Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript

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Kap. 4: Die Übersetzung


von Alois Payer

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Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript.  -- Kap. 4: Die Übersetzung. -- Fassung vom 2004-06-25. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg04.htm. -- [Stichwort].

Überarbeitungen: 2004-06-25 [erweitert]; 2004-06-16 [erweitert]; 2004-06-08 [erweitert und überarbeitet]; 1995-12-22

Anlass: Lehrveranstaltung Proseminar Indologie WS 1995/96

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.


0. Übersicht



Siehe auch:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 3. Verbale Kommunikation. -- 2. Überwindung der Sprachbarrieren.  -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur032.htm. -- Zugriff am 2004-06-03


1. Zu Problematik und Theorie der Übersetzung


Obwohl die endgültige Übersetzung erst das Ergebnis aller Auslegungsschritte ist, empfiehlt es sich doch, sie in der ausgearbeiteten Exegese an den Anfang zu stellen.

Die Schritte beim Übersetzen sind also:

  1. Arbeitsübersetzung / Rohübersetzung
  2. Einzelschritte der Auslegung
  3. Revision der Arbeitsübersetzung
  4. Einzelschritte der Auslegung
  5. ...
  6. "Endgültige" Übersetzung

Eine hervorragende Einführung in die Probleme des Übersetzens gibt David Crystal in seinem auch sonst sehr empfehlenswerten Werk:

Crystal, David: Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache / David Crystal. Übers. und Bearb d. dt. Ausg. von Stefan Röhrich ... -- Frankfurt /Main [u.a.] : Campus Verlag, 1993. -- Originaltitel: The Cambridge encyclopedia of language . -- ISBN 3-593-34824-1. -- S. 344 - 351: § 57: Übersetzen und Dolmetschen


1.1. Das Übersetzungsproblem


"Ich weiß wohl, und sie [die Papisten] wissen's weniger denn des Müllers Tier, was für Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Dolmetscher [= Übersetzer] gehört; denn sie haben's nicht versucht."

Luther, Martin <1483 - 1546>: Ein Sendbrief vom Dolmetschen. -- 1530

"Denn man man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, wie diese Esel  [=Papisten] tun; sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.

Als [= z.B.] wenn Christus spricht Matthäus 12, 34: Ex abundantia cordis os loquitur. Wen ich den Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstaben vorlegen und also dolmetschen: Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund. Sage mir, ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche versteht solches. Was ist Überfluss des Herzens für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, er wollte denn sagen, es sei, dass einer ein allzu großes Herz habe oder zu viel Herzen habe. Wiewohl das auch noch nicht recht ist. Denn Überfluss des Herzens ist kein Deutsch, so wenig als das Deutsch ist: Überfluss des Hauses, Überfluss des Kachelofens, Überfluss der Bank. Sondern also redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes des Herz voll ist, des gehet der Mund über. Das heißt gut deutsch geredet. Des ich mich gefließen [= befleißigt] und leider nicht allewege erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden."

Luther, Martin <1483 - 1546>: Ein Sendbrief vom Dolmetschen. -- 1530

"Qui non intelligit res, non potest ex verbis sensum elicere."

Luther, Martin <1483 - 1546>

"Wer von der Sache nichts versteht, kann den Worten keinen Sinn entlocken."

Luther, Martin <1483 - 1546>

Den vollständigen Text von Luthers Sendbrief vom Dolmetschen siehe:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript.  -- Kap. 4: Die Übersetzung. -- Anhang A: Martin Luther (1483 - 1546): Ein Sendbrief vom Dolmetschen (1530). -- Fassung vom 2004-06-03. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg04a.htm

Luthers Übersetzungsprinzip entspricht zumindest teilweise dem, was man heute Wirkungsadäquatheit nennt:

"Das Prinzip der Wirkungsadäquatheit und nicht die Schimäre der Richtigkeit ist es, welches heute Übersetzer leitet. Was eine Übersetzung leisten soll, ist leicht gesagt. Nicht Wörter übertragen und Sätze nachbauen, auch wenn es manchmal den Anschein hat, als täte sie nichts anderes. Sie muss die Aussagen, die Propositionen ausschöpfen und vermitteln, die der Originaltext enthält; und sie muss dabei möglichst jene »Register« anwenden, jene -- zum Beispiel historischen oder sozialen -- Kolorierungen des Sprechens, die sich wiedergeben lassen. (Ein Register wie »Sprache eines siebenjährigen Kindes« wird sich ohne weiteres erhalten lassen, gleich aus welcher in welche Sprache übersetzt wird. Ein Register wie »irisch getöntes Englisch« wird sich auf keine Weise in irgendeiner anderen Sprache reproduzieren lassen, denn es gibt keine Tönung des Deutschen oder des Dänischen, die einen irgend »irischen« Eindruck machen könnte.) Damit jedoch ist nur das Selbstverständliche gesagt. Zu dem Ziel führen viele Wege, und es kann verschiedene Gestalt haben. Dem Übersetzer ist mit solchen Auskünften wenig gedient."

[Zimmer, Dieter E. <1934 - >: Redensarten : über Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch. -- Zürich : Haffmans, ©1986. -- ISBN 3-251-00326-7. -- S. 177]

Die  Bibel hat im deutschen Sprachbereich die längste und durchdachteste Tradition der Übersetzungsbemühungen. Deshalb sei noch als moderner Theoretiker und Praktiker der Bibelübersetzung Eugene Albert Nida (geb. 1914) von der American Bible Society zitiert:

"Der Übersetzer muss sich um Gleichwertigkeit und nicht um Gleichheit bemühen. (Er soll) nicht die Aussageform erhalten, sondern den Inhalt der Botschaft wiedergeben... Der guten Übersetzung merkt man es nicht an, dass sie eine Übersetzung ist... Obwohl der Stil gegenüber dem Inhalt zweitrangig ist, ist er dennoch wichtig. Poesie sollte nicht wie Prosa übersetzt werden, noch eine Abhandlung, als sei sie Erzählgut... Bei dem Versuch, den Originalstil wiederzugeben, muss man sich jedoch davor hüten, etwas zu schaffen, das nicht wirkungsgleich ist. Markus verwendet ein typisch semitisches Griechisch, wenn er immer wieder die Konjunktion και (kai) »und« gebraucht, um viele Sätze einzuleiten. Das ist völlig angemessen semitisiertes Koine-Griechisch, weil es die entsprechende Verwendung der hebräischen Konjunktion waw genau wiederspiegelt. In Luthers Übersetzung werden die meisten dieser Konjunktionen wörtlich wiedergegeben, mit dem Ergebnis, dass mehr als 30 Sätze in Markus 1 mit »und« anfangen. Dadurch entsteht... der Eindruck von »Kindersprache«... Wenn ein hoher Prozentsatz von Lesern die Wiedergabe eines Textes in der eigenen Sprache nicht versteht, kann nicht von einer legitimen Übersetzung gesprochen werden... Die Elberfelder Bibel sagt zum Beispiel: »Denn auch das Verherrlichte ist nicht in dieser Beziehung verherrlicht worden, wegen der überschwänglichen Herrlichkeit« (2. Korinther 3, 10). Riethmüller baut diese Stelle ganz richtig um, dass sie lautet: »Mehr noch: Jene Herrlichkeit verblasst sogar völlig vor diesem alles überstrahlenden Glanz.«... Ein guter Übersetzer wird keiner Sprache die formale Struktur einer anderen aufzwingen, sondern bereit sein, jede notwendige Änderung der Form vorzunehmen, um die Botschaft in den natürlichen Strukturformen der Empfängersprache wiederzugeben."

[Eugene Albert Nida (geb. 1914). -- Zitiert in: Zimmer, Dieter E. <1934 - >: Redensarten : über Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch. -- Zürich : Haffmans, ©1986. -- ISBN 3-251-00326-7. -- S. 180 -181]

Während für Luther Dolmetschen die schriftliche Übersetzung schriftlicher Texte bedeutete, unterscheidet man heute:

David Crystal beschreibt sehr treffen das Übersetzungsproblem:

"Manche meinen, dass es keine schwierigere Aufgabe als die des Übersetzens gibt. Betrachtet man alle Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, kann man dieser Behauptung ohne weiteres zustimmen. Der Übersetzer muss nicht nur die Ausgangssprache sehr gut beherrschen und fundierte Kenntnisse im behandelten Fachgebiet besitzen, sondern sich auch über gesellschaftliche, kulturelle und emotionale Konnotationen im klaren sein, die in der Zielsprache ebenso zum Ausdruck kommen müssen. Besondere Formulierungen, aktuelle Modeausdrücke oder Ausdrucktabus, lokale (z.B. regionale) Erwartungen - all dies und mehr ist in der Zielsprache zu berücksichtigen. Im allgemeinen übertragen Übersetzer aus einer Fremdsprache in ihre Muttersprache (oder in die von ihnen gewöhnlich verwendete Sprache), damit die Übersetzung so natürlich wie möglich klingt. Bei bestimmten Texten (z.B. wissenschaftlicher Art) steht jedoch weniger die Natürlichkeit der Übersetzung als ihre Präzision im Vordergrund.

