katharina: Zum Beispiel Menschenrechte. -- 2. Aufl. --  Göttingen : Lamuv, 1998. ISBN 3889775292. -- S. 146.]

Das vorliegende Kapitel setzt sich mit den Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungssituation in den Ländern der dritten Welt auseinander, wobei ein Schwerpunkt auf der Situation der Frauen und Kinder liegt. Verstöße gegen Artikel 23 und 24 der Menschenrechtserklärung von 1948 stehen in den meisten Entwicklungsländern an der Tagesordnung (und nicht nur in Entwicklungsländern!). Nahezu überall ließt und hört man von den schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Ländern von den Menschen, die jeden Tag stundenlang schwere Arbeiten für wenig Lohn verrichten um ihre Familien zu ernähren.

In nahezu allen Ländern der Dritten Welt bekommt ein Großteil der Menschen nur selten eine rechtlich angesehene Arbeitsstelle. Die meisten von ihnen leben am Existenzminimum und müssen Tag für Tag aufs Neue um ihr Überleben kämpfen, oft auf kriminelle Weise. Menschenwürdige Arbeit scheint in der Dritten Welt kein Begriff zu sein, vor allem Frauen und Kinder werden schamlos ausgebeutet.  [Vgl. Kuschnerus, Tim  Wegner, Katharina: Zum Beispiel Menschenrechte. -- 2. Aufl. --  Göttingen : Lamuv, 1998. ISBN 3889775292. -- S. 9ff.]

Den rechtspolitischen Widerspruch im Rahmen der Globalisierung ortet William Greider in seinem äußerst lesenswerten Buch über Globalisierung:

"Die Beispiele China und Indonesien, deren Arbeitsmarkt härter ist als in den meisten anderen Entwicklungsländern, belegen, wie weit die Welt noch von einem Markt entfernt ist, den man zu Recht als frei bezeichnen könnte. Bei den Arbeitnehmerrechten geht es schließlich nicht nur um das Recht auf freie Meinungsäußerung oder um Versammlungsfreiheit. Es geht und ging auch immer um eine rechtlich verankerte Möglichkeit, frei und ohne Zwang einen Geschäftsvertrag abschließen zu können - einen Vertrag, für den gesetzliche Grundlagen gelten, der vor Gericht durchgesetzt werden kann wie jede andere geschäftliche Vereinbarung, bei der ein Eigeninteresse besteht. Obwohl die Einzelheiten höchst unterschiedlich sind, erkennt jede fortgeschrittene Volkswirtschaft das Recht der Arbeitnehmer zu kollektiven Verhandlungen über ihre Arbeitsbedingungen an. Trotzdem toleriert - und begrüßt - das globale System Arbeitsmärkte, auf denen die Staatsmacht den Arbeitern dieses Grundrecht systematisch verweigert.

Der juristische Widerspruch ist eklatant: Der globale Handel besteht auf einem Rechtssystem, das vertraglich vereinbarte Rechte des Kapitals schützt, aber gleichzeitig sieht es die gleichen Rechte für einzelne Arbeitnehmer als Hindernis für den wirtschaftlichen Fortschritt oder als Luxus an, der den reichen Ländern vorbehalten ist. Die Meinungsführer, die die Vorzüge des freien Wettbewerbs unter den Unternehmen feiern, sagen plötzlich kein Wort mehr, wenn die Sprache auf freie Gewerkschaften kommt. Die Juristen, die sich für eine Liberalisierung der Handelsbedingungen stark machen, ignorieren die repressiven, manipulierenden Bedingungen, unter denen die Menschen auf vielen Märkten arbeiten müssen. Sie argumentieren vielleicht, dass hier kein Widerspruch vorliege, da sie die Interessen ihrer Klienten verträten, der multinationalen Unternehmen. Egal, wie die Begründung aussieht, ein barbarisches Verhalten ist nun einmal barbarisch, ungeachtet der jeweiligen Kultur und der politischen Realität."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 736.]


2. Definition von Erwerbsquote, Arbeitslosigkeit und Armut 


2.1. "Erwerbsquote"


Für das Verständnis von Statistiken ist der Begriff "Erwerbsquote" wichtig: Erwerbsquote ist die Prozentziffer, welche angibt, wieviel Personen im erwerbsfähigen Alter wirklich erwerbstätig sind. Die Erwerbsquote der Frauen ist meist wesentlich niedriger als die für Männer, da die von Frauen verrichtete Arbeit oft nicht in den mit "Erwerb" definierten Bereich fällt.


2.2. "Arbeitslosigkeit" und "Unterbeschäftigung"


Es soll nun eine Definition der Begriffe Arbeitslosigkeit und Armut, die in Entwicklungsländern eng miteinander verbunden sind folgen, da sie zu den drängendsten Entwicklungsländerproblemen gehören und charakteristisch für die Beschäftigungslage in den Ländern der Dritten Welt sind.

Arbeitslosigkeit kann in zwei Kategorien aufgeteilt werden: 

  1. Die offene, bzw. stationäre Arbeitslosigkeit, welche von den nationalen Statistiken erfasst wird; 
  2. Unterbeschäftigung: versteckte (auch verdeckte) Arbeitslosigkeit: diese bedeutet, dass die Leute zwar (zumindest temporär)  einen Arbeitsplatz haben, aber weniger arbeiten als sie eigentlich möchten oder für den Lebensunterhalt bräuchten.

Die versteckte Arbeitslosigkeit übersteigt zahlenmäßig bei weitem die offene Arbeitslosigkeit, welche die Entwicklungsländer als offizielle Arbeitslosigkeit führen.

Die versteckte Arbeitslosigkeit lässt sich untergliedern in 

[Vgl. Lexikon Dritte Welt / hrsg. Dieter Nohlen. -- Vollständig überarbeitete Neuausgabe. -- Reinbeck : Rowohlt, ©2000. -- (rororo ; 16527). -- ISBN 3499606844. -- S. 54f. --  ]

Nach Schätzungen ist etwa ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung in Entwicklungsländern (Stand 1995) von einer der beiden genannten Formen von Arbeitslosigkeit betroffen (Stand 1995). [Vgl. Entwicklungsländer. -- 1996. -- (Informationen zur politischen Bildung ; 252). -- URL: http://www.bpb.de/info-franzis/html/body_i_252_2.html. -- Zugriff am 2001-02-22]

Eine andere Unterscheidung stammt von E. O. Edwards (1974):

  1. "Die offene Arbeitslosigkeit: Leute, die keine Anstellung bekommen oder wollen, obwohl sie dazu physisch wie ausbildungsmäßig in der Lage wären.
  2. Die offensichtlich Unterbeschäftigten: Menschen, die weniger arbeiten als sie eigentlich möchten resp. für ihren Lebensunterhalt bräuchten.
  3. Die zwar sichtbar aktiven, aber ökonomisch nicht voll ausgelasteten Arbeitskräfte -- sie können weder Kategorie 1 noch 2 zugeordnet werden, sondern bilden eine der folgenden 3 Untergruppen:
    • verdeckte Unterbeschäftigung: Die Leute sind zwar voll angestellt, ihre Arbeit könnte jedoch in wesentlich kürzerer Zeit verrichtet werden -- fehlende Beschäftigung und/oder äußerer sozialer Druck (Staatsstellen) sind dabei die hauptsächlichsten Gründe; oft fehlt auch einfach die Arbeitsmotivation;
    • versteckte Arbeitslosigkeit: Personen mit einer Beschäftigung, die wesentlich unter ihrer Befähigung liegt, weil entweder keine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle erhältlich war oder sie zu einer diskriminierten Gruppe (Ausländer, oft auch Frauen) gehören. Ein Auffangbecken für versteckte Arbeitslosigkeit bilden vorwiegend der Dienstleistungs- und der Haushaltungssektor;
    • vorzeitige Pensionierung ...
  4. Die physisch oder geistig Behinderten: Zusätzlich zu den ungefähr 500 Mio. Behinderten [Stand: Anfang der 80er Jahre], die ihr Leben meist ohne große soziale Auffangnetze irgendwie fristen müssen, kommen diejenigen Bevölkerungsteile, die aufgrund von Unterernährung und/oder fehlenden präventivmedizinischen Maßnahmen von einer vollen Teilnahme am Erwerbsleben ausgeschlossen sind.
  5. Die Unproduktiven: Menschen, die zwar voll arbeiten, deren lange Arbeitsstunden aber kaum ihre Grundbedürfnisse zu decken vermögen, weil die komplementären Produktionsfaktoren fehlen oder von ungenügender Qualität und/oder Quantität sind."

[Hauser, Jürg A. <1942 - >: Bevölkerungs- und Umweltprobleme der Dritten Welt. -- Bern [u.a.] : Haupt. -- Bd. 2. -- 1991. -- (UTB ; 1569). -- ISBN 3258041725. -- S. 449f.]


2.3. "Armut"


Grundsätzlich wird zwischen Relativer und Absoluter Armut unterschieden. 

Unterentwicklung = Hunger + Krankheit + Unwissen (Analphabetismus) 

[Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 31f. -- ]

Es gibt viele Ansätze von verschiedenen Organisationen, um Armut weiter zu differenzieren und um Armutsgrenzen zu bestimmen. Einer dieser Ansätze ist zum Beispiel der Physical Quality of Life Index, der die Indikatoren Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit und Analphabetisierungsrate aufweißt. Die Internationale Entwicklungsorganisation (International Development Association = IDA. -- URL: http://www.worldbank.org/ida/. -- Zugriff am 2001-02-22) bestimmt die Armutsgrenze quantitativ anhand von fünf Kern-Indikatoren folgendermaßen: 

[Vgl. Lexikon Dritte Welt / hrsg. Dieter Nohlen. -- Vollständig überarbeitete Neuausgabe. -- Reinbeck : Rowohlt, ©2000. -- (rororo ; 16527). -- ISBN 3499606844. -- S. 62ff. --  ]


3. Beschäftigungsformen


Arbeitsplätze

PPP = purchasing power parity = Kaufkraftparität pro Person


Kolkata, Indien, Monatseinkommen $48 PPP
Photo: Zoriah Miller for Dollar Street (CC BY 4.0)


Haiti, Karibik, Monatseinkommen $51 PPP
Photo: Zoriah Miller for Dollar Street (CC BY 4.0)


Haiti, Karibik, Monatseinkommen $106 PPP
Photo: Zoriah Miller for Dollar Street (CC BY 4.0)


Nigeria, Westafrika, Monatseinkommen $124 PPP
Photo: Johan Eriksson for Dollar Street (CC BY 4.0)


Kamerun, Westafrika, Monatseinkommen $137 PPP
Photo: Rosine Fidele for Dollar Street (CC BY 4.0)
 


Kambodscha, Südostasien, Monatseinkommen $306 PPP
Photo: Luc Forsyth for Dollar Street (CC BY 4.0)

Weitere Bilder zu Arbeitsplätze: https://www.gapminder.org/dollar-street/matrix?thing=Work%20areas&row=3. -- Zugriff am 2018-10-05


3.1. Zum Beispiel der informelle Sektor in Nairobi, Kenya


Zur Einleitung in die Beschäftigungsformen der Dritten Welt eine anschauliche Beschreibung des informellen Sektors in Nairobi, Kenya von Peter Winkler, dem herausragenden Afrika-Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung:

"Der Lärm ist ohrenbetäubend, Dutzende von Männern, die schwitzenden Oberkörper oft entblößt, schlagen mit verschiedenartigen Gegenständen aus gehärtetem Stahl auf alle möglichen Metallteile ein. Hin und wieder lässt sich ein Rhythmusmuster erkennen, das aber bald wieder in einer unstrukturierten Kakophonie versinkt. Was sich hier abspielt, ist nicht eine Aufführung experimenteller Musik, und der Tatort ist auch keine ausgediente, zum Konzertsaal umgewandelte Fabrikhalle. Es handelt sich vielmehr um den informellen Arbeitsplatz von mehreren hundert Kleinunternehmern hinter dem Bahnhofsgelände der kenyanischen Hauptstadt Nairobi.

Abb.: Lage von Nairobi, Kenya (©Mindscape)

Ein großes zusammengeflicktes Dach schützt einen Teil der Männer vor Sonne und Regen, doch die meisten arbeiten im Freien. Von daher leitet sich auch ihr Name in Kiswahili ab: Jua Kali, frei übersetzt «stechende Sonne». Das Quartier Shauri Moyo ist bekannt als Handwerkerzentrum. Da werden Metallplatten und Blech, die aus alten Ölfässern gewonnen sind, in aufwendiger, aber oft erstaunlich flinker Handarbeit zum Beispiel zu Kisten, Pfannen, Öfen oder Schubkarren weiterverarbeitet. Am Schluss der Produktionskette, die sich über mehrere Stationen gegen das Flussufer hinunter entlangzieht, landen die Gegenstände frisch bemalt im Verkaufslokal, wieder an der gleichen Straße, wo zuvor die Ölfässer angeliefert wurden.


Abb.: Recycling von Ölfässern zu Haushaltsgegenständen, Senegal [Quelle: ILO]

Shauri Moyo ist die totale Privatinitiative, ohne jegliche staatlichen Regeln oder Aufsicht. Der einzige Kontakt mit dem Staat findet dann statt, wenn eine Polizeistreife durch die lärmigen Gässchen zieht und «entlöhnt» werden will, weil niemand Papiere irgendeiner Art auf sich hat.

Das Bild der völlig ungeregelten Produktionsstätte in einem Hinterhof ist zum Klischee geworden für vieles, was in Afrika mit Arbeit zu tun hat. Es trifft jedoch nur auf die städtischen Gebiete zu. Laut einer Schätzung der Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) arbeiteten in Kenya Mitte 1996 von insgesamt 13,4 Mio. regelmäßig Beschäftigten über 10 Mio. in der Landwirtschaft. Der vom kenyanischen Planungsministerium herausgegebene «Economic Survey 1999» bezifferte die Zahl jener regelmäßig Beschäftigten, welche außerhalb der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe ein Auskommen finden, mit 5,1 Mio. Personen. Die Kleinbauern produzieren zum größten Teil für den eigenen Konsum, während ein kleiner Anteil der gebräuchlichsten Ernten -- Mais, Bohnen und Gemüse -- von Familienangehörigen auf lokalen Märkten oder durch Hausieren verkauft wird, um Bargeld für die wichtigsten Artikel des täglichen Bedarfs zu erhalten. Diese Familienangehörigen treten damit in jene Kategorie von Beschäftigten über, welche nach den Kleinbauern doch immerhin die zweitgrößte Gruppe stellen, die mehr oder weniger regelmäßig Beschäftigten in der Schattenwirtschaft.

Laut dem kenyanischen «Economic Survey» waren 1989 von den 5,1 Mio. außerhalb der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe Beschäftigten knapp 1,7 Mio. Lohnarbeiter im formellen Sektor, das heißt offiziell angestellt und fiskalisch erfasst. In dieser Kategorie werden zudem weitere 65000 Personen als selbständig Erwerbende ausgewiesen, während in der Schattenwirtschaft -- oder im informellen Sektor -- laut der offiziellen Schätzung fast 3,4 Mio. Kenyanerinnen und Kenyaner ein Auskommen finden; genau doppelt so viele wie im formellen Sektor also. Allerdings haben die Statistiken einen größeren Haken: Die Kategorien können oft nicht wirklich getrennt werden. Die «Karriere» der meisten Afrikaner verläuft weit weniger zielgerichtet oder «gerade» als in den nördlichen, industrialisierten Gesellschaften. ...

Der 27jährige Collins Obudo arbeitet als Buchhalter in einem größeren Unternehmen in der Hauptstadt Nairobi. Nach zehn Schuljahren absolvierte Obudo, der Erstgeborene seiner Familie, mehrere Kurse in Buchhaltung, größtenteils im Privatunterricht, da die Institute, welche Vergleichbares anbieten, in der Regel für Kinder einfacher Bauernfamilien zu teuer sind. Zugleich arbeitete er im landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Westen Kenyas. Nach vier Jahren gelang es ihm 1993, in Nairobi eine Anstellung als Buchhaltungsassistent zu finden. Am Anfang verdiente er knapp 2900 Kenya-Shilling (KSh.) pro Monat, was heute umgerechnet knapp 60 Fr. ergäbe. Heute verdient Obudo, der inzwischen verheiratet und Vater eines 4jährigen Kindes ist, 7800 KSh . (160 Fr.) brutto, von dem ihm rund 600 KSh. Steuern und Sozialabgaben vom Arbeitgeber direkt abgezogen werden. Für seine kleine 2-Zimmer-Wohnung am Stadtrand zahlt Obudo 2000 KSh.; als weitere Ausgaben in seinem Budget nennt er 1500 KSh. für Essen und Kleidung, 800 KSh. für die Busfahrt an den Arbeitsplatz, 1000 KSh. für den Kindergarten und 1200 KSh. für den monatlichen Besuch  bei seiner Familie, auf den zu verzichten er sich keinesfalls leisten kann. Von den 7200 KSh. Nettolohn sind somit bereits 6500 KSh. ausgegeben. Weitere 600 KSh. zahlt Obudo monatlich in eine Spar- und Kreditkooperative (Sacco) seines Unternehmens.

«Um über die Runden zu kommen», sagt Obudo, «bin ich eigentlich auf eine Nebenbeschäftigung angewiesen». Biss vor kurzem besaß der Buchhalter deshalb noch einen kleinen Kiosk in Westlands, einem Neben-Geschäftszentrum Nairobis. «Doch die schlechte Wirtschaftslage zwang mich dazu, den Laden zu schließen», erklärt Obudo. «Die Leute haben immer weniger Geld und in der Nähe ging ein Supermarkt auf.» Doch wie seine gegenwärtige Anstellung, die er als vergleichsweise schlecht bezahlt bezeichnet, hält Obudo seine angespannte Finanzlage nicht für einen Dauerzustand. Er ist nicht nur stets auf der Suche nach einer besser bezahlten Anstellung, sondern auch nach kleinen Nebengeschäften. Als einfachster Nebenerwerb bietet sich das Handeln an. Afrikaner sind, etwas grob gesagt, immer daran, mit einem unsichtbaren Radar mögliche Geschäfte aufzuspüren. Eine Dienstreise aufs Land zum Beispiel findet selten ein Ende, ohne dass Lebensmittel eingekauft werden, die man am städtischen Arbeitsplatz oder Wohnort etwas teurer wiederverkaufen kann, in der Freizeit und oft auch während der Arbeitszeit.

Sollten alle Stricke reißen, bleibt die Familie. Oder wie Obudo meint: «Wenn du die Stelle verlierst, gehst du nach Hause.» Er selber hat unterdessen ein Stück des väterlichen Landes geerbt, gut drei Hektaren. Zurzeit wird das Land von anderen Familienmitgliedern bewirtschaftet, doch wäre Obudo eines Tages ohne Stelle, könnte er sich darauf zurückziehen. Die Familie  und das Land in deren Besitz ersetzen die Arbeitslosenversicherung, die es in Kenya nicht gibt, und die Pensionskassen. Der staatliche National Social Security Fund ist nicht nur ein Auswuchs an Unzuverlässigkeit und Ineffizienz, sondern auch ein dringender finanzieller Sanierungsfall.

