Internationale Kommunikationskulturen

7. Kulturelle Faktoren: Betriebskulturen und Entscheidungsfindung

3. Teil III: Arbeitnehmerkoalitionen, Mitbestimmung und Solidaritätsgruppen


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 7. Kulturelle Faktoren: Betriebskulturen und Entscheidungsfindung. 3. Teil III: Arbeitnehmerkoalitionen, Mitbestimmung  und Solidaritätsgruppen. -- Fassung vom 2001-02-20. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur073.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-02-20

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Einleitung



Abb.: "Proletarier aller  Länder vereinigt Euch!". -- Manifest der Kommunistischen Partei / [Karl Marx ; Friedrich Engels]. -- London, 1848. -- Umschlag


Abb.: Vereinigt sind die Schwachen stark: Die Arbeiterinnen der Tabakfabrik Stein, Niederösterreich, protestieren gegen die Entlassung einer Kollegin, 1886

[Quelle der Abb.: Von der Waschfrau zum Fräulein vom Amt : Frauenarbeit durch drei Jahrhunderte / Franz Severin Berger / Christiane Holler. - Wien : Ueberreuter, ©1997. -- ISBN 3-8000-3661-4. -- S. 81]

"Vereinte Kraft bricht Burg und Strom". Dieses Sprichwort gilt auch für Arbeitnehmer. Arbeitgeber dagegen bevorzugen das Sprichwort "Entzwei' und gebiete!" (Divide et impera!), wenn auch modernen Managementtheorien besser Goethe's (1749 - 1832) ganzes Sprichwort entsprechen würde:

"Entzwei und gebiete! Tüchtig Wort;
Verein' und leite! Bessrer Hort"

Solidarität war die Grundlage der Arbeiterbewegungen, der Erfolg zeigt, wie wirksam Solidarität ist. Neben der Solidarität der Betroffenen untereinander ist die Solidarität mit den Betroffenen ein wichtiges Mittel, betriebliche und wirtschaftliche Entscheidungen herbeizuführen. Dementsprechend werden im folgenden behandelt:


2. Gewerkschaften


Abb.: Gewerkschaftsplakat der Zweiten Internationale [Arbeiterassoziation], Paris, 1889 Abb.: 110 Jahre später: Gewerkschaftsplakat der International Labour Organisation (ILO) (Quelle: ILO)
1917 veröffentlichte der "bürgerliche" Soziologe Max Weber (1864- 1920) in der Frankfurter Zeitung folgende Kritik an der Sozialpolitik von Reichskanzler Otto Graf von Bismarck (1815 - 1898; Reichskanzler des von ihm gegründeten Deutschen Reichs 1871 - 1890), der 1878 mit dem Sozialistengesetz sozialdemokratische Vereinigungen -- auch Gewerkschaften --  verboten hatte, gleichzeitig von 1881 - 1889 ein fortschrittliches Sozialversicherungsrecht durchgesetzt hatte. Webers Aussagen bezüglich der Gewerkschaften haben auch heute noch Gültigkeit: 

"Demagogie, und zwar eine sehr schlechte Demagogie, wurde in Bismarcks Händen auch die soziale Gesetzgebung des Reiches, so wertvoll man sie rein sachlich finden mag. Den Arbeiterschutz, der doch für die Erhaltung unserer physischen Volkskraft das Unentbehrlichste war, lehnte er als Eingriff in Herrenrechte (mit zum Teil unglaublich trivialen Argumenten) ab. Die Gewerkschaften, die einzig möglichen Träger einer sachlichen Interessenvertretung der Arbeiterschaft, ließ er aus dem gleichen Standpunkt heraus auf Grund des Sozialistengesetzes polizeilich zersprengen und trieb ihre Mitglieder dadurch in den äußersten rein parteipolitischen Radikalismus. Dagegen glaubte er, an gewissen amerikanischen Mustern orientiert, »Staatsgesinnung« und »Dankbarkeit« durch Gewährung staatlicher oder staatlich erzwungener Renten zu schaffen. Ein schwerer politischer Irrtum. Denn noch jede auf Dankbarkeit spekulierende Politik ist gescheitert: - auch für die politische Werkheiligkeit gilt das Wort: »Sie haben ihren Lohn dahin.« Wir erhielten Renten für die Kranken, die Beschädigten, die Invaliden, die Alten. Das war gewiss schätzenswert. Aber wir erhielten nicht die vor allem nötigen Garantien für die Erhaltung der physischen und psychischen Lebenskraft und für die Möglichkeit sachlicher und selbstbewusster Interessenvertretung der Gesunden und Starken, derjenigen also, auf die es, rein politisch betrachtet, doch gerade ankam."

[Weber, Max <1864 - 1920>: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. -- In: Gesammelte Politische Schriften. -- 1921. -- S. 137. -- Enthalten in: Max Weber im Kontext : gesammelte Schriften, Aufsätze und Vorträge. -- Berlin : Worm, 1999.. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 39320943069. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Nach Max Weber reicht das ohne starke Gewerkschaften nicht: "Die deutsche Sozialversicherung steht in der ganzen Welt vorbildlich und unerreicht da", Deutschland, 1913

Gewerkschaften sind wohl die wichtigste organisierte Koalitionsform von Arbeitnehmern. 


2.1. Zur Geschichte der Gewerkschaften


"Im Sommer 1868 informierte der Nationalökonom Max Hirsch [1832 - 1905] in einer Artikelserie die Leser der Berliner »Volks-Zeitung« über seine Eindrücke und Erlebnisse während eines mehrwöchigen Englandaufenthalts. Dort hatten in London, Manchester und Birmingham »Trade Unions« seine Aufmerksamkeit erregt. Diese »Gewerkvereine« bezeichnete er als »unbedingt das Interessanteste und Großartigste«, was er im Pionierland der Industrialisierung kennen gelernt habe. Begeistert stellte er deren effektive Organisationsstruktur und sozialreformerischen Charakter heraus. Sie dienten ihm als Vorbild, als er im September 1868 in Berlin einen Verein der Maschinenbauer gründete, der sich der »Förderung aller berechtigten Interessen der Arbeitnehmer auf dem Boden der Selbsthilfe« annehmen wollte.

Zwei Tage nach dieser Initiative des linksliberalen Reformers tagte in Berlin ein Allgemeiner Arbeiterkongress, auf dem sich über 200 Delegierte trafen, um ein sozialdemokratisches Gewerkschaftskonzept zu diskutieren. Schon zwei Monate später veröffentlichte August Bebel [1840 - 1913]  »Musterstatuten für deutsche Gewerksgenossenschaften«, die sich zum marxistischen Internationalismus bekannten. Die 1867/68 überall in Deutschland aufbrandende gewerkschaftliche Organisationswelle löste einen erbitterten Konkurrenzkampf von Parteipolitikern aus, die den Prozess der Gewerkschaftsbildung steuern wollten. Diese legten die Grundsteine für sozialdemokratische, liberale und später auch christliche Richtungsgewerkschaften, die bis 1933 die deutsche Gewerkschaftsgeschichte prägen sollten.

In Großbritannien, dem europäischen Ursprungsland der Industrialisierung, wo schon seit dem Beginn des 19.ÿJahrhunderts Gewerkvereine eine zentrale Rolle im Arbeitsalltag spielten, waren Handwerkstraditionen die Geburtshelfer der Gewerkschaften gewesen. Buchdrucker und Buchbinder, Schlosser und Schmiede, Zimmerleute und Zigarrenarbeiter traten hier als soziale Pioniergruppen bei der Organisationsbildung hervor. Die überragende Bedeutung dieser Handwerker-Arbeiter als Gewerkschaftsgründer ist im Übrigen ein gesamteuropäisches Phänomen. Sie waren hoch qualifizierte Fachkräfte, auf deren Wissen man nicht verzichten konnte, und hatten schon in den Zeiten der Zunftverfassung und der Gesellenbruderschaften die Prinzipien von Selbsthilfe und Solidarität praktiziert.

Die Bedeutung der Handwerkstradition im gewerkschaftlichen Gründungsprozess spiegelte sich auch in der Organisationsvielfalt der jungen Verbände wider: Sie blieben zumeist auf bestimmte Berufe ausgerichtet. So existierten in Großbritannien im späten 19.ÿJahrhundert noch rund 2ÿ000 verschiedene Berufsverbände, doch neben ihnen entstanden in der Phase der Hochindustrialisierung Branchen- und Industrieverbände, die handwerkliche Berufsgrenzen überschritten. Diese Zentralisierung der Gewerkschaften in der Metallindustrie, im Bergbau oder im Bausektor ging jedoch einher mit ihrer politischen Zersplitterung. Einheitsgewerkschaften, die auch politisch eine gemeinsame Linie verfolgten, blieben in Europa bis heute die Ausnahme.

Nach dem Ersten Weltkrieg mündete die Spaltung der politischen Arbeiterbewegung in einen reformistischen und einen kommunistischen Flügel auch in einer Spaltung der nationalen und internationalen Gewerkschaftsbewegung. Diese ideologisch motivierte Konfrontation schwächte in der Zwischenkriegszeit, aber auch nach 1945 die Gewerkschaften. Heute ist der Grad der Gewerkschaftseinheit größer als je zuvor, aber in Frankreich oder Italien, in Dänemark oder in den Niederlanden bestehen immer noch mehrere nationale Dachverbände, die miteinander um Einfluss und Erfolg konkurrieren."

[Schönhoven, Klaus: Gewerkschaften : Einig sind wir stark!. -- In: Der Brockhaus multimedial 2001. -- Premium. -- Mannheim : Bibliographisches Institut, ©2000. -- 5 CD-ROM. -- ISBN 3411069058. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]


2.2. Organisationsformen von Gewerkschaften


[Quelle: Gewerkschaften. -- In: Der Brockhaus multimedial 2001. -- Premium. -- Mannheim : Bibliographisches Institut, ©2000. -- 5 CD-ROM. -- ISBN 3411069058. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese CD-ROM  bei amazon.de bestellen}]


2.3. Internationale Gewerkschaftsorganisationen



2.4. Gewerkschaftsrechte weltweit 1999


Das Folgende ist eine Übersicht über Gewerkschaftsrechte weltweit im Jahre 1999. Es werden die Leitsätze aus

Jährliche Übersicht über die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten 2000 / Internationaler Bund freier Gewerkschaften (ICTFU). Autorin: Kathryn Hodder. -- Deutsche Fassung. -- URL: http://www.icftu.org/www/pdf/survey2000ge.pdf. -- Zugriff am 2001-01-15

wiedergegeben. Für Begründungen und Präzisierungen konsultiere man diese Quelle.


