Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Huldrych Zwingli

1. Teil: Phänomenologische Grundlegung


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Huldrych Zwingli. -- 1. Teil: Phänomenologische Grundlegung. -- Fassung vom 2005-07-26. -- URL: http://www.payer.de/fides/fideszwingli01.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2005-07-26

Überarbeitungen:

Anlass: Erster Teil der Arbeit zur Erlangung des Magistergrades in evangelischer Theologie an der Universität Tübingen, 1968

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Übersicht



Motto


Das Kappeler Lied

Herr, nun heb den Wagen selb’!’
Schelb wird sust

All unser Fahrt.

Das brächt Lust

Der Widerpart,

Die dick

Veracht so freventlich.

Gott, erhoch den Namen dyn
In der Straf

Der bösen Böck!
Dyne Schaaf
Wiedrum erweck,
Die dich
Lieb haben inniglich!

Hilf, dass alle Bitterkeit
Scheide feer
Und alte Treu wiederkeer
Unde werde neu:

Dass wir

Ewig lobsingen Dir.

Melodie und Text: Huldrich Zwingli <1484 - 1531>, 1529

Das Kappeler Lied

Herr, nun selbst den Wagen halt;
bald abseit geht sonst
die Fahrt;
das brächt Freud
dem Widerpart,
der dich
veracht so freventlich.

Gott, erhöh deins Namen Ehr;
wehr und straf
des Bösen Grimm;
weck die Schaf
mit deiner Stimm,
die dich
lieb haben inniglich.

Hilf, dass alle Bitterkeit
scheid, o Herr,
und alte Treu wiederkehr
und werde neu,
dass wir
ewig lobsingen dir.

Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirchen
der deutschsprachigen Schweiz, Lied Nr.344

KLicken Sie hier, um das Kappeler Lied zu hören

Quelle der midi-Datei: http://www.walter-jandik.de/lieder242.htm. -- Zugriff am 2005-07-21



Abb.: Augustin Mellis nach Hans Asper (1499 - 1571): Huldrych Zwingli, 1540/50


Abb.: Zwingli, Huldrych <1484  - 1531>: Eyn kurtze klare summ und erklärung des Christenen gloubens / von Huldrychen Zwinglin geprediget und unlang vor synem tod zuo eynem Christenen Künig geschriben. -- Zürich : Froschower, 1532


Abkürzungen


CR = Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Sämtliche Werke / Huldreich Zwingli.  -- Halis Saxonum [u.a.] : Schwetschke, 1905ff. -- (Corpus Reformatorum ; Bd. 88ff.)

SS = Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Huldrici Zuinglii opera : completa editio prima / curantibus Melchiore Schulero et Io. Schulthessio. -- Turici : Schultheß, 1829ff. (verwendet wurden hieraus nur lateinische Schriften)

Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Hauptschriften / bearbeitet von Fritz Blanke, Oskar Farner, Rudolf Pfister. -- Zürich : Zwingli-Verl., 1940 - 1963 (Dieser Ausgabe folge ich in Rechtschreibung etc bei den deutschen Schriften).

Daraus:

Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Aus Zwinglis Predigten zu Jesaja und Jeremia / Oskar Farner. -- Zürich : Berichthaus, 1957


1. Teil: Phänomenologische Grundlegung


1.1. Der biblische Glaubensbegriff nach Zwingli


Seine ganze Lehre begründet Zwingli mit der Heiligen Schrift, mit Hilfe der Erfahrung sucht er die Verstehbarkeit des Gesagten nachzuweisen.

Für Zwinglis Glaubensbegriff ist demgemäß der biblische Sprachgebrauch grundlegend. So muss erst einmal untersucht werden, was Zwingli als biblischen Glaubensbegriff ansieht.


1.1.1. Die Bedeutung des Wortes fides


Nach Zwingli verwendet die Bibel fides in vierfachem Sinn:

  1. als credulitas (Gläubigkeit)
  2. als firmitudo (feste Überzeugung)
  3. als veritas (Treue, Wahrhaftigkeit)
  4. als fiducia in deum (Vertrauen auf Gott)
"Omnia opera pietatis aut carnis fructus sunt; nam si pius es, ex fide iis rebus studes, quae fides dictat. Qui enim fidem habet, deus in eo est et ipse in deo. At ne quisquam dicat: Hoc caritatis est, quod tu fidei tribuis: considerandum est, quod fides in scripturis sacris varie accipitur: Primum pro credulitate: deinde pro firmitudine: mox pro fiducia in deum: et de ista sola debet intelligi, quod fides salvum faciat."

(Commentarius; de merito; 1525; CR III,848,31-849,3; SS III,285).

"Alle Werke sind entweder Frucht der Frömmigkeit oder des Fleisches: bist du nämlich fromm, so strebst du aus dem Glauben heraus nach den Dingen, die der Glaube vorschreibt. Wer nämlich den Glauben hat, in dem ist Gott und er ist in Gott. Damit nicht jemand sage: 'Dies ist Sache der Liebe, was du dem Glauben zuteilst', ist zu beachten, dass 'Glaube' in der Heiligen Schrift verschiedenartig verwendet wird: einmal für 'Gläubigkeit', dann für 'feste Überzeugung', bald für 'Vertrauen auf Gott'. Allein von diesem Vertrauen gilt, dass der Glaube selig macht."

Für Glaube als 'veritas' [Treue, Wahrhaftigkeit] siehe unten 1.1.2.1.1.


1.1.1.1. Credulitas Gläubigkeit


Fides im Sinne von credulitas [Gläubigkeit] steht nach Zwingli dort, wo die Heilige Schrift von Glaubensanfängern spricht. Diese werden charakterisiert als solche, die noch kaum etwas von Gott erfahren haben, wie die ephesinischen Jünger in Act 19,1ff. (Vgl. Von dem Touff; 1525; CR IV, 240; Theol III,82) bzw. als solche, die noch eine sehr unvollkommene Gotteserkenntnis haben (Vgl. 1Cor 3,2). So ist fides z.B. in 1Cor 13,13 zu verstehen:

"... Horum autem maximum est caritas. Nam haec est summa et perfectio omnium. Hic fides non capitur pro perfecta cognitione dei, sed pro initio cognitionis adhuc imperfectae."

(In I. Epistolam ad Corinth, zu 1 Cor 13,13; nicht datiert; SS VI;2,177).

"... Das Größte von diesen aber ist die Liebe. Denn diese ist die Summe und Vollendung aller. Hier wird Glaube nicht für 'vollkommene Erkenntnis Gottes' genommen, sondern für den Anfang der noch unvollkommenen Erkenntnis."

1.1.1.2. Firmitudo feste Überzeugung


Fides im Sinne von firmitudo gebraucht die Bibel nach Zwingli dort, wo Leute zwar fest überzeugt sind, dass es einen Gott gibt, aber durch diese Erkenntnis nicht berührt werden. Das entspricht dem Dämonenglauben:

"Aber an diesem Ort [scil. das 'ich gloub' des Glaubensbekenntnisses] wirt 'glouben' für 'vertruwen' genommen; denn so verr der Mensch nit anders gloubte, weder daß ja ein Gott wär, und sich aber an den selben Gott nit ließe [=verließe] mit ungezwyfletem Vertruwen, so thät er nit mer, dann so einer under uns gloubt, daß die Türken den Mahomet vererind, er vereret in aber nit, so ist im sölcher Gloub nit schädlich; dann er setzt kein Zuversicht in in. Glycherwyß, so wir allein gloubtind, daß ein Gott wäre, vertruwtind aber nit, daß er unser Gott und Vatter, wäre es un glych nit fruchtbar, als es ouch nit schädlich ist: wüssen, daß der Mahomet vereret und in in vertruwt wirt, so verr wir dasselbig thund. Dann "ouch die Tüffel gloubend" Jacobi 2,19, "und erzitterend", das ist: erkennend wol, daß ein Gott st; dann sy deß innen sind worden, deßhalb sy ouch ab [=vor] im zittrend, vertruwend aber nit noch versehend sich keins Guten zu im, habend in ouch nit lieb."

(Die erst Predig ... zuo Bern ...; 1528; CR 6,1,450,23-451,16; Pred. 2,20).

Eine bloße Kenntnisnahme der Tat Christi, und damit eine reine fides historica Tatsachenglauben , die ja das pro nobis für uns nicht erfahren hat, genügt nicht:

"Hoc enim est in Christum credere, tota se fiducia et firma fide in eum coniicere, credere indubitato quod talis sit nobis futurus, qualem scripturae eum praedicant ... Multi quidem credunt Christum esse filium dei, natum, passum, resucitatum, quod et daemones confitentur, sed haec fides non iustificat."

(In Evang. Ioannis, zu Joh 2,23; SS 6,1,692).

"Das nämlich heißt auf Christus glauben, sich mit ganzem Vertrauen und festem Glauben auf ihn werfen, ungezweifelt glauben, dass er uns ein solcher sein wird wie die Schrift ihn predigt... Viele glauben zwar, dass Christus Sohn Gottes ist, dass er geboren wurde, gelitten hat und wieder auferweckt wurde, was auch die Dämonen bekennen — aber dieser Glaube rechtfertigt nicht."

1.1.1.3. Fiducia Vertrauen


Von der fides iustificans dem rechtfertigenden Glauben ist nach Zwingli in der Bibel nur dort die Rede, wo fides im Sinne von fiducia gebraucht wird. Liegt dieser Sinn vor, übersetzt Zwingli πιστεύειν [pisteuein] mit fiducia, fidere oder auch fretus (vertrauend) bzw. mit 'vertrauen': so z.B. Joh 3,16; 3, 35 in Commentarius; 1525; CR III,696,8ff. und Röm 6,8 in Commentarius; 1525; CR III,704; sowie zu Mk 16,15:

"Iam hoc admonitione non eget, quod credere hoc loco et multis aliis pro fidere positum est."

(Commentarius, de clavibus; 1525; CR III;738,6-8; SS III,224).

"Es bedarf hier keiner Erinnerung, dass 'glauben' an dieser Stelle und vielen anderen für 'vertrauen' steht."

Fides in fides iustificans rechtfertigender Glaube bedeutet also: Vertrauen, Zuversicht haben, sich verlassen auf etwas.


1.1.2. Fides — Spes — Caritas : Glaube — Hoffnung — Liebe


1.1.2.1. Eadem res suntsie sind dasselbe


Nach Zwingli sind Glaube, Hoffnung und Liebe in der Schrift dasselbe, sofern die Bedeutung des Wortes 'Glaube' 'Vertrauen' ist:

"Qui vero iam non intelligunt fidem, spem et charitatem eandem rem esse, nempe hanc in deum fiduciam, multos nodos in scriptura cogentur inexplicitos praeterire."

(Commentarius, de merito; 1525; CR III, 849,1-3; SS III, 285).

"Die, die nicht verstehen, dass Glaube, Hoffnung und Liebe dieselbe Sache sind, nämlich dieses Vertrauen auf Gott, müssen viele Knoten in der Schrift unaufgelöst liegen lassen."