Obudos Lage ist keine Ausnahmeerscheinung, im Gegenteil: Unter den Festangestellten im formellen Sektor übertrifft sein Gehalt die staatlich fest gesetzten Mindestlöhne noch deutlich. Ein Kassier oder ausgebildeter Handwerker, beispielsweise, hat laut diesen Vorgaben Anrecht auf gerade 6500 KSh. Die Konkurrenz ist groß: Einerseits drängen Beamte, welche ihre Stellen durch Strukturanpassungen verlieren, auf den an Stellenangeboten mageren Arbeitsmarkt, anderseits aber auch -- bei einer Bevölkerungs-Wachstumsrate von rund 2,7% -- jedes Jahr Zehntausende von Schulabgängern. Um so weniger erstaunt es, dass sich immer mehr Kenyaner und Kenyanerinnen vom informellen Sektor locken lassen. Zwar entfallen hier auch noch die letzten, dürftigen Überreste einer sozialen Absicherung wie die Kranken- oder Unfallversicherung. Dafür entfallen aber auch Steuern und Sozialabgaben. Wer jung ist, macht sich noch kaum Sorgen um die Zukunft. Und es gehört zum afrikanischen Unternehmergeist, der weiter verbreitet ist, als man denkt, dass jedermann an seine Chance glaubt.

Paul Ouma Owino, ebenfalls 27 Jahre alt, hat den Schritt in den informellen Sektor vollzogen, obwohl auch er verheiratet ist und mittlerweile zwei Kinder hat. Nach acht Schuljahren und einer Anlerne als Schreiner probierte Owino einige Anstellungen aus, bevor er in einem der ärmeren Wohnquartiere Nairobis eine eigene Werkstatt eröffnete. Nach wenigen Jahren hatte er davon aber genug. Er meldete sich auf ein Inserat in einer Zeitung und begann, für einen indischen Geschäftsmann mit Gebrauchsartikeln zu hausieren. Sein Einkommen, das mit eigener Werkstatt rund 3000 KSh. pro Monat betragen hatte, stieg auf 2000 bis 3000 KSh. pro Woche oder bis zu 12000 KSh. pro Monat. Doch bald merkte er, dass er den indischen Zwischenhändler gar nicht brauchte. Seit 1996 kauft er selber in En-gros-Läden ein und verkauft vor allem elektrische Apparate und Telefone auf eigene Rechnung.

«Gerade die Telefone laufen sehr gut», sagt Owino, «manchmal kann ich 500% Gewinn einstecken.» Sein Einkommen beträgt heute im Durchschnitt 4000 bis 5000 KSh. pro Woche (80 bis 100 Fr.). An Ausgaben fallen nur die Busfahrt und die Schmiergelder an die Polizei an, denn natürlich hat Owino keine Hausiererlizenz, die mehrere tausend Shilling kostete und trotzdem nicht von den Belästigungen der -- ihrerseits jämmerlich bezahlten -- Polizisten schützte. «Mit etwas Erfahrung lässt man sich nicht mehr so oft erwischen», meint Owino schelmisch. «Sollte es trotzdem vorkommen, muss ich halt 500 KSh. lockermachen. Ich muss nur aufpassen, dass ich für meine Waren immer eine Quittung auf mir trage, denn sonst droht eine Verzeigung wegen Hehlerei. Das käme dann viel teurer.»

Owino ist sich bewusst, dass der Straßenverkauf alleine keine längerfristige Perspektive bietet, denn eine soziale Absicherung existiert nicht. Deshalb zweigt er regelmäßig Geld auf sein Sparkonto ab. «In einigen Jahren will ich einen kleinen Laden mit elektrischen und Elektronik-Geräten aufmachen», erklärt Owino. «Doch selbst dann werde ich zusätzlich weiter hausieren gehen. Es gefällt mir gut, und das Verkaufen ist wie eine Droge». Auch dann wird Owino somit dem informellen Sektor erhalten bleiben. Doch mit dem größeren Profit werde er bald in der Lage sein, Land zu kaufen. Das, meint er, reiche ihm als Sozialversicherung völlig -- und die afrikanische Realität lässt ihm auch keine andere Wahl."

[Winkler, Peter: Die stete Suche der Kenyaner nach Nebenbeschäftigungen. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- Internationale Ausgabe. -- Nr. 220 (©1999-09-22). -- S. 41]


3.2. "Informeller Sektor"


Dieser Artikel zeigt die große Bedeutung des sogenannten informellen Sektors im städtischen Bereich.

Als "informell" bezeichnet man jenen Zweig (Sektor) der Wirtschaft, der sozusagen im Verborgenen blüht und weder von der Steuer (dem Finanzamt) erfasst noch von anderen gesetzlichen Vorschriften oder Auflagen geregelt wird.

Jürg A. Hauser charakterisiert und differenziert den informellen Sektor:

"Dem ruralen, schwergewichtig traditionellen Sektor mit vorwiegend arbeitsintensiver Produktionsweise in Klein- und Familienbetrieben entspricht ein zweigeteilter urbaner Sektor:
  • Auf der einen Seite steht der moderne, kapitalintensive Teil mit seinen transnationalen Gesellschaften, einheimischen Großbetrieben und mittleren Unternehmungen;
  • auf der anderen Seite gibt es einen äußerst aktiven, dynamischen, arbeitsintensiven Subsektor mit relativ niedriger Produktivität, dafür einer enorm hohen Fähigkeit zur Absorbtion von Arbeitswilligen: der informelle Sektor.

    Bildung und Zweck des informellen Sektors sind aus dem «normalen» Ablauf einer Land-Stadt-Wanderung ersichtlich. Der Großteil der neu Zugewanderten wird verständlicherweise nicht vom modernen Sektor aufgenommen. Diese Leute sind betreffend Ressourcenausstattung, Bildung sowie die ganze Lebenshaltung und -art im Durchschnitt denkbar schlecht ausgerüstet und vorbereitet, um eine aktive und positive Rolle im modernen urbanen Sektor spielen zu können. Diese Neu-Zuwanderer bilden nun einen eigenen Subsektor, in dem sich deutlich zwei Beschäftigungsklassen abzeichnen:

    1. eine Klasse, in der, etwas spitz formuliert, jeder seine eigene Beschäftigung produziert, z.B. als Bettler, Straßenverkäufer, Briefeschreiber, Scherenschleifer, Träger, Abfallsammler, Parkwächter, Autowascher, Drugdealer, Schlangenbeschwörer, Prostituierte ... -- die Produktivität ist niedrig, die individuell realisierten Profite jedoch sehr unterschiedlich. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Klasse umfasst ja auch illegale und kriminelle Tätigkeiten.
    2. eine Klasse, die produktiv in Kleinst-, Klein- und Familienbetrieben arbeitet und so auf arbeitsintensive Weise in freier marktwirtschaftlicher Konkurrenz und nach früheuropäischem Muster effizient einen wesentlichen Beitrag zur Bildung des Sozialproduktes leistet. Beispiele dafür sind die vielen kleinen Schreinereien, Kunsthandwerkstätten, Reparaturdienste, sind Velomechaniker, Coiffeure, Dienstboten ... "

[Hauser, Jürg A. <1942 - >: Bevölkerungs- und Umweltprobleme der Dritten Welt. -- Bern [u.a.] : Haupt. -- Bd. 2. -- 1991. -- (UTB ; 1569). -- ISBN 3258041725. -- S. 518f.]

Trenn man geographische und ökonomische Unterscheidungskriterien, dann empfiehlt sich die Unterscheidung von mindesten vier Sektoren:

ökonomisches Produktionskriterium geographische Einteilung
ländlich städtisch
traditionell traditionelle Landwirtschaft
traditionelles Handwerk,
allgemein 'Marginalisierte' auf dem Lande
informeller Sektor,
allgemein 'Marginalisierte' in der Stadt
modern Plantagen,
Bergbau,
spezielle Industriezentren in ländlichen Gegenden
formeller Sektor = moderner Industrie-, Verwaltungs- und Dienstleistungssektor

[Hauser, Jürg A. <1942 - >, a.a.O., S. 519]

Es gibt keine verlässlichen Daten über das wirtschaftliche Ausmaß des informellen Sektors, da seine Leistungen naheliegenderweise statistisch nicht erfasst werden können und das, obwohl der informelle Sektor in den meisten Entwicklungsländern ein beträchtliches Ausmaß und somit eine große wirtschaftliche Bedeutung hat.

Dem ILO World Employment Report 1998-99 zur Folge beschäftigt der informelle Sektor in Entwicklungsländern zur Zeit etwa 500 Millionen Arbeiter und die Mehrheit der neuen Arbeitsplätze entsteht auch in Zukunft ebenfalls in diesem Sektor.

[Grupp, Claus D.: Welt im Wandel : brauchen Entwicklungsländer unsere Hilfe?. -- Köln : Omnia, 1992. -- Informationen zur Meinungsbildung ; Reihe A). -- ISBN 3893440151. -- S. 36]

Dem informellen Sektor können die unterschiedlichsten Dienstleistungen angehören. Erwachsene und auch Kinder bieten alles an, was sich irgendwie verkaufen lässt: einfache Tätigkeiten, wie Schirme reparieren, Schuhe flicken, Getränke und Essen verkaufen usw. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, alles wird auf die eine oder andere Weise wiederverwertet. [Grupp, ebd.]


3.3. Beispiele für Beschäftigungen im informellen Sektor (Fotografien)


Beispiele von Beschäftigungen im informellen Sektor zeigen folgende Fotografien:

 
Abb.: Müllverwertung, Philippinen [Quelle: ILO]


Abb.: Straßenschreiber, Lima, Peru [Quelle: ILO]


Abb.: Straßenhändler, Harare, Zimbabwe [Quelle: ILO]


Abb.: Recycling von Metall zu Küchengeräten, Senegal [Quelle: ILO]


Abb.: Reparatur von Haushaltsgeräten, Elfenbeinküste [Quelle: ILO]


Abb.: Wäscher, Abidjan, Elfenbeinküste [Quelle: ILO]


Abb.: Marktfrau, Abidjan, Elfenbeinküste [Quelle: ILO]


Abb.: Bettlerin, Kalkutta, Indien [Quelle: ILO]


Abb.: Prostituierte, Sao Paolo, Brasilien [Quelle: ILO]


Abb.: Mobile Automechaniker, Lima, Peru [Quelle: ILO]


Abb.: Spielzeug-Stände am Straßenrand, Elfenbeinküste [Quelle: ILO]


Abb.: Gemüsehändlerin, Kalkutta, Indien [Quelle: ILO]


4. Arbeitslosigkeit in der Dritten Welt


Arbeit hat in vielerlei Hinsicht ein große Bedeutung im Zusammenhang mit Entwicklungsländern. Arbeit ist ein Faktor, der in der Dritten Welt reichlich verfügbar ist und eingesetzt werden kann, er ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen aus eigener Kraft ihre Armut überwinden können, oder zumindest ihre Grundbedürfnisse befriedigen können und der Faktor Arbeit liefert zudem die Chance, die Selbstverwirklichung des Menschen zu fördern. [S. Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler. -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 68.]
Arbeit scheint also unverzichtbar zu sein in der Dritten Welt, dennoch zeigen Statistiken hohe Arbeitslosenzahlen in diesen Gebieten. 


4.1. Ursachen von Arbeitslosigkeit auf dem Land und in der Stadt 


Claus D. Grupp äußert zu diesem Thema in seiner Broschüre Welt im Wandel, dass die Gründe für Armut und Arbeitslosigkeit in der Dritten Welt sehr vielfältig und von Land zu Land verschieden sind. Es gibt also keine allgemeingültigen Ursachen für Arbeitslosigkeit. Man kann aber grundsätzlich zwischen Arbeitslosigkeit auf dem Land und in der Stadt unterscheiden und somit auch die spezifischen Ursachen für Arbeitslosigkeit in den jeweiligen Regionen herausarbeiten. Hier sollen nun einige der von Grupp genannten möglichen Gründe für Arbeitslosigkeit aufgeführt werden.

Mögliche Ursachen von Arbeitslosigkeit auf dem Land:

Mögliche Ursachen für Arbeitslosigkeit in der Stadt:

[Vgl. Grupp, Claus D.: Welt im Wandel : brauchen Entwicklungsländer unsere Hilfe?. -- Köln : Omnia, 1992. -- (Informationen zur Meinungsbildung ; Reihe A). -- ISBN 3893440151. -- S. 35]


4.2. Zusammenhänge zwischen Stadt und Land


In der Dritten Welt findet man Armut verstärkt in ländlichen Gebieten. Die Armutsquote liegt auf dem Land im Schnitt doppelt so hoch wie in den Städten, mit nur wenigen Ausnahmen, z.B. Indien. Auch wenn man die niedrigeren Lebenshaltungskosten auf dem Land berücksichtigt und mehr noch, wenn man die schlechtere Versorgung mit Infrastruktur und sozialen Diensten auf dem Land bedenkt, ist dieses Verhältnis charakteristisch für die Dritte Welt. [Jahrbuch Dritte Welt 1999 : Daten, Übersichten, Analysen  / hrsg. von Joachim Betz, Stefan Brüne. -- München : Beck, 1998. -- (Beck´sche Reihe ; 1267). -- ISBN 3406420672. S. 12.]

In den Ländern der Dritten Welt kommt es seit einigen Jahren verstärkt zu einer Verstädterung, die einerseits durch das starke Bevölkerungswachstum verursacht wird und andererseits dadurch, dass Menschen vom Land aus verschiedenen Gründen ihr Land verlassen um in die größeren Städte abzuwandern, in der Hoffnung dort bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu finden. [Vgl. Borsdorf, Axel: Abiturwissen Dritte Welt und Weltwirtschaft. -- 6. Aufl. --  Stuttgart [u.a.] : Klett, 1998. -- ISBN 3129295305. -- S. 38]

Folge der andauernden Land-Stadt-Flucht und der wachsenden Verelendung in den Städten ist eine Zunahme der Verslumung der Städte. Ungefähr 40 % aller Stadtbewohner lebten Anfang der 80er Jahre in Slums und Spontansiedlungen. [S. Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler. -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 159.]

Die Gründe für diese Binnenmigration sind vielfältig. So sind in den meisten Fällen Hunger und Elend, sowie die große Arbeitslosigkeit auf dem Land die Hauptgründe für eine Auswanderung in die Städte, wo man auf mehr Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen hofft. [Vgl. Borsdorf, ebd.]

Die Zusammenhänge zwischen Stadt und Land in der Dritten Welt sollen nun anhand von folgendem Schaubild erklärt werden:

Abb.: Zusammenhänge Stadt und Land in der Dritten Welt [Quelle der Abb.: Borsdorf, Axel: Abiturwissen Dritte Welt und Weltwirtschaft. -- 6. Aufl. --  Stuttgart [u.a.] : Klett, 1998. ISBN 3129295305. -- S. 38]


4.3. Teufelskreis der Armut als allumfassende Erklärung?


Neben der großen Arbeitslosigkeit herrscht in vielen Entwicklungsländern ein großes Ausmaß an Armut. Das bedeutet, dass den Menschen in Entwicklungsländern häufig das Geld fehlt um lebensnotwendige Güter zu erwerben. Aus diesem Kaufmangel heraus ergibt sich logischerweise eine geringe Produktion in diesen Ländern, was wiederum dazu führt, dass nicht genügend Arbeitsplätze geschaffen werden. Armut ergibt sich somit aus einem Mangel an bezahlter Arbeit, der auf eine gering Produktionstätigkeit zurückzuführen ist. Durch diese ständig fortdauernden Abhängigkeiten ergibt sich ein "Teufelskreis der Armut", der für die Menschen in Entwicklungsländern nicht zu durchbrechen ist. [Grupp, Claus D.: Welt im Wandel : brauchen Entwicklungsländer unsere Hilfe?. -- Köln : Omnia, 1992. -- (Informationen zur Meinungsbildung ; Reihe A). -- ISBN 3893440151. -- S. 34]

Den Arbeitsmarktanalysen der ILO zur Folge liegt der Grund für die große Armut in Entwicklungsländern zum Teil bei der ungleichen Verteilung des Zugangs zu Arbeitsplätzen und der Tatsache, das die Arbeitsplätze, die ein gewisses Maß an Sicherheit, ein anständiges Einkommen und akzeptable Arbeitsbedingungen versprechen selten sind und nur einem ausgewählten Kreis von gebildeten und fähigen Arbeitern zustehen. 

Um zu Überleben bleibt den Armen nichts anderes übrig, als jede verfügbare wirtschaftliche Tätigkeit anzunehmen, die sich ihnen bietet. 

Ein weiteres schwerwiegendes Problem für Menschen in der Dritten Welt ist, dass Arbeitslosigkeit für die Meisten von ihnen völlige Armut bedeutet, da in Entwicklungsländern häufig ein soziales Netz fehlt, dass im Falle von Arbeitslosigkeit für staatliche Hilfe sorgt. Diese Menschen sind somit auf sich selber gestellt um ihr Überleben zu sichern und so flüchten sich viele in den informellen Sektor um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viele kämpfen um das nackte Überleben und leben von der Hand in den Mund. [Vgl. Grupp, Claus D.: Welt im Wandel : brauchen Entwicklungsländer unsere Hilfe?. -- Köln : Omnia, 1992. -- (Informationen zur Meinungsbildung ; Reihe A). -- ISBN 3893440151. -- S. 34]



Abb.: Teufelskreis der Armut [Quelle der Abb.: Borsdorf, Axel: Abiturwissen Dritte Welt und Weltwirtschaft. -- 6. Aufl. --  Stuttgart [u.a.] : Klett, 1998. ISBN 3129295305. -- S. 9 (vgl. dazu S. 60)]

Es ist möglich diesen Teufelskreis durch verschiedene Kriterien zu erweitern und abzuwandeln. Es wird aber dennoch immer wieder Kritik an diesem Modell verübt, da letztendlich davon ausgegangen wird, dass die Entwicklungsländer ihre Unterentwicklung selbst immer wieder von neuem produzieren. Die Ursache für Unterentwicklung wird also in den Entwicklungsländern selbst gesucht. Diese Modelle, auch Circulus-vitiosus-Modelle genannt, berücksichtigen nach Meinung vieler Wissenschaftler weder historische und gesellschaftliche Ursachen noch die internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen. Tatsächlich spielen ihrer Meinung nach Ergebnisse aus der kolonialen Zeit dieser Länder, wie zum Beispiel die Übernahme westlicher Werte und Wirtschaftsweisen, der Aufbau von Plantagenbetrieben oder militärische Aktionen und Sklaveneinsatz, was zu einer Unterdrückung der eigenen Kultur und Werte und zu einer sozialen Segregation führt, eine wesentliche Rolle bei der Suche nach den Ursachen für Armut und Unterentwicklung in den Ländern der Dritten Welt.