Abb.: DGB-Plakat im Wahlkampf 1998

Europa
Belgien Das Streikrecht wird weiterhin untergraben.
Bulgarien Es wurde erneut von einer Zunahme der Verletzungen von Gewerkschaftsrechten in kleinen Unternehmen des Privatsektors berichtet.
Deutschland Die ILO kritisiert bereits seit über 40 Jahren die Tatsache, dass breite Kategorien der Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht streiken dürfen.
Estland Der nationale Gewerkschaftsdachverband EAKL wurde eingetragen, nachdem man sich hinsichtlich der Anwendung restriktiver Eintragungsverfahren geeinigt hatte, welche die neue Regierung zu ändern bereit ist..
Georgien Nachdem durch ein beispielloses Gerichtsurteil angeordnet worden war, dass der nationale Gewerkschaftsdachverband GTUA sein Eigentum abgeben muss, war dieser gezwungen, einen langwierigen Rechtsstreit aufzunehmen.
Kosovo Die administrative Interimsmission der UN ist für die Schaffung eines neuen gesetzlichen Rahmenwerks zuständig. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind der ethnischen Säuberung zum Opfer gefallen, die im März 1999 zum Bombenangriff der NATO auf Serbien führte.
Kroatien Der nationale Gewerkschaftsdachverband UATUC erklärte, dass die größten Probleme, mit denen er 1999 zu kämpfen hatte, die Korruption, der Konkurs von Unternehmen, die hohe Zahl von Entlassungen, die monatelang ausstehenden Löhne sowie der drastisch gesunkene Lebensstandard waren. Kurz nachdem eine Eisenbahnergewerkschaft die Geschäftsführung darüber informiert hatte, dass ihr Informationen über Korruption vorliegen, wurde ihr Vizepräsident brutal zusammengeschlagen..
Malta Die Polizei und die Streitkräfte beendeten im August auf brutale Weise einen Streik. Die gesamte Führungsspitze der General Workers Union sowie streikende Beschäftigte wurden strafrechtlich verfolgt.
Norwegen Ein Regierungserlass verbietet Streiks in der Ölindustrie und ordnet eine verbindliche Schlichtung an..
Polen Die Regierung hat das Arbeitsrecht an die ILO-Übereinkommen angepasst. In der Praxis haben die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten jedoch zugenommen.
Rumänien Es hat einige Verbesserungen hinsichtlich des Streikrechts gegeben, doch die Gewerkschaftsrechte wurden weiter verletzt. Die Verschlimmerung der wirtschaftlichen Situation und die Nichtzahlung von Löhnen hat zu vielen Streiks und Protesten geführt.
Russische Föderation Die Nichtzahlung von Löhnen war zu Beginn des Jahres noch immer ein Problem, das zu Arbeitskämpfen und Hungerstreiks führte. Ein Beschäftigter starb während eines Hungerstreiks, und ein anderer beging Selbstmord, nachdem er elf Monate lang keinen Lohn erhalten hatte. Während des ganzen Jahres wurde eine extrem feindselige Haltung gegenüber Gewerkschaftsaktivitäten verzeichnet, und es wurden drei Gewerkschafter ermordet.
Schweiz Die neue Gesetzgebung verspricht einige Verbesserungen, doch das Streikrecht bestimmter Kategorien von Beschäftigten bleibt weiter eingeschränkt..
Serbien Das serbische Arbeitsgesetz behandelt die offizielle Gewerkschaft noch immer bevorzugt und schränkt das Streikrecht nach wie vor stark ein. Die unabhängige Gewerkschaft Nezavisnost wird weiterhin schikaniert.  .
Slowakei Ein Gewerkschaftsführer, der versucht hatte, eine Lösung für das Problem der unbezahlten Löhne zu finden, wurde brutal angegriffen.
Tschechische Republik Die Angst vor Arbeitslosigkeit wurde ausgenutzt, um die Gewerkschaftstätigkeit zu bremsen. Wie auch andernorts in Osteuropa verursachte die Nichtzahlung von Löhnen wachsende Probleme.
Ukraine Ein neues Gewerkschaftsgesetz verschafft den früheren offiziellen Gewerkschaften Vorteile und benachteiligt die unabhängigen Gewerkschaften..
Ungarn Vorschläge für Gesetzesänderungen untergraben Gewerkschaftsrechte.
Vereinigtes Königreich Im Juli 1999 wurde das Arbeitsbeziehungsgesetz verabschiedet, das das Recht auf Anerkennung für Tarifverhandlungen enthält, und andere grundlegende Gewerkschaftsrechte, die in den achtziger und frühen neunziger Jahren gestrichen worden waren, wurden in gewissem Umfang wiedereinführt.
Weißrussland Präsident Lukaschenko regiert weiterhin per Verordnung – Anfang 1999 erließ er die Verordnung Nr. 639, mit der die Gewerkschaften verpflichtet wurden, sich bis zum 1. Juli gegen eine hohe Gebühr registrieren zu lassen. Eine später im selben Jahr erlassene Verordnung hat den Abschluss individueller zeitlich befristeter Verträge mit allen Beschäftigten ermöglicht.


Abb.: Gewerkschafter in Venezuela (Quelle: ILO)

Amerika
Argentinien Eine erst 1998 zwischen dem nationalen Gewerkschaftsdachverband CGT und der Regierung zustande gekommene Einigung gab der weitreichenden Zustimmung der Gewerkschaften zur Novellierung des Arbeitsgesetzes Ausdruck. Aber es gibt bereits erneut Anzeichen, dass die im Oktober erst gewählte neue Regierung nun doch weiterreichende Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes einführen will.
Bolivien In Bolivien wurden die Streiks gegen unpopuläre wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen fortgesetzt. Die Regierung behauptete, an der Verbesserung des Arbeitsgesetzes zu arbeiten.
Brasilien Ein im Mai 1999 erschienener Bericht bestätigte, dass zahlreiche Landarbeiter, die sich für eine Landreform eingesetzt hatten, von gedungenen Killern ermordet wurden. Im selben Monat wurde ein weiterer Landarbeiter getötet.
Chile Der Senat stimmte gegen den Entwurf zur Arbeitsgesetzreform. Bei Annahme hätten Millionen von Beschäftigten das Recht auf Tarifverhandlungen erhalten.
Costa Rica Auf den Bananenplantagen von Costa Rica bestehen ernste Gesundheitsgefahren unverändert fort. Dort herrscht außerdem ein gewerkschaftsfeindliches Klima vor. Dies ist auch der Fall in den Freien Exportzonen (FEZ). Der Führer der Bananenplantagenarbeiter wurde niederträchtig angegriffen und muss um sein Leben fürchten..
Dominikanische Republik Dreihundert Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger wurden entlassen, und viele andere trugen Knochenbrüche davon, als die Polizei eingriff, um einen friedlichen Sitzstreik aufzulösen. Am Vorabend eines landesweiten Streiks wurde der Gewerkschaftsführer der Lehrergewerkschaft erschossen.
Ecuador Protestkundgebungen gegen die sich verschlechternde wirtschaftliche und soziale Lage wurden unterdrückt. Es kam zu Verletzungen und einem Todesfall. Gegen den CEOSL-Vorsitzenden José Chávez Chávez wurde ein Gerichtsverfahren wegen angeblicher Verleumdung eröffnet. Es wird vermutet, dass dies Bestandteil einer Strategie zur Einschüchterung von Gewerkschaften war.
El Salvador In den Freien Exportzonen (FEZ) von El Salvador werden die Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechte weiterhin verletzt.
Guatemala In Guatemala wurde weiterhin Gewalt gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter angewandt, insbesondere auf den Bananenplantagen.^
Guyana Die Regierung setzte Soldaten und Polizeikräfte ein, um gewaltsam gegen Streikende aus dem staatlichen Sektor vorzugehen.
Haiti Es gab keine Verbesserungen in Bezug auf die Gewerkschaftsrechte in Haiti, wo das völlig veraltete Arbeitsrecht der Regierung weitreichende Befugnisse der Regelung von Gewerkschaftsangelegenheiten einräumt.
Honduras Beschäftigte, die gegen die Verletzung eines Tarifvertrages in einer FEZ [Freien Exportzone] protestierten, wurden mit Tränengas vertrieben und geschlagen.
Kanada Die kanadische Bundesregierung und die verschiedenen Provinzregierungen akzeptieren die Gewerkschaftsrechte von Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht uneingeschränkt und nutzen beständig die Gesetzgebung, um diese Rechte zu begrenzen.
Kolumbien Die Zahl der Morddrohungen gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter stieg. 1999 wurden 69 von ihnen ermordet. Der Staat unternahm nichts, um die Aktionen von paramilitärischen Gruppierungen unter Kontrolle zu bekommen. Sie konnten weiter völlig straffrei agieren.
Kuba In Kuba hat sich nichts geändert. Der CTC ist nach wie vor der einzige zugelassene Gewerkschaftsbund.
Mexiko Die lokalen Schlichtungs- und Schiedsgremien können die Registrierung von Gewerkschaften verweigern oder verzögern. Die Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras [Freien Exportzonen]  seien 1999 sogar noch ausbeuterischer geworden, wurde berichtet.
Nicaragua In den vergangenen zwei bis drei Jahren sind Fortschritte bei den Arbeitsbeziehungen in den Freien Exportzonen (EPZ) erzielt worden, aber zahlreiche Probleme bestehen fort..
Panama Das Arbeitsgesetz von Panama beschränkt die Vereinigungsfreiheit und das Streikrecht noch immer. Dies gilt insbesondere für die Freien Exportzonen.
Paraguay Die Regierung wies darauf hin, dass Änderungen geplant seien, die zu einer Verbesserung bei den Gewerkschaftsrechten führen würden, und zwar insbesondere im staatlichen Sektor. Das Drängen auf mehr Flexibilität schürt die Sorge um Arbeitsplatzverluste.
Peru Änderungen des Arbeitsrechts und der Beschäftigungsgesetze haben die Gewerkschaftsrechte ernstlich untergraben. Die seit 1990 ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen und die Angst vor Entlassung untergraben die gewerkschaftliche Organisierung.
Trinidad und Tobago Gewerkschaftsführer wurden mitten in der Nacht verhaftet, nachdem einen Monat zuvor am Wohnsitz eines Ministers friedlich demonstriert worden war.
Venezuela Internationale Proteste konnten die Durchführung von Erlassen verhindern, mit denen die CTV aufgelöst und die Verwaltung ermächtigt worden wäre, Gewerkschaftswahlen durchzuführen.
Vereinigte Staaten von Amerika Weder die Vereinigungsfreiheit noch das Streikrecht sind im Arbeitsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika hinlänglich geschützt. Ist ein Arbeitgeber entschlossen, eine gewerkschaftliche Vertretung zu zerstören oder zu verhindern, bieten die gesetzlichen Bestimmungen den Arbeitnehmer(inne)n keinen Schutz.


Abb.: Koreanische Hyundai-Arbeiterinnen auf gewerkschaftlich organisierter Protestkundgebung, 1999

Asien, Australien, Ozeanien
Australien Die Regierung verwarf das Untersuchungsergebnis der IAO, wonach das australische Arbeitsbeziehungsgesetz von 1996 gegen die Vereinigungsfreiheit verstoße und stellte fest, dass dieses Ergebnis für die australischen Betriebe nicht relevant sei. Auf eine weitere Verringerung des Gewerkschaftseinflusses abzielende Versuche auf Bundesebene wurden im Parlament abgewehrt.
Bangladesch In Bangladesch werden die Gewerkschaftsrechte auf vielerlei Weise eingeschränkt, und die meisten Beschäftigten des öffentlichen Sektors können Gewerkschaften nicht beitreten. Die Regierung lässt sich nach wie vor Zeit mit der Einführung eines neuen Arbeitsgesetzes, das von einer dreigliedrigen Kommission entworfen wurde, die 1992 eingesetzt worden war, um die Gesetzgebung zu überprüfen.
Birma In Birma gibt es keine Gewerkschaften. Das repressive Militärregime geht brutal gegen sämtliche unabhängigen Gewerkschaftstätigkeiten vor. Im Februar feuerte es mit Granatwerfern auf ein Dorf, in dem eine Menschenrechtsveranstaltung der Gewerkschaften stattfinden sollte..
China Unabhängige Gewerkschaften sind in China verboten. Sie werden unterdrückt, und ihre Funktionärinnen und Funktionäre werden inhaftiert. Der offizielle All-chinesische Gewerkschaftsbund (ACGB) ist Teil des Apparates der regierenden Partei und existiert, um deren Politik umzusetzen und ihren Interessen zu dienen.
Fidschi Das Arbeitsbeziehungsklima in Fidschi verbesserte sich erheblich.
Hongkong,

Sonderverwaltungsregion (China)