Wollte man eine dieser drei Tugenden von den anderen beiden trennen, so wäre sie keine Tugend mehr; denn nur wenn eine zugleich die andere ist, kann man von Tugend sprechen. Glaube, Hoffnung und Liebe sind je das ganze Vertrauen auf Gott oder die eine fromme Haltung, die sich auf Gott richtet. Steht also in der Bibel einer dieser drei Begriffe, so sind die beiden anderen oft mitgedacht.

Die Identität von Glaube, Hoffnung und Liebe beweist Zwingli folgendermaßen:


1.1.2.1.1. Die Identität von Glaube und Hoffnung


Dass Glaube und Hoffnung dieselbe Sache sein müssen — wenn Glaube fides iustificans [rechtfertigender Glaube] ist —, ergibt sich aus einer Zusammenschau der beiden Bibelstellen Röm 8,24 und Röm 4,5: sowohl Glaube als auch Hoffnung machen selig.

Einleuchtend wird diese These von der Erfahrung her; man kann nämlich nicht auf jemanden mit Gewissheit hoffen, dem man nicht vertraut. Umgekehrt ist ein Vertrauen, das nicht auf seinen Gegenstand zu hoffen wagt, kein rechtes Vertrauen mehr: Vgl. Commentarius; 1525; CR III,849,9-33; s. unten 1.1.2.1.1.

"Spe salvi facti sumus Rom 8:24. et Rom 4.5. Fides credenti reputatur ad iustitiam. Si ergo spes salvum facit, et fides salvum facit, erunt eadem res fides et spes. Nec quenquam moveat, si quando aliter de spe, quam fide dicatur: illic enim fides non accipitur pro fiducia in deum, sed aut pro qualibet credulitate, aut pro firmitudine, aut veritate."

(Commentarius, de merito; 1525; CR III,849,3-9; SS III,285).

"'Durch Hoffnung sind wir heil gemacht worden' (Röm 8,24) und 'Der Glaube wird dem Glaubenden als Gerechtigkeit angerechnet' (Röm 4,5). Wenn also die Hoffnung heil macht und der Glaube heil macht, so werden Hoffnung und Glaube dieselbe Sache sein. Es oll aber niemanden erwirren, wenn irgendwo von der Hoffnung anders als vom Glauben geredet wird: dort wird nämlich 'Glaube' nicht für 'Vertrauen auf Gott' genommen, sondern entweder für irgendeine 'Gläubigkeit', oder für 'feste Überzeugung' oder für 'Treue'."

1.1.2.1.2. Die Identität von Glaube und Liebe


Als Beweis, dass Glaube im Sinne von 'Vertrauen' und Liebe dasselbe sein müssen, nimm Zwingli 1Joh 4,16 und Joh 6,56:

"Charitas vero, deus ipse est, 1. Joan. 4,16. et qui manet in charitate, in deo manet, et deus in eo. Ioan autem 6:54.  Qui manducat carnem meam, et bibit sanguinem meum, in me manet, et ego in illo. Hoc est, qui Christo fidit pro nobis passo, in Christo manet, et ipse in eo. Ergo fidem et charitatem eandem rem ese opportet. Neque hic quisquam miretur, vereaturque a nobis confundi tres istas virtutes theologicas. Nos sane hoc ex sacris literis didicimus, quod nisi quaelibet harum virtutum sit altera, plane nihil sit, nedum virtus. Fidem si de Christo habeas, nec in eum speres nec redames, ad nihilum valet."

(Commentarius, de merito; 1525; CR III,849,9ff.; SS III, 285).

"'Gott aber ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm' (1Joh 4,16). Aber Joh 6,54: 'Wer mein Fleisch isst, und mein Blut trinkt, bleibt in mir, und ich in ihm'. Das heißt: Wer auf Christus vertraut, der für uns gelitten hat, bleibt in Christus und Christus in ihm. Also müssen Glaube und Liebe dieselbe Sache sein. Hier wundere sich niemand und befürchte nicht, dass von uns jene drei theologischen Tugenden vermischt werden. Wir haben das nämlich aus der Heiligen Schrift gelernt, dass jede dieser Tugenden, wenn sie nicht zugleich die andere ist, gar nichts ist, nicht einmal eine Tugend. Wenn du Glauben bezüglich Christus hast, und nicht auf ihn hoffst und ihn nicht wiederliebst, nützt das nichts."

Verstehen lässt sich das leicht, denn Liebe zu Gott ist notwendig Vertrauen zu ihm: man kann Gott nicht lieben, wenn man ihm nicht vertraut.

Umgekehrt: Vertrauen zu Gott, das nicht zugleich Liebe ist, ist nichtig. Siehe Commentarius; 1515; CR III,849,20ff. siehe unten.


1.1.2.1.3. Die Identität von Liebe und Hoffnung


Wenn Liebe und Glaube, und Hoffnung und Glaube dieselbe Sache sind, muss Liebe und Hoffnung ebenfalls dasselbe sein. Zwingli beruft sich dabei auf Jak 1,3 und erklärt das so: Wenn der Mensch auf Gott hofft, liebt er ihn: er hofft ja auf das höchste Gut, das als solches wieder notwendig Gegenstand der Liebe ist. Liebe richtet sich nämlich auf das bonum [Gute] als Formalobjekt: obiectum formale voluntatis est bonum [Formalobjekt des Willens ist das Gute] (hier ist Zwingli ohne seinen scholastischen Hintergrund nicht zu verstehen):

"Iacob. 1:3. Spem si te habere dicas in deum, nec ames, mendacem te ipsum facis: nam si de deo sic doctus es, ut merito videas in eum esse sperandum, fieri nequit ut summum esse bonum non agnoscas: si summum esse bonum agnoveris, fieri nequit, ut non ames: si ames, nec speres, iam verba das: nequit enim amare deum, qui illo non fidit."

(Commentarius, de merito; 1525; CR III,849,20-24; SS III,285).

"Jak 1,3; 'Wenn du sagst, du habest Hoffnung auf Gott, liebst aber nicht, machst du dich selbst zum Lügner'. Wenn du bezüglich Gott so belehrt bist, dass du zu Recht siehst, dass man auf ihn hoffen muss, kann es nicht geschehen, dass du nicht anerkennst, dass er das höchste Gut ist. Wenn du anerkennst, dass er das höchste Gut ist, so kann es nicht sein, dass du ihn nicht liebst. Wenn du ihn liebst und nicht auf ihn hoffst, so ist das eine leere Phrase: Denn, wer Gott nicht vertraut, kann ihn nicht lieben."

Da also fides [Glaube] (im Sinne von fiducia [Vertrauen]), spes [Hoffnung] und caritas [Liebe] nach der Bibel dasselbe sind, und das eine Wort für das andere stehen kann, kann auch Zwingli für das Vertrauen auf Gott entweder 'Glaube' oder 'Hoffnung' oder 'Liebe' sagen, was bei allen seinen Schriften mitzubedenken ist.


1.1.2.2. Fides — Spes — Caritas : Glaube — Hoffnung — Liebe : non eadem res sunt sie sind nicht dasselbe


Wird in der Bibel von fides [Glaube] anders als von spes [Hoffnung] und caritas [Liebe] gesprochen — z.B. 1Kor 13,13 —, ist das ein Hinweis, dass fides an der Stelle nicht 'Vertrauen', sondern 'Gläubigkeit' als erste Wachstumsstufe der Frömmigkeit meinen kann. In diesem Schema folgt der credulitas [Gläubigkeit] die Hoffnung, dieser wiederum die Liebe als Vollendung des Wachstums.

"Habet ergo humanum pectus deo coniunctum, hoc est pietas, alia atque alia nomina ab incremento. Fidem aliquando accipimus pro credulitate, hanc intelligendi ordine sequitur spes, istam vero caritas. Porro deinde tota ista humani cordis in deum fiducia, fides interim, interim autem spes et caritas adpellatur; nec quicquam aliud est quam in deum pietas, sive ames, speres aut fidas. Hinc fit, ut quandoquidem tria haec complectitur una pietas, fides pro caritate et spes pro fide accipiantur. Quae ex 1.Cor. 13:13 hic obiici possent: praecipua ero inter haec est caritas, facile quisque diluat: ea enim est absolutio, ut diximus, quamquam aliud nihil est quam ardens in domino cor."

(Commentarius, de merito; 1525; CR III,849,24-33; SS III,286).

"Das Menschenherz, das mit Gott verbunden ist, d.h. die Frömmigkeit, hat je nach der Wachstumsstufe verschiedene Namen. Manchmal nehmen wir 'Glauben' für 'Gläubigkeit', dieser folgt — in der Ordnung des Verstehensfortschrittes — die Hoffnung, der Hoffnung die Liebe. Freilich dann wird dieses ganze Vertrauen des menschlichen Herzens auf Gott manchmal 'Glaube', manchmal aber 'Hoffnung' und 'Liebe' genannt. Es ist also nichts anderes als die rechte (fromme) Haltung zu Gott, wenn du ihn liebst, auf ihn hoffst oder vertraust. Daher kommt — da ja eine fromme Haltung diese  drei umfasst —, dass 'Glaube' für 'Liebe' und 'Hoffnung' für 'Glaube' steht. Jeder wird leicht auflöse, was man 1Kor 13,13 — 'die höchste unter diesen ist die Liebe' — hier einwenden kann: die Liebe ist nämlich die Vollendung, wie wir gesagt haben, obwohl sie nichts anders ist als ein im Herren brennendes Herz."

1.2. Fides als fiducia: gewisses Vertrauen


Bisher ergab sich, dass der Glaube, auf den es ankommt, die fides als fiducia [Vertrauen] ist. Da aber nicht jedes Vertrauen schon rechter Glaube ist, muss das Vertrauen des wahren Glaubens vom Vertrauen des falschen Glaubens unterschieden werden. Wahrer und falscher Glaube unterscheiden sich aber in der Art ihrer Gewissheit.

Der rechtfertigende Glaube ist nämlich nach Hebr. 11,1 keine ungewisse Sache — wie es eine Meinung oder ein Gedanke wäre —, sondern eine gewisse Sache:

"Est igitur apostoli mens fidem esse rerum speratarum essentiam vel substantiam, hoc est essentialem rem animi, non frivolam aut subventaneam opinionem aut mentionem, quae nunc sic opinetur aut credat, modo vero aliter, ut quae incerta sit. Sed firmam animi atque essentialem fiduciam, qua totus quantuscunque est fidit rebus sperandis, hoc est ei rei in quam unam ac solam infallibiliter speratur."

(De providentia, de fide; 1530; SS IV, 118)

"Die Meinung des Apostels ist, dass der Glaube das Wesen und die Beständigkeit der erhofften Dinge ist, das heißt, eine wesentliche Sache des Herzens, nicht eine armselige oder flüchtige Meinung oder Vermutung, welche nun so meint oder glaubt, bald aber anders, da sie ja ungewiss ist: Sondern der Glaube ist ein festes und wesentliches Vertrauen des Herzens, mit welchem einer ganz und gar vertraut auf die zu erhoffenden Dinge, d.h. auf die Sache, auf die allein und einzig er untrüglich hofft."

1.2.1. Arten des Vertrauens nach der Gewissheit


Mit der Gewissheit als Maßstab kann man nun das Vertrauen des wahren Glaubens vom Vertrauen des falschen Glaubens abgrenzen. Dabei ist grundsätzlich zwischen gewissem und ungewissem Vertrauen zu unterscheiden.