Die Ursachen für Unterentwicklung sind also, ebenso wie die Ursachen von Arbeitslosigkeit, sehr vielfältig, eng miteinander verbunden und von Land zu Land verschieden. [Vgl.  Borsdorf, Axel: Abiturwissen Dritte Welt und Weltwirtschaft. -- 6. Aufl. --  Stuttgart [u.a.] : Klett, 1998. -- ISBN 3129295305. -- S. 9]

Auch können die Teufelskreis-Theorien keine Erklärung für die Unterentwicklung in der Dritten Welt liefern. Ein Missstand wird durch einen anderen erklärt und das in einem ständigen Kreislauf. Aber eine wahre Suche nach den Ursachen dieser Missstände findet nicht statt. Sicherlich führt ein geringes Einkommen zu Unterernährung und diese wiederum zu einer hohen Krankheitsanfälligkeit, aber welche Faktoren im Einzelnen zum Beispiel für die Unterernährung von Bedeutung sind und welche Auslöser noch eine Rolle spielen, wird aus diesen Zusammenhängen nicht deutlich.

Die Teufelskreise der Armut können somit einen Überblick über die Probleme und ihre Abhängigkeiten in der Dritten Welt liefern, aber eine Erklärung, die zu einer Lösung der Schwierigkeiten führt, können sie nicht erbringen. [S. Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 39f.]

"Es gibt keinen allumfassenden und alles erklärenden Begriff von Unterentwicklung, der die jeweils verschiedenen historischen, natürlichen und ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen, kulturellen und anthropologischen Komponenten in sich vereinen und gleichzeitig in eine kausale Wechselbeziehung unter Berücksichtigung internationaler Rahmenbedingungen bringen könnte." [Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 54.]

5. Frauenarbeit in der Dritten Welt


5.1. Zur gesellschaftlichen Position der Frauen in Entwicklungsländern


"Obwohl die Hälfte der Weltbevölkerung Frauen sind, erbringen sie zwei Drittel aller geleisteten Arbeitsstunden, erwirtschaften damit aber lediglich ein Zehntel des Welteinkommens und verfügen gar nur über 1% des gesamten Besitzes. Ihre Arbeitsbedingungen sind meist wesentlich härter als diejenigen der Männer -- dies vor allem, weil ihr Zugang zu den Produktionsmitteln begrenzt ist."

[Hauser, Jürg A. <1942 - >: Bevölkerungs- und Umweltprobleme der Dritten Welt. -- Bern [u.a.] : Haupt. -- Bd. 2. -- 1991. -- (UTB ; 1569). -- ISBN 3258041725. -- S. 449f.]

Frauen in Entwicklungsländern haben grundsätzlich eine sehr schlechte Position in der Gesellschaft, was vor allem für den Arbeitssektor gilt.

Nach Angaben des Reports der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten Frauen länger und erhalten im Durchschnitt 25 Prozent weniger Lohn als Männer in den gleichen Positionen.

Jürg A. Hauser fasst unter der Überschrift "Die von der offiziellen Statistik nicht erfasste «unsichtbare» Arbeit" den Beitrag der Frauen im Arbeitsleben von Entwicklungsländern zusammen:

"Der «unsichtbare» Beitrag der Frau vor allem in der Landwirtschaft ist unvorstellbar groß; Seine Vernachlässigung in der Statistik bedingt auf alle Fälle eine qualitative Re-Interpretation der Beschäftigungs- und Entwicklungsdaten des ruralen Sektors in Entwicklungsländern.

In Afrika, mit seiner dominierenden Subsistenzwirtschaft und der wichtigen Rolle der Brandrodung wird praktisch sämtliche Arbeit im Zusammenhang mit der Beschaffung von Grundnahrungsmitteln durch die Frau ausgeführt. Während Männer zwar die ursprüngliche Rodung unternehmen, bleibt der Frau die restliche Arbeit: Entfernen und Verbrennen der gefällten Bäume, Säen, Pflanzen, Unkrautkontrolle, Ernten und schließlich Zubereitung der Ernteprodukte für die Lagerung und/oder Konsum. Boserup (1970) zeigt, dass in beinahe allen untersuchten Fällen die Frau die Hauptarbeit leistet; vielfach entspricht dies 70% bis gar 80% des Arbeitsumfanges! Die Männer versuchen unterdessen, Geldeinkommen in den umliegenden urbanen Zonen oder auf den Plantagen zu erwirtschaften.

Zusätzlich zur praktisch vollumfänglich durch die Frau erbrachten Subsistenzproduktion leistet sie oft auch einen erheblichen Beitrag zur vermarktbaren Produktion (cash-crop). Häufig sind Frauen auf den Plantagen eine Art Reservearmee für Saison- und Teilzeitarbeit wie Unkrautkontrolle und Ernten. Aber auch in Gebieten mit reiner Plantagenindustrie liegt der Hauptbeitrag der Frau im Bebauen kleinster, für die Subsistenzproduktion zur Verfügung gestellter Landflächen, was in wesentlichem Umfang die Überlebenssicherheit der Familie und die kleinen Geldeinkommen der Männer erhöht.

Liegt in Afrika der Hauptbeitrag der Frau im Subsistenzbereich, sind die Verhältnisse in Asien umgekehrt; dort produziert sie den größten teil der «cash-crop», dafür ist ihr Beitrag an die tägliche Nahrung meist kleiner. In Sri Lanka besteht die Belegschaft in Plantagen z.B. zu 50% aus Frauen, in Malaysia und Indien zu 40%, in Pakistan und den Philippinen zu 35%. Diese Arbeitsleistung geht zu einem großen Teil in die Statistik ein.

Im asiatischen wie im afrikanischen Agrarsektor liegt eine sehr große Arbeitslast auf der Frau, eine Last, die sich zusätzlich zur normalen allgemeinen Hausarbeit, Nahrungszubereitung, Bereitstellung von Wasser und Brennholz, Kinderbetreuung usw. gesellt. In beiden Gesellschaften ist der Arbeitsalltag der Frau meist wesentlich länger als derjenige der Männer. In Uganda z.B. arbeiten Frauen im Schnitt 50 Stunden in der Woche im Vergleich zu den 23 Stunden ihrer Männer; in den Philippinen sind die Werte 66 versus 41, in Indonesien 78 versus 61."

Den Unterschied zwischen Afrika und Asien erklärt Hauser so:

"Der Grund des Unterschiedes zwischen Afrika und Asien liegt in der gänzlich anders ausgerichteten landwirtschaftlichen Produktionsweise. Die afrikanische «shifting cultivation» verlangt für die Deckung der Subsistenzbedürfnisse nach einem kleineren Arbeitsinput pro Landfläche; diesen können die Frauen allein leisten und damit den Männern ermöglichen, bezahlte Arbeit «außer Haus» zu suchen.

Im viel dichter besiedelten Asien hingegen stehen pro Familie wesentlich kleinere Anbauflächen zur Verfügung, die auch eine beträchtlich höhere Arbeitsintensität pro Flächeneinheit erfordern. Meistens genügt die zur Verfügung stehende Fläche nicht zur Deckung des gegebenen Subsistenzbedarfs; d.h., dass häufig zusätzlich die ganze Familie in den Plantagen arbeiten muss, um für ihren Lebensunterhalt genügend Einkommen zu erwirtschaften."

[Hauser, Jürg A. <1942 - >: Bevölkerungs- und Umweltprobleme der Dritten Welt. -- Bern [u.a.] : Haupt. -- Bd. 2. -- 1991. -- (UTB ; 1569). -- ISBN 3258041725. -- S. 472ff.]

Frauen arbeiten grundsätzlich in schlecht bezahlten, wenig produktiven und häufig auch gefährlichen Berufen. 

Sie tragen in den meisten Fällen die Hauptlast der Arbeit für die Familie, da sie meistens sowohl für den Haushalt, die Kindererziehung und die Arbeit im Familienbetrieb zuständig sind (dies gilt hauptsächlich für jene Frauen, die in der Subsistenzwirtschaft = Eigenproduktion tätig sind).

Sie sind des weiteren für die gesundheitliche Betreuung der Familie und Nachbarschaft zuständig und müssen sich häufig, in Regionen mit hoher Sterblichkeit, um die Versorgung überlebender Angehöriger kümmern.

Durch die materiell und sozial mangelhaften Lebensbedingungen verfügen Frauen generell über die schlechteren gesundheitlichen Voraussetzungen, was durch die wachsende Gewalt gegen Frauen inner- und außerhalb der Familie noch verschlimmert wird. 

In nahezu allen Entwicklungsländern der Welt sind Frauen vorwiegend im Agrarsektor tätig, 1980 waren es nach offiziellen Angaben 

[Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 296. -- ]

Ein kurzer Auszug aus einer Geschichte von Arbeitern auf einem Müllberg in Medellin (Kolumbien) spiegelt deutlich den Gesellschaftsaufbau und die soziale Stellung der Frau in den meisten Entwicklungsländer wieder: 

"Der Gipfel des Müllberges, auf dem fast sechshundert Menschen arbeiten, ist fest verplant nach Kippstellen und dem Recht, auf diesem Areal die Ladung des Müllwagens zu sortieren. Der Überlebenskampf ist strikt geregelt und aufgeteilt. Die stärksten Männer haben die besten Plätze hinter dem Lastwagen. Dahinter stehen in zweiter Reihe die Jugendlichen, wieder dahinter die Frauen, Alte und Kinder. Was dann noch übrigbleibt, gehört den Hunden, Geiern und den Fliegenschwärmen, die bei jedem Schritt in schwirrenden Wolken aus dem stinkenden Morast aufsteigen."

[Jung, Reinhard: Kleine Hände, kleine Fäuste : Ausbeutung und Widerstand der Kinder in Lateinamerika. -- Wien [u.a.] : Jungbrunnen, 1983.  -- ISBN 3702655387. -- S. 31]

Aber auch die Globalisierung wird zu einem großen Teil von Frauen getragen:

Abb.: Koreanische Hyundai-Arbeiterinnen auf gewerkschaftlich organisierter Protestkundgebung, 1999

"Die globale Wirtschaft wurde von Frauen getragen. Überall in Asien und anderen aufstrebenden Regionen waren die von ausländischen Unternehmen betriebenen Fabriken -- von der Elektronikbranche bis hin zur Textilindustrie -- in der Regel mit einer Belegschaft »bemannt«, die zu 80 bis 90 Prozent aus Frauen bestand. Das war kein Zufall. Wie Henderson anmerkte, stellten die Unternehmen mit Absicht jüngere Frauen ein, wegen »des Sinns für Disziplin, den Frauen aufgrund der Vorherrschaft des Mannes in ihrem Alltag entwickelt haben«. Im Gegensatz zu den Arbeitern in der Automobilindustrie des amerikanischen Südens brachten Frauen als Arbeiterinnen für die Industrie keine »schlechten Arbeitsgewohnheiten« mit -- und mit Gewerkschaften kannten sie sich auch nicht aus.

In Malaysia wurden jüngere Frauen als bessere Arbeitskräfte angesehen, weil sie mit ziemlicher Sicherheit nicht lange im Unternehmen blieben. »Ich nenne die Elektronikbranche die 'immergrüne' Industrie«, sagte Arunasalam, Vorsitzender der malaysischen Gewerkschaft für Arbeiter in der Elektroindustrie. »Sie ist jetzt schon seit 20 Jahren hier, aber die Arbeitnehmer werden darin nicht alt.«"

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 175.]


5.2. Ergebnisse des ILO-Reports 1996


(ILO-Report: "More & Better Jobs for Women. An Action Guide")

Die weibliche Arbeitsleistung hat eine große volkswirtschaftliche Bedeutung. Zwei Drittel aller Arbeitsstunden auf der Welt werden von Frauen geleistet. Dafür erhalten sie 10 % des Welteinkommens und zugleich verfügen sie über weniger als 1 % des Weltbesitzes. [Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 289. -- ] 

Die weltweite Wirtschaftskrise Anfang der neunziger Jahre führte zu einem unverhältnismäßig hohen Niveau weiblicher Arbeitslosigkeit in den meisten Ländern und Regionen der Welt.

Auch in verschiedenen Regionen Afrikas, Lateinamerikas, der Karibik und verschiedenen Ländern Asiens wurden höhere Arbeitslosenraten für Frauen als für Männer festgestellt. Außerhalb der OECD-Länder (OECD = Organization for Economic Cooperation and Development) neigen Frauen mehr dazu Arbeit im informellen Sektor, der durch schlecht bezahlte und unerlaubte Jobs gekennzeichnet ist, zu suchen, als einen Halbtagsjob anzunehmen.

In Afrika zum Beispiel arbeiten mehr als ein Drittel der Frauen, die im landwirtschaftlichen Bereich tätig sind, im informellen Sektor und die Zahlen liegen bei über 72 % in Zambia und bei 65 % in Gambia. In Lima und Peru liegt die Prozentzahl der Frauen, die im informellen Sektor tätig sind, bei über 80 %, in Indonesien bei 65 und in Korea bei 41 %. 


5.3. Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen


Trotz länderspezifischer Unterschiede und in manchen Ländern großen Statusunterschieden unter Frauen unterscheidet sich die Situation von Frauen strukturell von der der Männer. In nahezu allen Gesellschaften sind Frauen für Kinder, Ernährung, Wasser, Energie, Gesundheit und ältere und kranke Familienmitglieder zuständig. Beschaffung von Brennholz und Wasser, Konservierung von Nahrungsmitteln, Zubereitung von Speisen, Waschen, Putzen: Hausarbeit berücksichtigt viele arbeitsintensive und zeitaufwendige Tätigkeiten, wobei Tagesablaufstudien dokumentieren, dass sich die Aufgaben der Frau zu einem 16-stündigen Arbeitstag summieren. Im Landwirtschaftssektor Afrikas sieht die Arbeitsteilung folgendermaßen aus: Frauen sind zu 80 % für die Vorräte, zu 90 % für die Mahlzeiten, zu 60% für den Handel und zu 50 % für das Vieh zuständig. [Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 290.]

Die Internationale Arbeitsorganisation sieht die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in Entwicklungsländern folgendermaßen: 

Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in der Bildung gehört zum wichtigsten Grund für weibliche Armut und Unterbeschäftigung. Frauen machen mehr als zwei Drittel der beinahe eine Million Analphabeten aus. In Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Mali, Mozambique, Niger, Senegal und Togo in Afrika, Afghanistan und Nepal in Asien haben mehr als 90 Prozent der Frauen im Alter von 25 Jahren und älter niemals eine Schule besucht. Von den ungefähr 100 Million Kindern auf der Welt, die keinen Zugang zu einer Grundausbildung haben, sind 60 Prozent Mädchen.

Und selbst dort, wo den Mädchen eine Ausbildung ermöglicht wird, beschränkt sich diese auf die typischen weiblichen Ausbildungsberufe, wie Maschinenschreiben, Krankenpflege, Näharbeit oder Bedienung. Die Mädchen haben kaum eine Möglichkeit sich technisches, oder wissenschaftliches Wissen anzueignen.

Geschlechtertrennung im Berufssektor ist, unabhängig vom Entwicklungsstand des Landes, in allen Gebieten der Welt immer noch sehr hoch. Männer und Frauen haben nicht nur unterschiedliche Berufe, Männer arbeiten auch weitgehend in besser bezahlten und höher angesehenen Berufen. Zum Beispiel sind die meisten Schuldirektoren und Ärzte Männer, wohingegen die meisten Krankenschwestern und Lehrer Frauen sind.

In Asien und Afrika sind die meisten berufstätigen Frauen in der Landwirtschaft tätig, wo die Löhne zu den Niedrigsten gehören und mehr als ein Drittel der Frauen, die nicht im landwirtschaftlichen Bereich arbeiten, sind im informellen Sektor tätig. 

Das Vorherrschen von Frauen im informellen Sektor liegt daran, dass es meist die einzige Möglichkeit für Frauen ist überhaupt einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, auch wenn ihr Einkommen dann nur an der Armutsgrenze liegt.

In Kenia verbringen Frauen zehn Mal mehr Zeit mit Hausarbeit als Männer. In Indien sind es 20 Stunden mehr, die Frauen und Mädchen mit Hausarbeit zubringen. 

Die Verantwortung und Versorgung der Familie lastet grundsätzlich stärker auf den Frauen als auf Männern, was auch für die geringe Anzahl von Frauen, denen es aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten möglich wäre in höher qualifizierten Jobs tätig zu sein, gilt.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Tätigkeiten von Frauen immer noch unterbezahlt sind und wenig Anerkennung finden. Frauen sind überlastet mit Arbeit, da sie der Doppelbelastung von familiären und beruflichen Verpflichtungen nachgehen müssen. Außerdem haben sie zusätzlich mit Problemen zu kämpfen, die sich durch Diskriminierung, sexuelle Belästigung und ihrem niedrigem gesellschaftlichen Status ergeben.


6. Kinderarbeit


Kinderarbeit kann nicht grundsätzlich als schlecht und schädlich bezeichnet werden. Schon aus dem Grund, dass in verschiedenen Ländern die unterschiedlichen kulturellen und traditionellen Werte Einfluss nehmen auf die Definitionen und Abgrenzungen der Begriffe "Kind", "Kindheit" und "Kinderarbeit". Diese Begriffe variieren von Land zu Land und auch von Zeit zu Zeit. Man kann also nicht jede Beschäftigung von Kindern prinzipiell mit ausbeuterischer Kinderarbeit gegen Lohn gleichsetzen.  

Wie Uwe Pollmann in seinem Buch "Zum Beispiel Kinderarbeit" schreibt, kann Kinderarbeit einen durchaus positiven Effekt auf das Lernverhalten und die seelische Entwicklung der Kinder haben, da sie schrittweise in die Lebens- und Arbeitswelt der Erwachsenen hineinwachsen. Kinder lernen in vielen Gesellschaften traditionell zum Beispiel durch ihre Mitarbeit in der Landwirtschaft notwendige und für ihr späteres Leben wichtige Eigenschaften. Sie lernen in der Familie, was zum Leben und Überleben notwendig ist.

Kinderarbeit kann dazu beitragen das Selbstwertgefühl und die Persönlichkeit des Kindes zu entwickeln und ist somit wichtiger Bestandteil der Sozialisation und der Einbindung des Kindes in die Gesellschaft. [Vgl. Definitionen, Daten, Diskussionsstand / terre des hommes. -- URL: http://www.oneworldweb.de/tdh/themen/ka-basis.html. -- Zugriff am 2001-02-22]

Mädchen werden durch ihre Pflichten im Haushalt auf ihr späteres Leben vorbereitet und Jungen lernen von ihren männlichen Vorbildern wie man zum Beispiel auf dem Feld arbeitet. 
Die Pflichten der Kinder im Familienhaushalt oder im Familienbetrieb können aber nur dann einen positiven Effekt auf das Lernverhalten der Kinder haben, wenn sie ohne Zwang und Druck ausgeführt werden und die geistige, psychische und körperliche Entwicklung der Kinder nicht beeinträchtigten. [Vgl. Pollmann, Uwe: Zum Beispiel Kinderarbeit. -- Göttingen : Lamuv, 1991. -- ISBN 3889775454. -- S. 11f. -- ]


6.1. Zum Beispiel Arbeitsalltag eines Akhamädchens, Nordthailand


Einen Eindruck vom Arbeitsalltag einer Heranwachsenden in einer traditionellen Pflanzergesellschaft gibt Frederic V. Grunfeld in der Schilderung des 14jährigen Akhamädchens  Apoe aus Nordthailand:


Abb.: Lage der Wohngebiete der Akha (©Mindscape)

"Als die 14jährige Apoe morgens um halb sechs auf ihrer Schlafmatte aus Bastfaser im Frauenteil des elterlichen Hauses aufwachte, lag noch heller Dezembermondschein über dem Dorf. Ihre Mutter war schon aufgestanden. ... Bis zum Sonnenaufgang dauerte es noch eine Stunde, und ihr Vater schlief noch fest im Männerbereich des Hauses. .. 