Die Gewerkschaftsrechte werden in der Sonderverwaltungsregion Hongkong nicht angemessen geschützt.
Indien Privatisierungen und das Wachstum des informellen Sektors stellen eine Bedrohung für die organisierte Arbeitnehmerschaft dar. Zu Missbräuchen kommt es nach wie vor in den Freien Exportzonen.
Indonesien Obwohl es weitreichende Verbesserungen hinsichtlich der Achtung der Gewerkschaftsrechte in Indonesien gegeben hat, kam es nach wie vor zu erheblichen Problemen, vor allem in bezug auf die Beteiligung der Polizei und der Armee an Arbeitskonflikten. Im Juli wurde die Gewerkschaftsführerin Dita Sari aus dem Gefängnis entlassen.
Japan Die japanische Gesetzgebung schränkt die Gewerkschaftsrechte von öffentlichen Bediensteten und Beschäftigten staatlicher Unternehmen ein.
Kambodscha Nach den von den USA für die Bekleidungsindustrie verhängten Einfuhrquoten kam es 1999 zu einigen Verbesserungen bezüglich der Inkraftsetzung des Arbeitsgesetzes.
Korea (Nord) In  Nordkorea existieren keine Gewerkschaftsrechte. Die General Federation of Trade Unions wird vom Staat kontrolliert und erfüllt keine Gewerkschaftsrolle.
Korea (Süd) Der Gewerkschaftsdachverband KCTU wurde nach seinem fünften Antrag und vier Jahre nach seinem ersten Antrag schließlich im November 1999 zugelassen. Auch CHUNKYOJO, die Gewerkschaft von Lehrkräften und Beschäftigten im Bildungswesen, wurde nach zehnjähriger illegaler Existenz zugelassen, ebenso wie die Lehrergewerkschaft KUTE, aber Gewerkschafter/innen wurden nach wie vor aufgrund ihrer Gewerkschaftstätigkeiten festgenommen.
Laos In Laos gibt es lediglich eine einzige, von der Regierung kontrollierte Gewerkschaft. Einige Mindestbeschäftigungsnormen werden anerkannt.
Nepal 1999 wurden Gewerkschaftsmitglieder inhaftiert, angegriffen und ermordet.
Neuseeland Die im November gewählte Labour-Regierung beabsichtigt die Rücknahme des gewerkschaftsfeindlichen Gesetzes über Arbeitsverträge von 1991.
Pakistan In Pakistan trat keine Verbesserung ein. Die Regierung verschärfte die erheblichen Einschränkungen der grundlegenden Gewerkschaftsrechte 1999 weiter..
Papua-Neuguinea Die Arbeitsgesetzgebung des Landes wird nicht in Kraft gesetzt.
Philippinen Die wenigen erfolgreichen Organisierungsbeispiele in den FEZ [Freien Exportzonen] waren die Ausnahme von der Regel. Ansonsten waren gewerkschaftsfeindliche Einschüchterungen an der Tagesordnung. Es sah so aus, als würde eine vom Präsidenten zur Überprüfung des Arbeitsgesetzes eingesetzte Expertengruppe die Gewerkschaftsrechte untergraben.
Singapur Das Gesetz ist zwar einem dreigliedrigen Überprüfungsverfahren unterworfen, aber es gibt dennoch weiterhin verschiedene rechtliche Einschränkungen, die gegen Gewerkschaftsrechte verstoßen.
Sri Lanka Gesetzesänderungen sahen für Gewerkschaften mit einer Organisationsstärke von 40 Prozent der Beschäftigten die automatische Anerkennung vor, und die Verfolgung von Arbeitnehmer(inne)n durch ihre Arbeitgeber wegen der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft wurde unter Strafe gestellt. Es wurde erwartet, dass die Gewerkschaften daran gehen würden, sich in den Freien Exportzonen um Anerkennung zu bemühen.
Taiwan Das Arbeitsgesetz ist nach wie vor restriktiv -- es lässt nur einen einzigen nationalen Gewerkschaftsbund zu. Der Gewerkschaftsbund CFL hat gefordert, das Arbeitsgesetz im Sinne eines besseren Schutzes vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung und flexiblerer gewerkschaftlicher Organisationsstrukturen zu ändern..
Thailand Das 1991 erlassene Gesetz über die Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen in staatlichen Betrieben (SELRA), das Gewerkschaften für Staatsbedienstete abschaffte, blieb weiter in Kraft. Das Gesetz schützt Gewerkschaftsbeauftragte nicht vor Entlassung. Zahlreiche Gewerkschafter/innen wurden 1999 entlassen, weil sie Tarifverhandlungen gefordert oder versucht hatten, eine Gewerkschaft zu gründen..
Türkei Öffentlichen Bediensteten wurden nach wie vor Verhandlungs- und Streikrechte verweigert. Gewerkschafter/innen waren Einschüchterung und Gewalt ausgesetzt.
Vietnam Der nationale Gewerkschaftsbund VGCL untersteht der herrschenden Partei.
Wanderarbeiter ohne Rechte in Saudi Arabien

Ein Beispiel unter vielen: Nasiroh, eine junge Indonesierin, ging 1993 als Hausmädchen nach Saudi Arabien. Sie wurde von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt, fälschlich des Mordes beschuldigt, dann gefoltert und während zwei Jahren Untersuchungshaft von den Polizisten ständig vergewaltigt. Ihr wurden alle international gültigen Rechte verwehrt. Sie wurde verurteilt, ohne dass ihr während der Verhandlungen klar gemacht wurde, wofür. Sie weiß heute noch nicht, wofür sie 5 Jahre in Haft saß.

In Saudi Arabien gibt es keine Gewerkschaftsrechte.

Quelle: http://www.amnestyusa.org/countries/saudi_arabia/women/index.html. -- Zugriff am 2001-01-15
Vorderasien
Bahrain In Bahrain wird das Recht auf die Organisierung von Gewerkschaften verweigert.
Irak Das Gesetz legt eine Struktur mit nur einer einzigen Gewerkschaft fest, die der Kontrolle der Regierung untersteht. Ihre Aufgabe besteht darin, die Parteipolitik zu propagieren.
Iran Zum ersten Mal seit vielen Jahren fand ein Marsch zum 1. Mai statt, obwohl ein parlamentarischer Ausschuss dies verboten hatte. Es kam zu einigen Verhaftungen.
Israel Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen, die in Israel arbeiten, können weder israelischen Gewerkschaften beitreten, noch können sie ihre eigenen Gewerkschaften in Israel organisieren.
Jemen Das Arbeitsgesetz von 1995 enthält zahlreiche Gewerkschaftsrechtsbeschränkungen.
Jordanien Die Gewerkschaftsrechte werden in Jordanien weitgehend eingeschränkt.
Katar Gewerkschaften sind illegal. Tarifverhandlungen sind verboten.
Kuwait Trotz von der Regierung zugesagter Änderungen wurde das kuwaitische Arbeitsgesetz nicht novelliert. Ausländische Beschäftigte wurden weiterhin ausgebeutet und misshandelt.
Libanon Die Einmischungen der Behörden in interne Gewerkschaftsangelegenheiten dauerten an..
Oman In Oman gibt es keine Gewerkschaften, und Tarifverhandlungen und Streiks finden nicht statt.
Saudi-Arabien Gewerkschaftsrechte bestehen in Saudi-Arabien nicht. Viele Wanderarbeitskräfte, vor allem Frauen, werden misshandelt.
Syrien In Syrien besteht ein System mit nur einem einzigen Gewerkschaftsbund, der Teil des Staatsapparats ist. Das Gesetz enthält zahlreiche Gewerkschaftsrechtsbeschränkungen.
Vereinigte Arabische Emirate In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es keinerlei Gewerkschaftsrechte, und Gewerkschaften sind illegal.
Westjordanland und Gaza-Streifen Obwohl Diskussionen über das dringend benötigte neue Arbeitsgesetz für die besetzten Gebiete stattfanden, wurden vom PGFTU eingebrachte wichtige Änderungsvorschläge ignoriert.


Abb.: Plakat des Congress of South African Trade Unions

Afrika
Ägypten In Ägypten herrscht ein System der Einheitsgewerkschaft.
Äquatorialguinea Grundlegende Gewerkschaftsrechte sind gesetzlich nicht geschützt, und die Regierung verweigert Gewerkschaften nach wie vor die offizielle Anerkennung.
Äthiopien Die Regierung war unverändert darum bemüht, jedwede Gewerkschaft außerhalb ihres Einflussbereiches zu zerschlagen. Nach einem eindeutig unfairen Gerichtsverfahren wurde der Vorsitzende der Lehrervereinigung ETA aufgrund der unwahren Beschuldigung, einen Staatsstreich geplant zu haben, zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Zwei ETA-Verantwortliche starben im Gefängnis an den Folgen ihrer Misshandlungen.
Botswana Gewerkschaftsrechte sind gesetzlich eingeschränkt, hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre verboten.
Burkina Faso Als die Arbeiter gegen Reformen protestierten, durch die sie ihre Rechte geschwächt sahen, reagierte die Regierung nicht mit Verhandlungen, sondern mit einer gewerkschaftsfeindlichen Kampagne.
Demokratische Republik Kongo Im Laufe des Jahres kam es meist im Zusammenhang mit Streiks im öffentlichen Sektor zu Festnahmen von Gewerkschaftsführern und -aktivisten.
Dschibuti Die Regierung hielt an der brutalen Unterdrückung der Gewerkschaften von Dschibuti fest und setzte ihre eklatante und regelmäßige Einmischung in gewerkschaftliche Angelegenheiten fort, um unabhängige und demokratische Gewerkschaften zu zerschlagen. Im Juli veranstaltete sie einen Scheingewerkschaftskongress mit einer neuen "gewählten" Führung.
Eritrea In der für einen Übergangszeitraum geltenden Arbeitsgesetzgebung aus dem Jahre 1991, die zur Zeit überprüft wird, werden grundlegende Gewerkschaftsrechte eingeschränkt..
Gabun Führende Gewerkschaftsvertreter wurden bei ihrem Besuch im April am Flughafen Libreville mehr als sechs Stunden lang festgehalten, und im Januar ging die Polizei gegen eine friedliche Gewerkschaftsdemonstration vor.
Ghana Grundlegende Gewerkschaftsrechte sind gesetzlich eingeschränkt.
Kamerun Trotz Zusagen gegenüber der ILO, die Gesetzgebung zu ändern, blieben die Einschränkungen des Organisierungsrechts in Kraft. Der nationale Dachverband CCTU berichtete 1999 über die anhaltende Einmischung der Regierung in gewerkschaftliche Angelegenheiten..
Kap Verde Die IAO wirft der Regierung weiterhin vor, nichts zur Förderung freier Tarifverhandlungen zu unternehmen.
Kenia Noch immer wurden den Bediensteten der kenianischen Regierung, Universitätslehrkräften, Ärzten und Zahnärzten grundlegende Gewerkschaftsrechte versagt. Ausstehende Lohnzahlungen führten 1999 zu zahlreichen Streiks..
Lesotho Nach wie vor wurden Gewerkschaftsmitglieder in den Industrieregionen schikaniert, in denen die nationalen Arbeitsbestimmungen theoretisch zwar gelten, doch in der Praxis nicht angewandt werden. Außerhalb dieser Gebiete dürfen Beschäftigte im öffentlichen Dienst aufgrund der restriktiven Gesetzgebung keiner Gewerkschaft beitreten.
Libyen Den Beschäftigten ist es verboten, Gewerkschaften ihrer Wahl zu gründen oder beizutreten. Sie dürfen lediglich Mitglied im allgemeinen Gewerkschaftsverband sein, der von der Regierung kontrolliert wird..
Madagaskar Seit mehr als zwei Jahren sind 20 Gewerkschaftsmitglieder ohne Beschäftigung und warten für ihre Wiedereinstellung auf das Ergebnis der Berufungsverhandlung. In den Freien Exportzonen missachten die Arbeitgeber noch immer die Gewerkschaftsrechte.
Marokko Auf gesetzlicher und praktischer Ebene werden Gewerkschaftsmitglieder nur geringfügig geschützt. Bei einem Streik können sie strafrechtlich verfolgt und inhaftiert werden.
Mauritius Einige gesetzliche Beschränkungen der Gewerkschaftsrechte blieben in Kraft. Die Organisierung in den Freien Exportzonen war nach wie vor schwierig.
Namibia Um ihre Sicherheit besorgte Bergarbeiter wurden mit Disziplinarstrafen belegt. Wegen eines Streiks entlassene Bankangestellte erwogen gerichtliche Schritte. Das für FEZ geltende Streikverbot blieb in Kraft. 
Niger Das chronische Haushaltsdefizit führte weiterhin zu Streiks im öffentlichen Sektor, um gegen ausstehende Lohn- und Gehaltszahlungen zu protestieren. Gewerkschaftsmitglieder wurden schikaniert..
Nigeria Nach dem Tode des Militärmachthabers General Abacha im Juni 1998 wurden die Gewerkschaftsrechte wieder in Kraft gesetzt. Der Nachfolger Abachas, General Abubaker, übernahm die Macht für eine Übergangszeit bis zur Wahl einer zivilen Regierung im Jahre 1999.
Senegal Die Behandlung protestierender Elektrizitätsarbeiter im Senegal zeigt, dass die Anerkennung der Gewerkschaftsrechte noch wesentlich verbessert werden kann..
Simbabwe Die Achtung der Gewerkschafts- und Bürgerrechte verschlechterte sich weiterhin dramatisch.
Südafrika Es bestand die Sorge, die Regierung könne dem Druck zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes nachgeben.
Sudan Im Jahre 1989 wurden demokratische Gewerkschaften abgeschafft. Zulässig ist nunmehr nur noch die offizielle Gewerkschaft, die vom Regime kontrolliert wird. Im Januar 1999 erfolgte die Festnahme des Chefs der Gewerkschaft im Exil.
Swasiland In Swasiland wurden keine Veränderungen verzeichnet. Das Arbeitsbeziehungsgesetz aus dem Jahre 1996 blieb in Kraft, und der Gewerkschaftsbund SFTU und seine Spitzenfunktionäre wurden nach wie vor belästigt und schikaniert.
Tansania Das 1999 verabschiedete Gewerkschaftsgesetz schränkt Gewerkschaftsrechte beträchtlich ein.
Togo Lehrer, die gegen ausstehende Gehälter protestieren, werden unterdrückt, zum Teil festgenommen und gefoltert.
Tunesien Im Mai wurden Gewerkschafter festgenommen und 48 Stunden lang festgehalten. Im Dezember umstellte die Polizei das Hauptbüro der UGTT und griff Gewerkschaftsmitglieder an, die sich an einem friedlichen Gedenkmarsch beteiligten.
Uganda Die Regierung Ugandas misst den Interessen der Investoren größere Bedeutung als den Rechten der Arbeitnehmer bei. Im vergangenen Jahr wurde die Polizei zur Zerschlagung eines Streiks eingesetzt..
Zentralafrikanische Republik Anfang 1999 wurde der Generalsekretär des nationalen Gewerkschaftsdachverbandes USTC, Sonny-Cole, brutal verprügelt. Das ganze Jahr über wurde er schikaniert.