1.2.1.1. Ungewisses Vertrauen


Ein Vertrauen, das an seinem Gegenstand zweifelt, gibt zu, dass sein Gegenstand ausfallen, täuschen und enttäuschen kann. Damit kann das Vertrauen hinfällig werden: es ist begrenzt. Ein solch zweifelndes Vertrauen ist der Kreatur gegenüber die richtige Haltung: alle Kreatur kann ausfallen. Gott gegenüber ist ein solch ungewisses Vertrauen folglich unmöglich: es ist Misstrauen und damit Unglaube, denn Gott fällt nicht aus.

"User Gloub, Zuversicht und Vertruwen stande allein zu dem, der das war und höchste Gut seye, das Leben, Wesen und Krafft aller Dingen, und daß wir unser Zuversicht zu keinem Guten habind weder zu dem, der das Gut ursprünglich also ist, daß nützid [=nichts] gut syn mag, dann das uß im ist. Hie fallend alle Tröst der Creaturen hin; dann so bald wir in die Creaturen truwend, so mißtruwend wir Gott, und ist kein Creatur so heylig nye gewesen, die in sich habe leren vertruwen, oder aber sy ist nit heylig gewsesen. Das Vertruwen aber, das ein Fründ in den andren hat, ist also nit ein ungezwyflet sicher Vertruwen, als aber der Gloub ist, daß wir selbs vil Worten [=Sprichwörter] habend, damit wir verwarnend, daß sich niemand ze vil ouch an ein ungezwyfleten Fründ lasse [=verlasse]."

(Die erst Predig ... zu Bern; 11528; CR 6,1,452,19-453,11; Pred 2,21).


1.2.1.2. Gewisses Vertrauen


Auch nicht jedes gewisse Vertrauen ist schon das gewisse Vertrauen des wahren Glaubens, sondern die Erfahrung zeigt, dass es auch ein scheinbar gewisses Vertrauen gibt.

Vertrauen:


1.2.1.2.1. Fiktiv gewisses Vertrauen


Fiktiv gewisses Vertrauen ist ein Vertrauen auf die Kreatur, das sich der Mensch als Gewissheit-gebendes einbildet. Dieses Vertrauen kann seinen Grund in der Dummheit eines Menschen haben: er bildet sich diese Gewissheit selber ein; oder es beruht auf Heuchelei: jemand täuscht dem anderen ein gewisses Vertrauen vor.

"Sicut enim deo solo fidit, ita eius solius verbo certus redditur; et sicut solo dei verbo certus redditur, ita nullius verbum quam dei recipit. Quibus iterum non modo ex scriptura, sed etiam ex ipsius fdei natura manifestum fit, quod nullius creaturae verbum pro verbo dei recipi potest, quia in creaturae verbo non redditur quieta pacataque conscientia, nihil ergo de nostro addendum est dei verbo, nihil de illius verbo nostra temeritate adimendum. Quod autem autem hic aliquis obiicere posset: Tamen multi requiem invenerunt etiam in hominis verbo, imo etiamnum inveniunt; nam hodie multorum conscientiae certo persuadent sibi salutem adsequturas esse, si Romanus pontifex absolvat... Cui obiectioni sic respondemus: Istos omnes esse aut stupidos aut hypocritas. Stulticia enim fieri oportet et ignoratione, ut aliquis se putet esse, quod non est. Qui ergo se pium hinc metitur, quod Romani pontificis commentis fidem habeat, nihil, quod dei est, gustavit, nec primis labiis experus est, quam suavis sit dominus, neque quam beatus sit, qui illo fidit. (cf. Ps 34,9)"

(Commentarius, de religione, 1525; CR III,671f.).

"Wie der Fromme nämlich allein Gott traut, so wird er nur durch Gottes Wort gewiss gemacht; Und wie er allein durch das Wort Gottes gewiss gemacht wird, so nimmt er auch kein anderes Wort an als das Wort Gottes. Dadurch wird wiederum nicht nur aus der Schrift, sondern auch aus der der Natur des Glaubens selbst offenbar, dass kein Kreaturenwort als Wort Gottes aufgenommen werden kann: denn durch Kreaturenwort wird das Gewissen nicht ruhig und befriedet gemacht. Nichts darf also aus unserem dem Wort Gottes hinzugefügt werden, noch darf durch unsere Frechheit vom Worte Gottes etwas weggenommen werden. Was aber hier jemand einwenden könnte: Dennoch haben viele auch im Menschenwort Frieden gefunden, ja finden ihn noch; denn heute sind die Gewissen vieler gewiss überzeugt, dass sie das Heil erlangen werden, wenn der römische Papst sie absolviert.... Diesem Einwand antworten wir so: Dass diese alle entweder dumm oder Heuchler seinen, denn es muss durch Dummheit und Unwissenheit geschehen, dass einer meint, er sei, was er nicht ist. Wer sich also daher fromm schätzt, weil er Glauben an die Erdichtungen des römischen Papstes hat, der hat nicht gekostet, was Gottes ist, noch hat er auch nur mi der äußersten Zungenspitze erfahren, wie süß der Herr ist, und auch nicht, wie glücklich der ist, der Gott vertraut (vgl. Ps 34,9)"

Sobald das Geschöpf den auf es gerichteten Erwartungen nicht entspricht, zeigt die Erfahrung, dass dieses Vertrauen leerer Wahn war, dass Ruhe und Friede des Gewissens nur vorübergehend da waren.


1.2.1.2.2. Wahrhaft gewisses Vertrauen


Das Vertrauen des wahren Glaubens ist keine Einbildung, sondern eine feste, sichere, unangezweifelte Gewissheit, die nicht vergeht. Diese Gewissheit kann sich allein auf das Ungeschaffene — also Gott — beziehen als die einzige Instanz, die nicht ausfällt; gibt man dem Geschaffenen dieses gewisse Vertrauen, macht man das Geschöpf zum Gott: man treibt Abgötterei.

Da die Gewissheit vom Objekt herkommt, soll zuerst nach dem Gewissheit-gebenden Objekt des Glaubens gefragt werden.


1.2.2. Das obiectum naturale fidei das natürliche Objekt des Glaubens


Die Grundunterscheidung, die Zwingli beim Objekt des Vertrauens macht, ist die zwischen Geschaffenem und Ungeschaffenem.

Objekt des Vertrauens:

Es ist nun zu fragen, ob Geschaffenes oder Ungeschaffenes oder beides zusammen das natürliche Objekt des wahrhaft gewissen Vertrauens ist, das der Glaube ist.


1.2.2.1. Ist Geschaffenes das natürliche Objekt des Glaubens (obiectum naturale fidei)?


Geschaffenes kann nicht das natürliche Objekt des festen und unerschütterlichen (gewissen und unangezweifelten) Vertrauens sein; d.h. Geschaffenes kann nicht das Objekt sein, auf das der Glaube seinem Wesen nach gerichtet ist; anders gesagt: der Aspekt eines Gegenstandes, der dieses Vertrauen ermöglicht, dieser Aspekt (Formalobjekt) schließt Geschaffensein aus.

Zwingli beweist das so: Geschaffenes hat begonnen, war einmal nicht da. Als es nicht da war, konnte man nicht auf es vertrauen. Also kann Geschaffenes nicht natürliches Objekt des Glaubens sein. (Stillschweigend setzt Zwingli dabei aber voraus, dass Glaube immer möglich war.)

So formuliert, ist allerdings der Gedankengang Zwinglis ein Trugschluss: dann könnten nämlich z.B. die Welt als Ganzes oder die Engel natürliches Objekt des Glaubens sein, da sie vor dem Menschen, der glaubt, da waren.

Der andere Beweis, dass Geschaffenes nicht natürliches Objekt des gewissen und ungezweifelten Vertrauens sein kann, war, dass jedes Geschöpf enttäuschen kann, rechtes Vertrauen sich aber nur auf das richten kann, was nicht ausfallen und nicht enttäuschen kann.

Das natürliche Objekt des Glaubens (obiectum naturale fidei) darf von nichts anderem bedingt sein, sonst wäre es ja abhängig und könnte nicht voll einstehen für die Erwartungen, die auf es gesetzt werden: es könnte seine Versprechungen nicht unter allen Umständen einlösen. Eine Form des Bedingsteins ist aber das Geschaffensein. So darf das obiectum naturale fidei nicht ausfallen können und nicht bedingt sein: es muss ewig (aeternum) sein. Dieser traditionelle Gedanke steht wohl auch — verkürzt und simplifiziert — hinter dem obigen Trugschluss, der zu finden ist:

"Gentes et impii quique, qui creatura fidunt, fateri coguntur, quod sua fide vel opinione falli possint, quum creatura fidunt. Qui autem creatore ac rerum omnium principio quod nunquam esse coepit sed alia produxit, fidunt, hi convinci erroris nequeunt. Constat et istud, ut quidquid est creatura non possit huius inconcussae ac indubitatae virtutis, quae fides est, obiectum ac fundamentum ese. Quaecunque enim coeperunt esse, aliquando non fuerunt. Quum ergo non essent, quomodo quis potuisset illis fidere quae nondum erant? Non ergo possunt naturale fidei obiectum aut fundamentum esse, quae esse coeperunt. Solum ergo aeternum infinitum increatumque bonum verum est fidei fundamentum."

(Fidei expositio, de deo et cultu eius; 1531; SS IV,45).

"Heiden und Gottlose und solche, die der Kreatur vertrauen, sind gezwungen zu bekennen, dass sie in ihrem Glauben oder ihrer Meinung getäuscht werden können, wenn sie auf die Kreatur vertrauen. Die aber vertrauen auf den Schöpfer und Anfang aller Dinge, der nie zu sein begonnen hat, sondern das andere hervorgebracht hat, diese können keines Irrtums überführt werden. Es steht auch fest, dass nichts, was Kreatur ist, Objekt und Grundlage dieser unerschütterlichen und ungezweifelten Kraft sein kann, die der Glaube ist. Was nämlich begonnen hat zu sein, war einmal nicht da: Wenn es also nicht war, wie hätte jemand auf es vertrauen können, was noch nicht war? Also kann das nicht natürliches Objekt oder Grundlage des Glaubens sein, was zu sei [nätürliche n begann. Also ist allein das ewige, unendliche und ungeschaffene Gut das wahre Fundament des Glaubens."

1.2.2.2. Das Ungeschaffene als natürliches Objekt des Glaubens (obiectum naturale fidei)


Das obiectum naturale fidei, d.h. die Hinsicht, unter der der Mensch glauben kann, muss also ewig (aeternum) sein, d.h. es darf nicht enttäuschen können: dies ist nur möglich, wenn es nicht zeitlich bedingt ist (angefangen hat) und nicht ausfallen (enden) kann.

Es muss auch unendlich (infinitum) sein: sonst wäre es ja beschränkt und könnte von daher nicht alle Hoffnung erfüllen.

