Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum als Lebensform

2. Heirat und Scheidung


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- 2. Heirat und Scheidung. -- Fassung vom 21. Februar 1998. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/jud502.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 21. Februar 1998

Letzte Überarbeitung: 21. Februar 1998

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Übersicht



1. Wichtigkeit der Ehe für Juden


"Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde" [Genesis 1,28]

"Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sein; ich will ihm eine Gehilfin machen" [Genesis 2, 18]

"Wer keine Frau hat, lebt ohne Freude, ohne Glück, ohne Seligkeit." [Babylon. Talmud, Jebamot 62b]

"Kein Mann ohne Frau, keine Frau ohne Mann, noch beide ohne Gott." [Midrasch: Bereschit Rabba 8,9]


2. Ehehindernisse


Jeglicher Geschlechtsverkehr und damit jegliche Ehe eines Mannes mit einer Frau folgender Kategorien bedeutet Inzucht. Eine solche Ehe ist also ungültig.

Aus einer solchen Verbindung stammende Kinder sind illegitim (mamserim) (s. Leviticus 18, 24 - 30).

Ein "uneheliches" Kind gilt nach jüdischem Gesetz nicht als illegitim (mamser), nur Kinder aus oben genannten Verbindungen.

"Die "Ehe" eines Juden mit einem Nichtjuden hat nach jüdischem Religionsgesetz keine bindende Kraft und ist religiös ungültig, auch wenn sie von hundert Rabbinern gesegnet wurde. Die Grundlage für eine heilige Verbindung, entsprechend dem Gesetz von Moses und Israel ist die Schaffung einer Atmosphäre, in der Gottes Gebote erfüllt und in der Kinder nach den jüdischen Glaubenslehren erzogen werden. Das Judentum betrachtet die Ehe nicht als ein rein legales Mittel, um das physische oder emotionale Verlangen eines Paares zu befriedigen. In einer Mischehe, in der jeder Partner einen anderen Glauben hat, fehlt die wichtigste Grundlage einer jüdischen Ehe und ihr Zweck. Die Kinder einer solchen "Ehe" werden jedoch nicht als illegitim angesehen; ihr Status als Juden hängt nur davon ab, ob die Mutter jüdisch ist oder nicht." [Donin, Chajim Halevy: Jüdisches Leben : eine Einführung zum jüdischen Wandel in der modernen Welt. -- Jerusalem : Zionistische Weltorganisation,  1987=5747. -- Einheitssachtitel: To be a Jew. -- S. 298f.]


3. Verbotene Zeiten für die Hochzeit


Hochzeiten dürfen nicht abgehalten werden an:


4. Heiratszeremonie


Die Heiratszeremonie besteht aus zwei Teilen:

  1. Kidduschin -- Heiligung (Verlobung)
  2. Nissu'in -- Heirat

4.1. Kidduschin -- Heiligung (Verlobung)


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Ehering (Italien, 17. Jhdt.)

Der Bräutigam steckt der Braut einen Ring an den Zeigefinger der rechten Hand (nach der Zeremonie steckt man ihn dann meist auf den Ringfinger der linken Hand) und sagt:

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Mit diesem Ring seist Du mir angelobt, entsprechend dem Gesetz von Moses und Israel.

4.2. Ketuba -- Ehevertrag


Während der Zeremonie -- zwischen Kidduschin und Nissu'in wird der schon zuvor geschriebene Ehevertrag (ketuba) verlesen. Dabei stehen Braut und Bräutigam unter einem Baldachin (chuppa). Der Ehevertrag ist auf aramäisch abgefaßt (nicht hebräisch!) und enthält die Pflichten des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau und Regelungen für den Fall seines Ablebens oder einer Scheidung. Die Pflichten der Frau werden im Ehevertrag nicht erwähnt. Der Ehevertrag soll nur die Rechte der Frau sichern. Zeugen müssen den Ehevertrag unterschreiben

Ketuba
Abb.:  Ketuba (Ehevertrag)


4.3. Nissu'in -- Heirat


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Abb.: Hochzeitspaar unter Baldachin (Deutschland, 18. Jhdt.)

Nissu'in (Heirat) ist die Vollziehung der Verlobung. Braut und Bräutigam stehen unter einem Baldachin (chuppa) während sieben Segenssprüche (schewa berachot) gesprochen werden. Es müssen dabei zehn erwachsene jüdische Männer (ein minjan) anwesend sein. Der amtierende Rabbiner spricht die Segenssprüche über einen Becher Wein. Braut und Bräutigam trinken vom Wein.

