Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript

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Kap. 10: Zur Abfassung eines Kommentars in Sanskrit


von Alois Payer

mailto:payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript.  -- Kap. 10: Zur Abfassung eines Kommentars in Sanskrit. -- Fassung 2004-07-26. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg10.htm. -- [Stichwort].

Überarbeitungen: 2004-07-06 [revidiert];  1996-01-21

Anlass: Lehrveranstaltung Proseminar Indologie WS 1995/96

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0. Übersicht



1. Einleitung


Für eine traditionelle Interpretation eines indischen Textes gilt folgender Vers

padaccheda.h padârthoktir
vigraho vâkyayojanâ |
âk.sepo 'tha samâdhâna.m
vyâkhyâna.m .sa.dvidham matam ||

"Eine Interpretation ist sechsfach:

  1. padaccheda = Auflösung des Sandhi zwischen den Wörtern (Satzsandhi)
  2. padârthokti = Nennung der Bedeutung der einzelnen Wörter
  3. vigraha = Auflösung der Komposita und Zerlegung der Wörter in ihre morphologischen Elemente
  4. vâkyayojanâ = Aufzeigen der syntaktische Konstruktion ("Konstruieren")
  5. âk.sepa = Einwände: "Warum sagt der Verfasser das? Er hätte so und so sagen müssen."
  6. samâdhâna = Auflösung der Einwände: "Der Verfasser ist aus den und den Gründen im Recht."

Die verschiedenen einheimischen Kommentare lassen sich keineswegs in ein einziges Schema bringen. Für einen handwerklich gemachten, vollständigen Wort-für-Wort-Kommentar empfiehlt sich das Schema, wie es angewendet ist in

Bhatti: Bhattikâvyam / ed. with Chandrakala-Vidyotini Sanskrit-Hindi commentaries by Shesharaj SharmaShastri. -- Varanasi : Chowkhamba Sanskrit Series Office. -- (Haridas Sanskrit Series ; 136.).
Vol. 1. -- 8. ed. -- 1982
Vol. 2. -- 3. ed. -- 1976
Vol. 3. -- 5. ed. -- 1983

"Wie sehr die höfische Kunstdichtung auch gelehrte Dichtung ist, zeigt nichts deutlicher als das Epos Râvanavadha (»Râvanas Tötung«) des Dichters; Bhatti, gewöhnlich Bhatti-kâvya) genannt, ein Epos, das in 22 Gesängen die Geschichte von Râma besingt, zugleich aber die Regeln der Grammatik und der Poetik durch Beispiele belegen will.

Das Gedicht ist in vier Abschnitte (Kândas) eingeteilt, von denen

  • der erste (= I. bis V. Gesang) Beispiele für gemischte Regeln,
  • der zweite (= VI. bis IX. Gesang) für die Hauptregeln von Pâninis Grammatjk geben will,
  • während im dritten Abschnitt (= X. bis XIII. Gesang) die wichtigsten Schmuckmittel und
  • im vierten der Gebrauch der Tempora und Modi durch Beispiele erläutert werden soll.

Dabei ist es bezeichnend genug, dass das Bhattikâvya von den Indern stets als ein Werk der Dichtkunst hochgeschätzt, zu ihren klassischen Kunstwerken gerechnet wird und in der Tat den Namen eines »mahâkâvya« vollauf verdient, andererseits aber auch als Autorität in Fragen der Grammatik ein hohes Ansehen genießt. Der Dichter selbst sagt zum Schluss (XXII, 33 f.):

»Einer Lampe gleich ist dieses Werk für diejenigen, deren Auge die Grammatik ist; aber wie ein Spiegel in der Hand der Blinden ist es für Leute ohne Grammatik. Durch einen Kommentar muss dieses Gedicht verstanden werden, dann ist es ein Fest für die Verständigen. Da ich nur gerne mit Kennern zu tun habe, kommen bei diesem Gedicht die Toren zu kurz.«

Es zeugt von dem Ansehen des Bhattikâvya, dass es nicht weniger als 13 verschiedene Kommentare zu dem Werke gibt. Der Name Bhatti ist eine Prâkritform für Bhartr. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass man zuweilen den Verfasser dieses Epos mit dem Spruchdichter und Grammatiker Bhartrhari identifiziert oder in verwandtschaftliche Beziehung gebracht hat."

[Quelle: Winternitz, Moritz <1863 - 1937>: Geschichte der indischen Literatur. -- Stuttgart : Koehler. -- Band 3: Die Kunstdichtung, die wissenschaftliche Literatur, neuindische Literatur. -- 1920. -- S. 70 - 72]

Ich empfehle diesen Kommentar als ausgezeichnete Hilfe, um einheimische grammatische Analyse zu üben. Zuvor sollte man allerdings die Laghukaumudî durcharbeiten.

Die Auslegung eines Verses hat nach dem Schema dieses Kommentars den Aufbau:

  1. Wortlaut des Verses
  2. anvaya = der Wortlaut des Verses in der Wortordnung, die er in Prosa hätte
  3. prayogaparivartana = Umkehrung der Konstruktion aus dem Aktiv ins Passiv bzw. umgekehrt
  4. vyâkhyâ = Wort-fürWort-Erklärung
  5. vyutpatti = grammatische Analyse
  6. bhâvârtha = Wiedergabe des vom Autor beabsichtigten Sinnes
  7. Übersetzung in eine moderne Sprache


Abb.: Beispiel aus diesem Kommentar: zu Bhattikâvya IV, 3

Im Folgenden kurze Bemerkungen zu den einzelnen Schritten.


2. Anvaya


Man bringt den vollen Wortlaut des Verses in die Wortfolge, die er in Prosa hätte.

Grundregeln:

Zu Einzelheiten siehe die syntaktischen Schemata im Grammatikskriptum.