Ziel einer Übersetzung ist es, in der Zielsprache ein semantisches Äquivalent zum Ausgangstext zu schaffen. Hierin unterscheidet sich die Übersetzung von anderen Arten der sprachlichen Tätigkeit wie

  • Adaption,
  • der Erstellung von Zusammenfassungen oder
  • der Abstraktion.

So einfach sich das Übersetzungsziel formulieren lässt, so zahlreich sind die Probleme, die es bringt. Alles hängt damit zusammen, welches »semantische Äquivalent« erwartet und akzeptiert wird.

Eine hundertprozentige Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext lässt sich natürlich nicht erreichen: Es ist unmöglich,

  • Sprachrhythmus und
  • Lautsymbolik,
  • Wortspiele und
  • kulturelle Anspielungen

in exakter Parallelität von der Ausgangssprache in die Zielsprache zu übertragen. Dies gelingt nicht einmal bei Umschreibungen in ein und derselben Sprache. Ein gewisser Informationsverlust ist unvermeidbar.

Andererseits gibt es viele Arten von Entsprechungen, die zwar nicht hundertprozentig sind, für die praktischen Anforderungen jedoch genügen. Daraus folgt, dass eine »beste« Übersetzung nicht existiert. Die Tauglichkeit einer Übersetzung hängt von ihrem Verwendungszweck ab, also von den Anforderungen der Zielgruppe, für die sie angefertigt wird.

  • Ist für ein Unternehmen nur der Inhalt einer brieflichen Anfrage von Bedeutung, kann schon eine hölzerne Rohübersetzung diesem Zweck genügen.
  • Auch bei der Übersetzung wissenschaftlicher Artikel ist die genaue Wiedergabe des Inhalts wichtiger als die ästhetische Form.
  • Dagegen sind beim Synchronisieren von Filmen geringfügige Bedeutungsabweichungen zugunsten einer genauen Übereinstimmung der Lippenbewegungen zulässig.
  • Bei literarischen Übersetzungen schließlich müssen sowohl Form als auch Inhalt mit großem Feingefühl berücksichtigt werden. Hier sind oft mehrere Übersetzungen möglich, die jeweils einen anderen Aspekt des Originals stärker hervorheben.

Was im einen Fall also die »beste« Übersetzung ist, kann im anderen völlig unzureichend sein.

[Crystal, David <1941 - >:  Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. -- Köln : Parkland, 1998 (©1993). --  ISBN 3880599548. -- S. 344.]


1.2. Ebenen der Übersetzung


  • "Wort-für-Wort-Übersetzung: Jedes Wort (oder Morphem) der Ausgangssprache wird in ein Wort (oder Morphem) der Zielsprache übersetzt. Dies ergibt häufig keinen Sinn, vor allem bei idiomatischen Wendungen

    It´s raining cats and dogs Es ist regnend Katzen und Hunde

  • Streng wörtliche Übersetzung: Die sprachliche Struktur der Übersetzung folgt der des Ausgangstextes, wird jedoch den Regeln der Zielsprache angeglichen

    It´s raining cats and dogs Es regnet Katzen und Hunde

  • Freie Übersetzung: Die sprachliche Struktur der Ausgangssprache wird nicht beachtet, sondern man wählt eine sinngemäße Übersetzung in die Zielsprache

    It´s raining cats and dogs Es gießt in Strömen"

[Crystal, David <1941 - >:  Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. -- Köln : Parkland, 1998 (©1993). --  ISBN 3880599548. -- S. 344.]

Eine Blütenlese von Zitaten deutschsprachiger Schriftsteller zu den Problemen des Übersetzen siehe in:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten : Skript.  -- Kap. 4: Die Übersetzung. -- Anhang B: Blütenlese von Zitaten deutschsprachiger Schriftsteller zu den Problemen des Übersetzens. -- Fassung vom 2004-06-08. -- URL: http://www.payer.de/exegese/exeg04b.htm


1.3. Arten der Übersetzung


"Verschiedene Arten der Klassifikation von Übersetzungen wurden vorgeschlagen, um diesen Katalog von Möglichkeiten abzudecken
  • Bei einer pragmatischen Übersetzung kommt es zuallererst auf Genauigkeit und Fachkenntnis an, wie sie zum Beispiel bei Bedienungsanleitungen und wissenschaftlichen Texten unerlässlich sind.
  • Die ästhetische Übersetzung hat dagegen eher die Erhaltung des emotionalen und kognitiven Gehalts zum Ziel und versucht, eine gewisse stilistische Äquivalenz herzustellen: Sie spielt bei literarischen Vorlagen eine wichtige Rolle.
  • Ethnographische oder soziolinguistische Übersetzungen konzentrieren sich auf den kulturellen Hintergrund des Verfassers und der Rezipienten und berücksichtigen Unterschiede zwischen Ausgangs- und Zielsprache, beispielsweise wenn christliche Traditionen mit ihren Wurzeln im Nahen Osten in kulturelle Normen Zentralafrikas oder des neuzeitlichen Amerika »übersetzt« werden.
  • Schließlich gibt es noch verschiedene Arten der linguistischen Übersetzung, bei der versucht wird, strukturelle Eigentümlichkeiten des Ausgangstexts möglichst wörtlich zu übertragen, um bestimmte Merkmale (Archaismen, Dialektausdrücke, Förmlichkeitsebenen) zum Ausdruck zu bringen,

Die meisten Übersetzungen stellen natürlich Mischformen aus diesen theoretischen Konzepten dar, worin sich die Komplexität lebender Sprachen widerspiegelt."

[Quelle: Crystal, David <1941 - >:  Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. -- Köln : Parkland, 1998 (©1993). --  ISBN 3880599548. -- S. 345.]

Johann Wolfgang von Goethe unterscheidet -- gerade auch in Bezug auf orientalische Literaturen -- drei Stufen der Übersetzung:

"Übersetzungen

Da nun aber auch der Deutsche durch Übersetzungen aller Art gegen den Orient immer weiter vorrückt, so finden wir uns veranlasst, etwas zwar Bekanntes, doch nie genug zu Wiederholendes an dieser Stelle beizubringen.

Es gibt dreierlei Arten Übersetzung.

  1. Die erste macht uns in unserm eigenen Sinne mit dem Auslande bekannt; eine schlicht prosaische ist hierzu die beste. Denn indem die Prosa alle Eigentümlichkeiten einer jeden Dichtkunst völlig aufhebt und selbst den poetischen Enthusiasmus auf eine allgemeine Wasserebene niederzieht, so leistet sie für den Anfang den größten Dienst, weil sie uns mit dem fremden Vortrefflichen, mitten in unserer nationellen Häuslichkeit, in unserem gemeinen Leben überrascht und, ohne dass wir wissen, wie uns geschieht, eine höhere Stimmung verleihend, wahrhaft erbaut. Eine solche Wirkung wird Luthers Bibelübersetzung jederzeit hervorbringen.

    Hätte man die Nibelungen gleich in tüchtige Prosa gesetzt und sie zu einem Volksbuche gestempelt, so wäre viel gewonnen worden, und der seltsame, ernste, düstere, grauerliche Rittersinn hätte uns mit seiner vollkommenen Kraft angesprochen. Ob dieses jetzt noch rätlich und tunlich sei, werden diejenigen am besten beurteilen, die sich diesen altertümlichen Geschäften entschiedener gewidmet haben.
     

  2. Eine zweite Epoche folgt hierauf, wo man sich in die Zustände des Auslandes zwar zu versetzen, aber eigentlich nur fremden Sinn sich anzueignen und mit eignem Sinne wieder darzustellen bemüht ist. Solche Zeit möchte ich im reinsten Wortverstand die parodistische nennen. Meistenteils sind es geistreiche Menschen, die sich zu einem solchen Geschäft berufen fühlen. Die Franzosen bedienen sich dieser Art bei Übersetzung aller poetischen Werke; Beispiele zu Hunderten lassen sich in Delilles Übertragungen finden. Der Franzose, wie er sich fremde Worte mundrecht macht, verfährt auch so mit den Gefühlen, Gedanken, ja den Gegenständen; es fordert durchaus für jede fremde Frucht ein Surrogat, das auf seinem eignen Grund und Boden gewachsen sei.