Da das obiectum naturale fidei infinitum und aeternum sein muss, muss es auch eins (unum) sein. Denn zwei unendliche (infinita) sind entweder identisch, also nur eines, oder sie begrenzen sich gegenseitig (eines ist nicht das andere), dann wären sie aber nicht unendlich:

"Universa quae sunt, aut creata sunt aut increata. Increatus unus ac solus deus est: nam increatum nisi unum esse nequit. Si enim plura essent increata iam plura essent aeterna: socia enim sunt increatum et aeternum, ita ut utrumque sit alterum quoque. Si enim plura essent aeterna, iam plura essent infinita: nam et illa sic paria sunt ac socia, ut quicquid sit aeternum sit etiam infinitum, et quicquid sit infinitum etiam sit aeternum. Quum autem infinitum unum modo queat esse (nam ut primum admittimus duas infinitas substantias utraque finita est), iam constat increatum unum ac solum deum esse."

(Fidei expositio, de deo; 1531; SS IV;45).

"Alles, was ist, ist entweder geschaffen oder ungeschaffen. Ungeschaffen ist einzig und allein Gott: denn ungeschaffen kann nur eines sein. Wenn nämlich mehreres ungeschaffen wäre, wäre mehreres auch ewig: verbunden sind nämlich ungeschaffen und ewig, so dass jedes zugleich das andere ist. Wenn nämlich mehreres ewig wäre, wäre ja mehreres unbegrenzt: denn auch jene sind gleich und verbunden, sodass etwas, das ewig ist, auch unbegrenzt ist, und umgekehrt. Da aber nur ein Unbegrenztes sein kann (denn sobald wir zwei unbegrenzte Substanzen zugestehen, sind beide begrenzt), steht fest, dass ungeschaffen allein Gott ist."

Da fides [Glaube] und caritas [Liebe] identisch sind, man aber etwas nur lieben kann unter der Hinsicht, dass es gut ist, muss das obiectum naturale fidei [natürliche Objekt des Glaubens] gut (bonum) sein. Es darf unter keiner Hinsicht ein Übel (malum) sein, sonst könnte man es nicht ohne jeden Vorbehalt lieben und ihm nicht ohne Vorbehalt vertrauen.

"Providentiam necessario esse ex eo, quod summum bonum necessario universa curat ac disponit."

(De providentia, 1. Kapitel; 1529; SS IV,81-86).

"Dass es notwendigerweise deswegen Vorsehung gibt, weil das höchste Gut notwendigerweise sich um alles kümmert und es ordnet."

Das obiectum naturale fidei muss auch in jeder Hinsicht wahr (verum) sein: ohne Vorbehalt kann man ja nur auf das vertrauen, was absolut wahr ist:

"Praesertim quum fides veritatis filia sit: ea enim re quisque fidit quam novit esse verissimam, quumque solus deus verus sit, si quis hoc sese agnoscere experitur ac sentit: quomodo non posset eam fiduciam pacis exponere?"

(Fidei expositio, Praefatio; 1531; SS IV,44).

"Vor allem da der Glaube die Tochter der Wahrheit ist: auf die Sache vertraut nämlich jeder, von der er weiß, dass sie am wahrhaftigsten ist. Da nun allein Gott wahrhaftig ist, wenn einer erfährt und fühlt, dass er das anerkennt, wie könnte er sein Vertrauen nicht mit wenigen Worten darlegen?"

Die Bestimmungen

entsprechen in etwa der scholastischen Transzendentalienlehre, allerdings in augustinischer Färbung. Zudem ist die konkrete Durchführung bei Zwingli stark popularisiert. Diese Bestimmungen kommen in unbegrenzter Weise nur Gott zu, also kann nur Gott objectum naturale = obiectum formale = Eigenaspekt des Glaubens sein.

"Dann wenn alle Philosophen und Weysen by einander wärind und wir unseren Glouben also bekantind: 'Wir vertruwend in den einigen Gott, der das höchste Gut ist, der allein vollkommentlich one allen Abgang [= Abstrich] gut, wysz, verstendig, könnend, stark, unverwandelbarlich, ja allein Gott ist', so wurdend sy mussen sagen, daß unser Gloub der sicherst, der richtigest und einfaltigest wäre, für alle Glouben, die in der Welt sind. Dann sy wüssend von dem einigen Vollkommnen ze sagen. Und so wir demselben einigen anhangend, so kan unser Gloub ouch von den Unglöubigen nit gescholten werden."

(Erste Predig ... zu Bern; 1528; CR 6,1,456,7-16; Pred 2,25).


1.2.3. Falsche Objekte des Glaubens


Es zeigte sich, dass das natürliche Objekt des Glaubens nur das Ungeschaffene — nämlich Gott — sein kann, der allein rechte Gewissheit gibt. Meint man, diesen Gewissheit-gebenden Glauben von der Kreatur zu erhalten, macht man diese zu Gott und treibt Abgötterei. Um Zwinglis Glaubensbegriff von seinem Objekt her genau zu bestimmen, ist es nun notwendig, die falschen Objekte des Glaubens abzugrenzen. Dazu soll das Vertrauen auf Geschaffenes untersucht werden:

Der Mensch kann vertrauen


1.2.3.1. Das Vertrauen auf sich selbst


Der Mensch kann auf sich selbst vertrauen, und zwar


1.2.3.1.1. Vertrauen auf die Vernunft


Auf die eigene Vernunft gewiss vertrauen, heißt: nur, was die eigene Vernunft einem einleuchtend macht, annehmen und sich gegen alles Nichteigene sperren. Die Vernunft will also mit eigener Kraft herausbekommen, welches Wort Gottes Wort ist, und wie der Glaube danach aussehen muss. Dabei setzt sie nicht nur voraus, dass sie zwischen Gott und Kreatur selbst unterscheiden kann (Vg. Erst Predig .. zu Bern; 1528; CR 6,1,469,24ff.), sondern auch, dass sie Gottes Wort versteht:

"dann kein Herz noch Gmüt mag sich des Worts Gots und Handels verston, es werde dann von Got erlüchtet und gelert .... Joh. 6,44 ,,, So muß je volgen, daß kein Mensch in Erkantnus Christi kömme uß menschlichem Wysen, Leren oder Urteilen, sunder uß dem Ziehen des Vaters allein. Also mag der Mentschen Bewären nütz [=nichts] zu der Erkantnus Christi."

(Auslegen, 1. Art.; 1523; CR II,22,22-24,36-34,4; Vert I,23).

Die Vernunft wählt also irgendetwas als für sie verbindliche Wahrheit aus und bildet sich ein, damit zu Gott zu gelangen:

"Ubi tamen bis falluntur: Primo quod fidem putant ab hominis iudicio et electione proficisci. Falluntur ergo hic: nam tametsi fides sit spes et fiducia in res quasdam a sensu remotissimas, non tamen constat nostro iudicio aut electione; sed hae res, quibus adferimus spes nostras, ipsae faciunt ut in ipsas spes omnes referamus: nam si nos nostra electione aut consilio fideles redderemur, possent omnes homines propriis viribus fideles fieri etiam impii."

(Commentarius, de eucharistia; 1525; CR III,787,18-24; SS III,248f.).

"An dieser Stelle irren die Gegner zweifach: Erstens, dass sie meinen, der Glaube entspringe aus dem Urteil und der Wahl des Menschen. Sie täuschen sich hier: denn obwohl der Glaube Hoffnung und Vertrauen ist in gewisse Sachen, die vom Sinnenvermögen ganz weit abliegen, steht er dennoch nicht in unserem Urteil und unserer Wahl; sondern die Dinge, auf die wir unsere Hoffnung setzten, diese Dinge selbst machen, dass wir auf sie alle unsere Hoffnung setzen: denn würden wir aus unserer Wahl oder unserem Gutdünken Gläubige, könnten alle Menschen aus eigenen Kräften Gläubige werden, auch die Gottlosen."

Diese Auswahl kommt aus der Eigenliebe: man nimmt nur das an, was der eigenen Meinung passt; das zeigt Zwingli an der Schriftauslegung:

"Ich weiß, du wirst erkennen, daß du nun [=nur] über die Heilgen Gschrifft gangen bist, daß du wort fundest, die dir din Meinung bevesind [=befestigen]. O wee, da han ich den Eyßen [= Furunkel] aller Menschenlereren berürt! Sich, das ist: sin Meinung wollen mit der Gschrifft bevesten und sin Meinung zu der Gschrifft tragen, und wo ein Wort in der Gschrifft staht, das wir mögen uff unser Meinung ziehen, wiewol es die Natur gar nit hat; so thund wir's und wellen wir also die Gschrifft zwingen, daß sy das rede, das wir iren [=ihr] zumuten."

(Von Clarheit und Gewüsse; 1522; CR I,376,15-23; Pred I,109).

Das kann sogar so weit führen, dass man im Vertrauen auf die eigene Vernunft die Heilige Schrift verachtet, und dagegen mit Hilfe der Philosophie sich eine eigene Gottesvorstellung zusammenbaut:

"Haec enim ubi negligi coeperunt, descensum et in omnia carnis, hoc est: phlosophiae figmenta; iis creditum est; illis freti de deo, quae voluissent, non modo ipsi senserunt, sed et alios eadem sentire coegerunt. Cum tamen nullus ex eis cuiquam permitteret, de se sentire, quod ille alius, quicunque tandem voluisset."

(Commentarius, de deo; 1525; CR III,643).

"Sobald sie nämlich die Heilige Schrift zu verachten begonnen hatten, ist man in allerlei Fleischliches abgesunken, d.h.: in die Erdichtungen der Philosophie; diesen hat man geglaubt; auf diese Erdichtungen vertrauend, haben sie nicht nur selbst über Gott gedacht, was sie wollten, sondern auch andere gezwungen, dasselbe zu denken. Obwohl dennoch niemand von ihnen einem anderen erlaubte, über sie zu denken, was jener andere — wer es auch sei — wollte."

Den Versuch, nach der eigenen Vernunft zu leben, nennt Paulus 'fleischlich leben'; es ist Unglaube: Vgl. Auslegung, 16. Art.; 1523; CR II,81,2f.; 84,33fff.).


1.2.3.1.2. Vertrauen auf die eigenen Kräfte


Auf seine eigenen Kräfte vertrauen, bedeutet z.B. Gelübde und Eid vor Gott ablegen:

"Der Gloub laßt sich allein an die Gnad Gottes; der Eyd oder Glübd vertruwt uff sine Krefft und ist ein Abgöttery. Ich red hie allein von dem Eyd, den man in den Gelübden den Geistlichen thut."

(Auslegung, 30. Art.; 1523; CR II,276,18-20; Vert II,55).

Es bedeutet auch auf seine eigene Gerechtigkeit vertrauen:

"Da dannen kumpt, daß sy der Gerechtigkeit Gottes, die nüt anders ist, weder gantz und gar an Gott geleynet und gelassen sin, nit undergeben sind, sunder so sy noch ire eigne Köpff hand und Sinn des Fleischs, so uß inen recht und gut sin, daß sy wellend elementa mundi und ermessen ir Frommkeit und Unschuld uß irem eignen Thun. Sich, wie närrisch! Sölte man eim Menschen sine Werck bezalen nach sinem Bedunken, so möcht im 's niemand vergelten. Also ist es ein Gotlose, daß etliche Menschen ir Grechtigkeit wellend uß irem eignen Werken, nit uß der Gnad und Geist Gottes ermessen."

