Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Huldrych Zwingli

2. Teil: Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Huldrych Zwingli. -- 2. Teil: Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens. -- Fassung vom 2005-07-29. -- URL: http://www.payer.de/fides/fideszwingli02.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2005-07-29

Überarbeitungen:

Anlass: Erster Teil der Arbeit zur Erlangung des Magistergrades in evangelischer Theologie an der Universität Tübingen, 1968

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Zu Teil 1: Phänomenologische Grundlegung

Dieser Text ist Teil der Abteilung Andere Religionen von Tüpfli's Global Village Library


Übersicht



Motto


Das Pestlied 

(Im Anfang der Krankheit)

Hilff, herr gott,
hilff in diser not!
Ich mein, der tod
sey an der thür.
Stand, Christe, für;
dann du in überwunden hast!

Zu dir ich gilff:
Ist es dein will,
züch uss den pfyl,
der mich verwundt!
Nit lasst ein stund
mich haben weder ruw noch rast!

Wilt du dann glych
tod haben mich
in mitz der tagen min,
so sol es willig sin.
Thu, wie du wilt:
mich nüt befilt.

Din haf bin ich.
Mach gantz ald brich;
dann, nimpst du hin
den geiste min
von diser erd,
thust du's, dass er nit böser werd,
ald andem nit
befleck ir läben fromm und sit.

(Inmitten der Krankheit)w

Tröst, herr gott, tröst!
Die kranckheit wachsst,
wee und angst
faßt min seel und lyb.
Darumb dich schyb
gen mir, einiger trost, mit gnad,
die gwüss erlösst
ein yeden, der
sin hertzlich bgär
und hoffung setzt
in dich, verscherzt
darzu diss zyt all nutz und schad.

Nun ist es umm.
Min zung ist stumm,
mag sprechen nit ein wort.
Min sinn sind all verdort.

Darumb ist zyt,
dass du min stryt
fuerist fürhin,
so ich nit bin
so starck, dass ich
mög dapfferlich
tun widerstand
des tüfels facht und fränner hand.
Doch wirt min gmuet
stät blyben dir, wie er ioch wuet.

(In der Besserung)

wG'sund, Herr Gott, gsund!
Ich mein', ich ker
schon widrumb her.
Ja, wenn Dich dunckt,
der sünden funck
werd nit mer bherrschen mich uff erd,
so muss min mund
din lob und leer
ussprechen mer
denn vormals ye,
wie es ioch gen,
einfaltigklich on alle gferd.

Wiewol ich muss
dess todes buss
erleyden zwar ein mal
vilicht mit grösserm qual,
dann yetzund wer
geschähen, her,
so ich sunst bin
nach gfaren hin;
so wil ich doch
den trutz und boch
in diser wält
tragen frölich umb widergelt
mit hilffe din,
on den nüt mag vollkommen sin.

Text: Huldrich Zwingli <1484 - 1531>, 1521
Melodie: Frankfurt a. M., 1589

Das Pestlied

(Im Anfang der Krankheit)

1. Hilf, Herr Gott,
hilf in dieser Not
an meine Tür
klopft an der Tod.
Steh du mir bei zu dieser Frist,
Herr Jesus Christ,
der du des Todes Sieger bist.

2. Ist es dein Will, zieh aus den Pfeil,
der mich verwundet; hilf und heil.
Rufst du zum frühen Tode mich,
dein Krug bin ich. Mach ganz ihn oder ihn zerbrich.

3. Nimmst du den Geist von dieser Erd,
tust du's, dass er nicht böser werd,
dass er verführ den Nächsten nicht
von seiner Pflicht,
von frommer Sitt und Zuversicht.

(Inmitten der Krankheit)w

4. Tröst, Herr Gott, tröst. Die Krankheit steigt,
und Seel und Leib dem Schmerz sich beugt.
Nach deiner Gnad steht mein Begehr;
zu mir dich kehr;
denn außer dir ist Hilf nicht mehr.

5. Hin rinnt mein Leben, es ist um.
Still wird es bald, mein Mund ist stumm,
mag nicht mehr stammeln nur ein Wort;
die Kraft ist fort, all meine Sinne sind verdorrt.

6. Darum, o Herr, ist's hohe Zeit;
führ du nun selber meinen Streit.
Ich bin gar schwach; du stärke mich;
fest halt ich dich, wie grimm der Feind auch stelle sich.

(In der Besserung)

7. Gesund, Herr Gott, ich bin gesund.
Es preiset dich mein Herz und Mund.
Ins Leben wiederum ich kehr;
dein Lob und Lehr
will ich verkünden immer mehr.

8. Wie es auch geh, dein ist mein Herz,
bis einst mich trifft des Todes Schmerz.
Wohl muss ich einmal ihn bestehn
mit schwerern Wehn vielleicht, als jetzt
mir war geschehn.

9. Doch trag ich Feindes Hohn und Trutz
getrost, Herr, unter deinem Schutz.
Du hast die Kraft mir angefacht.
Dein ist die Macht,
und ohne dich wird nichts vollbracht.

Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirchen
der deutschsprachigen Schweiz, Lied Nr.270

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Quelle der midi-Datei: http://members.fortunecity.de/gesangbuch/h.html. -- Zugriff am 2005-07-24



Abb.: Zwingli, Huldrych <1484  - 1531>: Ußlegen und gründ der schlußreden, oder articklen durch Huldrychen Zuingli Zürich uff den xix. tag Jenners im MDXXIII. jar ußgangen. -- Zürich : Froschower, 1523


Abb.: Otto Münch (1885-1965):  Zwingli im Kreise seiner Familie, Südportal des Großmünsters Zürich.
In der Mitte Zwingli, links seine Frau Anna, geb. Reinhardt mit dem Kind Hulrych, rechts Regula, Wilhelm, Stiefsohn Gerold Meyer von Knonau, link vorne eine der beiden Stieftöchter, sich über Anneli Zwingli beugend.


Abkürzungen


CR = Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Sämtliche Werke / Huldreich Zwingli.  -- Halis Saxonum [u.a.] : Schwetschke, 1905ff. -- (Corpus Reformatorum ; Bd. 88ff.)

SS = Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Huldrici Zuinglii opera : completa editio prima / curantibus Melchiore Schulero et Io. Schulthessio. -- Turici : Schultheß, 1829ff. (verwendet wurden hieraus nur lateinische Schriften)

Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Hauptschriften / bearbeitet von Fritz Blanke, Oskar Farner, Rudolf Pfister. -- Zürich : Zwingli-Verl., 1940 - 1963 (Dieser Ausgabe folge ich in Rechtschreibung etc bei den deutschen Schriften).

Daraus:

Zwingli, Huldrych <1484 - 1531>: Aus Zwinglis Predigten zu Jesaja und Jeremia / Oskar Farner. -- Zürich : Berichthaus, 1957


2. Teil: Theologisch-christologische Bestimmung des Glaubens


Dass das natürliche Objekt des Glauben (obiectum naturale fidei) nur Gott sein kann, wurde oben gezeigt, wo findet nun der Mensch diesen Gott? Gibt es den rechtfertigenden Glauben — die fides iustificans — nur bei solchen, die die biblische Offenbarung gehört haben, oder auch bei den Heiden?


2.1. Die Offenbarung


2.1.1. Gott außerhalb der christlichen Offenbarung


Mit Röm 1,10ff. begründet Zwingli, dass die Heiden Gotteserkenntnis aus der Natur haben — allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern aus dem Ziehen Gottes. Fast alle Heiden erkennen an, dass es Gott gibt, aber manche spüren nur seine Macht und halten ihn für eine Vielheit von Göttern (Vielgötterei); andere teilen diese empfundene Macht in wenige Götter auf. Wenige Heiden kommen zur Erkenntnis, dass es nur einen Gott gibt. Diese vertrauen dann aber meist mehr auf ihre eigene Weisheit; weswegen sie Gott verehren, so wie es ihnen gefällt. Vgl.  Commentarius, de deo; 1525; CR III,642.