2.5. Gewerkschaften in den USA



Abb.: Streikposten vor NBC-Fernsehstudios, San Francisco (Quelle: ILO)

In den USA sind die Koalitionsrechte der Arbeitnehmer durch den National Labor Relations Act (auch als Wagner Act zitiert) geregelt. Danach steht allen Arbeitnehmern -- außer Managern -- das Recht zu, eine Gewerkschaft zu bilden bzw. einer solchen beizutreten. Ebenso ist das Streikrecht garantiert.

Wie man einen Betrieb dazu zwingt, eine Gewerkschaft als Tarifpartner zu akzeptieren 

  1. Wenn man einigermaßen überzeugt ist, dass mindestens die Hälfte der Mitarbeitnehmer geneigt wären, einer Gewerkschaft beizutreten, wähle man eine Gewerkschaft
  2. Man veranlasse, dass Mitarbeitnehmer Gewerkschaftskarten unterschreiben: dies können echte Beitrittserklärungen oder auch Absichtserklärungen sein, dass man wünscht, dass eine Gewerkschaft die Rechte vertritt
  3. Wenn mindestens 30% (besser 60%) der Arbeitseinheit eine Gewerkschaftskarte unterzeichnet haben, sendet man diese Karten an das National Labor Relations Board (NLRB) [Webpräsenz: http://www.nlrb.gov/]
  4. Das National Labor Relations Board (NLRB) wird ein Hearing veranstalten, um die Stimmberechtigten (bargaining unit) festzusetzen,  und einen Termin für die Abstimmung festlegen
  5. Es wird eine Abstimmung der Abstimmungsberechtigten durchgeführt, ob die Arbeitnehmer gewerkschaftlich vertreten werden . Die einfache Mehrheit entscheidet


    Abb.: NLRB-Abstimmung (©Corbis)

  6. Im Falle der Ablehnung kann frühestens nach einem Jahr ein neuer Versuch gemacht werden

Statt des genannten Weges über das National Labor Relations Board (NLRB) kann ein Betrieb auch durch Streik oder durch eine einvernehmliche Lösung gewerkschaftlich organisiert (unionized) werden.

[Quelle: http://dolphin.upenn.edu/~amatth13/. -- Zugriff am 2001-01-21] 

Inhalt der Verträge zwischen Gewerkschaften und Unternehmen (Unternehmenstarifverträge) (contracts):

[Quelle: http://dolphin.upenn.edu/~amatth13/Contract.html. -- Zugriff am 2001-01-21]

Widerstände der Betriebe gegen gewerkschaftliche Organisation

In den USA üben die meisten Betriebe großen Widerstand gegen die bloße Existenz von Gewerkschaften aus. 

"Unter dem neoliberalen Modell hat die US-Regierung mit ihrer gewerkschaftsfeindlichen Haltung und ihren gegen die Gewerkschaften gerichteten Entscheidungen die Koalitionsfreiheit ausgehöhlt. Die gewerkschaftsfeindliche Haltung hat sich unter den Unternehmern verbreitet, da die Position der Regierung zahlreiche Unternehmen davon überzeugte, dass der politische und ökonomische Preis, um gegen Gewerkschaftsorganisationen vorzugehen, relativ niedrig ist. Ein Beispiel hierfür ist, dass immer häufiger Anwälte und gewerkschaftsfeindliche Experten während der Gewerkschaftswahlen beschäftigt wurden. Ende der siebziger Jahre war ein neues Berufsbild entstanden: der Berater und Anwalt, der die Unternehmer bei der Bekämpfung von Gewerkschaften unterstützte. Seitdem hat die Zahl der Aberkennungsverfahren, der ungesetzlichen Kündigungen und der Drohungen gegen Arbeitnehmer, die ihr Recht auf Koalitionsfreiheit ausüben wollen, zugenommen. Die Unternehmen geben mehr als 600 Millionen Dollar für gewerkschaftsfeindliche Aktionen aus. Das führt dazu, dass in 25% der Gewerkschaftswahlen die Arbeitsgesetze gebrochen werden. Das Arbeitsministerium schätzt, dass jeder 50. Arbeiter während besagter Wahlen entlassen wird. 1950 war nur jeder Siebenhunderste betroffen. Im privatwirtschaftlichen Bereich werden von den Gewerkschaften die Hälfte der Wahlen gewonnen, während es zwanzig Jahre zuvor noch 65-70% waren. Und in diesen Betrieben können die Arbeitnehmer nur in einem von drei Fällen Kollektivverträge abschließen, eine wesentlich niedrigere Quote als in der Vergangenheit."

[Figueroa, Hector, J. -- In: Bruch der Arbeitsbeziehungen in Amerika / Manfred Wannöffel (Hrsg.). -- Münster : Westfälisches Dampfboot, ©1996. -- ISBN 3929586517. -- S. 165f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Sind amerikanische Gewerkschaften korrupt

Im Unterschied zur öffentlichen Meinung, die vor allem Korruptionsskandale wahrnimmt (mafiöse Gewerkschaften) liegt die Korruptionsquote bei Gewerkschaften bei ungefähr 1%, während die Korruptionsrate von Managern von Topunternehmern auf 11% geschätzt wird

[Quelle: http://dolphin.upenn.edu/~amatth13/misconceptions.html. -- Zugriff am 2001-01-21]

Weiterführende Ressourcen zu Gewerkschaften in den USA:

Matthews, Shannon: How to unionize. -- URL: http://dolphin.upenn.edu/~amatth13/. -- Zugriff am 2001-01-22. -- [Sehr empfehlenswert!]

Webportal: http://dir.yahoo.com/Business_and_Economy/Labor/Unions/. -- Zugriff am 2001-01-22


2.6. Zum Beispiel: Gewerkschafterin bei Schering Farmacéutica Peruana S.A.



Abb.: Lage von Lima, Peru (©MS-Encarta)

Delia Zamudio (geb. 1943), eine schwarze Peruanerin, war von 1966 bis 1992 bei Schering Farmacéutica Peruana S.A. beschäftigt. 

Webpräsenz der Schering AG: http://www.schering.de/. -- Zugriff am 2001-01-22
Webpräsenz der Schering Latinoamericana: http://www.scheringlatina.com.mx/. -- Zugriff am 2001-01-22


Abb.: Delia Zamudio bei der Arbeit bei Schering, 1989 [Bildquelle. a.u.a.O., S. 63]

In ihrer lesenswerten Autobiographie geht sie auch ausführlich auf ihre Gewerkschaftstätigkeit ein:

"Eine Frau -- noch dazu eine schwarze -- an der Spitze der Gewerkschaft: niemals!

Wenige Tage nach meinem Arbeitsbeginn im Schering-Werk rief mich Dr. Olaf [Geschäftsführer bei Schering Peru] in sein Büro: «Ich habe dir eine Stelle verschafft, und jetzt möchte ich dich bitten, einen kleinen Auftrag für mich zu erledigen. Es gibt hier ein Grüppchen, das eine Gewerkschaft gründen will. Versuche, Zugang zu erhalten und finde vorsichtig heraus, wer die Anführer sind. Dann kommst du in mein Büro, um mir die Namen zu nennen. Ich muss diese Leute loswerden, sie stiften Unfrieden im Unternehmen.« Er erklärte mir außerdem, dass das Unternehmen immer wie eine Familie gewesen sei. «So wie ich dich behandele, so behandelt das Unternehmen seine Beschäftigten.» Seine Argumente waren ziemlich konfus. Es seien unsoziale Leute, die versuchten, Probleme zu machen. Meine Aufgabe sollte es sein, sie zu beobachten. Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Aber was blieb mir anderes übrig als zuzustimmen?

Ich verspürte nicht das geringste Bedürfnis, hinter den anderen herzuspionieren und sie zu verpfeifen. Das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können. Sie interessierten mich - aber nicht, um sie hinterher zu denunzieren, sondern um selbst Gewerkschaftsmitglied zu werden. Es war leicht herauszufinden, wer die Leute organisierte, denn meine Kolleginnen ließen die Katze aus dem Sack: «X und Y sagen, wir sollen unterschreiben.» Die führenden Köpfe waren auch nicht sehr vorsichtig. Ich sah sie immer in Eile und beim Verstecken der Unterschriftenlisten. Eines Tages sprach ich sie an, ich wolle auch in die Gewerkschaft eintreten. Sie erschraken, denn sie wussten, dass meine Einstellung sehr unbürokratisch verlaufen war. Ich war nicht ärztlich untersucht worden. Wenn die Firma neue Leute einstellte, kamen immer mehrere auf einmal. Ich hingegen war ganz allein gekommen und hatte noch am gleichen Tag mit der Arbeit begonnen. Dr. Olaf selbst hatte die Sekretärin angewiesen, mir meine Arbeitskleidung zu geben und mir meinen Platz zuzuweisen.