    Wielands Übersetzungen gehören zu dieser Art und Weise; auch er hatte einen eigentümlichen Verstands- und Geschmacksinn, mit dem er sich dem Altertum, dem Auslande nur insofern annäherte, als er seine Konvenienz dabei fand. Dieser vorzügliche Mann darf als Repräsentant seiner Zeit angesehen werden; er hat außerordentlich gewirkt, indem gerade das, was ihn anmutete, wie er sich’s zueignete und es wieder mitteilte, auch seinen Zeitgenossen angenehm und genießbar begegnete.
     

  3. Weil man aber weder im Vollkommenen noch Unvollkommenen lange verharren kann, sondern eine Umwandlung nach der andern immerhin erfolgen muss, so erlebten wir den dritten Zeitraum, welcher der höchste und letzte zu nennen ist, derjenige nämlich, wo man die Übersetzung dem Original identisch machen möchte, so dass eins nicht anstatt des andern, sondern an der Stelle des andern gelten solle.

    Diese Art erlitt anfangs den größten Widerstand; denn der Übersetzer, der sich fest an sein Original anschließt, gibt mehr oder weniger die Originalität seiner Nation auf, und so entsteht ein drittes, wozu der Geschmack der Menge sich erst heranbilden muss.

    Der nie genug zu schätzende Voß konnte das Publikum zuerst nicht befriedigen, bis man sich nach und nach in die neue Art hineinhörte, hinein bequemte. Wer nun aber jetzt übersieht, was geschehen ist, welche Versatilität unter die Deutschen gekommen, welche rhetorische, rhythmische, metrische Vorteile dem geistreich-talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie nun Ariost und Tasso, Shakespeare und Calderon, als eingedeutschte Fremde, uns doppelt und dreifach vorgeführt werden, der darf hoffen, dass die Literargeschichte unbewunden aussprechen werde, wer diesen Weg unter mancherlei Hindernissen zuerst einschlug.

    Die von Hammerschen Arbeiten deuten nun auch meistens auf ähnliche Behandlung orientalischer Meisterwerke, bei welchen vorzüglich die Annäherung an äußere Form zu empfehlen ist. Wie unendlich vorteilhafter zeigen sich die Stellen einer Übersetzung des Ferdusi, welche uns genannter Freund geliefert, gegen diejenigen eines Umarbeiters, wovon einiges in den „Fundgruben“ zu lesen ist. Diese Art, einen dichter umzubilden, halten wir für den traurigsten Missgriff, den ein fleißiger, dem Geschäft übrigens gewachsener Übersetzer tun könnte.

Da aber bei jeder Literatur jene drei Epochen sich wiederholen, umkehren, ja die Behandlungsarten sich gleichzeitig ausüben lassen, so wäre jetzt eine prosaische Übersetzung des Schah Nameh und der Werke des Nisami immer noch am Platz. Man benutzte sie zur überhineilenden, den Hauptsinn aufschießenden Lektüre, wir erfreuten uns am Geschichtlichen, Fabelhaften, Ethischen im allgemeinen und vertrauten uns immer näher mit den Gesinnungen und Denkweisen, bis wir uns endlich damit völlig verbrüdern könnten.

Man erinnere sich des entschiedensten Beifalls, den wir Deutschen einer solchen Übersetzung der Sakontala gezollt, und wir können das Glück, was sie gemacht, gar wohl jener allgemeinen Prosa zuschreiben, in welche das Gedicht aufgelöst worden. Nun aber wär’ es an der Zeit, uns davon eine Übersetzung der dritten Art zu geben, die den verschiedenen Dialekten, rhythmischen, metrischen und prosaischen Sprachweisen des Originals entspräche und uns dieses Gedicht in seiner ganzen Eigentümlichkeit aufs neue erfreulich und einheimisch machte. Da nun in Paris eine Handschrift dieses ewigen Werkes befindlich, so könnte ein dort hausender Deutscher sich um uns ein unsterblich Verdienst durch solche Arbeit erwerben.

Der englische Übersetzer des Wolkenboten Mega Dhûta ist gleichfalls aller Ehren wert, denn die erste Bekanntschaft mit einem solchen Werke macht immer Epoche in unserem Leben. Aber seine Übersetzung ist eigentlich aus der zweiten Epoche, paraphrastisch und suppletorisch, sie schmeichelt durch den fünffüßigen Jambus dem nordöstlichen Ohr und Sinn. Unserm Kosegarten dagegen verdanke ich wenige Verse unmittelbar aus der Ursprache, welche freilich einen ganz andern Aufschluss geben. Überdies hat sich der Engländer Transpositionen der Motive erlaubt, die der geübte ästhetische Blick sogleich entdeckt und missbilligt.

Warum wir aber die dritte Epoche auch zugleich die letzte genannt, erklären wir noch mit wenigem. Eine Übersetzung, die sich mit dem Original zu identifizieren strebt, nähert sich zuletzt der Interlinearversion und erleichtert höchlich das Verständnis des Originals; hierdurch werden wir an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben, und so ist denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten bewegt."

[Quelle: Goethe, Johann Wolfgang von <1749-1832>: West-östlicher Divan. -- Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans. -- 1819, 21827]

Wenn man scholastische indische Texte übersetzt, muss man entscheiden, ob man sie für in der indischen Scholastik Bewanderte oder für "Nicht-Scholastiker" übersetzt.

Übersetzt man für Nicht-Scholastiker, müssen in der Übersetzung wohl notgedrungen manche scholastische Spitzfindigkeiten und Feinheiten verlorengehen. Wo man es nötig findet, kann man solche in Anmerkungen oder einem Kommentar erläuternd darlegen.

Übersetzt man für in der indischen Scholastik Bewanderte, muss man eine entsprechende Terminologie in der Zielsprache voraussetzen und konsequent verwenden. Vorbildlich für ein solches Unterfangen ist die Übersetzung, die der katholische Scholastiker Walter Brugger S.J. von der von ihm verfassten und für die Ausbildung katholischer scholastischer Philosophen und Theologen bestimmten Theologia naturalis für den gleichen Leserkreis ins Deutsche gemacht hat:

Brugger, Walter <1904 - >: Summe einer philosophischen Gotteslehre. -- München : Berchmanskolleg, 1979. -- 583 S.  -- ISBN 3-87056-022-3

Lateinisches Original:

Brugger, Walter <1904 - >: Theologia naturalis. -- Pullach b. München : Berchmanskolleg,  1959. -- 464 S.


1.4. Möglichkeiten zur Prüfung der Qualität von Übersetzungen


Um die Qualität von Übersetzungen zu prüfen, gibt es u.a. folgende Möglichkeiten:

  • "Die Rückübersetzung: Hierbei wird ein aus Sprache A in Sprache B übersetzter Text von einem anderen Übersetzer wieder in Sprache A übertragen. Anschließend vergleicht man den ursprünglichen und den rückübersetzten A-Text."
  • "Die Wissensprüfung: Sprecher der Sprache B werden über den Inhalt eines übersetzten Textes befragt ..., Sprecher der Sprache A erhalten die gleichen Fragen bezüglich des Ausgangstexts." Lässt sich für Sanskrit auch vereinfachen: man frage jemanden, der nicht Sanskrit kann, was er aus der Übersetzung herausliest.
  • "Die Leistungsprüfung: Sprecher der Sprache B werden gebeten, anhand eines übersetzten Textes (z.B. einer Reparaturanleitung) bestimmte Handlungen durchzuführen. Sprecher der Sprache A verwenden dafür den Originaltext."

[Quelle: Crystal, David <1941 - >:  Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. -- Köln : Parkland, 1998 (©1993). --  ISBN 3880599548. -- S. 346.]

Die Leistungsprüfung ist bei Übersetzungen in allen Fällen unerlässlich, wo Anleitungen zu konkreten Handlungen enthalten sind, also z.B. Ritualtexten, weite Teile von Texten aus dem Bereich des Artha´sâstra, Kâma´sâstra, der Medizin, Pharmakologie, Musik, usw. usw.


1.5. Häufigste Fehler beim Übersetzen aus dem Sanskrit



Abb.: August Wilhelm von Schlegel, 1818 Professor für altindische Philologie in Bonn

Des vers un peu plus longs que les Alexandrins

Deine Sanskritpoesiemetriknachahmungen
Sind voll von goldfunkelnagelneublanken Benamungen.
Du überflügelst in wortschwallphrasendurchschlängeltmonostrophischen Oden
Die Weilandheiligenrömischenreichsdeutschernationsperioden.
Deine mit Dank erkanntwerdenwollenden Bemühungen sind höchlich zu rühmen:
So muss man die Himavatgangesvindhyaphilologiedornpfade beblümen.