Als erstes schöpfte es [Apoe] an diesem Morgen den über Nacht eingeweichten Reis in eine Art Dampftopf, um ihn für das Familienfrühstück zu kochen. ...

Nun nahm Apoes Mutter den Platz an der Feuerstelle ein, während sie selbst und ihre drei Jahre ältere Schwester Apha die Stufen des Hauses hinuntergingen, um in dem fußbetriebenen Mörser Reis zu stampfen. Der Reismörser stand genau unterhalb der Frauenterrasse. Die Mädchen arbeiteten zusammen: Das eine bediente das schwere hölzerne Pedal, während das andere den geschälten Reis aus dem Mörser nahm und die Spreu auf einem Schüttelsieb aus geflochtenem Bambus aussiebte.

Das Reisschälen für die große Familie gehörte zu den täglichen Arbeiten für die Frauen. Es waren viele Münder zu stopfen: Apoes Eltern, ihre Schwester Apha, sie selbst, zwei kleine Schwestern und ein jüngerer Bruder lebten in dem Hause. Auch die Familie ihres ältesten Bruders mit seiner Frau und drei Kindern, von denen zwei aus erster Ehe stammten, gehörten dazu ...

Apoes Vater gehörte zu den wenigen Akha-Männern mit zwei Frauen. Seine erste Frau hatte aber die zweite nicht akzeptiert und ihn verlassen. Sie lebte jetzt weiter oben im Dorf. Seine zweite Frau, Apoes Mutter, hatte 13 Kinder zur Welt gebracht, von denen noch acht lebten. ... Zwar gab es auch im Dorf eine Thai-Schule, doch wurde nur an wenigen Tagen im Monat unterrichtet. Wann immer Apoe Zeit hatte, besuchte sie den Unterricht gern, hatte aber bis jetzt noch nicht viel Thai lernen können, weil die Lehrer kein Akha sprachen. ...

Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang ging Apoe, die genug Reis für den Tag geschält hatte, ins Haus, um ihren Vater zu wecken, der immer noch fest unter seiner Decke schlief. Abaw Akseh war ein Mann Mitte Fünfzig und nicht mehr ganz gesund ... also schon ein älterer Mann ...

Apoe half nun der Mutter und der älteren Schwester bei der Frühstückszubereitung. Wie von jeder Akha-Frau erwartete man auch von Apoe, dass sie eine ganze Reihe von täglichen Pflichten übernahm. Seit man wegen des schlechten Gesundheitszustands des Vaters eine Arbeitskraft weniger in der Familie hatte, musste sie härter als die meisten Mädchen ihres Alters zupacken, aber sie tat es ohne murren.

Etwa um neun Uhr war das Frühstück fertig, und die Männer ... waren mittlerweile aufgestanden. Sie brachten ihnen zuerst das Frühstück in den Männerbereich des Hauses. ... Nachdem die Männer gefrühstückt hatten, wurden die Reste der Mahlzeit in den Frauenbereich gebracht, wo sich jetzt erst die drei Frauen bedienten. Vom gedämpften Reis war noch genug da, aber die anderen Gerichte hatten die Männer fast aufgegessen. ...

Abb.: Akha-Mädchen, Nordthailand (Foto: Hugo A. Bernatzik)

Apoe ging zusammen mit sieben anderen Jungen und Mädchen zum Holzsammeln in den Wald. Es war beinahe zehn Uhr. Apoe und fünf Kinder trugen Macheten und Tragekörbe aus Bambus auf dem Rücken. Die beiden anderen waren noch zu klein zum Holzhacken und Lastentragen; sie waren nur mitgekommen, weil es ihnen Spaß machte, mit den anderen in den Wald zu gehen.

Als die Kinder den Wald erreicht hatten, holten die älteren Mädchen aus einem kleinen, um die Taille gebundenen Korb eine hölzerne Spindel und eine flauschige Rolle Baumwollfaser hervor und spannen beim Gehen einen Faden daraus. ...

Die Kinder kletterten einen steilen Pfad hinauf, der zu einem hohen Bergkamm führte. ... Auf dem Weg sangen die Mädchen muntere Liebeslieder, die sie nur unterbrachen, wenn der Aufstieg besonders steil und rutschig wurde. ...

Eine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch aus dem Dorf erreichten die Kinder eine Höhe ... Sie schwärmten aus, um kleine, abgestorbene Bäume zu suchen, die sie anschließend mit der Machete zu Feuerholz zerkleinerten.

Ein paar Stunden arbeiteten die Kinder angestrengt, fällten Bäume und zerhackten die Stämme in etwa einen Meter lange Stücke, die sich senkrecht in ihren Tragekörben verstauen ließen. Sie hatten weitaus mehr Holz gesammelt, als sie auf einmal nach Hause tragen konnten. Was nicht mehr in ihre Körbe passte, stapelten sie deshalb an einem Baum, um es ein andermal mitzunehmen. Um die Mittagszeit ließ ihr Arbeitseifer nach. ... Nachdem sie in der Mittagshitze ein wenig ausgeruht und erzählt hatten, nahmen sie ihre Körbe und begannen den Abstieg zum Dorf.

... Auf dem Schulhof stand eine hölzerne Wippe, und einige Kinder verließen den Pfad, um ein bisschen zu spielen, bevor sie wieder an die familiären Pflichten gingen, die zu Hause auf sie warteten.

Apoe war etwa um ein Uhr wieder zu Hause. Ihre Mutter war in ein anderes Dorf gegangen, um Verwandte ihres Mannes zu besuchen. Deshalb kochten Apoe und ihre ältere Schwester das Mittagessen für die Familie.  ...

Nach dem Mittagessen ging Apoe zum Häuschen ihrer Schwägerin, um sich in deren Spiegel zu betrachten. Wenn sie Zeit hatte, machte sie das ein- oder zweimal am Tag, denn wie die meisten ihrer Altersgenossinnen legte sie inzwischen schon recht großen Wert auf ihr Äußeres, und im elterlichen Haus gab es keinen Spiegel. ...

Sie plauderte mit ihrer Schwägerin bis kurz nach zwei Uhr und kehrte dann nach Hause zurück. Dort holte sie ihren Tragekorb und machte sich nochmals auf den Weg in den Wald, um Futter für die Tiere zu holen. Diesmal ging sie allein, und auf dem Weg spann sie wieder Baumwolle wie am Vormittag. Bis zum Abend hatte sie eine ganze Spule voll Garn gesponnen, das ihre Mutter zum Weben eines neuen Kleiderstoffs verwenden würde. ... Ein etwa achtjähriges Mädchen schloss sich Apoe an. ...

Nach knapp einem Kilometer kamen die beiden Mädchen an ein Dickicht aus Bambus, dessen Blätter sie als Futter für die Tiere zu Hause abpflückte. Es dauerte nicht sehr lange bis ihre Körbe voll waren. ...

Als Apoe nach Hause zurückkehrte, war es vier Uhr nachmittags. ... Dann ging sie ins Haus, um sich Tee zu machen. Bevor sie sich an ihre abendlichen Pflichten begab, setzte sie sich hin und plauderte ein wenig mit den Eltern und Geschwistern.

Ihre ältere Schwester begann bald darauf wieder mit dem Reisstampfen, damit er für die Mahlzeit am nächsten Tag eingeweicht werden konnte. Apoe hatte diese Arbeit schon am Morgen verrichtet, und so blieb ihr etwas Zeit, die Perlenschnüre an ihrem Kopfschmuck neu zu binden, die Silbermünzen daran zu putzen und die Bommeln aus Gibbonfell aufzulockern.

Danach half sie ihrer Schwester, Reis für die jungen Haushunde zu dämpfen. Sie teilte ihn aus, und während die Tiere ihn gierig hinunterschlangen, stand sie wachsam dabei, um die Schweine zu verjagen, die den Welpen das Futter streitig machen wollten.

Nach der Hundefütterung war es Zeit, von der Quelle Wasser zu holen. Diesmal verstaute sie vier leere Wasserkrüge in ihrem Tragekorb. Sie forderte ihre kleine Schwester A-eh auf mitzukommen und gab ihr noch einen Krug zum Tragen. ... Nach fünf Minuten hatten sie die Wasserstelle erreicht, wo das Quellwasser aus einem langen Bambusrohr heraussprudelte. A-eh zog ihre Kleider aus, und Apoe wusch sie unter dem klaren Wasserstrahl, schrubbte dann sich selbst die Füße und füllte alle fünf Krüge, die sie anschließend in den Korb setzte. Zu Hause stellte sie die Krüge auf das für Wasserflaschen bestimmte Regal und schürte das Feuer, damit das Abendessen darauf gekocht werden konnte.

Kurz darauf ging Apoe wie fast jeden Abend zu ihrer verheirateten Schwester, die im oberen Teil des Dorfes lebte. Wie bei vielen jungverheirateten Paaren war das Haus der Schwester klein, dennoch versammelten sich dort fast täglich Freunde, die um die Feuerstelle des Männerbereiches saßen, lachten und Geschichten erzählten ...

Gegen neun Uhr abends hatten sich am oberen Dorftor etwa 50 Jugendliche und Kinder eingefunden. Da sangen und tanzten sie und drängten sich auf den drei dort aufgestellten Holzbänken. ...

Gegen zehn Uhr waren alle Fackeln erloschen, und man sah nur noch Silhouetten vor dem Sternenhimmel hin und her huschen. Einige ältere Mädchen gingen mit ihren Freunden in den Wald, aber für Apoe, die noch zu jung für die Liebe war und einen langen Arbeitstag vor sich hatte, war der Abend zu Ende.

Sie ging den Berg hinunter nach hause und kuschelte sich unter ihrer Decke in der Nähe der Frauenfeuerstelle zusammen. ... Die übrigen Familienmitglieder schliefen schon fest."

[Grunfeld, Frederic V.: Siedler der Thai-Wälder : die Akha. -- Amsterdam : Time-Life, ©1982. -- (Völker der Wildnis). -- ISBN 9061826152. -- S. 80 - 87]


6.2. Merkmale von "Kinderarbeit"


  • "Fabrikarbeit von zu jungen Kindern, häufig bereits im Alter von sechs oder sieben Jahren
  •  lange Arbeitszeiten von zwölf bis zu 16 Stunden am Tag
  • Arbeit unter körperlicher wie psychischer Überanstrengung oder Überforderung
  • monotone, die seelische und soziale Entwicklung des Kindes behindernde Arbeiten
  • Arbeit auf der Straße unter ungesunden und gefährlichen Bedingungen
  • Arbeit unter unfreien, menschenrechtsverletzenden Bedingungen, wie zum Beispiel in Schuldknechtschaft oder durch sexuellen Missbrauch." 

[Definition der ILO. -- In: Definitionen, Daten, Diskussionsstand / terre des hommes. -- URL: http://www.oneworldweb.de/tdh/themen/ka-basis.html. -- Zugriff am 1999-09-27]


6.3. Beispiele von Kinderarbeit (Fotografien)


Beispiele von Kinderarbeit zeigen folgende Fotografien:

Abb.: Kinderarbeit im Reisfeld [Quelle: WCL]


Abb.: Junger Straßenverkäufer, Bogota, Kolumbien [Quelle: ILO]


Abb.: Kinder als Ziegelträger, Madagaskar [Quelle: ILO]


Abb.: 12jährige Prostituierte, Manila, Philippinen [Quelle: http://www.global-march.de/auto/Manila_Kinderprostitution.de.html. -- Zugriff am 1999-09-27. -- Am 2001-02-22 toter Link]

Einerseits:

"»Die Bauernmädchen haben von der Modernisierung Chinas gehört und träumen vom Leben in der Stadt, sagt Wang Xingjuan, die Pekings erste Telefonberatung für Frauen leitet. »Viele werden von organisierten Banden betrogen, die ihnen Hilfe bei der Arbeitssuche versprechen, die Reisekosten übernehmen und sie dann verkaufen. In rückständigen Landgegenden werden sie als Ehefrauen verkauft, in den Städten als Prostituierte.«"

[Zitiert in: Zum Beispiel Sklaverei / Redaktion: Uwe Hoering. -- Göttingen : Lamuv, ©1995 -- (Lamuv Taschenbuch ; 184). -- ISBN 388977430X. -- S. 66.]

 

Andrerseits:

"Im Dorf Srijomjaeng [in Nordostthailand] traf der Journalist [der Bangkok Post] einen Bauern, der acht Kinder hatte. Seine Tochter war für 1500 Baht als Prostituierte in die Stadt gegangen. »Ich habe meine Tochter nicht verkauft«, beteuerte Pon Chaitep. »Sie hat mich leiden sehen; Sie hat die Familie leiden sehen. Und da wollte sie helfen.« Mit den Bordellbesitzern wurde eine Art Leibeigenschaft vereinbart, in der die Mädchen das Doppelte des Betrages zurückzahlen mussten, den ihre Eltern bekommen hatten, bevor sie etwas von den Einnahmen behalten konnten. Guan Somyong, der in einem anderen Dorf wohnte, schämte sich nicht mehr dafür, dass seine 15jährige Tochter als erste im Dorf weggegangen war, um als Prostituierte zu arbeiten. Von dem Geld, das sie nach Hause schickte, hatte sich die Familie ein gemauertes Haus, einen Kühlschrank, einen Fernseher und eine Stereoanlage gekauft. »Jetzt wollen alle Mädchen gehen«, sagte ihre Mutter."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 636. -- ]


Abb.: Kind als Schuhputzer, La Paz, Bolivien [Quelle: ILO]


Abb.: Spinnendes Mädchen [Quelle: WCL]

Abb.: Webendes Mädchen [Quelle: WCL]´


6.4. Gründe für Kinderarbeit


In den meisten Fällen sind es die Eltern, die ihre Kinder als billige Arbeitskräfte im eigenen Haushalt ausbeuten oder sie zu sklavenähnlicher Arbeit auf Plantagen schicken. Dabei muss man aber die Missstände und schlechten Lebensbedingungen der Menschen in der Dritten Welt beachten, die Eltern dazu nötigen ihre Kinder zur Arbeit auf Plantagen zu schicken.
Armut, Hunger und die eigene Arbeitslosigkeit zwingen Eltern ihre Kinder mitverantwortlich für die Versorgung und das Überleben der Familie zu machen.

Kinder sind billige und anspruchslose Arbeitskräfte und werden deshalb von Großgrundbesitzern bevorzugt eingestellt. Kinderarbeitskraft ist billig, flink und wendig und verspricht den Arbeitgebern einen höheren Gewinn.

Es ist nicht leicht für Eltern ihre Kinder den schlechten Arbeitsbedingungen auszusetzen, doch die wirtschaftliche Notwendigkeit und das Fehlen schulischer Einrichtungen lässt ihnen manchmal keine andere Wahl. [Vgl. Pollmann, Uwe: Zum Beispiel Kinderarbeit. -- Göttingen : Lamuv, 1991. -- 150 S. -- ISBN 3889775454. -- S. 15f.]

Carlo, ein zwölfjähriger Landarbeiter erklärt, wie das mit der Arbeit für Kinder in Riberao Preto (Brasilien) läuft:

"Hier arbeiten alle Kinder mit. Aber sie übernehmen unterschiedliche Arbeiten. ... Die Kleinsten sind zwischen vier und fünf Jahre alt; die müssen vor allem bei der Baumwollernte mitarbeiten. Sie sind Baumwollpflücker und zupfen schon etwa sechzig Kilogramm Baumwolle pro Tag. Wenn sie etwa neun Jahre alt sind, können sie schon in die Kaffeeplantagen zum Kaffeeplücken mitgehen. Klar, das hängt davon ab, ob diese Kinder groß genug sind, und wie hoch die Kaffeesträucher sind. ... Im Zuckerrohr geht es dann ab zwölf Jahren los, denn das ist eine Frage der puren Kraft, weil das Erntemesser so schwer ist."

[Jung, Reinhard: Kleine Hände, kleine Fäuste : Ausbeutung und Widerstand der Kinder in Lateinamerika. -- Wien [u.a.] : Jungbrunnen, 1983. -- ISBN 3702655387. -- S. 104f.]


6.5. Folgen von Kinderarbeit


Kinder in Entwicklungsländern müssen häufig Arbeiten verrichten, die über ihr persönliches Leistungsvermögen hinausgehen. Sie bekommen weder Kranken- noch Altersversicherung, noch ist ihre Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleistet, da in den meisten Dritte-Welt-Ländern auf Arbeitsschutzbedingungen keine Rücksicht genommen wird. Meist verrichten sie langwierige, monotone Schwerstarbeit, häufig rund um die Uhr, was ihre körperliche und geistige Entwicklung massiv behindert. Allergien, Verletzungen, Hautkrankheiten und nervöse Störungen sind häufig die Folge von Schwerstarbeit in Bergwerken, vom Umgang mit chemischen Stoffen und giftigen Dämpfen in Baumwollspinnereien oder Teppichindustrien, auf Kaffeeplantagen oder in Industriebetrieben. 

Die meisten Kinder arbeiten ohne Arbeitserlaubnis und suchen sich Arbeitsmöglichkeiten im informellen Sektor. 

Unter anderem im Zusammenhang mit dem Massentourismus wächst aber auch die Zahl der Kinderprostituierten ständig an, da sie für immer mehr Kinder eine Chance ist, die Nahrung zu sichern. [Vgl. Pollmann, Uwe: Zum Beispiel Kinderarbeit. -- Göttingen : Lamuv, 1991. -- ISBN 3889775454. -- S. 12ff. -- ] 


6.6. Aktuelle Zahlen zur Kinderarbeit


Da keine genauen Zahlen über Kinderarbeit bekannt sind, sind die folgenden Angaben Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation: [Siehe: Definitionen, Daten, Diskussionsstand / terre des hommes. -- URL: http://www.oneworldweb.de/tdh/themen/ka-basis.html. -- Zugriff am 1999-09-27]

Der Hauptgrund für den Mangel an Statistiken und Bezugsdaten zur Kinderarbeit liegt im Fehlen von angemessenen Untersuchungsmethoden, Konzepten und eindeutigen Definitionen der Faktoren und Variablen, die Kinderarbeit betreffen. Durch diesen Mangel bleiben wichtige Aspekte dieses Themas, wie sein Ausmaß, seine Verteilung und die ausschlaggebenden Faktoren für Kinderarbeit in den einzelnen Ländern und weltweit unbedacht und unerkannt. Schätzungen allein können keinen genauen Einblick in die verschiedenen Formen und das Ausmaß von Kinderarbeit liefern. [ILO, ebd.]