Dass die Gotteserkenntnis der Heiden aus der "Natur" nichts anderes ist als ein Sich-selbst-Offenbaren Gottes, zeigt Zwingli in der Auslegung von Röm 1,18:

[Zu Mt. 7,12: "Quaecunque volueritis ut vobis faciant":] "Quandoquidem Christus reformator est naturae conditae, in Adamo corruptae, fundamentum iuris naturalis hic attingit. Nota est sententia Pauli ad Romanos: nam quum gentes quae legem non habent, natura quae legis sunt faciunt, eae legem non habentes, sibi ipsis sunt lex, qui ostendunt opus legis scriptum in cordibus suis etc. In primo quoque capite dixerat: Id quod de deo cognosci potest manifestum est illis, deus enim illis patefecit. Ex hisce locis aperte intelligimus, quod dei est ea, quam homnes naturae nescio cui ferunt acceptam, de deo notitia. Deus enim manifestavit illis. Et natura quid alius est, quam continens perpetuaque operatio dei, rerumque omnium dispositio? Accessit autem Paulus hoc loco nonnihil ad gentilium, quum de deo loquuntur, usum: non quod ipse sic sentiat, quod dei cognitio et lex ab humana ratione proficisicatur, sed quod gentiles sic sentirent, unde caute subiungit: Deus enim patefecit illis, ne quis putaret hanc a se aut suis viribus habere."

(In Ev. Matthaei, nicht datiert; SS VI,1,241; Hinweis bei Locher, Gottfried W. (Gottfried Wilhelm) <1911 - 1996>: Die Theologie Huldrych Zwinglis im Lichte seiner Christologie. -- Zürich : Zwingli-Verlag. --  Teil 1: Die Gotteslehre, 1952. -- S. 54.)

[Zu Mt 7,12: "Was ihr wollt, dass man euch tue":] "Da Christus der Wiederhersteller der geschaffenen, in Adam verdorbenen, Natur ist, berührt er hier die Grundlage des Naturrechts. Bekannt ist der Satz Pauli an die Römer;: 'Da nämlich die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was des Gesetzes ist, sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz; sie zeigen, dass das Gesetz in ihre Herzen geschrieben ist usw." Im ersten Kapitel hatte er auch gesagt: "Was von Gott erkannt werden kann, ist ihnen bekannt, denn Gott hat es ihnen geoffenbart.' Aus diesen Stellen erkennen wir klar, dass von Gott kommt die Erkenntnis Gottes, die die Menschen ich weiß nicht was für einer Natur zuschreiben, dass sie sie von ihr haben. Denn Gott hat es ihnen offenbart. Und was ist die Natur anderes als das unaufhörliche und andauernde Wirken Gottes und seine Anordnung aller Dinge? Paulus aber gleicht sich an dieser Stelle ein wenig dem Sprachgebrauch der Heiden an, den sie haben, wenn sie von Gott reden: nicht, dass er meinte, dass die Erkenntnis Gottes und das Gesetz von menschlicher Vernunft herstamme, sondern, dass die Heiden so meinten. Darum fügt er vorsichtig hinzu: 'Gott nämlich hat es ihnen offenbart', damit nicht einer glaube, er habe diese Gotteserkenntnis aus sich oder aus aus eigenen Kräften."

Unter den Heiden kommt gewisses Vertrauen auf Gott vor und damit wahre Religion. Dies ist möglich, da der Glaube nicht unbedingt an das äußere Wort gebunden ist. Die betreffenden Bibelstellen legt Zwingli folgender maßen aus:

  1. Röm 10,17: "Fides ex auditu" — αρα η πιστις εξ ακοης — "Der Glaube kommt vom Hören"
     
    "Hic observa, fidem hic a Paulo pro manifestata dei voluntate, et fidei manifesta et publica inter gentes ac Iudaeos praedicatione accipi, quae tempore Christi et apostolorum primo coepit, prius enim erat mysterium reconditum a saeculo, Col. 1.Non enim propositum est Paulo hoc loco de natura et ingenio fidei loqui, sed de fidei praedicatione. Nec dicere vult quod nemo credat, aut salvus fiat, nisi audiat verbum externum. Sed in persona obiicientis loquitur. Posset enim quis dicere: Ergo fides ex auditu est. So hör ich wol man muß vor hören ee man gloubt? Ostendit ergo Paulus morem communem, quo deus utitur apud suos, et quo usus est semper, nempe mittere prophetas et servos suos, qui per verbum praedicatum vocent et invitent homines."

    (In Epist. ad Romanos,zu Röm 10,17; nicht datiert; SS VI,2,113f.).

    "Hier beachte, dass der Glaube hier von Paulus für den offenbarten Willen Gottes und für die offenbarte und öffentliche Predigt des Glaubens unter Heiden und Juden genommen wird, die in der Zeit Christi und der Apostel begann; denn früher war das Geheimnis von Urzeit her verborgen Kol. 1. Paulus hat nämlich an dieser Stelle nicht vor, von der Natur und Beschaffenheit des Glaubens zu reden, sondern von der Predigt des Glaubens. Noch will er sagen, dass niemand glaube oder gerettet werde, wenn er nicht das äußere Wort hört. Sondern er spricht in der Person eines Opponenten. Es könnte nämlich einer sagen: Also kommt der Glaube vom Hören? So höre ich wohl, man müsse vorher hören, ehe man glaubt? Es zeigt also Paulus die gewöhnliche Art, die Gott bei den Seinen gebraucht, und die er immer gebraucht hat, nämlich Propheten und seine Diener zu senden, die durch das gepredigte Wort die Menschen rufen und einladen sollen."

     

  2. Qui non crediderit, is omnino damnatus est — wer nicht glaubt, der ist völlig verdammt:
     
    "Proinde, ut obiter dicam, paulo circumspectius sunt divina oracula inspicienda, quae syechdechice loquuntur de credentibus, quod scil. soli salvi fiant: hi enim soli hac lege continentur, qui et audierunt et crediderunt. Similiter de incredulorum damnatione: hi enim soli intelliguntur, qui audierunt et non crediderunt. De aliis non possumus pronunciare, quia de nullorum electione nobis constat. ... Non est igitur universale, quod qui fidem non habeat, damnetur; sed qui fidei rationem exponi audivit et in perfidia perstat ac moritur, hunc possumus fortasse inter miseros abiicere. Nam et multi non protinus aut audiverunt credunt, sed tunc tandem, quum spiritu capiuntur et attrahuntur, quomodo Paulus. Idcirco de his tantum licet pronunciare qui in perfidia perstant usque ad mortem. ... Nihil enim vetat quo minus inter gentes quoque deus sibi deligat, qui reverantur ipsum, qui observent et post fata illi iungantur: libera est enim electio eius. Ego certe malim, si optio detur, Socratis aus Senecae sortem eligere, qui ut numen unum agnoverunt ita mentis puritate sategerunt illud demereri, quam aut pontificis Romani, qui tamen se deum vel ipse indicaret, si licitator adsit; ... Illi enim ut religionem ad verbum, et quod ad sacramenta pertinet, non agnoverint: attamen, quod ad rem ipsam, aio religiosores ac sanctiores fuisse quam omnes unquam Dominicastros et Franciscanos."

    (De providentia, de fide; 1529; SS IV,123).