[August Wilhelm von Schlegel <1767 - 1845>: Epigramme und literarische Scherze auf Zeitgenossen. -- 1846]

Grammatischer Unterschied

Der Boppart ist ein Ort am Rhein;
Die Bopp-Art sind Pedanterei'n.

[August Wilhelm von Schlegel <1767 - 1845>: Epigramme und literarische Scherze auf Zeitgenossen. -- 1846]

Franz Bopp (1791 - 1867): Begründer der Indogermanistik

Nach dem Indischen des Slâghanîya

Im großen Heldenlied Vyâsa's wortzerreißende Barbarei,
Wie haarsträubend sie Bopp einführt, lesen wohl die Vampire gern

[August Wilhelm von Schlegel <1767 - 1845>: Epigramme und literarische Scherze auf Zeitgenossen. -- 1846]

Eine streng wörtliche Übersetzung kann zu hervorragenden Ergebnissen führen, wenn der Übersetzer ein Sprachkünstler des Deutsch ist, sonst führt sie (zumindest bei Übersetzungen aus dem Sanskrit) meist zu einem unverständlichen und/oder hässlichem Kauderwelsch.

Wichtig ist es vor allem, idiomatische Ausdrucksweisen und grammatische Eigentümlichkeiten, die nur für das Sanskrit und nicht für das Deutsch gelten, entsprechend zu übersetzen, sonst erscheinen in der deutschen Übersetzung Auffälligkeiten, die für einen Hörer des Sanskrittextes gar nicht vorhanden sind. Also z.B.:

Aber auch:

Wichtig ist auch:

Bei der Übersetzung von Versen, insbesondere nicht besonders kunstvoller, muss man entscheiden, was nur um des Versmaßes willen da steht (Füllsel, stereotype Wendungen) und was inhaltlich relevant ist:

Das ästhetische Wiesel

Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wisst ihr
weshalb?
Das Mondkalb
verriet es mir
im stillen:
Das raffinier-
te Tier
tat's um des Reimes willen.


[Christian Morgenstern (1871-1914): Galgenlieder. -- 1905]

Zur bei Indologen so verbreiteten [Klammerfimmel] folgendes Gedicht:

Arthur Bimmel in Klammern

Ein Wort in „Strichen" angeführt,
heißt, dass Beachtung ihm gebührt.

Man schreibt sie vor dem Worte drunten;
seht so: „Anführungsstriche unten!

Der eine schätzt „Anführungszeichen",
der andere liebt zu unterstreichen!

Ihm hat zur eignen „Freudbereitung"
fast jedes dritte Wort Bedeutung:

Es wird, Gott weiß, aus was für Schlichen,
fast jedes Wort dick unterstrichen!

Ein drittes Beispiel: Artur Bimmel
hat einen wahren Klammernfimmel!

[Das heißt: er schreibt (es ist zum jammern!)
fast jedes (dritte) Wort in Klammern!]

Er kann (wie wir es hier probieren)
mit Klammern gradezu jonglieren!

Er wird dereinst (ich will drauf wetten!)
in Klammern sich zur Ruhe betten,

[wenn er an Klammern-Spleen gestorben,
in Klammern sich den Tod erworben!

Dann erst hat er vor Klammern Ruh!
<Ausrufungszeichen! (Klammern zu!)>]


Abb.: Grabstein für einen Klammerfimmel-Indologen

Eduard Müller-Binz (1899 - ?)

[Quelle des Gedichts und der Abb.: Müller-Binz, Eduard <1899 - ?>: Eigentlich : artige und auch unartige Verse. -- Berlin [u.a.] : Menge, ©1950. -- S. 56f.]


2. Wörterbücher des Sanskrit


"Doch, wenn Sie es auch bei jenem gefunden haben, so merken Sie sich, Dass nur unverständige Anfänger ohne Unterscheid nach dem Wörterbuche übersetzen."

"Sie haben doch noch Schulknaben-mäßig übersetzt. Denn was tut ein Schulknabe bei solchen Gelegenheiten? Er nimmt den ersten den besten Sinn, ohne sich viel zu bekümmern, welchen er eigentlich nehmen sollte. Er ist zufrieden, es sei nun auf die eine, oder auf die andere Weise, den Wortverstand ausgedrückt zu haben."

[Gotthold Ephraim Lessing <1729 - 1781>: Ein Vade mecum für Hrn. Sam. Gotth. Lange, Pastor in Laublingen. -- 1754]

Die wichtigsten Hilfsmittel bei der eigentlichen Übersetzungsarbeit sind Wörterbücher.

Das wichtigste, umfassendste wissenschaftliche Wörterbuch ist:

An Encyclopaedic dictionary of Sanskrit on historical principles / general editor A. M. (Amrit Madhav) Ghatage <1913 - >. -- Poona : Deccan College Postgraduate and Research Institute, 1976ff.

Dieses Wörterbuch wird den gesamten Bereich der Sanskritliteratur abdecken, einschließlich der einheimischen Wissenschaften und der Kommentare. Ist, soweit erschienen, in Zweifelsfällen immer heranzuziehen.

Bis zur Fertigstellung obigen Werkes bleibt weiterhin unentbehrlich (vor allem wegen der Belegstellen):

Abb.: Otto von Böthlingk (1815 - 1904), Mitglied der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften 1842 - 1904 Abb.: Rudolf von Roth (1821 - 1895), Professor in Tübingen 1856 - 1895

Böthlingk, Otto von <1815 - 1904>: Sanskrit-Wörterbuch / O. Böthlingk ; R. Roth. --7 Bde. -- St. Petersburg, 1855-1875
(Genannt "Petersburger Wörterbuch"; abgek. "PW")

Bei der Benutzung sind zu beachten die Nachträge zu Bd 1-5 in Bd 5 sowie die Nachträge zu Bd 1-7 in Bd. 7!!!!. Verben mit Präverb stehen unter der Wurzel.

Dazu:


Abb.: Richard Schmidt (1866 - 1939), Professor in Münster 1910 - 1939

Schmidt, Richard  <1866-1939> : Nachträge zum Sanskrit-Wörterbuch in der kürzeren Fassung von O. Böthlingk / bearb. v. R. Schmidt. -- 1924ff.

Handwörterbuch:

Monier-Williams, Monier <1819-1899 >: Sanskrit-English dictionary : Etymologically and philologically arranged with special reference to cognate Indo-European languages. - new ed., greatly enlarged and improved ... -- Oxford : Clarendon Press, 1899 [verschiedene Nachdrucke]

"MONIER-WILLIAMS, SIR MONIER (1819-1899), British orientalist,

son of Colonel Monier-Williams, surveyor-general in the Bombay presidency, was born at Bombay on the 12th of November 1819. He matriculated at Oxford from Balliol College in 1837, but left the university on receiving in 1839 a nomination for the East India Companys civil service, and was completing his course of training at Haileybury when the entreaties of his mother, who had lost a son in India, prevailed upon him to relinquish his nomination and return to Oxford. As Balliol was full, he entered University College and, devoting himself to the study of Sanskrit, he gained the Boden scholarship in 1843.

After taking his degree he was appointed professor of Sanskrit, Persian and Hindustani at Haileybury, where he remained until the abolition of the college upon the transfer of the government of India from the Company to the Crown.

He taught oriental languages at Cheltenham for ten years, and in 1860 was elected Boden professor of Sanskrit at Oxford after a contest with Professor Max Müller, which attracted great public interest and severe criticism, the motive of the nonresident voters, whose suifrages turned the scale, being notoriously not so much to put Monier-Williams in as to keep Max Müller out.

Although, however, far inferior to his rival in versatility and literary talent, Monier-Williams was in no way inferior in the special field of Sanskrit, and did himself and his professorship much honor by a succession of excellent works, among which may especially be named his Sanskrit-English and EnglishSanskrit dictionaries; his Indian Wisdom (1875), an anthology from Sanskrit literature; and his translation of Sakuntala (1853).

In his later years he was especially attracted by the subject of the native religions of India, and wrote popular works on Brahmanism, Buddhism and Hinduism.

His principal undertaking, however, was the foundation of the Indian Institute at Oxford, which owes its existence entirely to him. He brought the project before the university in May 1875, and in that year and the following, and again in 1883, visited India to solicit the moral and financial support of the native princes and Other leading men. Lord Brassey came to his aid with a donation of £9000, and in November 1880 the institute was adopted by the university, but the purchase of a site and the erection of a building were let to the professor. Upwards of £30.000 was eventually collected; the prince of Wales, in memory of his visit to India, laid the foundation stone in May 1883; and the edifice, erected in three instalments, was finally completed in 1896.