Als der Tag der Gewerkschaftsgründung gekommen war, sprach ich sie noch einmal an: «Ihr werdet heute die Gewerkschaft gründen, das habe ich mitbekommen. Wenn ihr mich nicht aufnehmt, werde ich Dr. Olaf sagen, was ihr vorhabt.» Ich wollte unbedingt Gewerkschaftsmitglied werden. Aber sie waren dagegen, gingen mir aus dem Weg und sagten, ich käme im Auftrag der Werksleitung und sei verdächtig. Schließlich begann ich, ihnen auf Schritt und Tritt zu folgen, und drohte ihnen: «Wenn ihr mich nicht unterschreiben lasst, verpfeife ich euch!» Sie wollten mich nicht unterschreiben lassen, damit ich die Namen auf der Liste nicht sehen konnte. Sie dachten schlecht über mich, ließen mich am Ende aber doch unterschreiben.

Ich wollte auf jeden Fall in die Gewerkschaft eintreten, nicht etwa wegen des Auftrags des Geschäftsführers, sondern weil ich bereits in verschiedenen Fabriken gearbeitet hatte und Gewerkschaftsgründungen kannte. Ich wusste, dass die Gewerkschaft die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter verteidigte. Mich hatte sie bisher allerdings nie verteidigt, weil ich nie Mitglied geworden war. Ich war immer entlassen worden, ohne meine gesetzliche Abfindung zu erhalten. Auch meine Lohnabrechnungen stimmten nicht immer. Wenn mir dieses Unrecht widerfuhr, hatte ich dagegen protestiert, jedoch erfolglos. Meine Arbeitskolleginnen sagten mir: «Siehst du -- weil du nicht gewerkschaftlich organisiert bist.» Ich wollte aber auch Gewerkschaftsmitglied werden, um neue Erfahrungen zu machen. Angst hatte ich nicht, denn als Gewerkschaftsmitglieder würden wir uns schon zur Wehr setzen. Ich wusste, dass die Gewerkschaftsmitgliedschaft mehr Sicherheit brachte. Dr. Olaf flößte mir zwar Vertrauen ein, aber ich wollte mich nicht von ihm benutzen lassen. Mir war klar, dass er der Chef und ich eine Arbeiterin war, das war die Realität. Daher zog ich es vor, auf der Seite meiner Kolleginnen und Kollegen zu stehen.
Am 29. November 1966, dem Tag der Gewerkschaftsgründung trafen sich alle im Parque Cueva, der sich am Ende der Avenida Bolivar befindet, um zusammen zur Gründungsversammlung zu fahren. Die Kollegen wollten mir erst nicht sagen, wo der Treffpunkt war. Da wurde ich laut und drohte wieder, sie bei der Werksleitung zu verpfeifen, wenn sie mich nicht mitnahmen. Sie hatten noch immer Bedenken, aber schließlich akzeptierten sie mich. Bei einem Arbeiter hatten sie einen Bus gemietet, und wir fuhren los. Nun bekam ich doch ein bisschen Muffensausen, war aber froh, dass ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen mitfahren durfte. Obwohl ich nicht gerade schüchtern bin, habe ich natürlich schon manchmal Angst, wie andere Menschen auch, aber ich versuche sie zu überwinden, indem ich einen kühlen Kopf behalte.

Wir fuhren in den Stadtteil Brena , wo der APRA-[Alianza Popular Revolucionaria Americana]-nahe [Webpräsenz der APRA: http://www.angelfire.com/biz2/apra1/index.html. -- Zugriff am 2001-01-22] Gewerkschaftsdachverband CTP [Confederación de Trabajadores del Perú] seinen Sitz hatte. Bei der CTP gab es einen Verband der Betriebsgewerkschaften im Pharmabereich, und in dessen Räumen gründeten wir unsere Gewerkschaft. Der Rechtsanwalt, der uns beriet, hatte mir gesagt: «Lass' dich für den Gewerkschaftsvorstand aufstellen. Wenn das Unternehmen Leute entlässt, dann sind die Funktionärinnen und Funktionäre der Gewerkschaft nicht davon betroffen, denn sie genießen gesetzlichen Kündigungsschutz.» Ich dankte ihm für diesen Ratschlag. Es gab auch tatsächlich einen Posten, den keiner der Männer übernehmen wollte, das Amt für soziale Angelegenheiten. Da alle anderen es ablehnten, nahm ich es an - eigentlich aus Angst um meinen Arbeitsplatz, so paradox das auch klingen mag.

Als der Schering-Geschäftsführer vom Arbeitsministerium die Unterlagen erhielt, die die Gründung einer Gewerkschaft in seinem Unternehmen dokumentierten, war er am meisten darüber überrascht, dass ich im Gewerkschaftsvorstand war. Dr. Olaf ließ mich sofort rufen und sagte: «Delia, ich habe dir mein Vertrauen geschenkt. Du solltest die Gewerkschaftsgründung beobachten, und jetzt bist du hier als eine der Funktionärinnen genannt.» Ich hörte mit gesenktem Kopf zu, wie er mich zurechtwies. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte: «Entschuldigen Sie, Senor, darf ich Sie daran erinnern, was Sie mir bei meiner Einstellung sagten? Der Gefallen, den Sie mir getan haben, endet, sobald ich anfange zu arbeiten.» Ich erinnerte ihn an seine eigenen Worte: «Du musst dir deinen Platz selbst verdienen, indem du gute Arbeit leistest und pünktlich kommst.»

Er hatte mir damals gesagt, ich müsse selbst dafür sorgen, dass ich meinen Arbeitsplatz behielt. Die Geschäftsführer blieben nicht lange, weil sie von der deutschen Konzernzentrale alle zwei bis drei Jahre ausgewechselt wurden. Also konnte ein neuer Werksleiter kommen und mich auf die Straße setzen. Daran dachte ich jetzt. Sicher, ich hatte ihn betrogen, obwohl er mir die Stelle verschafft hatte. Verständlicherweise war aber der Wunsch, meinen Arbeitsplatz zu behalten und mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuschließen, viel stärker als das Gefühl, ihm verpflichtet zu sein. Ich wollte nicht, dass mir das gleiche passierte wie früher. Also sagte ich: »Senor, diese Leute kämpfen darum, das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter ein bisschen zu verbessern. Deshalb bin ich in die Gewerkschaft eingetreten und habe Ihnen die Anführer nicht genannt.» Er sah sehr wütend aus und kündigte an, ein ernstes Wort mit Dona Maruja zu reden. Er würde das nicht auf sich sitzen lassen. Gesagt, getan. Meine Tante ließ mich rufen und hielt mir eine Standpauke: Es sei ja beschämend, wie sie nun vor Dr. Olaf und dessen Frau dastünde, und ich sei daran schuld. Mir war das Ganze auch etwas peinlich, aber ich erklärte ihr: »Tante, ich habe nichts Böses getan. Eine Gewerkschaft ist dazu da, die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verteidigen, und deshalb haben wir sie gegründet.»

Der Gewerkschaftsvorstand hatte sich konstituiert. Er bestand aus dreizehn Personen, zwölf Männern und mir. Bald wurde mir klar, dass ich in der Gewerkschaft nicht viel zu sagen haben sollte, jedenfalls in den Augen der männlichen Vorstandsmitglieder. Ich diente nur als Lückenbüßerin, damit alle Ämter besetzt waren. Keiner der Männer hatte das Amt für soziale Angelegenheiten übernehmen wollen, da es ihnen wie ein unnützer Ballast vorkam. Die Schering-Betriebsgewerkschaft bestand aus 41 Frauen und nur 13 Männern. Die männliche Minderheit stellte aber fast den gesamten Gewerkschaftsvorstand. Ich begann zu lernen, wie gewerkschaftliche Arbeit aussah.

Die männlichen Vorstandsmitglieder versuchten, mich zu ignorieren. Jedes Mal, wenn ich etwas sagen wollte, bekam ich eine Abfuhr, was mich sehr wütend machte. Ich hatte mir angewöhnt, den Mund aufzumachen, wenn mir etwas nicht passte, und das galt natürlich auch innerhalb der Gewerkschaft. Wir hatten viele Meinungsverschiedenheiten, vor allem über den Tarifabschluss. Der Gewerkschaftsvorstand führte die Tarifverhandlungen, ohne ein einziges Mal eine Vollversammlung einzuberufen. Erst, als der Tarifvertrag bereits geschlossen war, wurde die Basis darüber informiert, was sie erreicht hatten. Das kritisierte ich: »Wieso habt ihr denn nicht alle zusammengerufen, um sie zu fragen, ob sie mit dieser Lohnerhöhung einverstanden sind?» Sie wollten mich zum Schweigen bringen: »Du Besserwisserin! Der Werksleiter hatte dich geschickt, um uns auszuspionieren, und du hast dich darauf eingelassen. Jetzt ist dir das peinlich, und deshalb meckerst du die ganze Zeit herum.» Das stimmte überhaupt nicht. Ich kritisierte das, was nicht in Ordnung war. Meine Kolleginnen sagten: «Du schaffst dir immer Feinde, Schwarze.»

Im folgenden Jahr bekam ich keinen Posten im Gewerkschaftsvorstand mehr. Diesmal erklärte ein Kollege sich bereit, Sekretär für soziale Angelegenheiten zu werden. Trotz meiner Gewerkschaftserfahrung war ich als Frau unerwünscht. Bei meiner Kollegin Flor machten sie eine Ausnahme: Da sie eine schöne, deutliche Handschrift hatte, wurde sie zur Protokollführerin ernannt.

In den siebziger Jahren gab es Probleme. Wir verdienten wenig, und unsere Tarifabschlüsse lagen immer unter denen der anderen Pharmaunternehmen. Da wir einige Kolleginnen von anderen Firmen, wie Roussell [Webpräsenz: http://www.aventis.com/homepage/homepage.htm. -- Zugriff am 2001-01-22] oder Lusa, kennengelernt hatten, konnten wir unsere Löhne miteinander vergleichen. Wir verdienten nur halb so viel wie sie. Als wieder einmal Vorstandswahlen anstanden, kritisierte ich das: «Ihr müsst etwas tun, damit wir mindestens so viel wie die anderen Pharmabeschäftigten verdienen.» Der Generalsekretär erwiderte: «Die Kollegin verhält sich nörglerisch und besserwisserisch. Wenn sie so viel auszusetzen hat, soll sie doch selbst etwas tun.» -- «Ich arbeite deswegen nicht, weil ich nicht im Vorstand bin, Kollege. Ihr seid die Funktionäre, und ich fordere euch auf, eure Sache besser zu machen», rief ich.

Viele von uns wussten, dass die Vorstandsmitglieder wieder unverändert nominiert werden sollten. Wir hatten allerdings schon seit einiger Zeit das Verhalten der Gewerkschaftsführer beobachtet, das egoistisch und ausschließend wirkte, und so schlossen sich einige Kolleginnen meiner Kritik an: «Ja, Delia hat recht!» Der Generalsekretär wurde sehr böse: «Hier wird nicht herumgeschrieen und gesagt, was getan werden muss. Wenn ihr glaubt, dass ihr die Sache besser machen könnt als wir, gehen wir. Hier sind die Ämter, niemand von uns wird sie annehmen. Sollen die Kolleginnen doch machen, was sie wollen.» Der Kollege sprang auf, die anderen elf Männer ebenfalls, und sie verschwanden. Unter dem Gewerkschaftslokal gab es eine Kneipe - - da gingen sie hin, einer nach dem anderen. Wir warteten etwa eine halbe Stunde, ohne dass sie wiedergekommen wären. Meine Kolleginnen sagten zu mir: «Du hast den Krach angezettelt, also schau mal nach, was diese Kerle machen.» Wir gingen nachsehen und fanden sie - wie erwartet - beim Bier. Als ich zurückkam, war ich sauer: «Das ist eine Frechheit, Kolleginnen, die Herren sind unten beim Saufen! Sie vertragen offenbar keine Kritik. Wir können ja auch alleine denken, oder etwa nicht? Lasst uns einen Vorstand wählen und selbst kämpfen, Kolleginnen. Sonst werden sie immer tun, wozu sie Lust haben, und wir werden nichts zu melden haben...»"