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Abb.: Ehebaldachin (Schweiz, 1829)

Am Ende der Heiratszeremonie zerbricht man ein Glas (oder eine Glühbirne). Eine Erklärung dafür ist, daß man damit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. gedenkt.

Anschließend folgt ein religiöses Festmahl, bei dem die sieben Segenssprüche (schewa berachot) wiederholt werden.

Es ist ein Gebot, Braut und Bräutigam zu erfreuen; deshalb erfolgt die Hochzeit mit Musik, Tanz und Fröhlichkeit.


5. Scheidung


Wenn sich jemand von seiner Frau scheiden läßt, so vergießt sogar der Altar [=Gott] Tränen über ihn.

Babyl. Talmud, Sanhedrin 22a

Ein Ehemann darf sich von seiner Frau scheiden lassen, eine Frau darf die Initiative zur Scheidung nicht ergreifen.

Rabbenu Gerschom ben Jehuda (965 - 1028) verfügte, daß sich ein Ehemann nicht ohne Zustimmung seiner Ehefrau von ihr scheiden lassen dar. (Ebenso verbot er die Vielehe). Er tat dies, damit Gottes Name nicht durch jüdische Ehesitten, die schlechter als die christlichen sind, geschändet wird. Die jüdischen Gemeinden Europas haben diesen Beschluß Gerschom ben Jehudas anerkannt.

Ein jüdisches religiöses Gericht kann einen Ehemann dazu zwingen, sich von seiner Frau zu scheiden, wenn es dazu berechtigte Gründe gibt, wie z.B.

Eine Ehescheidung ist nur gültig, wenn sie dem Religionsgesetz entspricht (reine Zivilscheidungen sind ungültig). Die Scheidung muß vor einem aus drei Rabbinern bestehenden Rabbinatsgericht (bet din) erfolgen. Außerdem sind ein Schreiber (sofer) sowie zwei Zeugen notwendig (im Notfall können Mitglieder des bet din als Zeugen fungieren).

Für die Scheidung muß ein Scheidebrief (get) geschrieben werden (s. Deuteronomium 24,1). Dieser darf nicht gedruckt sein, sondern muß von Anfang bis Ende speziell für einen bestimmten Mann und eine bestimmte Frau zum Zweck dieser bestimmten Scheidung geschrieben werden. Deshalb dauert die Scheidungsprozedur etwa eineinhalb bis zwei Stunden. Wenn die Prozedur beendet ist, wird der Scheidebrief eingerissen oder geschnitten, um zu bezeichnen, daß er benutzt worden ist. Der Scheidebrief wird vom Rabbinatsgericht aufbewahrt. Der Mann und die Frau erhalten einen offiziellen Brief, der bezeugt, daß sie geschieden sind und wieder heiraten dürfen. Frauen dürfen allerdings erst nach 92 Tagen wieder heiraten, um Zweifel bezüglich der Vaterschaft eines Kindes zu verringern.


6. Chaliza -- Freilassung


Nach Deuteronomium 25,5 gilt:

Wohnen Brüder beisammen und stirbt einer von ihnen, ohne einen Sohn zu haben, dann soll sich die Frau des Verstorbenen nicht nach auswärts an einen fremden Mann verheiraten. Ihr Schwager gehe zu ihr ein, nehme sie zur Frau und leiste an ihr die Schwagerpflicht.

Der Schwager kann sich nach Deuteronomium 25, 7-10 weigern, dieser Verpflichtung zur Schwagerehe (Leviratsehe) nachzukommen. Das rabbinische Gesetz verpflichtet den Schwager von diesem Verweigerungsrecht Gebrauch zu machen und die Witwe des Bruders freizugeben, so daß sie einen anderen heiraten kann (die rabbinischen Gelehrten hielten offenbar die Schwagerehe für unmoralisch). Die Freilassung erfolgt vor einem Rabbinatsgericht (bet din).

Besteht er [der Schwager] darauf [auf der Freilassung] und sagt: 'Ich will sie nicht zur Frau nehmen', dann soll seine Schwägerin vor ihn hintreten; sie soll ihm die Sandale vom Fuße abziehen, ihm ins Angesicht speien und zu sprechen anheben: 'Also geschehe dem Mann, der das Haus seines Bruders nicht aufbaut. Sein Name in Israel soll fürderhin lauten: Haus eines Barfüßlers'.

Deuteronomium 25, 8 - 10

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Abb.: Chaliza: Schwägerin zieht Schwager Sandale vom Fuß (Holland, 18. Jhdt.)


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