Ere this, failing health had compelled Monier-Williams to withdraw from the active duties of his professorship, which were discharged by the deputy-professor, Dr A. Macdonell, who afterwards succeeded him. He continued, nevertheless, to work upon Sanskrit philology until his death at Cannes on the 11th of April 1899.

He had been knighted in 1886, and was made K.C.I.E. in 1889, when he adopted his Christian name of Monier as an additional surname."

[Quelle: Encyclopedia Britannica. -- 1911]

Kurzes Handwörterbuch:

Mylius, Klaus: Wörterbuch Sanskrit-Deutsch. -- 4. Aufl. -- Leipzig [u.a.] : Langenscheidt, Verlag Enzyklopädie, 1992. -- 583 S. -- ISBN 3-324-00245-1

Wörterbuch Deutsch-Sanskrit:

 Mylius, Klaus: Wörterbuch Deutsch-Sanskrit. -- 2., durchges. Aufl. -- Leipzig [u.a.] : Langenscheidt, Verlag Enzyklopädie, 1992. -- 322 S. -- ISBN 3-324-00337-7

Für technische Ausdrücke hilfreich und über das PW hinausgehend sind die Wörterbücher von V. S. Apte, besonders:


Abb.: Vaman Shivram Apte

Apte, V. S. (Vaman Shivram) <1858 - 1892>: The practical Sanskrit-English dictionary. -- 3 vol. - rev. ed. -- Poona : Prasad, 1957-59

In vol. 3 ein wichtiger Appendix A: Sanskrit prosody (faßt alles Wissenswerte zur Metrik zusammen)

Zur Etymologie:

Mayrhofer, Manfred <1926 - >: Kurzgefasstes etymologisches Wörterbuch des Altindischen. - 3 Bde. - Heidelberg, 1956-1976
(wichtig bes. für ältere Texte; wertvolle Literaturhinweise)

An einen Sanskritisten

Gar mancherlei pronominale Wurzeln
Ergrübelst du, aus denen nichts erwächst;
Läßst Doppel-Apostrophe durch einander purzeln,
Und machst unlesbar jeden Text.
Grammatisch orthographische Normen,
Leer, unnütz, kleinlich, hast du aufgestellt;
Du bürstest uns die Uniformen,
Derweil wir rücken in das Feld.

[August Wilhelm von Schlegel <1767 - 1845>: Epigramme und literarische Scherze auf Zeitgenossen. -- 1846]

Unentbehrlich sind die enzyklopädischen Sanskrit-Sanskritwörterbücher, die wahre Fundgruben sind:


Abb.: Titelblatt des Vachaspatya

Tarkavachaspati, Taranatha <1812-1885 >: Vachaspatya : a comprehensive Sanskrit dictionary / compiled by Taranatha Tarkavachaspati. - 6 vol. - Calcutta, 1873-1884

Beispiele aus dem Vachaspatya:

sakala tri° saha kalayâ avayavamâtrayâ catu.sa.s.tyâ kalâbhir vâ sahasya sa.h | 1 sampûr.ne 2 samagre Amara.h [III.1.65] 3 kalâsahite ca ||

"sakala 3: mit der kalâ, der Gesamtheit von 64 Bestandteilen, oder: mit den kalâ-s. sa substituiert für saha [s. Pâ.nini 6.3.78ff.]. Amara: [sakala] bedeutet 1. vollkommen, 2. vollständig; 3. bedeutet [sakala] versehen mit den kalâ-s

de´sika tri° de´se prasita.h .thak | 1 pathike Hemaca° | de´se upade´sa.h tatra prasita.h | gurvâdau "dharmâ.nâ.m de´sika.h sâk.sât sa bhavi.syati dharmabhâk" Bhâ° a° 147 a°

de´sika 3. Jemand, der um de´sa besorgt ist, [in dieser Bedeutung] das Suffix .thak [Taddhita-Suffix -ika/ -ka; fem. -î]. 1. In der Bedeutung "Pfadfinder" (Hemacandra). de´sa = upade´sa (Unterweisung), jemand der damit beschäftigt ist: 2. in der Bedeutung "Lehrer" usw. [wie] im Mahâbhârata [13 App 16.81 pr.] "Er wird des Dharma unmittelbar teilhaftig ein Lehrer der Dharma´s werden."

 

Radha Kanta: Shabda-Kalpadrum - 5 vol. - Calcutta, 1821-1857

Beispiel aus dem Shabda-Kalpadrum:

de´sika.h, pu.m, (de´se prasita.h iti | de´se .thak|) pathika.h | iti Hemacandra.h |3|157||

(yathâ, Mahâbhârate |7|5|10|:
ade´siko yathâ sârtha.h
sarvva.m k.rcchra.m sam.rcchati |
anâyakâ tathâ senâ
sarvvân do.sân sam.rcchati ||)

guru.h | yathâ de´siko mûlamentre.na ityâgama.h

(yathâ, Mahâbhârate |13|147|42|:
dharmmâ.nâ.m de´sika.h sâk.sât
sa bhavi.syati dharmmabhâk |
dharmmavidbhi.h sadaive´so
namaskâryya.h sadodyatai.h ||)

de´sika m.: (Suffix .thak [Taddhita-Suffix -ika/ -ka; fem. -î] an de´sa in der Bedeutung: besorgt um de´sa).

Hemacandra (3,157): = "Pfadfinder"
(wie z.B. im Mahâbhârata:
Wie eine Karawane ohne Pfadfinder (kundigen Führer) in jede Gefahr gerät, so gerät ein Heer ohne Heerführer in jegliche Unbill.)

de´sika = "Lehrer" (guru), wie in: "Gemäß der hl. Überlieferung (âgama) soll der de´sika mit dem mûlamantra ..."
(wie z.B. im Mahâbhârata:
[13 App 16.81 pr.] "Er wird des Dharma unmittelbar teilhaftig ein Lehrer der Dharma´s werden.
Von entschlossenen Dharmakennern ist er stets als Herr zu verehren."


2.1. Amarako´sa


Wichtig sind die einheimischen, traditionellen "Wörterbücher", insbesondere der Amarako´sa (viele Ausgaben), da nach diesem sehr viele Sanskritschriftsteller ihren Wortschatz lernten bzw. lernen !!

Der Amarako´sa "Amara-s Wörterbuch" ist ein Synonymenwörterbuch. Eine kurze Charakterisierung gibt Winternitz:

"So wie aber Pânini unter den Grammatikern alle seine Vorgänger verdrängt hat und alle seine Nachfolger an Berühmtheit überragt, so nimmt unter den Wörterbüchern das Nâmalingânu'sâsana (»Belehrung über die Nomina und ihr Geschlecht«) des Amara-simha, gewöhnlich nur Amarako'sa, »Amaras Wörterbuch«, genannt, eine ähnliche Vorzugsstellung ein.

Amarasimha war Buddhist; aber eine besondere Berücksichtigung des buddhistischen Wortschatzes findet sich in seinem Wörterbuch nicht. Über seine Zeit wissen wir nichts Sicheres. Dass er unter den »neun Edelsteinen« am Hofe des Königs Vikramâditya genannt wird, will nicht viel besagen. Es wurde schon erwähnt, dass er jünger als Kâlidâsa sein muss, da er dessen Werke ausgezogen hat. Da der Verfall des Buddhismus in Indien mit dem 8. Jahrhundert beginnt, können wir annehmen, dass der Buddhist Amarasimha zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert gelebt hat. Doch ist das ganz hypothetisch, und es ist nicht einmal sicher, dass der Amarako'sa selbst unter den erhaltenen Wörterbüchern das älteste ist.

Der Amarako'sa ist ein synonymisches Wörterbuch, das aus drei Abschnitten besteht (weshalb es auch manchmal »Trikândî« genannt wird).

  • Im 1. Abschnitt finden wir die Wörter für Himmel, Götter, Luftraum, Sterne, Zeitabschnitte, für Wort, Sprache, Schall, Musik, Tanz, für Unterwelt, Schlangen, Meer, Wasser, Insel, Schiff, Fluss, Wassertiere und Wasserpflanzen;
  • im 2. Abschnitt die Wörter für Erde, Stadt, Berg, Wald, Bäume und Kräuter, Tiere, Mann, Frau, Verwandtschaftsgrade, Krankheiten, Körperteile, Kleidungsstücke, Schmucksachen, die vier Kasten und ihre Beschäftigungen.
  • Der 3. Abschnitt enthält Eigenschaftswörter, vermischte Wörter und Nachträge über Homonyme, Indeclinabilia und über das Geschlecht der Nomina.

Ähnlich ist die Einteilung in den anderen synonymischen Wörterbüchern, nur dass der Stoff öfter auf mehr als drei Abschnitte verteilt ist.