6.7. Proklamation von Kinderarbeitern aus Entwicklungsländern


"»Wir, die Kinderarbeiter der Welt ... «
  1. Wir wollen, dass unsere Probleme, unsere Vorschläge, Bemühungen und Organisationen beachtet und anerkannt werden.
  2. Wir sind gegen den Boykott von Waren, die von Kindern gemacht wurden.
  3. Wir wollen Respekt und Sicherheit für uns und die Arbeit, die wir leisten.
  4. Wir wollen Unterricht, in dem wir etwas über unsere Situation und für unser Leben lernen.
  5. Wir wollen eine Berufsausbildung, die unseren Fähigkeiten und unserer Lebenssituation entspricht.
  6. Wir wollen eine gute Gesundheitsversorgung, die für arbeitende Kinder zugänglich ist.
  7. Wir wollen bei allen Entscheidungen gefragt werden, die uns betreffen, egal ob diese Entscheidungen in unseren Städten und Dörfern, unseren Ländern oder international getroffen werden.
  8. Wir wollen, dass die Ursachen für Kinderarbeit, vor allem die Armut, benannt und bekämpft werden.
  9. Wir wollen, dass auf dem Land Lebensmöglichkeiten erhalten oder geschaffen werden, so dass Kinder nicht in Städte abwandern müssen.
  10. Wir sind gegen ausbeuterische Arbeit, wir wollen in Würde arbeiten und Zeit zum Lernen, Spielen und Ausruhen haben.

Wir wollen, dass Kinderarbeiter auf den großen Konferenzen gehört werden. Wenn 20 Minister zu einer Konferenz kommen, dann sollen auch 20 Kinderarbeiter da sein. Wir wollen mit den Ministern diskutieren, sie sollen nicht über unsere Köpfe hinweg über uns reden."

Erklärung des Ersten Internationalen Treffens von Kinderarbeitern aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Kundapur, Indien, im Dezember 1996

[Zitiert in: Zum Beispiel Kinderarbeit / Redaktion: Uwe Pollmann. -- Aktualisierte und ergänzte Ausgabe. -- Göttingen : Lamuv, ©1999. -- 1(Lamuv Taschenbuch ; 262). -- ISBN 3889775454. -- S. 134f. -- ]


6.8. Maßnahmen gegen Kinderarbeit


6.8.1. Zum Beispiel Rugmark-Siegel, Care-and-fair, Step


Konsumentenverhalten kann etwas bewirken!

"Nachdem Mitte der neunziger Jahre Berichte über Kinderarbeit in indischen Teppichmanufakturen in der europäischen Presse einen Sturm der Entrüstung ausgelöst haben, brach die Nachfrage drastisch ein. Von  diesem Rückschlag hat sich die Branche bis heute noch nicht richtig erholt, und die Exporteure stehen wegen der Überkapazitäten unter hohem Preisdruck." [Wenn Handel und Entwicklungsorganisationen zusammenarbeiten. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- Internationale Ausgabe. -- Nr. 227 (30. 10.1999). -- S. 4.]

Die Importeure und Teppichhändler reagierten mit unterschiedlichen Maßnahmen:

Abb.: Rugmark™ Logo

"Gemeinsam haben Unternehmer und Nichtregierungsorganisationen aus Indien, der indische Staat und das indisch-deutsche Exportförderungsprogramm IGEP (gefördert durch deutsche Entwicklungshilfegelder) ein Teppichsiegel namens »Rugmark« auf den Markt gebracht. [Webpräsenz: http://www.rugmark.de/. -- Zugriff am 2001-02-22] Es soll folgende Bedingungen garantieren:
  • keine Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren außer in traditionellen Familienbetrieben. Dort mithelfende leibliche Kinder unter 14 Jahren müssen nachweislich die Schule besuchen.
  • Zahlung gesetzlicher Mindestlöhne.
  • Offenlegung aller Bezugsquellen durch die Exporteure, Registrierung aller Knüpfbetriebe und die Möglichkeit zu jederzeitigen, unangemeldeten Kontrollen durch die Rugmark-Stiftung und ortsansässige Nichtregierungsorganisationen.
  • Kennzeichnung der Teppiche durch eine Seriennummer sowie eine interne Codierung der Rugmark-Stiftung.
  • Ein Prozent des Exportpreises geht in einen Rehabilitierungsfonds, der derzeit von UNICEF-Indien verwaltet wird."

[Zum Beispiel Kinderarbeit / Redaktion: Uwe Pollmann. -- Aktualisierte und ergänzte Ausgabe. -- Göttingen : Lamuv, ©1999. -- (Lamuv Taschenbuch ; 262). -- ISBN 3889775454. -- S. ]

Abb.: Step-Label™

"Die dezentralen Strukturen öffnen Missbrauch und Ausbeutung der Knüpfer Tür und Tor. An diesem Punkt will die Stiftung Step [Webpräsenz: http://www.step-foundation.ch/. -- Zugriff am 2001-02-22] ansetzen; erstmals haben sich Hilfswerke und Handel zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammengefunden. Step ist eine Gründung der Entwicklungsorganisationen Brot für alle, Caritas, Fastenopfer, Swissaid, Erklärung von Bern, der Schweizerischen Interessengemeinschaft Sauberer Orientteppichhandel. 14 Unternehmen sind mit 34 Verkaufsstellen, die rund einen Viertel des Schweizer Orientteppichmarktes abdecken, führen das Step-Label. Sie verpflichten sich, bei ihren Lieferanten auf gewisse soziale und ökologische Standards hinzuwirken, und bezahlen eine Lizenzgebühr von derzeit 5 Franken pro Quadratmeter verkauften Orientteppichs an Step plus einen fixen Betrag pro Verkaufsstelle.

Die Stiftung unterhält ein lokales Kontrollsystem und unterstützt vor allem in den Teppichregionen Indiens und Nepals, aber auch in Pakistan Projekte wie Kindertagesstätten, Schulen, Gesundheits- und Aids-Präventionsmaßnahmen, Handwerkerförderungsprojekte sowie Dorfinitiativen und die medizinische Versorgung der wegen der misslichen Arbeitsbedingungen in ihren dunklen Hütten oft unter Problemen mit den Augen, den Gelenken und den Atemwegen konfrontierten Knüpfer. Größter Step-Partner ist der Marktführer Möbel Pfister, der bei einem Jahresumsatz im Teppichhandel von rund 26 Millionen Franken 300.000 Franken und damit rund zwei Drittel der Händlerbeiträge an die Stiftung bezahlt."

[Wenn Handel und Entwicklungsorganisationen zusammenarbeiten. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- Internationale Ausgabe. -- Nr. 227 (©1999-10-30). -- S. 4.]

Abb.: Care & Fair® Logo

"Care & Fair - Teppichhandel gegen Kinderarbeit e.V. [Webpräsenz: http://www.care-fair.com. -- Zugriff am 2001-02-22] ist ein Berufsverband des europäischen Teppichhandels. Er besteht seit 1995. Unsere Mitglieder bekämpfen die Ausbeutung illegaler Kinderarbeit im Bereich der Teppichproduktion. Sie verpflichten sich, ein Prozent des Wertes der von ihnen eingeführten Teppiche aus Pakistan, Nepal und Indien in einen Fond einzuzahlen, aus dem wir unsere Projektarbeit finanzieren.

Außerdem fordern Care & Fair-Mitglieder verbindlich von ihren Lieferanten, auf Kinderarbeit zu verzichten. Sollten sie bei ihren häufigen Einkaufsreisen auf arbeitende Kinder stoßen, treten sie vom Kauf zurück und können sofort die Geschäftsbeziehungen mit dem entsprechenden Hersteller beenden. Wir glauben, daß die Angst vor wirtschaftlichen Verlusten auf diese Art besser zur Verhinderung der Kinderarbeit beiträgt, als es ein teures und uneffektives Kontrollsystem je könnte.

Im dritten Jahr seines Bestehens hat der Verband bereits mehr als 450 Mitglieder in Deutschland und den angrenzenden Ländern." [http://www.care-fair.com/d/ueberuns.html. -- Zugriff am 1999-10-02]


6.8.2. Zum Beispiel Free the Children


Abb.: Iqbal Masih, geboren 1982, ermordet 1995 
[Quelle der Abb.: http://www.freethechildren.org/. -- Zugriff am 1999-10-02]

"Eine Zeitungsnotiz verändert sein Leben: Als der zwölfjährige Craig [Kielburger] eines Morgens beim Frühstück sitzt, fällt sein Blick auf einen Artikel über den pakistanischen Jungen Iqbal Masih, der nach jahrelanger Kinderarbeit aus einer Teppichknüpferei floh und fortan öffentlich die Ausbeutung von Kindern durch Schwerarbeit anprangerte. Mit zwölf Jahren, im selben Alter wie Craig, wird Iqbal ermordet.

Tief berührt vom Schicksal dieses Jungen beschließt Craig, Iqbals Mission fortzusetzen. Er mobilisiert Freunde und Mitschüler, gründet sie Bewegung Free the Children und beginnt seinen Kampf gegen die brutale Kinderausbeutung: ein internationales Netzwerk wird aufgebaut, Spendengelder werden gesammelt, Reden gehalten. Craigs Engagement führt ihn vor die höchsten politischen Gremien bis hin zum US-Kongress, aber auch in die Elendsviertel, wo er direkt mit dem grausamen Arbeitsalltag von Kindern konfrontiert wird."

[Kielburger, Craig <1983 - >: Befreit die Kinder : die Geschichte  meiner Mission. -- München [u.a.] : Econ, ©1998. -- 318 S. : Ill.-- ISBN 3430153999. -- Originaltitel: Free the children, 1998. -- Umschlagklappe. -- ]

Webpräsenz von Free the Children: http://www.freethechildren.org/. -- Zugriff am 2001-02-22


7. Arbeitnehmerorganisationen


7.1. Unterdrückung von Arbeitnehmerorganisationen (Gewerkschaften)


Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften) sind sowohl für kurzsichtige Arbeitgeber als auch für kurzsichtige Machthaber (Regierungen) sehr unbequem und werden deshalb oft verboten, reglementiert oder schikaniert:

"Trotz Suhartos Verordnung griffen die [indonesischen] Truppen bei mehreren Dutzend Streiks ein, wobei sie die jungen Leute manchmal dazu zwangen, in die Fabriken zurückzukehren. Majore und Generäle der Armee interessierten sich deshalb so für die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen, weil sie an vielen Fabriken beteiligten waren oder in deren Management saßen. Indera Nababan, ein bekannter Menschenrechtsaktivist, erklärte die typische Struktur in der Schuh- und Textilindustrie [Indonesiens]: »Man stellt drei Koreaner für die Leitung der Fabrik ein, und dann sucht man sich ein paar Generäle für das Direktorium, die für den Schutz des Unternehmens sorgen. Falls es jemals dazu kommen sollte, dass ein Gewerkschaftsvertreter eine Beschwerde vorbringt, ruft das Unternehmen einfach bei seinem »Schutzengel« an. Dieser wiederum ruft bei der Regierung an und sagt: >Das ist meins.<«"

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 712.]


7.2. Internationale Solidarität


[Manifest der Kommunistischen Partei / [Karl Marx ; Friedrich Engels]. -- London, 1848. -- Umschlag]

"Ungeachtet der romantischen Anklänge versuchten Gewerkschaften unserer Zeit, wie beispielsweise der Internationale Metallarbeiterverband, dem alten [obigen] Motto neues Leben einzuhauchen, obwohl dies zuweilen recht willkürlich geschah. Von verschiedenen Kontinenten aus begannen einige große Gewerkschaften damit, sich gegenseitig bei ihrem Kampf gegen multinationale Unternehmen zu unterstützen, und manchmal war diese grenzüberschreitende Taktik auch erfolgreich. Aber im Vergleich zur modernen Wirtschafts und Finanzwelt waren die Möglichkeiten der Gewerkschaften für eine Zusammenarbeit untereinander immer noch erschreckend primitiv.

»Wir denken immer noch länderspezifisch oder sogar in noch kleineren Dimensionen«, räumte der Italiener Marcello Malentacchi ein, Generalsekretär des Internationalen Metallarbeiterverbandes. »Stahlarbeiter denken nur an Stahlarbeiter, Arbeiter in der Automobilindustrie nur an Arbeiter in der Automobilindustrie. Das Problem besteht darin, dass die multinationalen Unternehmen nicht mehr europäisch oder amerikanisch denken, schon lange nicht mehr. Sie denken global.

Vor 100 Jahren haben wir damit angefangen, die Arbeiter in einer Fabrik zu organisieren. Wir haben ein paar Jahre gebraucht, bis wir verstanden haben, dass wir uns erst dann durchsetzen können, wenn wir auch die Arbeiter in den anderen Fabriken organisieren. Jetzt haben wir ein Stadium erreicht, in dem wir den anderen beibringen müssen, dass es noch ein anderes Land und einen anderen Teil der Welt gibt und dass wir die Arbeiter dort ebenfalls organisieren müssen. Dazu werden wir eine ganze Generation lang brauchen.«

Die Hindernisse, die sich globalen Gewerkschaftsaktionen in den Weg stellten, waren gewaltig, gewaltiger, als viele Gewerkschaftsfunktionäre sich eingestehen wollten. Das größte Hemmnis war der krasse Unterschied zwischen den Interessen von Reich und Arm. Lösungen, die den Lebensstandard der Wohlhabenden einfach dadurch garantierten, dass sie die Hoffnungen verarmter Länder zunichte machten, wurden zu Recht als neuerliche Kolonialisierung geächtet. ...

Die Antwort der Gewerkschaften war eine Kampagne zur Einführung allgemein verbindlicher Arbeitnehmerrechte in der globalen Wirtschaft, eine Art »Sozialklausel« in Handelsvereinbarungen, die gewährleisten sollte, dass die Arbeiter überall auf der Welt das Recht hatten, sich in Gewerkschaften zu organisieren, und Strafmaßnahmen für die Exporte der Länder vorsah, die sich nicht an die neuen Regeln hielten. Im Laufe der Zeit sollte diese Klausel den globalen Arbeitsmarkt neu definieren und einen weiteren Stellenabbau verhindern oder zumindest verlangsamen. Vereinfacht ausgedrückt sollten damit jene am unteren Ende der Leiter ein paar Sprossen nach oben gehievt werden."


[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 136f.]

Am 18. Juni 1998 nahm die International Labour Conference die ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work and its Follow-up an. Diese Declaration erfüllt die gewerkschaftliche Forderung nach einer internationalen Sozialklausel weitgehend. Das Problem ist wie bei der Menschenrechtserklärung die Durchsetzung. Der zentrale Absatz der Declaration ist:

"2. Declares that all Members, even if they have not ratified the Conventions in question, have an obligation arising from the very fact of membership in the Organization, to respect, to promote and to realize, in good faith and in accordance with the Constitution, the principles concerning the fundamental rights which are the subject of those Conventions, namely:
  • (a) freedom of association and the effective recognition of the right to collective bargaining;
  • (b) the elimination of all forms of forced or compulsory labour;
  • (c) the effective abolition of child labour; and
  • (d) the elimination of discrimination in respect of employment and occupation."

[Vollständiger Text: http://www.ilo.org/public/english/10ilc/ilc86/com-dtxt.htm. -- Zugriff am 2001-02-22]

 

"Selbst in den reichen Ländern waren die Gewerkschaften aufgrund ihrer Geschichte und Perspektive in zwei Lager gespalten. Wenn wirklich eine globale Gewerkschaft entstünde, wie würde sie dann aussehen - wie eine europäische, eine amerikanische oder eine japanische? Jedes dieser Gewerkschaftsmodelle hatte höchst unterschiedliche Methoden im Umgang mit den Unternehmen entwickelt. In den Vereinigten Staaten waren die Gewerkschaften nach einzelnen Wirtschaftszweigen aufgespalten und verfolgten eine Strategie der Konfrontation, während die breiter angelegten Gewerkschaften Europas, wo die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Unternehmen saßen und multinationale Firmen den gewählten Betriebsräten strategische Informationen mitteilten, eher auf Mitbestimmung setzten. Beim japanischen Modell wurde Zusammenarbeit großgeschrieben, und kooperative Gewerkschaftsführer arbeiteten oft als Manager für das Unternehmen weiter.

Vielleicht war keines dieser Modelle für eine indonesische oder chinesische Gewerkschaft geeignet, wenn jemals der Tag kommen sollte, an dem es den Arbeitnehmern in diesen Ländern nicht mehr länger verboten war, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Vielleicht entwickelten sich statt dessen andere Modelle, möglicherweise eine Organisation, die über die verschiedenen Industriesektoren hinausging, sich mehr am sozialen Leben der Allgemeinheit orientierte, weniger beschränkt in ihren Zielen war. Schließlich wussten alle, dass es den Gewerkschaften 100 Jahre nach ihrer Geburtsstunde immer noch nicht gelungen war, eine effektive Strategie als Reaktion auf den Kapitalismus der Unternehmen zu finden.

Es war jedoch durchaus möglich, dass den Gewerkschaften eine ganze andere Zukunft bevorstand, in der sie schlicht und einfach überflüssig wurden."

[Greider, S. 138]


7.3. Erfolgreicher Gewerkschaftskampf -- zum Beispiel Südkorea


"Die rühmliche Ausnahme bildete Südkorea, wo die Lohnquote von 23 auf 30 Prozent gestiegen war. Das war zum Teil darauf zurückzuführen, dass die koreanischen Arbeiter nach Jahrzehnten brutaler Unterdrückung rebelliert hatten. Mit Unterstützung von Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten und Europa hatten die koreanischen Gewerkschaften geholfen, die Bürgerunruhen zu entfachen, die schließlich zum Sturz des autoritären Militärregimes führten. Nachdem die Arbeiter ihre politische Freiheit gewonnen hatten, stiegen die Löhne in der koreanischen Fertigungsindustrie erheblich an."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 131.]


8. Die Globalisierung des Arbeitsmarktes


Die Globalisierung des Arbeitsmarktes nicht nur für einfache Arbeiten, sondern auch für hochqualifizierte Arbeiten, wie sie durch moderne Verkehrswege und besonders Kommunikationsmittel (Internet!) ermöglicht wurde, ist in ihren Auswirkungen für Entwicklungsländer (und hochentwickelte Länder!) noch unübersehbar. Im Folgenden können daher nur einige Impressionen und Denkanregungen gegeben werden.


8.1. Globalisierung


Wenn man den Hauptproponenten von Globalisierung zuhört erhält man den Eindruck, dass sie das Heil von einer Welt erwarten, die folgende Merkmale hat:

  • "The world's money, technology, and markets are controlled and managed by gigantic global corporations;
  • A common consumer culture unifies all people in a shared quest for material gratification;
  • There is perfect global competition among workers and localities to offer their services to investors at the most advantageous terms;
  • Corporations are free to act solely on the basis of profitability without regard to national or local consequences;
  • Relationships, both individual and corporate, are defined entirely by the market; and
  • There are no loyalities to place and community."