(Auslegung, 16. Art.; 1523; CR II,82,22-32; Vert I,103)

Im Vertrauen auf die eigenen Kräfte will man mit eigenen Werken Genugtuung leisten oder Verdienste erwerben, sei es durch Leiden z.B. oder Gebete:

"Hastu noch nit ghört, daß wir der Grechtigkeit Gottes nit von uns selbs noch mit unserem Lyden mögend gnug thun? Denn die Lyden, die wir in disem Zyt erdarbend, sind nit wirdig der künfftigen Eer, die in uns geoffnet wirdt. Ro. 8[,18]. Denn wie mag das, so ein End nimpt, ob es glych überschwencklich groß ist, verdienen, das ewig ist?"

(Auslegung, 16. Art,; 1523; CR II,82,22-31; Vert I,103).

"Quum ergo nostra ad deum oratio nihil aliud sit, nisi opsi aliqua in re imploratio, cur pro meritorio opere imputamus? Quatenus autem adoratio, hoc est mentis adfixio ac fiducia est, nihil nisi tuae mentis adfixio est."

(Commentarius, de oratione; 1525; CR III,853,23ff.; SS III,289).

""Wenn also unser Gebet zu Gott nichts anderes ist, als ein Flehen um Hilfe in irgendeiner Sache, warum halten wir es für ein verdienstliches Werk? Insoweit es aber Anbetung ist, d.h. Anheften des Geistes und Vertrauen, ist es nichts als Anheften deines Geistes."

Falsche Vertrauen auf die eigenen Kräfte ist es es auch, zu meinen, man könne irgendeine Art von Glauben — eine fides acquisita [erworbenen Glauben] — selbst erwerben. Vgl. Commentarius, de religione; 1525; CR III,667,5ff.).


1.2.3.2. Vertrauen auf andere Geschöpfe


Darunter fällt

das Vertrauen


1.2.3.2.1. Vertrauen auf Menschen


1.2.3.2.1.1. Vertrauen auf die Menschheit Christi


Wäre gewisses Vertrauen auf eine Kreatur möglich, dann müsste das mindestens gegenüber der Menschheit Christi möglich sein. Aber selbst die Menschheit Christi allein konnte die Gerechtigkeit Gottes nicht versöhnen; Gott wollte durch die Opferung seines Sohnes zeigen, dass kein Geschöpf die Versöhnung vollbringen konnte. Kann aber kein Geschöpf für die Sünden bezahlen, ist es unsinnig auf ein Geschöpf gewisses Vertrauen zu setzen:

"Die Bezalung, daß Gott sin Grechtigkeyt nit hatt lassen bezalt werden mit keiner bloßen Creatur, lert uns, wie hoch, groß, ungewendt, unverwandelbarlich sy ist, damit wir die nimmer verachtind. Daß er selbs hatt die menschlichen Blödigkeit an sich genommen, lert, daß wir uns uff kein Geschöpfft lassen söllend; dann hette ein Geschöpfft den schweren Handel mögen ußrichten, so hettind wir mögen in die Geschöpfft vertruwen. So aber Gott allein der ist, uff den man sicher vertruwt, hat, der das Opffer ward für unser Sünd, ouch Gott mussen sin, in dem wir allein sicher und ungezwyflet wärind."

(Erst Predig ... zu Bern; 1528; CR 6,1,463,28-464,4; Pred II,33).

Wahrer Glaube kann sich also nur auf die Gottheit Christi richten.

So wie Gott sich vorbehalten hat, allein für die Sünden zu bezahlen, liegt auch bei ihm allein die Sündenvergebung. D.h. allein die Gottheit Christi und nicht seine geschffene Menschheit und erst recht keine andere Kreatur kann Sünden vergeben. Zwingli beweist das auf Grund von Mk 2,5;

"Weliche nun der Creatur zugebend, daß sy die Sünd nachlasse, schmähend Gott. Sich, was großen Üblens ist das gesin, daß etliche Menschen durch der Bäpstleren Verfüren gemeint habend, der Mensch habe inen ir Sünd vergeben; denn der Gestalt ist inen Gott unbekannt bliben. Denn sin Barmherzigkeit habend sy dem Menschen zugegeben, welchs ein ware Abgötery ist. Denn Abgötery hat den Namen von dannen, daß man die göttlichen Eer der Creatur zulegt, oder der Creatur gibt, das Gottes allein ist."

(Auslegung, 51. Art.; 1523; CR II,392,16-393,2; Vert II,193f.).

(Die Frage, ob Zwingli die ihm hier vorliegende Tradition der Päpstler nicht zu sehr vereinfacht hat, soll offenbleiben.)


1.2.3.2.1.2. Vertrauen auf Maria und Heilige


Wenn selbst auf die Menschheit Christi gewisses Vertrauen ausgeschlossen ist, fällt erst recht das Vertrauen auf Maria und andere Heilige hin: sie können ja weder für die Sünden bezahlen, noch Sünden vergeben noch sonst irgendwie Hilfe leisten:

"Tertio scio nullam aliam esse expiandorum scelerum hostiam quam Christum (nam ne Paulus quidem pro nobis est crucifixus); nullum aliud pignus divinae bonitatis et clementiae certius esse ac indubitatius (nhil enim aeque firmum ac deus est); et non est aliud nomen sub sole in quo nos oporteat salvos fieri quam Iesu Christi. Relinquuntur ergo hic cum operum nostrorum iustitificatio et satifactio, tum sanctorum omnium, sive in terra sive in coelis degentium, de bonitate et misericordia dei expiatio aut intercessio."

(Fidei ratio; 1530; SS IV,5).

"Drittens weiß ich, dass es zur Sühnung der Sünden kein anderes Opfer als Christus gibt (denn auch nicht Paulus ist für uns gekreuzigt worden); und ich weiß, dass es kein unzweifelhafteres und gewisseres Unterpfand der göttlichen Güte und Barmherzigkeit gibt (denn nichts ist gleich fest wie Gott); und es ist kein anderer Name unter der Sonne, in dem wir gerettet werden müssen, als der Name Jesu Christi. Es fallen also hier hin sowohl die Rechtfertigung und Genugtuung durch unsere Werke, als auch durch die Heiligen — seien sie im Himmel oder auf der Erde — keine Sühne oder Fürbitte bei der Güte und Barmherzigkeit Gottes."

Hat man von den Heiligen etwas Gutes erfahren, z.B. Wunder, kann es nur aus Gott kommen: infolgedessen kann man ja gleich auf Gott vertrauen!

"Etiamsi animus vehementer ad istas voces adhortetur: Erratis pro diis colentes, qui dii non sunt; in dominum spes omnis iacite, non in creaturam. Impii sunt qui creaturam creatoris loco habent. Qui vero creaturam invocant, dei loco habent: hoc enim cuique deus est, quo fidit se aut liberari, aut donari, vel quo degravatur, vel quo eget."

(Commentarius, de scandalo; 1525; CR III,890,26-31; SS III,312):

"... Auch wenn dich dein Herz heftig drängt, den Verehrern der Heiligen zuzurufen: Ihr irrt, wenn ihr die für Götter haltet, die keine Götter sind; Werfet alle Hoffnung auf den Herrn, nicht auf die Kreatur. Gottlos sind die, die die Kreatur an die Stelle des Schöpfers setzen. Die aber, die die Kreatur anrufen, setzen sie an die Stelle Gottes: das nämlich ist jedem sein Gott, auf das er vertraut, dass es ihn befreie oder beschenke, oder durch was er erleichtert wird oder wessen er bedarf."

1.2.3.2.1.3. Vertrauen auf Autoritätspersonen


Da omnis homo mendax (Ps 116,11) — jeder Mensch lügenhaft — ist, kann man sich nicht gewiss auf die Autorität der Kirchenväter, der Päpste und Konzilien verlassen: die Erfahrung zeigt, dass alle schon geirrt und nicht die Wahrheit gesagt haben.

"Ja, ich erkenn, daß Bäpst und Concilia dick geirrt haben. Ja. So ist der Sach der Hals ab; denn must je verjehen [= bekennen], daß so sie vormal geirret hand, ze fürchten sye, sy werden wyter irren; es sye ouch inen nit gwüß sich vertruwt ze verlassen. So wir das funden hand — denn 'omnis homo mendax', alle Menschen sind lugenhafftig, mögend betriegen und betrogen werden —, so finden wir ie zum letzten nieman dann Gott, der uns der Wahrheit berichten mög so gwüß und sicher, daß wir kein Zwyfel mögend han."

(Von Clarheit und Gwüsse; 1522; CR 1,375,22-31; Pred I,108.).

Aus demselben Grund kann man sich auch nicht auf die Autorität eines rechten Predigers verlassen (Vgl. Auslegen, 17. Art; 1523; CR II,111,7-19). Ja, gerade damit der Mensch nicht gewisses Vertrauen auf einen anerkannten rechten Prediger setzt — z.B. auf Luther —, lässt Gott auch diesen mal in Irrtum fallen.

"Sed his erroribus probat nobis homines istos esse, quibus quiddam supra humana tribuere incipiebamus ut illud eius solius esse videamus."

(De providentia, cap. 4; 1530; SS IV,107)

"Aber durch diese Irrtümer beweist uns Gott, dass jene [= Luther und seine Anhänger] Menschen sind, denen wir begonnen haben etwas Übermenschliches zuzuschreiben, damit wir sehen, dass jenes Nicht-Irren und Nicht-Fehlen allein Gottes ist."

1.2.3.2.1.4. Vertrauen auf Freunde


Da jegliche Kreatur enttäuschen kann, ist selbstverständlich gewisses Vertrauen auf den Freund ausgeschlossen. Dass man sich nicht zu sehr auf einen Freund verlassen kann, ist ja allgemeine Erfahrung. Siehe oben 1.2.1.1.

Hat man Gutes durch Freunde erfahren, kommt dies Gute von Gott, auf den sich darum allein das Vertrauen richten soll.

"Daß uns aber Gott Gutes durch den Nächsten zufüget, beschicht uß der Ordnung, daß, sittemal und Gott die Liebe sin selbs also emfohlen hat, daß er sich nit rechnen wil libgehalten werden, wir libhaind denn ouch den Nächsten, wir mit einer Liebe Gott als den Brunnen und Ursprung des Guten, und den Menschen, durch den er uns als durch ein Känel [=Rinne] und Ror das Gut zuflöst, umbfahind. Also ist der Gott, in den wir vertruwend, das eynig Gut, das unbetrogen [=untrüglich] ist."

(Erst Predig ... zu Bern; 1528; CR 6,1,453,11-19; Pred II,22).


1.2.3.2.2. Vertrauen auf Dinge


1.2.3.2.2.1. Vertrauen auf Sakramente


Zu den geschaffenen Dingen gehören nach Zwingli auch die Sakramente.

  1. Zwingli kämpft gegen die ihm vorliegende Tradition an, die nach seiner Meinung beim Abendmahl das Brot anbetet und damit darauf vertraut. Wenn man schon auf die Menschheit Christi kein gewisses Vertrauen haben kann, dann erst recht nicht auf das Brot, das als Leib Christi gilt.
     