Zum Amarako'sa hat es nicht weniger als 50 Kommentare gegeben, von denen aber nur wenige bekannt sind.

Wichtig ist der Kommentar des Bhatta Ksîrasvâmin, der wahrscheinlich im 11. Jahrhundert gelebt hat.

Ein sehr umfangreicher Kommentar, im Jahre 1431 geschrieben, ist der des Brhaspati Râyamukutamani, der selbst angibt, dass sein Kommentar ein Auszug aus 16 früheren Kommentaren sei, und der nicht weniger als 270 Werke und Schriftsteller zitiert."

[Quelle: Winternitz, Moritz <1863 - 1937>: Geschichte der indischen Literatur. -- Stuttgart : Koehler. -- Band 3: Die Kunstdichtung, die wissenschaftliche Literatur, neuindische Literatur. -- 1920. -- S. 410-412]

Für einen Westler empfiehlt sich zum Lernen und als Einstieg zB.:

Gole, Mahadev Shivram <1858-1907>: Amarasara or An abbridgement of Amarakosha : being a Sanskrit-English and English-Sanskrit pocket dictionary. - 4.ed. rev. - Poona, 1922.

Für die Benutzung des Amarako´sa gelten folgende paribhâ.sâ (Interpretationsregeln) bzgl. des grammatischen Geschlechts:

prâya´so rûpa-bhedena sâhacaryâc ca kutracit |
strî-pu.m-napu.msaka.m jñeya.m tad-vi.se.sa-vidhe.h kvacit ||3||

bhedâkhyânâya na dvandvo naika´se.so na sa.mkara.h |
k.rto 'tra bhinnaliñgânâm anuktânâ.m kramâd .rte ||4||

trili·ngyâ.m tri.sv iti pada.m mithune tu dvayor iti |
ni.siddha-li·nga.m ´se.sârtha.m tv-anthâthâdi na pûrva-bhâk ||5||

(3) "Das grammatische Geschlecht kann man erkennen:

(4) Soll unterschiedliches Geschlecht angegeben werden, ohne daß das Geschlecht genannt wird, dann wird nicht verwendet

(5)


Beispiele zu den paribhâ.sâ des Amarako´sa:


Zu (3) rûpabhedena - an den unterschiedlichen (geschlechtsspezifischen) grammatischen Formen


Amara I.1.38bc - 40b: Bezeichnungen der Pârvatî (alle Bezeichnungen haben eindeutige Femininendungen):

umâ kâtyâyanî gaurî kâlî haimavatî´svarî ||
´sivâ bhavânî rudrâ.nî ´sarvâ.nî sarvama·ngalâ |
apar.nâ pârvatî durgâ m.r.dânî ca.n.dikâmbikâ||
âryâ dâk.sâya.nî caiva girijâ menakâtmajâ |

[Bezeichnungen für Pârvatî]:

Amara I.1.32-34: Bezeichnungen für ´Siva:

´sambhur î´sa.h pa´supati.h ´siva.h ´sûlî mahe´svara.h |
î´svara.h ´sarva î´sâna.h ´sa·nkara´s candra-´sekhara.h ||32||
bhûte´sa.h kha.n.da-para´sur girî´so giri´so m.r.da.h |
m.tyuñ-jaya.h k.rtti-vâsâ.h pinâkî pramathâdhipa.h ||33||
ugra.h kapardî ´srî-ka.n.tha.h ´siti-ka.n.tha.h kapâla-bh.rt
vâma-devo mahâ-devo virûpâk.sas tri-locana.h ||34||

[Bezeichnungen für ´Siva:]

Amara I.1.37a-b:

kapardo asya [=´sivasya] ja.tâ-jû.ta.h pinâko 'jagavo dhanu.h |

[´Siva´s] kaparda m. - Haarflechte, ja.tâjû.ta m. - Haarflechtenwulst, pinâka m. - Keule, ajagava m. - Bogen, dhanu m. - Bogen


Zu (3) sâhacaryât - an der Begleitung


Amara I.2.2a: Bezeichnungen für "Himmel":

viyad vi.s.nu-pada.m vâ

viyat n. - Luftraum, Himmel
vi.s.nu-pada n. - Ort des Vi.s.nu

daß viyat Neutrum ist, erkennt man aus dem Neutrum von vi.s.nupada


Zu (3) tad-vi´se.sa-vidhe.h - weil das Geschlecht explizit angegeben wird


Amara I.7.6b:

bherî strî dundubhi.h pumân |

bherî (Pauke) - Femininum, dundubhi (Pauke, Trommel) - Maskulinum

Amara I.2.1a:

dvo-divau dve striyâm

dyo (Himmel) und div (Himmel), beide Femininum


Zu (4): bhedâkhyânâya na ... sa.mkara.h .. - (4) Soll unterschiedliches Geschlecht angegeben werden, ohne daß das Geschlecht genannt wird, dann wird nicht verwendet ... eine bunte Reihe, in der Wörter verschiedenen grammatischen Geschlechts vermischt aufgezählt sind


Amara I.6.11d: Bezeichnungen für "Lobpreisung":

stava.h stotra.m stutir nuti.h

stava m., stotra n., stuti f., nuti f. (alle = Lobpreisung)


Zu (5) trili·ngyâ.m tri.sv iti pada.m - Kommt ein Wort in drei grammatischen Geschlechtern vor, dann steht bei ihm das Wort "tri.su" ("in allen dreien")


Amara I.3.35a-b: Bezeichnungen für "lauwarm"

ko.s.na.m kavo.s.a.m mando.sn.am kadu.s.nam tri.su tadvati

ko.s.na, kavo.s.na, mando.s.na, kadu.s.na, Adjektive in allen drei Geschlechtern


2.2. Beurteilung der verschiedenen Bedeutungen eines Wortes


Verwendet man ein Wörterbuch, ist es hilfreich, sich den Zusammenhang der verschiedenen Bedeutungen eines Wortes klar zu machen. Ein wichtiger Zusammenhang ist der des Bedeutungswandels. Bedeutungswandel zeigt sprachübergreifend bestimmte Typen. Solche Typen des Bedeutungswandels werden unterschiedlich klassifiziert.

Stephen Ullmann nennt folgende Klassifikationen:

  1. Logisch-rhetorische Klassifikation
    1. Bedeutungsverengung
    2. Bedeutungserweiterung
    3. Bedeutungsübertragung
  2. Genetische Klassifikation
    1. Kausale Klassifikation
      1. Bedeutungsunterschiebung: Veränderung in der Sache ("Wagen")
      2. Bedeutungsentlehnung
      3. Namensgebung vermittels Bedeutungsübertragung: willkürlich
      4. Bedeutungswandel
    2. Funktionale Klassifikation
      1. Bedeutungswandel infolge sprachlichen Konservatismus
      2. Bedeutungswandel infolge sprachlicher Neuerungen
        1. Namensübertragungen
        2. Sinnübertragungen
        3. Mehrschichtiger Bedeutungswandel
  3. Empirische Klassifikation
    1. Äußere Gründe: Substitution
    2. Sprachliche Gründe
      1. Veränderung des Wortbezugs
        1. Analogie
        2. Kürzung
      2. Veränderung des Objektbezugs
        1. Namensgebung
        2. Übertragung
      3. Veränderung des Subjektbezugs
        1. Vertauschung
        2. Adäquation

Einzelheiten lese man nach in:

Ullmann, Stephen: Grundzüge der Semantik : die Bedeutung in sprachwissenschaftlicher Sicht. -- Berlin : de Gruyter, 1967. -- 347 S.  -- Originaltitel: The principles of semantics (1957). -- S. 159 -237

"Bedeutungswandel

Veränderung der virtuellen Bedeutung von Lexemen als kollektive Folge zunächst individueller Modifikationen in der »gewöhnlichen Sprechtätigkeit« (Paul 1920, Keller 1990). Bedeutungswandel betrifft denotative und konnotative Komponenten und Gebrauchsbedingungen von Lexemen, die Struktur ihrer Signifikate und ihre semantischen Relationen zu anderen Lexemen.

Grob gegliedert wird Bedeutungswandel durch die traditionelle, auch von Semasiologie und Onomasiologie übernommene »logisch-rhetorische« Klassifikation der Vorher-nachher-Relation;

  • Bedeutungserweiterung,
  • Bedeutungsverengung,
  • Bedeutungsübertragung (1),
  • Bedeutungsverbesserung,
  • Bedeutungsverschlechterung.