[Diese treffende Zusammenfassung stammt von: Korten, David C.: When corporations rule the world. -- San Francisco [u.a.] : Berrett-Koehler, ©1995. -- ISBN 1887208011. -- S. 131.]

Globalisierung bedeutet für Arbeitsplätze:

Beides ist nichts grundsätzlich Neues, ist aber in Umfang und Ungehindertheit in neue Dimensionen gelangt.


8.2. Benchmarking: Niedriglöhne und Rechtlosigkeit der Arbeitnehmer


Für die Verlagerung von Produktion in Entwicklungsländer und zwischen Entwicklungsländer sind besonders die Kosten und die Rechtlosigkeit der Arbeitnehmer entscheidend:

Der Personalchef von Sony, Yasunori Kirihara erklärte dazu:

"»Bei der Verlagerung von Produktion in unterentwickelte Länder geht es darum, ob es billiger ist, Menschen oder Maschinen einzusetzen. Wenn die Produktion in Japan erfolgt, müssen wir dafür Maschinen einsetzen, weil die Löhne so hoch sind. Aber wenn wir unser Kapital zu schnell in Maschinen investieren, sind wir unseren Konkurrenten gegenüber vielleicht im Nachteil, weil sich diese stärker auf die manuelle Arbeit in einem anderen Land verlassen, in dem Arbeitskräfte viel billiger sind.«"

[Zitiert in: Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 118f.]

"Als die Gewerkschaften in Südkorea eine drastische Lohnerhöhung durchsetzten, wanderten die billigeren Leichtmontage- und Textilfabriken in der Lohnhierarchie nach unten und wurden in andere Länder Asiens verlegt, wobei oft auch die Maschinen mitsamt den Managern mitgenommen wurden. Wenn diese Wirtschaftszweige durch wertschöpfende Fertigungsbranchen wie Automobil, Stahl oder Elektronik ersetzt wurden, wie dies zum Beispiel in Korea der Fall war, hatte das sehr positive Folgen. Aber die Unsicherheit der Lohnarbitrage verfolgte selbst die florierendsten Volkswirtschaften.

»Sehen Sie sich Thailand an«, sagte Rodney Jones vom Quantum Fond. »Dort erhöhte man den Mindestlohn, und jetzt geht es der Textilbranche schlechter. Die Produktion wird nach China verlagert, nach Indonesien, nach Vietnam. Es war gut gemeint, aber es kostet Arbeitsplätze. In fünf Jahren wird es keine Textilbranche in Thailand mehr geben.« ...

Am unteren Ende der globalen Lohnleiter steht ein scheinbar unerschöpflicher Nachschub an neuen Rekruten bereit: Bauern, die ihr trostloses Leben auf dem Land aufgeben, um für Geld in den Fabriken zu arbeiten. Die wachsende Reserve an Arbeitskräften für die Industrie  hat paradoxe Folgen -- Das Wirtschaftswachstum in den armen Ländern hat die Arbeitslosigkeit steigen lassen."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 120f. -- ]


8.3. Niedriglöhne haben wenig mit niedriger Produktivität zu tun


"Dass Niedriglohnarbeiter in rückständigen Ländern unproduktiv waren, stimmte einfach nicht. Oft war es sogar so, dass die billigeren Arbeiter den Arbeitgebern mehr Geld einbrachten als die besser ausgebildeten, die sie ersetzten. Ihre Produktivität war zwar niedriger, aber sie stieg auch sehr schnell -- viel schneller als ihre Löhne. Dafür sorgten oft schon die Regierungen, die ausländisches Kapital ins Land bekommen wollten.

In Mexiko zum Beispiel erreichten die neu eingestellten Arbeiter bei den Automobilherstellern Ford, GM oder VW etwa 50 bis 70 Prozent der Leistungsfähigkeit ihrer Kollegen in den Stammwerken der Unternehmen. Aber ihre Löhne waren nur etwa ein Sechstel oder ein Achtel so hoch. Während der achtziger Jahre und dann wieder während der Finanzkrise Anfang 1995 sorgte die Finanzpolitik der mexikanischen Regierung dafür, dass die Löhne im Inland niedrig blieben. Die Abwertung des Peso sorgte dafür, dass mexikanische Arbeiter für ausländische Arbeitgeber buchstäblich noch einmal so billig wurden.

Harley Shaiken, Wirtschaftswissenschaftler an der University of California, untersuchte die Kfz-Herstellung in Mexiko. Wie die amerikanischen Manager war er von der Leistung der mexikanischen Arbeiter beeindruckt. »Wenn moderne Fertigung mit einem künstlich gedrückten Lohnniveau zusammentrifft, haben die Lohnkosten nichts mehr mit der Produktivität zu tun«, erklärte Shaiken. »In Mexiko ist die Produktivität seit 1980 um 40 Prozent gestiegen, aber die Reallöhne in Pesos sind um 40 Prozent gesunken. In diesem Bereich klafft die Schere sehr weit auseinander.«

Ähnliche Diskrepanzen waren überall auf der Welt üblich, selbst auf den asiatischen Arbeitsmärkten, wo die Löhne erheblich stiegen. Das klassische Beispiel waren Hemden. Amerikanische Textilarbeiter brauchten 14 Minuten menschliche Arbeit, um ein Hemd zu nähen, während der gleiche Vorgang in Bangladesh 25 Minuten erforderte.  Aber in den Vereinigten Staaten lag der Lohn im Durchschnitt bei 7,53 Dollar pro Stunde, während die Arbeiter in Bangladesh nur 25 Cent  verdienten. Dieser Vorteil würde selbst dann nicht verschwinden, wenn man die Löhne in Bangladesh verdoppeln oder verdreifachen würde. Bei Stahl sieht es ähnlich aus: In der amerikanischen Stahlindustrie benötigte man 3,4 Stunden menschliche Arbeit, um eine Tonne Stahl zu produzieren, während in Brasilien 5,8 Stunden erforderlich waren. Aber das Lohnverhältnis lag bei 10 zu 1 -- 13 Dollar pro Stunde im Vergleich zu 1,28 Dollar."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 129f. (dort Nachweise).]


8.4. Zum Beispiel maquiladoras in Mexiko


Abb.: Lage der maquiladoras 
[Vorlage: http://www.corpwatch.org/trac/feature/border/factsheet.html. -- Zugriff am 2001-02-22]

"Americans need go not farther than the Mexican border to get an idea of what it now takes to be globally competitive. The maquiladoras are assembly plants in the free-trade zone on the mexikan side of the border with the United States.The zone has become a powerful magnet, attracting many U.S. companies -- including General Electric, Ford, General Motors, GTE Sylvania, RCA, Westinghouse, and Honeywell -- that are seeking low-cost locations in which to produce for the U.S. market. Growth has been explosive, from 620 maquiladora plants employing 119,550 workers in 1980 to 2,200 factories employing more than 500,000 Mexican workers in 1992. Many festure the most modern high-productivity equipment and technology. Although the productivity of Mexican workers who work in modern plants is comparable to that of U.S. workers, average hourly wages in maquiladora factories are just $1.64 compared with an average manufacturing wage of$16.17 in the United States.

To maintain the kind of conditions transnational corporations prefer, the Mexican government has denied workers the right to form independent labor unions and has held wage increases far below productivity increases. In the summer of 1992, more than 14,000 Mexican workers at a Volkswagen plant turned down a contract negotiated by their government-dominated labor union. The company fired them all, and a Mexican court upheld the company's action. In 1987, in the midst of a bitter two-month strike in Mexiko, Ford Motor Company tore up its union contract, fired 3,400 workers, and cur wages by 45 percent. When the workers rallied around dissident labor leaders, gunmen hired by the official government-dominated union shot workers at random in the factory. ...

Since inverstors are exempted from property taxes on their factories, public infrastructure -- roads, water, housing, and sewage lines -- is grossly inadequate. The workers live in shantytowns that stretch for miles. ...

According to Professor Valdes-Villalva of the Colegio de la Frontera Norte in Juarez:

We have begun to see more fourteen-year olds in the plants. Because of the intensive work it entails, there is a constant burnout. If they've been here three or four years, workers lose efficiency. They begin to have problems with eyesight. They begin to have allergies and kidney problems. They are less productive.

Mexican workers, including children, are heroes of the new economic order in the eyes of corporate libertarians -- sacrificing their health, lives, and futures on the altar of global competition."

[Korten, David C.: When corporations rule the world. -- San Francisco [u.a.] : Berrett-Koehler, ©1995. -- ISBN 1887208011. -- S. 129f. -- ]


8.5. Zum Beispiel Shenzhen, China


Führend in der Menschenverachtung als Folge der Globalisierung ist in gut  stalinistisch-maoistischer Tradition das kommunistische China:

"Indonesien war nicht der schlimmste Fall. China ging bei der Unterdrückung der Arbeitnehmer weitaus systematischer und brutaler vor. Im Gegensatz zu Indonesien hatte das Land für Proteste anderer Länder nur unverhohlene Geringschätzung übrig. Es war durchaus denkbar, dass die indonesische Gesellschaft dem einzelnen mehr Rechte zugestehen oder nach dem Tod Suhartos ein Machtkampf ausbrechen würde, der den Reformern mehr Freiraum lässt. Aber in China war das System so mächtig -- und auf seine Weise genial --, dass es sehr viel schwieriger war, sich eine allmähliche Verbesserung vorzustellen. Genau wie Indonesien unterdrückte die chinesische Staatsmacht die Freiheit des einzelnen vor allem deshalb, um ihre politische Position zu schützen. Aber man musste eingestehen, dass das System als kaltblütige Wirtschaftsmaschine hervorragend funktionierte.

Abb.: Lage von Shenzhen

In Shenzhen an der südchinesischen Küste war praktisch über Nacht eine riesige neue Industriestadt aus dem Boden gestampft worden. Die neuen Fabriken und Hotels fingen genau vor der Grenzbrücke nach Hongkong an und erstreckten sich kilometerweit ins Landesinnere, nicht Dutzende neuer Fabriken, sondern Hunderte -- eintönig graue Betongebäude mit großen roten Reklametafeln auf dem Dach, auf denen in chinesischen Schriftzeichen für Spielzeug, Leder, Hemden, Halbleiter, Fernseher usw. geworben wurde. Vor zehn Jahren war Shenzhen noch eine Grenzstadt mit 300000 Einwohnern gewesen, jetzt lebten hier fast drei Millionen, und immer noch kamen mehr Menschen dazu. Ich musste an Chicago denken, das um 1840 mitten in der Prärie von Illinois gebaut worden war, und an die Landentwickler in Kalifornien, die die Wüste mit den riesigen Siedlungen der Vorstädte überzogen hatten. Shenzhen war genauso spektakulär.

Abb.: Shenzhen

Als Modell für kontrolliertes Wachstum übertraf Shenzhen die anderen Boomstädte Asiens. Im Gegensatz zu Jakarta oder Bangkok gab es keine wild wuchernden Slums neben den Fabriken, keine Ansammlungen verwahrloster Hütten, in denen verzweifelte Wanderarbeiter vom Land hausten. Die Arbeiter von Shenzhen lebten vorwiegend in den firmeneigenen Wohnheimen, die in der Regel an die Fabrik angebaut waren und deren Ein- und Ausgänge von den uniformierten Wachen kontrolliert wurden. Die Stadt hatte sogar einen Disney-ähnlichen Vergnügungspark, der »Fenster zur Welt« hieß und Miniaturausgaben berühmter Bauwerke enthielt wie etwa des Eiffelturms (allerdings war der Eintritt so teuer, dass sich ein gewöhnlicher Arbeiter den Besuch dort gar nicht leisten konnte).

Die Stadtplaner von Shenzhen hatten die Exzesse einer schnellen urbanen Entwicklung verhindern können, weil sie gleichzeitig auch die Menschen kontrollierten. Angeblich waren 100 Millionen bäuerliche Wanderarbeiter in den Provinzen Chinas unterwegs, um nach Arbeit zu suchen, aber in das Industriegebiet von Shenzhen kam niemand ohne einen besonderen Ausweis -- das Hukou-Systern, das die Bewegungen der Menschen in China kontrollierte. ... ein Chinese, der nicht den richtigen Hukou hatte, wurde weggebracht oder verhaftet. ... Das Hukou-Systern hat in den letzten Jahren einige Löcher bekommen, was auf das starke Wirtschaftswachstum des Landes zurückzuführen ist, aber es funktionierte immer noch. ... »Man muss eine Genehmigung haben, um hier zu wohnen, andernfalls kann es passieren, dass man vom Büro für öffentliche Sicherheit verhaftet wird«, sagte Chen. »Dann wird man ins Gefängnis gebracht, und wenn man keine Verwandten hat, die einen auf Kaution herausholen, muss man ein halbes Jahr ins Arbeitslager. ...« ...

Das System sorgte nicht nur für ein ordnungsgemäßes Bevölkerungswachstum, sondern hatte darüber hinaus den Vorteil, dass die Menschen genau überwacht werden konnten und jederzeit mit Strafmaßnahmen zu rechnen hatten. Die jungen Mädchen, die aus den Wohnheimen der Bekleidungsfabrik kamen -- ohne Ausnahme Wanderarbeiterinnen aus ärmeren, ländlichen Provinzen --, mussten den Wachen am Tor ihre Papiere zeigen. Einige Arbeitgeber sammelten sogar die Ausweise ihrer Arbeiter ein, um deren Bewegungsfreiheit einzuschränken. Leung erklärte, dass mehr als 70 Prozent der Arbeiter im Industriegebiet von Shenzhen nur vorübergehend hier wohnten: Wenn sie ihren Arbeitsplatz verloren, mussten sie wieder in ihre Dörfer auf dem Land zurückgehen. Und wenn ein Außenseiter versuchen würde, die Arbeiter zur Gründung einer Gewerkschaft zu überreden, wäre er natürlich genauso verwundbar.

Aber das erstaunlichste an Shenzhen und Chinas anderen florierenden Industriegebieten war die Tatsache, dass die Menschen trotz der strikten Kontrolle seitens des Staates versuchten ihre Meinung zu sagen. Selbst offizielle Statistiken räumten ein, dass die wilden Streiks, bei denen bessere Arbeitsbedingungen und Löhne gefordert wurden, seit den neunziger Jahren erheblich zugenommen hatten: In Shenzhen hatte es allein 1993 etwa 260 Streiks und Arbeitsniederlegungen gegeben (allerdings dürften es in Wirklichkeit sehr viel mehr gewesen sein). »Da es keine unabhängigen Gewerkschaften gibt, haben die Arbeiter in den Industriegebieten der Exportfertigung eigene Arbeitskampfmaßnahmen organisiert«, hieß es in Leungs Bericht über die Industriegebiete. »Auf diese Initiativen wurde jedoch mit brutaler Unterdrückung durch den Staat reagiert, oft in Zusammenarbeit mit der offiziellen Gewerkschaft, der All-Chinese Federation of Trade Unions.« ...

Im März 1994 organisierten 3000 Arbeiter in Shenzhen einen dreitägigen Streik in der taiwanesischen Schuhfabrik Yung-feng, mit dem sie gegen Lohnkürzungen und Misshandlungen protestierten. Schließlich schaltete sich das Shenzhen Labor Bureau ein und handelte einen Vergleich aus, aber, wie Leung berichtete, »kein Vertreter der Arbeiter nahm an den Verhandlungen teil, da sich aus Angst vor Schikanen keiner dazu bereit fand«.

Im Industriegebiet von Zhuhai wurden Hunderte von Arbeitern gefeuert, nachdem sie in der Schuhfabrik Weiwang Data gestreikt hatten, die einem Unternehmen aus Hongkong gehörte. Das gleiche passierte in der Spielwarenfabrik Apollo, als 1000 Arbeiter die Frechheit besaßen, einen Sitzstreik in einer Fabrik zu veranstalten, die im Besitz der chinesischen Volksbefreiungsarmee war. Warum war jemand so töricht und ging ein solches Risiko ein?

Weil, berichtete Leung, »die Ausbeutung der Arbeitskräfte und deren Unterdrückung in den letzten 15 Jahren erheblich schlimmer geworden ist. Lange Arbeitszeiten, unzumutbare Lohnkürzungen und Löhne, schlechte Lebensbedingungen, willkürliche Entlassungen, ein barscher Umgangston und Misshandlungen der Arbeiter sind die häufigsten Probleme.« ...

Paradoxerweise wurden die chinesischen Unternehmen selbst von den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in den südchinesischen Industriegebieten wie Shenzhen in Mitleidenschaft gezogen. In der Regel gaben sie dem  »Auslandskapital« die Schuld an den Missständen in den Fabriken.. Anita Chan, Professorin für asiatische Studien an der Australian National University in Canberra, berichtete: »Alle etwa 23 Schuhfabriken in Peking und Schanghai, die ich untersucht habe, waren der Meinung, dass sie im Wettbewerb mit dem Süden benachteiligt seien. Sie beschwerten sich über den unfairen Wettbewerb: 'Sie beuten die Arbeiter aus, deshalb sind ihre Schuhe so billig, und deshalb können sie sich auch auf unserem Markt im Norden breitmachen.' Ich will damit nicht sagen, dass die Fabriken, die ich im Norden besucht habe, ihre Arbeiter nicht ausbeuten, insbesondere Wanderarbeiter, die keine Erlaubnis haben, in den Städten zu wohnen. [ ... ] Manager, Regierungsvertreter und Gewerkschaftskader erwähnen diese Praktiken eher beiläufig, als würde es sich dabei um ganz normale betriebswirtschaftliche Praktiken handeln. [Aber] es gibt normale Ausbeutung, und es gibt AUSBEUTUNG. Es kommt auf den Grad der Ausbeutung an.« 

Genau wie die Elite ... in Indonesien hat sich auch das in China herrschende Regime ein eigenes System geschaffen, um mit der Ausbeutung der Arbeitskräfte Gewinn machen zu können. Die meisten Arbeiter wurden über eine offizielle Stelle des Shenzhen Labor Bureau an die Fabriken vermittelt -- eine Art staatliche Arbeitsvermittlung, die Wanderarbeiter aus den ländlichen Gebieten rekrutierte und diese auf Arbeitsplätze mit befristeten Arbeitsverträgen vermittelte. Die Agentur bekam von den ausländischen Arbeitgebern einen Pauschalbetrag pro Arbeiter, der aus dem Lohn, Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen sowie einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 15 Prozent bestand. Das Labor Bureau tauschte die Zahlungen der Unternehmen zum höheren offiziellen Wechselkurs in Renminbi um, gab den Unternehmen 70 Prozent der gezahlten Summe wieder zurück -- und steckte die Differenz in die eigene Tasche. Für die Arbeitsvermittler bestand daher ein Anreiz, für eine hohe Fluktuation bei den Arbeitskräften zu sorgen -- mehr Verträge für »Zeitarbeiter« bedeuteten höhere Verwaltungsgebühren -- und die Ausgaben für die sozialen Leistungen niedrig zu halten.