    "... (abominationem enim maximam esse oportet, quum quod creatura est, dei loco habetur) ... Cum enim solus deus adorandus sit, et creatura prorsus nulla ita ut etiam Theologistae negent puram humanitatem Christi citra idolatriae discrimen adorari posse, quomodo non est summa impietas panem adoravisse? Quid vero est, quod dicunt se panem non adorare, sed corpus Christi? An iam non creaturam adorant?"

    (Commentarius, de euchsristia; 1525; CR III,817,18-25; SS III,270).

    "... (denn das muss schlimmster Gräuel sein, wenn die Kreatur für Gott gehalten wird). ... Wenn nämlich allein allein Gott angebetet werden darf und keinerlei Kreatur, sodass selbst die Theologaster leugnen, dass die reine Menschheit Christi ohne Götzendienst angebetet werden könne, wie ist es dann nicht die größte Gottlosigkeit, Brot anzubeten? Was bedeutet es aber, wenn sie sagen, dass sie nicht das Brot anbeten, sondern den Leib Christi? Beten sie dann etwa nicht mehr die Kreatur an?"

     

  2. Schreibt man die Kraft, die Sündenvergebung oder die Gnade, die allein Gottes sind, den Sakramenten zu, dann gibt man den Geschöpfen eine Macht, die Gott selbst den Geschöpfen (Brot, Wein, Wasser) nie gab (Vgl. Expositio fidei, de deo; 1531; SS IV,45).

    Das ist ebenso beim Öl der Krankenölung (Vgl. Auslegen; 1523; CR II,115).

1.2.3.2.2.2. Vertrauen auf Kreaturenwort


Da die Kreatur in Nichts ein ungezweifeltes Vertrauen ermöglichen kann, muss Zwingli folglich auch sehr scharf zwischen Gotteswort und Kreaturenwort unterscheiden.

Kreaturenwort liegt z.B. dann vor, wenn vom Menschen etwas zu Gottes Wort hinzugefügt worden ist, und man das so "verbesserte" Wort als Gottes Wort ausgibt, z.B. die Forderung von Werken zur Rechtfertigung (Vgl. Auslegen; 1523; CR II,98,23ff.). Kreaturenwort ist es auch, wenn man vom Worte Gottes etwas abstreicht.

Stimmt das Kreaturenwort dagegen mit Gottes Wort überein, kann man ja gleich auf Gottes Wort vertrauen:

"Falsa religio sive pietas est, ubi alio fiditur quam deo. Qui ergo quacumque tandem creatura fidunt, vere pii non sunt. Impii sunt, qui hominis verbum tanquam dei amplectuntur. Furor igitur est et extrema impietas, quorundam, sive hominum sive conciliorum, placita et decreta verbo dei aequare. Nam si eorum sententiae verbi dei sunt similes, verbum amplectendum est, non hominum autoritas; si dissimiles abiiciendae sunt ac fugiendae, haud aliter, quam filiis Israel Moabitidum reliquarumque gentilium foeminarum conubia [cf. Esr. 10,2ff.]."

(Commentarius, de religione; 1525; CR III,674).

"Falsche Religion oder falsche Frömmigkeit ist es, wo irgendetwas anderem als Gott vertraut wird. Die also auf irgendeine Kreatur vertrauen, sind nicht wahrhaft fromm. Gottlos sind die, die Menschenwort wie das Wort Gottes annehmen. Frevel und äußerste Gottlosigkeit ist es, Meinungen und Beschlüsse von irgendjemandem, sei es von Menschen oder Konzilien, dem Wort Gottes gleich zu setzen. Denn, ist deren Meinung dem Wort Gottes gleich, so ist das Wort Gottes anzunehmen, und nicht die Autorität der Menschen. Ist sie ungleich dem Worte Gottes so muss man sie abweisen und sie fliehen, nicht anders als die Söhne Israels die Ehe mit Frauen der Moabiter und der übrigen Heiden fliehen mussten (vgl. Esr 10,2ff.)."

Zum Kriterium für das, was Gottes Wort ist, siehe 1.2.1.2.1.


1.2.3.2.2.3. Vertrauen auf materielle Werte


Dass materielle Werte — z.B. Geld — vergängliche Dinge sind, auf die sich kein gewisses Vertrauen gründen kann, ist eine bekannte Erfahrungstatsache. Tut man es dennoch, treibt man Abgötterei:

"... denn alles, das sin Hoffnung in ein Creatur hat, ist Abgötery, der Gestalt ouch Paulus den Gyt [= Geiz] Abgötery billichen schiltet; denn der Gytig [= Geizige] setzt sin Hoffnung ins Gut."

(Auslegen, 16. Art.; 1523; CR II,94,7-9; Vert I,120).


1.2.3.3. Zusammenfassung: Unglaube


1.2.3.3.1. Beschreibung des Unglaubens


Jegliches gewisse Vertrauen auf die Kreatur zeigt, dass der Mensch sich nicht allein an Gott hält; das ist Misstrauen und Untreue Gott gegenüber — also Unglaube.

Unglaube ist wesentlich ein Nicht-Vertrauen auf Gott und damit ein Nicht-Erkennen Gottes, denn: vertraut man Gott, erkennt man ihn:

"Summa igitur in deum blasphemia est ei non fidere."

Zu Mt 12,24 führt Zwingli aus, dass die Juden Christus aus Unglauben verleumdeten. ... "Si enim deo fisi fuissent, fieri non potuisse ut deum non agnoscerent. Sola ergo perfidia, quam et infidelitatem et incredulitatem vocamus, est quae nunquam remittitur: nunquam enim tenet aut colit deum, nunquam metuit eum, nunquam se ad eius voluntatem componit, nunquam peccata vitat ne eum offendat."

(Commentarius, de paccato in piritum sanctum; 1515; CR III,721,12-29; SS III,213).

"Die höchste Gotteslästerung ist: ihm nicht vertrauen." ...

Wenn sie nämlich Gott vertraut hätten, hätte es nicht geschehen können, dass sie Gott nicht erkannten. Es ist allein die perfidia, die wir auch infidelitas und incredulitas nennen, die niemals vergeben vergeben wird: denn niemals hält sie sich an Gott und verehrt ihn nie, niemals fürchtet sie ihn, niemals richtet sie sich nach seinem Willen, niemals meidet sie Sünden, um Gott nicht zu beleidigen."

Beschreibt Zwingli den Unglauben als ein Sich-nicht-ganz-Verlassen-auf-Gott und schreibt dieses Kennzeichen auch der Glaubensschwäche zu, ergibt sich, dass Glaubensschwäche Unglaube ist: es kann ja nicht gewisses Vertrauen auf Schöpfer und Geschöpf zugleich geben. Vgl.:

"Du solt ouch hie nit entgeegenwerffen, das die Unerfarnen des Gloubens thund: Also würt niemans Guts thun. Denn wo der Geist Christi ist, da sorg du nit, wie Guts daselbend beschech. Hier erlernest aber die Kleine und Blöde [= Schwäche] dines Gloubens, in dem, daß du dich nit wilt vom Banck, das ist: diner Vernunfft, lassen und die Händ fry Gott bieten und inn dich lassen füren; denn du hangst an den Elementen diser Welt, das ist: an menschlicher Vernunfft. Willtu aber Gottes sin, so laß dich fry an inn; laß inn verwalten und wysen din Leben, Narung, Rat und alle Sachen; denn lebt Got in dir."

(Auslegen, 13. Art.; 1523; CR II,73,2-18; Vert I,89f.).


1.2.3.3.2. Wirkungen des Unglaubens


Da dem Ungläubigen die rechte Erkenntnis Gottes und damit des Menschen und einer Sünde mangelt, verfällt er in ein lasterhaftes Leben; dies kann auch von außen erkannt werden: Vgl. Commentarius, de homine; 1525; CR III,662.

Zwingli begründet diese seine Auffassung mit Röm 1,28ff.:

"Diß sind als [=alles] Wort Pauli, uß denen ir eigentlich hören, daß diser Unrat der gezelten [=erzählten, genannten] Lastren aller erwachst uß Verlassen Gottes, daß wir in nit recht erkennen, nüt uff in sehend, nit gentzlich in in hoffend, ja verachtend, glych als ein alten schlafenden Hund ... Jetz merckt üwer ersam Liebe, daß, wo die genanten Laster sind, ist man vor [=vorher] von Got gewichen. Und widrum, wo man von Got wycht und in sich selbs vertruwt, da folgend dise Laster hernach als ein Pyn und Straff der Gotsflucht."

(Ein göttl. Vermanung; 1522; CR I,169,20-33;26-170,1; Staat 9).

Zugleich weist Zwingli auf die Missbräuche und Laster hin, die zu seiner Zeit in den einzelnen Staaten vorkamen, und erklärt ihr Entstehen durch Unglauben. Vgl. Von göttl und menschl Grechtigkeit; 1523; CR II,518).


1.2.4. Die Erfahrung der Gewissheit


Dass der Glaube eine klare, offenbare und ungezweifelte Gewissheit ist, begründet Zwingli ja mit der für seinen Glaubensbegriff so wesentlichen Bibelstelle Hebr 11,1 (εστιν δε πιστις ελπιζομενων υποστασις πραγματων ελεγχος ου βλεπομενων):

"Secundo vertimus 'evidentiam' quae Graecis est έλεγχος [elenchos], quae vox apud illorum auctores creberrime pro demonstratione, evidentia et certitudine ista, quae ex ratiocinatione surgit et constat, accipitur. Evidentiam ergo vertimus, quae nobis manifestam, indubitatem et apertam certitudinem significaret. Est autem evidentia et certitudo inconcussa velut exponit superiorem definitionis partem, fidem scil. esse rem veram et essentialem, hoc est evidentem lucem ac certitudinem animi."

(De providentia, de fide; 1530; SS IV,119).

"Zum zweiten übersetzen wir 'Evidenz', was auf Griechisch heißt έλεγχος [elenchos] [in Hebr. 11,1]. Dieses Wort wird bei den griechischen Autoren sehr häufig verwendet für: 'Beweis', 'Evidenz' und jene Gewissheit, die aus einer Schlussfolgerung sich ergibt und feststeht. Wir übersetzen also 'Evidenz', was für uns eine offenkundige, ungezweifelte und klare Gewissheit bedeutet. Diese Evidenz und unerschütterliche Gewissheit erklärt gleichsam den ersten Teil der Definition des Glaubens [in Hebr 11,1], dass nämlich der Glaube ein wahres und wesentliches Ding ist, d.h. einleuchtendes Licht und Gewissheit des Geistes."
  1. Danach ist  der Glaube eine res [Wirklichkeit] und nicht ein Meinen, Vermuten oder Sich-etwas-Einbilden
     
    "Est ergo fides hoc loci [Hebr 11,1] non opinio, arbitrium, vel humana quaedam et frigida suspicio, sed fiducia firma, certa, indubitata, cui innititur homo apud deum, divinitusque hominis menti indita."

    (In ep. Ad Hebraeos, zu Hebr 11,1; nicht datierbar; SS 6,2,314).