"In dieser Zeit begannen sich die «Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre» [Webpräsenz: http://www.kritischeaktionaere.de/. -- Zugriff am 20001-01-22] , die Minderheitsanteile an der deutschen Schering-Muttergesellschaft besaßen, für unsere Situation zu interessieren. Das freute uns sehr. Ich schrieb ihnen und schickte ihnen Zeitungsartikel, um sie darüber in Kenntnis zu setzen, wie wir von der Schering-Geschäftsführung behandelt wurden. Henry, einer dieser «Kritischen Aktionäre», ergriff bei mehreren Hauptversammlungen des Schering-Konzerns das Wort. Er prangerte die Missstände im peruanischen Werk an und erwähnte auch die gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen. [Dokumentation: http://ourworld.compuserve.com/homepages/critical_shareholders/schering.htm. -- Zugriff am 2001-01-22] Die deutsche Konzernleitung stritt alles ab, beseitigte jedoch kurz darauf die Missstände. Die UV-Lampen werden jetzt nur noch nachts betrieben, und für die Desinfektion der Salbenabteilung wird ein angeblich weniger gesundheitsschädliches Produkt verwendet. Ich bin sicher, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen Henrys Einsatz im Gedächtnis behalten werden. Eine andere engagierte Deutsche, Katharina, arbeitete mit ihm zusammen. Beide machten unter den deutschen Aktionärinnen und Aktionären das Unrecht bekannt, unter dem wir litten. Für solche Solidaritätsbekundungen waren wir sehr dankbar, da sie eine moralische Unterstützung darstellten.

Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass wir immer bereit sein müssen zu kämpfen. Ich musste immer daran denken, was mein Großvater über uns Schwarze gesagt hatte: «Allein bist du nur ein Lüftchen - gemeinsam sind wir ein Orkan!» Er hat es auf den Punkt gebracht. Nur so können wir unser Leben, unsere Gebräuche und unsere Kultur bewahren. Ein weiteres Sprichwort, das er gerne zitierte und das aus der Zeit der Sklaverei kommt, lautet: «Es ist besser, sich aufrecht ein Stück Brot zu verdienen als für einen Braten auf die Knie zu fallen.» Diese Worte habe ich nie vergessen, und sie sind Bestandteil meines Alltags geworden.

Es ist natürlich nicht immer leicht. In meiner Gewerkschaftsarbeit folgte ich diesem Prinzip bis zum I-Tüpfelchen, aber das Unternehmen orientierte sich, trickreich und mächtig, an der Strategie «Teile und herrsche». Unter solchen Bedingungen wird der aufrechte Gang schwierig, aber nicht unmöglich. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch versuchen sollte, mit Anstand zu leben. Ich habe mich immer der Bestechung und den Partikularinteressen verweigert, und jetzt kann ich mein Brot in Würde essen. Wie schlecht müssen sich diejenigen fühlen, die den Kopf gesenkt und den Herren die Füße geküsst haben, um Almosen und Brosamen zu bekommen. Ich bin überzeugt, dass wir als einzelne immer zu schwach sein werden, um etwas aufzubauen oder zu verteidigen. Aber gemeinsam sind wir stark. Nur so ist es möglich, dieses Leben voller Missstände und Ausbeutung zu ändern und uns eine gerechte, würdevolle Existenz zu schaffen. Unsere Kinder werden es uns danken. Der Hunger nach Gerechtigkeit wird uns Kraft geben, bis wir siegen."

"Als Gewerkschafterin habe ich getan, was ich konnte. Ich habe mein ganzes Leben lang gekämpft, von meinem 23. Lebensjahr bis heute. Jetzt bin ich 49 Jahre alt und arbeitslos. Eines Tages hatte Schering uns Arbeiterinnen und Arbeitern hohe Abfindungssummen für den Fall angeboten, dass wir innerhalb einer Woche freiwillig unseren Arbeitsplatz aufgäben. Die Abfindungen waren nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt. Bis zum letzten Tag flehte ich meine Kolleginnen und Kollegen an, nicht von sich aus zu kündigen. Ich sagte ihnen: «Seit mehr als 27 Jahren arbeite ich jetzt bei Schering. Ich bin viel länger dabei als ihr, und trotzdem kämpfe ich noch! Gebt nicht auf!» Aber sie nahmen die Abfindung und gaben ihre Arbeitsplätze auf, obwohl manche nur sehr wenig Geld bekamen, weil sie erst seit fünf Jahren bei Schering arbeiteten. Trotzdem unterschrieben sie ihre eigene Kündigung. Nur zehn Kolleginnen und Kollegen -- darunter auch ich -- blieben am Ende noch übrig, festentschlossen, alles zu verlieren.

Eine Etappe ging zuende. Mein Leben hatte ich dem gewerkschaftlichen Kampf gewidmet, und ich hatte ein besseres Leben für alle durchsetzen wollen. Aber die Situation, in der ich jetzt steckte, hatte eine neue Qualität. Ich sagte mir: «Delia, jetzt ist Schluss! Du kannst eine Kämpferin sein, aber keine Märtyrerin. Es wäre idiotisch, jetzt alleine übrig zu bleiben und dann ohne jede Abfindung rausgeworfen zu werden.» Mit 49 Jahren wurde ich arbeitslos, genau wie Zehntausende anderer Peruanerinnen und Peruaner auch.

Am Ende gab es eine Versammlung mit über hundert Kolleginnen und Kollegen, und ich werde nie vergessen, dass der Geschäftsführer sagte: «Ich weiß, dass Delia heute die größte Verliererin ist.» Er gab mir die Hand und sagte, dass ich ihm eine gute, energische Gegenspielerin gewesen sei und ihn oft zur Verzweiflung gebracht habe. Aber das Kapital sei stärker, vor allem wenn es von Gesetzen begleitet werde, wie sie neuerdings in Peru erlassen würden. Vielleicht hat er übertrieben, aber ich hatte wirklich gekämpft, so gut ich konnte. Das gibt mir jetzt ein relativ gutes Gefühl, und wir sind nicht in allem gescheitert. Es gibt einige externe Gründe, so dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. Unser Gewerkschaftsdachverband, die CGTP [Central General de Trabajadores del Perú] , und die linken Parteien haben eine Erneuerung ihrer Bürokratien versäumt und keine klaren, realistischen Vorschläge zustandegebracht. Die Rechte reorganisiert sich weltweit, aber die Linke bleibt zersplittert.

Die politischen Ereignisse hatten uns völlig unvorbereitet erwischt. Die neoliberale Wirtschaftspolitik der Fujimori-Regierung [Alberto Fujimori, geb. 1938, seit 1990 Staatspräsident von Peru] führte zur Schließung von mehr als zwanzig pharmazeutischen Werken. Die Unternehmen begründeten die Werksaufgabe damit, dass es sich jetzt nicht mehr lohne, speziell für den peruanischen Markt zu produzieren. Es sei inzwischen billiger, die fertigen Medikamente direkt aus Argentinien oder anderen lateinamerikanischen Ländern zu beziehen."

[Zamudio, Delia <1953 - >: Frauenhaut : eine Autobiographie. -- Köln [u.a.] : ISP & Atlantik, ©1996. -- ISBN 3929008297. -- S. 49 -53,64 -65,99 - 100. -- Originaltitel: Piel de mujer (1995). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


3. "Harmonisierende" Gegenmodelle zu Gewerkschaften



Abb.: "Bet' und arbeit', hilft Gott allzeit", Gedenkblatt auf die Gründung des Evangelischen Arbeitervereins, Ingolstadt, 1888

[Quelle der Abb.: Leben und arbeiten im Industriezeitalter / Germanisches Nationalmuseum. -- Stuttgart : Theiss, ©1985. -- ISBN 3-8062-0443-8. -- S. 412]

Solche Vereinigungen wurden auch Gelbe Gewerkschaften genannt. Sie werden im Regelfall unter Beteiligung der Arbeitgeber gegründet und geführt. Oft gehen sie zurück auf christliche Vorstellungen von Gesellschaft, die Gesellschaft mit einem Organismus vergleichen. Modell dafür sind die Ausführungen im 1. Korintherbrief über die Kirche als Leib Christi:

"Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. (15)Wenn aber der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum bin ich nicht Glied des Leibes, sollte er deshalb nicht Glied des Leibes sein? Und wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum bin ich nicht Glied des Leibes, sollte es deshalb nicht Glied des Leibes sein? Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? Nun aber hat Gott die Glieder eingesetzt, ein jedes von ihnen im Leib, so wie er gewollt hat. Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib? Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer. Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein scheinen, die nötigsten; und die uns am wenigsten ehrbar zu sein scheinen, die umkleiden wir mit besonderer Ehre; und bei den unanständigen achten wir besonders auf Anstand; denn die anständigen brauchen's nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied." [1. Kor 12,1,2 - 27]

Solche harmonisierenden Gesellschaftsvorstellungen können offene Austragung von Konflikten und Interessengegensätzen nur sehr schwer ertragen. Gleichzeitig verleiten sie dazu, dass unter edlen Vorwänden  verbrämt die Privilegierten ihre Macht schamlos ausnützen können und dies auch tun (die undurchsichtigen Machtmachenschaften innerhalb der katholischen Kirche selbst sind ein Musterbeispiel dafür).

Gleich harmonisierend ausgerichtet sind (bzw. waren) die sogenannten Gewerkschaften kommunistischer Länder. 


Abb.: Logo des FDGB

So hatte der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) der DDR folgendes Selbstverständnis:

"Die Funktion des FDGB als Interessenvertretung wird von der Auffassung bestimmt, dass mit der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln der Klassenkonflikt beseitigt und im grundsätzlichen die Interessenidentität zwischen den Gesellschaftsmitgliedern hergestellt worden sei. Der FDGB ist seinem Selbstverständnis nach nicht ein Interessenverband abhängig Beschäftigter, der Arbeitgebern gegenübertritt, sondern eine Organisation von Werktätigen, die zugleich als Miteigentümer der als im Volkseigentum befindlich verstandenen Produktionsmittel aufgefasst werden. Vor dem Hintergrund dieser Interpretation werden im gesamtgesellschaftlichen Interesse, wie es die SED und die Staatsorgane festlegen, die Einzelinteressen von Individuen, Gruppen und Klassen immer als in ihm bereits aufgehoben gesehen.
Interessenvertretung hat so wesentlich die Propagierung dieser parteilichen und staatlichen Zielsetzungen bzw. die Mobilisierung der Mitgliedschaft für ihre Erfüllung zum Inhalt. 

Doch ist bereits in der auch heute noch für den FDGB verbindlichen leninschen Gewerkschaftskonzeption die Perspektive enthalten, dass die postulierte Interessenidentität sich erst in einem längeren historischen Prozess realisieren lässt und nicht als etwas Gegebenes, sondern als etwas jeweils erneut Herzustellendes begriffen werden muss. Ferner können danach Verselbständigungstendenzen staatlicher und wirtschaftlicher Verwaltungseinheiten (Bürokratismus usw.) und die selbstherrliche Verletzung gesetzlicher Bestimmungen durch einzelne Funktionäre nicht ausgeschlossen werden. So sei es notwendig, den Gewerkschaften eine gewisse Eigenständigkeit zuzubilligen, damit sie die unmittelbaren Interessen der in ihren Reihen Organisierten artikulieren und vertreten, eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber staatlichen, vor allem wirtschaftlichen Teilstrukturen ausüben und für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere des Arbeits-, Arbeitsschutz-, Sozial- und Bildungsrechts Sorge tragen können."