Die jungen Arbeiter waren »Wegwerfware«, da Chinas riesiger und ständig steigender Arbeitskräfteüberschuss -- mehr als 100 Millionen ehemalige Bauern, die nach Lohnarbeit suchten -- zu dieser Art von Ausbeutung geradezu aufforderte. Wenn sich jemand beklagte, wurde er in sein Dorf zurückgeschickt (oder ins Gefängnis geworfen) und durch den nächsten ersetzt. Das politische Paradox war geradezu erstaunlich: Das letzte große Land, das noch die rote Fahne des Marxismus führte, bot ausländischen Kapitalisten seine bitterarme Bevölkerung als billige Wirtschaftsware an -- die »Reservearmee der Arbeitslosen«, von der Karl Marx gesprochen hatte, allerdings in erheblich größerem Maßstab.

»Die Menschen suchen verzweifelt nach Arbeit«, erklärte Trini Leung. »Das ist das schwarze Loch für die Arbeiter diese vielen, vielen Menschen, die sagen, dass sie zu jeden Bedingungen arbeiten. Deshalb müssen wir über einen internationalen Standard für die Rechte der Arbeitnehmer reden, und deshalb versuchen wir einen fairen Wettbewerb unter den Arbeitern zu schaffen. Aber letzten Endes geht es darum, ob das Kapital auch in Zukunft die Möglichkeit haben wird, die Bauern auszubeuten, die alles tun, um arbeiten zu können.«"

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 729 - 735.]

1994 beschrieb Business Week Folgen für die Arbeiter in den globalisierten Betrieben des "kommunistischen" China:

"In foreign-funded factories, which employ about 6 million Chinese in the coastal provinces, accidents abound. In some factories, workers are chastised, beaten, strip-searched, and even forbidden to use the bathroom during work hours. At a foreign-owned company in the Fujian province city of Ziamen, 40 workers -- ore one tenth of the work force -- have had their fingers crushed by obsolete machines. According to official reports, there were 45,000 industrial accidents in Guangdong last year, claiming more than 8,700 lives ... Last month ... 76 workers died in a Guangdong factory accident."

[Zitiert in: Korten, David C.: When corporations rule the world. -- San Francisco [u.a.] : Berrett-Koehler, ©1995. -- ISBN 1887208011. -- S. 231.]


8.6. Zum Beispiel der Spielzeugfabrikbrand in Bangkok, Thailand


1993 brannte eine Spielwarenfabrik (Kader) bei Bangkok, Thailand. Infolge Missachtung sämtlicher Sicherheitsvorschriften sind bei diesem Brand mindestens 174 Arbeiterinnen und 14 Arbeiter umgekommen:

"Sucht man den größeren Zusammenhang, lässt sich die Tragödie nicht allein durch das arrogante Machtgebaren einer reichen Familie oder die schwer fassbare Verflechtung von Unternehmen erklären. Das Feuer bei Kader war von der freien Marktwirtschaft selbst angeordnet und organisiert worden. Die Spielwarenindustrie -- ähnlich wie Textil- und Bekleidungsindustrie, Schuhe, Elektronikmontage und andere Niedriglohnsektoren -- existierte (und florierte) dadurch, dass sie den verzweifelten Wettbewerb der armen Länder untereinander ausnutzte. Die Fabriken dieser Wirtschaftszweige wurden ständig in andere Länder verlagert, in denen die Löhne noch niedriger und die Regierungen noch toleranter waren und die Missstände übersahen. Die Vergabe von einzelnen Aufträgen an ausländische Unternehmen, darunter auch Tausende kleiner, ausbeuterischer Betriebe, fügte sich nahtlos in das System der weltweit verteilten Produktion der großen Markenhersteller ein und befreite die Kapitalbesitzer von persönlicher Verantwortung. In diesen Wirtschaftszweigen war das von einigen Wirtschaftsfuturisten gefeierte »virtuelle Unternehmen« bereits zur Realität geworden, das vom modernen Fertigungssektor -- Autos, Flugzeuge, Computer -- gerade in einigen Teilen kopiert wurde.

In der letzten Generation waren die Spielwarenhersteller und andere Unternehmen auf der Suche nach den günstigsten Bedingungen quer durch Asien gezogen: von Hongkong, Korea und Taiwan nach Thailand und Indonesien, dann nach China, Vietnam und Bangladesch, als nächstes vielleicht nach Burma, Nepal oder Kambodscha. Da die Welt einen so gut wie unerschöpflichen Vorrat an armen Menschen und willigen Regierungen besaß, würde der Markt die Suche nach den niedrigsten Löhnen wohl fortsetzen. Niemand wusste, in welchem Land der Tiefpunkt erreicht werden würde. Die Lage wurde für die Industrie nicht besser, wie dies die traditionelle Markttheorie den Verbrauchern glauben machen wollte, sondern verschlechterte sich für viele Wirtschaftszweige sogar ganz erheblich. In den Vereinigten Staaten wurde die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Vietnam als politischer Erfolg gefeiert. Für Südostasien bedeutete dies, dass sich Löhne und Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern würden.

Ein Land wie Thailand steckte in der Zwickmühle: Wenn es versuchte, die Bedingungen zu verbessern, würde es dafür einen hohen Preis zahlen müssen. Als die thailändischen Gewerkschaften auf eine Anhebung der Mindestlöhne drängten, wurden immer mehr Textilfabriken nach Vietnam und in andere Länder verlagert, oder die Unternehmen importierten billigere »Gastarbeiter« aus Burma. Als China seine schnell wachsenden Industriegebiete in Shenzhen, Dongguan und anderen Städten in Betrieb nahm, hatte die neue Konkurrenz direkte Folgen für die Fabriken in Bangkok.

Angaben von ICFTU zufolge hatte Kader zwei neue Fabriken in Shekou und Dongguan gebaut, wo Jugendliche sieben Tage in der Woche und vierzehn Stunden pro Tag an den Weihnachtsaufträgen für Mickey Mouse und andere amerikanische Puppen arbeiteten. Warum sollte sich ein Unternehmen Gedanken machen über Sprinklersysteme oder Feuertreppen für eine staubige Fabrik in Bangkok, wenn es in China neue Arbeiter für nur 20 Dollar pro Monat einstellen konnte, ein Fünftel der Lohnkosten in Thailand?

Der Bericht der ICFTU erläuterte die Kräfte des Markte »Die niedrigeren Produktionskosten für Spielzeug in China verändern das Investitionsklima in Ländern wie Thailand. Thailand konkurriert mit China um Investitionskapital für die Spielzeugproduktion im Land. Aufgrund dieser Entwicklung ist Thailand bei der Durchsetzung seiner Gesetze bedauerlicherweise sehr nachlässig geworden. Das Land ignoriert Verstöße gegen Sicherheitsstandards, so dass Fabrikbesitzer sämtliche Arbeitsschutzbestimmungen missachten können. Nachdem China als Konkurrent aufgetreten ist, haben sich die Arbeitsunfälle in Thailand fast verdreifacht.«

Der thailändische Wirtschaftsminister Sanan Kachornprasart beschrieb die Realität des Marktes überaus treffend mit folgenden Worten: »Wer wird hier noch investieren wollen, wenn wir sie bestrafen?« Die thailändischen Behörden erhoben später Anklage gegen drei Werksleiter von Kader, gegen das Unternehmen selbst oder die Familie Chearavanont wurde selbstverständlich nicht vorgegangen. ...

Der Brand in Bangkok machte deutlich, wie amoralisch der Markt wird, wenn er von sozialen Verpflichtungen befreit wird. Darüber hinaus verhöhnte die Tragödie die moralischen Ansprüche dreier großer Religionen, von denen jeweils zahlreiche Anhänger betroffen waren. Die Thailänder bauten prächtige goldene Tempel, um Buddha zu ehren, der sie gelehrt hatte, das Geistige über das Materielle zu stellen. Die Chinesen gaben vor, ein hochstehendes Wertesystem zu pflegen, das Achtung vor der Familie und der Gemeinschaft vorschrieb und aus den Lehren des Konfuzius entwickelt worden war. Die Amerikaner kauften das Spielzeug aus Asien, um die Geburt von Jesus Christus zu feiern. Ihre gemeinsame Mitschuld war ein weiteres Beispiel für die sonderbare Verbindung von unterschiedlichen Ländern und Kulturen, die von der globalen Wirtschaft ausgelöst worden war."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 619ff.]


8.7. Globales Lohndumping verzögert die Bildung von Massenkaufkraft


Das "Hüpfen" von Niedriglohnland zu Niedriglohnland verzögert den Aufbau von Massenkaufkraft, die eine Vorbedingung für langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand einer modernen Gesellschaft ist:

"Die grundlegende Beziehung zwischen steigenden Löhnen und der Entwicklung der Wirtschaft wurde vor 35 Jahren von Walter Reuther formuliert, dem Vorsitzenden der amerikanischen Gewerkschaft United Auto Workers. Als Reuther bei einem Aufenthalt in Japan ein neues Werk von Nissan besichtigte und dabei den Parkplatz sah, auf dem in langen Reihen die Fahrräder der Arbeiter standen, sagte er zu den Nissan-Managern: »Mit Fahrradlöhnen werden Sie aber keine Autowirtschaft aufbauen können.« Henry Ford machte 1913 das gleiche deutlich, als er den revolutionären Beschluss fasste, seinen Fabrikarbeitern fünf Dollar am Tag zu zahlen. Ford begründete dies damit, dass die Massenfertigung nicht überleben könne, wenn die Arbeiter kein Geld hätten, um die Waren zu kaufen, die von ihnen produziert würden.'

Das globale System arbeitet zur Zeit nach dem umgekehrten Prinzip. Die multinationalen Unternehmen »sahnen« in den armen Ländern dieser Welt ab, sie nutzen die in Zusammenarbeit mit den herrschenden Eliten billigen »Wegwerfarbeitskräfte« aus. Sie profitieren von dem Kostenvorteil, bis die Löhne steigen. Dann wandern sie weiter ins nächste, noch ärmere Land und wiederholen das Ganze dort. Von moralischen Einwänden einmal abgesehen, macht dieser Prozess steigende Löhne und einen größeren Konsum unmöglich, während er gleichzeitig die lokalen Eliten und die globalen Produzenten bereichert.

Eine Arbeiterin in einer indonesischen Schuhfabrik zum Beispiel müsste drei oder vier Monate arbeiten, um sich ein Paar jener Turnschuhe kaufen zu können, die sie herstellt (obwohl sie natürlich nie in der Lage wäre, ihren Lohn für einen solchen Luxus zu sparen). In der Regel wohnt sie in einem firmeneigenen Wohnheim mit großen Schlafsälen oder in einer Siedlung mit bambusgedeckten Hütten in der Nähe der Fabrik, wo sie sich eine winzige Fläche mit fünf oder sechs anderen Arbeiterinnen teilen muss, die in Schichten auf den harten Pritschen schlafen. Das System produziert groteske Vergleiche zwischen großem Reichtum und großer Armut. Von Nike, dem bekannten Schuhproduzenten, wird behauptet, dass es dem amerikanischen Basketballstar Michael Jordan in einem Jahr mehr an Werbehonoraren gezahlt habe, als sämtliche Arbeiter in der indonesischen Schuhindustrie verdient hätten -- die 25 000 Arbeiter und Arbeiterinnen, die Schuhe für Nike, Reebok, L. A. Gear, Adidas und andere berühmte Marken herstellten.

Aus wirtschaftlicher Sicht schränkt die Unterdrückung der Arbeitskräfte Wachstum und Gewinne ein. Aus sozialer Sicht legt sie die Saat für blutige Auseinandersetzungen."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 703f.]


8.8. Gobalisierung vermindert brain drain


Die Globalisierung des Arbeitsmarktes hat auch die Folge, dass die Abwanderung hochqualifizierter Personen (brain drain), die auf Kosten des Heimatstaates eine gute Ausbildung erhalten hatten, in die USA und andere Länder voraussichtlich ziemlich gestoppt wird:

"»Es gibt viele hervorragende Ingenieure in China, aber nicht sehr viele Stellen für sie«, sagte Yuri Momomoto von Fujitsu. »Daher bauen wir jetzt Software-Center in Peking und Fujian auf.« ...

»In Asien sind Ingenieure eindeutig billiger«, sagte Richard W. Heimlich, Vice President der Abteilung Internationale Strategie bei Motorola, bevor er nach Singapur ging, um den Unternehmensbereich Südostasien zu übernehmen. »Wir haben ein Software-Zentrum in Bangalore in Indien, aber das ist noch nicht alles. Mit den neuen Software-Technologien wird alles noch flexibler.«"

Abb.: Ein Software-Zentrum in Bangalore, Indien

[Zitiert in: Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 127.]


8.9. Globalisierter Arbeitsmarkt und wir


Auch für die Arbeitnehmer der entwickelten Länder hat die Globalisierung des Arbeitsmarkts die Konsequenz, dass wir uns endlich darüber klar werden müssen, dass eine Entwicklung der Welt, bei der die reichen Länder immer reicher und die armen Länder immer ärmer werden, auf die Dauer zu einer explosiven Weltsituation führen muss:

Rodney Jones, ein Finanzmarktanalyst, drückte das drastisch so aus:

"»Wo steht geschrieben, dass ein Weißer in Großbritannien ein Recht darauf hat, 15 Dollar in der Stunde zu verdienen und fünf Wochen Urlaub zu bekommen, während ein Asiate für drei Dollar am Tag arbeiten soll?« fragte Jones. »Welchen Unterschied gibt es zwischen einem ungelernten Arbeiter in Deutschland und einem ungelernten Arbeiter in Indien? Eigentlich keinen sehr großen. Die asiatischen Arbeiter sind heute Teil der Weltwirtschaft, und der Westen wird sich eben mit dieser Tatsache abfinden müssen.«"

[Zitiert in: Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 111.]


8.10. Welthandel und Ethik


"Die Bedingungen für den Welthandel werden in der Regel als Vereinbarungen der Wirtschaft angesehen, aber indirekt kommen dadurch auch moralische Werte zum Ausdruck. Zur Zeit schätzt das globale System Eigentum höher ein als das menschliche Leben. Wenn ein Land wie China Eigentumsrechte verletzt, indem es Urheberrechte missachtet und Filme oder Technologien kopiert, greifen andere Regierungen ein, um dem Einhalt zu gebieten. und sie sind auch bereit, Sanktionen und Strafzölle zu verhängen. Aber wenn menschliches Leben in den »Satansmühlen« gestohlen wird, hat dies für Länder keinerlei Folgen, da es nach Ansicht der freien Marktwirtschaft kein Verbrechen gegeben hat."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 646.]


8.11. Die treibende Kraft: unsere Gier


Was ist die treibende Kraft hinter einem sozial nicht abgesicherten globalen Arbeitsmarkt?


9. Lösungsmöglichkeiten


9.1. Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe


In den meisten Entwicklungsländern wurde nach ihrer Unabhängigkeit in den sechziger Jahren der Schwerpunkt der Entwicklungsarbeit auf industrielles Wachstum und Einkommensverbesserungen der städtischen Bevölkerung gesetzt. 

Mittel der damaligen Entwicklungshilfe waren z.B. Landreformen, Pachtreformen und Kreditprogramme, die die wirklich armen Menschen auf dem Land gar nicht erreicht haben. [Jahrbuch Dritte Welt 1999 : Daten, Übersichten, Analysen  / hrsg. von Joachim Betz, Stefan Brüne. -- München : Beck, 1998. -- (Beck´sche Reihe ; 1267). -- ISBN 3406420672. -- S. 15ff. -- ]

Man hoffte, dass sich die wirtschaftlichen Verbesserungen in den Städten auch auf die ländliche Gegenden auswirken würden.

Nur sehr wenige Länder haben es geschafft, dass Durchschnittseinkommen ihrer Bevölkerung zu steigern, bei einem Viertel aller Länder aber ist der Lebensstandard gesunken. 

[Zu obigem vgl. Grupp, Claus D.: Welt im Wandel : brauchen Entwicklungsländer unsere Hilfe?. -- Köln : Omnia, 1992. -- (Informationen zur Meinungsbildung ; Reihe A). -- ISBN 3893440151. -- S. 32ff.]

Aus dem Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 1990 kann man entnehmen, dass die bisher eingesetzte Entwicklungshilfe das Ziel der Armutsbekämpfung aufgrund von inkonsequenter Zielorientierung verfehlt hat. [Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler -- Bonn : Dietz. -- Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- ISBN 3801202011. -- S. 165f. -- ] 

Heute wird bei der Entwicklungshilfe mehr Wert auf die ländliche Entwicklung gesetzt und nicht wie bisher auf einen Ausbau der Industrie.

Wichtigstes Ziel sollte sein, dass es allen Menschen in allen Regionen möglich ist für ihren Lebensunterhalt und das Nötigste in ihrem Leben, wie Nahrung, Trinkwasser, Wohnung, Kleidung, Energie, Bildung, Gesundheitsfürsorge und Beschäftigung selbst zu sorgen. 

Entwicklungsstrategien, die zum Beispiel stärker auf die Förderung des produzierenden Kleingewerbes abzielen, können wesentlich schneller, effektiver und mit weit geringerem Kapitalaufwand als bei industriellen Großprojekten zur Verbesserung der Situation der ärmsten Bevölkerungsgruppen beitragen. [Vgl. Meyer, G. : Der informelle Wirtschaftssektor als Möglichkeit zur Überwindung der Armut in der Dritten Welt : das Beispiel des produzierenden Kleingewerbes in Kairo. -- In: Armut und Armutsbekämpfung in der Dritten Welt / hrsg. von Erdmann Gormsen. -- Mainz : Universität, 1990. -- Veröffentlichungen / Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Interdisziplinärer Arbeitskreis Dritte Welt ; 4). -- ISBN 392758102X. -- S. 121]

Ziele der Entwicklungspolitik könnten sein :

[Vgl. Jahrbuch Dritte Welt 1999 : Daten, Übersichten, Analysen  / hrsg. von Joachim Betz, Stefan Brüne. -- München : Beck, 1998. -- ( Beck´sche Reihe ; 1267). -- ISBN 3406420672. -- S. 15ff. -- ]


9.2. Solidarität im globalen Dorf


Wenn man bedenkt, dass im Zusammenhang mit der Globalisierung unser aller Gier mit ein Grund für Menschenverachtung ist, gibt es noch weitere "Lösungsmöglichkeiten", an denen wir alle aktiv mitarbeiten können:

William Greider schreibt im Zusammenhang mit dem verheerenden Brand  1993 in einer Spielwarenfabrik bei Bangkok, Thailand, bei dem infolge Missachtung sämtlicher Sicherheitsvorschriften mindestens 174 Arbeiterinnen umgekommen sind:

"Für die Amerikaner hätte der Brand in Bangkok vielleicht mehr Bedeutung gewonnen, wenn sie die unzähligen rußverschmierten Puppen zwischen den Trümmern gesehen hätten -- makabrer Abfall, der zwischen den Toten herumlag. Bugs Bunny, Bart Simpson und die Muppets. Big Bird und andere Puppen aus der Sesamstraße. In den ersten Meldungen stand nichts davon, dass die Fabrik in Thailand die meisten Spielzeugwaren für amerikanische Unternehmen produzierte Toys 'R' Us, Fisher-Price, Hasbro, Tyco, Arco, Kenner, Gund und J. C. Penney -- sowie Stoffpuppen, Hausschuhe und Souvenirs für Europa.