    "Der Glaube ist also an dieser Stelle [Hebr. 11,1] nicht Meinung, Willkür oder irgendeine menschliche und kalte Vermutung, sondern ein festes, sicheres, ungezweifeltes Vertrauen, auf das sich der Mensch bei Gott stützt, und das dem Herzen des Menschen von Gott eingegeben ist.

     

  2. Diesen Glauben empfindet (spürt, fühlt, erfährt) der Mensch in sich, denn Frömmigkeit ist Erfahrung.
     
    "Nam, quod hic in piis fides in Christum facit, huius ipsi expertes cum sint, non capiunt quod spiritualiter dicitur. Res enim est ac experimentum pietatis, non sermo vel scientia."

    (Commentarius, de poenitentia; 1525; CR III,705,34-36; SS III,202).

    "Denn da die Gläubigen selbst Sachverständige dafür sind, was dieser Glaube an Christus in den Gläubigen bewirkt, verstehen [die Gelehrten] nicht, was geistlich gesagt wird,. Frömmigkeit ist nämlich Wirklichkeit und Erfahrung, nicht Rede oder Wissenschaft."

     

  3. Der Gläubige macht diese Erfahrung, wenn er in sich empfindet, dass ein Wort unerschütterlich wahr ist und wirkt — dass es also Gottes Wort ist. Es ist eine Evidenz, eine Erleuchtung. Alles kommt auf die Erfahrung dieses inneren Lichtes an. Das äußere Wort allein kann das nicht, wohl aber ist unter Umständen diese innere Erleuchtung ohne das äußere Wort möglich.
     
    "Qui nisi per fidem intus certus est; frustra dices: Liber es. Non enim tuo verbo ipsum potes certum reddere, quam muscam elephantum facere cum dixeris: Elephas es. Docere et exponere potes Evangelii rationem, sed frustra, nisi dominus intus docuerit."

    (Commentarius, de confessione; 1525; CR III,821,24ff.; SS III,273).

    [im Zusammenhang mit der Sündenvergebung:] "Wenn jemand nicht durch den Glauben innerlich gewiss ist, wirst du zu ihm vergeblich sagen: 'Du bist frei'. Denn mit einem Wort kannst du ihn nicht gewiss machen, so wenig du eine Mücke zum Elefanten machen kannst, wenn du ihr sagst: 'Du bist ein Elefant'. Lehren und darlegen kannst du den Inhalt des Evangeliums, doch vergeblich, wenn nicht der Herr im Inneren lehrt."

    Zum Problem der fides ex auditu [Glaube vom Hören] siehe unten 2.2.2.1.
     

  4. Das Erfahren bzw. Empfinden der Gewissheit ist bei Zwingli der Prüfstein des wahren Glaubens und Erkennens und damit der wahren Lehre.

    Dabei muss das rechte Empfinden von einem eingebildeten unterschieden werden: so können auch Ungläubige etwas empfinden, wenn sie z.B. getauft werden, weil man ihnen gesagt hat, dass das Wasser eine Kraft enthalte. Aber das eingebildete Empfinden ist bald vorbei, da sie in Wirklichkeit nichts gespürt haben, wie man an ihrem nachfolgenden Leben sehen kann (Commentarius, de sacramentis; 1525; CR III,760,22-34).
     

  5. Der Glaube ist eine Evidenz, eine klare Einsicht in die Wahrheit des Geglaubten. Diese Einsicht kommt aber weder aus den eigenen Kräften des Menschen, noch können einem andere Menschen diese Einsicht geben. Denn nach Zwinglis — in diesem Punkt augustinischer — Erkenntnislehre kommt alle Klarheit und Gewissheit direkt von Gott, der die Klarheit selbst ist.
     
    "Jo 1,9 stat, daß das Wort Gottes oder Sun was das war Liecht, das ein jeden Menschen, der in diß Welt kumpt, erlüchtet. So nun das Liechtt ein jeden Menschen erlüchtet, ist es on Zwyfel die Clarheit selbs. Dann nüt mag alle Menscehn erlüchten, syge wie liecht und clar es welle, es syge dann die Clarheit selbs; die muß ouch ewig sin, damit sy allweg wärende alle Menchen erlüchte. Dann alles, das clar ist, muß ie von der Clarheit clar sin .... Jo. 3,27: .... Muß nun von oben herab kummen, daß wir mögend ütz [=irgendetwas] empfahen oder begriffen, so mag mir ie dasselb kein Mensch leysten. Also kumpt Begriff und Verstand der göttlichen Leer von oben herab, nit von üweren Richteren, dero ein jeder als wol irren mag uß sinen Anfechtungen als Balaam. Liß 2. Petri 2. Kapitel!"

    (Von Clarheit und Gewüße; 1522; CR I,365,25ff.; Pred I,94f.).

     

  6. Deshalb ist auch Gotteserkenntnis nicht etwas, wozu der Mensch aus sich heraus kommen könnte. Könnte der Mensch auf Grund von etwas Eigenem zu einer gewissen Erkenntnis Gottes kommen, so implizierte das einen inneren Widerspruch: man müsste auf die Zuverlässigkeit dieses Eigenen voll vertrauen können, da ja das Begründete nie eine größere Gewissheit haben kann als seine Prinzipien, d.h. man müsste auf dieses Eigene wie auf Gott vertrauen  — es zum Abgott machen —, um Gott zu erkennen. Dann wäre Abgötterei die Bedingung gewisser Gotteserkenntnis, was ein klarer Widerspruch ist.
     
    "One zwyffel, das, so der mensch uß siner vernunfft etwas gut bildet, und aber das recht und gut nit allein von gott und sinem wort lernet, einen abgott in im selbs uffricht, namlich sinen eygnen verstand und gutduncken. ... Und wie ouch der äffinen ire jungen wolgevallend, also gevallend dem menschen ouch sine erfindungen."

    (Der Hirt; 1524; CR III,29,28ff.).

    "Constat igitur ociosa esse, quae hactenus de dei cognitione attulimus, nisi fides accedat. Unde nemo sic obiicere potest, quasi humanis persuasionibus nixi cognitionem dei docuerimus. Primum enim divinis solummodo fulti sumus oraculis; deinde palam ostendimus non humanarum virium esse, ut in dei cognitionem adorationemque deveniamus; non enim volentis aut currentis, sed miserentis dei est [cf. Röm 9,16]."

    (Commentarius, de deo; 1525; CR III,654).

    "Es steht also fest, dass unnütz ist, was wir bisher über die Erkenntnis Gottes gesagt haben, wenn nicht der Glaube dazukommt. Daher kann niemand hier einen Einwand machen, als hätten wir auf menschliche Überzeugungen gestützt die Erkenntnis Gottes gelehrt. Denn erstens haben wir uns allein auf das göttliche Wort gestützt; zweitens haben wir klar gezeigt, dass es nicht in menschlicher Kraft liege, zur Erkenntnis und Anbetung Gottes zu gelangen; denn es liegt nicht am Wollenden oder Laufenden, sondern am sich erbarmenden Gott [vgl. Röm 9,16]."

     

  7. Da man nicht jemandem vertrauen kann, den man nicht kennt, impliziert Glaube notwendig Erkenntnis Gottes, ja setzt sie logisch voraus:
     
    "Nam nisi ad hunc modum de eo sentiamus, nunquam solo ipso fidemus, nunquam ad solum recurremus, nunquam ex toto corde cunctisque viribus deperiemus."

    (Commentarius, de deo; 1525; CR III,654).

    "Denn wenn wir nicht auf diese Weise von Gott denken, werden wir nie ihm allein vertrauen, nie zu ihm allein Zuflucht nehmen, nie aus ganzem Herzen und mit allen Kräften bis zum Tode lieben."

Da aber umgekehrt rechte Erkenntnis Gottes notwendig zum Glauben führen muss (Gott ist ja das obiectum naturale fidei - das natürliche Objekt de Glaubens), gehört zur Definition des Glaubens, dass er eine cognitio dei — Erkenntnis Gottes — ist:

"Ut porro fides sit πληροφορία [plerophoria], hoc est evidens, plena et firma dei cognitio et in illum spes."

(De providentia, de fide; 1529; SS IV,121).

"Deshalb ist nun der Glaube πληροφορία [plerophoria], d.h. evidente, volle und feste Erkenntnis Gottes und Hoffnung auf ihn."

Auf Grund der cognitio dei — Erkenntnis Gottes — erfährt der gläubige Mensch cognitio sui ipsius — Selbsterkenntnis —, d.h. er empfindet seine Sünde (Vgl. Commentarius, de homine; 1525; CR III,654ff.).


1.2.5. Die Beständigkeit des Glaubens


Das gewisse Vertrauen, das der Glaube ist, zeichnet sich durch immerwährende Beständigkeit aus. Dies deshalb, da der Glaube Zeichen des Erwähltseins ist, das Gott nur den Erwählten schenkt. So ist es dann auch ein Zeichen, dass man nie dieses gewisse Vertrauen erfahren hatte, wenn der Glaube aufhört (De providentia, de fide; 1529; SS IV,122).

Die Beständigkeit zeigt sich in der Anfechtung. Dabei versteht Zwingli an allen mir bekannten Stellen unter Anfechtung die Anfechtung durch das Fleisch, d.h. Geiz, Geilheit, Ehrsucht.

Zum Ganzen vgl. die Predigt 'Von Standhaffte und Verharren im Guoten; Bern 1528; CR 6,1,493-498.


1.3. Andere Eigenschaften des Glaubens


1.3.1. Passivität


Aus dem Bisherigen ergibt sich, dass der Mensch weder mit seinem Willen noch mit seinem Tun etwas für seinen Glauben kann: die Gewissheit überkommt ihn; dabei ist er ganz passiv. Der allein Handelnde ist ja Gott, der nach Joh 6,44 den Menschen zieht, d.h. ihn die gewisse Erfahrung machen lässt.


1.3.2. Fides est rerum non apparentium — der Glaube bezieht sich auf das nicht Augenscheinliche



Abb.: Otto Münch (1885-1965):  Das erste Abendmahl im Großmünster Zürich nach Abschaffung der Messe, Ostern 1525, Südportal des Großmünsters Zürich.

Glauben kann man nur auf etwas, was man sinnlich nicht wahrnimmt. Es wäre ja unsinnig zu sagen: 'Ich glaube, dass ich etwas empfinde', sondern nur 'ich empfinde'. Außerdem kann man ja nur auf etwas hoffen, was nicht sichtbar vorliegt: dies ist in der Bedeutung von 'hoffen' gegeben.

Von daher kritisiert Zwingli den Glauben an die leibliche Anwesenheit des Fleisches Christi im Abendmahl:

"Cum ergo fides nec a sensu aut ratione proficiscatur nec in res sensibiles tendat, facile deprehenditur, quomodo secundo loco errent. Secundo ergo sic errant, quod fidem ad res sensibiles trahunt, et per istas certitudinem adferre perhibent, cum nihil sit opus: quae enim sensu percipiuntur, iam fidei nihil debent: quod enim videt quis, quid sperat? Sensibilia enim sunt quae sensibus adposita sentiuntur. Videamus nunc quam probe ista sibi mutuo conveniant: Fide credimus corpoream sensibilemque carnem Christi hic adesse. Fide creduntur res a sensu remotissimae; corporea vero omnia sic sunt sensibilia, ut nisi sentiantur, corporea non sint. Disparata igitur sunt credere et sentire. Attende igitur quale monstrum orationis hoc sit: Ego credo me sensibilem et corpoream carnem edere. Nam si corporea est, fide opus non habet: sentitur enim. Quae autem sentiuntur, fide non egent: sensu enim certissima esse sentiuntur. Contra vero, si credis te edere, iam non potest esse sensibile aut corporale quod credis. Nihil ergo aliud quam portentum dicis."