    "Darum, um es nebenher zu sagen, sind die göttlichen Worte ein wenig umsichtiger zu betrachten, die kurzgefasst von den Gläubigen rede, dass  nämlich allein sie gerettet werden: In dieser Aussage sind nämlich allein die enthalten, die gehört und geglaubt haben. Gleicherweise bezüglich der Verurteilung der Ungläubigen: allein die werden darunter verstanden, die gehört und nicht geglaubt haben. Über die Übrigen können wir nichts aussagen, weil niemandes Erwähltsein uns feststeht. ... Es ist also nicht eine Allgemeinaussage, dass verurteilt wird, wer den Glauben nicht hat; Sondern nur wer den Inhalt des Glaubens darlegen gehört hat und in Unglauben geblieben ist und darin stirbt, diesen können wir vielleicht unter die Verdammten zählen. Denn viele glauben nicht sofort, wenn sie hören, sondern erst dann wenn sie vom Geist Gottes erfasst und angezogen werden — wie z.B. Paulus. Deshalb kann man diese Aussage nur von denen machen, die bis zum Tod im Unglauben bleiben, ... Nichts steht dem entgegen, dass Gott sich auch unter den Heiden solche erwählt, die ihn verehren, ihn hochachten und ihm gemäß dem Weltenplan verbunden werden. Frei ist nämlich seine Wahl. ich möchte gewiss lieber — wenn ich wünschen dürfte — das Los des Sokrates oder Seneca wählen, die so, wie sie einen Gott erkannten, so auch mit der Reinheit des Herzens sich bemühten, jenen für sich zu gewinnen. Ich würde deren Los lieber wählen als das des römischen Papstes, der sich selbst als Gott ankündigt. ... Jene Heiden haben zwar die Religion dem Wort nach, und was die Sakramente betrifft, nicht gekannt; dennoch behaupte ich, dass sie — was die Sache selbst betrifft — frömmer und heiliger gewesen sind als alle Dominikaster und Franziskaner es jemals gewesen sind."

Vgl. die Aufzählung der Heiden, die den Himmel bevölkern in Fidei expositio, vita aeterna; 1531; SS IV,65).


2.1.2. Gott innerhalb der christlichen Offenbarung


Innerhalb der christlichen Offenbarung lernt der Mensch Gott im Gesetz und im Evangelium kennen. Dort offenbart sich Gott als gerecht und barmherzig.


2.1.2.1. Die Gerechtigkeit Gottes


"Er ist der Gestalt gerecht, daß er der unversert Brun ist aller Unschuld und Frommkeit und Grechtigkeit und alles Guten. Dann er ist die Grechtigkeit, Frommkeit und alles Gutes selb wäsentlich, also, daß nüt fromm, noch grecht, noch gut ist, denn das uß im kumpt. Glych wie er nit allein wahrhaft ist, sunder die Wahrheit selbs Jo. 14 [,6], also ist er nit allein gerecht, sunder die unverserte Grechtigkeit selbs, die so luter und eigenlich rein ist, daß in dero nüt Vermischtes ist mit einigerlei Unsuberkeit der Anfechtungen. Denn ie das zemen gemischt ist, mag nit ewig sin. Und ist aber Gott das ewig Gut, darumb muß er, der die Grechtigkeit ist, unvermischt sin, frömd von allen Anfechtungen und eigennützigen Begirden."

(Von göttl und menschl Grechtigkeit; 1523; CR II,475,8-25; Staat 39).

Da die Gerechtigkeit Gottes keine Unreinheit verträgt, muss der Mensch, will er zu ihm kommen, ebenso gerecht sein wie Gott, dass aber ist dem Menschen unmöglich. (Von göttl und menschl Grechtigkeit; 1523; CR II,476,8f.).

Die Gerechtigkeit Gottes kann nicht dulden, dass der Mensch straflos ausgeht: sie fordert Sühne.

Dem Menschen wird die Gerechtigkeit Gottes im Gesetz geoffenbart, denn das Gesetz ist der ewige Gotteswille, durch es erkennt der Mensch, was Gott will, und was er nicht will:

"Nam ipsi ignorabamus quid peccatum esset, nisi verbo suo deus manifestasset quid factum quid omissum oporteat. Lex ergo nihil aliud est quam doctrina de voluntate dei, per quam scil. intelligimus quid ille velit, quid nolit, quid exigat, quid vetet. Quod autem sit perpetua voluntas dei, it ut de illa lege, quae ad interiorem hominem adtinet, nunquam sit quicquam mutaturus, ipsius legislatoris verbis patet."

(Commentarius, de lege; 1525; CR III,707,18-24; SS III,203).

"Denn wir wüssten nicht, was Sünde wäre, wenn uns nicht Gott mit seinem Wort offenbart hätte, was zu tun, was zu unterlassen ist. Das Gesetz ist also nichts anderes als die Lehre vom Willen Gottes, wodurch wir erkennen, was Gott will und was er nicht will, was er fordert und was er verbietet. Dass aber der Wille Gottes unveränderlich ist, sodass er nie etwas von jenem Gesetz, das sich auf den inneren Menschen bezieht, ändern wird, das wird offenbar aus den Worten des Gesetzgebers selbst."

Sobald der Mensch erkennt, dass er die Forderungen Gottes unmöglich erfüllen kann, fällt er in Verzweiflung. Aus dieser Verzweiflung wird der Mensch aber durch die Barmherzigkeit Gottes herausgeholt.


2.1.2.2. Die Barmherzigkeit Gottes


Da Gott gut ist, ist er gerecht und barmherzig zugleich. Gottes Barmherzigkeit forderte die Vergebung. So musste die Barmherzigkeit das Opfer — nämlich Christus — leisten und die Gerechtigkeit das Opfer zur Sühne annehmen.

Da nur Gott selbst der Gerechtigkeit Gottes genugtun kann, ist auch damit ausgeschlossen, dass der Mensch gewisses Vertrauen für sein Heil in etwas anderes setzen kann als in Gott. (Erst Predig ... zuo Bern; 1528; CR 6,1,464,3ff.)-

Seine Barmherzigkeit — dass Christus für die Menschen genuggetan hat — offenbart Gott im Evangelium.


2.1.2.2.1. Christus als salvator  — Erlöser


  1. Die Gerechtigkeit Gottes kann nicht durch die Werke irgendeiner Kreatur versöhnt werden: Versöhnen kann nur Christus; er hat die Sünden der ganzen Welt auf sich genommen. So ist jedes menschliche Tun zur Rechtfertigung ausgeschlossen:
     
    "Nam si mererentur opera nostra beatitudinem: iam non fuisset Christi morte opus ad placandum divinam iustitiam, iam non esset gratia, cum condonantur admissa: mereri enim quisque posset. De qua re Paulus irrefragibiliter in Rom. et Gal disserit. Oportet enim verum esse illud, ad patrem neminem venire nisi per Christum. Ergo sola gratia et liberalitate dei, quam in nos per Christum abunde effudit, contingit aeterna felicitas."

    (Fidei expositio, fides et opera; 1531; SS IV,62).

    "Wenn nämlich unsere Werke die Glückseligkeit verdienen würden, wäre Christi Tod nicht nötig gewesen, um die göttliche Gerechtigkeit zu besänftigen; Schuldvergebung wäre dann auch keine Gnade: jeder könnte sie ja selbst verdienen. Diese Sache erörtert Paulus im Römer- und Galaterbrief unwiderlegbar. Es muss nämlich das wahr sein, dass zum Vater niemand kommt außer durch Christus. Also erhalten wir die ewige Seligkeit allein durch Gnade und Freigebigkeit Gottes, die er über uns durch Christus überfließend ausgießt."

     

  2. Rechtfertigung geschieht allein aus Glauben:
     
    "Quos autem sic vocat, eos et iustificat sive a peccatis absolvit: sic enim 'iustificandi' verbo pro 'absolvendi' utuntur Hebraei. Nunc ergo quae alia est iustificatio nisi fidei? In hoc enim et Christus et apostoli omnem doctrinae commeatum insumunt ut obtineant, nullam aliam esse absolutionem sive iustificationem quam fidei. Qui autem fidem habent, heredes sunt sempiternae gloriae."

    (De providentia, de fide; 1529; SS IV,121).

    "Diejenigen, die Gott so beruft, diese rechtfertigt er auch, d.h. er absolviert sie von den Sünden: So gebrauchen nämlich die Hebräer das Wort 'rechtfertigen' für 'lossprechen'. Was für eine andere Rechtfertigung gibt es als die des Glaubens? Darauf läuft nämlich die ganze Lehre Christi und des Apostels hinaus, dass sie daran festhalten, dass es keine andere Lossprechung oder Rechtfertigung als die des Glaubens gibt. Die aber den Glauben haben, sind Erben der ewigen Glorie."


    Diese Glaubensgerechtigkeit beschreibt Zwingli im Zusammenhang mit Gen 15,6 ("Abraham glaubte Gott ...") folgendermaßen:

    "Haec enim iustitia, id est innocentia est apud deum, certo et indubitato credere Deum esse optimum et supremum bonum, qui nec falli neque fallere, non magis velit quam possit. Qui ad hunc modum credit, is Deo certissime fidit, ab eo totus pendet, soli eius bonitati et misericordiae innitens; neque hunc fallet sua spes. Haec spes enim non putefacit. Rom. V. Qui talis est, sibi totus displicet, quotidie habet quod coram pientissimo patre deploret; sed certus de dei sui misericordia non desperat; is vere iustus est, idque coram deo. Sed non sunt haec propter Abramum solum scripta, sed etiam propter nos, quibus imputabitur credentibus in eum qui excitavit Iesum etc. Rom 4."

    (Adnotationes in Genesin; undatiert; SS V,59f.).

    "Dies ist nämlich die Gerechtigkeit, d.h. Unschuld, bei Gott, gewiss und ohne Zweifel glauben, dass Gott das beste und höchste Gut ist, der nicht getäuscht werden noch täuschen weder will noch kann. Wer auf diese Weise glaubt, der vertraut auf Gott in völliger Gewissheit, hängt ganz von ihm ab, sich allein auf seine Güte und Barmherzigkeit stützen; einem, der so glaubt, den wird seine Hoffnung nicht täuschen. Diese Hoffnung wird nicht zuschanden Röm 5. Wer so glaubt, missfällt sich ganz, er hat immer etwas, das er vor dem gnädigsten Vater beweint; aber er ist der göttlichen Barmherzigkeit ihm gegenüber gewiss und verzweifelt deshalb nicht; wer glaubt, ist wahrhaft gerecht, und das vor Gott. Aber diese Worte sind nicht nur wegen Abram geschrieben, sondern auch unsretwegen, denen die Gerechtigkeit angerechnet wird, wenn wir an den glauben, der Jesus auferweckt hat usw. Röm 4."

     

  3. Wer fest auf Christus vertraut, dem sind seine Sünden vergeben, — der hat nach Joh 3,36 das ewige Leben erlangt.
     
    "Quum ergo ille pro peccato satisfecerit: quinam fiunt quaeso participes illius satisfactionis et redemptionis? Ipsum audiamus! Qui in me credit, hoc est, qui me fidit, qui me nititur, habet vitam aeternam. At vitam aeternam nemo adipiscitur nisi cui peccata adempta sunt. Qui ergo Christo fidit, ei remittuntur peccata."

    (Fidei expositio, remissio peccatorum; 1531; SS IV,60).

    "Wenn also Christus für die Sünde genuggetan hat, wer wird nun, frage ich, jener Genugtuung und Erlösung teilhaftig? Lasst uns ihn selbst hören! Wer an mich glaubt, d.h. wer mir vertraut, wer sich auf mich stützt, hat das ewige Leben. Aber das ewige Leben erreicht niemand, wenn ihm nicht die Sünden weggenommen sind. Wer also auf Christus vertraut, dem werden die Sünden nachgelassen."

     

  4. Da dem Menschen allein durch den Glauben an Christus seine Sünden vergeben werden, fällt für Zwingli der Lehre vom Fegfeuer dahin:
     
    "Primum enim Christum ipsum prorsus evacuant et explodunt. Si enim Christus pro peccatis nostris mortuus est ... qui poset ferri ut nos ad satisfaciendum cogeremur? Si enim a Christo abhorrent, qui operibus fidunt iudicio Pauli: quanto magis abhorrent et annihilant Christum qui proprio cruciatu expiari crimina oportere docent? Nam si bene facta mereri beatitudinem nequeunt, et eam carnificina mereatur: iam numinis bonitas in dubium vocaretur, quasi afflictionibus et aerumnis gauderet; abhorreret autem a mansuetudine et benignitate."

    (Fidei expositio, purgatorium; 1531; SS IV,50).

    "Erstens leeren und verwerfen sie [= die Fegfeuerlehrer] Christus völlig. Wenn nämlich Christus für unsere Sünden gestorben ist ... wer könnte dulden, dass wir gezwungen würden, Genugtuung zu leisten? Wenn die, die auf Werke ertrauen, nach dem Urteil des Paulus von Christus nichts wissen wollen, um wieviel mehr verabscheuen und vernichten die Christus, die lehren, man müsse die Vergehen durch eine Qual sühnen? Denn wenn schon gute Werke die Glückseligkeit nicht verdienen können, aber Qualen diese verdienen könnten, dann würde die Güte Gottes in Zweifel gezogen werden: als ob er sich an Bedrängnis und Mühsal freuen würde, von Milde und Güte aber nichts wissen wollte."

     

  5. Allein der Glaube an Christus, dass er den Gläubigen mit Gott versöhnt habe, gibt Gewissheit der Sündenvergebung. Diese erfährt der Gläubige in sich.
     
    "Per fidem autem diximus remitti peccata, quo nihil aliud volumus quam dicere, solam fidem certum reddere hominem de remissis sceleribus. Ut enim sexcenties pontifex etiam Romanus dicat: Condonata sunt tibi delicta, nunquam tamen quieta fit mens ac certa de reconciliatione numinis, nisi cum ipsa apud se videt ac credit citra omnem dubitationem, imo sentit, se absolutam ac redemptam esse. Sicut enim fidem nemo potest nisi spiritus sanctus dare, sic etiam non remissionem peccatorum."

    (Fidei expositio, remissio peccatorum; 1531; SSS IV,60).

    "Wir haben gesagt, dass durch Glauben die Sünden vergeben werden; damit wollten wir nichts anderes sagen, als dass der Mensch allein durch Glauben der Sündenvergebung gewiss gemacht werden. Mag der römische Papst 600mal sagen: 'Die Sünden sind dir ergeben', wird dennoch das Gemüt niemals ruhig noch der Versöhnung Gottes gewiss, wenn es nicht bei sich sieht und ohne allen Zweifel glaubt, ja fühlt, dass es freigesprochen und erlöst worden ist. Denn wie niemand den Glauben geben kann außer dem Heiligen Geist, so auch nicht Nachlass der Sünden."

     

  6. Das Verhältnis von Christus zum Menschen drückt Zwingli aufgrund des Sprachgebrauchs der Bibel so aus:
    "und sind wir gleubig, das ist: glouben wir den Herren Christum Jesum,  daß er unser Gnädigung sye etc., so ist er all unser Volkumnus vor Got, unser Heil, unser Bezalung und Genugthun."

    (Auslegen, 5. Art.; 1523; CR II,37f.; Vert I,42).

    Kurz: der feste Glaube an Christus ist der alleinige Weg zum Himmel.
     

  7. Gilt iustificatio sola fide in Christum — Rechtfertigung allein aus Glauben an Christus — auch für die Väter des Alten Testaments? Ja, denn sie haben auf Christus gehofft, und ihr Glaube wurde ihnen als Gerechtigkeit angerechnet. Vgl. Auslegen (1523):
     
    "Der dritt Artickel. Dannen har der eynig Weg zur Säligkeit Christus ist alle, die ye waren, sind oder werden.. ... Ouch so hand alle Gottsdächtigen, die vor Christo gesyn sind, ir Hoffnung zu Got ze kummen, uff Christum gereckt."

    (Auslegen, 3. Art.; 1523; CR II,31,1-3; Vert I,32f.)

    Zur Glaubengerechtigkeit bei den Vätern siehe auch oben unter Punkt 3.
     

  8. Gilt iustificatio sola fide in Christum — Rechtfertigung allein aus Glauben an Christus — auch für die Heiden? Ja, denn indem sie an Gott glauben, glauben sie auch an Christus.
     
    "Nos enim sic deum agnoscendum amplectendumque docemus, ut sive patrem eum nomines, sive filium, sive spiritum sanctum, perpetuo tamen eum intelligas, qui solus bonus, iustus, sanctus, benignus reliquaque omnia est. Contra, cum filio omnia tribuimus, ei tribuimus, qui id est, quod pater, quod spiritus sanctus; cuius regnum est, cuius potentia eodem iure quo patris et spiritus sancti. Ipse enim hoc ipsum est, quod pater, quod spiritus sanctus, servato nihilominus notionum, ut vocant, discrimine. Quod igitur aemuli hic dicturi sunt, nos hactenus de pietate sic deseruisse, ut salutis per Christum gratiaeque nihil meminerimus, frustra cornicabuntur: Primum, quod omnia non simul neque eodem loco dici possunt; deinde, qod quidquid de animae deique connubio diximus, sic de Christo quoque dictum est, quomodo de deo (Christus enim deus et homo est); Postremo, quod dei cognitio natura sua Christi cognitionem antecedit."

    (Commentarius, de religione christiana; 1525; CR III,674).

    "Wir lehren nämlich, Gott so anzuerkennen und anzunehmen, dass man darunter immer den versteht, der allein gut, gerecht, heilig, gütig und alles übrige ist, nenne man ihn Vater, Sohn oder Heiligen Geist. Wenn wir dagegen dem Sohn alles zuschreiben, so schreiben wir es dem zu, der all das ist, was der Vater ist, und was der Heilig Geist ist. Denn Christi ist das Reich und die Macht in gleicher Weise wie des Vaters und des Geistes. Christus nämlich ist dasselbe, was der Vater und was der Heilige Geist ist, wobei der Unterschied der notiones, wie sie es nennen, erhalten bleibt. Was unsere Feinde hier aber sahen werden, wir hätten nämlich bisher über das rechte Gottesverhältnis so gesprochen, dass wir das Heil durch Christus und die Gnade nicht erwähnt haben, das werden sie umsonst krächzen. Denn ersten kann man nicht alles zugleich am selben Ort sagen. Zweitens, was wir von der Ehe der Seele mit Gott gesagt haben, ist in gleicher Weise von Christus ausgesagt wie von Gott (Christus ist nämlich Gott und Mensch). Schließlich, dass die Erkenntnis Gottes ihrer Natur nach der Erkenntnis Christi vorausgeht."

    Zur cognitio dei (Gotteserkenntnis) der Heiden siehe oben 2.1.1.
     

  9. Gilt iustificatio sola fide in Christum — Rechtfertigung allein aus Glauben an Christus — auch für die Kleinkinder? Offensichtlich nicht, denn kleine Kinder können offenkundig noch nicht glauben. Dennoch können die kleinen Kinder zum Heil kommen, denn die Erwählung geht dem Glauben voraus und ist auch nicht vom Glauben abhängig:
     
    "Antecedit igitur electio fidem. Quo fit ut, qui electi sunt et ad fidei cognitionem non veniunt, quomodo infantes nihilo minus aeternam beatitudinem adipiscantur: electio enim est, quae beatos facit, eaque usque adeo libera, ut nullius operis aut virtutis nostrae ratio habeatur."

    (De providentia, de fide; 1529; SS IV,123).

    "Die Erwählung geht also dem Glauben voraus. Daher kommt es, dass die, die erwählt sind und nicht zur Erkenntnis des Glaubens kommen — wie die kleinen Kinder —, dass diese nichts desto weniger die ewige Seligkeit erlangen. Die Erwählung ist es nämlich, die selig macht. Sie ist so frei, dass sie weder eines Werkes noch einer Tugend von unserer Seite her bedarf."

    Dieses Heil erhalten sie aber nur durch Christus. Vgl. Fidei ratio, quinto; 1529; SS IV,7.

    Das Gesagte gilt für Heiden- und Christenkinder.


2.1.2.2.2. Christus als legislator — Gesetzgeber


Der Gerechtfertigte fragt spontan aus Dankbarkeit gegen Gott nach dessen Willen. Die Forderung Gottes erfährt der Gläubige durch Christus. Welche Bedeutung hat nun Christus als legislator — Gesetzgeber — für den Gläubigen?

Durch Christus ist das Gesetz erneuert und abgetan:

Vgl. Von göttl und menschl Grechtigkeit; 1523; CR II,496,16-33.

Daher will Zwingli das Gesetz, das ja den Willen Gottes den Menschen eröffnet, für den Gläubigen lieber Evangelium nennen, denn der Gläubige freut sich, den Willen Gottes zu hören und danach zu handeln. Vgl. Auslegen, 16. Art.; 1523; CR II,79,11-18.

Hinter dieser Aussage steht die für Zwingli zu lösende Schwierigkeit, dass nach Lk 16,16 das Gesetz nur bis Johannes den Täufer gewährt hat, nach Mt 5,17 und 7,12 das Gesetz aber in Ewigkeit bleibt.

Der Gläubige hat das Gesetz nach der Regel "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" zu beurteilen, denn nach Röm 13,9 sind alle Gesetze in dies eine zusammenzufassen. Was nicht unter dies Gebot fällt, ist durch Christus abgetan, denn Christus bzw. die Liebe ist des Gesetzes Ende. Vgl. Commentarius, de lege; 1525; CR III,707f.

Der Gläubige tut also nicht mehr gezwungen, sondern freiwillig und fröhlich in spontaner Liebe den Willen Gottes.

"Quae [= caritas] si in nobis ardeat, nihil iam coacte faciemus, sed libere iucundeque omnia: absolutio enim legis est charitas. Lex enim cum taedio ac simulate fiebat, cum non arderet charitas. At ea ubi accensa est, non spectatur lex, tam abest ut me tuatur; sed vehit in omnibus et ad omnia charitas. Et sicut de his qui adfectibus vincti sunt, dicimus quod ferantur: sic qui amore divino incensi sunt, eo spiritu feruntur qui in ipsis ardet. Habemus ergo unum genus liberationis a lege, quo per caritatem facimus quod dei placitum fore scimus."

(Commentarius, de peccato; 1525; CR III,710; SS III,205).

"Wenn die Liebe in uns brennt, tun wir nichts mehr gezwungen, sondern frei und freudig alles: denn die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe. Das Gesetz nämlich wurde mit Überdruss und zum Schein getan, da die Liebe nicht brannte. Wo aber die Liebe angezündet ist, wird das Gesetz nicht betrachtet, es liegt fern, dass es gefürchtet wird; aber die Liebe treibt in allen und zu allem. Und wie wir von denen, die durch Leidenschaft gefangen sind, sagen, dass sie fortgerissen werden: so werden auch die, die durch göttliche Liebe angezündet sind, durch den Geist, der in ihnen brennt, fortgerissen. Damit haben wir also die eine Art der Befreiung vom Gesetz, indem wir durch die Liebe das tun, von dem wir wissen, dass es Gott angenehm ist."

Da Christus das Gesetz erfüllt hat, und es den Gläubigen nicht mehr verdammen kann, können sowohl die Erbsünde wie die aus der Erbsünde folgenden Sünden — denn auch der gerechtfertigte Mensch sündigt noch — nicht schaden, soweit der Mensch auf Christus vertraut. Durch das Vertrauen auf Christus ist der Gläubige ein neuer Mensch geworden, aber er spürt gleichzeitig den alten Menschen noch in sich. Anhand von Röm 7 und 8 untersucht Zwingli dieses Problem und stellt fest, dass der Geist Gottes im Gläubigen wohnt, wenn dieser auf Christus vertraut: der Leib ist zwar um der Sünde willen tot, aber der Geist ist um der Gerechtigkeit Christi willen lebendig. Vgl. Commentarius, de peccato; 1525; CR III,716,22ff.


2.1.2.2.3. Christus als exemplum — Vorbild


Der neue Mensch will ein neues, unschuldiges Leben führen, das aus Selbstverleugnung und Nachfolge Christi besteht. Dass der Mensch dem Beispiel Christi folgt, ist aber nicht sein werk und erst recht nicht verdienstvolles Werk:

"Nam simul constare nequeunt innocentia salutem parari oportere, et Christi iustitiae omnia condonari, ea maxima causa, quod salutem nostro Marte adsequi nequeamus."

(Commentarius, de peccato; 1525; CR III,716)

"Denn beides kann nicht zugleich bestehen: durch Unschuld das heil erwerben müssen, und alles der Gerechtigkeit Christi verdanken — dies vor allem deshalb, weil wir das Heil nicht aus eigener Kraft erlangen können."

Vgl. auch Commentarius, de peccato; 1525; CR III,718.


2.2. Der Ursprung des Glaubens: ist Glaube ein Werk?


Der Mensch wird also aus Glauben gerecht gemacht, d.h. er ist seiner Sünden ledig und keine Verdammnis kann ihn treffen. Er hat Freundschaft mit Gott. Glaube bringt

Dies alles bekommt der Mensch aber nicht, weil sein Glaube das verdient hätte. Glaube ist nämlich keineswegs ein Werk des Menschen, das aus eigener Kraft geschieht, sondern ein Werk Gottes, der den Glauben nicht nur gibt, sondern auch erhält.


2.2.1. Die Vorsehung Gottes


Gott gibt den Glauben aufgrund seiner providentia — Vorsehung —, und zwar so, dass der Glaube der Erwählung als Zeichen der Erwählung nachfolgt.

"Fides itaque iis datur, qui ad vitam aeternam electi et ordinati sunt; sic tamen ut electio antecedat, et fides velut symbolum electionem sequatur."

(De providentia, de fide; 1529; SS IV,121).

"Der GLaube wird also denen gegeben, die zum ewigen Leben auserwählt und ausgerichtet sind; so aber, dass die Wahl vorausgeht und der Glaube als Zeichen der Wahl folgt."

Den Erwählten wird dann auf Grund ihres Glaubens die Seligkeit gegeben (Ausnahmen siehe oben 2.1.2.2.1., Punkt 9). Es ist also ganz streng jedes verdienstliche Tun des Menschen ausgeschlossen, denn Erwählung ist ein vom menschlichen Tun unabhängiges Handeln Gottes.

"Unde ad constitutionem libertatem adiecimus, ut numinis hanc constitutionem intelligamus esse liberam, non a nostra dispositione aut constitutione pendere neque nostram constitutionem sequi."

(De providentia, de electione; 1529; SS IV, 113)

"Deshalb fügen wir zur Vorsehung 'Freiheit' hinzu, damit wir verstehen, dass die Vorsehung Gottes frei ist, nicht von unserer Disposition oder Beschaffenheit abhängt, noch unserer Beschaffenheit folgt."

Ein Ungläubiger würde nun folgern: wenn Erwählung und rechtfertigender Glaube nur Gottes Werk ist, braucht der Mensch nichts zu tun. Die Gläubigen aber richten sich selbstverständlich nach dem Willen Gottes: Glaube ohne Gegenliebe zu Gott wäre ja kein Glaube.


2.2.2. Der Heilige Geist


Die Erwählten werden von Gott durch den Heiligen Geist zum Glauben berufen und ihrer Erwählung gewiss gemacht. Der Heilige Geist erleuchtet und zieht die erwählten Christen, dass sie das Wort Gottes hören. Vgl. De providentia, de fide; 1529; SS IV,121.


2.2.2.1. Das Wort


Nur wenn der Geist im Innern des Menschen wirkt, kann der Mensch das Wort Gottes als wahres annehmen. Das äußere Wort ohne den Geist nützt nichts. Das beweist Zwingli nicht nur aus der Schrift (1Kor 12,9), sondern auch aus der Erfahrung: indem nämlich viele Leute täglich die Predigt des Evangeliums hören und nicht gläubig werden.

"Quum Paulus fidem ex auditu esse Romanis scribit, eodem modo viciniori et nobis notiori causae tribuit, quod solius est spiritus, non externae praedicationis, quam admodum Sacramentarii fere contendunt. Quod tam verum est, ut non modo divinarum literarum testimoniis istis: Nemo venit ad me nisi pater meus traxerit, et: alibi datur fides eodem munere spiritus, atque similibus, sic esse colligatur, verum etiam usu deprehenditur; quum quotidie videmus quosdam evengelii praedicationem audire quidem, sed nihilo magis credere."

(De providentia, de fide; 1529; SS IV,125).

"Wenn Paulus an die Römer schreibt, dass der Glaube aus dem Hören sei, dann schreibt er damit der uns näherliegenden und bekannteren Ursache zu, was allein des Geistes ist, nicht der äußeren Predigt, wie die Sakramentierer behaupten. Dass das aber wahr ist, das findet sich nicht nur in den Zeugnissen der Heiligen Schrift: 'Niemand kommt zu mir, wenn ihn nicht mein Vater zieht' und 'Der Glaube wird durch das Werk des Geistes gegeben' u.ä. Die Wahrheit dessen wird auch durch die Erfahrung gezeigt: denn täglich sehen wir, dass einige die Predigt des Evangeliums zwar hören, aber keineswegs glauben."

Der Geist kann aber ohne das äußere Wort z.B. den Heiden Glauben geben. Siehe oben 2.1.1.

Zwingli beschreibt das Verhältnis von Wort Gottes und Heiligem Geist zusammenfassend so:

"Sehend, lieben Brüder, daß Gwüsse des Worts Gottes nit von dem Uretil der Menschen kumpt, sunder von Gott, also daß, wenn der Mensch also ein klaren Glauben hat, daß er Got by allen Dingen Glouben gibt, ja Got allein gloubt sicher und ungezwyflet, daß er denn eigenlich weißt Gott warhaft sin. Er weißt den Sinn und Meinung Gottes und ist sicher und styff darinn, als hette er Sigel und Brieff. Er verhört ouch alles, daß sich für wahrhafft vor den Menschen darthut, und findt er es in einem Euangelio, das ist: in der Leer, die von dem göttlichen Geist und Gnad kumpt, so nimpt er's nit erst an, sunder er ist vorhin so klar bericht und erlüchtet, daß er nütz annimpt denn daß im Got durch Christum wyßt. Und so der Mentsch redt, das Gottes ist, so bewäret er nit dem Menschen sin Wort, sunder er spricht: Das sol ggloubt werden; dann es ist Gottes. Und würt im alles clar im Glouben des Evangelii, das ist: so er sich an Christum laßt. Dann Gottes Geist gibt unserem Geist Kundtschafft, daß wir Sün Göttes synd Ro 8. Wannehar wolltend wir wüssen, daß wir Süne Gottes wärind, Got machte dann uns sicher durch siner Gnaden Geist in unseren Hertzen? Also wie möchtind wir, die lugenhafftig sind, die Warheit erkennen, denn in dem Inkuchen [= Einhauchen] sines Geistes?"

(Auslegen, 15. Art.; 1523; CR II,75,21-76,2; Vert I,93).


2.2.2.2. Die Lehre


Alles, was den Glauben betrifft, macht der Heilige Geist dem Menschen klar. Die wahren Gläubigen vertrauen deshalb ungezweifelt auf den einen Gott. Wieviel aber der Mensch von Gott weiß, ist nicht so wichtig; z.B. was und wie Gott ist, wissen nur besonders Erleuchtete und Verständige. Diese haben dann allerdings die Aufgabe, Einwände gegen den Glauben zunichte zu machen, damit die, die einen schwachen Verstand haben, nicht unruhig werden. Diese Beunruhigung betrifft aber nicht den Glauben selbst, sondern nur das Glaubensverständnis (intellectus). (Hier — wie überhaupt in der Art zwinglischen Theologisierens (Schriftbeweis — Verstehensargumente) — zeigt sich deutlich die Struktur des nach Verstand suchenden Glaubens (fides quaerens intellectum), der bei Zwingli nie ein Glauben suchender Verstand (intellectus quaerens fidem) ist). Vgl. De providentia, de fide; 1529; SS IV,126.


2.2.3. Das äußere Wort und die Sakramente



Abb.: Otto Münch (1885-1965):  Leo Jud, Theodor Bibliander und Zwingli bei der Übersetzung der Bibel, Südportal des Großmünsters Zürich.

Wozu braucht man noch Verkündigung bzw. Sakramente, wenn es doch letztlich auf das innere Zeugnis des Geistes ankommt?


2.2.3.1. Die Verkündigung


  1. Der Mensch glaubt nicht kraft des äußeren Wortes (siehe oben 2.2.2.1.). Gott hat aber die Verkündigung — gemäß Röm 10,,17 und Lk 8,5-8 — als den üblichen (communis) Weg der Annahme des Glaubens gewollt (siehe oben 2.1.). Zur Verkündigung benutzt er Prediger und Propheten wie Röhren (velut canna), die seine Ermahnungen weitergeben: Fidei expositio, de deo; 1531; SS IV,46
     
  2. Jeder Gläubige muss das gepredigte Wort nach der Regel "Jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus ins Fleisch gekommen ist, ist aus Gott" (1Joh 4,2f.) und mit seiner eigenen erfahrenen Heilsgewissheit prüfen: Adversus Hieronymum Emserum Antibolon; 1524; CR III,263,9-26; SS III,131f.
     
  3. Nach Lk 24,45f. schöpft die Verkündigung aus der Schrift, deren Verständnis, wo sie nicht eindeutig ist, vom Glauben her festzustellen ist.

    Das gilt z.B. für die Frage der Verdienstlichkeit der Werke: es gibt in der Schrift viele Stellen, die den Werken Verdienst zusprechen, aber auch solche, die eindeutig jeglichen Verdienstgedanken ablehnen. Zwingli löst dieses Problem dadurch, dass der Glaube sagt, wir seien unnütze Knechte; dass aber den Werken Verdienst und Lohn versprochen wird, it Gottes Großzügigkeit für die Schwachen. Commentarius, de eucharistia; 1525; CR III,790.


2.2.3.2. Die Sakramente


  1. Sakramente als geschaffene Dinge können nicht Gegenstand des Glaubens seine, noch eine Kraft den Gläubigen vermitteln. Siehe oben 1.2.3.2.2.1. Vgl. auch Fidei ratio; 1529; SS IV,10. Siehe auch oben 1.3.2. und De providentia, de fide; 1529; SS IV,120.
     
  2. Die Sakramente bewirken nur historischen Glauben (fides historica): sie sind Erinnerung an Geschehenes:
     
    "Primum quod fidem, quae in deum fiducia est, nemo nisi spiritus sanctus dat, nulla res externa. Quamvis faciant fidem sacramenta, sed historicam: omnes enim panegyres, tropaea, imo monumenta et statuae fidem historicam faciunt, hoc est, monent olim aut quiddam esse factum cuius memoria refricetur ... aut victoriam isthic loci partam esse, sicut est lapis adiutorii."

    (Fidei expositio; praesentia corporis Christi; 1531; SS IV,55).

    "Erstens dass den Glauben, der Vertrauen auf Gott ist, niemand als der Heilige Geist gibt, keine äußerliche Sache. Dies obwohl die Sakramente einen Glauben machen, aber den historischen: denn alles Feste, Siegeszeichen, ja Monumente und Statuen machen einen historischen Glauben, d.h. sie erinnern, dass entweder einst etwas getan wurde, dessen Gedächtnis aufgefrischt wird ... oder dass an jener Stelle ein Sieg errungen wurde, wie z.B. der Stein der Hilfe [1Sam 7,12]."

     

  3. Die Sakramente unterstützen den Glauben und helfen ihm gegen die Sinne, indem sie die Sinne von den Begierden des Fleisches freimachen und unter den Gehorsam des Glaubens stellen.

    Z.B. Hört das Gehör die Einsetzungsworte und ist darum in seiner Wahrnehmung mit dem Glauben konform, dann hemmt das Gehör den Glauben nicht durch eigene leichtfertige Gedanken: Fidei expositio, quae sacramentorum virtus; 1531; SS IV,57f.
     

  4. Die Teilnahme an den Sakramenten ist ein äußeres Bezeugen des inneren Glaubens: damit bekennt man sich wie durch einen Eid zum Volk Christi: Fidei expositio, quae sacramentorum virtus; 1531; SS IV,58.

2.2.3.2.1. Die Taufe


  1. Da im Sakrament keine unsichtbare Kraft liegt, kann die Taufe nicht den Glauben geben, sondern der Glaube geht dem Empfang der Taufe voraus.
     
    "Fides enim, inquiunt, quum huius placiti confirmationem postulas, est rerum invisibilium, non attendentes, baptismum nulli dari nisi aut fidem prius sese habere fateatur si est adultus; aut promissionem habeat cuius virtute ad ecclesiam censeatur, si est infans. Ut sic omnino istud, quod Sacramentarii invisibilter hic adferri sacramento contendunt, dudum sit allatum. Aut enim is qui fatetur fidem, habuit antequam fateretur et subinde antequam baptizeretur: professio enim antecedit mersionem; et sic adfuit fides quae luce ac dono spiritus data est, antequam sacramento initiaretur. Aut si non habuit fidem, certe baptismo non adfertur."

    (De providentia, de fide; 1529; SS IV,119f.)

    "Wenn du den Beweis für diese Meinung forderst, sagen die Sakramentierer: Der Glaube ist der Dinge, die nicht gesehen werden. Sie beachten nicht, dass die Taufe niemandem gegeben wird, es sei denn, er habe vorher bekannt, dass er den Glauben habe — wenn er erwachsen ist —, oder er habe die Verheißung, kraft derer er zur Kirche gezählt wird — wenn es ein Kind ist. So ist all das, was die Sakramentierer durch das Sakrament unsichtbarerweise geschehen lassen wollen, schon vorher da. Entweder hatte nämlich der, der den Glauben bekennt, diesen schon bevor er ihn bekennt, also auch bevor er getauft wird; denn das Bekenntnis ist vor der Tauchung; und so war der Glaube, der im Licht und als Gabe des Geistes gegeben ist, da, bevor er durch das Sakrament hätte anfangen können. Oder, wenn er keinen Glauben hatte, dann wird dieser auch durch die Taufe nicht herbeigebracht."

    Bei den Kindern dagegen, die ja noch nicht glauben können, geht nicht der Glaube, sondern die Verheißung Gottes voraus.

    "Quum igitur Hebraeorum infantes semper sint intra ecclesiam censi cum parentibus et promissio divina firma sit: constat infantes Christianorum non minus esse de ecclesia Christi quam parentes."

    (De providentia, de fide; 1529; SS IV,120).

    "Da also die Kinder der Hebräer immer zur Kirche gerechnet wurden mit ihren Eltern, und da die göttliche Verheißung fest ist, steht fest, dass die Kinder der Christen nicht weniger zur Kirche gehören als ihre Eltern."

    Die Verheißung Gottes ist aber, dass Juden und Heiden in er Kirche gleich sein werden. Für die Juden galt aber, dass die Zugehörigkeit der Eltern zum heiligen Volk auf die Kinder übergeht, also gilt das auch für alle Christen (De providentia, de fide; 1529; SS IV,120).
     

  2. Die Taufe stellt zeichenhaft dar, dass Christus die Gläubigen mit seinem Blut abgewaschen hat, und dass sie ihn anziehen, d.h. nach seinem Vorbild leben: Fidei expositio, de deo; 1531; SS IV,46.
     
  3. Der Gläubige zeigt durch seine Taufe an, dass er sich als Glied der Kirche verpflichtet hat: Vgl. Von der Touff; 1525; CR IV,533,17-22.

2.2.3.2.2. Das Abendmahl


  1. Nach Zwingli ist es unsinnig, von einem Glauben an die leibliche Gegenwart Christi im Brot und Wein des Abendmahls zu sprechen. Siehe oben 1.2.3.2.2.1. und 1.3.2.

    Zu seiner Auffassung vom Abendmahl gelangte Zwingli vor allem aufgrund seiner Exegese des Johannesevangeliums. Z.B. Joh 6,63: "Das Fleisch ist nichts nütze", d.h. Vertrauen auf Kreatur ist Abgötterei. Oder auch all die Johannesstellen, die vom Weggehen Christi aus der Welt berichten: sie weisen nach Zwingli darauf hin, dass die Menschheit Christi nicht allgegenwärtig ist. Vgl. Fidei ratio; 1529; SS IV,11-15
     

  2. Das Abendmahl will zeichenhaft darstellen, was den Gläubigen alles von der göttlichen Güte durch Christus geschenkt worden ist, und fordert die Gläubigen auf, aus Dankbarkeit Nächstenliebe zu üben: Fidei expositio, de deo; 1531; SS IV,46.
     
  3. Der Gläubige zeigt durch seine Teilnahme am Abendmahl äußerlich an, dass er freudiges Vertrauen auf Christus hat. Nimmt jemand als Ungläubiger am Abendmahl teil, heuchelt er dieses Vertrauen und ruft die Strafe Gottes auf sich herab. Vgl. Fidei expositio, praesentia corporis Christi in coena; 1531; SS IV,51ff.

2.3. Der Ort des Gläubigen


2.3.1. Die Kirche


2.3.1.1. Die unsichtbare Kirche


Alle, die das gleiche gewisse Vertrauen auf Christus haben — also erwählt sind —, bilden den Leib Christi: die Kirche.

Unsichtbar ist diese Kirche, weil nur Gott den Glauben aller Glieder dieser Kirche kennt. Der einzelne erwählte Gläubige weiß nur, dass er selbst dazu gehört; den Glauben der anderen kann er ja nicht sehen: Fidei expositio, ecclesia; 1531; SS IV;58.


2.3.1.2. Die sichtbare Kirche


Zur sichtbaren Kirche gehören alle, die mit dem Namen Christi bezeichnet werden, das heißt die, die sich zu ihm durch Wort und Teilnahme an den Sakramenten bekennen. Zur sichtbaren Kirche gehören also die echten Gläubigen und die Heuchler: Fidei expositio, ecclesia; 1531; SS IV;58.


2.3.2. Der Staat



Abb.: Matthäus Merian (1593 - 1650): Zürich, 1642

Weil es in der sichtbaren Kirche auch Leute gibt, die nicht nur ungläubig, sondern auch widerspenstig gegen die allgemeine Ordnung sind, bedarf die Kirche der Obrigkeit, damit sie nach Röm 13,4 die Sünder strafe: Fidei expositio, ecclesia; 1531; SS IV;58f.

Prophetenamt und Obrigkeit arbeiten zusammen: sie wollen dem Wohl des Nächsten dienen.

Der Unterschied zwischen Kirche und Staat ist ein innerer: der Staatsbürger wird durch Gesetze gezwungen, dem Wohle des Nächsten zu dienen; der Gläubige liebt seinen Nächsten spontan. Vgl. Commentarius, de magistratu; 1525; CR III,867-888.


3. Zusammenfassung: Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Zwingli


3.1. Die Frage von Verdienst und Lohn


Wie wird Zwingli mit den Bibelstellen fertig, die den Werken, die nach dem Gesetz Gottes sind, Verdienst und Lohn verheißen, z.B. Mt 10,42?  Siehe dazu oben 2.2.3.1. Zwingli löst das Problem mit Hilfe einer Art Akkomodationstheorie: Gott redet mit den Menschen nach ihrer Art und Weise und nennt seine Geschenke 'Lohn' oder 'Verdienst'. Dies tut er aus Güte:

  1. damit dem Beschenkten die Erniedrigung unter die Bettler erspart bleibt.
  2. zum Ansporn. Vgl. Fidei expositio, fides et opera; 1531; SS IV,62.

Diese Akkomodation geschieht:

  1. wegen der Glieder Christi, die noch Milch nötig haben (gemäß 1Kor 3,2). Vgl. Adversus Hieronymum Emserum Antibolon, meritum; 1524; CR III,280.13-20.

    (Wie Gott sich an die Schwachen anpasst, so kann auch Zwingli gemäß Röm 14 den Schwachen helfen, indem er noch den Werken zugibt, was Gottes ist; so besonders in seinen frühen Schriften: siehe Commentarius, de scandalo; 1525; CR III,890f.)
     
  2. um an den Unglauben anzuknüpfen, der ja nach Menschenweise Verdienst will. Vgl. Commentarius, de merito; CR III,842-851.

Rechte Gläubige dagegen tun ohne einen Blick auf die Belohnung selbstverständlich gute Werke: Fidei expositio, fides et opera; 1531; SS IV,63. Siehe oben 2.1.2.2.2. So sind gute Werke für den Menschen selbst und nach außen ein Zeichen, dass der Mensch Gott ehrt und liebt, d.h. gläubig ist.

"Sicut enim fidei tribuitur iustificatio et salus, quum ea solius sint electionis et liberalitatis divinae; fides autem electionem sic sequatur, ut qui illum habeant sciant se veluti per sigillum ac pignus electos esse: sic qui fidei opera faciunt experimentum dant quum sibi ipsis, dum liberaliter et ex amore dei ac proximi, non vana gloria, operantur; tum aliis, quod deum colant, hoc est quod fidem habeant."

(De providentia, de fide; 1529; SS IV,124).

"So wird nämlich dem Glauben die Rechtfertigung und das Heil zuteil, da diese allein auf der Wahl Gottes und seiner Freigebigkeit beruhen. Der Glaube aber folgt der Wahl so, dass diejenigen, die glauben, wissen, dass sie wie durch ein Sigel oder Unterpfand erwählte sind. So geben diejenigen, die die Werke des Glaubens tun, einen Erfahrungsbeweis
  1. sich selber, wenn sie großmütig und aus Liebe zu Gott und dem Nächsten, nicht aus eitler Ruhmsucht, wirken
  2. den anderen, dass sie Gott ehren, d.h. dass sie Glauben haben."

3.2. Der rechtfertigende Glaube — die fides iustificans


  1. Glaube ist ein festes gewisses Vertrauen auf das, was nicht sichtbar ist.
     
  2. Einziges 'Objekt', das dem Glauben diese feste Gewissheit gibt, ist Gott: er ist das natürliche Objekt des Glaubens obiectum naturale fidei.
     
  3. Jedes gewisse Vertrauen auf Geschöpfe ist Selbst- oder Fremdbetrug. Es ist Abgötterei.
     
  4. Gottes Gerechtigkeit ist allein durch Christus genuggetan. Der Mensch ist vor Gott nur gerecht, wenn er fest auf Christus vertraut, und zwar seiner Gottheit nach: dieses Vertrauen ist die einzige Gerechtigkeit.
     
  5. Diesen rechtfertigenden Glauben erhält der Mensch allein durch den Heiligen Geist. Der Glaube ist das Zeichen der vorhergehenden Erwählung Gottes und kein Werk des Menschen.
     
  6. Den Erwachsene macht also allen der Glaube gerecht und selig, währen bei den Kindern die Erwählung ohne Glaube genügt.
     
  7. Auch Heiden und Väter des Alten Testaments haben einen rechtfertigenden Glauben in Christus — eine fides iustificans in Christum —, auch wenn die Heiden explizit nichts von Christus wissen: denn Christus ist der einzige Weg zum Vater, also auch der einzige Weg zur Gottesverehrung.
     
  8. Äußerlich kann der Glaube hervorgerufen werden durch Verkündigung und Schrift. Äußerlich unterstützt wird er durch die Sakramente. Wesentlich ist aber das innere Wort, das die Verkündigung beurteilt und der Schlüssel zur wahren Schriftauslegung ist.
     
  9. Wo der rechtfertigende Glaube (fides iustficans) ist, dort ist die eine unsichtbare Kirche.
     
  10. Der Glaube bringt spontan gute Werke hervor, sie tragen aber zur Rechtfertigung nichts bei.

Zu: Rechtfertigender Glaube (fides iustificans) bei Martin Luther, 1. Teil: Empirisch-psychologische Bestimmung des Glaubens