[DDR-Handbuch / Bundesministerium des Innern. -- 1985. -- In: Enzyklopädie der DDR -- Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek Band 32). -- ISBN 3932544447. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- S. 2539f.]


3.1. Zum Beispiel Solidarismo in Costa Rica



Abb.: Lage von Costa Rica (©MS-Encarta)

Auch Solidarismo geht zurück auf die oben genannten katholischen Vorstellungen von Gesellschaft, die Gesellschaft mit einem Organismus vergleichen. 


Abb.: Logo des Movimento Solidarista Costaricense. Motto: Sursum -- Aufwärts

Solidarismo entstand in Costa Rica 1949 aufgrund der Initiative von Alberto Martén Chavarria. Dieser beabsichtigte damit

"einen Beitrag zum sozialen Frieden durch Harmonie in der Beziehung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und durch den gemeinsamen ökonomischen Fortschritt beider."

Damit ist Solidarismo ein Gegenmodell zu und ein Instrument der Arbeitgeber gegen die Gewerkschaften, die Konflikte und Interessengegensätze offen austragen wollen.

Heute nehmen fast 1500 Unternehmen an Solidarismo teil. Ungefähr 460000 Arbeitnehmer, d.h. ca. 43% aller Beschäftigten, sind Mitglieder von Solidarismo.

Die Ziele der asociaciones solidaristas werden in Art 2 des Ley de Asociaciones Solidaristas No. 6970 [URL: http://www.edyd.com/solidarismo/leyasociacionessolidaristas.html. -- Zugriff am 2001-01-23] 

"Artículo 2: Los fines primordiales de las asociaciones solidaristas son procurar la justicia y la paz social, la armonía obrero-patronal y el desarrollo integral de sus asociados." Art. 2: Die Hauptziele der solidaristischen Vereinigungen sind Förderung
  • der Gerechtigkeit und 
  • des sozialen Friedens
  • der Harmonie zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber
  • der ganzheitlichen Entwicklung ihrer Teilhaber"

Dieses Ziel soll erreicht werden durch die Schaffung von Asociationes Solidaristas (Solidargemeinschaften). Dies sind Vereine von Betriebsangehörigen unter Beteiligung der Arbeitgeber. Das Ziel ist gegenseitige Hilfe und Ansammlung von Arbeitnehmerkapital durch Spareinlagen. Die Spareinlagen betragen zwischen 3% und 10% des Einkommens der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber zahlt einen entsprechenden Arbeitgeberanteil als Bestandteil des Gehalts zu. Gleichzeitig zahlen die Arbeitgeber einen Betrag ein, der als Übergangsgeld im Falle einer Entlassung verwendet wird.

Die Ersparnisse werden verwendet im Falle von

D.h. die Asociationes Solidaristas erfüllen Aufgaben, die anderswo dei Krankenversicherung, Sterbegeldversicherung, Bausparkassen usw. erfüllen. Gleichzeitig dienen sie als Konsumverein und Raiffeisengenossenschaften. Mit den Ersparnissen werden auch Beteiligungen an Firmen erworben sowie neue Firmen gegründet ("Kapital in Arbeiterhand"). 

In den Firmen fungiert Solidarismo als eine Art Personalrat.

Da Solidarismo-Mitglieder nicht streiken, wird Solidarismo von Betrieben verwendet, um die Gewerkschaften draußen zu halten. So sehen die Gewerkschaften Costa Ricas in ihrem Hauptkonkurrenten Solidarismo begreiflicherweise die Verkörperung alles Bösen und sie versuchten z.B.1994 vergeblich, die USA dazu zu bringen, dass die Handelsvorteile für Costa Rica gestrichen werden.

Webpräsenz von Solidarismo: 

Zu Chiquita und Solidarismo:


4. Mitbestimmung



Abb.: Mitbestimmung -- DGB-Plakat, 1963

Peter Penn und Fredi Frisch

Peter denkt sich ganz entsetzt, 
»Mitregieren soll ich jetzt, 
Höh'n der Wissenschaft erklimmen, 
mitentscheiden, mitbestimmen? 
Das, so sagt man, kann ein jeder. 
Bin am Ende ich, der Peter, 
gar nicht so, wie man mich kennt?« 
Und da hat er ausgepennt. 
Peter, Fredi, diese beiden 
kann man kaum noch unterscheiden. 
Peter lernt von Fredi jetzt, 
der ihn alles wissen lässt. 
Peter hängt nicht mehr am Alten, 
hilft das Neue mitgestalten, 
weil es auch an ihm mit liegt, 
dass der Sozialismus siegt!

Abb.: Werbung für Mitbestimmung mit den Propagandafiguren Fredi Frisch und Genossen, DDR, 1950er-Jahre

Mitbestimmung ist die gesetzlich oder vertraglich vereinbarte Beteiligung von Arbeitnehmern an der Willensbildung eines Betriebes, sei es persönlich oder durch gewählte Vertreter (Betriebsrat, Personalrat, Vertreter im Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat).

Je nach der Stärke der Beteiligung an Entscheidungsprozessen kann man unterscheiden (von geringstem Gewicht zu höchstem Gewicht geordnet):

Man muss unterscheiden zwischen:

In Deutschland umfasst die betriebliche Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG. -- URL: http://www.bma.bund.de/download/gesetze/betrvg.pdf. -- Zugriff am 2001-01-08] folgende Bereiche:


4.1. Betriebliche Mitbestimmung in Europa


In den Mitgliedsstaaten der europäischen Union kann man bezüglich der betrieblichen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer vier Gruppen unterscheiden:

Abb.: Betriebliche Mitbestimmung in der EU

Umfang der Arbeitnehmerbeteiligung:

Fazit: die EU besteht bezüglich Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer weitgehend aus "Bananenrepubliken".

Quelle: Arbeitsbeziehungen in Europa / Europäische Kommission. -- URL: http://europa.eu.int/comm/employment_social/soc-dial/news/com113f_de.pdf. -- Zugriff am 2001-01-08


4.2. Unternehmerische Mitbestimmung in Europa


In der EU gibt es zwei Formen von Aktiengesellschaften (AG):

Bezüglich der Mitwirkung von Arbeitnehmern in Aufsichtsrat bzw. Veraltungsrat gibt es folgende Regelungen

Mit Ausnahme der Montanmitbestimmung (paritätische Mitbestimmung) in Deutschland sind die Arbeitnehmervertreter überall in der Minderheit.

Quelle: Arbeitsbeziehungen in Europa / Europäische Kommission. -- URL: http://europa.eu.int/comm/employment_social/soc-dial/news/com113f_de.pdf. -- Zugriff am 2001-01-08


5. Solidaritätsgruppen


Die wichtigsten Gruppen außerhalb der Unternehmen, die Entscheidungen im Unternehmen beeinflussen, sind:

Deren Verhalten ist auch abhängig von Informationen. Informationen, die richtig sind, erfordern professionelle Beobachtung. Auch für Konsumenten und Investoren gilt:  "Vereinte Kraft bricht Burg und Strom". Hier setzen Solidaritätsgruppen ein, d.h. Interessengruppen, die nach Wertgesichtspunkten beeinflussen wollen, was, wie, womit und wodurch Unternehmen produzieren.

"«Kunden» können heute nicht mehr nur im engeren Sinne als Abnehmer von Produkten und Dienstleistungen begriffen werden. Die ganze Gesellschaft empfindet sich als direkt betroffen von Produktionsprozessen sowie von Produkten und deren Konsum. Eine dementsprechend breitere Dimension hat die «Befriedigung von Kundenbedürfnissen» erlangt: Neben der Qualität von Produkten und Dienstleistungen wird von Unternehmen heute vermehrt auch die Übernahme einer weitergehenden Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft sowie ein sinnvoller Beitrag zur Erreichung sozialer Ziele erwartet. Was diese Verantwortung letztlich ist, kann eine Firma nur teilweise selbst bestimmen. Es ist die Summe der Stakeholder [Mitarbeiter, Kunden und das gesellschaftliche Umfeld eines Unternehmens], die das Verantwortungsspektrum eines Unternehmens in seiner ganzen politischen und gesellschaftlichen Dimension definiert.

Mit der Zunahme sozialer und ökologischer Probleme erhöht sich auch die gesellschaftliche Sensibilität in bezug auf die Umwelt- und Sozialverträglichkeit unternehmerischer Aktivitäten. Wenn eine große Mehrzahl von Menschen «eine grundlegende Veränderung der Moral» fordert, so spricht sie damit auch Unternehmen an. Nehmen Unternehmen diese Erwartungen nicht oder nicht umfassend genug ernst, kommt es zu Akzeptanzproblemen und als Folge davon zu unternehmenskritischen Aktionen und Demonstrationen bis hin zu Boykottaufrufen. Viele Firmen haben diesbezüglich schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Ob nun 

- - es bedeutet meist, dass Managementkapazität für defensive Aktivitäten gebunden und somit nicht frei ist für die Gestaltung der Zukunft." 

"Die gesellschaftliche Akzeptanz unternehmerischer Erfolge oder, weniger wertneutral ausgedrückt, des «Profits» hängt letztlich nicht von dessen absoluter Höhe ab, sondern von dessen «Angemessenheit». Diese jedoch bezieht sich nicht nur auf die Höhe des Gewinns, sondern auch auf seine von der Gesellschaft wahrgenommene Sozial- und Umweltverträglichkeit. Man kann davon ausgehen, dass der Vorwurf «exzessiver Profite» dort nicht oder sehr viel seltener erhoben wird, wo der unternehmerische Beitrag zum Gemeinwohl außer Frage steht."

[Leisinger, Klaus M. <1947 - >: Unternehmensethik : globale Verantwortung und modernes Management. -- München : Beck, ©1997. -- ISBN 3406422896. -- S: 176f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


5.1. Verantwortungsbewusste Konsumenten


Abb.: Logo Fair Trade : shop without the sweat (shops)!® [Bildquelle: http://store.globalexchange.org/. -- Zugriff am 2001.01.25] Abb.: Logo von Co-op America's Boycott Action News® [Bildquelle. http://www.coopamerica.org/boycotts/index.html. -- Zugriff am 2001-01-25

"Es mehren sich die Hinweise, dass das «Ansehen» eines Unternehmens zum kommerziell nützlichen Konkurrenzvorteil wird, weil ein «positiver Beiwert» entsteht. Dies kann besonders dort zu einem entscheidenden Marktvorteil werden, wo ein Unternehmen Produkte und Dienstleistungen anbietet, die in Qualität und Nützlichkeit mit denen anderer Unternehmen vergleichbar sind. In den USA z. B. stellen sogenannte «grüne Konsumenten» («green consumers») eine zunehmend wichtige Nische auf verschiedenen Absatzmärkten dar. Unternehmen, die sich über die gesetzlichen Vorschriften hinaus ökologisch vorbildlich verhalten, erzielen daraus Marktvorteile. Nach einer Umfrage des Walker Research Instituts [Webpräsenz: http://web2.chm.msu.edu/dwri/dwri.html. -- Zugriff am 2001-01-25] vermieden im Jahre 1994 etwa 78 Prozent der amerikanischen Konsumenten Produkte von Unternehmen, von denen sie eine negative Wahrnehmung hatten. 48 Prozent dieser Konsumenten sagten, dass die moralische Qualität der Geschäftspraktiken ihre Kaufentscheidung beeinflusst. Besonders bei älteren Konsumenten scheinen ethische Erwägungen ein großes Gewicht zu haben -- ein Faktor, der im Licht der großen Zunahme älterer Menschen in unseren Gesellschaften an Bedeutung gewinnt.