(Commentarius, de eucharistia; 1525; CR III,786,24-40; SS III,249).

"Da also der Glaube weder vom Sinnenvermögen noch vom Verstand her entsteht, noch sich auf sinnlich fassbare Dinge richtet, ist leicht zu begreifen, wie sie weiters irren. Sie irren nämlich weiters darin, dass sie den Glauben auf sichtbare Dinge beziehen und behaupten, dass der Glaube mittels jener Dinge Gewissheit bringe, obwohl es gar nicht nötig ist: denn was mit dem Sinnenvermögen erfasst wird, bedarf keines Glaubens: denn was einer sieht, wie soll er es erhoffen? Sinnliches ist nämlich das, was — vor das Sinnenvermögen gestellt — wahrgenommen wird. Sehen wir nun, wie gut jene Worte zusammenpassen: Wir glauben, dass das körperliche und sinnfällige Fleisch Christi hier ist. Geglaubt werden Dinge, die vom Sinnenvermögen ganz weit abliegen; aber alles Körperliche ist so sinnlich wahrnehmbar, dass, wenn es nicht sinnlich wahrgenommen wird, es auch nicht körperlich ist. Glauben und mit den Sinnen wahrnehmen sind unvereinbare Dinge. Beachte also, was für ein Sprachungeheuer folgender Satz ist: 'Ich glaube, dass ich das sinnliche und körperliche Fleisch Christi esse.' Denn, ist es körperlich, so braucht es keinen Glauben: es wird ja wahrgenommen. Was aber wahrgenommen wird, bedarf des Glaubens nicht: mit dem Sinnenvermögen wird nämlich wahrgenommen, dass es ganz gewiss ist. Glaubst du hingegen, dass du es isst, so kann es schon nicht mehr sinnlich oder körperlich sein, was du glaubst. Du redest also reinem Blödsinn."

(Man beachte die vorzügliche Sprachanalyse des Wortes corporeus  'körperlich', die jedem mittelalterlichen Logiker zur Ehre gereicht hätte; Vgl. z.B. die Sprachanalysen bei Berengar).

"Postremo, quod sensus hic non sic obstrepunt et tumultuantur, atque dum fides audet se dicere credere quod corporea caro edatur. Persuaderi enim nequeunt sensus, ut se sentire dicant, quod nullo pacto sentiunt: nam alioqui aegre permittunt fidei ista credere, quae ipsi non experiuntur, etiamsi eis nihil imponatur supra leges suas et naturam. Nunc autem quum haec ficta fides, quae sic de sensibili carne statuit, sensibus etiam invitis obtrudat, ut praeter omnem ipsorum legem cogantur confiteri, sentire quod non sentiunt, perpetuo non obtemperant;"

(Commentarius, de eucharistia; 1525; CR III,792,24-32; SS III,253).

"Schließlich, dass die Sinne nicht so widersprechen und rebellieren, als wenn der Glaube wagt, zu sagen, er glaube, dass er körperliches Fleisch esse. Denn die Sinne können nicht überredet werden, dass sie sagen, sie nähmen etwas wahr, was sie auf keinen Fall wahrnehmen: denn auch sonst gestatten sie dem Glauben kaum, das zu glauben, was sie nicht erfahren, auch wenn ihnen dabei nichts auferlegt wird, was über ihre Gesetze und ihre Natur hinaus geht. Wenn nun aber dieser erdichtete Glaube, der solche Feststellungen über sinnlich wahrnehmbares Fleisch macht, die widerstrebenden Sinne dazu nötigt, dass sie außerhalb all ihrer Gesetze gezwungen werden zu bekennen, sie nähmen wahr, was sie nicht wahrnehmen, wenn der Glaube sich also so benimmt, so werden sie nie gehorchen."

Der Glaube richtet sich also nur auf Dinge, die man nicht sieht, und bekommt nur von solchen seine Gewissheit. Da das obiectum naturale fidei, das natürliche Objekt des Glaubens, nur das Ungeschaffene — Gott — ist, kommt von allen unsichtbaren Dingen für den Glauben auch nur Gott in Frage, nicht dagegen z:B. eine unsichtbare Kraft der Sakramente oder eine solche des Wortes, da man bei den Sakramenten spricht. Den Plural in Hebr. 11,1 (εστιν δε πιστις ελπιζομενων υποστασις πραγματων ελεγχος ου βλεπομενων) bezieht Zwingli auf Gott wegen des hebräischen Plurals אֱלֹהִים [Elohim]. Vgl. De providentia, de fide; 1529; SS IV,120.


1.4. Das Entstehen und der Fortschritt des Glaubens


1.4.1. Der Anfang des Glaubens


Der Mensch hört das Wort Gottes, er wird erleuchtet und empfindet, dass das Gehörte die Wahrheit ist. Daraus lernt er Gott als gerecht und sich selbst als sündig erkennen und verzweifelt. Er beginnt einzusehen, dass er auf Gott vertrauen muss.


1.4.2. Die Vollendung des Glaubens


Der Mensch hat sich selbst ganz verworfen und ist vor der Barmherzigkeit Gottes niedergefallen. Dabei vertraut er auf Gott um Christi willen. (Vgl. Commentarius, de sacramentis, CR III,760; SS III,230).

Ist der rechte Glaube da, erfährt der Mensch Freude, Ruhe, Friede des Gewissens, Trost und Freiheit, ja schon einen Vorgeschmack des ewigen Lebens.

"Qui ergo me fidit, iam salvus est: nam intra se sensit, quum primum fiduciam omnem iaceret in me, ut laeta redderetur conscientia, ut animus a desperatione erigeretur in certum salutis possessionem."

(Commentarius, de eucharistia; 1525; CR III,784,27-30; SS III,247).

"Wer mir also vertraut, ist schon gerettet: denn sobald er alles Vertrauen auf mich wirft, erfährt er in sich, dass das Gewissen froh wird, dass das Gemüt von der Verzweiflung aufgerichtet wird zum gewissen Besitz des Heils."
"'Qui credit non venit in iudicium, sed transit a morte in vitam' — Qui ergo in hac vita credit, iam sentit quam suavis est dominus et coelestis vitae initium ac gustum quendam capit."

(Fidei expositio, vita aeterna; 1531; SS IV,64).

"'Wer glaubt, kommt nicht ins Gericht, sondern geht schon vom Tod ins Leben' — Wer also in diesem Leben glaubt, spürt schon. wie süß der Herr ist und empfängt den Anfang und einen gewissen Vorgeschmack des himmlischen Lebens."

Der Gläubige vertraut dann stark und fest auf Gott, und alle Widerwärtigkeiten können ihm nichts anhaben.

Vollkommen wird der Glaube aber nicht, solange der Mensch lebt, sondern sein Glaube nimmt gemäß Lk 17,5 zu:

"Es ist offembar, daß der Gloub und Leer by den Christen zunimpt, diewylen sy lebend, so verr sy gleubig blybend. So wil ich ietzt die Touffleugner fragen, ob man touffen mög, ee und der Gloub zu Volkommnus kummen sye oder nit, derglychen ouch die leer. Sprechend sy: 'Man sölle nit touffen, bis daß der Gloub zu Volkummnus kummen sye', so red ich, daß wir all müssen ungetoufft blyben, denn der Gloub nimpt für und für zu."

(Von der Touff; 1525; CR IV,237,31-238,4; Theol III,40).


1.5. Der Ort des Glaubens


1.5.1. Die anthropologische Grundlage


Zwingli unterscheidet beim Menschen grundsätzlich zwischen Seele und Leib:

"Stat igitur et homo primus in omnium exodio et corona, qui cum immortalibus substantiis rationem et animum habet communem, cum mortalibus corpus et vitam; quem talem facere numen voluit satisque est voluisse."

(De providentia, de homine; 1529; SS IV, 102).

"Der Mensch also steh als erster am Anfang und der Spitze von allen; mit den unsterblichen Substanzen hat er Verstand und Geistseele gemeinsam, mit den sterblichen Leib und Lebensprinzip. Gott wollte den Menschen so fabrizieren und e genügt, dass er es gewollt hat."

Für Seele sagt Zwingli auch: Gemüt, Herz.

Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen bezieht sich nur auf die Seele, nicht auf den Leib, da Gott, als er den Menschen erschuf, noch keinen Leib angenommen hatte (Vgl. Von Clarheit und Gewüsse; 1522; CR I,344,6ff. und 345,4ff.).

Ein Hinweis dafür, dass die Seele nach Gottes Ebenbild gebildet ist, ist die menschliche Begier nach Gottes Wort.

"daß die Begird nach Got, die ein jeder Mensch in im empfindt, uns anerborn ist in dem, daß wir nach dem Bildnuß Gottes geschaffen und siner Art und Geschlechts sind wie ouch in 4. Psalmen (7) stat: 'Herr, das Liecht dines Angesichts ist über uns bezeichnet.' Uß dem Grund kumpt, daß wir widrumb zu Got begerend und sinem Wort ob allen Dingen Glouben gebend."

(Von Clarheit und Gewüße; 1522; CR I,346,25ff.; Pred I,69.).

Der Leib ist aus Lehm und zieht zur Erde; er ist dem Menschen gegeben, damit er die Welt beherrsche. Vgl. De providentia, de homine; 1529; SS IV,99.

Die Zusammensetzung von Leib und Seele beschreibt Zwingli bildlich so: die Seele ist die reine, klare Quelle, in die ein Wildschwein der Leib fällt (De providentia, de homine; 1529; SS IV, 102).

Aus der Verbindung von Seele und Leib entsteht ständiger Streit, der im Gläubigen als geistlicher Krieg weiterbesteht (Vgl. De providentia, de homine; 1529; SS IV, 100f.).


1.5.2. Der Ort des Glaubens


Nach dem Sündenfall ist der aus Leib und Seele zusammengesetzte Mensch ganz Fleisch, d.h. er kann nur nach Fleischlichem und Sündlichem trachten — wie sich aus Röm 7,18 ergibt (Vgl. Commentarius, de homine; 1525; CR III,660,10ff.).

Der Gläubige wird vom Geist, nicht mehr vom Fleisch, regiert, d.h. der Geit wandelt die Seele um (die Erlösung ist ja eine Wiederherstellung der ursprünglichen Schöpfung), und die Seele regiert den Leib.

Aus der Herkunft der Seele ergibt sich, dass nur sie, bzw. das Herz oder das Gemüt, der Ort des Glaubens sein kann: dort wird der Glaube gespürt; die Sinne hingegen gehören zum Leib, daher hat Glaube nichts mit Sinnlich-Leiblichem zu tun (Vgl. De providentia; 1529; passim).


Zu: 2. Teil: Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens