Thesen zum Vergleich des rechtfertigenden Glaubens (fides iustificans) bei Luther und Zwingli


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Thesen zum Vergleich des rechtfertigenden Glaubens (fides iustificans) bei Luther und Zwingli. -- Fassung vom 2005-07-21. -- URL: http://www.payer.de/fides/vergleich01.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2005-07-21

Überarbeitungen:

Anlass: Dritter Teil der Arbeit zur Erlangung des Magistergrades in evangelischer Theologie an der Universität Tübingen, 1968

Copyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.

Creative Commons-Lizenzvertrag
Diese Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Dieser Text ist Teil der Abteilung Andere Religionen von Tüpfli's Global Village Library


  1. Glaube ist sowohl bei Luther als auch bei Zwingli ein festes, gewisses Vertrauen.

    Für beide gilt, dass der Mensch allein durch den Glauben an Christus gerechtfertigt wird.

    Der Unterschied zwischen Luther und Zwingli im Glaubensbegriff ergibt sich daraus, wie sie das Objekt des Glaubens — den Gott in Jesus Christus — fassen.
     
  2. Einziger Gegenstand des Glaubens ist für Zwingli und Luther Gott. Dieser Gott gibt sich aber nach Luther anders als nach Zwingli.

    Für Luther ist Gott zwiefach: Deus absconditus
    [verborgener Gott] — der schreckliche, unfassbare Gott — und Deus promissionibus indutus [Gott mit Verheißungen bekleidet].  Nur an den Deus promissionibus indutus — an das Evangelium: an Jesus Christus — kann sich das bedrängte Gewissen glaubend halten.

    Für Zwingli fällt diese Zwiespältigkeit Gottes dahin (der Deus absconditus von Jesaja 45 ist für ihn der in seiner Majestät unergründbare Gott). Darum ist der Glaube auch nicht so sehr allein an die konkrete promissio [Verheißung] — das Wort von Jesus von Nazareth — gebunden.
     
  3. Entsprechend ist für Luther Jesus von Nazareth in seiner Gottmenschheit das eigentliche Objekt des Glaubens: Gott hat seine promissio [Verheißung] nur und immer in konkret Sinnliches gefasst.

    Für Zwingli ist die Menschheit Christi in erster Linie notwendige Bedingung für das Versöhnungswerk und im Normalfall dazu noch Medium für die Offenbarung der Gottheit. Objekt des Glaubens kann nur die ungeschaffene Gottheit Christi sein.
     
  4. Diese Verschiedenheit in der Bestimmung des Objekts führt auch zu einer Verschiedenheit der psychologischen Seite des Glaubens: Diese Verschiedenheit wird am klarsten im Grenzfall und Ernstfall — in der tentatio [Anfechtung]:

    Für Luther ist die tentatio [Anfechtung] entsprechend der absconditas Dei [Verborgenheit Gottes] die Erfahrung der radikalen Gottverlassenheit, die ihr Urbild in Christi Gottesverlassenheit am Kreuz hat ("
    ‏אלי אלי למה עזבתּנ  Eli, Eli, lama asabthani  Mein Gott, Mein Gott, warum hast du mich verlassen!" Mk 15,34).

    Für Zwingli dagegen ist die tentatio [Anfechtung] und die Glaubensbewährung wesentlich eine Versuchung durch die Lüste der Welt.

Kurz zusammengefasst:

Zwingli vertritt den 'transzendentalen' Typ der Gotteserkenntnis und des Glaubens (d.h. die Beziehung ist: Mensch ↔ Gott via Christus), Luther den 'kategorialen' d.h. die Beziehung ist: Mensch ↔ verbum incarnatum [fleischgewordenes Wort] promissio [Verheißung] via äußeres Wort und sinnliche Sakramente). (Zu den Termini vgl. Balthasar, Hans Urs von <1905 - 1988>: Cordula oder Der Ernstfall. -- 2. Aufl. -- Einsiedeln : Johannes Verl., 1967). Zwingli kam aus der augustinischen Tradition, Luther aus der konsequent aristotelischen (Heiko Augustinus Oberman <1930-2001>, mündlich).

Diese Thesen sind nur Arbeitshypothesen, von denen jede jetzt an konkreten Texten auf ihre Brauchbarkeit hin geprüft werden müsste. Dem Vorgehen der Thesen entsprechend müsste man jetzt vom theologisch-christologischen Teil ausgehend in stetem Vergleich nochmals den ganzen Stoff bis hin zur konkret empirisch-psychologischen Bestimmung des Glaubens durcharbeiten.


Zu Anhang A: Über Huldrych Zwingli