3. Prayogaparivartana


Ein Aktivsatz wird ins Passiv umgewandelt, ein Passivsatz ins Aktiv. Findet bei Nominalsätzen selbstverständlich keine Anwendung.


4. Vyâkhyâ


Die einzelnen Worte werden in der Reihenfolge des anvaya durch möglichst bedeutungsgleiche Wörter erklärt.

Demonstrativ- und Relativpronomina werden dadurch erklärt, dass man angibt, worauf sie sich beziehen.

Bei Andeutungen, Umschreibungen u.ä. wird nach der Angabe eines bedeutungsgleichen Wortes noch der Sinn angegeben: z. B. sanâtana.h = nitya.h (Vi.s.nur ity artha.h).

Hilfsmittel:

Amarako'sa

Tarkavachaspati, Taranatha <1812-1885 >: Vachaspatya : a comprehensive Sanskrit dictionary / compiled by Taranatha Tarkavachaspati. - 6 vol. - Calcutta, 1873-1884

Radha Kanta: Shabda-Kalpadrum - 5 vol. - Calcutta, 1821-1857

[Siehe Kapitel 4]

Tarkavachaspati, Taranatha <1812-1885>: Sabdastomamahânidhi : a Sanskrit dictionary / compiled by Târanâtha Bhattachârya. -- 3. ed. -- Varanasi : Chowkhamba Sanskrit Series Office, 1967. -- 515 S. -- .(Chowkhamba Sanskrit series ; 101). -- [Handwörterbuch]


Abb.: Anundoram Borroah

Borooah, Anundoram <1850 - 1889>: English-Sanskrit dictionary. - Repr. d. Ausg. 1877. - Gauhati : Publ. Board, 1971. - XXVIII, 783 S. -- (Anundoram Borooah classics ; 4). -- [Das beste Englisch-Sanskrit Wörterbuch, das ich kenne]

"Anundoram Borooah was born on May 21, 1850 in North Guwahati. He had his early education in North Guwahati and Guwahati. He passed then matriculation examination in second division from Guwahati Government Seminary which is present day’s Cotton Collegiate School. He proceeded to Kolkata to join Presidency College wherefrom he passed L.A. (F.A. later I.A.) with 6th position and B.A. with 3rd position.

Anandaram had the ambition to join I.C.S. and only way he could do so was to secure Gilchrist scholarship, which would enable him to proceed to England to prepare himself for the entrance test for I.C.S. examination. He secured 1st position in Gilchrist Scholarship examination.

When he studied for I.C.S. at the same time he studied for Bar-at-law in Middle Temple and as well as B.Sc. in Mathematics in London University. He completed his studies and passed I.C.S. test to become the 5th Indian civilian and only Assamese ever. He started his career as a magistrate in Sibsagar and later was transferred to undivided Bengal where he later became the first Indian District Magistrate in Noakhali District.

 During his service in Bengal he continued his scholarly works in Sanskrit. He was an eminent Oriental Sanskrit Scholar. He authored many books.

Anundoram died at an early age of 39 in 1889 in the home of his lifelong friend Sir Taraknath Palit in Kolkata.

The present Calcutta University Science College building was a gift of the philanthropist Sir Taraknath.

Noted Assamese historian and littérateur, Dr. Suryya Kumar Bhuyan, undertook the painstaking research work for his contemplated book on life
and works of Anundoram which was published in 1920. When Dr. Bhuyan studied in Presidency College, Kolkata from 1911 to 1915 he took this opportunity to gather materials from all available sources for the biography.

 Sir Gooroodass Banerjee taught Anundoram Mathematics at Presidency College in 1865. Sir Gooroodass was the first Indian Vice-Chancellor of Calcutta University and first Indian Judge of a high court.

Dr. Bhuyan met Sir Gooroodass and at his request he gave his reminiscence regarding Anundoram in a letter form which he sent on 24th January 1912, where he stated,

“The first year class in the Presidency College that year was a splendid class containing many brilliant students, such as the late Mr. R.C. Dutta, the late Babu KartikChandra Mitra….Babu Trailokya Nath Bose….BL Gupta, Babu Uma Kali Mukherjee….Mr. Borooah was unquestionably the brightest of this band of young students. It is worthy of note, that his class fellows never grudged to admit his superior merit. It is a matter of deep regret that his brilliant career of public service was cut off so early”."

The 92 year old letter is considered as a historic letter and is proposed to be gifted for preservation to the Asiatic Society, Kolkata; Asia’s oldest historical, antiquarian and archival research society founded in 18th century. A brief report about this landmark letter was published recently in three leading Kolkata dailies."

[Quelle: Bijoy Kumar Bhuyan. -- http://www.assam.org/newsletter/june2004.pdf?PHPSESSID=6419be025a432725e20c72a06df0ec6c. -- Zugriff am 2004-07-236]

Apte, V. S. (Vaman Shivram) <1858 - 1892>: The student's English-Sanskrit dictionary. -- 6. ed [der 1. ed., 1884). -- Delhi : Motilal Banarsidass, 1969. -- [Bringt sehr viele "Synonyme", aber ohne Beispiele für ihre Verwendung. Sehr weite, ungenaue Auffassung von Synonym]

Mylius, Klaus: Langenscheidts Handwörterbuch Deutsch-Sanskrits. -- Berlin ; München : Langenscheidt, 2001. - 322 S. -- ISBN 3-468-04396-1


5. Vyutpatti


Man löst alle Wörter in der Reihenfolge des anvaya in ihre grammatischen Elemente auf, d. h.


6. Bhâvârtha


Wiedergabe des vom Autor beabsichtigten Sinns in eigenen Worten. Dabei kann man weitgehend den Wortschatz der Vyâkhyâ benutzen.


ENDE