Diese Kategorien erfassen allerdings weder die Art der Wandlungsprozesse hinsichtlich

  1. Denotat,
  2. Signifikat und
  3. Wortfeld noch
  4. psychologische, soziokulturelle oder historische Ursachen und Bedingungen des jeweiligen Bedeutungswandel

Jedes der genannten Bedeutungswandelergebnisse kann zustande kommen

    1. entweder durch Veränderungen des Denotats (z.B. Schreibfeder) bzw. des Wissens darüber (z.B. Atom) bzw. der Einstellung dazu (z.B. Homosexualität) ohne Veränderung des sprachl. Ausdrucks (»sprachl. Konservatismus«, »Sachwandel«); oder aber
    2. durch Veränderung der Extensionen, also der Zuordnung des Ausdrucks zu Denotaten, und zwar via
      1. Bezeichnungsübertragung (Speiche 'Unterarmknochen') oder
      2. (ellipt.) Bedeutungsübertragung (Kette 'Fahrradkette').

    In der Regel wird dabei

     

  1. das Signifikat Sememe dazugewinnen (wachsende Polysemie, s.o. 'Speiche'); andererseits veralten Bezeichnungsmöglichkeiten auch (z.B. Schalter 'Ruderstange').
  2. Dies geschieht oft in Konkurrenz zu anderen Lexemen (z.B. verliert list im Neuhochdeutschen seine mit kunst synonymen positiven Teilbedeutungen): Bedeutungswandel kann wie zuerst Trier (1931) umfassend gezeigt hat nicht zureichend am einzelnen Lexem, sondern nur im Rahmen der paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungen eines Wortfelds beschrieben werden. Bedeutungswandel dient u.a. der Ausbildung, Aufrechterhaltung oder Einebnung von Bedeutungsoppositionen (viele Beispiele bei Fritz 1974).
  3. Eben dies findet und fand statt in »sinnkonstituierenden« (Busse 1987), zielbezogenen Interaktionen, motiviert durch individuelle Intentionen und Bedürfnisse (z.B. des Ausdrucks oder der Verhüllung), geprägt durch zeit-, gesellschafts- und gruppentypische Kenntnisse und Wertungen, bezogen auf gegenstands-, text- und situationsspezifische Stilnormen. Mit derartigen Gesichtspunkten nehmen neuere begriffsgeschichtliche (historische Semantik) und handlungstheoretische (Fritz 1984) Ansätze eine pragmatische Perspektive wieder auf, aus der heraus ältere Forschung die Fülle psych. (u.a. affektiver: Sperber 1923) und sozialer (Meillet 1921) Ursachen und Bedingungen des Bedeutungswandels zu erfassen versuchte.

Lit. D. Busse, Histor. Semantik. Stgt. 1987. - G. Fritz, B. im Dt. Tübingen 1974. - Ders., Ansätze zu einer Theorie des B. HSK 1, 739-753. - Ders., Historische Semantik. Stgt. 1998. - R. Keller, Sprachwandel. Tübingen 1990. - R. Koselleck (Hg.), Histor. Semantik und Begriffsgeschichte. Stgt. 1978. - H. Kronasser, Hdb. der Semasiologie. Heidelberg 21968. - A. Meillet, Linguistique historique et linguistique générale. Bd. I. Paris 1921. - H . Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. Halle 51920. - O. Reichmann, Histor. Lexikologie. HSK 1, 440-460. - Th. Schippan, Einführung in die Semasiologie. Lpz. 21975. - Dies., Lexikologie der dt. Gegenwartsspr. Tübingen 1992, Kap. 10. - H. Sperber, Einf. in die Bedeutungslehre. Bonn 1923. - J. Trier, Der dt. Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, Heidelberg 1931. - S. Ullmann, Grundzüge der Semantik. Bln. 1967. RB"

[Quelle: Helmut Rehbock. -- In: Metzler-Lexikon Sprache  / hrsg. von Helmut Glück. -- [Veränd. Neuaufl.]. -- Berlin : Directmedia Publ., 2000. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 34). -- ISBN 3-89853-134-1. -- s.v.]


3. Grammatiken des Sanskrit


Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel bei der Übersetzung sind Grammatiken.

Wichtigste Handgrammatik:


Abb.: Franz Kielhorn, Superintendent of Sanskrit Poona 1866 - 1881, Professor in Göttingen 1881 - 1908

Kielhorn, Franz <1840 - 1908>: Grammatik der Sanskrit-Sprache / Franz Kielhorn. Aus d. Engl. übers. von Wilhelm Solf. -- Nachdruck der Ausg. Berlin 1888. - Wiesbaden : Steiner, 1965. - 238 S. -- Originaltitel: A Grammar of the Sanskrit language (1870, 21880)

Die wichtigste wissenschaftliche Grammatik, besonders für die ältere Sprache ist:


Abb.: Jacob Wackernagel, Professor in Göttingen 1902 - 1915

Wackernagel, Jakob <1853 - 1938>: Altindische Grammatik. - Göttingen, 1896ff. Bisher sind davon erschienen:

Introduction générale : Nouvelle édition du texte paru en 1896, au tome I / par Louis Renou. - 1957.

Neben den westlich orientierten Grammatiken sind immer die einheimischen Grammatiker zu Rat zu ziehen. Eine sehr gute Grammatik auf der Grundlage der einheimischen Grammatiker ist:

Kunnappally, John: Prakriyâ bhâshyam : Sanskrit grammar. -- Parathode : Selbstverl., 1983. -- 818 S.


3.1. Pâ.nini


Als Pâ.niniausgabe unentbehrlich ist für Westler:

Pâ.nini: Pâ.nini's Grammatik / herausgegeben, übersetzt, erläutert und mit verschiedenen Indices versehen von Otto Böhtlingk. - Leipzig, 1887.

Das wichtigste an dieser Ausgabe sind die verschiedenen Indices, die die Beschäftigung mit Pâ.nini für jemenden, der die Sûtren nicht auswendig kann, außerordentlich erleichtern, wenn nicht gar erst ermöglichen:

  1. Alphabetisches Verzeichnis der Sûtra
  2. Der Dhâtupâ.tha nach N. L. Westergaard (dazu s. unten)
  3. Alphabetisches Verzeichnis der Wurzeln des Dhâtupâ.tha
  4. Ga.napâ.tha: darin werden die einzelnen Worte zu den Wortgruppen aufgeführt, die in den Sûtren nur als Gruppe erwähnt werden
  5. Erklärung der grammatischen Elemente: wichtigster Index.

    In ihm werden alle grammatischen Kunstausdrücke Pâ.ninis erklärt, die Stellen, an denen sie vorkommen, werden nachgewiesen. Um die Bedeutung der einzelnen it zu erfahren muß man immer unter dem entsprechenden Laut + it nachschlagen, zb. unter kit, khit, ghit usw.

    It's sind symbolische Laute, deren Vorkommen in der Bezeichnung für ein Bildungselement Informationen zB. über Veränderungen gibt, die an dem vorzunehmen sind, woran dieses Bildungselement tritt: zB: der symbolische Laut k (kit) bedeutet nach Pâ.nini 1.1.5, daß vor einem Suffix, das diesen symbolischen Laut enthält, nicht Gu.na oder V.rddhi eintritt: das Suffix für das PPP auf ta heißt darum kta: ta ist das Suffix, das it k zeigt, daß die Wurzel davor tiefstufig ist. Zu it's (anubandha) an Wurzelbezeichnungen s. unten. <Dies sind nur ganz grobe Hinweie auf die Verwendung von it's bei Pâ.nini!>.

  6. Alphabetisches Verzeichnis der Suffixe nach Auflösung der lautlich bedeutsamen und nach Ablösung der stummen Laute: ist ein Index, der es ermöglicht von einem Suffix her die Bezeichnung bei Pâ.nini zu finden und dann weiter über Index 5 vorzugehen: zB. findet man dort die Bezeichnungen für die verschiedenen (akzentuierten und nichtakzentuierten) k.rt und taddhita a-Suffixe
  7. Pâ.nini's Wortschatz: enthält alle Wörter aus den Sûtren, die auch außerhalb des grammatischen Systems im Sanskrit bedeutungstragend sind
  8. Sachregister: kurz, gibt Pâ.ninis Benennungen zu westlichen grammatischen Ausdrücken: zB. Pâ.ninis Benennung(en) für "Aorist".
  9. Der Wortschatz des Ga.napâ.tha: Wortindex zu 4

Die beliebteste (und wohl auch beste) sytematisch geordnete Darstellung der Sûtren Pâ.ninis (samt Kâtyâyana´s vârtika's; Auflösung der Sûtren usw.) ist: Bha.t.toji Dîk.sita: Siddhânatakaumudî (verfaßt ca 1625). Gute Ausgabe mit Übersetzung:

Bhattoji Dikshita: The Siddhanta Kaumudi / ed. and transl. into English by Srisa Chandra Vasu and Vaman Das Vasu. - Allahabad, 1906ff.
(eine wahre Schatzgrube an Information, zB. enthält vol. II, part II auf 713 Seiten fast alles Wissenswerte zu den Verben <die einzelnen Verben sind nach dem Dhâtupâ.tha geordnet>)

Als Einführung in Pâ.nini ist m.E. am besten geeignet:

Varadarâja: The Laghukaumudî : A Sanskrit grammar. With an English version, commentary, and references / by James R. Ballantyne. -- Benares, 1849.