Die globalisierte Kultur hat eine sonderbare Beschränktheit im Charakter der Amerikaner aufgedeckt: Sie beschäftigten sich geradezu besessen mit der Sicherheit ihrer Kinder, und die US-Regierung schreibt bis ins kleinste Detail vor, wie Spielzeug auszusehen hat, damit sich die Kinder nicht verletzen. Aber weder die US-Bevölkerung noch ihre Regierung interessieren sich dafür, welche brutalen und gefährlichen Bedingungen den Menschen aufgezwungen werden, die dieses Spielzeug herstellen und von denen viele selbst noch halbe Kinder sind. Sowohl in Washington als auch in Bangkok wurde davon ausgegangen, dass es keine soziale Verpflichtung gab, die die Verbraucher mit den Arbeitern in diesen Fabriken verband -- zumindest keine, die von einer Regierung durchgesetzt werden konnte, ohne den Freihandel zu stören."

"Der Brand in der Spielzeugfabrik in Bangkok war ein krasses Beispiel dafür, welche Formen die Ausbeutung der Menschen im globalen System annehmen konnte, wie etwa Kinderarbeit in der Fertigungsindustrie oder Zwangsarbeitslager in China oder Burma. Dieses Thema war kein gut gehütetes Geheimnis. Das US-Fernsehen hat ausgiebig über die »Satansmühlen« berichtet. Lynn Sherr vom Sender ABC brachte einen ausgezeichneten Bericht zum Brand bei Kader, CNN zeigte erschütternde Bilder von der Katastrophe. Mike Wallace von CBS dokumentierte, wie Gefängnisinsassen in China als Arbeitskräfte ausgebeutet werden, NBC berichtete über die furchtbaren Arbeitsbedingungen in der Produktion von Wal-Mart in Bangladesch. CBS untersuchte die Verhältnisse in den Schuhfabriken von Indonesien.

Verblüffend an den modernen Kommunikationsmöglichkeiten war, dass uns in Sekundenschnelle Bilder aus den entlegensten Teilen der Welt erreichten, es diesen Bildern bis jetzt aber nicht gelungen ist, eine echte Gemeinschaft mit den Menschen dort zu schaffen. Das »globale Dorf« war lediglich ein Bild im Fernseher."

[Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- S. 607f., 613f.]

Die Folgerung für uns Bewohner eines globalen Dorfes sieht Greider so:

"Wenn Thailand oder China keine globalen Sozialstandards einführen wollen, zwingt sie niemand dazu, ihr Spielzeug an die Vereinigten Staaten zu verkaufen. Und den Amerikanern schreibt niemand vor, dieses Spielzeug zu kaufen. Wenn Singapur nicht mit Grundrechten für Frauen einverstanden ist, dann sollten Frauen in Amerika oder Europa Singapur boykottieren -- und die multinationalen Unternehmen, die von der Unterordnung der Frauen profitieren. Wenn es den Menschen nicht gelingt, diese Werte im globalen Handel zu verankern, werden sie mit der Zeit immer mehr abstumpfen." [Greider, a.a.O., S. 642]

10. Zusammenfassung


Was ich aus meinen Recherchen herauslesen konnte, ist das am Elend in der Dritten Welt nicht nur die Wirtschaft allein verantwortlich ist. Eine große Rolle spielen auch die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe in einem Land. In den meisten dieser Länder haben Frauen und auch Kinder sehr wenig Rechte und aufgrund ihrer Stellung auch nicht die Möglichkeit gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. 

Das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen und der miserablen Beschäftigungssituation hat vielfältige Gründe, die irgendwie alle miteinander verflochten zu sein scheinen. 
Nicht nur das starke Bevölkerungswachstum fördert Arbeitslosigkeit in Entwicklungsländern, auch Naturkatastrophen, die fruchtbares Land zerstören, schlechte Wirtschaftsbedingungen und geringe Absatz- und Investitionsquoten und auch ein niedriges Bildungsniveau tragen zu Unterbeschäftigung und Armut bei. Und man darf dabei auch wieder die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wie die geographische Lage, Religion und Mentalität und den geschichtlichen Hintergrund, wie Nachwirkungen aus der Kolonialzeit, Kriege oder politische Fehlentscheidungen der Regierungen, wie z.B. unterlassene Agrarreformen oder Behinderung von Privatinitiativen in den einzelnen Ländern nicht vergessen, die unter anderem auch zur heutigen Situation dieser Länder beigetragen haben.

Die Menschen ziehen, um ihr Überleben zu sichern und in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz, in die Metropolen, wobei auch dort die Situation kaum anders ist als auf dem Land. Hier blüht der informelle Sektor und er ist längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden der nicht mehr wegzudenken ist.

Die großen Städte können den Zustrom von Menschen nicht aufnehmen und es bilden sich Elendsviertel und Randsiedlungen. 

Es kommt zu einer Verlagerung arbeitsintensiver Produktionen in jene unheilvollen Unternehmen, in denen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltvorschriften der Metropolen umgangen werden können. 

Der Profit kommt aus einer möglichst langen Tagesnutzung der Arbeitskraft zu möglichst niedrigem Lohn, nirgendwoher sonst. [Vgl. Maquilas -- Arbeit in Lateinamerika : ausgewählte Literatur. -- In:  Blätter des Informationszentrums 3. Welt.  -- Ausgabe 223 (August 1997). -- S. 29. -- ISSN 0933-7733]


11. Weiterführende Ressourcen



11.2. Organisationen


ILO -- International Labour Organization. -- URL:http://www.ilo.org/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- [Mandat der ILO: "The International Labour Organization is the UN specialized agency which seeks the promotion of social justice and internationally recognized human and labour rights. It was founded in 1919 and is the only surviving major creation of the Treaty of Versailles which brought the League of Nations into being and it became the first specialized agency of the UN in 1946. The ILO formulates international labour standards in the form of Conventions and Recommendations setting minimum standards of basic labour rights: freedom of association, the right to organize, collective bargaining, abolition of forced labour, equality of opportunity and treatment, and other standards regulating conditions across the entire spectrum of work related issues. It provides technical assistance primarily in the fields of vocational training and vocational rehabilitation; employment policy; labour administration; labour law and industrial relations; working conditions; management development; cooperatives; social security; labour statistics and occupational safety and health. It promotes the development of independent employers' and workers' organizations and provides training and advisory services to those organizations. Within the UN system, the ILO has a unique tripartite structure with workers and employers participating as equal partners with governments in the work of its governing organs."]

World Trade Organization -- WTO. -- URL: http://www.wto.org/. -- Zugriff am 2001-02-22

Unicef -- United Nations children's fund. -- URL:http://www.unicef.org/. -- Zugriff am 2001-02-22

Women Watch : The UN Internet Gateway on the Advancement and Empowerment of Women. -- URL: http://www.un.org/womenwatch/. -- Zugriff am 2001-02-22

Global march against child labour. -- URL: http://www.globalmarch.org. -- Zugriff am 2001-02-22


11.3. Gewerkschaftsorganisationen  und gewerkschaftsnahe Organisationen [Auswahl]


Central Única dos Trabalhadores (Brasil). -- URL: http://www.cut.org.br/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- [Gegründet 1983]

The Commonwealth Trade Union Council (CTUC). -- URL: http://www.commonwealthtuc.org/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["The Commonwealth Trade Union Council links trade union national centres, representing over 30 million trade union members, throughout the Commonwealth."]

The Commonwealth Trade Union Council (CTUC) -- The Caribbean Project. -- URL: http://www.ctuc-caribbean.org/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- [" The Caribbean Project works in partnership with trade union organisations in the Commonwealth Caribbean."]

Congress of South African Trade Unions. -- URL: http://www.cosatu.org.za/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["The Congress of South African Trade Unions was founded in 1985. Since then COSATU has been in the forefront of the struggle for democracy and workers' rights.  COSATU is a partner in the Tripartite Alliance together with the African National Congress and the South African Communist Party."]

Escuela Nacional Sindical (Colombia). -- URL: http://www.ens.org.co/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["La ESCUELA NACIONAL SINDICAL - ENS- es una organización no gubernamental, establecida legalmente como Corporación sin ánimo de lucro. Somos una entidad de educación, promoción, asesoría e investigación que contribuye a que trabajadores y trabajadoras, organizados colectivamente y como líderes individuales, se asuman como ciudadanos y actores sociales protagónicos en los procesos democráticos del país."]

Federation of Unions of South Africa. -- URL: http://www.fedusa.org.za/fedusa.html. -- Zugriff am 2001-02-22

Friedrich-Ebert Stiftung. -- URL: http://www.fes.de/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["Die Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Internationaler Dialog, Politische Bildung, wirtschafts- und sozialpolitische sowie historische Forschung und Studienförderung."]

General Federation of Nepalese Trade Unions -- GEFONT. -- URL: http://www.geocities.com/CapitolHill/8535/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["General Federation of Nepalese Trade Unions (GEFONT) is a confederation of 16 National Federations dedicated for the rights, welfare and dignity of the workers as a whole. It works as a general platform of labourers which is progressive in character. The History of Nepalese Trade unionism goes back to 1947. The formation of the All Nepal Trade Union Congress (ANTUC), rorganised in 1950, was the first trade union federation in Nepal. This federation could not exist after 1960, when the autocratic panchayat system was forcefully imposed and unions along with the political parties were declared banned.After 19 years of continuous repression, in 1979, the historical mass movement gave rise to more than half a dozen trade unions. But, because of lack of enough coordination and understanding among trade unions of different sectors, the formation of a national center couldn’t be made possible. In order to overcome such problems, an initiative was undertaken on 20th July,1989, which ultimately gave birth the General Federation of Nepalese Trade Unions (GEFONT). The GEFONT has formally been registered as the FIRST national Trade Union confederation in the country."]

Hyundai heavy industries workers union (Korea) -- HHIWU. -- URL: http://www.hhiun.or.kr/. -- Zugriff am 2001-02-22

International Federation of Chemical, Energy, Mine and General Workers' Unions -- ICEM. -- URL: http://www.icem.org/index.html. -- Zugriff am 2001-02-22

International Federation of Chemical, Energy, Mine and General Workers' Unions -- Asia and Pacific Regional Organisation -- ICEM-A/P. -- URL: http://www.icemap.org/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["ICEM-A/P, a regional organisation of the Brussel headquartered ICEM, is representing the ICEM affiliates in Asia and Pacific region. ICEM-A/P aims at defending the ICEM members and promoting member unions' solidarity in the Asia and Pacific region."] 

International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU). -- URL: http://www.icftu.org/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["The International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU), was set up in 1949 and has 213 affiliated organisations in 143 countries and territories on all five continents, with a membership of 124 million of whom 43 million are women. It has three major regional organisations, APRO for Asia and the Pacific, AFRO for Africa, and ORIT for the Americas. It also maintains close links with the European Trade Union Confederation (ETUC) (which includes all ICFTU European affiliates) and International Trade Secretariats, which link together national unions from a particular trade or industry at international level. It is a Confederation of national trade union centres, each of which links together the trade unions of that particular country. Membership is open to bone fide trade union organisations, that are independent of outside influence, and have a democratic structure."]

Movimento Sindical (Brasil). -- URL: http://www.sindicato.com.br/. -- Zugriff am 2001-02-22

Entidades sindicais da América Latina. -- URL: http://www.sindicato.com.br/samerica.htm. -- Zugriff am 2001-02-22. -- [Wertvolle Linksammlung zu Gewerkschaftsorganisationen lateinamerikanischer Länder]

World Confederation of Labour -- WCL. -- URL: http://www.cmt-wcl.org/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["The World Confederation of Labour (WCL) is an international trade union confederation uniting autonomous and democratic trade unions from 113 countries* all over the world . Its head office is located in Brussels, Belgium, and it has over 26 million members *, mainly from Third World countries. The past three years have been marked by the affiliation of mostly African and Central and Eastern European organisations."]


11.4. Andere Internetressourcen


Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 7. Kulturelle Faktoren: Betriebskulturen und Entscheidungsfindung. 3. Teil III: Arbeitnehmerkoalitionen, Mitbestimmung  und Solidaritätsgruppen. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur073.htm. -- Zugriff am 2001-02-22

Entwicklungsländer. -- 1996. -- (Informationen zur politischen Bildung ; 252). -- URL: http://www.bpb.de/info-franzis/html/body_i_252.html. -- Zugriff am 2001-02-22

Labornet / Institute for Global Communications. -- URL: http://www.igc.org/igc/labornet/. -- Zugriff am 2001-02-22. -- ["LaborNet™ supports human rights and economic justice for workers by providing labor news and information, comprehensive Internet services, training and website design for union and labor organizations."]


11.5. Ressourcen in Printform


Borsdorf, Axel: Abiturwissen Dritte Welt und Weltwirtschaft. -- 6. Aufl. --  Stuttgart [u.a.] : Klett, 1998. -- 152 S. -- ISBN 3129295305

Britten, Uwe: Zum Beispiel Kinderalltag. -- Göttingen : Lamuv, ©1998. -- 141 S. : Ill. -- (Lamuv Taschenbuch ; 250). -- ISBN 3889775284. -- 

Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- 911 S. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism, ©1997. -- [Materialreich, trotz des Umfangs gut zu lesen. Empfehlenswertes, preiswertes Taschenbuch!]. -- 

Grupp, Claus D.: Welt im Wandel : brauchen Entwicklungsländer unsere Hilfe?. -- Köln : Omnia, 1992. -- 72 S. : Ill. -- (Informationen zur Meinungsbildung ; Reihe A). -- ISBN 3893440151

Handbuch der Dritten Welt / hrsg. von Dieter Nohlen, Franz Nuscheler. -- Bonn : Dietz.
Bd. 1: Grundprobleme, Theorien, Strategien. -- 3. Aufl. -- 1993. -- 508 S. -- ISBN 3801202011. -- 

Hauser, Jürg A. <1942 - >: Bevölkerungs- und Umweltprobleme der Dritten Welt. -- Bern [u.a.] : Haupt
Bd. 2. -- 1991. -- (UTB ; 1569). -- ISBN 3258041725. -- S. 437 - 478:  Das Beschäftigungsproblem

Jahrbuch Dritte Welt 1999 : Daten, Übersichten, Analysen  / hrsg. von Joachim Betz, Stefan Brüne. -- München : Beck, 1998. -- 225 S. -- (Beck´sche Reihe ; 1267). -- ISBN 3406420672. -- 

Jung, Reinhard: Kleine Hände, kleine Fäuste : Ausbeutung und Widerstand der Kinder in Lateinamerika. -- Wien [u.a.] : Jungbrunnen, 1983. -- 119 S. -- ISBN 3702655387

Kielburger, Craig <1983 - >: Befreit die Kinder : die Geschichte  meiner Mission. -- München [u.a.] : Econ, ©1998. -- 318 S. : Ill.-- ISBN 3430153999. -- Originaltitel: Free the children, 1998. -- 

Koslowski, Jutta:  Sozialarbeit in "Entwicklungsländern" : Ein Überblick zu Bedingungen und Bedeutung. -- Münster : LIT, 1996. -- 144 S. -- (Erziehung und Entwicklung der "Dritten Welt" ; Bd. 3). -- ISBN: 3825827771

Kuschnerus, Tim ; Wegner, Katharina: Zum Beispiel Menschenrechte. -- 2. Aufl. --  Göttingen : Lamuv, 1998. -- 143 S. -- ISBN 3889775292. -- 

Lexikon Dritte Welt / hrsg. Dieter Nohlen. -- Vollständig überarbeitete Neuausgabe. -- Reinbeck : Rowohlt, ©2000. -- (rororo ; 16527). -- 869 S. -- ISBN 3499606844. -- [sehr empfehlenswert]. --  

Maquilas -- Arbeit in Lateinamerika : ausgewählte Literatur. -- In:  Blätter des Informationszentrums 3. Welt.  -- Ausgabe 223 (August 1997). -- S. 29. -- ISSN 0933-7733

Meyer, G. : Der informelle Wirtschaftssektor als Möglichkeit zur Überwindung der Armut in der Dritten Welt : das Beispiel des produzierenden Kleingewerbes in Kairo. -- In: Armut und Armutsbekämpfung in der Dritten Welt / hrsg. von Erdmann Gormsen. -- Mainz : Universität, 1990. -- Veröffentlichungen / Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Interdisziplinärer Arbeitskreis Dritte Welt ; 4). -- ISBN 392758102X

Parsdorfer, Christine: Die letzte Kolonie : Frauenarbeit zwischen »alter« Subsistenz und »neuer« Verantwortungsethik. -- In: Blätter des Informationszentrums 3. Welt. -- Ausgabe 223 (August 1997). -- S. 30 - 32. -- ISSN 0933-7733

Rifkin, Jeremy <1945 - >: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. -- Frankfurt a. M. : Fischer, 1997. -- 239 S. -- (Fischer Taschenbuch ; 13606). -- ISBN 3596136067. -- [Erinnert an die Weisheit, dass der Wert des Menschen sich nicht nur an seinem Marktwert als Arbeitskraft bemisst. -- "Wir stehen an der Schwelle eines Zeitalters der globalen Märkte und der automatisierten Produktion. Bald wird die Wirtschaft kaum noch menschliche Arbeitskräfte brauchen. Ob dieser Weg in einen sicheren Hafen führt oder ob ein schrecklicher Abgrund auf uns wartet, dies wird davon abhängen, wie gut wir uns auf das postmarktwirtschaftliche Zeitalter vorbereiten, das der Dritten Industriellen Revolution folgen wird. Das Ende der Arbeit könnte das Ende unserer Zivilisation bedeuten. Es könnte aber auch eine breite soziale Veränderung in Gang setzen und zu einer Wiedergeburt unserer Menschlichkeit führen. Die Zukunft liegt in unseren Händen." (S. 219)]. -- 

Zum Beispiel Dienstmädchen / Reaktion: Ekkehard Launer ; Dokumentation: Renate Wilke-Launer. -- Göttingen : Lamuv, ©1995. -- 95 S. : Ill. -- (Lamuv Taschenbuch ; 183). -- ISBN 3889774296. -- 

Zum Beispiel Kinderarbeit / Redaktion: Uwe Pollmann. -- Aktualisierte und ergänzte Ausgabe. -- Göttingen : Lamuv, ©1999. -- 144 S. : Ill. -- (Lamuv Taschenbuch ; 262). -- ISBN 3889775454. -- 

Zum Beispiel Sklaverei / Redaktion: Uwe Hoering. -- Göttingen : Lamuv, ©1995. -- 96 S. : Ill. -- (Lamuv Taschenbuch ; 184). -- ISBN 388977430X. -- 


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