Ebenfalls gibt es eine Reihe empirischer Beispiele dafür, dass unmoralisches unternehmerisches Verhalten kurzfristig mit einem erheblichen gesellschaftlichen Aufschrei und sogar mit einer Intervention der Behörden verbunden sein kann. In den letzten Jahren gewann «ethical shopping» aus sozialer Perspektive (z. B. Teppiche, die nicht durch Kinderarbeit zustande kamen, aber auch Jeans und andere Textilien) an Bedeutung. Vorbildlich handelnde Unternehmen erhielten nicht nur eine positive Medienberichterstattung, sondern erwarben sich auch messbare geschäftliche Vorteile. Firmen wie Levi Strauss, Wal-Mart, Sears, Reebok, The Gap, Nordstrom sowie Ikea und C&A bekamen durch internationale Berichterstattung über praktizierte soziale Verantwortung in Entwicklungsländern kostenlose Reklame und verkaufsfördernde Unterstützung in heiß umkämpften Märkten. Die Ereignisse um die zunächst geplante, dann jedoch wegen massiver internationaler Proteste nicht durchführbare Versenkung einer Ölverlade-Plattform in der Nordsee seien -- was immer sich im Nachhinein als Ergebnis einer neutralen Abklärung als richtig herausstellen wird -- als Gegenbeispiel angeführt: Der am deutschen Kirchentag ausgerufene Boykott der Produkte jenes Unternehmens führte in kurzer Zeit zu erheblichen Verkaufsrückgängen und einem schmerzhaften Verlust von Goodwill -- Goodwill, der über Jahre durch teure Image-Kampagnen aufgebaut worden war.

Die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Interessen versus unternehmerischen Handlungsnotwendigkeiten, von Eugen Buß als «kommunikative Marktöffentlichkeit» bezeichnet, ist in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Steuerungsprinzip wirtschaftlichen Handelns geworden."

[Leisinger, Klaus M. <1947 - >: Unternehmensethik : globale Verantwortung und modernes Management. -- München : Beck, ©1997. -- ISBN 3406422896. -- S: 182f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

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5.2. Verantwortungsbewusste Investoren



Abb.: Aktion alternativer BASF-Aktionäre™ [Bildquelle: http://ourworld.compuserve.com/homepages/critical_shareholders/basf.htm. -- Zugriff am 2001-01-25]

Verantwortungsbewusste Investoren lassen sich in zwei Gruppen einteilen:

Kritische Aktionäre


Abb.:

Der Dachverband Kritischer AktionärInnen DaimlerChrysler gibt jährlich alternative Geschäftsberichte über den Konzern heraus, die kostenlos bei ihm bestellt werden können [Bildquelle: http://ourworld.compuserve.com/homepages/critical_shareholders/daimler.htm. -- Zugriff am 2001-01-25]

Ethisches Investment

"Es muss nicht sein, dass Unternehmen, die bei unmoralischem Handeln ertappt wurden, direkt durch fallende Erträge und Aktienkurse «bestraft» werden. In der Regel sind die Gewinne des jeweiligen Geschäftsjahres weitgehend unbeeindruckt von solchen Dingen. Auch eventuell infolge negativer Publizität gesunkene Aktienkurse erholen sich gewöhnlich nach einiger Zeit oder aufgrund generell guter Börsenentwicklungen. Folgte die «Strafe», in welcher Form auch immer, routinemäßig auf den Fuß der Missetat, so wären die Kosten unmoralischen Handelns schon in einem Maße internalisiert, dass das Eingehen moralischer Risiken schon rein geschäftlich gesehen eine Dummheit wäre. Aber, wie gesagt, das ist oft nicht so.

Die Tage, in denen Anlageentscheidungen in einem moralischen und sozialen Vakuum getroffen wurden, sind jedoch vorbei. Das ist nicht die Wunschvorstellung von unverbesserlichen Idealisten, diese Feststellung wurde vielmehr in einem Editorial der Wirtschaftszeitung Financial Times gemacht. Tatsächlich haben «ethische Investitionen» in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Immer öfter werden Gelder aus kirchlichem Vermögen, aber auch aus ganz normalen Pensionsfonds, nach moralischen Kriterien angelegt. Sie berücksichtigen u. a. 

Zusätzlich werden von manchen «ethical investment funds» Menschenrechtsaspekte und ethisch kontroverse Sachverhalte wie z. B. Tierschutz analysiert. 

 

Caring about the world and its inhabitantsEthical investment is one of the great success stories of the 1990s. When Friends Provident started Stewardship in 1984, it was the only range of ethical unit trust, life assurance and pension funds in the UK.

 

Abb.: Logo™ von Friends Provident Stewardship [Bildquelle: http://www.friendsprovident.com/stewardship/f_range.html. -- Zugriff am 2001-01-25]

Schließlich spielt auch die Art und Weise der Geschäftstätigkeit mit und in Entwicklungsländern eine bedeutende Rolle, da der Einfluss multinationaler Unternehmen auf die sozioökonomischen sowie ökologischen Bedingungen des Gastlandes als überaus bedeutungsvoll beurteilt wird.

Folgende Fragen stehen bei der entwicklungspolitischen Analyse im Vordergrund :

Um Transparenz über «ethische» Geldanlagemöglichkeiten zu schaffen, gibt es in vielen Ländern Informations- und Beratungszentren. Frühe Beispiele dafür sind 

Auch die Bedeutung europäischer Institutionen wie 

ist in den letzten Jahren stetig angestiegen.

Das Gesamtvolumen der in amerikanischen Ethik- und Umweltfonds angelegten Mittel betrug schon 1993 mehr als zehn Milliarden Dollar. Allein die im «Jahrbuch für ethisch-ökologische Geldanlagen» aufgeführten Institutionen spiegeln ein Finanzvolumen von mehreren Milliarden Deutsche Mark wieder. Schätzungen für Großbritannien belaufen sich für das Jahr 1994 auf etwa 800 Millionen Pfund. Das Jahr 1994 wird von vielen Beobachtern als Trendwende für den Erfolg von ethischen Geldanlagen betrachtet, zumindest in den USA: Am 15. Juni 1994 nahm die mit 80 Milliarden US Dollar größte Pensionskasse der USA, das California Public Employees Retirement System [Webpräsenz: http://www.calpers.ca.gov/. -- Zugriff am 2001-01-25], soziale und ethische Kriterien auf. Der Grund lag nicht in der Validität ethischer Kriterien per se, sondern in der Tatsache, dass moralische Unternehmen über mehrere Jahre besser rentierten als der Durchschnitt der Standard & Poors-Index-Firmen [Webpräsenz: http://www.standardpoor.com/. -- Zugriff am 2001-01-25]: Vergleicht man die Aktienkurse von Firmen, die von ethischen Anlagefonds empfohlen werden, mit der durchschnittlichen Performanz der Aktien (z. B. dem Dow-Jones-Index oder dem Standard & Poors 500-Index), dann schneiden die «guten» Unternehmen über einen Zeitraum von zehn Jahren kumulativ um mehr als 180 Prozent besser ab. Diese Korrelation ist besonders ausgeprägt in bezug auf die Wahrnehmung ökologischer Verantwortung: Das Washingtoner Investors' Responsibility Research Center [Webpräsenz: http://www.irrc.org/. -- Zugriff am 2001-01-25]  fand heraus, dass die finanzielle Performanz der «low-pollution»-Unternehmen zwischen 1987 und 1991 in 73 von 90 Fällen höher lag als die von «high-pollution»-Unternehmen.

Die Wertentwicklung ethischer Pensionsfonds in Großbritannien lag mit 14,2% im 5-Jahres-Durchschnitt höher als der Durchschnitt aller Pensionsfonds (13,4%). Die besten Ethikfonds (z.B. Friends Provident Stewardship [Webpräsenz: http://www.friendsprovident.com/stewardship/f_range.html. -- Zugriff am 2001-01-25]) befanden sich sowohl kurzfristig als auch über einen Zeitraum von acht Jahren wesentlich über dem Durchschnitt. Auch der 5-Jahres-Vergleich konventioneller Anlagefonds in den USA mit den ethischen ergibt klare Vorteile für die ethische Geldanlage - kumulativ rentierten sie mit 95% etwa 15% mehr als die konventionellen.

Natürlich spiegelt die Börsenbewertung immer auch viele andere Faktoren wider, und vermutlich verstecken sich hinter den Aggregaten «low-pollution» und «high-pollution» auch gewinnrelevante strukturelle Verschiedenheiten. Dennoch zeigt der Vergleich der Aktienkurse, dass die Berücksichtigung ethischer Gesichtspunkte zumindest auf Dauer kein Schaden für die Aktionäre sein kann. Damit entfällt ein wichtiges Argument von Gegnern expliziter unternehmensethischer Bemühungen, nämlich dass man die Rentabilität der anvertrauten Mittel zu maximieren habe und auf andere Desiderata keine Rücksicht nehmen könne.

Die heute für ethische Investitionen zur Verfügung stehenden 100-150 Milliarden Dollar mögen, angesichts der über 10000 Milliarden Dollar, die weltweit nach kurzfristig rentablen Anlagemöglichkeiten suchen, wenig sein. Wegen der Kurzfristigkeit des Anlagehorizontes ist auch nicht auszuschließen, dass Unternehmen bevorzugt werden, deren kurzfristige Resultate wegen mangelnder Sozial- und Umweltverträglichkeit besonders attraktiv sind. Dennoch: Wenn alle anderen Anlagekriterien gleich sind, ist es eine signifikante Anlagemasse, die durch Empfehlung ethischer Anlagefonds den Ausschlag für überdurchschnittlich attraktive Kurse geben kann. Auch das Gegenteil ist belegt: Wo Verkaufsempfehlungen ethischer Anlagefonds ausgesprochen werden, führte dies zu signifikanten Kursverlusten.

Die Zukunftsaussichten für ethisch-ökologische Geldanlagen werden aus verschiedenen Gründen als äußerst positiv bewert: Erstens sind ethische Investitionsmöglichkeiten ein inzwischen etablierter und stark expandierender Markt. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass wahrscheinlich eine Mehrheit von Aktionären bereit wäre, in gewissem Maße Einschränkungen bei der Gewinnhöhe hinzunehmen, wenn damit eine Erhöhung der moralischen Performanz des Unternehmens verbunden wäre. Zweitens ist mit großer Sicherheit anzunehmen, dass genereller gesellschaftlicher Druck auf die Durchsetzung höherer moralischer Standards auch auf wirtschaftliche Aktivitäten überschwappt. Wer hier Startvorteile hat, wird überdurchschnittlich von veränderten Denk- und Verhaltensweisen bei Konsumenten profitieren. Dies wiederum spricht dafür, dass auch in Zukunft bei ethisch orientierten Anlagefonds ein höherer wirtschaftlicher Erfolg erwartet werden kann als bei konventionellen Kapitalanlagen.

Allerdings sind auch hier keine vereinfachten Schlussfolgerungen möglich: Es ist nicht so, dass Investitionen, bei denen die moralische Performanz am höchsten ist, immer und in jedem Fall auch die profitabelsten sind - vielleicht wäre das ja auch zuviel verlangt ..."

[Leisinger, Klaus M. <1947 - >: Unternehmensethik : globale Verantwortung und modernes Management. -- München : Beck, ©1997. -- ISBN 3406422896. -- S: 184 - 187. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

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Andere Internetressourcen:


5.3. Beobachtung und Information


Verantwortungsbewusste Konsumenten und Investoren brauchen zuverlässige, professionelle Informationen. Die unten angegebenen Links geben einen ersten Einstieg.

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Organisationen


Zu Kapitel 7, Teil IV: Beispiele