3.2. Der pâ.ninîya-dhâtupâ.tha


Für das Verständnis der Behandlung der Verben bei den einheimischen Grammatikern sind Grundkenntnisse über die Benutzung des Dhâtupâ.tha unerläßlich:

Der Dhâtupâ.tha ist ein Verzeichnis, in dem die Wurzeln des Sanskrit für den Grammatikbetrieb verzeichnet sind. Die Wurzeln sind im Dhâtupâ.tha zunächst nach der Präsensklasse, zu der sie gehören angeordnet (dh. zuerst alle Wurzeln der 1.Kl. usw.). Innerhalb der Präsensklassen sind die Wurzeln vor allem nach dem Akzent geordnet, den sie für den grammatischen Unterricht bekommen, um auszudrücken, ob es Parasmeipada-, Atmanepada- oder Ubhayapada-Wurzeln sind, sowie ob es se.t- oder ani.t-Wurzeln sind. Neben dieser Grundgliederung und manchmal entgegen dieser sind bei den einzelnen Präsensklassen öfters Wurzeln zusammengefaßt, die aus anderen grammatischen Gründen zusammengehören (vor allem Wurzeln gleichen Auslauts).

Die Eintragung im Dhâtupâ.tha umfaßt für jede Wurzel zwei Elemente:

  1. die Wurzel selbst, versehen mit Akzenten und einem Anubandha, dh. einem oder mehreren symbolischen Laut(en). Akzent und Anubandha (Anhängsel) geben Auskunft über Konjugation sowie die Bildung von Nomina (zB. PPP) mit einigen k.rt-Suffixen u.ä.
  2. hinter der Wurzel steht meist im Lokativ eine Bedeutungsagabe, die manchmal nichtssagend ist, manchmal aber auch interessant.

Die erste Eintragung im Dhâtupâ.tha lautet: bhû' sattâyâm: "die Wurzel bhû steht in der Bedeutung "Seiendheit, Sein" (sattâ)". Der Akzent Udâtta auf bhû bedeutet, daß diese Wurzel se.t ist.

Eine brauchbare Ausgabe des Dhâtupâ.tha mit guten Erklärungen ist:


Abb.: Bruno Liebich, Professor in Breslau 1892 - 1939

Liebich, Bruno <1862 - 1939>:: Zur Einführung in die indische einheimische Sprachwissenschaft: 3. Der Dhâtupâ.tha. -- Heidelberg, 1920. -- (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.hist. Klasse, 1920, 10.Abh.)


Erklärung der Akzente, wichtigsten Anubandhas und anderer Eigenheiten des Dhâtupâ.tha


AKZENTE


Alle Wurzeln der ersten neun Präsensklassen sind mit Akzenten versehen. Die Akzente sind die Akzente der vedischen Sprache (auch noch zur Zeit Pâ.ninis), dienen hier aber künstlich für Unterrichts-, Lern- und Kommunikationszwecke. Die vedische Sprache hat drei Töne (Akzente):

Im Dhâtupâ.tha ist zu unterscheiden der Akzent auf der Wurzelsilbe vom Akzent auf einem Anubandhavokal:

AKZENT AUF DER WURZELSILBE:

zB. âp.l': Wurzel âp ist ani.t

â'sa: Wurzel âs ist se.t

AKZENT AUF ANUBANDHA:

Bei vokalisch auslautenden Wurzeln werden diese Informationen durch konsonantische Anubandhas (nicht Akzente) gegeben:

zB:


VERZEICHNIS DER WICHTIGSTEN ANUBANDHAS


-a:
Normal-anubandha bei konsonantisch auslautenden Wurzeln, selbst ohne Bedeutung, dient nur als Träger der Anubandha-akzente
-i:
Wurzeln mit diesem Anubandha haben an vorletzter Stelle der Wurzel IMMER einen Nasal. Dadurch werden diese Wurzeln von Wurzeln mit Nasal an vorletzter Stelle unterschieden, die vor best. Suffixen (die als it k oder ñ enthalten) infolge der Stammabstufung ohne Nasal sind: zB: la'bi: die Wurzel la(m)b hat als PPP (Suffix kta): lambita aber: yama': yam hat als PPP yata (ohne Nasal)
u:
an Wurzeln mit diesem Anubandha tritt das Absolutivsuffix tvâ fakultativ mit oder ohne Bindevokal -i-: zB: a'`s: as 4 Absolutiv: asitvâ oder astvâ
-.r:
Wurzeln mit diesem Anubandha verkürzen im Aorist des Kausativs den Wurzelvokal NICHT. zB: khâ'd.r': khâd: Kaus.Aor: acakhâdat
-.l:
Wurzeln mit diesem Anubandha bilden Aorist 2 zB: âp.l': âp Aor: âpat
â:
Wurzeln mit diesem Anubandha bilden die Partizipien auf ta und -tavant ohne Bindevokal -i-. Sie werden von den Wurzeln mit Anubandha -î unterschieden, da die Wurzeln mit Anubandha -â auch Formen dieser Partizipien mit Bindevokal haben, die Bedeutungsunterschiede zu denen ohne Bindevokal haben. zB: ñi.svidâ: svid "schwitzen" PPP: svinna: "schwitzend", aber svinna n. oder svedita n. "das Schwitzen"
-î:
An Wurzeln mit diesem Anubandha treten die Partizipialsuffixe -ta und -tavant immer ohne Bindevokal -i- zB. dî'pî: dîp hat - obwohl se.t - PPP: dîpta
-û:
Wurzeln mit diesem Anubandha sind fakultativ ani.t zB. a'´sû: a´s 5 ist fak. ani.t, hat zB. Infinitive: a´situm oder a.s.tum; Futur: a´si.syate oder: ak.syate
-e:
Für Wurzeln mit diesem Anubandha gilt im 5.Aor. nicht die Regel, daß Wurzeln der Form (Kons.)-Kons.-a-Kons. im P fakultativ Dehnstufe haben zB. ma'the': math Aor 5 NUR amathît
o:
Wurzeln mit diesem Anubandha bilden das PPP nicht mit -ta, sonden mit -na zB. ohâk: hâ PPP hîna
-·n: an vokalisch auslautenden Wurzeln:
Wurzel hat nur Â. (s.oben)
-ñ: an vokalisch auslautenden Wurzeln:
Wurzel hat Â. in Âtmanepadabedeutung (s.oben)
-m:
Wurzeln mit diesem Anubandha bewahren im Kausativ kurzen Wurzelvokal
-.s:
Wurzeln mit diesem Anubandha bilden das Nomen actionis nicht auf -ti, sondern auf -â zB. j^.r'.s: j^.r davon: jarâ f. "Alter"
-ir:
Wurzel mit diesem Anubandha bilden 2. und 4. Aorist zB. bhidi`r: Aor. 2: abhidat oder 4: abhaitsît
ñi-:
Bei Wurzeln mit diesem Anubandha hat das PPP nicht nur Vergangenheitsbedeutung zB. ñitva'râ: PPP: tvarita "eilend, eilig"

4. Übung


A) Lösen Sie folgende Aufgaben mit Hilfe der Indices zu Böthlingk's Pâ.niniausgabe


  1. Was bedeuten die Bezeichnungen für die Suffixe in folgenden Wortanalysen:
    1. buddhi = Wz. budh + Suffix ktin
    2. bhâga = Wz bhaj + Suffix ghañ
    3. di´s = Wz di´s + Suffix kvin
    4. putraka = putra + kan
  2. Was bedeutet es, wenn in einem Sûtra Pâ.ninis ein Wort im Genetiv steht?
  3. Unter welchen Suffixbezeichnungen finden Sie Femininbildungen auf -î?

B) Schlagen Sie in Liebichs Ausgabe des Dhâtupâ.tha folgende Wurzeln nach und erklären Sie, was die Akzente, Anubandhas und Bedeutungsangaben bedeuten:


  1. nind
  2. tan
  3. muc
  4. n.rt
  5. k.r

Zum nächsten Kapitel: Kap 5: Nachweis verwendeter Ressourcen: Zitate, Anmerkungen, Literaturangaben